Die Berichterstattung über Roma und Sinti ist in vielen Medien noch immer von Ressentiments geprägt. Die Ansichten der Verbände dieser Minderheit stoßen auf geringes Interesse.
Als die Teilnehmer der diesjährigen Bundesjugendkonferenz der Roma und Sinti in Berlin vom 28. September bis zum 1. Oktober über ihre Vorstellungen von einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen Rassismus diskutierten, kam kein einziger der eingeladenen Medienvertreter. Für Anita Burchardt von der Organisation Amaro Drom e.V., die für die Bürgerrechte von Sinti und Roma kämpft, ist das keine Überraschung. »Schon in den vergangenen Jahren tat sich die Presse schwer damit, der größten bundesweiten Veranstaltung junger Roma und Sinti einen Nachrichtenwert abzugewinnen«, sagte sie auf der Fachtagung »Antiziganismus in den Medien«, die Amaro Drom mit Amaro Foro, einem Jugendverband von Roma und Nichtroma, organisiert hat.
Bei der Tagung, die vorige Woche in Berlin stattfand, wurde deutlich, dass die Medien größtenteils noch die Stereotype über die umherziehenden, nichtsesshaften Roma und Sinti verbreiten, die selbst schuld seien, dass sie am Rand der Gesellschaft leben müssen. Wie dieser stigmatisierende Diskurs funktioniert, zeigte Andrea Wierich von Amaro Foro am Beispiel der Medienberichte über »Horrorhäuser« im Ruhrgebiet und in Berlin auf. Gemeint sind damit Gebäude, in denen auf engem Raum zahlreiche osteuropäische Arbeitsmigranten leben und hohe Mieten zahlen müssen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solchen Bedingungen zu leben, so Wierich. Sie könnten die Verantwortung von Hauseigentümern und die Rolle der Politik benennen. Doch in der Regel würden die Opfer verantwortlich gemacht und es werde behauptet, die Lebensweise der Roma und Sinti verursache die Probleme, kritisierte die Vertreterin von Amaro Foro.
»Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, sagte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung die Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman. Bis vor zehn Jahren schickte der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, jedes Jahr um den 7. Dezember ein Paket mit Belegen für eine diskriminierende Berichterstattung an den Deutschen Presserat, der Rügen aussprechen kann. Das Datum sollte an den 7. Dezember 1935 erinnern, als NS-Reichsinnenminister Wilhelm Frick angeordnet hatte, »in allen Fällen, in denen strafbare Handlungen von Juden begangen sind, dies auch besonders zum Ausdruck zu bringen«. Danach war in Nazideutschland in Polizei- und Presseberichten über Straftaten stets die »Rassenzugehörigkeit« herausgestellt worden. Seit Jahren drängen offen rechtsextreme, aber auch konservative Kreise darauf, die Staatsangehörigkeit von mutmaßlichen Straftätern in Medienberichten zu erwähnen.
Für Roma und Sinti hat die mediale Diskriminierung nie aufgehört. Doch der Presserat sah trotz der Massenzusendungen offenbar keinen Anlass, die Berichterstattung zu rügen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Verhalten konnte auf der Tagung nicht stattfinden, weil trotz Einladung kein Vertreter des Presserats erschien. Auch von der Deutschen Journalisten-Union war niemand anwesend, obwohl sich die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Journalisten gegen Rassismus einsetzt. Es sei in vielen Kreisen noch nicht verstanden worden, dass der Kampf gegen Antiziganismus eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer sei, monierte Wierich.
Dass es in den vergangenen Jahrzehnten dennoch einige Fortschritte gegeben hat, machte der Berliner Rechtsanwalt Thomas Moritz deutlich, der aus der Urteilsbegründung zitierte, mit der der Bundesgerichtshof 1956 einer Roma-Frau die Entschädigung für NS-Verfolgte verweigert hatte. »Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist«, heißt es dort in völkischer Diktion. Für das Urteil hat sich der Bundesgerichtshof mittlerweile entschuldigt. Die derzeitigen Formen der Diskriminierung sind subtiler, verschwunden sind die Ressentiments jedoch nicht.##
https://jungle.world/artikel/2018/44/noch-immer-diskriminiert
Peter Nowak
Seit mehr als einem Jahr ist ein linkspluralistisches Onlinemagazin verboten. Nicht in der Türkei, in Kuba, Russland oder Venezuela. In Deutschland ist die Online-Plattform Indymedia Linksunten seit Ende August 2017 abgeschaltet.
Die staatliche Maßnahme war erklärtermaßen eine Reaktion auf die teilweise militanten Proteste gegen den G20-Event in Hamburg im letzten Jahr. Danach wurden zahlreiche linke oder alternative Zentren und Einrichtungen von Medien und PolitikerInnen an den Pranger gestellt. Nur stellte sich heraus, dass die meisten rechtlich nicht so einfach abzuräumen sind. Daher war das Linksunten-Verbot auch ein Symbol der Politik, sie reden nicht nur über Repression, sie handeln auch. Im Übrigen würde ich auch nicht das Vorurteil bedienen, dass die Repression immer schlimmer wird. Das ist keine lineare Entwicklung. Es sei nur daran erinnert, dass während der Anti- AKW-Proteste immer wieder Publikationen dieser Bewegung beschlagnahmt und verboten wurden. Damals gab es auch Razzien in Infoläden und Asten, die die Publikationen ausgelegt und unterstützt haben, aber auch in Druckereien, wo sie hergestellt wurden. Heute wird eben für ein Onlinemagazin ein Verein konstruiert, der dann verboten wird. Endgültig über die Rechtmäßigkeit des Verbots ist noch nicht entschieden, die Prozesse stehen noch aus. Doch das Verbot war sofort vollziehbar und so ist in Deutschland seit über einem Jahr ein Organ des linken Medienpluralismus abgeschaltet, das in der Hochzeit der globalisierungskritischen Bewegung entstanden ist.
Bereits im Juli 2001 anlässlich des G8-Gipfels in Genua gab es einen massiven Repressionsschlag der italienischen Staatsapparate gegen Indymedia-AktivistInnen in der Diaz-Schule. Es gab Massenfestnahmen und zahlreiche Menschen wurden von der Polizei misshandelt und schwer verletzt. Damals solidarisierten sich weltweit viele Menschen und Organisationen mit Indymedia. In vielen Ländern gab es Proteste vor italienischen Botschaften und Konsulaten. Auf jeden Angriff auf Indymedia-Einrichtungen und AktivistInnen folgte damals eine transnationale Solidarität. Doch eine solche Solidarität blieb beim Indymedia-Linksunten-Verbot weitgehend aus, in Deutschland und international.
Das Schweigen der Prantls und Roths dieser Republik
Auch von den linksliberalen und gewerkschaftlichen Spektren in Deutschland gab es kaum Solidarität. Wäre eine kritische Online-Plattform in Venezuela, Russland oder Kuba abgeschaltet worden, wäre die Zahl der KritikerInnen hierzulande vermutlich groß, die Pressefreiheit anmahnen würden. Doch, wenn in Deutschland eine linke Onlineplattform abgeschaltet wird, schweigen die Heribert Prantls und Claudia Roths dieser Republik, die sonst dauerempört sind über all die Übel dieser Welt. Das liegt auch an die Einteilung in MedienaktivistInnen und „richtige JournalistInnen“. So mussten die KollegInnen, die bei den G20-Protesten in Hamburg die Akkreditierung verloren haben oder gar nicht bekamen, immer betonen, dass sie ‚richtige’ JournalistInnen sind, damit sie als Opfer von staatlicher Repression anerkannt wurden. Gerade die linksliberale Kritik verlangt „richtige“, d.h. durch Staatsapparate beglaubigte und durch Presseausweise legitimierte JournalistInnen. Wer dies nicht ist, hat oft wenige Chancen, Gegenstand linksliberaler Solidarität zu werden, wenn er nicht in Kuba, Venezuela oder Russland aktiv ist. Viele der in diesen Ländern verfolgten JournalistInnen sind MedienaktivisInnen. In die Kritik würde ich auch die Deutsche Journalist*innenunion (DJU) bei ver.di mit einbeziehen, die DGB-gewerkschaftlche Interessenvertretung von Journalist*innen. Dazu wurde auf dem letzten JournalistInnentag der DJU ein Kritikpapier unter dem Titel „Kein Kuscheln mit dem Gewaltapparat“ verteilt, das auf labournet.de nachlesbar ist (1). Es geht dort besonders um das Schweigen der Medien in Bezug auf das Linksunten-Verbot, aber auch in Bezug auf andere Staatsrepression nach dem G20-Gipfel. Es ist meines Wissens das einzige Kritikpapier, das diesen Aspekt ohne moralisierende Anklage beleuchtete.
Zum Indymedia-Verbot heißt es dort:
„Schwer von Begriff ist der Großteil der deutschen Presse auch in Sachen Indymedia- Linksunten-Verbot. Das Innenministerium konstruiert einen inoffiziellen Verein hinter diesem Portal und verbietet den – das kann es mit jedem Internetauftritt machen, denn das Vereinsgesetz erlaubt das! Indymedia ist ein Medium. Es stellt eine Plattform zum Zweck der Publizistik zur Verfügung. Indymedia Linksunten hat im Lauf der Jahre schon mit Enthüllungen von sich reden gemacht. Für ein Online-Medium gilt das Telemediengesetz, das besagt, dass das Medium auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden muss, bevor sie ihm zur Last gelegt werden können. Das ist nicht geschehen.“
Die Staatsinstanzen sind im Fall von Indymedia-Linksunten gar nicht erst in Erklärungsnö- te gekommen, weil die Proteste gegen das Verbot so klein ge- blieben sind. Das ist kein gutes Zeichen, wenn man bedenkt, dass in Zukunft die Grenzen der Legalität noch enger gezogen werden könnten.
Der Autor hat auf der Plattform Indymedia- Linksunten Texte namentlich veröffentlicht und sich gemeinsam mit Detlef Georgia Schulze und Joachim Schill nach dem Verbot dazu bekannt. Gegen uns hat die Justiz ein Ermitt- lungsverfahren eingeleitet. Der Aufruf, sich zu bekennen, richtet sich weiterhin an Gruppen und Einzelpersonen. Weitere Infos hier: http:// systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/ category/von-uns-bei-linksunten/nowakschill- schulze-bei-linksunten/
Während ein Gerichtsurteil der Polizei verbietet, auf Demonstrationen sichtbar zu fotografieren, entwickelte das Peng-Kollektiv ein System, um die Polizei zu erkennen, bevor man sie sieht
Die Bilderpolitik der Polizei steht in der Kritik. Erst kürzlich urteilte [1] das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dass die Polizei auf Demonstrationen nicht zum Zwecke der Öffentlichkeit fotografieren dürfe.
Die Begründung ist aber mehrdeutig. Die Taz fasst sie so zusammen: „Die Richter urteilten, dass die Polizei für die Demonstrierenden wahrnehmbar fotografiert hatte und das sei rechtswidrig. Bei Kundgebungen dürfe nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen.“
Daraus konnte man dann schließen, dass das Gericht das Fotografieren, wenn es die Demonstranten nicht bemerken, nicht beanstandet. Dann entstünde nicht mehr sofort der Eindruck der staatlichen Überwachung, die real trotzdem vorhanden wäre. So würde das Urteil das Konzept der Polizei als bürgernaher Dienstleister, der mit seinen Fotografenteam mit der Bezeichnung Social-Media-Team sogar Partner bei der Öffentlichkeitsarbeit der Demonstranten sein will, konterkarieren. Doch bei Demonstrationen mit nicht so kooperativen Teilnehmern ist das Konzept der nicht wahrnehmbaren Überwachung sowieso noch immer angesagt.
Öffentliche Fahndung in der Kritik
Dann praktiziert die Polizei eine ganz andere Art von Bilderpolitik und gerät auch damit in die Kritik. Vor einigen Tagen veröffentlichte die Berliner Polizei im Zusammenhang mit angeblichen Straftaten bei Demonstrationen am 1. Mai 2018, der nach Meinung von Presse und Polizei [2] der friedlichste seit Langem war, die Fotos von neun Verdächtigten. Mehrere konservative Medien und rechte Onlineplattformen haben die Fotos ebenfalls online gestellt.
Zunehmend werden Fahndungsfotos von Menschen veröffentlicht, die einer Straftat verdächtigt werden. Dass sie, weil nicht verurteilt, als unschuldig zu gelten haben und trotzdem an den Pranger gestellt werden, ist ein gewichtiger Einwand gegen diese Fahndungsmethoden, die daher hier auch nicht durch eine Verlinkung unterstützt werden sollen. Das ist auch ein Grund, warum manche Bevölkerungsteile über die Polizeipräsenz informiert werden wollen, bevor sie sie sehen. Ihnen kann jetzt geholfen werden.
„Cop Map – gegen drohende Gefahr vor wem?
Das Peng-Kollektiv [3], laut Eigenwerbung „ein explosives Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, hat mit der Cop Map [4] ein Ortungsprogramm für Menschen entwickelt, die wissen wollen, wo sich in ihrer Nähe Polizisten aufhalten.
Nun ist die besondere Dienstleistung ja sehr vielfältig verwendbar. Vielleicht wünscht sich jemand Polizei in der Nähe, weil er oder sie bedroht oder verfolgt wird. Schließlich heißt es zu der Dienstleistung „Drohende Gefahr – Melde Cops in Deiner Nähe“. Doch die Peng-Zielgruppe sieht in der Polizei wohl eher eine Ursache und nicht einen Schutz vor dieser drohenden Gefahr. Der Text lässt da wenig Interpretationsspielraum:
Eine „drohende Gefahr“ ist, was die Polizei als potentiell gefährlich einstuft, auch ohne konkreten Anlass. Damit wird Polizeiwillkür noch mehr Tür und Tor geöffnet. Die Polizei wird selbst zu einer Gefahr für Grundrechte, für Freiheit und Demokratie. Für bestimmte Menschen war sie das schon immer, spätestens ab jetzt stellt sie aber für alle eine Bedrohung dar. Es ist Zeit für eine Solidarisierung! Darum starten wir die Cop Map. Hier kannst du Polizeipräsenz und Kontrollen in deiner Nähe melden, sehen und vermeiden. Du kannst einen Direktlink zu dieser Webseite auf deinem Smartphone speichern, so dass du die Seite immer schnell öffnen kannst.
Text von Cop Map
Es ist fast zu bedauern, dass das Peng-Kollectiv nicht mehr mit den Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen spielt und es den Nutzern überlässt, ob sie die Polizei als Ursache der Gewalt sehen oder nicht. Waren nicht auch schon mal erklärte Polizeigegner gezwungen, die Polizei zu rufen, weil sie ausgeraubt oder bedroht wurden? Zudem wäre auch ohne diese unmissverständliche Klarstellung wohl kaum jemand auf die Idee gekommen, die Cop Map sei ein Service der Polizei wie das Social-Media-Team.
Auch die Polizeiklasse [5], mit der Peng für die Erstellung der Cop Map kooperiert, ist nicht etwa ein Hort kritischer Polizistinnen und Polizisten, sondern ein Münchner Künstlerkollektiv. Sie wollen damit gegen das neue bayerische Polizeigesetz protestieren [6]. Gemeinsam haben sie die interaktive Map entwickelt, auf der Polizeistandorte in aller Welt markiert werden können.
Verwunderlich ist nicht, dass in als Gefahrengebieten deklarierten Räumen die Polizeidichte höher ist als in der Provinz von Brandenburg und Mecklenburg, wo alle Parteien damit Wahlkampf machen, dass sie mehr Polizei vor Ort fordern. So könnte die Cop Map hier auch denen Argumentationshilfen geben, die immer beklagen, dass irgendwo zu wenig Polizei positioniert wird. Nun können sie es sogar auf der Map beweisen. Denn, es ist ja nicht davon auszugehen, dass das Peng-Narrativ, dass die Polizei die Bedrohung ist. von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird.
Empörte Politiker und Polizisten machen Cop Map bekannt
Das scheint aber die Polizeigewerkschaft ebenso wenig zu beruhigen, wie konservative Politiker verschiedener Parteien. Die könnten sich schließlich bedanken, dass das Peng-Kollektiv den Menschen hilft, die die Polizei suchen. Stattdessen übten sie sich in der rituellen Empörung [7]. Sie sehen, wie die Polizeigewerkschaft, das Leben der Polizisten in Gefahr oder fordern wie Berliner Unionspolitiker sogar eine Löschung der Cop-Map.
Eine bessere Werbung für das Projekt kann man sich kaum vorstellen. Die Zugriffe schnellten in die Höhe. Dann gab es bald Stimmen zur Besonnenheit auch im bürgerlichen Lager. Schlauere sinnierten darüber, dass die Cop Map ja auch zu gesetzestreueren Verhalten führen könnte. Schließlich werden die meisten Nutzer die Information über Polizei in ihrer Nähe nicht zum Angriff auf diese nutzen, sondern beispielsweise bestimmte inkriminierte Gegenstände oder Rauchutensilien nicht mitzuführen oder zu nutzen. Schließlich führt eine Map, auf der der Standort von Kontrolleuren im Öffentlichen Nahverkehr verzeichnet wird, in der Regel dazu, dass mehr Passagiere ein Ticket kaufen, und die Information über verborgene Blitzer fördert regelangepasste Fahrweisen.
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4205438
https://www.heise.de/tp/features/Die-Bilderpolitik-und-die-Polizei-4205438.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Gericht-Presseteam-der-Polizei-darf-bei-Demos-nicht-fotografieren-4199389.html
[2] http://www.taz.de/!5502314/
[3] https://pen.gg/de/
[4] https://www.cop-map.com/
[5] https://www.polizeiklasse.org/
[6] https://www.welt.de/politik/deutschland/article182732446/Polizei-Warnsystem-Warum-bayerische-Polizisten-von-der-Cop-Map-genervt-sind.html
[7] https://www.berliner-kurier.de/berlin/polizei-und-justiz/polizei-hasser-haben-die-von-peng-einen-knall–31488476
Die Musiker_innen der türkischen Band singen gegen Rassismus und Nazis und werden dennoch wie eine Terrorgruppe behandelt. Auf der letzten Bundesinnenministerkonferenz wurde sogar ein Verbot Band diskutiert. Die 1985 gegründete Musikgruppe, die aus ihrer linken politischen Gesinnung nie ein Geheimnis machte, wird von den Ermittlungsbehörden als Bestandteil der linken türkischen DHKP-C betrachtet, die in Deutschland und der Türkei verboten ist. Doch auch ohne formelles Verbot werden Auftritte der Band in Deutschland seit Jahren massiv behindert. Bei einem Konzert Ende September in Frankfurt/Main gab es massive Auflagen durch di Polizei. So durfte die Band mehrere Songs nicht spielen. Es durften keine Spenden gesammelt und auch keine T-Shirts oder CDs der Band verkauft werden. Zu den Auflagen gehörte auch, das Verbot Bilder und Fotos des nach dem §129b in Hamburg inhaftierten Musa Asoglu auf dem Konzert zu zeigen. Auch in der Türkei hat am 3.10. ein Prozess gegen 10 Yorum-Musiker*innen begonnen. Rechtsrockbands hatten in Deutschland bisher kaum Probleme mit dem Auftritt, dürften hohe Eintrittspreise nehmen und Spenden sammeln.
ak 642 vom 16.10.2018
Solidarische Aktion Neukölln unterstützt bei Problemen
Das Jobcenter nervt? Deine Miete wurde erhöht? Dein Chef stresst Dich? Komm zur Solidarischen Aktion Neukölln«. Flyer mit dieser Einladung werden seit einigen Wochen regelmäßig vor Jobcentern, aber auch auf Märkten und Plätzen im Berliner Stadtteil Neukölln verteilt. An der Arbeit der Stadtteilgruppe, die sich vor einigen Monaten gegründet hat, beteiligen sich Menschen, die in Neukölln wohnen und sich in der Vergangenheit mit Jobcentern, Chefs oder Vermieterinnen und Vermieter auseinandersetzen mussten. Dabei haben sie die Erfahrung gemacht, dass man allein wenig erreicht und sich daher zusammenschließen muss. »NachbarInnen helfen NachbarInnen« beschreibt Claudia Steinle das Grundprinzip der Arbeit der Solidarischen Aktion (SolA). Dass es nicht um karitative Hilfe geht, wird im Einladungsflyer deutlich »Wir unterstützen uns bei unseren Problemen«, heißt es dort.
Auch an der Mobilisierung zur berlinweiten Mieterdemonstration Mitte April 2018 hat sich Solidarische Aktion (SolA) beteiligt. Unter dem Motto »5000 Flyer für Neukölln« rief sie zur gemeinsamen Teilnahme auf und sprach damit Menschen an, die noch nie auf einer Demonstration waren. In der letzten Zeit haben auch außerparlamentarische Initiativen in Bremen, Hamburg und Leipzig den Stadtteil als Ort der Selbstorganisierung entdeckt. Auf bundesweiten Treffen tauschen die Stadtteilgruppen ihre Erfahrungen aus. Für SolA- Aktivist Matthias L., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist ein zentrales Moment die Selbstermächtigung der Menschen. Wer sich mit anderen zusammen gegen Schikanen im Job oder beim Ver- mieten wehrt, ist dann eher bereit, auf eine Demonstration gegen hohe Mieten zu gehen oder sich für bes- sere Arbeitsbedingungen einzusetzen. In der Nachbarschaftsgruppe lernen sich Menschen kennen, die seit Jahren im gleichen Stadtteil wohnen und nie ein Wort miteinander gewechselt haben. Erika Kaufmann betont im Gespräch mit dem Sprachrohr, wie wichtig ein solcher Ort der Begegnung in einer Zeit ist, wo es auch am Arbeitsplatz oft schwierig ist, sich zu treffen und auszutauschen. Sie wünschte sich, dass zum SolA-Treffen auch Beschäftigte kommen, die sich an ihren Arbeitsplätzen organisieren wollen. Die Treffen finden jeden 1. und 3. Dienstag im Monat um 17.30 Uhr im ORI in der Friedelstraße 8 in Neukölln statt.
Über Missverständnisse und Heuchelei im deutsch-türkischen Verhältnis
Vermeintliche Versprecher sagen oft mehr über die Realität aus als alle diplomatischen Floskeln. Das konnte man bei der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan gut beobachten. Als Merkel von Missverständnissen zwischen der Türkei und Deutschland sprach, korrigierte sie sich schnell und sprach von fundamentalen Differenzen unter anderem in der Frage der Freiheits- und Menschenrechte. Genau das ist eines der Missverständnisse.
Wenn es um Beziehungen von Ländern geht, spielen politische Interessen die entscheidende Rolle, die dann gerne mit schönen Floskeln von Menschenrechten übertüncht werden. Parteien wie die Grünen sind Vertreter der Kapitalfraktionen, die ihre Interessen besonders gerne zu Menschenrechts- und Freiheitsfragen aufbauschen.
Weil sich dafür im Zweifel leichter Krieg führen lässt, gehören diese Kapitalfraktionen und ihr politisches Personal auch aktuell zu den gefährlichsten. Sie sind auch die Meister jener Symbolpolitik, die von Anfang an Kennzeichen der Grünen war. Das konnte man beim Erdogan-Besuch gut beobachten.
Da wollte Cem Özdemir am Bankett mit Erdogan teilnehmen, angeblich um Erdogan zu ärgern. Tatsächlich wollte er damit als potentieller Außenminister nur deutlich machen, dass er und seine Partei auch ihre Rolle in der deutschen Außenpolitik spielen.
Wo bleibt die Kampagne für Max Zirngast?
Die Heuchelei setzt sich bei der Diskussion um die deutschen Staatsbürger in türkischen Gefängnissen fort. Da sind eben nicht alle Gefangenen gleich. Während sich für den liberalen Deniz Yücel Politiker fast aller Parteien und der Bundespräsident persönlich eingesetzt haben, beschränkt sich die Unterstützung für den linken österreichischen Journalisten Max Zirngast bisher auf linke Medien [1].
Dabei ähneln sich die Vorwürfe gegen beide Journalisten. Doch Max Zirngast hätte als Publizist mit klaren Sympathien für die Sache der kurdischen Bewegung womöglich auch in Deutschland mit Verfolgung und Repression rechnen können. So schreibt [2] die Welt in klar distanzierenden Ton:
Zirngast lebt seit 2015 in der Türkei, spricht fließend Türkisch. Er studiert an der Middle East Technical University in Ankara, die als linksgerichtet gilt. Im Juli sollen Studenten festgenommen worden sein, nachdem sie ein Erdogan-kritisches Plakat gezeigt hatten. „Re:volt“ bezeichnet Zirngast nicht nur als Autor, sondern auch als Aktivisten. Es sei die Nähe zum Umfeld der türkischen kommunistischen Partei, die Zirngast vorgeworfen werde, heißt es aus gut informierten Kreisen. Die Welt [3]
Der Publizist und Medienaktivist Kerem Schamberger [4] bekommt seit Jahren auch in Deutschland zu spüren, dass solche Aktivitäten nicht erwünscht sind. Razzien [5], kurzzeitige Festnahmen und Internetsperren [6] zeugen davon. Schamberger schildert das deutsch-türkische Verhältnis präzise in einem Interview [7]:
Merkel und die EU unterstützen Erdoğan mit Milliarden, damit er Flüchtlinge davon abhält, nach Europa zu kommen. Um zu zeigen, wie absurd das ist: Die Politik Erdoğans sorgt dafür, dass in Afrin Anfang des Jahres Hunderttausende Menschen fliehen. Zur gleichen Zeit bekommt er zwei Milliarden Euro von der EU zur Abwehr von Flüchtlingen. Das ist ein zynisches Geschäftsmodell.
Kerem Schamberger
In der Türkei gefoltert – in Deutschland inhaftiert
Als zynisches Geschäftsmodell kann auch die Praxis der deutschen Justiz bezeichnet werden, linke Oppositionelle aus der Türkei und Kurdistan in Deutschland ebenfalls zu kriminalisieren.
Davon sind hunderte kurdische Aktivisten und vermeintliche oder tatsächliche Unterstützer linker türkischer Parteien, Gewerkschaften und Massenorganisationen betroffen. So sind Menschen, die in der Türkei im Gefängnis gefoltert wurden, in Deutschland erneut inhaftiert.
Die Kooperation zwischen der türkischen und deutschen Justiz läuft zum Leidwesen der Anwälte im Verfahren gegen türkische Linke in München [8] geräusch- und reibungslos [9]. Die Stadtplanerin und Gewerkschaftlern Gülaferit Ünsal kämpfte in den letzten Wochen mit einer Unterstützergruppe [10] dafür, dass ihr Asylantrag bearbeitet wird, nachdem sie in Deutschland kriminalisiert wurde.
Die linke türkische Band Grup Yorum wird in Deutschland sogar häufiger mit Auftrittsverboten bedroht [11], aktuell in Frankfurt/Main [12], als in der Türkei.
Die Repression gegen türkische und kurdische Linke findet den Beifall der türkischen Regierungen nicht erst seit Erdogan an der Macht ist. Bereits unter der Herrschaft der kemalistisch-nationalistischen Politiker und Militärs lief die deutsch-türkische Kooperation sehr gut.
Das Erdogan-Regime fordert nun, dass auch vermeintliche oder tatsächliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland verfolgt oder ausgeliefert werden. Doch anders als bei dem türkischen und kurdistischen Linken ist die deutsche Justiz hier nicht so kooperativ. Schließlich könnte man die islamistischen Gegenspieler zu Erdogan gut gebrauchen, falls Erdogan und sein Regime stürzen.
Alte Waffenbrüderschaft
Die Zusammenarbeit beider Länder geht mehr als hundert Jahre zurück. „Als das Deutsche Reich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in seine imperialistische Phase eintrat, rückte das noch nicht unter den anderen Großmächten aufgeteilte Vielvölkerreich am Bosporus ins Blickfeld der Berliner Kolonialstrategen“, schreibt der Publizist Nick Brauns [13].
Diese Interessen des deutschen Kapitals überdauerten die unterschiedlichen Regime, wie Brauns nachweist [14]. Der aktuelle Besuch reiht sich diese Kooperation ein. Dabei gab es immer auch Störgeräusche, aber das gemeinsame Interesse überwog.
Das ist auch aktuell der Fall. Daher ist es politisch falsch, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie unterwerfe sich Erdogan. Tatsächlich ist das deutsch-imperialistische Interesse, dass die Kooperation von Staaten bestimmt. Hier müsste eine linke Kritik ansetzen.
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4178485
https://www.heise.de/tp/features/Warum-redet-niemand-ueber-die-tuerkischen-Staatsbuerger-in-Deutschlands-Gefaengnissen-4178485.html
»Bild« und AfD hetzen gegen die »Graswurzelrevolution«, weil der Verfassungsschutz Thüringen aus einem Text zitiert, der dort erschienen ist
Die Monatszeitung »Graswurzelrevolution« (»gwr«) gibt es seit mehr als 40 Jahren. Der verantwortliche Redakteur Bernd Drücke hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die Publikation in der linken Öffentlichkeit bekannt zu machen. Doch auf die Aufmerksamkeit, die die »gwr« seit einigen Tagen bekommt, hätte er wohl gerne verzichtet. Die AfD hetzt auf Twitter gegen die »linksextreme Anarchopostille« und verlinkt einen Bericht der »Bild«, in dem es heißt: »Die Anarcho-Postille kämpft seit 1972 für die Abschaffung unseres Staates und wurde früher selbst vom Verfassungsschutz beobachtet und als ›linksextrem‹ eingestuft.« Auf die aus journalistischer Sicht naheliegende Idee, bei der so geschmähten Publikation eine Stellungnahme einzuholen, kam bei »Bild« niemand.
Der Grund für die plötzliche Aufmerksamkeit gegenüber der Zeitschrift ist ein Artikel, in dem der Sozialwissenschaftler Andreas Kemper ein jüngst erschienenes Buch des AfD-Politikers Björn Höcke analysiert hat. »Nie zweimal in dem selben Fluss« lautet der Titel. Dort präsentiert Höcke in Form eines Interviews seine Vision eines europäischen Großraums mit Deutschland als Kraftzentrum. »Das Lesen dieses Buches bestätigt den Gesamteindruck einer faschistischen Agenda«, so das Fazit von Kemper. Sein bereits Anfang September in »gwr« erschienener Text wurde erst zum Politikum, nachdem der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, daraus zitierte, um zu begründen, warum Höcke und sein Flügel in der AfD von der Behörde beobachtet werden sollen. Zunächst nannte Kramer aber weder den Autor noch die Zeitung, die den Text veröffentlichte. Dafür hat er sich mittlerweile bei Kemper entschuldigt. Die AfD-Thüringen fordert jetzt Kramers Rücktritt, auch die Bundespartei hat sich dieser Forderung angeschlossen.
Für Kemper und die »gwr« hat die Kampagne Folgen. »Andreas Kemper hat dieser Tage zu Hause einen Anruf erhalten, die Person am anderen Ende der Leitung hat ›Heil Hitler, du Schwein‹ gerufen und wieder aufgelegt. Bei uns in der Redaktion sind auch einige Hassbotschaften eingegangen«, erklärt »gwr«-Redakteur Drücke gegenüber »nd«.
Kemper ist den Rechten schon lange verhasst. Er hatte bereits im vergangenen Jahr eine Analyse verfasst, in der er die These vertritt, dass Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig in Neonazi-Postillen Texte veröffentlicht hatte. Höcke bestreitet das, ist aber nicht juristisch gegen Kemper vorgegangen. Der AfD-Bundesvorstand unter Frauke Petry hatte unter anderem mit Kempers Text seinen mittlerweile zurückgezogenen Ausschlussantrag begründet.
Dass nun auch der Verfassungsschutz sich ihres Materials bedient, nehmen Kemper und Drücke gelassen. »Ich fordere weiterhin die Auflösung aller Geheimdienste, aber ich sehe auch den Unterschied zwischen Maaßen und einem liberalen Sozialdemokraten wie Stephan Kramer«, so Drücke gegenüber »nd«. Zudem zeige die Angelegenheit, dass man keine Geheimdienste brauche, um etwas über die rechte Ideologie der AfD zu erfahren. Schließlich hat Kemper seine Analysen über Höcke lediglich auf allgemein zugängliche Quellen gestützt. Er war bislang auch der einzige Autor, der sich mit Höckes Buch auseinandergesetzt hat. Wenn Kramer aus diesen Arbeiten zitieren muss, um eine mögliche Beobachtung von Teilen der AfD zu begründen, mache er eigentlich schon deutlich, dass seine Behörde überflüssig ist.
Das thüringische Bad Blankenburg debattiert über den Umgang mit einem durch einen Neonazi verübten Mord
Am 24. Mai 2001 tötete ein damals 24-jähriger Neonazi im thüringischen Bad Blankenburg den 27-jährigen Epileptiker Axel U. Der wurde in einem anonymen Armengrab bestattet. Doch 17 Jahre später wird in der kleinen Stadt wieder über die Tat geredet und auch die Frage gestellt, warum damals der Täter nicht als solcher bezeichnet wurde.
Auslöser für die Diskussion ist der Film »Das blinde Auge – Ein Todesfall in Thüringen«, den der Erfurter Regisseur Jan Smendek gedreht hat. Am 19. September war der Film erstmals in Bad Blankenburg zu sehen. Etwa 120 Menschen waren in den Fröbelsaal des Rathauses gekommen, darunter viele junge Leute. Sie erfuhren durch den Film erstmals mehr über die Hintergründe des rechten Täters. Sie hörten von den wenigen Bekannten des Opfers, wie sie nach der Tat stigmatisiert und ausgegrenzt worden sind. Über eine Gedenkveranstaltung für Axel U. schrieb die »Ostthüringische Zeitung«, dass sich dort »stadtbekannte Trinker und Asoziale« getroffen hätten.
Eine politische Auseinandersetzung hat damals nicht stattgefunden. Nach der Filmvorführung gab es erstmals in der Stadt eine öffentliche Diskussion über den Umgang der Menschen mit dem Todesfall. Dazu mussten die Interessierten vom Rathaus in die Räume des Bad Blankenburger Kunstkreises umziehen. Der Bürgermeister erklärte, dass die Gefahr bestanden habe, dass auch die AfD und andere rechte Gruppen Anspruch auf Räume im Rathaus anmelden könnten, wenn er dort eine politische Diskussion zugelassen hätte.
Der Regisseur Jan Smendek berichtete, wie er Anfang 2017 bei einer Recherche über durch Rechte verursachte Todesfälle in Thüringen auf Axel U. stieß. Beim Studium der Akten erfuhr er von den Verstrickungen des Neonazi-Täters mit der »Anti-Antifa-Ostthüringen« und dem »Thüringer Heimatschutz«. Mit Silke Streipert saß auch eine Bekannte von Axel U. auf dem Podium, die nach dessen Tod dafür angefeindet wurde, dass sie mit Gleichgesinnten gegen die Neonazis aktiv war. Sie sagte, dass damals viele in der Stadt weggeschaut hatten. Doch sie erwähnte auch, dass sich seitdem in Bad Blankenburg einiges geändert habe. Sie verwies auf zivilgesellschaftliche Initiativen, in denen nicht nur Linke, sondern auch Christen aktiv sind. Zu ihnen gehört auch der Bad Blankenburger Pastor Andreas Kämpf, der sich bei der Diskussion gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten wandte und beklagte, dass es solche Tendenzen auch in den Kirchengemeinden gäbe.
Zur Zivilgesellschaft gehört auch das Bürgerbündnis Zivilcourage und Menschenrechte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, das Thomas Endter auf dem Podium vertrat. Im Film berichtet er, wie er vor einigen Jahren von Neonazis an seinem Arbeitsplatz bedroht wurde. Er betonte in der Debatte, dass er mit dem Bündnis die bürgerliche Gesellschaft ermuntern wolle, gegen rechte Ideologien aufzustehen. Dabei ist er sich auch mit dem Mitglied der LINKEN im Landtag von Thüringen Rainer Kräuter einig, der viele Jahre in Bad Blankenburg als Polizist gearbeitet hat und beruflich auch mit dem Tod von Axel U. befasst war. Kräuter setzte sich für mehr Transparenz bei Polizei und Justiz ein.
Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass der Film es ermöglicht hat, dass in Bad Blankenburg nach 17 Jahren öffentlich über den Todesfall geredet wird. Aus dem Publikum kam der Vorschlag, zum 20. Jahrestag einen Gedenkort in Bad Blankenburg für Axel U. einzurichten. Rainer Kräuter signalisierte Unterstützung.
Jüngst begann in Istanbul ein Prozess gegen 20 linke türkische Anwält*innen, 17 von ihnen saßen über ein Jahr in Untersuchungshaft. Sie arbeiteten im »Halkin Hukuk Bürosu« (Anwaltskanzlei des Volkes), das sich auf die Verteidigung linker Oppositioneller spezialisiert hat. Die Anwält*innen verteidigten zuletzt Bergarbeiter*innen, Beamt*innen, die gegen ihre Entlassung Widerstand geleistet hatten und Studierende, die sich für eine demokratische Universität ohne Studiengebühren einsetzten. Alle sind wegen »Unterstützung einer terroristischen Organisation«, der linksradikalen DHKP/C, angeklagt.
Eine internationale Delegation war zur Prozessbeobachtung angereist. Die Teilnehmer*innen kamen unter anderem aus Griechenland, Bulgarien, Italien, Österreich und Deutschland. Aus Hamburg reiste Wolfang Lettow, Redakteur der Publikation »Gefangenen Info«, nach Istanbul. Er begleitet seit vielen Jahren politische Prozesse in Deutschland.
Im Gespräch mit »nd« zeigte sich Lettow beeindruckt von der Solidarität zum Prozessauftakt. Rund 200 Personen hätten sich demnach im überfüllten Verhandlungssaal eingefunden. Neben den Teilnehmer*innen der internationalen Delegation seien auch viele Linke aus der Türkei gekommen, um ihre Unterstützung zu zeigen. »Vor Prozessbeginn wurden die Anwält*innen durch Klatschen und Parolen stürmisch begrüßt. Alle gaben eine kämpferische Erklärung ab«, schildert Lettow die Szene.
Der Prozessbeobachter berichtet auch von Repressalien gegenüber den Angeklagten: »Nach einer Pause wurde ein inhaftierter Anwalt von einem Polizisten an den Haaren gezogen, als seine ebenfalls angeklagte Frau mit ihm sprechen wollte«, so Lettow. Darauf sei es zu Protesten der anderen Angeklagten, ihrer Anwält*innen und von Zuschauer*innen gekommen. Die Mutter eines Angeklagten habe man aus dem Saal verwiesen.
Am 15. September wurden die Anwält*innen nach über einem Jahr aus der Untersuchungshaft entlassen. Lettow sieht in der internationalen Solidarität zum Prozessauftakt auch einen Grund dafür. Das Verfahren geht allerdings weiter. Es bestehe laut dem Prozessbeobachter die Gefahr, dass sie zu hohen Strafen verurteilt werden.
Lettow ruft daher dazu auf, gegenüber den politisch Verfolgten in der Türkei Solidarität zu zeigen. Dies sei gerade in Zeiten besonders wichtig, wo Erdogan Deutschland besucht und die Bundesregierung das Verhältnis zur türkischen Regierung normalisieren wolle. Lettow verwundert es zudem kaum, dass die Prozesse gegen die linken Anwält*innen in Deutschland wenig Beachtung finden. »Auch in der BRD wurden im Sommer 1977 die drei RAF-Anwälte Klaus Croissant, Arndt Müller und Armin Newerla verhaftet und zu mehren Jahren Knast verurteilt.«
Im Fall Maaßen geht es auch um die Zurückdrängung der Antifa-Ideologie in der BRD
„Zur Verstärkung unseres Teams an den Dienstorten Köln und Berlin suchen wir einen Präsident für das Bundesamt für Verfassungsschutz.“ Was sich wie die Suche nach einem Nachfolge für den in die Kritik geratenen VS-Präsidenten anhört, war eine Taz-Satire vom vergangenen Mittwoch. Dort wurde unter der Überschrift „Im Verborgenen Gutes tun“ schon mal ein Maaßen-Nachfolger gesucht.
Wenn es nach den Grünen und Linken geht, wären seine Tage tatsächlich gezählt. Auch auf rechten Webseiten [1] ging man von einem Rücktritt Maaßens aus. Sie hätten ihn gerne als „Opfer des Merkel-Systems“ präsentiert, der seinen Job verliert, weil er angeblich nicht die politische Linie vertrat.
Gelbe Karte für Maaßen
Maaßen kann vorerst bleiben. Die Medien sprechen davon, dass er mit einem „blauen Auge“ davon gekommen sei. Dass er noch bleiben kann, wird damit erklärt, dass er weiterhin das Vertrauen von Innenminister Seehofer hat. Da dessen Verbleib höchstens bis zur Bayern-Wahl gesichert ist, kann auch Maaßens Stuhl noch wackeln.
Doch nicht nur Seehofer [2], sondern die gesamte Union und auch die FDP sehen vorerst keinen Grund für den Rücktritt des VS-Präsidenten. Auch die Medienreaktionen sind durchaus nicht mehr so maaßenkritisch wie noch vor Tagen. So titelte [3] der konservative Publizist Ansgar Graw: „Maaßen kommt mit dem blauen Auge davon, genau wie Merkel.“
Nach dieser Lesart muss sich der Jurist Maaßen vor allem vorwerfen lassen, dass er vom Mord in Chemnitz sprach, während die Justiz wegen Totschlag ermittelt. Das habe er mittlerweile bedauert. Aber auch Merkel wird von Graw wegen angeblich falscher Wortwahl kritisiert. Seine Argumentation ist deshalb interessant, weil hier die klassische Argumentation der bürgerlichen Mitte verbreitet wird.
Dort wendet man sich natürlich gegen die extreme Rechte.
Das, was dort passierte, ist widerlich genug und bedarf daher nicht noch der Übertreibung. Rechtsextremisten und Neonazis zeigten den Hitlergruß, griffen ein jüdisches Restaurant an und waren gewaltbereit auch gegen zwei junge Ausländer, denen sie auf jenem Video kurz nachsetzten, das zunächst als Nachweis für die Hetzjagden gegolten hatte.
Ansgar Graw
Doch dann kommt gleich das „Aber“:
Aber unklar bleibt der Zusammenhang, unbekannt ist, was dieser Attacke vorausging und was ihr folgte. Eine Menschenjagd, unter der man sich eine Hatz über weite Strecken vorstellt, ist auf dem Videoschnipsel jedenfalls nicht zu erkennen und wurde laut Lokaljournalisten, Polizei und Generalstaatsanwalt auch von niemandem bezeugt.
Ansgar Graw
Da wird also schon mal den Opfern einer auch von Graw eingeräumten Attacke eine Mitschuld unterstellt, vielleicht, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren?
Nun verteilt Graw Lob und Tadel an beide Richtungen des bürgerlichen Lagers.
Darum ist es beispielsweise wichtig, zu betonen, dass Daniel H. in Chemnitz nach jetzigem Ermittlungsstand durch Totschlag starb – und der Jurist Maaßen wird sich schämen, dass er im „Bild“-Interview gleichwohl von „dem Mord in Chemnitz“ sprach (was er im Innenausschuss mit Bedauern korrigierte). (…)
Maaßen präsentierte sich am Mittwochabend den Innenpolitikern in einer Mischung aus Selbstkritik und Standfestigkeit: Er stehe inhaltlich zu seinen Zitaten, würde aber manches heute anders formulieren oder gar weglassen. Warum haben Seibert und Merkel nicht auch ihre Äußerungen über die Hetzjagd zurückgezogen, nachdem mehr Fakten bekannt waren?
Ansgar Graw
Zwischendrin formuliert er, was er Maaßen eigentlich vorwirft.
Und hätte er dem Video nicht verschwurbelt „gezielte Falschinformation“ unterstellt (was einige Zeitgenossen offenkundig als Behauptung verstehen wollten, Maaßen halte den Film für eine Fälschung), sondern gesagt, die Bilder sollten in Kombination mit der Betitelung des Videos durch eine Antifa-Gruppe nach seiner Meinung eine falsche Fährte legen, wäre die Aufregung gering geblieben.
Ansgar Graw
Spiel nicht mit der Antifa
Maaßen braucht hier gar nicht weiter zu argumentieren. Seinen Lesern ist schon klar, dass eine Antifagruppe, die sich zudem noch „Zeckenbiss“ nennt, nur falsche Fährten legen kann. Auch der grüne Rechtsausleger Boris Palmer hat schon seine Meinung auf einem sozialen Netzwerk kundgetan [4]:
Wem glaube ich jetzt eher?
„Antifa-Zeckenbiss“ oder dem Präsidenten des Verfassungsschutzes? Dass in Chemnitz Nazis marschiert sind und Gewalt gegen Migranten ausgeübt wurde, ist unbestreitbar. Das muss scharf verurteilt und bestraft werden.
Aber wie ein Video, dessen Urheber nicht identifizierbar ist und auf keine Anfrage reagiert, ungeprüft ganz Deutschland in eine solche Debatte treiben konnte, das begreife ich nicht. Das nagt ganz massiv an der Glaubwürdigkeit der Medien. Und das in einer Situation, wo wir nichts mehr brauchen als Sachlichkeit und Vertrauen in Information, um der Gefahr durch die AfD entgegen zu treten.
Boris Palmer
Hier ist die bürgerliche Ordnung wiederhergestellt, die nach Chemnitz einige Tage etwas durcheinander geraten war. Tatsächlich hätte wohl keine Zeitung ein anonymisiertes Video als einzige Quelle zur Grundlage eines Berichts gemacht.
Jetzt gilt wieder: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“, wie es Franz Josef Degenhardt einst formuliert [5] hat.
Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, dass es hier eine Klarstellung gab. Die Allianz zwischen Merkel und Antifa bleibt doch nur eine Phantasie der AfD. Auch wenn sich manche liberale Antifaschisten der Hoffnung hingegeben haben, sie könnte Wirklichkeit werden. So war die Diskussion um Maaßen auch ein Stück Ankunft in der Realität.
Vor einem Jahr gab es in den USA einen Shitstorm gegen Trump, als der nach einer rechten Demonstration scheinbar ganz ausgewogen gute und schlechte Menschen auf Seiten der Rechten und ihrer Gegner ausgemacht [6] haben wollte. In Deutschland hingegen ist diese Position fester Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft.
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4163625
https://www.heise.de/tp/features/Zeckenbiss-oder-Verfassungsschutz-4163625.html
Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.pi-news.net/2018/09/hetzjagd-debatte-maassen-mittwoch-letzter-arbeitstag/
[2] https://www.deutschlandfunk.de/berlin-seehofer-stuetzt-maassen.1939.de.html?
drn:news_id=924157
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article181513494/Chemnitz-Video-Maassen-kommt-mit-dem-blauen-Auge-davon-genau-wie-Merkel.html
[4] https://www.facebook.com/ob.boris.palmer/posts/2054459651260223?__xts__[0
]=68.ARB2JRShSlCK7-rrZ1Q4rkUp4NagwQam6a2DXWgKiIdABTetbgQ9lx8U1lZRl4Ooy9
DbPfo16hmsoVKPNREgiiyoLgsGIAbk8Q
OrpshSOKBbTqpxeCbV4r_NyN67n0EihoXamDwXS7spkbVO1wJEOrboS-L-XmB_iyycLk191dN1DGEC8GfUsw&__tn__=-R
[5] https://www.golyr.de/franz-josef-degenhardt/songtext-spiel-nicht-mit-den-schmuddelkindem-19292.html
[6] https://edition.cnn.com/2017/08/12/politics/trump-charlottesville-statement/index.html
Der frühere RAF-Anwalt Ströbele trifft auf den einstigen Ankläger Pflieger – eine Aussprache findet nicht statt.
Im Prozess gegen die Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) standen sie sich als Kontrahenten gegenüber: Der Rechtsanwalt und spätere Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele verteidigte mehrere Mitglieder der Stadtguerilla, während der ehemalige Bundesanwalt Klaus Pflieger die Anklage vertrat. Beide Juristen sind längst im Ruhestand; sie trafen am Montagabend in einem vom Deutschlandfunk (DLF) übertragenen Streitgespräch im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums in Berlin aufeinander
Gleich zu Beginn des von dem DLF-Korrespondenten Stephan Detjen moderierten Talks stellen die beiden Senioren ihre Gemeinsamkeiten heraus. Pflieger bekennt, als Student gegen die Notstandsgesetze, den Radikalenerlass und den Vietnamkrieg demonstriert zu haben. Ströbele weist darauf hin, dass die Notstandsgesetze bis heute in Kraft seien und der Radikalenerlass zu Berufsverboten für Tausende Linke in Westdeutschland geführt habe. Aber auch er bekennt, dass ihn seine Staatskritik nicht daran gehindert habe, sich auf einen Richterposten zu bewerben. Er wurde allerdings abgelehnt, weil er schon im Anwaltskollektiv um den damals linken Rechtsanwalt Horst Mahler gearbeitet hatte.
So wurde Ströbele zum Anwalt zahlreicher Aktivist*innen der außerparlamentarischen Opposition. Einige von ihnen liefen später zur RAF über. »Ich sah nicht ein, warum ich meine Mandanten nicht weiterhin als Genossen bezeichnen sollte. Schließlich kannte ich sie jahrelang aus gemeinsamen APO-Zeiten«, verteidigt sich Ströbele gegen einen Vorwurf, der ihm in den 1970er Jahren den Ausschluss aus der SPD und dem RAF-Verfahren und 1980 eine Bewährungsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation eintrug. Dass er die Gefangenen in Anwaltsbriefen als Genossen angesprochen hatte, wurde als ein Beleg für die politische Nähe interpretiert. »Ich habe Mandanten und nicht ihre Taten verteidigt«, betont Ströbele nach einer Frage aus dem Publikum.
Für ihn habe der Rechtsstaat damals versagt, betont Ströbele. Eindrücklich schildert er, wie er bis zum Schluss versucht habe, das Leben des RAF-Gefangenen Holger Meins zu retten, der am 9. November 1974 im Hungerstreik gegen seine Isolationshaftbedingungen gestorben war. Meins forderte die Zusammenlegung mit anderen RAF-Gefangenen. Noch zwei Tage vorher habe Ströbele den Gefangenen besucht. »Sorge dafür, dass ich nach Stammheim verlegt werde, sonst sterbe ich«, habe Meins ihm mit nur noch leiser Stimme aufgegeben, erinnert sich Ströbele. Doch alle Versuche seien vergeblich gewesen.
Pflieger hingegen will im Fall Holger Meins auch 45 Jahre später keinen Fehler beim Staat erkennen. Die RAF habe mit den Hungerstreiks den Staat erpressen wollen und tote Gefangene einkalkuliert. Warum dann dieses angebliche RAF-Kalkül nicht durch die Verlegung von Meins unterlaufen wurde, lässt Pflieger offen. Er verteidigte auch die als Lex RAF bekannt gewordenen Sondergesetze, die Prozesse auch ermöglichten, wenn die Angeklagten nicht verhandlungsfähig waren. »Sonst hätten wir die RAF-Prozesse nicht führen können«, erklärt der ehemalige Bundesanwalt. Ströbele erinnert daran, dass NS-Täter wegen Verhandlungsfähigkeit immer wieder Prozesse scheitern lassen konnten, ohne dass ein Sondergesetz eingeführt wurde. Für Pflieger hat sich der Rechtsstaat im Kampf gegen die RAF bewährt. Als Beleg dafür verweist er auf die Auflösungserklärung der Organisation, womit sie ihr Scheitern eingeräumt habe.
Aus dem Publikum wird daran erinnert, dass mehrere RAF-Gefangene im Gefängnis ums Leben kamen und es noch immer offene Fragen zu den Todesumständen gibt. Während Ströbele erklärt, ebenfalls noch offene Fragen dazu zu haben, zeigt sich Pflieger erstaunt, dass die staatliche Version der Todesumstände noch immer angezweifelt wird, und spricht von Verschwörungstheorien.
Die große Versöhnung zwischen Ankläger und Verteidiger in den RAF-Verfahren gibt es am Ende nicht, wie Moderator Detjen feststellt.
Während die meisten aus dem weltoffenen Lager längst ihren Frieden mit dem VS gemacht haben, macht VS-Präsident Maaßen deutlich, dass er kein Partner im Kampf gegen Rechts sein kann
Man stelle sich vor nach der einer linken Demonstration mit starker Beteiligung autonomer Gruppen würden sich Politik und Medien über linke Gewalt echauffieren. Und dann würde der Bundesinnenminister sagen, er könne die Anliegen der Demonstranten verstehen und könnte sich sogar vorstellen, selbst daran teilzunehmen, wenn er nicht im Amt wäre. Doch natürlich würde er nicht zusammen mit den ganz Radikalen demonstrieren. Und dann würde sich noch der Chef des Verfassungsschutzes zu Wort melden und sagen, Polizisten seien auf der Demonstration nicht gejagt worden und Videos, die solche Szenen zeigen, könnten gefälscht sein.
Wäre so ein Szenario vorstellbar? Bestimmt nicht. Doch nach Chemnitz ist genau das passiert. Seehofer warnte vor den Radikalen, konnte aber die Mehrheit der Demonstranten verstehen und sich auch vorstellen, mit zu demonstrieren, wenn er nicht in Amt und Würden wäre. Fast müsste man schon befürchten, dass Seehofer, sollte er doch noch sein Amt verlieren, aus Rache für Merkel bei Pegida mitmachen würde. Und Maaßen, der links immer und überall Gefahren und Gefährder sieht, gibt sich gegen Rechts ganz entspannt und zweifelt die Echtheit eines Videos an, auf denen die Jagd auf nichtdeutsch aussehende Menschen in Chemnitz zu sehen ist. Die Dresdner Justiz hält das Video hingegen für echt.
Wie Maaßen rechte Theorien übernimmt
Bemerkenswert ist auch, wie stark sich Maaßen auf der rechten Seite aus dem Fenster lehnt. Er hätte sagen können, dass es noch offene Fragen zu dem Video gibt, die noch der Prüfung harren. Doch seine im Tagesspiegel zitierten [1] Aussagen waren andere.
Über das Video, das Jagdszenen auf ausländische Menschen nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigen soll, sagte Maaßen: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.“ Nach seiner vorsichtigen Bewertung „sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. Da stellen sich schon einige Fragen. Eigentlich müsste man doch erwarten, dass die Echtheit des Videos angezweifelt wird, weil dafür Belege vorliegen, die dann bitte auch genannt werden sollten. Wer hat vor Maaßen die Echtheit des Videos mit welchen Argumente angezweifelt? Und warum macht sich der VS-Präsident auch noch Gedanken über die Motive der nicht belegten Fälschung. Nämlich, dass von der Tötung eines deutschen Staatsbürgers durch Migranten abgelenkt werden soll.
Mittlerweile haben sich zwei Afghanen bei der Polizei gemeldet, die auf dem Foto als Opfer rechter Attacken zu sehen sein sollen. Sollte sich das bestätigen, wäre zumindest erwiesen, dass Maaßen hier voreilig oder bewusst die Rechten begünstigende Fakenews verbreitete. Seine Kritiker sollten, wenn sie sich dazu äußern, den Sachverhalt genau prüfen. Schließlich ist es keineswegs ausgeschlossen, dass auch auf Seiten des weltoffenen Lagers Videos oder Fotos mit falschen Angaben verbreitet werden. Ob wegen mangelnder Überprüfung oder bewusst, kann dann offen bleiben. Solche Methoden sind ja nicht auf ein bestimmtes politisches Lager beschränkt.
Mord und Totschlag?
Dass Maaßen dann von Mord in Chemnitz sprach, obwohl gegen die Verdächtigen wegen Totschlag ermittelt wird, dürfte im Alltagsbewusstsein keine große Rolle spielen. Doch juristisch ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag sehr relevant. Im einschlägigen Paragraphen [2] heißt es: „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“
Im Alltagsbewusstsein wird oft gemutmaßt, dass eine Anklage nach Totschlag statt nach dem Mordparagraphen eine Begünstigung der Täter bedeutet, wenn es sich dann noch um Migranten handelt, ist das rechte Weltbild wieder intakt. Da ist es schon ein Politikum, wenn der Jurist Maaßen den Unterschied zwischen Mord und Totschlag mit seinem Statement verwischt. Es wäre allerdings auch wünschenswert, wenn die Justiz transparent erklärt, wieso sie wegen Totschlag und nicht wegen Mord ermittelt.
Es ist daher schwer verständlich, warum sich das weltoffen-liberale Lager so über den geleakten Haftbefehl eines der in Chemnitz Tatverdächtigen echauffiert hat Mit der illegalen Veröffentlichung machte der zuständige Justizbeame wahrscheinlich aus falschen Gründen das Richtige. Erst bei der Verurteilung des Mörders von Mia aus Kandel hatte man den Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt und auch die Urteilsbegründung nicht öffentlich gemacht, weil man aufgrund des Zweifels für den Angeklagten nach Jugendrecht geurteilt hat. Der Angeklagte hatte unterschiedliche Geburtsdaten angegeben. Dabei wäre es gerade bei solch umstrittenen Urteilen, die ja immer „im Namen des Volkes“ ergehen, wichtig, wenn die interessierte Öffentlichkeit auch das Hintergrundwissen in die Hand bekommt, um sich selber ein Urteil darüber zu bilden, ob das Urteil berechtigt ist.
Es wäre gerade für Linke eine wichtige Aufgabe, eine solche Transparenz zu fordern. Schließlich gehörte Kritik an der Justiz als Teil der repressiven Staatsapparate einmal zu den Kernaufgaben einer staatskritischen Linken. Heute sehen große Teile dieser ehemaligen Linken in der Justiz fast das letzte Bollwerk von Demokratie. Damit überlassen sie den Rechten nun neben der Medien- auch die Justizkritik, die dann natürlich vor allem Ressentiments bedienen.
Verfassungsschutz ist kein Partner gegen Rechts
Doch nicht nur die Justiz, auch der Verfassungsschutz wird von einer Staatsschutzlinken, hier ist der Begriff sehr treffend, mittlerweile als Mittel gegen Rechts gesehen. Dass führende SPD-Politiker schon seit Längerem fordern, der VS müsse die AfD beobachten, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist für sie Staatschutz seit gut 100 Jahren ein besonderes Anliegen. Die Grünen aber wollten noch vor 2 Jahrzehnten alle Geheimdienste abschaffen.
Von der Forderung hatten sie sich als Realpolitiker mehr und mehr verabschiedet. Doch mit der Selbstaufdeckung des NSU konnte man von einigen grünen Politikern Statements hören, die zumindest Reminiszenzen an die alte Kritik an den Geheimdiensten anklingen ließen. Schließlich war bei der Geschichte des NSU nicht das Problem, dass dort Verfassungsschutzmitarbeiter nicht beobachteten. Das eigentliche Problem war, dass sehr viele Verfassungsschutzmitarbeiter ganz nah dran waren am NSU und wohl nicht nur zur Beobachtung. Noch immer ist die These nicht wiederlegt, dass die NSU-Terrorgruppe schneller aufgedeckt worden wäre, wenn nicht so viele VS-Mitarbeiter so nah dran gewesen wäre.
Man hätte das migrantische Wissen [3] nutzen können. Migranten sind bereits 2006 unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ [4] auf die Straße gegangen. Für sie war der rechte Hintergrund der Mordserie längst klar, als die staatlichen Organe die Opfer und ihre Angehörigen noch verdächtigten.
Doch solche Erfahrungen über die Rolle von VS und Rechte spielen heute scheinbar keine Rolle, wenn gerade Grüne in vielen Bundesländern eine Beobachtung der AfD durch den VS fordern. Die Linkspartei argumentiert größtenteils noch dagegen und verweist dabei auf die Rolle der Geheimdienste beim NSU. Es wird sich zeigen, wann sich der erste Realpolitiker der Linken den Grünen und der SPD anschließen und ebenfalls den Einsatz des VS gegen die AfD fordern.
Vielleicht sorgen die Äußerungen von Maaßen dafür, dass diese Bestrebungen gebremst werden. Man kann ihm fast dankbar sein, wenn er noch mal verdeutlicht hat, dass Staatsapparate wie Verfassungsschutzämter strukturell rechts und keine Partner im Kampf gegen die AfD sein können. Die Staatsschutzlinke will solche Erkenntnisse natürlich nicht wahrhaben und fordert umso schneller und lauter Maaßens Rücktritt. Für sie geht es um eine Personalie und nicht um eine Struktur. Sie fordern Maaßens Kopf, damit sie weiter den VS als Partner im Kampf gegen die AfD anpreisen können.
„Die hatten nur die Russen“
Nicht nur an der Frage des Umgangs mit repressiven Staatsapparaten zeigt sich, dass nicht wenige Kritiker der rechten Demonstrationen in Chemnitz in ihren politischen Schlussfolgerungen gar nicht so weit entfernt von ihnen sind. So kommentierte die ultrakonservative dänische Tageszeitung, Jyllands-Posten, die wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen sowohl von Säkularen als auch von Rechten aus aller Welt gelobt wurde, die Ereignisse in Chemnitz mit einer besonderen Sichtweise auf die deutsche Geschichte [5]:
Anders als die Westdeutschen hatten die Ostdeutschen keine freundliche Besatzungsmacht, die ihnen nach dem Krieg Demokratie und Pluralismus beibringen konnte. Die hatten die Russen.
Jyllands-Posten
Die Diagnose, dass man von den Russen besetzt war, dürfte auch bei den Rechten in Chemnitz und anderswo auf Zustimmung stoßen. Schließlich braucht man nicht zu erwähnen, dass die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfiel und dort Millionen Menschen ermordete, dass die Rote Armee und ihre Verbündeten mit großen Opfer den Krieg in das Land zurücktrug, vom dem er mit Unterstützung großer Teile der Bevölkerung ausgegangen war und so die Welt von der NS-Herrschaft befreite. Danach hatten die Ostdeutschen keinen Führer mehr, aber wohl die Russen, da sind sich viele besorgte Bürger in Deutschland mit großen Teilen ihrer Kritiker im In- und Ausland einig.
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4158330
https://www.heise.de/tp/features/Mit-dem-Verfassungsschutz-gegen-die-AfD-4158330.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-video-aus-chemnitz-spitze-der-unionsfraktion-gegen-vorverurteilung-von-maassen/23007898.html
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__212.html
[3] https://rdl.de/beitrag/nsu-komplex-rassismus-und-migrantisches-wissen-interview-mit-ayse-g-le-frn-73549
[4] https://www.nsu-watch.info/2014/01/kein-10-opfer-kurzfilm-ueber-die-schweigemaersche-in-kassel-und-dortmund-im-maijuni-2006/
[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1099098.zu-chemnitz.html
Außerparlamentarische Gruppe kritisiert die Forensik des Klinikverbundes Bremen als menschenunwürdig
»Wir behandeln Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung in erheblichem Maße straffällig geworden sind. Durch die Behandlung sollen sie wieder in die Lage versetzt werden, zukünftig straffrei zu leben.« Mit diesen Worten stellt der Klinikverbund Bremen seine Dienstleistungen auf dem Gebiet der Forensik vor. Klingt auf den ersten Blick nicht weiter schlimm. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern jedoch die Schließung der Forensik. Sie kritisieren, die dortigen Maßnahmen verletzten die Menschenrechte der Patient*innen.
Mitte August hatte die Bremer Gesundheitsdeputation, eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Senat und Bürgerschaft, zu einer Sondersitzung eingeladen. Ziel war, über den Stand der 2013 von der Bremer Bürgerschaft beschlossenen Psychiatrie-Reform zu debattieren. Kritiker*innen meldeten sich auf dem Bremer Marktplatz während des Treffens lautstark zu Wort. »Wir haben den krassen Widerspruch zwischen dem von Politik- und Medizinbetrieb gezeichneten Ideal-Bild einer angeblich menschenfreundlichen, fortschrittlichen Psychiatrie in Bremen und der brutalen Realität, die Psychiatrisierte tatsächlich erleben, deutlich gemacht«, erklärte Julia Benz von der Psychiatriekritischen Gruppe Bremen gegenüber »nd«.
Die Arbeit der außerparlamentarischen Initiative sorgt in Bremen für Aufsehen bei Medien und Politik. »Gegründet hatten wir uns, nach dem eine uns bekannte Person in die Fänge der Bremer Wegschließ-Maschinerie geriet«, sagte Benz. Was diese Person wie auch die Aktivist*innen selbst erfuhren hätten, sei der Motor des Engagements gewesen. Anfang 2017 berichteten verschiedene Medien über Klagen von Patient*innen der Forensik. Ihre Vorwürfe: Man habe sie tagelang an ihre Betten fixiert und zwangmedikamentiert, anstatt geeignete Therapiemaßnahmen durchzuführen.
Die Berichte über entwürdigende Bedingungen auf der Akutaufnahmestation des Klinikums Bremen-Ost führten zu Nachfragen, auch der Bürgerschaftsfraktionen von LINKEN, SPD und den Grünen. Nachdem im Mai 2017 ein 31-Jähriger in der Forensik im Klinikum-Ost an Herzstillstand starb, wuchs die Kritik an den Zuständen noch weiter.
Derzeit ist das Thema jedoch wieder aus den Schlagzeilen. »Es gab weder personelle Konsequenzen, noch ermittelt Polizei und Staatsanwaltschaft objektiv«, sagte Benz. Auch der Umgang mit den Patient*innen sei kein anderer als vorher. Daher setzen die Aktivistin und ihre Mitstreiter*innen statt auf die die Skandalisierung von spektakulären Einzelfällen auf die bundesweite Kooperation von psychiatriekritischen Initiativen, wie der Irrenoffensive und dem Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen.
Die Gruppe knüpft damit an ein lange weitgehend vergessenes Arbeitsfeld des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968 an. Theoretische Kritik an der Psychiatrie und die praktische Organisierung von Psychiatriebetroffenen waren ein wesentlicher Bestand von diesem gewesen. Der Regisseur Gerd Kroske hatte jüngst mit seinem Film »Der SPK-Komplex« an diese Geschichte am Beispiel des Sozialistischen Patient*innenkollektivs aus Heidelberg erinnert.
Am Ende des Film betont Kroske, dass eine psychiatriekritische Bewegung heute kaum vorhanden, aber noch immer nötig wäre. Dass dieser Befund für Bremen nicht zutrifft, erklärt Julia Benz mit regionalen Gründen. »Bremen bricht einige Rekorde in Bezug auf Krankenhausbetten pro Einwohner und bei Zwangseinweisungen.« Doch sie verweist darauf, dass auch bundesweit die Tendenz zunimmt, abweichendes Verhalten zu psychiatrisieren. Der Fall von Gustl Mollath sei nur eines von vielen Beispiele. Der Nürnberger wurde in Bayern von Gerichten seit 2006 mehrmals in die Psychiatrie eingewiesen. Erst nach acht Jahren entließ man ihn als Justizopfer nach einem Wiederaufnahmeverfahren.
Arbeiter*innen der Shenzener Schweißgerätefabrik Jasic wehren sich gegen Gängelung und wollen eine Gewerkschaft gründen. Als der Staat zurückschlägt, entwickelt sich eine übergreifende Solidaritätsbewegung in China und darüber hinaus.
„Eine Gewerkschaft zu gründen ist kein Verbrechen. Unterstützt die Jasic-Arbeiter*innen von Shenzen“, ruft Shen Mengyu mit lauter Stimme. Um sie stehen Polizist*innen. Einige Männer und Frauen, die der Frau zuhören, applaudieren und am Ende singen sie eine Strophe der Internationale. Das Videos dieser Szenen verbreitete sich schnell über die sozialen Medien und die junge Frau mit der Brille und den langen schwarzen Haaren wurde zum Beispiel einer jungen Generation in China, die sich auch von Polizei und anderen Repressionsorganen des staatskapitalistischen Regimes nicht mehr einschüchtern lässt. Doch die Repressionsorgane haben mal wieder gezeigt, wie sie mit selbstorganisierten Arbeiter*innenprotesten umgehen. Am 11. August 2018 wurde Shen Mengyu von zwei Männern in Zivil in ein Auto gezerrt und ist seitdem verschwunden. Zunächst behauptete die Polizei, sie sei von ihrer Familie entführt worden. Die Version ließ sich nicht mehr aufrecht erhalten, als bekannt wurde, dass die Frau von der Polizei festgehalten werde. Wenige Tage später wurde ein weiterer Unterstützer der Jasic-Arbeiter*innen entführt. Er konnte allerdings nach wenigen Tagen entkommen und ist nach Shenzen zurückgekehrt.
CHINESISCHE STAATSGEWERKSCHAFT GEGEN SELBSTORGANISIERTE ARBEITER*INNENPROTESTE
In der Shenzener Schweißgerätefabrik Jasic wehrten sich Arbeiter*innen gegen ein Strafsystem, das selbst nach chinesischem Recht illegal ist. Beschäftigte bekamen Lohnabzüge, wenn sie zu spät kamen, wenn sie Essen in die Fabrik mitbrachten, wenn sie mit ihren Kolleg*innen sprachen oder wenn ihre Betriebsuniform nicht vollständig war. Gegen diesen Kasernenhofmethoden in der Fabrik wehrten sich die Beschäftigten und wollten eine Gewerkschaft gründen. Dabei beachteten sie genau die gesetzlichen Grundlagen für eine Gewerkschaftsgründung in China. Dort sind Gewerkschaften nur legal, wenn sie Teil des Allchinesische Gewerkschaftsverbands (AFCTU) sind. Der Vizepräsident der Staatsgewerkschaft AFCTU von Shenzen war mit der Gewerkschaftsgründung zunächst einverstanden. Doch die Jasic-Manager*innen waren von Anfang an dagegen und machten deutlich, dass sie eine Gewerkschaft keinesfalls zulassen wollen. Mehrere von ihnen sind auch in der Provinzregierung aktiv und nutzten ihren Einfluss. Plötzlich distanzierte sich auch der staatsnahe AFTCTU von der Gewerkschaftgründung und organisierte später bei Jasic eine gelbe Gewerkschaft. So konnte das Regime behaupten, dass es ja eine Gewerkschaft gebe. Derweil entließ man im Juli 2018 mehrere der Gewerkschaftsgründer*innen. Doch diese ließen sich von dieser chinesischen Form des Union-Busting nicht einschüchtern. Sie kamen jeden Tag zur Fabrik, um ihre Arbeit anzubieten, wurden aber vom Sicherheitsdienst nicht eingelassen. Am 27. Juli 2018 wurden schließlich siebenunzwanzig Arbeiter*innen, ihre Familien und Unterstützer*innen, wegen Unruhestiftung verhaftet. Vierzehn von ihnen befinden sich noch immer im Gefängnis.
AUSSERBETRIEBLICHE SOLIDARITÄT STÄRKTE ARBEITER*INNEN DEN RÜCKEN
Doch die Repression mobilisierte Studierende in ganz China. Kommiliton*innen von sechzehn Universitäten setzten ihre Namen unter einen Solidaritätsappell mit den Jasic-Anbieter*innen. Hunderte Studierende kamen nach Shenzen, um die Beschäftigten vor Ort zu unterstützen. Auf öffentlichen Plätzen und in Parks informierten sie über deren Kampf, kritisierten die Repression und riefen zur Solidarität auf. Die Kurzkundgebungen wurden meistens mit dem Absingen der Internationale beendet. Die Unterstützung wuchs. Selbst einige ältere Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas beteiligten sich an den Protesten. Für sie steht der aktuelle Turbokapitalismus Chinas im Widerspruch zu den maoistischen Idealen. Doch Shen Mengyu wurde zum Gesicht der Proteste. Sie hat Mathematik und Ingenieurwissenschaften studiert und war bereits wegen Gründung eines Arbeiter*innenkomitees in einer anderen Stadt entlassen worden. Ihre Entführung konnte den Protest nicht beenden. Weiterhin harrten hunderte Studierende in Shenzen aus. Sie kündigten an, die Stadt nicht zu verlassen, bis alle Arbeiter*innen und Unterstützer*innen freigelassen sind. Doch Ende August wurden sie von der Polizei verhaftet. Sie werden festgehalten, bearbeitet, in ihre Heimatorte deportiert, zwangsweise in ihre Heimatorte deportiert. Man will Friedhofsruhe in Shenzen schaffen und verhindern, dass die Arbeiter*innen in anderen Fabriken auf die Idee kommen, autonome Gewerkschaften zu gründen.
INTERNATIONALE SOLIDARITÄT MIT DEN JASIC-ARBEITER*INNEN
Lange Zeit war außerhalb von Shenzen nichts von dem Kampf der Jasic-Arbeiter*innen bekannt. Es war unabhängigen Solidaritätsstrukturen zu verdanken, dass sich das änderte. Im deutschsprachigen Raum hat Bärbel Schönafinger von der Plattform labournet.tv viel dazu beigetragen. Die von ihr mit deutschen Untertiteln versehenen Videos sorgten für Solidarität in verschiedenen Städten.
Mittlerweile hat auch die internationale Solidarität begonnen. Auf dessen Webseite stellt Labournet.de einen Musterbrief an die chinesische Botschaft bereit, in dem Gewerkschafter*innen die Freilassung aller im Jasic-Konflikt Verhafteten fordern:
Wir, als Aktive in Gewerkschaften und linken Organisationen in der BRD, können darin nichts, aber auch gar nichts Unrechtes sehen – über ihre Organisation und ihre Vertretung müssen Kolleginnen und Kollegen weltweit, unabhängig vom gesellschaftlichen System, das Recht haben, selbst zu entscheiden
In Berlin haben sich an einer Protest- und Solidaritätskundgebung vor der chinesischen Botschaft am 29. August 2018 auch FAU-Kolleg*innen beteiligt. Am 30. August 2018 informierten sich einige Kolleg*innen auf einer Informationsveranstaltung im Berliner FAU-Lokal. Es ist wichtig, dass die Solidarität mit den Jasic-Arbeiter*innen und ihren Unterstützer*innen jetzt nicht nachlässt. Das Kalkül der Manager und ihres Staates darf nicht aufgehen. Alle Verhafteten müssen freigelassen, die Kriminalisierung beendet werden. Denn die Gründung einer Gewerkschaft ist kein Verbrechen.
……………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Solidaritätserklärung der FAU-Berlin
Der Kampf der Jasic-Arbeiter*innen im chinesischen Shenzen
Solidarität mit den chinesischen Jasic-Arbeiter*innen und ihren
Unterstützer*innen!
Der Kampf der Jasic-Arbeiter*innen im chinesischen Shenzen
Im Zusammenhang mit dem Versuch von Arbeiter*innen, in der Schweißgerätefabrik Jasic im chinesischen Shenzen eine Gewerkschaft aufzubauen, hat sich eine sehr zugespitzte Situation von Repression und eine ungewöhnliche Solidaritätsbewegung für die kämpfenden Arbeiter*innen entwickelt.
Im Juli waren sieben Arbeiter entlassen worden, weil sie versucht hatten, eine Gewerkschaft aufzubauen. Die Proteste gegen die Entlassungen gingen den ganzen Monat über weiter und am 27. Juli wurden schließlich 29 Arbeiter*innen, Familienangehörige und Unterstützer*innen mit viel körperlicher Gewalt festgenommen und abgeführt.
Von den 29 Festgenommenen wurden 15 am 12. August entlassen. Sie
berichten, dass sie während ihrer Haft misshandelt und bedroht wurden.
Der Kampf um die Freilassung der verbleibenden Kolleg*innen geht weiter,
ebenso wie der Kampf der Arbeiter*innen für eine echte und repräsentative Gewerkschaft.
Seit diesen Verhaftungen haben Gruppen von mutigen Protestierenden vor der Polizeistation die Freilassung ihrer Kolleg*innen verlangt. Tausende Universitätsstudent*innen haben einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie sich mit den Jasic Arbeiter*innen solidarisieren.
Die Repression hat schließlich staatsterroristische Züge angenommen, als am 11. August 2018 die Aktivistin Shen Mengyu entführt wurde. Mittlerweile wurden auch ca. 50 studentische Unterstützer*innen in Shenzen festgenommen, die meisten wurden in ihre Heimatorte deportiert. Auch in Peking wurden Unterstützer*innen der Jasic-Arbeiter*innen verhaftet.
Am 29. August berichteten Kolleg*innen von labournet.tv über den Kampf der Jasic-Arbeiter*innen, die Solidaritätsbewegung und die Staatsrepression.
Wir fordern die Freilassung aller im Zusammenhang mit dem Kampf der Jasic-Arbeiter*innen Verhafteten, die Einstellung aller repressiven Maßnahmen gegen sie und solidarisieren uns mit dem ihrem Kampf für eine Gewerkschaft, in der sie ihre Interessen vertreten kann.
Eine Gewerkschaftsgründung ist kein Verbrechen!
Hoch die transnationale Solidarität des Proletariats!
Mehr Infos:
https://www.reuters.com/article/us-china-labour-protests-insight/chinas-student-activists-cast-rare-light-on-brewing-labor-unrest-idUSKBN1L0060