Populistische Stimmungsmache gegen Griechenland wächst

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/griechenland-wer-aus-cdu-und-csu-gegen-die-hilfen-stimmt-a-1020629.html

[2]

http://marx21.de/nein-zur-erpressung-griechenlands/

[3]

http://www.sevimdagdelen.de/de/article/3873.keine_zustimmung_zur_anhaltenden_erpressung_griechenlands.html

[4]

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2069.keine-zustimmung-zu-gescheiterter-griechenlandpolitik.htm

[5]

https://www.jungewelt.de/2015/02-27/018.php

[6]

http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattform-der-partei-die-linke/mitteilungen-der-kommunistischen-plattform/detail/zurueck/aktuelle-ausgabe/artikel/linke-aussenpolitik

[7]

http://www.bild.de/politik/inland/griechenland-krise/diese-deutschen-sagen-nein-zu-neuen-milliarden-39931320.bild.html

[8]

http://www.heise.de/tp/news/Wann-zahlt-Deutschland-seine-Schulden-an-Griechenland-2545829.html

[9]

http://www.klaus-peter-willsch.de/inhalte/2/aktuelles/75930/rede-von-klaus-peter-willsch-mit-der-begruendung-seiner-ablehnung-zu-weiteren-griechenland-hilfen/index.html

[10]

http://www.taz.de/!155470/

[11]

http://www.taz.de/!137033/

[12]

http://www.aufbau-verlag.de/index.php/sturzt-die-gotter-vom-olymp.html

[13]

http://www.arte.tv/guide/de/051622-000/macht-ohne-kontrolle-die-troika

[14]

http://www.tagesspiegel.de/politik/eurokrise-die-troika-macht-ohne-kontrolle/11406286.html

[15]

http://gewerkschafterohnegrenzen.blogspot.de/2015/02/macht-ohne-kontrolle-die-troika-arte.html

[16]

http://whos-saving-whom.org/index.php/de/

Baader oder Bachmann

Der Versuch, die RAF mit der Pegida-Bewegung oder dem heutigen Jihadismus zu vergleichen, muss zwangsläufig die globalen politischen Umstände ignorieren.

Oliver Tolmein hat recht, wenn er in seinem Disko-Beitrag in der vorigen Jungle World (8/2015) schreibt, es sei vorhersehbar gewesen, dass der jihadistische Terror der vergangenen Monate mit den Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Revolutionären Zellen (RZ) verglichen werden würde. Es gibt schließlich kaum ein politisches Ereignis, das nicht in irgendeiner Weise vor allem mit der RAF verglichen wird. Selbst ein schlauer Kopf wie Michael Brumlik stellte in einer Kolumne der Taz vom 3. Februar ernsthaft die Frage: »Was haben Pegida, die AfD und die RAF miteinander gemeinsam?« Auf die Antwort muss man erstmal kommen: »Wie bei der AfD zeigte sich auch bei der RAF die heimliche Liebe des deutschen Bürgertums zu politischen Desperados. Was Andreas Baader für Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin war, war für Gauland und Petry der nicht nur wegen Kokainbesitzes verurteilte Bachmann: Ausdruck der vor sich selbst verborgenen geheimen Lust zuzuschlagen«, erklärt Brumlik, nachdem sich AfD-Politiker vor einigen Wochen mit dem Pegida-Begründer getroffen hatten – bevor letzterer als Hitler-Imitator und Vulgärrassist geoutet wurde.

Warum fällt Michael Brumlik bei der Kooperation von AfD-Rechtsaußen mit dem Kopf einer völkischen Bewegung nicht die offene Sympathie ein, die Ende der sechziger Jahre rechte Unions- und FDP-Parlamentarier, nicht wenige noch mit NS-Vergangenheit, der »Aktion Widerstand« entgegenbrachten, einer offen nazistischen Bewegung gegen die Ostverträge, die mit Parolen wie »Brandt an die Wand« am einzigen NS-Widerstandskämpfer im Amt des Bundeskanzlers nachträglich noch die Todesstrafe vollstrecken wollte?

Er hätte auch eine rechts-rechte Kooperation jüngeren Datums zum Vergleich heranziehen können. Beispielsweise die Mobilisierung gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht, die von NS-Veteranen über diverse Neonazigruppen bis zum Stahlhelmflügel der Union reichte. Doch ausgerechnet den deplatzierten Vergleich der AfD-Pegida-Kooperation mit der RAF wählt Brumlik. Dabei müsste der in der deutschen Geschichte bewanderte Publizist wissen, dass die Pegida-Aufmärsche eher Widergänger jener deutschen Zusammenrottungen sind, die in Berlin und anderen Städten mit Naziparolen gegen die Außerparlamentarische Opposition (Apo) auf die Straße gegangen sind.

Andreas Baader und Ulrike Meinhof waren Teil dieses gesellschaftlichen Aufbruchs, der nicht erst 1966 mit der Apo begonnen hatte, wie sich an den Biographien dieser zwei Protagonisten zeigen lässt. Ulrike Meinhof war seit den fünfziger Jahren Teil der Opposition gegen den Adenauer-Staat. Andreas Baader beteiligte sich an den Münchner Jugendunruhen im Juni 1962, die als Schwabinger Krawalle in die bundesdeutsche Protestgeschichte eingingen. Sie gehörten zu den Vorzeichen einer großen Bewegung gegen jene deutschen Verhältnisse, zu denen das Schweigen über die NS-Verbrechen und die Mittäterschaft der großen Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ebenso gehörte wie der Hass auf fast alle, die sich nicht willig in die deutsche Volksgemeinschaft einfügten. Auch die bewaffneten Formationen wie RZ und RAF waren Teil dieses gesellschaftlichen Aufbruchs gegen die deutschen Verhältnisse. Es waren Intellektuelle wie Klaus Wagenbach und Peter Brückner, die wie viele andere immer wieder darauf hingewiesen haben und deswegen im Deutschen Herbst 1977 von konservativen Medien und Politikern als Terrorsympathisanten diffamiert und an den Pranger gestellt wurden.

Die Medien des Springer-Verlags waren dabei Vorreiter. Wenn man den Artikel von Richard Herzinger in der Welt liest, hat man den Eindruck, der Autor würde am liebsten die alten Schlachten fortsetzen. Noch einmal gießt er Hohn und Spott aus über »Antje Vollmer und andere wohlmeinende Moralisten«, die für sich in Anspruch nehmen, »gegen Ende der Achtzigerjahre einen Dialog zwischen RAF-Häftlingen und Repräsentanten des Staates« eingeleitet zu haben. Die Konservativen wollen auch nach so langer Zeit noch einmal klarstellen, dass es der starke Staat mit Isolationshaft, Sympathisantenhetze und Killfahndung war, der den bewaffneten Kampf besiegte, und nicht grüne Zivilisationsbemühungen. Dass dieser Kampf Teil eines gesamtgesellschaftlichen Aufbruchs war, wagt heute selbst in der staatsfernen außerparlamentarischen Öffentlichkeit kaum jemand mehr zu denken. Dabei sollte spätestens, wenn im Jihadismus ein später Wiedergänger der RAF gesehen wird, daran erinnert werden, dass auch die RAF Teil des weltweiten Aufbruchs linker Bewegungen war, die sich theoretisch und praktisch gegen einen verbürokratisierten Nominalsozialismus richtete, wie er im sogenannten Ostblock zu besichtigen war.

Ausgehend von Kuba und dem amerikanischen Kontinent breiteten sich in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren Stadtguerillabewegungen weltweit aus. Sie verwarfen die Volksfrontstrategien und andere Hinterlassenschaften aus dem Plunder des Stalinismus. Eine kommunistische Weltgesellschaft war ihr Ziel. Das ist ein Unterschied ums Ganze zu den Vorstellungen sämtlicher jihadistischer Terrorgruppen. Oliver Tolmein ist daher zuzustimmen, wenn er feststellt, dass Che Guevara kein Vorläufer Ussama bin Ladens war. Man könnte sogar zuspitzen: Che Guevara war im historischen Weltmaßstab das Gegenteil des Jihadismus. Er stand für das Projekt einer klassenlosen Gesellschaft. Der Jihadismus hingegen teilt die Menschen in Gläubige und Nichtgläubige ein, erhebt die Ungleichheit zum Programm und steht für eine religiös begründete Terrorherrschaft.

Die Stadtguerillabewegung hatte den Anspruch, Kommunismus wieder zum Projekt der Befreiung zu machen, nachdem er von den Stalinisten und ihren Nachlassverwaltern zur Legitimation für neue autoritäre Herrschaft geworden war. Weil nach der Implosion des Nominalsozialismus auch alle oppositionellen sozialistischen und kommunistischen Bewegungen in eine Krise gerieten und oft von der Bildfläche verschwanden, sind vielen Menschen die Unterschiede heute gar nicht mehr bekannt. Diese Niederlage fast sämtlicher Bewegungen, die auf eine Alternative zum Kapitalismus hinarbeiteten und ihn nicht einfach nur reformieren wollten, bezeichnete der Schriftsteller Ronald M. Schernikau auf dem letzten DDR-Schriftstellerkongress 1990 als den Sieg der Konterrevolution. Es war ein Sieg im Weltmaßstab und der Jihadismus ist eine seiner Folgen. Leo Trotzki hat schon in den dreißiger Jahren sinngemäß formuliert, dass der Faschismus die Strafe dafür sei, dass die Revolution nicht zum Erfolg geführt wurde. Heute könnte man formulieren, dass in unserer Zeit die Erfolge des Jihadismus auch eine Konsequenz der Niederlage des neuen revolutionären Aufbruchs Ende der sechziger Jahre sind. Reaktionäre Bewegungen, die sich auf Religion und Tradition berufen, fanden daraufhin weltweit vermehrt Zustimmung. Dem Jihadismus ist die Ideologie der totalen Ungleichheit, die Frauenverachtung, der Antisemitismus und der Hass auf alles gesellschaftlich Abweichende sind ihm eingeschrieben und insofern kann er durchaus mit den faschistischen Bewegungen der zwanziger Jahre verglichen werden.

Alle Versuche, nun eine Verbindung zwischen der RAF und den Jihadisten herzustellen, sind hingegen nur die neueste Auflage der Extremismustheorie, die die bürgerliche Gesellschaft, die in der »Mitte« verortet wird, als den Hort der Vernunft und Freiheit hinstellen will. So soll die Erinnerung daran ausgelöscht werden, dass sich der gesellschaftliche Aufbruch der sechziger Jahre gegen die konkreten Ausformungen dieser bürgerlichen Gesellschaft richtete. Dazu gehörte der Vietnamkrieg ebenso wie die verschiedenen Militärinterventionen auf dem amerikanischen und dem afrikanischen Kontinent. Erst auf dieser Grundlage kann – und muss – über die grundlegenden politischen Fehleinschätzungen gesprochen werden, die auch bei den Gruppierungen anzutreffen waren, die für diesen gesellschaftlichen Aufbruch standen. Neben einer verkürzten Kapitalismuskritik gehörten unter anderem Personenkult und autoritäre Strukturen dazu. Und bei mehreren politischen Aktionen schlug der Antizionismus in blanken Antisemitismus um, wie bei der Flugzeugentführung in Entebbe.

Eine RZ-Gruppe schrieb 1992 in einer selbstkritischen Erklärung: »Der linke Antizionismus ist keineswegs so unschuldig, wie er sich gibt.« Auch einige damalige Gefangene aus dem »antiimperialistischen Widerstand«, so wurde das Umfeld von RAF und RZ bezeichnet, diskutierten Anfang der neunziger Jahre mit Ingrid Strobl über regressiven Antizionismus und Antisemitismus in der Zeitschrift Konkret. Doch bei dieser vollkommen berechtigten Kritik sollte nicht unterschlagen werden, dass sich die Stadtguerillagruppen mit ihrem Antizionismus nicht wesentlich von den meisten anderen politischen Bewegungen ihrer Zeit unterschieden. Eine Schnittmenge mit dem heutigen Jihadismus hatten sie nicht. Durch eine solche Aussage würde der eliminatorische Antisemitismus der heutigen Islamisten relativiert. Ihnen geht es wie den Nazis grundsätzlich um die Tötung von Juden, weil sie Juden sind. Den Linken fast aller Fraktionen hingegen ist vorzuwerfen, dass sie sich mit dem Antisemitismus kaum oder gar nicht auseinandersetzten.

http://jungle-world.com/artikel/2015/09/51518.html

Peter Nowak

Tofu statt John Heartfield und George Grosz

KUNST In der Marheinekehalle muss eine Galerie einem Laden für vegane Lebensmittel weichen

Wer in den letzten Jahren in der Kreuzberger Marheinekehalle einkaufen ging, konnte hier auch auf Kunst stoßen. Doch damit ist zum Ende dieser Woche Schluss. Die Browse Gallery, die in der ersten Etage der Halle ihr Domizil hatte, muss einem Laden für vegane Lebensmittel weichen. Die aktuelle von Eckhard Siepmann kuratierte Ausstellung wird schon nicht mehr in der Gallery, sondern im Hauptgang der Halle im Erdgeschoss präsentiert.

Auf 40 Tafeln wird an den in Kreuzberg gegründeten „Grosz-Heartfield-Konzern“ erinnert, eine Kooperation der führenden Köpfe des Berliner Dadaismus, John Heartfield und George Grosz. Dokumentiert wird ihre politische und künstlerische Radikalisierung während des Ersten Weltkriegs und ihr Engagement in den Reihen der Berliner Rätebewegung.

Ausführlich geht es auch um die künstlerischen Reaktionen auf die Gräuel der Freikorps, die ab 1919 in Berlin mit Terror und Standgerichten gegen die revolutionären ArbeiterInnen vorgingen. Später gingen Grosz und Heartfield politisch und künstlerisch unterschiedliche Wege. Während Heartfield die Titelseiten der linken Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) und Wahlplakate für die KPD gestaltete, verabschiedete sich Grosz von der politisch engagierten Kultur. Auf einigen Fotos sieht man die beiden nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Berliner Trümmerhaufen stehen – auf die Folgen einer Politik schauen, die sie bereits 1918 bekämpften. Auf den letzten Tafeln sollen Plakate der KPD/RZ und der PARTEI das Fortwirken des Dadaismus in Berlin-Kreuzberg dokumentieren.

Zumindest im Kreuzberger Einkaufstempel wird man diesen nun bald nicht mehr begegnen. Zum Abschluss werden heute um 18 Uhr in den ehemaligen Gallery-Räumen Dokumentarfilme von Helmut Herbst über John Heartfield und die Berliner Avantgarde gezeigt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F02%2F27%2Fa0132&cHash=1b18bb52ff01aa17b2634d812b5bbfc7

Peter Nowak



An der SPD wird TTIP nicht scheitern

An der SPD wird TTIP nicht scheitern, aber ihren Vorsitzenden kann die Debatte die Kanzlerkandidatur kosten

Die SPD und ihr Vorsitzender haben ein Problem. Sie mögen noch so laut betonen, dass die aktuelle Regierungspolitik eine sozialdemokratische Handschrift trägt, die Partei kommt in Umfragen nie an die 30 Prozent heran. Wie schlecht es um die SPD-Wahlaussichten bestellt ist, zeigte der Jubel über den Wahlausgang in Hamburg.

Obwohl die SPD real verloren und sogar die absolute Mehrheit eingebüßt hat, wurde sie parteiintern und auch in der Öffentlichkeit zum großen Sieger erklärt. Dabei lag ihre relative Stärke nur darin, dass der Unionskandidat weit unter 20 Prozent gelandet ist. Prompt hat Gabriel ein Problem. Denn sofort nach der Hamburger Wahl begann die Diskussion, ob der dortige Spitzenkandidat Olaf Scholz nicht der bessere Kanzlerkandidat für die nächsten Bundestagswahlen wäre.

Da es bis dahin eine Weile hin und noch gar nicht klar ist, ob Merkel noch mal kandidiert, ist die Debatte erst einmal wieder versandet. Doch allein, dass eine Regionalwahl wie Hamburg dazu taugt, den eigenen Vorsitzenden zu desavouieren, zeigt wie unsicher die Basis für Gabriel ist. So könnte ausgerechnet die Debatte um das Transatlantische Freiheitshandelsabkommen seinen Niedergang beschleunigen.

Spott über den doppelten Gabriel

Denn in den letzten Monaten war er beim Spagat zu beobachten, die TTIP-kritische Stimmung aufzugreifen und es sich trotzdem mit der Wirtschaft, die das Abkommen will, nicht zu vergraulen. So könnte die Öffentlichkeit den Wirtschaftsminister Gabriel beobachten, der am Wochenende auf dem Transatlantischen Wirtschaftsforum [1] im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft das TTIP verteidigte. Auch die in der SPD besonders umstrittenen Schiedsverfahren, die Kapitalinteressen den bürgerlichen Gerichten entzieht, fand Gabriel plötzlich für sinnvoll.

Auf der Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion, die unter dem Motto „Transatlantische Freihandel – Chancen und Risiken [2]“ ebenfalls am letzten Wochenende stattfand, versuchte der SPD-Vorsitzende Gabriel die kritische Basis mit einer Prise Antiamerikanismus von den Freihandelsverträgen zu überzeugen.

„Wollen wir Mittelständler auf die Gerichtsbarkeit eines amerikanischen Bundesstaates verweisen?“, wird Gabriel in der Zeit zitiert [3]. Bisher wurde von den Gegnern des TTIP häufig mit damit argumentiert, dass man keine Zustände wie in den USA haben wolle. Diese Argumentation griff schon immer zu kurz und ließ unbeachtet, dass Deutschland selber den Investorenschutz vorantrieb [4], wenn es den Interessen des deutschen Kapitals nutzte. Vor einigen Monaten gerierte sich Gabriel noch als klarer Gegner der Schiedsverfahren. Doch das ist längst vorbei.

Mittlerweile besteht sein Ziel genau darin, die SPD-Basis vom TTIP zu überzeugen. Darin bestand auch die Intention der SPD-Konferenz. Bereits im September 2014 markierte [5] er die Grenzen der TTIP-Kritik in der SPD: Er sei auch Wirtschaftsminister, weshalb das Freihandelsabkommen unweigerlich mit seiner Person verknüpft sei. Die Botschaft: Wenn ihr das Prozedere rund um das Abkommen kritisiert, kritisiert ihr mich automatisch auch.

So wurde deutlich, dass sich die SPD in Gestalt von Gabriel mal wieder als die Partei empfahl, die dafür sorgt, dass sie in der Bevölkerung umstrittene Fragen besser durchsetzen kann als die Union.

Wird die SPD-Basis für Gabriel zum Problem?

Eine solche Integration ist natürlich besser möglich, wenn Gabriel seiner Basis zumindest einige symbolische Zugeständnisse anbieten kann, so dass die SPD dann wieder einmal argumentieren kann, ohne sie wäre alles noch schlimmer gekommen. Doch die für die TTIP-Verhandlungen verantwortlichen Stellen haben wenig Verständnis für die Integrationsbemühungen eines deutschen SPD-Vorsitzenden.

So lehnte die für die TTIP-Verhandlungen zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström, die auf der SPD-Konferenz mitdiskutierte Anregung Gabriels ab, im Abkommen zwischen der EU und Kanada, das als Blaupause für den TTIP gesehen wird, auf die privaten Schiedsgerichte zu verzichten. Lediglich kleinere Änderungen seien noch möglich…

Eine andere Unbekannte ist die Ausdauer der TTIP-Kritik an der SPD-Basis. Es besteht für Gabriel die Gefahr, dass die sich länger hält, weil es für viele auch ein Platzhalter für die in der SPD nicht existierende Kapitalismuskritik geworden ist. Die TTIP-Kritiker können in Verfahrensfragen Gabriel bloßstellen. Der hatte vor Monaten zugesichert, dass die SPD-Mitglieder zu TTIP und Ceta befragt werden, bevor die endgültige Entscheidung über die Abkommen fällt. Das Votum könne entweder auf einem Parteitag oder auf einen SPD-Konvent eingeholt werden.

Dabei ist schon jetzt klar, dass das TTIP an der SPD nicht scheitern wird. Die Frage ist nur, wie hoch die Gegenstimmen sind. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Abstimmung wichtig. Soll sie erfolgen, bevor der EU-Ministerrat abschließend über die Abkommen berät und somit tatsächlich noch mehr Druck für Nachverhandlungen möglich wäre? Oder soll die Abstimmung erfolgen, wenn die EU schon zugestimmt hat und nur noch die nationalen Parlamente ihr Okay dafür geben sollen?

Dann gibt es auch keine Druckmöglichkeiten mehr für Nachverhandlungen. Die TTIP-Kritiker in der SPD wollen einen möglichen frühen Termin, diejenigen, die für eine möglichst reibungslose Durchsetzung sind, einen späten. Nun werden solche parteiintern Geplänkel das TTIP nicht verhindern. Sie könnten aber dazu beitragen, dass sich Gabriel weiter desavouiert und als späterer Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage kommt.

TTIP-Freie Städte als neue Aktionsform?

Die Linkspartei kann sich freuen, nach der Regulierung des Mindestlohns mit dem TTIP wieder ein Thema [6] zu haben, mit dem sie die SPD unter Druck setzen kann. Auch die in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geratene globalisierungskritische Organisation Attac hat mit dem Widerstand gegen das TTIP wieder ein originäres Thema entdeckt und propagiert die TTIP-Freien Kommunen: „10.000 Kommunen TTIP-frei“ [7].

Kürzlich hat sich der Stadtrat von Leipzig dieser Initiative angeschlossen [8], was von einem größeren Netzwerk begrüßt [9] wurde. Allerdings erinnert die Initiative an die atomwaffenfreie Städte und Plätze, die vor 30 Jahren aus den Boden schossen. Sie können Bewusstsein schaffen, aber nichts daran ändern, dass Atomwaffen stationiert bzw. das TTIP real verhandelt wird.

http://www.heise.de/tp/news/An-der-SPD-wird-TTIP-nicht-scheitern-2560630.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taw-forum.de/website/taw2015.html

[2]

http://www.spd.de/aktuelles/faktencheck_ttip_ceta/

[3]

http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/freihandelsabkommen-ttip-ceta-sigmar-gabriel

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Deutschland-trieb-Investorenschutz-voran-2430279.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-spd-chef-knoepft-sich-ttip-kritiker-vor-a-992856.html

[6]

http://linksfraktion.de/ttip-stoppen/

[7]

http://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/aktionen/ttip-in-kommunen/

[8]

https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1001104#allrisBV

[9]

https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1001104#allrisBV

Verdeckte Kameras legalisiert

Pro Soluta – Konfliktlösung im Sinne des Vermieters

„Vor vier Jahren erhielten wir die ersten Briefe zum Verkauf unseres Hauses und Einladungen der angeblichen Mieterberatung Pro Soluta. Ein Vermesser kündigte sich auch an, erschien dann aber nur bei wenigen Mietern. Relativ schnell wurde uns klar, dass nun auch dieses Haus im spekulativen Verwertungs-Roulette gelandet ist.“

Die Erfahrungen der Bewohner/innen der Willi-Alexis-Straße in Kreuzberg machen viele Mieter/innen in Berlin. Wenn ein Brief von Pro Soluta kommt, wissen sie, dass die Eigentümer die Mieter/innen möglichst schnell loswerden wollen. Die Briefe sind in der Regel in einem sehr moderaten Ton verfasst. Man wünsche einen Termin für ein Gespräch, welches dem „einvernehmlichen Miteinander“ und „der Vermittlung zwischen Mietern und Eigentümern“ dienen solle, teilt Pro Soluta mit und vergisst nicht zu erwähnen, dass eine Vollmacht des Eigentümers auf Verlangen vorgezeigt werden kann. Auch auf der Homepage von Pro Soluta hat man zunächst den Eindruck, man hätte es mit einen leicht esoterisch angehauchten Verein von Sozialarbeiterinnen zu tun: „Kommunikation ist ein universelles Phänomen, das in alle Bereiche individuellen wie sozialen Lebens hineinreicht. Gesellschaft ist ohne Kommunikation nicht denkbar, das Individuum ist ohne Kommunikation nicht lebensfähig“, heißt es dort. Gleich darunter findet sich ein Zitat des Philosophen Karl Jaspers: „Dass wir miteinander reden, macht uns zum Menschen.“ Wenn Mieter/innen aber ihr Recht gebrauchen, die Bitte um einen Gesprächstermin abzulehnen oder zu ignorieren, wird der Druck auf sie erhöht. Immer wieder berichten Betroffene, dass sie mit ständigen Anrufen konfrontiert worden seien. Insbesondere ältere Mieter/innen fühlen sich häufig von Pro Soluta zum schnellen Auszug gedrängt, weil sie sich später die Wohnung doch nicht mehr leisten könnten.

Profiling von Mieter/innen

Gegründet wurde Pro Soluta von Birgit Schreiber, die sich auf der Firmenhomepage als Immobilienfachwirtin und Wirtschaftsmediatorin vorstellt. Ihr Unternehmen verdient Geld, indem es versucht, mögliche Mietkonflikte im Sinne der Hauseigentümer zu lösen. Mit der frühzeitigen Ansprache durch Pro Soluta sollen die Mieter/innen vereinzelt werden, um ein gemeinsames Handeln zu erschweren. Daneben dient die Kontaktaufnahme von Pro Soluta auch dem Profiling. Durch die Gespräche erhält Pro Soluta Informationen über Alter, Familienstruktur, Zeit und Ort der Erreichbarkeit sowie häufig auch über die wirtschaftliche Situation der Mieter/innen. Mit solchen Informationen können Vermieter leichter das Verhalten der Mieter/innen beeinflussen und diese einfacher – beispielsweise durch sehr geringe Abfindungen – zum Auszug bewegen. Mieter/innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie Schreiben und Gesprächswünsche von Pro Soluta ignorieren können, ohne dass ihnen dadurch rechtliche Nachteile entstehen. Die Berliner MieterGemeinschaft empfiehlt, dass sich die betroffenen Mieter/innen untereinander austauschen, um den scheinbar sanften Entmietern von Pro Soluta nicht einzeln gegenüberzustehen.

Peter Nowak


Aufruf an Betroffene von Pro Soluta
Erfahrungsaustausch und Vernetzung von Mieter/innen

Die Firma Pro Soluta tritt seit einigen Jahren vermehrt in Erscheinung. Offiziell handelt es bei ihr um einen Dienstleister für „Mediation“, der zwischen Mieter- und Vermieterseite bei Eigentümerwechseln vermittelt. Häufig entpuppte sich die Pro Soluta jedoch als Entmietungsspezialist, der von den Hauseigentümern zu diesem Zweck beauftragt wurde. Das Unterbreiten fragwürdiger Abfindungsangebote sowie das Streuen falscher Informationen und das Drohen mit juristischen Auseinandersetzungen kennzeichnen laut Berichten von Betroffenen die mieterfeindlichen Praktiken dieser Firma.
Infolge der wiederholten Berichterstattung des MieterEchos (zuletzt MieterEcho Nr. 371/ Dezember 2014) erreichten die Redaktion mehrere Zuschriften von Mieter/innen verschiedener Häuser und Bezirke, die einen Erfahrungsaustausch und eine Vernetzung mit anderen Betroffenen anregten. Dieses Anliegen ist sehr zu begrüßen, denn solch ein Austausch kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Strategien der Pro Soluta sowie ähnlicher Unternehmen offenzulegen und geeignete Formen der Gegenwehr zu entwickeln.
Alle Mieter/innen, die Erfahrungen mit der Pro Soluta gemacht haben und Interesse an einem Austausch und einer Vernetzung mit anderen Betroffenen haben, sind herzlich dazu aufgerufen, mit der Redaktion des MieterEchos in Kontakt zu treten.

Schicken Sie dazu bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Pro Soluta“ an die Redaktionsadresse me@bmgev.de.
Teilen Sie uns bitte auch die Adresse Ihres Hauses und in knappen Sätzen Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Firma Pro Soluta mit. Die Redaktion wird anschließend die Weitervermittlung der Kontakte in die Wege leiten.

MieterEcho online 25.02.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/pro-soluta-entmietung.html

Klassenkampf im Stadtteil

„Verdrängung hat viele Gesichter“

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieterInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um? Was passiert in einem jahrelang wenig beachteten Stadtteil, wenn dort plötzlich in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz, oder gibt es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Das sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ widmet, den das Filmkollektiv Schwarzer Hahn produziert hat. Dort haben StadtteilaktivistInnen gemeinsam mit KünstlerInnen mehrere Jahre an dem Film gearbeitet. Sie wollten den Aufwertungsprozess am Beispiel des Berliner Stadtteils Treptow verdeutlichen. Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen wegziehen mussten, weil sie die teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren in Treptow die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering. Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zum Szenebezirk Kreuzberg ist kurz. Dort siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an. Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der plötzliche Run der Baugruppen auf die Bewohner eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr gut deutlich.

Nicht nur MieterInnen kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Der Film zeigt, wie in Treptow in einer Stadtteilinitiative Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung aus dem Stadtteil und der Wille, sich dagegen zu wehren.

Der Film macht auch deutlich, dass nicht nur MieterInnen davon betroffen sind. Da wird ein Treptower Buchhändler gezeigt, der fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat. Die Menschen, die bisher seinen Buchladen aufsuchten, verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Er arbeitet unermüdlich und kommt kaum über die Runden. Der Film geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringem Einkommen anbieten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den Gewinnern und Verlierern der Aufwertung. Viele Baugruppen-Mitglieder äußern ihr Unverständnis darüber, warum sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige haben in ein Interview mit den FilmemacherInnen eingewilligt, weil sie sich ungerechtfertigt kritisiert sahen. Sie seien doch keine GentrifiziererInnen, sondern umweltbewusste StadtbürgerInnen. In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert. Doch es werden immer wieder die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und gleichzeitig ein neuer Mittelstand seine Privilegien und seine Macht ausspielt.

Der Film zeigt, dass Verdrängung viele Gesichter hat, aber kein Naturgesetz ist. So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen in Treptow gezeigt, der vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergänge über Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung bis zur Besetzung reicht.

Film als kollektiver Organisator

Doch „Verdrängung hat viele Gesichter“ dokumentiert nicht nur Verdrängung und Widerstand in dem Stadtteil Treptow. Mittlerweile trägt er selber dazu bei, dass sich die StadtteilbewohnerInnen organisieren. Nach vielen Filmvorführungen gibt es oft sehr lebhafte Diskussionen. Dort melden sich auch MieterInnen zu Wort, die hier endlich mal Gelegenheit haben, über ihre Erfahrungen mit Luxusmodernisierung und Verdrängungsstrategien zu sprechen. Sie treffen dort auf ein aufmerksames Publikum, das oft ähnliche Erfahrungen gemacht hat und mit Ratschlägen dazu beitragen kann, dass die MieterInnen Mut und Selbstvertrauen schöpfen. Denn sie erkennen, dass die Schuld nicht bei ihnen liegt, wenn sie sich nach einer Modernisierung die Miete nicht mehr leisten können. Und sie machen die Erfahrung, dass Verdrängung kein Schicksal und Widerstand dagegen möglich ist.

VERDRÄNGUNG HAT VIELE GESICHTER

DE 2014, 94 min, Regie: Filmkollektiv schwarzer Hahn

Weitere Infos zum Film finden sich auf der Homepage:

berlingentrification.wordpress.com

https://www.direkteaktion.org/227/klassenkampf-im-stadtteil

Peter Nowak

Der Konflikt zwischen Griechenland und „Deutsch-Europa“ wurde nur vertagt

»Glaubt ihr, es macht Spaß, Drogen zu verkaufen?«

Wie eine Debatte um den Görlitzer Park abrupt ihr Ende fand

Eine Anwohnerversammlung zur Situation im Görlitzer Park lief am Donnerstagabend aus dem Ruder, als Protestierende per Abstimmung aus dem Saal geworfen werden sollten.

Die Debatte um den Görlitzer Park lässt die Wogen erst recht in Kreuzberg hochschlagen. Das wurde am Donnerstagabend deutlich, als das Bezirksparlament Kreuzberg-Friedrichshain zu einer Einwohnerversammlung zu diesem Thema in das Jugendzentrum Chip geladen hatte. Ca. 280 Stadtteilbewohner waren gekommen. Alle waren sich einig, dass die Zustände rund um den Park nicht optimal sind. Doch worauf soll der Fokus liegen? Darüber stritten sich die Teilnehmer teilweise sehr lautstark. So berichteten zahlreiche Flüchtlinge, die in Kreuzberg leben, über ständige Polizeischikanen. Ein junger Mann aus Afrika brach in Tränen aus, als er über seine mit großen Strapazen verbundene Flucht erzählte. »Glaubt ihr, es macht mir Spaß Drogen zu verkaufen? Aber was soll ich machen, wenn ich meine Familie in Afrika versorgen muss und nicht arbeiten darf?«

Auch viele Anwohner vermittelten, wie empört sie über die starke Polizeipräsenz im Park sind. Andere Einwohner begründeten, warum sie der Drogenhandel vor allem auf den Wegen störe, an denen sich Kinder aufhielten. Dabei betonten allerdings viele der besorgten Eltern, dass sie sich nicht gegen die Flüchtlinge wenden.

Einige machten konkrete Vorschläge. So regte ein Mann an, im Görlitzer Park Areale zu errichten, in denen der Verkauf von Drogen möglich ist und andere, in denen ein Drogenhandel tabu sein soll. Dieser Vorschlag fand bei vielen Menschen Zustimmung, nicht aber beim ebenfalls anwesenden Staatssekretär des Berliner Innensenats Bernd Krömer (CDU). Er markierte auf der Versammlung den konservativen Hardliner und geißelte schwere Kriminalität im Görlitzer Park, die rigoros unterbunden werden müsse. Seine Ausführungen waren von Protesten vieler Teilnehmer begleitet. Öl ins Feuer goss auch die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann, als sie den Kritikern vorwarf, gar nicht in Kreuzberg zu wohnen. »Ich bin 1981 hier hergezogen und soll hier jetzt den Mund halten«, rief ein Mann. Als eine Moderatorin über den Vorschlag abstimmen lassen wollte, dass die Kritiker von Krömer und Herrmann polizeilich aus dem Saal geräumt werden sollen, war die Empörung auch bei manchem Mitglied der Grünen groß. »Ich überlege, ob ich noch in dieser Partei bleibe«, rief ein empörter älterer Mann, bevor er den Saal verließ. Obwohl sich die Wogen wieder geglättet hatten und viele Teilnehmer die Diskussion fortsetzen wollten, bestand die Moderatorin auf dem Abbruch der Debatte.

Peter Nowak

Mit Klagen schlagen

Die rechtspopulistische FPÖ überzieht ihre Gegner mit einer Klagewelle. Mittlerweile ist auch ein antifaschistisches Medienprojekt aus Erfurt betroffen.

Antifaschistische Medienschaffende kennen das Problem. Rechte benutzen Texte, Fotos oder Videos ohne Erlaubnis und instrumentalisieren diese für ihre Propaganda. In der Regel genügt eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung, um solche Aneignungsversuche von rechts zu beenden. Das dachte auch das Erfurter Kollektiv der Filmpiraten, das seit mehr als zehn Jahren Videos von antifaschistischen Aktionen und sozialen Protesten ins Netz stellt. Anfangs konzentrierte sich das Medienprojekt, für das alle Beteiligten unentgeltlich arbeiten, auf Thüringen. In den vergangenen Jahren hat es seinen Tätigkeitsbereich ausgeweitet. So berichteten die Filmpiraten auch über das Verfahren gegen den Jenaer Antifaschisten Josef S. in Wien. Die österreichische Justiz hatte dem Studenten unter anderem schweren Landfriedensbruch bei Protesten gegen den Akademikerball im Jahr 2013 vorgeworfen. Zu dieser Veranstaltung lädt die rechtspopulistische FPÖ alljährlich Ende Januar Politiker der rechten Szene Europas ein.

Weil Josef S. trotz unklarer Beweislage monatelang in Untersuchungshaft saß, sprachen Menschenrechtsorganisationen von einer Kriminalisierung des Antifaschismus (Jungle World 31/14). Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) verlieh S. im vorigen Jahr einen Preis für Zivilcourage. Die FPÖ zeigte Ausschnitte eines Videoberichts der Filmpiraten über den Prozess gegen Josef S. und die Preisverleihung auf ihrem Kanal FPÖ-TV. »Sie haben die Aufnahmen in einen neuen Kontext gesetzt und gleichzeitig gegen die CC-Lizenz verstoßen, die nichtkommerzielle Nutzung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen voraussetzt«, berichtet der Videojournalist Jan Smendek vom Verein der Filmpiraten im Gespräch mit der Jungle World. Daher waren die linken Medienjournalisten sich auch sicher, dass die FPÖ das Video nach einer Abmahnung von ihrer Homepage entfernen würde.

Doch die FPÖ reagierte mit einer juristischen Strategie, die für die Filmpiraten existenzbedrohend werden könnte. Die rechtspopulistische Partei verklagte den Verein vor dem Wiener Handelsgericht.

»Sie werfen uns vor, falsche Behauptungen aufzustellen und damit die Meinungsfreiheit der FPÖ zu behindern. In der Anklage berufen sie sich auf die freie Meinungsäußerung in Artikel 10 der europäischen Menschenrechtskonvention«, erklärt Smendek. Dass die FPÖ mit dem Versuch, die Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung in eine Verletzung der Meinungsfreiheit umzudeuten, juristischen Erfolg haben wird, ist unwahrscheinlich. Doch die mit dem Verfahren verbundenen Kosten belasten die Filmpiraten bereits jetzt.

Der Streitwert beträgt 35 000 Euro. Zusätzlich werden den Filmpiraten 2 698,13 Euro in Rechnung gestellt. In der Klage wird der Verein aufgefordert, innerhalb einer Frist Stellung zu nehmen. »Bis jetzt sind schon über 5 000 Euro an Anwaltskosten entstanden, die wir im Vorfeld aufbringen müssen«, so Smendek. Zumindest diese Kosten sind bereits durch eine Solidaritätskampagne gedeckt.

Mittlerweile ist auch bekannt geworden, dass die FPÖ ihre Kritiker in Österreich mit einer Klagewelle überzieht. Unter der Überschrift »Linksaktivisten klagen über FPÖ-Klagen« berichtete der Wiener Kurier im Januar über eine Pressekonferenz, auf der mehrere antifaschistische Organisationen darüber berichteten, wie ihre Existenz durch juristische Manöver der FPÖ gefährdet wird. Dort informierte die Initiative »Heimat ohne Hass«, die rechtsextreme Aktivitäten in sozialen Netzwerken dokumentiert, über eine Urheberrechtsklage der Polizeigewerkschaft AUF, die der FPÖ nahesteht, wegen der Veröffentlichung eines Fotos, das einen Personalvertreter zeigt, der bei der Räumung der »Pizzeria Anarchia« in Privatkleidung, mit Pistole und Eisernem Kreuz aufgetreten war. Der Streitwert, der für die antifaschistische Initiative existenzbedrohend sei, betrage 33 400 Euro.

Auch der ehemalige Kriminalbeamte und Datenforensiker Uwe Sailer geriet wegen seiner deutlich geäußerten Ablehnung der FPÖ ins Visier der rechten Partei. So heißt es auf der Internetplattform Linkswende: »Seit 2008 wird der fleißige Nazi-Aufdecker und Kenner der rechten Szene, Uwe Sailer, gezielt von der FPÖ verleumdet. Er soll mittels Klagen in den finanziellen Ruin getrieben werden.« Die Freiheitlichen hätten gegen Sailer mehr als 70 Anzeigen unter anderem wegen Amtsmissbrauchs und Urheberrechtsverletzungen gestellt. Alle Verfahren seien letztlich eingestellt und Sailer entlastet worden. Doch auf einem Teil der Verfahrenskosten blieb er sitzen. In einem Interview mit Linkswende sagte Sailer: »Die FPÖ bringt etwa eine Urheberrechtsklage mit einem Streitwert von 1 600 Euro ein. Kurz vor der Verhandlung zieht sie die Klage zurück und man bleibt als Beschuldigter trotzdem auf 400 Euro für Gericht und Anwalt sitzen.«

Ein Autor der Internetplattform kritisiert: »Die durch die österreichische Parteienfinanzierung solvente Partei versucht ihre Kritiker mit den Klagen finanziell unter Druck zu setzen.« Nun versucht die FPÖ mit ihrer Klage gegen die »Filmpiraten«, diese Methode auch über Österreich hinaus auszuweiten.

Wie bei den österreichischen FPÖ-Gegnern ist auch in diesem Fall ein Projekt betroffen, das seit seiner Gründung eng mit antifaschistischem Engagement verbunden ist. Initiiert wurde das Medienprojekt Filmpiraten von jungen Linken aus dem Umfeld des besetzten Hauses auf dem ehemaligen Unternehmensgelände von Topf & Söhne in Erfurt. Der Industriebetrieb baute die Krematorien in verschiedenen Konzentrationslagern auch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Bewohner und Unterstützer des im April 2009 geräumten Gebäudes haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Geschichte von Topf & Söhne bekannt und in Erfurt ein Gedenkort eingerichtet wurde (Jungle World 17/09). Zu den bekanntesten Videoarbeiten der Filmpiraten gehört der Film »Topfgang« von 2005, der einen Rundgang über das damals noch besetzte Gelände von Topf & Söhne dokumentiert. Neben der historischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen gehörte bei den Hausbewohnern und ihren Unterstützern auch die Kritik am Nationalismus insbesondere in seiner deutschen Ausprägung zu den Schwerpunkten. Berühmt sind die Demons­tratio­nen, die über mehrere Jahre für den Vorabend des 3. Oktober in Erfurt organisiert wurden. Die Medienarbeit der Filmpiraten begann 2004 denn auch mit einer kurzen Dokumentation der antinationalen Demonstration. Damit sie ihre Arbeit fortsetzen können, rufen sie auf ihrer Homepage unter dem Motto »Sei unser Held – FPÖ kostet Nerven und Geld« zu Spenden auf. Ende Februar soll der Prozess in Wien beginnen, berichtete der MDR.

http://jungle-world.com/artikel/2015/08/51477.html

Peter Nowak

»Ich habe viel für dich bezahlt«

Einblick in den Alltag von Hausangestellten in Europa

Eigentlich ist Tia H. aus Indonesien zum Studieren nach Hamburg gekommen. Stattdessen arbeitete sie für ein Taschengeld von 400 Euro rund um die Uhr in einem wohlhabenden Hamburger Haushalt. »Ich habe von Montag bis Sonntag gearbeitet, durchschnittlich 12 bis 14 Stunden. Nur sonntags weniger, bis 18 Uhr«, erzählt Tia H. in dem Film »Dringend gesucht – Anerkennung nicht vorgesehen – Hausangestellte erstreiten ihre Rechte«.

Der 65-minütige Film der Regisseurin Anne Frisius soll die Zuschauer motivieren, den Kampf der Menschen zu unterstützen, die in den Ländern Europas ohne Papiere arbeiten und besonders unter Ausbeutung leiden. Es sind Frauen wie Rosita P., der in Peru von einer Arbeitsagentur versprochen wurde, legal in Holland als Hausangestellte arbeiten zu können. Kaum war sie angekommen, gebärdete sich ihr Chef wie ein Sklavenhalter. »Ich habe viel für dich bezahlt«, habe er zu ihr gesagt. »Seine« Angestellte musste von 7 bis 20 Uhr im Haushalt arbeiten und durfte das Haus nicht verlassen. Im fremden Land, ohne Sprachkenntnisse und auf sich gestellt, suchte Rosita P. im Internet Unterstützung und fand sie bei Frauen wie Ellen Willemsen, die sich in der Nichtregierungsorganisation Fairwork gegen die Ausbreitung der modernen Sklaverei engagiert. Betroffen sind Tausende Hausangestellte, die aus Lateinamerika oder Asien mit dem Versprechen auf einen legalen Status nach Europa gelockt werden.

Der Film zeigt, wie sich die Frauen wehren. In Holland riefen Hausangestellte ohne Papiere die Organisation United Migrant Domestic Workers (UDMW) ins Leben. Zu den Gründerinnen gehörte die in Kolumbien geborene Francia Geleano, die 23 Jahre ohne Papiere arbeitete. Bei ihrem Kampf werden die Frauen vom niederländischen Gewerkschaftsbund FNV unterstützt. Für den Sekretär Mari Martens eine Selbstverständlichkeit: »Für mich gibt es nur zwei Sorten von Arbeitern – Gewerkschaftsmitglieder und Nichtmitglieder«, sagt Martens und erteilt damit allen Aufteilungen nach Nation oder Geschlecht eine Absage. Im Film ruft er die deutschen Kollegen auf, sich für Migranten mit und ohne Papiere zu öffnen. »Wir helfen euch dabei«, versprach er und bekam bei der Premiere des Films in der Berliner Bundeszentrale von ver.di Extraapplaus.

Der Film gibt den Initiativen Rückenwind, die sich im DGB für diese Öffnung einsetzen. Sechs gewerkschaftliche Beratungsstellen für Menschen ohne Papiere gibt es derzeit. Der Film ist ein Plädoyer für die Ausweitung dieser Arbeit. »Die Mitgliedschaft bei ver.di soll unabhängig von Aufenthaltsstatut und Arbeitsgenehmigung sein«, heißt es in Anträgen, die für Gewerkschaftskonferenzen vorbereitet werden. Die Begründung ist einfach: »Die Gewerkschaften sollen alle Arbeitnehmer, einschließlich der Schwächsten, vertreten.« Vielleicht trägt Anne Frisius’ aufrüttelnder Film dazu bei, dass sich diese Position durchsetzt.

»Dringend gesucht – Anerkennung nicht vorgesehen«, Regie Anne Frisius in Zusammenarbeit mit Mónica Orjeda, 65 min, Hamburg/Amsterdam/Bremen 2014, 25 Euro. 

www.kiezfilme.de

Peter Nowak

Odessa und die Kluft zwischen Maidan und Anti-Maidan

Wann dürfen Telefonnummern von Jobcenter-Mitarbeitern veröffentlicht werden?

Linkskommunismus

Der Historiker Marcel Bois hat auf knapp 600 Seiten eine umfassende Darstellung der relevanten Strömungen der kommunistischen Opposition in der Weimarer Republik vorgelegt.

Darin zeigt er, dass das Gemeinsame dieser Strömungen nicht einfach zu benennen ist. Selbst die Ablehnung der Stalinisierung kann als kleinster gemeinsamer Nenner erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre geltend gemacht werden. Erschwert wurde ein gemeinsames Vorgehen der Opposition dadurch, dass…

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Das Ende einer Telefonliste

DATENSCHUTZ Bis vor Kurzem konnten Erwerbslose die Durchwahlen ihrer SachbearbeiterInnen im Jobcenter über das Wiki der Piratenpartei recherchieren. Damit könnte jetzt Schluss sein

Viele Erwerbslose kennen das Problem. Sie können ihre SachbearbeiterInnen im Jobcenter telefonisch in einer dringenden Angelegenheit nicht erreichen, weil die Telefonnummer fehlt. In der Jobcenter-Zentrale werden sie nicht weitergeleitet. Bis letzte Woche konnten sie über das Wiki der Piratenpartei die Telefonnummern der JobcentermitarbeiterInnen erfahren. Seit dem 10. Februar ist die Liste „aufgrund der Anordnung AZ 591.327.1 des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit“ gelöscht worden, heißt es auf www.wiki.piratenpartei.de/Telefonlisten_Jobcenter.

„Diese Mitteilung ist falsch. Es gab von unserer Behörde noch keine Anordnung“, erklärte der Pressesprecher des Berliner Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit Joachim-Martin Mehlitz gegenüber der taz. Seine Behörde habe allerdings die Piraten in einem Anschreiben darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung der Telefonnummern ein Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen sein könnte. Die in dem Wiki genannte Kennung sei das Aktenzeichen des Briefes. Die Pressesprecherin der Piratenpartei, Anita Möllering, bestätigte gegenüber der taz diese Version. „Der Eintrag im Wiki wurde missverständlich formuliert.“

Joachim-Martin Mehlitz betonte, es sei durchaus möglich, die Jobcenter-Daten zu veröffentlichen, wenn sie im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes ermittelt wurden. Es bestehe aber der Verdacht, dass die Telefonlisten auf dem Piraten-Wiki illegal in den Besitz der Piratenpartei gelangt seien. „Es handelt sich damit durchaus um Informationen, die im Rahmen von IFG-Anfragen in Erfahrung gebracht wurden“, widerspricht hingegen Piratensprecherin Möllering.

Die Telefonlisten seien ursprünglich von Harald Thomé vom Wuppertaler Erwerbslosenverein Tacheles über IFG-Anfragen ermittelt worden. Nachdem Thomé das Projekt aufgrund von Klagen und der Androhung von Geldstrafen aufgegeben hat, sei es 2014 übernommen worden. „Die Piratenpartei setzt das Behördentransparenzprojekt mit den Jobcentertelefonlisten fort“, bestätigte Thomé. Diesen Sachverhalt werde die Piratenpartei demnächst in einer Stellungnahme zum Schreiben des Datenschutzbeauftragten, die zurzeit erarbeitet wird, klarstellen.

„Die Telefonliste wird nicht dauerhaft abgeschaltet“, betont Möllering. Gerade im Zuge der Verschärfungen des ALG II und seiner Anwendungen sei die Telefonliste notwendig. Dies würden auch Erwerbslose betonen, die die Telefonliste regelmäßig genutzt hätten.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2015%2F02%2F18%2Fa0143&cHash=fdbdaafc82377d6f47a24c1fbcc2eaf2

Peter Nowak