taz: Herr Enkemannn, ihr neuestes Buch heißt „Kreuzberg – das andere Berlin“. Wie meinen Sie das?….
„„Misstrauen gegen alles von oben““ weiterlesenSchlagwort: Monika Herrmann
Es gibt noch Revolutionsbedarf
M99 könnte doch noch verhindert werden. Der Ladenbetreiber Hans Georg Lindenau (HG) hat in einem neuen Angebot an die Eigentümer zugesichert, dass er die Räume in der ersten Etage aufgibt. Dafür fordert er für die Räume im Erdgeschoss und Keller der Manteuffelstraße
99 einen neuen Mietvertrag. Die EigentümerInnen wollten sich gegenüber der taz nicht zu dem Angebot äußern. Gegenüber Lindenaus Anwalt hatten sie erklärt, die Räumung nicht mithilfe der Polizei durchsetzen zu wollen. Strittig dürfte vor allem Lindenaus Forderung sein, dass die Vereinbarung keinen Termin für ein endgültiges Verlassen der Räume enthalten soll. Die EigentümerInnen hatten vorgeschlagen, dass Lindenau die Ladenräume noch bis zum 31. 12. 2016 nutzen kann und anschließend sämtliche Räume verlassen
soll. „Ich sehe keine Möglichkeiten, an einem anderen Ort den Laden fortzusetzen“, begründet Lindenau gegenüber der taz seine Weigerung, ein konkretes Datum für einen endgültigen Auszug zu akzeptieren. Zudem will er nicht auf die Forderung der EigentümerInnen eingehen, auf weitere politische Aktivitäten gegen seine drohende Räumung zu verzichten. Mitte April hatte er eine
Kundgebung vor dem Büro des Hauseigentümers angemeldet. Dabei wurde auch der Aufruf „99 für M99“ übergeben. Dort hatten sich 99 NachbarInnen für einen Erhalt des Ladens eingesetzt. Dabei wurde auch Kritik an der Gentrifizierung Kreuzbergs deutlich. „Wir haben oft
gehört, dass sich die Menschen im Stadtteil nicht mehr sicher fühlen, wenn selbst ein so bekannter Laden wie der M99, der schließlich in mehreren Kreuzberg-Reisebüchern aufgeführt ist, von der Räumung bedroht ist“, erklärte David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ gegenüber der taz. Das Bündnis gehört zu einem losen Bündnis verschiedener MieterInnen-und Nachbarschaftsinitativen,
die sich für den Erhaltdes Ladens einsetzen. Dass zwischen Lindenau und den HauseigentümerInnen weiter verhandelt wird, sieht Schuster als einen Erfolg der Mobilisierungen der letzten Wochen. Ende Februar war ein vom Bezirksamt Kreuzberg einberufener
Runder Tisch noch ohne Einigung auseinandergegangen. Nicht nur Schuster vom Zwangsräumungsbündnis sah damit alle Möglichkeiten einer Einigung beendet. Auch die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain Kreuzberg Monika Herrmann (Grüne), die den Runden
Tisch leitete, erklärte: „Beim zweiten Treffen wollte der Anwalt des Besitzers nur noch über den Auszugstermin und nicht über den Auszug reden. Da war nichts zu verhandeln.“ Dass Lindenau einen Ersatzladen in Kreuzberg findet, hält Herrmann angesichts der Mietenentwicklung für unmöglich. Lindenau selbst hat derzeit gar keine Zeit, an einen Auszug zu denken. Sein Laden läuft im Vorfeld des 1. Mai besonders gut.
»Glaubt ihr, es macht Spaß, Drogen zu verkaufen?«
Wie eine Debatte um den Görlitzer Park abrupt ihr Ende fand
Die Debatte um den Görlitzer Park lässt die Wogen erst recht in Kreuzberg hochschlagen. Das wurde am Donnerstagabend deutlich, als das Bezirksparlament Kreuzberg-Friedrichshain zu einer Einwohnerversammlung zu diesem Thema in das Jugendzentrum Chip geladen hatte. Ca. 280 Stadtteilbewohner waren gekommen. Alle waren sich einig, dass die Zustände rund um den Park nicht optimal sind. Doch worauf soll der Fokus liegen? Darüber stritten sich die Teilnehmer teilweise sehr lautstark. So berichteten zahlreiche Flüchtlinge, die in Kreuzberg leben, über ständige Polizeischikanen. Ein junger Mann aus Afrika brach in Tränen aus, als er über seine mit großen Strapazen verbundene Flucht erzählte. »Glaubt ihr, es macht mir Spaß Drogen zu verkaufen? Aber was soll ich machen, wenn ich meine Familie in Afrika versorgen muss und nicht arbeiten darf?«
Auch viele Anwohner vermittelten, wie empört sie über die starke Polizeipräsenz im Park sind. Andere Einwohner begründeten, warum sie der Drogenhandel vor allem auf den Wegen störe, an denen sich Kinder aufhielten. Dabei betonten allerdings viele der besorgten Eltern, dass sie sich nicht gegen die Flüchtlinge wenden.
Einige machten konkrete Vorschläge. So regte ein Mann an, im Görlitzer Park Areale zu errichten, in denen der Verkauf von Drogen möglich ist und andere, in denen ein Drogenhandel tabu sein soll. Dieser Vorschlag fand bei vielen Menschen Zustimmung, nicht aber beim ebenfalls anwesenden Staatssekretär des Berliner Innensenats Bernd Krömer (CDU). Er markierte auf der Versammlung den konservativen Hardliner und geißelte schwere Kriminalität im Görlitzer Park, die rigoros unterbunden werden müsse. Seine Ausführungen waren von Protesten vieler Teilnehmer begleitet. Öl ins Feuer goss auch die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann, als sie den Kritikern vorwarf, gar nicht in Kreuzberg zu wohnen. »Ich bin 1981 hier hergezogen und soll hier jetzt den Mund halten«, rief ein Mann. Als eine Moderatorin über den Vorschlag abstimmen lassen wollte, dass die Kritiker von Krömer und Herrmann polizeilich aus dem Saal geräumt werden sollen, war die Empörung auch bei manchem Mitglied der Grünen groß. »Ich überlege, ob ich noch in dieser Partei bleibe«, rief ein empörter älterer Mann, bevor er den Saal verließ. Obwohl sich die Wogen wieder geglättet hatten und viele Teilnehmer die Diskussion fortsetzen wollten, bestand die Moderatorin auf dem Abbruch der Debatte.
Ist ein „antirassistischer Adventsbesuch“ Terror?
Eine Aktion der „Autonomen Zelle Umzug“ bei der Bürgermeisterin von Kreuzberg sorgt für Aufregung
Eigentlich ist die Bürgermeisterin des Berliner Stadtteils Kreuzberg Monika Herrmann [1] für Konservative ein grünes Tuch. Die CDU forderte erst kürzlich ihren Rücktritt, weil sie erklärt habe, der Bezirk habe über die von Geflüchteten besetzte Schule in Kreuzberg keine Kontrolle mehr. Doch in den letzten Tagen erklärte sogar Herrmanns politischer Intimfeind, der CDU-Senator Henkel, der grünen Bürgermeisterin seine Solidarität.
Anlass war ein „Adventsbesuch“ vor der Privatwohnung der Bürgermeisterin (bei dem Umzugskartons im Flur abgestellt wurden, Wände mit Fotos beklebt und rote Schriftzüge aufgesprüht wurden, wie der RBB meldete [2]). Der Besuch wurde nicht als Freundschaftsgeste verstanden und war auch nicht so gemeint. Darüber darf auch die Anrede „Liebe Monika Herrmann“ nicht hinwegtäuschen, mit der der Brief [3] begann, der den Zweck des „antirassistischen Adventsbesuchs“ erläuterte:
Die Unterstützer des Flüchtlingsprotestes werfen der Bürgermeisterin vor, dass sie mit dazu beigetragen habe, diesen Protest zu spalten und letztlich von der Straße zu verbannen. Sie räumten auch ein, dass die Machtbefugnisse einer Bezirksbürgermeisterin eng begrenzt sind, sehen aber auch bei Herrmann selbst Verantwortung. Denn sie hat einerseits in der Frühphase des Refugee-Camps am Oranienplatz erklärt, sie es stolz sei, in einem Stadtteil zu leben, in dem ein solcher Protest gegen eine unmenschliche Flüchtlingspolitik möglich ist.
Später kamen dann aber auch Erklärungen von ihr, in dem sie scheinbar Innensenator Henkel von rechts überholen will: „Ich habe mir das Gesetz genau angeschaut und kann nur sagen: Er (Henkel) hätte schon längst räumen können. Er muss nicht warten, bis der Bezirk die Polizei zu Hilfe ruft. Sämtliche Bewohner des Oranienplatzes haben die Residenzpflicht verletzt, mit entsprechenden politischen Willen hätte man sie alle sofort in andere Bundesländer zurückbringen können“, erklärte Herrmann als der Konflikt zwischen ihr und dem Innensenat eskalierte.
Nun könnte man solche Zitate als Taktik im Politbetrieb erklären. Herrmann hat damit nicht ihre Meinung ausgesprochen, dass sie die Residenzpflicht ablehnt, sondern wollte gegenüber der konservativen Presse einen Punkt machen. Aber für die außerparlamentarische Aktivisten, die ja auch in ihrem Schreiben bekunden, dass ihnen das parlamentarische Strategie-und Taktikspiel egal ist, blieb anscheinend nur im Gedächtnis, dass sich Herrmann mit dieser Äußerung auch gegen die Geflüchteten positionierte und ihnen eben nicht zumindest medial den Rücken stärkte, indem auch sie die Verletzung der Residenzpflicht betonte.
Das Sicherheitsbedürfnis der Anwohner
Auch die Passagen, in denen sich die Adventsbesucher zu den Diskussion über Drogenhandel und Kriminalität rund um den Görlitzer Park in Kreuzberg äußern, sind zumindest missverständlich. Dort wird Herrmann vorgeworfen:
Nun haben die Schreiber des Briefes offen gelassen, ob auch die Stadtteilbewohner, die versuchten, den Park zu einem Platz zu machen, den alle Menschen angstfrei betreten können, zu den Wutbürgern zählen.
Es gab solche Vorwürfe [4] nämlich auch gegenüber Initiativen, die sich eindeutig gegen jegliche Stigmatisierung der Geflüchteten gewandt hatten und auch in keine Kampagne gegen Dealer einstimmten. Sie wollten mit Lichterfesten und anderen zivilgesellschaftlichen Aktionen eine Atmosphäre in dem Park schaffen, in der sich auch Menschen mit Kindern oder Rentner wohlfühlen. Ein solches Ziel entspricht aber der Forderung „Eine Stadt für Alle“ und sie ist keineswegs „rassistisch“.
Die Gewaltverhältnisse rund um den Görlitzer Park
Dass es bei den Gewaltverhältnissen rund um den Görlitzer Park nicht nur um „Rassismus“ geht, machte der Schriftsteller Raul Zelik vor einem Jahr in einem Beitrag [5] im Tagesspiegel deutlich, in dem er beschrieb, wie er von einer Gruppe junger Männer, die weder Geflüchtete noch Dealer waren, überfallen, brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde.
Zelik war nicht das einzige Opfer solcher niederträchtiger Gewalt, aber er war einer der wenigen, der willens und in der Lage war, einen Bericht über Gewalt rund um den Görlitzer Park zu schreiben, ohne in rassistische Stereotype zu verfallen oder nach autoritären Lösungen durch die Polizei zu rufen. Seine Wortmeldung wäre eigentlich auch eine Gelegenheit für die außerparlamentarische Linke, den blinden Fleck ihres Sicherheitsverständnisses zu hinterfragen.
Dort wird Sicherheit immer mit Staats- und Polizeigewalt verbunden und mit negativen Vorzeichen versehen. Zelik machte aber deutlich, dass es sehr wohl ein individuelles Sicherheitsbedürfnis gibt, das auch Menschen ernstnehmen sollten, die zurecht kritisch gegen Staat und Polizei sind. Sie müssten daher, wenn sie die Parole „Recht auf Stadt“ und „Stadt für Alle“ ernstnehmen, zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen, die diesen Anspruch auch im Görlitzer Park umsetzen wollen. Sie müssten sich auch vergegenwärtigen, dass sich in der Regel einkommensarme Menschen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, wenn sie sich dort unsicher fühlen, während Menschen mit Geld sich Taxis leisten können.
So hätte der Brief der oben genannten „Adventsbesucher“ also durchaus Stoff für eine kritische Diskussion geboten. Doch dazu kam es in der Regel nicht. Stattdessen war es die Aktionsform, die für eine wütende Reaktionen sorgte. Fast hätte man glauben können, die „Adventsbesucher“ hätten eine Bombe vor Herrmanns Wohnung hinterlassen und nicht Umzugskartons, in dem sie auf die Situation der Geflüchteten aufmerksam machen wollten.
War es ein Anschlag?
So wird auch in einer Erklärung [6] der Grünen aus Kreuzberg der Besuch als „Anschlag“ und „feiger Angriff“ bezeichnet. Wie sähe denn ein mutiger Anschlag aus? Die grünennahe Taz schrieb immerhin realitätsnäher von Protest [7]. Dass der Taz- Kommentator Martin Kaul den Besuchern vorhält [8], sich nicht wie Weihnachtsmänner verhalten zu haben, dürften sie verschmerzen. Der Kern seiner Kritik lautet aber, dass sie die Privatsphäre der Politikerin verletzt zu haben:
Nun wäre allerdings zu fragen, wer sich um die Privatsphäre der Geflüchteten oder der Erwerbslosen kümmert, die von Sozialdetektiven bis in die Badezimmer besucht werden können, wenn der Verdacht besteht, dass sie nicht allein leben und Hartz IV-Leistungen beziehen.
Der Besuch bei Politikern oder bei anderen Verantwortlichen vor deren Privatwohnungen hat schon vor 30 Jahren für Empörung gesorgt. So führte 1981 eine Demonstration zu den Häusern von Verantwortlichen der Immobilienbranche [9], die in der damals üblichen verkürzten Kapitalismuskritik als „Spekulanten“ bezeichnet wurden.
Die Aktion wurde damals von maßgeblichen Politikern der Alternativen Liste verteidigt [10]. Sie bezeichneten es als Versuch der Kriminalisierung, dass diese Aktion von Politikern und Medien in die Nähe des Terrorismus gerückt wurde. Monika Herrmann und ihre Partei sind das Erbe der AL, haben aber heute mit den gesellschaftlichen auch die politischen Positionen gewechselt. Den „Adventsbesuch bei Frau Herrmann“ verteidigte eine Kommunalpolitikerin der Kreuzberger Piratenpartei, was sofort für heftigen Widerspruch in ihrer Partei sorgte.
http://www.heise.de/tp/news/Ist-ein-antirassistischer-Adventsbesuch-Terror-2473385.html
Peter Nowak
Links:
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[4]
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Kein Bleiberecht im Protestcamp
Nach der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Berliner Oranienplatz ist die Stimmung zwischen manchen ehemaligen Bewohnern und den verantwortlichen Politikern immer noch angespannt. Die Unterstützer der Flüchtlinge beginnen mit der Analyse eigener Fehler.
»Eine Diskussion ist nicht mehr möglich, daher beende ich die Veranstaltung jetzt«, sagte ein sichtlich gestresster Reza Amiri. Er ist Bezirksverordneter in Friedrichshain-Kreuzberg für die Linkspartei und moderierte in der vergangenen Woche eine zweistündige Diskussion im Veranstaltungsort SO 36, bei der die Stimmung von Beginn an überaus gereizt war. Wenige Tage nach der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz trafen die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und diejenigen Flüchtlinge aufeinander, die die freiwillige Räumung abgelehnt hatten.
»Wir wollen kein Blabla hören« und »Sie sind Teil des Problems« waren noch die freundlicheren Sätze, die die Bürgermeisterin zu hören bekam. Bei vielen verfing es auch nicht, dass Herrmann die Ausdauer der Flüchtlinge lobte und die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik als rassistisch bezeichnete. Auch als es um die Zukunft der besetzten ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule ging, redeten Politiker und Geflüchtete aneinander vorbei. Der Bürgermeisterin schwebte ein Flüchtlingsprojekt vor, das von Politikern und Bewohnern gemeinsam entwickelt werden sollte. Die derzeitigen Bewohner des Gebäudes riefen schlicht: »Wir wollen endlich eine funktionierende Dusche.«
Und so schienen im SO 36 die Fronten eindeutig zu verlaufen. Auf der einen Seite stand die grüne Bürgermeisterin, die die Flüchtlingsproteste im Allgemeinen lobte, aber auch klarstellte, dass es am Oranienplatz kein Camp zum Übernachten mehr geben werde. Auf der anderen Seite standen die Flüchtlinge und ihre Unterstützer, die sich wieder einmal darin bestätigt sehen konnten, dass SPD und Grüne es bestens verstehen, eine Protestbewegung zu spalten. Schließlich waren Bilder durch die Presse gegangen, auf denen zu sehen war, wie diejenigen Geflüchteten, die mit dem Senat das Abkommen geschlossen hatten, den Platz gegen eine feste Unterkunft einzutauschen, auch Zelte von Flüchtlingen abrissen, die diese Vereinbarung abgelehnt und in den vergangenen Wochen mehrmals erklärt hatten, den Platz nicht räumen zu wollen.
Für die Verhandlungen mit den Flüchtlingen wurde die Berliner Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration, Dilek Kolat (SPD), von liberalen Medien sehr gelobt. Die Taz beförderte sie sogar in den Kreis der potentiellen Nachfolgerinnen und Nachfolger von Klaus Wowereit (SPD). In der Zeitung war in den vergangenen Monaten wiederholt der angeblich liberale Berliner Umgang mit den Flüchtlingsprotesten der Law-and-Order-Politik von Olaf Scholz (SPD) in Hamburg gegenübergestellt worden.
Nach der Räumung des Oranienplatzes zeigte sich jedoch, worin der Unterschied vor allem besteht. In Hamburg gab es Massendemonstrationen zur Unterstützung der Geflüchteten, die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat mit der Aufnahme von Flüchtlingen organisationsintern eine Diskussion über eine Gewerkschaftsmitgliedschaft für Migranten ohne Aufenthaltstitel ausgelöst. In Berlin geschah nichts Vergleichbares.
In der Berliner Antirassismusbewegung hat nach der Räumung des Oranienplatzes eine Debatte über die eigenen Fehler begonnen. Denn die Fronten sind nicht so klar, wie es im S0 36 schien. Dort waren die Geflüchteten, die den Platz freiwillig verlassen hatten, gar nicht anwesend. Dabei wäre es wichtig gewesen, ihre Sichtweise einzubeziehen und sie nicht einfach als Handlanger der Politik abzuqualifizieren, wie es einige Unterstützer und Gruppen taten. Diese Geflüchteten gehörten monatelang zum Flüchtlingsprotest und organisierten im vergangenen Jahr Demonstrationen und auch ein mehrtägiges Tribunal. Viele von ihnen haben auch nicht die Absicht, den Protest einzustellen. Sie hatten aber das nachvollziehbare Bedürfnis, morgens nicht schon beim Weg zur Toilette von Passanten beobachtet oder fotografiert zu werden. Ein Geflüchteter, der sich dazu entschlossen hatte, den Platz zu verlassen, formulierte es gegenüber einem Unterstützer prägnant: »Wir sind nicht die Affen, die ihr begaffen könnt, sondern Menschen mit Bedürfnissen.«
Das größte Problem scheint im Rückblick jedoch gewesen zu sein, dass es den Geflüchteten und ihren Unterstützern nicht gelungen ist, im Laufe der monatelangen Auseinandersetzungen Entscheidungswege zu finden, mit denen die Bedürfnisse und Forderungen sämtlicher Campbewohner berücksichtigt und Kompromisse ermöglicht worden wären. So hätten auch Forderungen an die Öffentlichkeit gestellt werden können, die alle Geflüchteten unterstützt hätten.
Die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak (Linkspartei) stellte während der Veranstaltung im SO 36 ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vor, das eine rechtliche Handhabe aufzeigt, wie allen Flüchtlingen nach Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes ein Aufenthalt aus humanitären Gründen gewährt werden könnte. Eine gemeinsame Forderung nach einem solchen Aufenthaltstitel hätte vielleicht Unterstützung über den unmittelbaren Kreis der Helfer hinaus erhalten. Die Versuche, die Solidaritätsarbeit mit den Geflüchteten unter dem Motto »Die letzte Meile laufen wir« (Jungle World 33/13) auszuweiten, stießen im vergangenen Jahr auf wenig Resonanz. So blieb den Campbewohnern und dem engeren Kreis der Unterstützer die Hauptarbeit überlassen, auch während der Verhandlungen mit dem Senat. Das machte es den politischen Verantwortlichen leicht, die unterschiedlichen Interessen gegeneinander auszuspielen.
http://jungle-world.com/artikel/2014/17/49730.html
Peter Nowak
Berliner Fragen: Wie rassistisch ist die kontrollierte Abgabe von Marihuana?
Coffeeshop und Flüchtlingscamp – Neues aus der autonomem Republik Kreuzberg
Der Berliner Stadtteil Kreuzberg war schon immer etwas Besonderes. Lange Zeit galt er als Hochburg des linken Protestes. Mittlerweile werden Spaziergang zu den Spuren von Protest und Widerstand angeboten und finden bei Touristen Anklang. Dort kann man auch erfahren, dass die Utopie einer „Autonomen Republik Kreuzberg“ zu hören war.
Eine Gruppe mit diesen Namen hatte sogar zeitweise eine E-Mail-Adresse. Aber die ist schon längst verwaist. Doch wenn man in diesen Tagen etwas über die Politik in Kreuzberg liest, könnte man den Eindruck haben, dass sich Elemente dieser autonomen Kreuzberger Republik erhalten. Noch heute ist dort die CDU eher eine Kleinpartei. Die Grünen, die SPD und die Linke haben die Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung.
Ein Marihuana Shop in Kreuzberg?
Manchmal bewegen Beschlüsse, die dort gefasst waren, die ganze Republik. „Kreuzberg beschließt Deutschlands ersten Marihuana-Laden“, titelte kürzlich die Zeit. Dabei kann man den Eindruck haben, dass bei solchen Meldungen noch immer etwas von der Ehrfurcht des Bürgertums vor der autonomen Kreuzberger Linken erhalten geblieben ist.
Hat man vor einigen Jahren den Eindruck haben können, in Kreuzberg wird die Revolution vorbereitet, wenn man die Medien gelesen hat, so wird jetzt immerhin noch suggeriert, die Republik Kreuzberg könne so ganz allein die Drogengesetzgebung in Deutschland außer Kraft setzen. Was die BVV wirklich beschlossen hat, war natürlich viel bescheidener: Die Grünen haben genau beschrieben, dass auch bei der Drogenlegalisierung Kommunalpolitik ein Zurücklegen kleiner Trippelschritte ist:
„Am Mittwochabend hat das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg mit großer Mehrheit den parlamentarischen Antrag zum Cannabis-Modellprojekt im Görlitzer Park verabschiedet. Er soll die negativen Folgen des Schwarzmarktes eindämmen. Nun beginnt die eigentliche Arbeit: Gemeinsam mit Experten, Beratungsstellen und Anwohnern wird ein Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entwickelt, um Cannabis kontrolliert abgeben zu dürfen.“
Rassistischer Plan?
Es wird also in der nächsten Zeit einige Runde Tische, Fachtagungen und Expertengespräche geben, bevor vielleicht in einigen Jahren einmal Marihuana verkauft werden kann. Der Deutsche Hanfverband, der sich seit Jahren für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums einsetzt, begrüßt diesen Schritt.
Die von der grünen Bürgermeisterin Monika Herrmann schon vor einigen Monaten angestoßene Diskussion um den Coffeshop in Kreuzberg stieß auf ein geteiltes Echo. Auf einer öffentlichen Diskussion nannte ein Anwohner den Plan „rassistisch“. Damit würde man den Geflüchteten, die in Kreuzberg leben, ihre Einnahmequelle nehmen, erklärte er, was andere wiederum selber für rassistisch halten.
Räumen lassen? Wie weiter mit dem Refugee-Camp?
Seit einigen Tagen sorgt auch die Zukunft eines Flüchtlingscamps am Kreuzberger Oranienplatz wieder für Schlagzeilen. Es war im September 2012 von Flüchtlingen aufgebaut worden, die als Teil eines bundesweiten Flüchtlingswiderstands dort gegen Residenzpflicht, Abschiebungen und all jene Sondergesetze protestieren, denen Flüchtlinge in diesem Land ausgesetzt sind. Das Camp wurde Protest- und zwangsweise auch Wohnort für Geflüchtete aus verschiedenen Bundesländern.
Die grüne Bürgermeisterin hatte mehrfach erklärt, sie sehe das Camp als Teil eines Flüchtlingswiderstands, den sie unterstützt. Zeitweise lebte auch die auf der Liste der Grünen kandidierende parteilose BVV-Abgeordnete Taina Gärtner aus Solidarität in dem Camp.
Doch mit der Harmonie war es in der letzten Woche zu Ende, als die Bürgermeisterin die Polizei beauftragte, Vorbereitungen für den Zeltabbau. Zuvor konnte ein Teil der Geflüchteten über den Winter ein ehemaliges Seniorenheim beziehen, das von der Caritas geleitet wird. Doch dort war nicht Platz für alle Campbewohner. Zudem betonten die Flüchtlinge, dass ihre Probleme nicht gelöst sind, wenn sie über den Winter ein Dach über den Kopf haben.
Schließlich hätten sie den Protest nicht wegen Obdachlosigkeit, sondern wegen der gesetzlichen Diskriminierungen von Flüchtlingen begonnen. Solange sich daran nichts ändere, wollen sie den Platz nicht verlassen. Auf einer Pressekonferenz vor einigen Tagen erhoben Flüchtlinge und antirassistische Gruppen schwere Vorwürfe gegen die Grünen.
CDU gegen Grüne in Kreuzberg
Es gab mehrere Demonstrationen. Die Grünen erklärten sofort, es werde keine Räumung geben, aber die Genehmigung zum Übernachten auf dem Oranienplatz werde auch nicht mehr bewilligt. Dass wiederum rief den Berliner Innensenator Henkel auf den Plan, der als CDU-Rechter einmal deutlich machen konnte, dass zumindest in Kreuzberg die Differenzen zwischen Grünen und CDU noch groß sind.
Indirekt forderte er Herrmann zum Rücktritt auf, weil sie nicht die Konsequenzen zieht und ein Camp nicht räumen will, dem sie die weitere Genehmigung versagt. Henkel kündigte bereits an, ab Mitte Dezember die Kompetenz an sich ziehen zu wollen, wenn der Bezirk nicht räumen lässt. Die Auseinandersetzung begann schon mit Herrmanns Vorgänger.
Herrmann kam auch selbst ins Protestcamp, um mit den Flüchtlingen zu reden. Die Harmonie wurde damit nicht wieder hergestellt, der Bürgermeisterin wird so schnell nicht verziehen, dass die die Polizei auf den Platz beorderte, ohne mit den Flüchtlingen vorher überhaupt zu reden.
Doch, sollte Henkel tatsächlich räumen lassen, könnte es sein, dass die Differenzen noch einmal hintenangestellt werden. Schon titelt die grünennahe Taz, dass Henkel mit seiner Räumungsaufforderung die grüne Bürgermeisterin noch einmal gerettet hat.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155422
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.berlin-subversiv.de/wordpress/?page_id=120
[2]
http://www.xhain.info/politik/bvv.htm
[3]
https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/bvv-online/allris.net.asp
[4]
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-11/berlin-kreuzberg-friedrichshain-coffeeshop
[5]
http://gruene-xhain.de/news/single-view/artikel/coffeeshop-startschuss-fuer-modellprojekt-vorbereitungen.html
[6]
http://www.bfarm.de
[7]
http://hanfverband.de
[8]
http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuelles/2217-coffeeshop-projekt-in-berlin-beschlossen
[9]
http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/abteilungen/jugfamschul/lebenslauf_herrmann.html
[10]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154763
[11]
http://asylstrikeberlin.wordpress.com/
[12]
http://www.taz.de/!121022/
[13]
http://gruene-xhain.de/bezirk/bezirksparlament/mitglieder/taina-gaertner.html
[14]
http://asylstrikeberlin.wordpress.com/2013/11/24/raumung-des-camps-der-gefluchteten-am-oranienplatz/#more-3654
[15]
http://ffm-online.org/2013/11/28/fluechtlingsprotest-berlin-oranienplatz-taz-de/
[16]
http://www.berlin.de/sen/inneres/
[17]
http://www.tagesspiegel.de/berlin/interview-mit-berlins-innensenator-frank-henkel-ich-lasse-mich-nicht-von-herrn-schulz-erpressen/8516698.html
Eine Notunterkunft ist kein Asyl
Die Caritas hat Flüchtlingen des Refugee-Camps am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg ein ehemaliges Seniorenheim zur Verfügung gestellt. Der Streit um das Protestcamp geht jedoch weiter, bei einer Pressekonferenz kritisierten die Flüchtlinge die Bezirksbürgermeisterin.
Schon vor Beginn der Pressekonferenz am Montagnachmittag war das große Zelt des Flüchtlingscamps am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg überfüllt. An einem Holztisch hatten mehrere Flüchtlinge Platz genommen. Ihre von großem Applaus bedachten Aussagen waren eindeutig: »Das Camp wird weiter bestehen bleiben.« Dieser Platz werde weiterhin gebraucht für ihren Kampf gegen Abschiebungen, für die Schließung der Flüchtlingslager, für eine Abschaffung der die Bewegungsfreiheit einschränkenden Residenzpflicht sowie für das Recht der Flüchtlinge auf Arbeit, betonten die Männer und Frauen in ihren kurzen Beiträgen.
Am Vortag sah es noch ganz nach einer Räumung des Camps aus. Kurzfristig hatte die Caritas im Wedding eine Notunterkunft für 80 Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Obwohl dort mindestens 30 keinen Platz gefunden hatten und auf den Oranienplatz zurückgekehrt waren, rückte am Sonntagnachmittag die Polizei an, um die Auflösung des Camps logistisch vorzubereiten. Nachdem innerhalb kurzer Zeit eine große Zahl von Unterstützern auf den Platz geeilt war, zog sich die Polizei zurück. Eine Räumung des Camps sei nie beabsichtigt gewesen, aber auch ein Wohnen am Oranienplatz sei nicht mehr möglich, erklärten die Grünen Berlin-Friedrichshain. »Berlin zeigt, welche Möglichkeiten ein Bundesland hat, Flüchtlinge humaner zu behandeln als anderswo in Deutschland«, lobte die Taz Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Sie wurde auf der Pressekonferenz besonders heftig kritisiert.
Sie habe immer erklärt, die Flüchtlinge entschieden, wie lange das Camp bestehen bleibe, und nun wolle sie es »über unsere Köpfe hinweg« beenden, empörte sich eine Aktivistin, die sich seit fast 14 Monaten auf dem Oranienplatz für die Rechte der Flüchtlinge einsetzt. Auch die auf der Liste der Grünen kandidierende, parteilose Abgeordnete der Bezirksverordnetenversammlung, Taina Gärtner, die mehrere Wochen aus Solidarität in einem Zelt am Oranienplatz übernachtet hatte, wurde kritisiert. Sie hatte in der Taz erklärt, die Flüchtlinge würden jedes Angebot annehmen und das Camp verlassen können. Dieses Bild der schutzbedürftigen Flüchtlinge, die in der Caritas ihren guten Hirten gefunden haben, zerstörten die Aktivisten mit ihrer kämpferischen Pressekonferenz. Dabei sollen die menschenunwürdigen Lebensumstände im winterlichen Berlin keineswegs geleugnet werden. Doch verantwortlich dafür ist eine Gesetzgebung, die den Flüchtlingen fast sämtliche Rechte entzieht. Die Aktivisten betonen daher zu Recht, dass ihr Kampf nicht zu Ende sei, wenn die Caritas eine Notunterkunft zur Verfügung stelle. Doch die Unterstützer, die nach der drohenden Auflösung des Camps wieder sehr aktiv waren, müssen sich auch fragen, warum sie die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz nicht mit eigenen Aktionen unterstützen. Eine kleine Gruppe, die das unter dem Motto »Die letzte Meile gehen wir« versuchte, hatte kaum Zulauf. Es ist einfacher, den Flüchtlingen für ihr Ausharren zu applaudieren, wenn man selbst wieder nach Hause gehen kann.
http://jungle-world.com/artikel/2013/48/48899.html
Peter Nowak