Rechtes Pilotprojekt

International Ein neues Buch über die Hintergründe der autoritären Entwicklung in Ungarn

Die innenpolitische Entwicklung Ungarns ist immer wieder Thema innerhalb der EU. Verstärkt drängen zivilgesellschaftliche Organisationen auf Sanktionen als Reaktion auf den Rechtskurs der Regierung Orbán, seitdem diese 2010 mit Orbáns Fidesz-Partei eine überragende Mehrheit erreichte und die faschistische Jobbik sich als Opposition etablierte. Anders als vor über zehn Jahren, als in Österreich mit der FPÖ unter Jörg Haider eine offen rechte Partei in Regierungsverantwortung kam, gibt es jedoch in der außerparlamentarischen Linken nur wenige Diskussionen über die innenpolitische Situation in Ungarn.
Da kommt ein Buch gerade Recht, das kürzlich unter dem Titel »Mit Pfeil, Kreuz und Krone« im Unrast-Verlag erschienen ist und einen fundierten Überblick über die Entwicklung Ungarns nach rechts gibt. Im ersten Kapitel geht die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky auf die ideologischen Hintergründe der völkischen Entwicklung in Ungarn ein und zeigt eine jahrzehntelange innenpolitische Entwicklung nach rechts auf.
Ein zentrales Datum war dabei der Sturm auf das Gebäude des staatlichen Fernsehens in Budapest am 18. September 2006 durch TeilnehmerInnen einer Großdemonstration gegen den damaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány. In der darauf folgenden Lynchstimmung gegen Linke, Liberale und kritische JournalistInnen sei die neue Republik geboren worden, die Orbán zunächst als Oppositionspolitiker beschworen hatte und nun als Ministerpräsident vorantreibt.
Präzise beschreibt Marsovszky den nationalistischen Diskurs in der Geschichtspolitik sowie im Umgang mit den Nachbarländern. Wenn sie mit Rekurs auf den US-Historiker Fritz Stern resümiert, dass die Angst vor einer liberalen, offenen Gesellschaft das zentrale Problem in Ungarn sei, bleibt sie liberalen Gesellschaftsvorstellungen verhaftet. So ist es auch nur folgerichtig, dass Marsovszky bei ihrer Beschreibung der oppositionellen Kräfte in Ungarn die kleine kommunistische Arbeiterpartei mit keinem Wort erwähnt. Dabei gab es mehrere Strafprozesse gegen Mitglieder dieser Partei, weil sie weiterhin kommunistische Symbole wie Hammer und Sichel in der Öffentlichkeit zeigten, die in Ungarn kriminalisiert werden.
Antiziganismus, Homophobie und Antisemitismus
Im zweiten Kapitel geht der in Hamburg lebende Publizist Andreas Koob auf die Feindbilderklärung gegen Sinti und Roma, aber auch den Antisemitismus und die Homophobie in Ungarn ein. Koob macht an zahlreichen Beispielen deutlich, wie marginal die Unterschiede zwischen Fidesz, Jobbik und rechten Bürgerwehren besonders in der ungarischen Provinz oft sind. Vor allem in kleineren Orten führt dieses Zusammenwirken zu einem Klima der Ausgrenzung und Diskriminierung insbesondere gegenüber Sinti und Roma. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch ein von der Regierung beschlossenes Gesetz, das Erwerbslose, die öffentliche Leistungen bekommen, zu einem strengen Arbeitsregime mit ständiger öffentlicher Kontrolle verpflichtet.
Der Publizist Holger Marcks geht im dritten Kapitel auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik der ungarischen Regierung ein, die in der öffentlichen Debatte bisher selten erwähnt wird. Er macht deutlich, dass es sich hier um eine Wirtschaftspolitik handelt, wie sie viele völkische Gruppen schon vor 100 Jahren propagierten und die auch auf das Programm der frühen NSDAP großen Einfluss hatte. Der Kampf gegen ausländische Banken, aber auch Großorganisationen wie den IWF gehört ebenso zu den Elementen dieser Wirtschaftspolitik wie die Propagierung des Schutzes der heimischen Industrie und des Mittelstandes.
Trotz aller Kritik erhält die Fidesz-Partei nach wie vor Unterstützung durch die europäischen Konservativen und auch durch PolitikerInnen aus CDU und CSU. Ungarn könnte daher, so die Befürchtung der AutorInnen, durchaus eine Pilotfunktion haben, indem es völkisch-rechte Politik in der EU wieder salonfähig macht. Ein Grund mehr, dass die Linke darüber diskutiert.
Peter Nowak

Andreas Koob, Holger Marcks und Magdalena Marsovszky: Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. Unrast-Verlag, Münster 2013. 208 Seiten, 14 EUR.

http://www.akweb.de/
ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 / 21.6.2013

Fremdenfeindliche Hetze

Rechtsextremisten mobilisieren gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin.

„Nein zum Heim“, „Volksverräter“ und „Lügen, Lügen“ lauteten die Sprechchöre, die am Dienstagabend in einem Schulhof im Berliner Bezirk Hellersdorf zu hören waren. Dorthin hatte das Bezirksamt zu einer Bürgerversammlung über eine Flüchtlingsunterkunft eingeladen, die in einer ehemaligen Schule in dem Stadtteil eingerichtet werden soll. Der zunächst für die Veranstaltung vorgesehene Saal in einer Kirchengemeinde war schon vor Veranstaltungsbeginn derart überfüllt, dass die Versammlung in den Hof verlegt wurde.

Unter den rund 800 Besuchern befanden sich zahlreiche bekannte Rechtsextremisten, wie der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke. Sie stimmten die Sprechchöre an, in die auch andere Besucher einstimmten. Organisierte Rechte meldeten sich mehrmals zu Wort, um gegen die Flüchtlingsunterkunft zu agieren und fanden dabei Unterstützung bei einem Teil des Publikums.

Das Auftreten der Rechtsextremisten bei der Veranstaltung ist keine Überraschung. Schon seit Tagen mobilisierte eine anonyme Bürgerinitiative in Hellersdorf gegen die Flüchtlinge. „Touristen sind herzlich willkommen – kriminelle Ausländer und Asylbetrüger sind konsequent in ihre Heimat abzuschieben“, heißt es in einem Aufruf, der im Internet zirkuliert und in der Umgebung verteilt wurde. Als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes ist Thomas Crull aufgeführt, der 2011 – erfolglos – für die NPD in Marzahn-Hellersdorf kandidierte. Anwohner konnten Mitglieder der Neonazi-Organisation „Nationaler Widerstand Berlin“ als Verteiler der Flugblätter identifizieren.

Nicht nur in Hellersdorf mobilisiert die extreme Rechte gegen in den Stadtteilen geplante Flüchtlingsunterkünfte. Nachdem vor einigen Wochen einige Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Wilmersdorf an Windpocken erkrankten, wurden in der Umgebung Plakate geklebt, die die Flüchtlinge als Gefahr für die Gesundheit der Umgebung diffamierten. „Ein solch plumper Rassismus ist mir in meiner langjährigen Tätigkeit noch nicht begegnet“,erklärte Snezana Hummel von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die die Unterkunft betreibt. Sie hat Anzeige gegen Unbekannt gestellt.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/fremdenfeindliche-hetze

Peter Nowak

Ein Urteil schreibt Überprüfungen von lebenslänglichen Haftsstrafen vor


Drei wegen Mordes zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte Briten könnten europäische Rechtsgeschichte geschrieben haben

Die Briten hatten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) geklagt, weil eine Gesetzesänderung in Großbritannien dafür gesorgt hat, dass zu lebenslänglichen Haftstrafen Verurteilte kaum Chancen haben, das Gefängnis noch einmal lebend zu verlassen.

2003 hat das britische Parlament seine Gesetzgebung geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden lebenslange Haftstrafen nach 25 Jahren vom britischen Justizminister überprüft. Er hatte das Recht, Strafen zu verkürzen. Diese Bestimmung war 2003 abgeschafft worden, ohne dass eine andere Überprüfungsmöglichkeit geschaffen wurde. Heute können zu lebenslänglichen Haftstrafen Verurteilte nur dann in Freiheit kommen, wenn sie vom Justizminister begnadigt werden. Der macht davon selten Gebrauch, weil auch in der britischen Bevölkerung harte Strafen immer auf Zustimmung in großen Teilen der Bevölkerung stoßen.

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes hat heute in einem Urteil entschieden, dass der Umgang Großbritaniens gegen die europäische Menschenrechte verstoße. Konkret gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, wie sie in Artikel 3 der Konvention der Europäischen Menschenrechte festgelegt wird, wie die Richter erklären. Vor einigen Monaten hatte die kleine Kammer des Gerichts die britische Praxis noch gebilligt.

Die Entscheidung bedeutet allerdings nicht, dass die Kläger jetzt automatisch freigelassen werden. Das hängt davon ab, ob sie als gefährlich eingestuft werden. Damit hat der Gerichtshof eben nicht lebenslängliche Haftstrafen generell moniert, sondern nur Regelungen, die keinerlei Überprüfungen vorsehen. Vor allem Häftlinge, die sich einer Mitarbeit bei der Prüfung verweigern, werden so auch künftig kaum vorzeitig freigelassen werden.

Lebenslänglich durch die Hintertür?

Der Gerichtshof für Menschenrechte wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass die Mehrheit der Europaratsländer entweder keine lebenslangen Haftstrafen verhängen oder aber eine Überprüfung der Strafe – meist nach 25 Jahren – vorsehen, wie es in den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vorgesehen ist. Auch in Deutschland werden lebenslängliche Haftstrafen in der Regel nach 15 Jahren gerichtlich überprüft.

Damit scheint die hiesige Praxis von dem heutigen Urteil nicht betroffen zu sein. Doch das Europäische Gericht hat bereits mehrmals die deutsche Praxis der Sicherheitsverwahrung kritisiert und so den Gesetzgeber zu Reformen gezwungen.

Die Sicherheitsverwahrung darf nicht zu einem „Lebenslänglich durch die Hintertür“ werden, wovor Strafrechtler schon lange warnten. Erst durch die europäische Gesetzgebung aber wurden ihre Einwände ernstgenommen. Das heutige Urteil reiht sich so in ähnliche Entscheidungen zur Sicherheitsverwahrung ein, die Grundrechte auch der Häftlinge schützen und Parlamente dazu zu zwingen, diese Tatsache anzuerkennen, auch wenn sie nicht unbedingt Wählerstimmen bringen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154611
Peter Nowak

Vierspurig durch ein Naturschutzgebiet

In Leipzig wird um den Bau der B 87n gestritten

Wenn es nach der sächsischen Landesregierung geht, soll mitten durch ein Naturschutzgebiet bei Leipzig eine vierspurige Bundesstraße gebaut werden. Dagegen gibt es Proteste vor Ort, aber es gibt auch Zustimmung.

Autobahnlärm erfüllte die Leipziger Innenstadt am vergangenen Freitagnachmittag. Dazwischen konnte man, aber nur wenn man sich anstrengte, das wesentlich leisere Zwitschern von Vögeln und Insekten hören. Diese Klangkulisse stammte aus fahrbaren Lautsprechern, die auf Schubkarren aufgestellt waren. Auch eine 25 Meter lange Straße war auf dem Platz ausgerollt worden. Mit dieser Aktion wollten die Umweltschützer die Folgen verdeutlichen, wenn die vorliegenden Pläne für die Route der neuen Bundesstraße 87 umgesetzt würden. Die Straße soll nach dem Willen ihrer Planer durch das Naturschutzgebiet der Parthenaue und das Landschaftsschutzgebiet Taucha-Eilenburg bei Leipzig führen. Im Leipziger Umland stößt die von der Politik favorisierte Südvariante des Straßenverlaufs bei Naturschutzverbänden und Bewohnern auf heftigere Kritik, weil dadurch Naturschutzgebiete besonders tangiert werden. Sie befürchten, dass dort dann genau der Geräuschkulisse zu hören sein wird, die in der Leipziger Innenstadt mit einem Knopfdruck abgestellt werden konnte. Das Brummen der Motoren setzt sich gegenüber der Natur durch. Diese Aussichten mobilisiert Bewohner der betroffenen Gebiete ebenso wie Aktivisten von Umwelt- und Ökologieverbänden. Die Kooperation wurde auf einem viertägigen Aktionscamp in Sehlis unter dem Titel „Mach Dich vom Acker“ deutlich, das am vergangenen Montag zu Ende ging. Die Geräuschaktion in Leipzig war eine der zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten aus dem Camp.
Zu den Unterstützern des Camps gehörten neben verschiedenen lokalen Initiativen wie den Autobahnstammtisch Sehlis und der NABU-Regionalgruppe Partheland auch der Ökolöwe Umweltbund, der Regionalgruppe von BUND und Robin Wood aus Leipzig. Michael Götze vom Aktionsbündnis gegen die Bundesstraße 87n sieht die Kooperation der von der Route betroffenen Anwohnern mit Initiativen aus den größeren Städten als großen Erfolg des Camps. „Damit wurde ein klares Zeichen nach Dresden gesendet, dass eine Straße durch die Parthenaue nicht so leicht durchzusetzen sein wird.“ Schließlich habe man auf dem Camp verabredet, dass die Kooperation dauerhaft sein soll. „Beim Abschlussplenum des Camps haben die Initiativen aus den Städten deutlich gemacht, dass das Aktionsbündnis auf sie zählen kann, wenn ihre Hilfe gebraucht wird“, so Götze.
Neben Baumpflanzaktionen an der geplanten Route der B 87 wollen die Kritiker in der nächsten Zeit verstärkt das Gespräch mit den Anwohnern in der Region sorgen, die sich vom Bau der Straße Vorteile versprechen. Dazu gehören die Bewohner von Taucha, die sich von de neuen Bundesstraße eine Entlastung vom aktuellen Durchgangsverkehr erhoffen. Pendler aus Torgau wiederum hoffen, dass Fahrzeit nach Leipzig durch die Straße verringert wird. Die Gegner der aktuellen Planungen wollen in den Gesprächen die von den regionalen Initiativen ausgearbeitete Alternativroute vorstellen, die auch die Anliegen der Bewohner von Taucha und Torgau berücksichtigt, betont Götze. Zudem wirft er die Politik vor, Bewohner der verschiedenen Regionen gegeneinander ausspielen zu wollen. So würden die Anwohner von Hohenossig nördlich von Taucha bezüglich des Baus einer
Umgehungsstraße mit dem Verweis auf den Bau der B87n, der erst
geklärt werden müsse, hingehalten. In der Alternativvariante sei diese Umgehung hingegen mitberücksichtigt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/826974.vierspurig-durch-ein-naturschutzgebiet.html

Peter Nowak

Politik und Protest in der Krise

„Denn sie wissen nicht: Was tun?“: Die außerparlamentarische Linke machte sich in Berlin Gedanken über autoritäre Krisenlösungen und die Begrenztheit linker Gegenentwürfe

Die Blockupy-Aktionstage Anfang Juni sorgen vor allem wegen des stundenlangen Polizeikessels weiter für Schlagzeilen. Doch wie steht es mit dem Anliegen der Menschen, die am 1.Juni auf die Straße gegangen sind? Muss man wieder ein Jahr, vielleicht gar die Einweihung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main, abwarten, bis man hierzulande wieder über Krisenproteste in Deutschland liest?

Auf einem dreitätigen Kongress konnte man Antworten auf die Frage bekommen, was die Aktivisten zwischen den Groß-Events umtreibt. Organisiert wurde er vom 2006 gegründeten Ums-Ganze-Bündnis, in dem sich elf Gruppen aus Deutschland und Österreich der außerparlamentarischen Linken zusammengeschlossen haben. Das Bündnis war in der Blockupy-Vorbereitung aktiv und hat in einem Auswertungspapier die Verbreiterung der Bewegung in die Alltagskämpfe hinein als schweres, aber nicht unmögliches Ziel benannt.

In vier Podiumsdiskussionen und über 20 Workshops wurde über die „autoritäre Wende des Neoliberalismus“, die Krise im Reproduktionsbereich, über Rechtspopulismus, Gesundheit und Krise debattiert. Sowohl im Titel „Politik in der Krise“ als auch im Untertitel „Denn sie wissen nicht: Was tun?“ drückten sich eine „produktive Ratlosigkeit“ aus, wie es ein Kongressteilnehmer formulierte. In der Krise sind auch viele althergebrachte Protestformen. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass immer wieder Massen auf die Straße gehen und Aktionen oft auch in kurzer Zeit organisieren. Doch genau so schnell verschwinden die Bewegungen oft wieder. Wie die Akteure Lernprozesse und Erfahrungen, die sie in den Auseinandersetzungen sammeln, verarbeiten, ist so oft schwer oder gar nicht mehr feststellbar. Längerfristige Organisierungsansätze sind oft schwer längere Zeit aufrechtzuhalten.


Sind Theorie und Organisationen überholt?

Diese Problematik drückte sich auch im Untertitel „Denn sie wissen nicht: Was tun?“ aus. Natürlich waren damit auch die Regierungen und politischen Institutionen gemeint, die oft Getriebene in der Krise sind, die genug damit zu tun haben, immer neu auftretende Krisenherde in ihrem Sinne einzuhegen. Das Motto richtet so auch gegen verkürzte linke Vorstellungen von staatlichen Institutionen, die alles im Griff haben. Es richtete sich aber auch gegen manche linke Vorstellungen, dass es nur der richtigen Organisation bedarf, um die eigene Krise zu lösen.

Martin Glassenapp von der Interventionistischen Linken vertrat auf der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Neue Kämpfe – neue Subjekte“ die These, dass sich am Beispiel der Aufstände vom arabischen Raum bis nach Brasilien zeige, dass die klassischen linken Vorstellungen von Organisation und linker Theorie überholt seien. Die Publizisten Roger Behrens und Jutta Ditfurth betonten hingegen die Notwendigkeit einer linken Organisierung, die sich nicht kritiklos an jeder gerade entstehenden sozialen Bewegung anbiedert. Behrens warnte davor, Massenbewegungen in aller Welt emanzipatorische Absichten zu unterstellen, ohne deren Ziele genauer zu analysieren.

Ein gutes Beispiel dafür hat in den letzten Tagen der langjährige Attac-Aktivist und Bewegungstourist Pedram Shahyar geliefert, der nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mursi in Ägypten von der permanenten Revolution schwärmte, ohne sich die Frage zu stellen, wieso ein Großteil dieser Bewegung den Militärputsch gegen einen gewählten Präsidenten bejubelt, obwohl die Generäle in der Vergangenheit für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren. Jutta Ditfurth betonte in ihrem Beitrag, dass die alte Parole „aus der Geschichte lernen“ weiterhin eine Grundbedingung für eine linke Bewegung sei, von den kurzlebendigen sozialen Bewegungen von den Sozialforen bis zu Occupy, aber negiert werde.

Auf dem Abschlusspodium war man sich bei den griechischen Gruppen Alpha Kappa sowie Plan C einig in der Ablehnung eines autoritären Krisenkapitalismus und verkürzter linker Krisentheorien, zur Formulierung konkreter Protestziele kam es allerdings nicht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/15459
Peter Nowak

Mission Heimatschutz

Im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr werden in sämtlichen Regionen der Republik Reservistenverbände aufgestellt.

Unter der Überschrift »Heimatschutz wird gestärkt« verkündete die Reservistenzeitung Heimat mobil: »Der Bundeswehrstandort Lüneburg wird demnächst Heimat für eine neue Truppe werden.« Zum 1. Juli wurde dort eine Einheit der sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) neu aufgestellt.

Diese Maßnahme ist Teil der Umstrukturierung der Bundeswehr, die bereits seit mehreren Jahren stattfindet. Seit 2007 wurden in jedem Bundesland, in jedem Regierungsbezirk, in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt sogenannte Landes-, Bezirks-, und Verbindungskommandos installiert. Die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos werden jeweils durch zwölf Reservisten gebildet. In den über 400 Landkreisen der Bundesrepublik stehen damit über 4 000 Reservisten unter dem Kommando von Reserveoffizieren.

Regelmäßig übernehmen diese Kommandos die Anleitung von zivilen Organisationen wie dem Roten Kreuz, der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk. Katastrophenschutzübungen stehen dabei häufig im Vordergrund. Die Hochwasserlage in einigen Bundesländern war ein Beispiel dafür. Auf diese Weise wird die Akzeptanz der Bevölkerung für den Einsatz solcher Verbände erhöht. Wenn alle Deutschen aufgerufen sind, mit anzupacken und bekannte Neonazis von Kommunalpolitikern für ihre Beteiligung am Dammschutz ausgezeichnet werden, kommen auch Verbände gut an, die den Heimatschutz stärken wollen. Über den ersten RSUKr-Einsatz in Thüringen schwärmte ein Beteiligter auf der Internetseite rsu-kraefte.blogspot.com: »Nach tagelangem Einsatz an der Hochwasserfront sind viele Helfer des Katastrophenschutzes von THW und Feuerwehren erschöpft. Deshalb stehen auch Reservisten bereit, um abzulösen.« In der Reservistenzeitschrift Loyal wird allerdings klargestellt, dass sich die neuen Einheiten nicht als Katastrophenhelfer sehen: »Statt sich wie bisher in Feuerbekämpfung, ABC-Schutz oder Flugabwehr zu üben, steht für die RSUKr wieder der klassische militärische Auftrag im Mittelpunkt.«

Dieser Aspekt der Reform der Bundeswehr ist bisher von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben. Die Restbestände der deutschen Friedensbewegung, die immer dann mobilisierungsfähig sind, wenn es um die Militärpolitik der USA geht, haben das Thema bisher verschlafen. Doch bei der Aufstellung der RSU-Verbände in Essen gab es Mitte Juni erstmals Proteste. Etwa 50 Personen beteiligten sich an einer Kundgebung vor der Zeche Zollverein. In einem Aufruf, den unter anderem Gewerkschafter und die Bochumer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN BdA) unterzeichneten, werden die RSU-Kräfte als »neue Freikorps« bezeichnet. Es wird daran erinnert, dass in der Weimarer Republik solche Einheiten Streiks und Arbeiteraufstände niederschlugen. Der antimilitaristische Aktivist Michael Wildmoser verweist gegenüber der Jungle World auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Einsatz der Bundeswehr auch im Innern erlaubt. Auf dieser Grundlage hätten sich die RSUKr konstituiert. Zudem habe eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linkspartei im Bundestag deutlich gemacht, dass ein Einsatz der RSUKr gegen Arbeitskämpfe und Demonstrationen nicht ausgeschlossen sei.

Wildmoser sieht die Aktivitäten gegen die RSU-Aufstellung im Zusammenhang mit einer neuen Antimilitarismusbewegung, die in den vergangenen Jahren entstanden sei und Karl Liebknechts Devise »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« ernst nehme. Er verweist auf Proteste unter dem Motto »Bundeswehr wegtreten«, die sich gegen Veranstaltungen in Jobcentern wenden, bei denen jungen Erwerbslosen die Bundeswehr als Jobalternative nahegebracht wird.

Für Proteste gegen die RSUKr wird es in der nächsten Zeit noch Gelegenheit geben. Im August sollen Einheiten in der Havel-Kaserne in Potsdam, in Sachsen-Anhalt in der Stadt Burg und in Wiesbaden in den Dienst gestellt werden.

http://jungle-world.com/artikel/2013/27/48014.html

Peter Nowak

Ein Wohnblock wehrt sich

In der Frankfurter Allee kämpfen alte und neue Mieter gemeinsam gegen Verdrängung

„Keine Profite mit der Miete“, heißt es auf dem großen Transparent, das am Donnerstag in der Frankfurter Allee aufgehängt wurde. So lautete das Motto des ersten Alleefestes mit Filmen, Informations- und Kulturveranstaltungen. Dazu gehörten die Lesung aus Texten des Dramatikers Peter Hacks und die Vorführung des Films „Betongold“ über eine Verdrängung von Mietern in Berlin-Mitte. Organisiert wurde das Fest von dem Mieterrat der Frankfurter Allee 15 – 21. Es ist Teil einer bundesweiten Aktionswoche, in der Mieterinitiativen aus 11 Städten ihre Aktivitäten gegen Verdrängung und Luxusmodernisierung bündeln wollen. In den Häusern der Frankfurter Allee ist diese Entwicklung genau seit mindestens zwei Jahren zu beobachten. Alle Wohnungen sind zum Jahresbeginn formal in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Knapp die Hälfte wurde bereits verkauft. Auf den Dächern werden Penthäuser gebaut. Dagegen werden notwendige Reparaturen in den Wohnungen immer wieder auf verschoben, klagen die Bewohner. „Wir Mieter sind mit dem damit verbundenen erheblichen Lärm und Dreck konfrontiert, ohne dass in unseren Wohnungen real etwas verbessert wird. Zugleich kommen nun die ersten Mieterhöhungen nach dem neuen Mietspiegel, die wir natürlich sehr genau auf ihre rechtliche Grundlage prüfen lassen werden“, berichtet ein Mieter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Schließlich laufen mehrere Räumungsklagen gegen Mieter. Erste Urteile geben ihnen Recht. Doch die juristischen Auseinandersetzungen gehen weiter. Inzwischen haben erste einen Neu-Eigentümer den Mietern wegen Eigenbedarf gekündigt, obwohl das in den ersten 7 Jahren gar nicht möglich ist. Damit werden die Mieter aber ständig mit Auseinandersetzungen konfrontiert und so zum Auszug gedrängt. Viele Wohnungen stehen schon leer. Doch die meisten der verbliebenen Bewohner wollen sich wehren. Dazu gehört Erika Eberlein, die mit am Aufbau der Häuser beteiligt war und seitdem dort wohnt. Aber auch jüngere Mieter, die dort in den letzten Jahren eingezogen sind, beteiligen sich am Protest. In dem im letzten Jahr gewählten Mieterrat sind Bewohner beider Gruppen vertreten. In den letzten Monaten hat die Initiative mehrere Veranstaltungen organisiert, an denen auch Bezirkspolitiker wie der Bürgermeister von Friedrichshain – Kreuzberg Franz Schulz teilgenommen haben.
„Doch wir sind uns einig, dass wir ohne öffentlichen Druck keine Erfolge gegen den Eigentümer erringen können“, meinte ein Mieter gegenüber ND. Das Alleefest solle daher auch dazu dienen, andere Mieterinitiativen kennen zu lernen. Wie wichtig eine solche Kooperation ist, betont auch die Friedrichshainer Stadtteilinitiative „Keine Rendite mit der Miete“, die das Mieterfest unterstützt. „In Friedrichshain sind Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlicher kulturellen Hintergrund von Vertreibung durch hohe Mieten bedroht. Es ist wichtig, dass sie sich gemeinsam wehren. Straßenfeste bieten genau sowie Kiezspaziergänge Möglichkeiten des Kennenlernens“, erklärte Erika Koch von der Initiative.

aus Neues Deutschland vom 28.6.2013
http://mieterrat-frankfurter-allee.org/2013/07/ein-wohnblock-wehrt-sich/
Peter Nowak

Befriedet die Justiz den Konflikt in der Türkei?


Ein Istanbuler Verwaltungsgericht hatte schon im Juni die umstrittenen Baumaßnahmen des Gezi-Parks gestoppt

Wie schon länger in türkischen Medien berichtet worden war, hatte ein Istanbuler Verwaltungsgericht bereits im Juni entschieden, dass die umstrittenen Baumaßnahmen des Gezi-Parks im Zentrum der türkischen Metropole gestoppt werden müssen. Die islamisch-konservative Regierung wollte dort den Nachbau einer historischen Kaserne mit Einkaufsszentren, Geschäftsräumen und Wohnungen errichten.

Das Gericht sei dem Antrag der Istanbuler Architektenkammer gefolgt. Eine Begründung für den Stopp des Bauvorhabens lautete, die Bewohner seien über das Bauvorhaben nicht ausreichend informiert worden.

Das Bauvorhaben am Gezi-Park führte zu einer landesweiten Protestbewegung, die sich zu einen Aufstand gegen die Regierung Erdogan ausweiteten, die mit massiver Polizeirepression reagierte und die Bewegung damit in die Defensive brachte. Allerdings gab es auch in den vergangenen Tagen weitere Proteste, als ein Polizist, der für den Tod eines Demonstranten verantwortlich gemacht wird, freigelassen wurde.

Zudem drohte der Konflikt in den letzten Tagen auch auf die kurdischen Gebiete überzugreifen, nachdem dort ein junger Mann erschossen wurde, der sich an Protesten gegen die Einrichtung eines Militärstützpunktes beteiligte. Die kurdische Nationalbewegung hatte sich an den Demonstrationen am Taksim-Platz von Anfang beteiligt, dabei aber auch die Befürchtung geäußert, dass sich dort Kräfte artikulieren können, die Friedensverhandlungen der kurdischen PKK mit der Erdogan-Regierung ablehnen. Nach dem Tod des Jugendlichen demonstrierten erstmals auch Bewohner der Westtürkei gegen die Repression im kurdischen Teil des Landes, die sich mit der Niederschlagung der Demonstrationen rund um den Taksim-Platz vergleichen lassen, bisher aber nur eine kleine Minderheit in Istanbul interessierte.

Das Gerichtsurteil könnte die Ausweitung der Bewegung stoppen. Damit hätte die Justiz wie oft in Konflikten mit großer gesellschaftlicher Auswirkung auch in Deutschland die Funktion einer Einhegung. Den Menschen, denen es lediglich um den Erhalt des Parks gegangen ist, kann so signalisiert werden, dass die Gewaltenteilung funktioniert. Die Regierung hatte im Vorfeld angekündigt, das Urteil des Gerichts zu akzeptieren. Das ist keineswegs selbstverständlich. Schließlich hat die Erdogan-Regierung in anderen Belangen schon mehrere Gerichtsentscheidungen ignoriert. Das hätte der Protestbewegung sicherlich einen neuen Schub geben.

Doch schlaue Berater haben den autoritären Ministerpräsidenten sicher klargemacht, dass er sich jetzt mit Verweis auf das Urteil von dem Projekt verabschieden kann, ohne der Protestbewegung nachgegeben zu haben. Auf diese Weise haben sich auch in Deutschland die Regierenden ohne großen Gesichtsverlust von gesellschaftlich schwerdurchsetzbaren Projekten verabschieden können. Als Beispiel sei der Stopp der heftig umstrittenen Volkszählung im ersten Anlauf 1983 durch das Bundesverfassungsgericht genannt.

Kann die Protestbewegung von dem Urteil profitieren?

Eine andere Frage lautet, ob die Protestbewegung in der Türkei langfristig von der Entscheidung des Gerichts profitiert. Natürlich feiern sie die Entscheidung spontan als großen Erfolg ihrer Kämpfe und kündigen an, ihren Protest fortsetzen zu wollen. Doch von der Frage, ob dieses Vorhaben gelingt, wird letztlich abhängen, ob man von einem Erfolg sprechen kann.

Zudem stellt sich die Frage, warum das Urteil erst nach fast einen Monat zur Kenntnis genommen wurde. Dabei ist es bereits vor dem Höhepunkt der Proteste gefallen, als das Gelände noch besetzt war. Damals hätte man es als großen Erfolg feiern können. Nachdem Erdogan den Sieg über die Demonstranten ausgerufen hat und sein Vize antisemitische Verschwörungstheorien über den Ursprung der Proteste verbreitet, könnte das Urteil eher als Befriedung, die die Niederlage erträglicher macht, aufgenommen werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154580
Peter Nowak

PODIEN GEGEN KRISENPOLITIK

Linkes Bündnis diskutiert über Protestformen

Um die Strategie und Taktik der außerparlamentarischen Linken geht es an diesem Wochenende an der TU. Bei den zahlreichen Veranstaltungen zum Thema „Politik in der Krise“ gehe es um die Frage, wie eine linke Politik „jenseits von autonomer Selbstbezogenheit und parteipolitischer Institutionalisierung“ möglich ist, sagt Marlies Sommer, Sprecherin des Kongresses.

Organisiert wird die Veranstaltung vom bundesweiten Ums-Ganze-Bündnis, das sich 2006 gegründet hat und in dem sich elf Gruppen aus Deutschland und Österreich zusammengeschlossen haben. Die meisten von ihnen kommen aus der autonomen Antifabewegung.

In den ersten Jahren nach der Gründung lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Ideologiekritik. Nun gehe es darum, in Zeiten der Krise linke Politik in einer größeren Öffentlichkeit zu verankern, erklärt Sommer. Beim Auftaktpodium diskutieren am Freitagabend die Ökonomen Michael Heinrich und John Kannankulam über die autoritäre Wende des Neoliberalismus. Auf einem weiteren Podien sprechen die Publizistin Jutta Ditfurth und der Philosoph Roger Behrens mit linken Aktivisten über die Gestaltung neuer Kämpfe.

Beim Abschlusspodium am Sonntagnachmittag geht es dann um die transnationale Organisierung des antikapitalistischen Widerstands. Daran beteiligen sich auch Linke aus Großbritannien und Griechenland, die sich im vergangenen Jahr an europaweiten Krisenprotesten beteiligt haben. Am Samstag diskutieren die AktivistInnen über die Idee des europaweiten Streiks und Formen der Unterstützung. „Am Ende wird nicht die Gründung einer neuen Partei stehen“, sagt Sommer. Es gehe aber um die Organisation von Widerstand gegen die Krisenpolitik.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F07%2F05%2Fa0134&cHash=9f27d1f5ab73d2de3c1c1d12cfc42cdc

Peter Nowak

Wilder Streik der Migrantinnen


Vor 40 Jahren traten Arbeiterinnen von Pierburg in den Ausstand – ein Buch versammelt Zeitzeugen und Dokumente

Eine Mark mehr Lohn und die Abschaffung der Leichtlohngruppe lauteten die zentralen Forderungen eines Streiks, der vor 40 Jahren die damalige Linke jenseits aller Differenzen mobilisierte. Es waren überwiegend migrantische Frauen, die bei der Autozubehörfirma Pierburg in Neuss in den Arbeitskampf getreten sind ohne auf die Gewerkschaftsbürokratie zu warten und sogar erfolgreich haben. Dabei hat der im Nationalsozialismus wie in der BRD erfolgreiche Unternehmerpatriarch Alfred Pierburg die streikenden Frauen hart bekämpft. Unterstützt wurde er dabei von den Neusser Polizeipräsidenten Günther Knecht, der die Knüppeleinsätze gegen die streikenden Frauen mit dem Satz rechtfertigte. „Wilder Streik, das ist Revolution“.
Dieses Zitat wurde zum Titel für einen Dokumentenband über den Pierburg-Streik, das der damalige oppositionelle Betriebsrat des Unternehmens Dieter Braeg kürzlich im Berliner Verlag „Die Buchmacherei“ herausgegeben hat. Er hat dort zahlreiche zeitgenössische Berichte über den Streik und den 40minütigen Film „Ihr Kampf ist unser Kampf“ erneut zusammengestellt.

Hinter der Einschätzung von Dieter Braeg, der Pierburg-Streik sei ein Beispiel für „eine andere deutsche Arbeiterinnen – und Arbeiterbewegung“ muss allerdings ein großes Fragezeichen gesetzt werden. Mit einer viel größeren Berechtigung könnte der Streik als Beispiel für einen selbstorganisierten Kampf migrantischer Frauen angeführt waren. Die in dem Buch aufgeführten Dokumente machen deutlich, wie die im Nationalsozialismus sozialisierten Vorarbeiter auf den Kampf der Frauen reagierten. „Ihr seit doch das aufsässigste Pack, was mir je untergekommen ist“, ihr Scheißweiber“, schrie einer der Pierburg-Vorarbeiter eine griechische Beschäftigte an und drohte ihr mit Schlägen, weil sie sich bei dem Betriebsrat über die Arbeitsbedingungen beschwert hatte. Die Dokumente zeigen auch, die Ignoranz mancher Betriebsräte, denen die Pflege der Trikots der firmeneigenen Fußballmannschaft wichtiger als die Interessenvertretung der Kolleginnen war. Die IG-Metall-Führung versuchte den Streik in institutionelle Bahnen zu lenken. Nachdem der Ausstand erfolgreich abgeschlossen war, überzog das Unternehmen vier oppositionelle Betriebsräte mit langwierigen Gerichtsprozessen, bei denen sie sich für Solidaritätsbesuche bei anderen Betrieben rechtfertigen mussten. Braeg ordnet den Pierburg-Streik in den politischen Kontext jener Jahre ein. Mit den Septemberstreiks von 1969 begann ein Aufbegehren von Lohnabhängigen, die sich nicht mehr in DGB-konforme Vertretungsinstanzen pressen lassen wollten. Daran waren migrantische Beschäftigte federführend beteiligt. Höhepunkt war der Streik und die Besetzung der Kölner Fordwerke im August 1973. Als die Polizei die Fabrik mit Gewalt räumte, zahlreiche Streikende festnahm und mehrere der migrantischen Aktivisten als angebliche Rädelsführer abschieben ließ, titelte die Springerpresse: „Deutsche Arbeiter kämpfen Ford frei“.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/826492.wilder-streik-der-migrantinnen.html
Peter Nowak

Braeg Dieter, Wilder Streik, Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973, Die Buchmacherei, ISBN 978-3-00-039904-6, 13, 50 Euro
Der Herausgeber stellt das Buch und den Film am Samstag, 06. Juli, um 15 Uhr im Berliner Mehringhof Gneisenaustr. 2a vor

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Erinnerung an die Folterhölle


Berliner Antifaschisten planen Gedenkort im ehemaligen KZ Sonnenburg

Das KZ Sonnenburg wurde 1933 zum Inbegriff des NS-Terrors gegen politische Gegner. Heute ist das Lager im polnischen Słonsk weitgehend vergessen. Berliner Antifaschisten wollen dort einen Erinnerungsort einrichten. Sie stellten das Projekt am Mittwochabend in Berlin vor.

Der KPD-Politiker Rudolf Bernstein veröffentlichte 1934 in der Prager »Arbeiter Illustrierten Zeitung« den Artikel »Folterhölle Sonnenburg«. Der spätere Direktors des Staatlichen Filmarchivs der DDR war wie Tausende Nazigegner nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verhaftet worden. Weil in Berlin nicht genügend Unterkünfte für die vielen Gefangenen vorhanden waren, nahmen die Nazis das Zuchthaus Sonnenburg wieder in Betrieb, das wenige Jahre zuvor von der preußischen Regierung wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden war.

Doch die bis zu 1000 Häftlinge, in ihrer großen Mehrheit Kommunisten aus Berlin und Umgebung, die dort ab April 1933 einsaßen, hatten nicht nur unter Enge und schlechtem Essen zu leiden. Sie waren auch Demütigungen und Folter der brutalen SA-Wachmannschaften ausgesetzt.

Das Lager wurde im April 1934 geschlossen, aber mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erneut eröffnet. Dorthin wurden Nazigegner aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern gebracht. In der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 wurden auf dem KZ-Gelände von der Gestapo über 800 Gefangene erschossen. Opfer dieses größten Massakers in der Endphase des NS-Regimes waren Angehörige einer kommunistischen Widerstandsgruppe sowie Gefangene aus Frankreich und Luxemburg. Die Täter wurden in Deutschland nie verurteilt.

Für Hans Coppi von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) ist Sonnenburg in Deutschland heute weitgehend vergessen, weil es keine Lagergemeinschaft ehemaliger Insassen gibt. In einer Arbeitsgruppe der VVN-BdA, die sich für den Erinnerungsort an das Konzentrationslager einsetzt, arbeitet auch Kamil Majchrzak von der polnischen Edition der Zeitschrift »Le Monde Diplomatique« mit. Er betont gegenüber »nd« die politische Bedeutung des geplanten Gedenkortes. »In Zeiten der Rechtsentwicklung in verschiedenen europäischen Ländern soll dort daran erinnern werden, dass Widerstandskämpfer aus allen europäischen Ländern die Welt vom Nationalsozialismus befreiten.«

Die VVN-BdA hat eine Datenbank mit über 500 Namen von Häftlingen der »Folterhölle« zusammengestellt. Dabei konnte sie sich auf Vorarbeiten des polnischen Historikers und Leiters der lokalen Kommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen, Przemysław Mnichowski, stützen. »Leider existiert nach wie vor keine vollständige Namensliste der auf dem Friedhof der Kriegsgefangenen verscharrten Opfer des Zuchthause«, erklärt Frieder Böhne vom Arbeitskreis der VVN-BdA.

Am 12. und 13. September soll in Słonsk auf einer Tagung über die Gestaltung des Gedenkortes mit Teilnehmern aus Polen, Deutschland, Luxemburg, Norwegen, Belgien beraten werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/826522.erinnerung-an-die-folterhoelle.html

Peter Nowak

„Wenn sie sie zurückfordern, hauen wir ihnen auf die Fresse“


Hessen: Linke und Grüne streiten über Polizeigewalt – und ein Veranstaltungsplakat

Ein Veranstaltungsplakat sorgt für Verstimmung zwischen den Grünen und der Linkspartei in Hessen. Wohl vor allem, weil es auf dem ersten Blick so aussieht, als wäre es eine Kopie alter Plakate der Ökopartei. Die viel persiflierte Parole „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geborgt“ wurde damals häufig verwendet. Doch der aktuelle Zusatz auf dem Plakat – „Wenn sie sie zurückfordern, hauen wir ihnen auf die Fresse“ – ist sogar damals den größten Zynikern nicht eingefallen.

Nun verwendet ihn die Linke, um auf den Polizeieinsatz während der Großdemonstration im Rahmen der Blockupy-Proteste am 1. Juni 2013 in Frankfurt hinzuweisen, für den ihrer Meinung auch die Grünen in der Verantwortung stehen. Schließlich befindet die sich in Frankfurt/Main mit der CDU in einer Koalition. Deshalb fällt auch die Pressemitteilung der Grünen zum Polizeieinsatz während am 1. Juni erstaunlich zahm aus.

Obwohl schon lange die Verantwortung führender CDU-Politiker für den Polizeieinsatz diskutiert wird, sinnieren die Grünen über Differenzen zwischen dem hessischen Innenminister und dem Frankfurter Polizeipräsidenten nach.

Drohung mit Klage und anschließender Rückzieher

Wesentlich weniger gelassen reagierten die Grünen auf das Plakat der Linken zur Polizeigewalt. Manuel Stock, der Fraktionsvorsitzende der Frankfurter Grünen, nennt gegenüber der Frankfurter Rundschau als Gründe für das Missfallen, das Plakat erwecke den Anschein von den Grünen zu sein. Zum anderen findet Stock die Botschaft doch „ziemlich befremdlich“.

Dass die Stadtregierung für Polizeigewalt verantwortlich sei, könne gar nicht sein. Schließlich seien die Beamten nicht der Stadt, sondern dem Land unterstellt. Und gerade beim Thema Blockupy hätten sich die Grünen eindeutig positioniert. Fragt sich nur in welche Richtung. Zumindest der Rechtspolitiker der hessischen Grünen Jürgen Frömmrich positionierte sich in einem Interview nahe bei der CDU und gab den Demonstranten die Hauptschuld an den Auseinandersetzungen.

Auch im Umgang mit dem Plakat der Linken machten die Grünen keine gute Figur. Überlegten sie doch zwischenzeitlich eine Klage dagegen, ließen diese Idee aber schnell wieder fallen. Vielleicht konnten sich manche Grünen der ersten Stunde noch daran erinnern, wie ein juristischer Feldzug gegen ein Plakatmotiv, das Polizeigewalt in Hessen anprangerte, zum Aufstieg der hessischen Grünen führte.

Es war der knüppelschwingende hessische Wappenlöwe, der in den Hochzeiten der Bewegung gegen die Startbahn West im Rhein-Main-Gebiet zu zahlreichen Strafverfahren und Hausdurchsuchungen auch in Büros der damaligen Grünen Partei geführt hat.

„Gewaltbereit ist, wer von der Polizei eingekesselt wird“

Ansonsten agieren alle politischen Parteien in Hessen nach dem bewährten Prinzip, Verantwortung dort einzufordern, wo sie in der Opposition sind. So fordern die Grünen im hessischen Landtag mittlerweile den Rücktritt des hessischen Innenministers, weil der Polizeieinsatz „völlig unverhältnismäßig war. Doch auch in dieser Presseerklärung versucht die Partei einer „kleinen Gruppe von Demonstranten“ eine Mitverantwortung zuzuschreiben.

Das Blockupy-Bündnis hingegen lehnt jede Spaltung in gute und böse Demonstranten ab. In einer Pressemitteilung wurden die Versuche des hessischen Innenministers zurückgewiesen, die eingekesselten Demonstranten als gewaltbereit hinzustellen und damit die Polizeimaßnahme im Nachhinein zu rechtfertigen.

„Für den Innenminister gilt offenbar: Gewaltbereit ist, wer von der Polizei eingekesselt und misshandelt wird. Folgt man dieser verdrehten, zutiefst autoritären Logik, sind die Opfer von Polizeigewalt per Definition Gewalttäter“, erklärt Roland Süß, der die globalisierungskritische Organisation Attac im Blockupy-Bündnis vertritt. Die Sozialdemokraten, die sich in Frankfurt/Main auch mal verbal gegen den Polizeieinsatz am 1. Juni empören, sorgten im hessischen Landtag dafür, dass es keinen Untersuchungsausschuss zum Blockupy-Einsatz geben wird.

Grüne und Linke stimmten dafür, doch ihnen fehlten für das notwendige Quorum von 25 Abgeordneten eine Stimme. Die Hoffnung, sie könnte von einen Sozen kommen, der seinen Gewissen und nicht der Parteidisziplin folgt, erfüllte sich nicht. Schließlich will die SPD nach der hessischen Landtagswahl im Herbst dort wieder die Regierung übernehmen, am liebsten gemeinsam mit den Grünen. Die Chancen dort sind höher als im Bund. Dann könnte für die nächsten Blockupy-Proteste der Innenminister einer rot-grünen Landesregierung verantwortlich sein. Da will man sich schon mal alle Optionen offen lassen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154559
Peter Nowak

Freilassung in RZ-Prozess gefordert

Frankfurt am Main (nd-Nowak). Vor der Justiz in Frankfurt am Main wird seit Monaten gegen die vermeintlichen Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) Sonja Suder (81) und Christian Gauger (76) verhandelt. In einem Offenen Brief fordern Bürgerrechtler nun die Einstellung des Verfahrens und die Freilassung der in Beugehaft sitzenden Sybille S., die als Zeugin die Aussage verweigert hat. Begründet wird die Forderung mit der Verwendung von Verhörprotokollen in dem Prozess, die vor mehr als 30 Jahren von dem nach einer vorzeitigen Bombenexplosion schwer verletzten und traumatisierten Hermann F. von den Sicherheitsbehörden ohne Anwesenheit eines Anwalts gemacht worden sind. F. hatte die Aussagen später widerrufen und die Umstände des Verhörs öffentlich gemacht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/826284.bewegungsmelder.html
Peter Nowak