Befriedet die Justiz den Konflikt in der Türkei?


Ein Istanbuler Verwaltungsgericht hatte schon im Juni die umstrittenen Baumaßnahmen des Gezi-Parks gestoppt

Wie schon länger in türkischen Medien berichtet worden war, hatte ein Istanbuler Verwaltungsgericht bereits im Juni entschieden, dass die umstrittenen Baumaßnahmen des Gezi-Parks im Zentrum der türkischen Metropole gestoppt werden müssen. Die islamisch-konservative Regierung wollte dort den Nachbau einer historischen Kaserne mit Einkaufsszentren, Geschäftsräumen und Wohnungen errichten.

Das Gericht sei dem Antrag der Istanbuler Architektenkammer gefolgt. Eine Begründung für den Stopp des Bauvorhabens lautete, die Bewohner seien über das Bauvorhaben nicht ausreichend informiert worden.

Das Bauvorhaben am Gezi-Park führte zu einer landesweiten Protestbewegung, die sich zu einen Aufstand gegen die Regierung Erdogan ausweiteten, die mit massiver Polizeirepression reagierte und die Bewegung damit in die Defensive brachte. Allerdings gab es auch in den vergangenen Tagen weitere Proteste, als ein Polizist, der für den Tod eines Demonstranten verantwortlich gemacht wird, freigelassen wurde.

Zudem drohte der Konflikt in den letzten Tagen auch auf die kurdischen Gebiete überzugreifen, nachdem dort ein junger Mann erschossen wurde, der sich an Protesten gegen die Einrichtung eines Militärstützpunktes beteiligte. Die kurdische Nationalbewegung hatte sich an den Demonstrationen am Taksim-Platz von Anfang beteiligt, dabei aber auch die Befürchtung geäußert, dass sich dort Kräfte artikulieren können, die Friedensverhandlungen der kurdischen PKK mit der Erdogan-Regierung ablehnen. Nach dem Tod des Jugendlichen demonstrierten erstmals auch Bewohner der Westtürkei gegen die Repression im kurdischen Teil des Landes, die sich mit der Niederschlagung der Demonstrationen rund um den Taksim-Platz vergleichen lassen, bisher aber nur eine kleine Minderheit in Istanbul interessierte.

Das Gerichtsurteil könnte die Ausweitung der Bewegung stoppen. Damit hätte die Justiz wie oft in Konflikten mit großer gesellschaftlicher Auswirkung auch in Deutschland die Funktion einer Einhegung. Den Menschen, denen es lediglich um den Erhalt des Parks gegangen ist, kann so signalisiert werden, dass die Gewaltenteilung funktioniert. Die Regierung hatte im Vorfeld angekündigt, das Urteil des Gerichts zu akzeptieren. Das ist keineswegs selbstverständlich. Schließlich hat die Erdogan-Regierung in anderen Belangen schon mehrere Gerichtsentscheidungen ignoriert. Das hätte der Protestbewegung sicherlich einen neuen Schub geben.

Doch schlaue Berater haben den autoritären Ministerpräsidenten sicher klargemacht, dass er sich jetzt mit Verweis auf das Urteil von dem Projekt verabschieden kann, ohne der Protestbewegung nachgegeben zu haben. Auf diese Weise haben sich auch in Deutschland die Regierenden ohne großen Gesichtsverlust von gesellschaftlich schwerdurchsetzbaren Projekten verabschieden können. Als Beispiel sei der Stopp der heftig umstrittenen Volkszählung im ersten Anlauf 1983 durch das Bundesverfassungsgericht genannt.

Kann die Protestbewegung von dem Urteil profitieren?

Eine andere Frage lautet, ob die Protestbewegung in der Türkei langfristig von der Entscheidung des Gerichts profitiert. Natürlich feiern sie die Entscheidung spontan als großen Erfolg ihrer Kämpfe und kündigen an, ihren Protest fortsetzen zu wollen. Doch von der Frage, ob dieses Vorhaben gelingt, wird letztlich abhängen, ob man von einem Erfolg sprechen kann.

Zudem stellt sich die Frage, warum das Urteil erst nach fast einen Monat zur Kenntnis genommen wurde. Dabei ist es bereits vor dem Höhepunkt der Proteste gefallen, als das Gelände noch besetzt war. Damals hätte man es als großen Erfolg feiern können. Nachdem Erdogan den Sieg über die Demonstranten ausgerufen hat und sein Vize antisemitische Verschwörungstheorien über den Ursprung der Proteste verbreitet, könnte das Urteil eher als Befriedung, die die Niederlage erträglicher macht, aufgenommen werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154580
Peter Nowak

Gewalttätig ausgelebte Eventkulur und ritualisierte Empörung

Das Berliner Landgericht fällte im Fall von Torben P. kein Racheurteil

Zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten ohne Bewährung verurteilte das Berliner Landgericht den 18jährigen Gymnasiasten Torben P. wegen versuchten Totschlags. Er war zu Ostern auf einem Berliner U-Bahnhof betrunken mit einem Passanten in Streit geraten.

Die kurzen Videodequenzen, auf denen zu sehen ist, wie der Jugendliche auf seinen am Boden liegenden Kontrahenten einschlug, mit dem Fuß gegen dessen Kopf trat und von anderen Fahrgästen nur mit Mühe von weiteren Attacken auf sein schon schwerverletztes Opfer abgehalten wurden konnten, sorgten für heftige Debatten über die Sicherheitslage in Berlin. Forderungen nach besonders schweren Strafen wurden schnell laut.

Als das Gericht P. aus der Untersuchungshaft entließ, war die medial inszenierte Empörung groß. Doch bald stellte sich auch die Frage nach der medialen Aufbereitung solcher Gewalttaten. Nachdem ein längerer Ausschnitt des Videos veröffentlicht worden war, schrieb der Tagesspiegel, dass es „die Rolle von Opfern und Täter in einem neuen Licht erscheinen lässt“.

Denn dort wurde auch gezeigt, wie die Kontrahenten in Streit gerieten und beide Seiten mit aggressivem Verhalten die Stimmung anheizten. Das entschuldigt die Attacken des Angeklagten nicht, macht aber die Genese solcher Konflikte deutlich, die sehr eng mit einer aggressiv ausgelebten Feier- und Eventkultur verbunden ist. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen treffen in Großstädten oft betrunkene Menschen in U- und S-Bahnhöfen aufeinander. Das Umschlagen der öffentlich zelebrierten Spaßkultur in Aggression und Gewalt ist oft sehr schnell zu beobachten. Die Auslöser sind oft sehr banal und im Nachhinein schwer zu rekonstruieren.

Gerade der Fall Torben P. blamiert alle, die diese Gewalt als sogenanntes Unterschichtenproblem aus der Gesellschaft ausgliedern wollen. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen Gymnasiasten aus bürgerlichem Elternhaus, der nach den Zeugenaussagen seiner Mitschüler in seiner Umgebung nicht durch besondere Aggressivität und Gewalttätigkeit aufgefallen war. So darf man sein Bekunden, er sei von seiner Tat selber im Nachhinein entsetzt, nicht nur als prozesstaktisches Manöver werden.

Die Forderung nach hohen Strafen oder ein Alkoholverbot in Bussen und Bahnen wie in Hamburg, gehen von der illusionären Annahme aus, mit einer Politik der harten Hand könnte man die Gewalt bändigen. Die Frage, warum sich so viele oft sehr junge Menschen in oberflächliche Zerstreuungen und eine aggressiv ausgelebte Eventkultur flüchten, wird gar nicht erst gestellt. Dafür folgt auf die nächste Gewalttat und ihre spezielle Medienaufarbeitung erneut rituelle Empörung.

Fragwürdige Medienaufarbeitung

Am Tag des Urteilsverkündung gegen Torben P. sorgte ein neuer Fall von Gewalt in einer Berliner U-Bahn mit Todesfolge für Schlagzeilen.

Am Wochenende verunglückte ein 23jähriger Berliner tödlich, nachdem er nach einer Auseinandersetzung in einer U-Bahn vor drei Angreifern auf die Straße geflohen war. Gegen zwei Beteiligte, die sich der Polizei stellten, wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Ob sie den Angeklagten in den Tod hetzten, wie es in manchen Medien heißt, müssen die Gerichte klären.

Die emotional aufbereitete Medienberichterstattung hat viel mit einer Auflagensteigerung, wenig aber mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun. Wenn dann die Gerichtsurteile nicht mit den öffentlichen Forderungen nach harten Strafen übereinstimmen, mögen vor allem die Boulevardmedien und ihre Leser unzufrieden sein. Damit wird aber deutlich, dass sich die Justiz nicht von solchen Kampagnen unter Druck setzen lässt – und das ist zu begrüßen.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35520/1.html

Peter Nowak

Wann werden Manager einer Bank untreu?

In Zukunft werden Manager noch schwieriger belangt werden können
Der Berliner Bankenskandal wird erneut die Justiz beschäftigten. Am 11. August hat das Bundesverfassungsgericht die Urteile gegen mehrere Bankmanager, darunter den ehemaligen führenden Berliner CDU-Politiker Klaus Landowsky, aufgehoben und an das Berliner Landgericht zurück verwiesen. Die Manager waren wegen Untreue zu Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt worden, weil sie einen unzureichend gedeckten Kredit zur Anschaffung und Modernisierung von Plattenbauten gewährt und dabei Informations- und Prüfungsverpflichtungen verletzt hätten.

Die Karlsruher Richter monieren die unklare Definition des Begriffs der Untreue in den Urteilen und warnen vor einer „verfassungswidrigen Überdehnung des Untreuetatbestands“. Künftig müssen Richter vor der Feststellung einer Untreue genaue Prüfungen unter Hinzuziehung von Wirtschaftsexperten vornehmen.

„Anerkannte Bewertungsverfahren und -maßstäbe sind zu berücksichtigen; soweit komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen sind, wird die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein. Die im Falle der hier vorzunehmenden Bewertung unvermeidlich verbleibenden Prognose- und Beurteilungsspielräume sind durch vorsichtige Schätzung auszufüllen. Im Zweifel muss freigesprochen werden“, heißt es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Es rügt auch die Vorinstanzen. Das Berliner Landgericht habe unzureichend ermittelt und auch der Bundesgerichtshof, der das Urteil bestätigt hatte, habe lediglich ausschnittsweise und schlagwortartig Bezug darauf genommen.

„Für die Justiz wird es künftig schwerer, Manager wegen Untreue zu belangen“, kommentieren Zeitungen den Richterspruch. In großen Teilen der Bevölkerung dürfte das Urteil negativ aufgenommen werden, wird doch bei Erwerbslosen schon bei kleinsten Summen schnell wegen Sozialbetrug verurteilt und sanktioniert.

Die Berliner CDU dürfte aus anderen Gründen nicht erfreut sein. Schließlich wird in Berlin im nächsten Jahr ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Bei einem neuen Verfahren im Berliner Bankenskandal dürfte sich die politische Konkurrenz die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auf die damalige Rolle der CDU hinzuweisen. Der Bankenskandal war für den Machtverlust der Berliner CDU 2001 wesentlich verantwortlich und hatte auch Einfluss auf die Politik der seitdem regierenden SPD-Linkspartei-Koalition. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/148171

Peter Nowak