Die größte Oppositionspartei würde sich sicher wünschen, wieder Teil einer großen Koalition zu sein. Dann müsste sie nicht den Eindruck erwecken, als hätte sie gegen die Überwachungsprogramme grundsätzlich etwas einzuwenden
Täglich kommen neue Details über die Überwachungsprogramme ans Licht. Wenn auch in den Medien immer die USA und ihre Geheimdienste an den Pranger gestellt werden, ist doch längst klar, dass es auch eine Kooperation mit deutschen Geheimdiensten gab. Wenn plötzlich thematisiert wird, dass die US-Dienste die Testversion eines bestimmten Überwachungsprogramms an ihre deutsche Kollegen weitergeben, so ist daran nur eines bemerkenswert: Dass die alltägliche geheimdienstliche Praxis öffentlich diskutiert wird, wo es doch bisher die Praxis aller größeren Parteien war, diese Tätigkeit vor zu aufmerksamer Beobachtung zu schützen.
Ist die Debatte nun ein Ausdruck dessen, dass man in Deutschland grundsätzlich kritischer gegenüber solchen Diensten eingestellt ist und sensibler gegen Datennutzung geworden ist? Das zumindest will ein Teil der deutschen Zivilgesellschaft glauben, die Deutschland zum Opfer der Datenkrake USA stilisiert, so wie große Teile der deutschen Friedensbewegung jahrelang den „kriegstreiberischen“ Cowboys aus den USA die deutsche Friedensmacht entgegensetzte. Damit konnte nicht nur die deutsche Geschichte gut entsorgt werden, sondern auch ziemlich geräuschlos Kriege, die im deutschen Interessen waren, beispielsweise in Jugoslawien, geführt werden. Auch die aktuelle NSA-Debatte dient vor allem dazu, die letzten Einschränkungen der Souveränität Deutschlands infragezustellen.
„Da wird ein Ton angeschlagen, der aus der Nachkriegsgeschichte bekannt ist“
Die Anzahl der Personen, die hier Distanz walten lassen, ist nicht groß. Es sind meistens Menschen, die ein historisch gut begründetes Unbehagen ausdrücken wollen, wenn Deutschland jetzt wieder einmal den Demokratie-Weltmeister spielt. So schreibt Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung [1], die Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt unterstützt, in einem Kommentar für die Jüdische Allgemeine [2]:
„Vielmehr verfolgt ein großer Teil der Juden die Art, wie in Deutschland über Snowden diskutiert wird, mit Sorge. Während in anderen Ländern Kritik laut wird, ist hier die Empörung überbordend. Da wird ein Ton angeschlagen, der aus der Nachkriegsgeschichte bekannt ist: Amerika sei ein Besatzer, von dem man sich nichts mehr sagen lassen müsse. Und, plumps, sind die Deutschen wieder schmählich besiegt und keineswegs befreit worden. Juden haben bei solchen Tönen durchaus Grund zur Besorgnis, denn Antisemitismus ist davon nur wenige Gefühls- und Gedankenklicks entfernt.“
Kahane zeigt sich auch verwundert, dass der Sicherheitsaspekt in der aktuellen Debatte eine marginale Rolle spielt:
„Sicherheit war und ist immer ein jüdisches Thema; sich darum Gedanken zu machen, gehört heute zum Alltag in jüdischen Gemeinden überall auf der Welt. Deshalb, so scheint es, ist in jüdischen Kreisen die Überraschung darüber, dass es ein Programm wie PRISM gibt, nicht sonderlich groß. Man ist daran gewöhnt, sich gegen Angriffe zu wappnen, selbstverständlich auf der Höhe der verfügbaren Technik.“
Diese Aussage sollte sicher kritisch hinterfragt werden. Es liegt natürlich auch an der politischen Einstellung der Jüdinnen und Juden, wie sie zu Snowden stehen. Je kritischer sie zur US-Politik stehen, desto mehr Sympathien dürften sie für den Whistleblower haben. Zudem fehlt in Kahanes Kommentar jeder Bezug auf eine bürgerrechtliche Strömung in den USA, in deren Tradition auch die Amedeu Antonio Stiftung steht.
Dort wurde immer wieder kritisiert, wie mit dem Sicherheitsdogma Grundrechte eingeschränkt wurden. Wie schnell ein solcher Sicherheitsdiskurs antisemitisch aufgeladen werden kann, zeigte sich am Beispiel der vor 60 Jahren in den USA als Atomspione hingerichteten jüdischen Kommunisten Ethel und Julius Rosenberg [3].
Da hätte es einer kritischeren Nachfrage bedurft
Mag Kahanes Kommentar von bürgerrechtlicher Seite begründete Kritik erfahren, wird in ihm doch das Dilemma der SPD in der NSA-Debatte auf den Punkt gebracht. Sie will natürlich ihrer Rolle als Oppositionspartei gerecht werden und die Bundesregierung etwas in Bedrängnis bringen. Gleichzeitig will sie sich nicht nachsagen lassen, die Sicherheitsaspekte zu vernachlässigen.
Welchen großen argumentativen Spagat SPD-Politiker in der NSA-Debatte vollbringen müssen, zeigt ein Radiointerview) mit dem innenpolitischen Sprecher der SPD [http://www.michael-hartmann-spd.de/ Michael Hartmann [4]: Während er im ersten Teil des Gesprächs der Regierung Kommunikationsfehler in der Angelegenheit vorwarf, kam er ins Schwimmen, als er nach der Rolle seiner Partei gefragt wurde.
Heuer: Welchen Anteil, Herr Hartmann, trägt eigentlich die SPD an der Entwicklung, die wir jetzt zum Teil ja fassungslos beobachten?
Hartmann: Ich nehme das ja auch wahr, dass nun Nebelkerzen geworfen werden und immer auf 2001 verwiesen wird. Wahr ist, dass natürlich nach 2001 – es war schließlich die Hamburger Zelle um Mohammed Atta, die diese schrecklichen Attentate in den USA begangen haben – die Zusammenarbeit ausgeweitet und intensiviert wurde. Aber zu keinem Zeitpunkt wurde in sozialdemokratischer Regierungsverantwortung ein Tor aufgemacht, um quasi das anlasslose Ausspähen deutscher Staatsbürger auch nur zu dulden. Da bin ich mir sehr, sehr sicher. Wenn Sie sich die Entwicklung anschauen, die NSA und die Programme in den USA genommen haben, dann können Sie auch feststellen, dass das alles erst später explodiert ist und die technischen Möglichkeiten auch sehr viel später erst erweitert wurden, und da hätte es schon eines kritischen Nachfragens bei unseren Partnern bedurft.
So schnell ist ein Oppositionspolitiker, der die Regierung in Bedrängnis bringen will, selbst in Verlegenheit zu bringen. Am Ende hätte man mal kritisch bei den Partnern nachfragen müssen, wenn die technischen Möglichkeiten sich erweitern. Da hat sogar Merkel vor einigen Tagen klarere Worte in Richtung USA gesprochen.
Vielleicht probt Hartmann auch schon seine neue Rolle als Juniorpartner einer großen Koalition, wo vielleicht ein SPD-Politiker gegenüber seinen US-Kollegen versichern muss, dass man natürlich die Sicherheitspartnerschaft fortsetzen und die Kooperation der Geheimdienste weiterhin diskret und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gestalten wird.
Links
[1]
http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/
[2]
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/16516
[3]
http://jungle-world.com/artikel/2013/28/48085.html
[4]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2187981/
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/blogs/8/print/154686