Politik und Protest in der Krise

„Denn sie wissen nicht: Was tun?“: Die außerparlamentarische Linke machte sich in Berlin Gedanken über autoritäre Krisenlösungen und die Begrenztheit linker Gegenentwürfe

Die Blockupy-Aktionstage Anfang Juni sorgen vor allem wegen des stundenlangen Polizeikessels weiter für Schlagzeilen. Doch wie steht es mit dem Anliegen der Menschen, die am 1.Juni auf die Straße gegangen sind? Muss man wieder ein Jahr, vielleicht gar die Einweihung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main, abwarten, bis man hierzulande wieder über Krisenproteste in Deutschland liest?

Auf einem dreitätigen Kongress konnte man Antworten auf die Frage bekommen, was die Aktivisten zwischen den Groß-Events umtreibt. Organisiert wurde er vom 2006 gegründeten Ums-Ganze-Bündnis, in dem sich elf Gruppen aus Deutschland und Österreich der außerparlamentarischen Linken zusammengeschlossen haben. Das Bündnis war in der Blockupy-Vorbereitung aktiv und hat in einem Auswertungspapier die Verbreiterung der Bewegung in die Alltagskämpfe hinein als schweres, aber nicht unmögliches Ziel benannt.

In vier Podiumsdiskussionen und über 20 Workshops wurde über die „autoritäre Wende des Neoliberalismus“, die Krise im Reproduktionsbereich, über Rechtspopulismus, Gesundheit und Krise debattiert. Sowohl im Titel „Politik in der Krise“ als auch im Untertitel „Denn sie wissen nicht: Was tun?“ drückten sich eine „produktive Ratlosigkeit“ aus, wie es ein Kongressteilnehmer formulierte. In der Krise sind auch viele althergebrachte Protestformen. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass immer wieder Massen auf die Straße gehen und Aktionen oft auch in kurzer Zeit organisieren. Doch genau so schnell verschwinden die Bewegungen oft wieder. Wie die Akteure Lernprozesse und Erfahrungen, die sie in den Auseinandersetzungen sammeln, verarbeiten, ist so oft schwer oder gar nicht mehr feststellbar. Längerfristige Organisierungsansätze sind oft schwer längere Zeit aufrechtzuhalten.


Sind Theorie und Organisationen überholt?

Diese Problematik drückte sich auch im Untertitel „Denn sie wissen nicht: Was tun?“ aus. Natürlich waren damit auch die Regierungen und politischen Institutionen gemeint, die oft Getriebene in der Krise sind, die genug damit zu tun haben, immer neu auftretende Krisenherde in ihrem Sinne einzuhegen. Das Motto richtet so auch gegen verkürzte linke Vorstellungen von staatlichen Institutionen, die alles im Griff haben. Es richtete sich aber auch gegen manche linke Vorstellungen, dass es nur der richtigen Organisation bedarf, um die eigene Krise zu lösen.

Martin Glassenapp von der Interventionistischen Linken vertrat auf der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Neue Kämpfe – neue Subjekte“ die These, dass sich am Beispiel der Aufstände vom arabischen Raum bis nach Brasilien zeige, dass die klassischen linken Vorstellungen von Organisation und linker Theorie überholt seien. Die Publizisten Roger Behrens und Jutta Ditfurth betonten hingegen die Notwendigkeit einer linken Organisierung, die sich nicht kritiklos an jeder gerade entstehenden sozialen Bewegung anbiedert. Behrens warnte davor, Massenbewegungen in aller Welt emanzipatorische Absichten zu unterstellen, ohne deren Ziele genauer zu analysieren.

Ein gutes Beispiel dafür hat in den letzten Tagen der langjährige Attac-Aktivist und Bewegungstourist Pedram Shahyar geliefert, der nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mursi in Ägypten von der permanenten Revolution schwärmte, ohne sich die Frage zu stellen, wieso ein Großteil dieser Bewegung den Militärputsch gegen einen gewählten Präsidenten bejubelt, obwohl die Generäle in der Vergangenheit für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren. Jutta Ditfurth betonte in ihrem Beitrag, dass die alte Parole „aus der Geschichte lernen“ weiterhin eine Grundbedingung für eine linke Bewegung sei, von den kurzlebendigen sozialen Bewegungen von den Sozialforen bis zu Occupy, aber negiert werde.

Auf dem Abschlusspodium war man sich bei den griechischen Gruppen Alpha Kappa sowie Plan C einig in der Ablehnung eines autoritären Krisenkapitalismus und verkürzter linker Krisentheorien, zur Formulierung konkreter Protestziele kam es allerdings nicht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/15459
Peter Nowak

Arbeit und Krise

Der Ums-Ganze-Kongress warf interessante Fragen auf

„So wie es ist, bleibt es nicht“ lautete der Titel eines Kongresses, der am ersten Dezemberwochenende in der Bochumer Universität stattfand. Organisiert wurde er vom Ums-Ganze-Bündnis, das seine Wurzeln in der Antifabewegung der 1990er Jahre hat. Mittlerweile versteht es sich als kommunistisches Bündnis und hat unter den Titel „Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit“ den Versuch einer marxistischen Kritik an der gegenwärtigen Verfasstheit von Staat und Kapital entwickelt.

In großen Teilen der Linken wurde noch vor einigen Monaten davon ausgegangen, dass der Krisenprozess erst am Anfang steht. Wenn dann ein neuer Wirtschaftsboom die Zahl der Erwerbslosen und der Kurzarbeitenden verringert, erweist sich diese Prognose offensichtlich als falsch.

Ist die Krise damit vorbei? Oder treiben nicht eher der kapitalistische Normalzustand und nicht sinkende Börsenkurse viele Menschen mit Arbeitszeitverdichtung und Prekarisierung in die Krise? Wie werden solche Fragen an der Peripherie der EU diskutiert? Dass waren einige der Themen, die auch Gegenstand des Bochumer Kongresses waren.

Auf der Auftaktveranstaltung erinnerte der Politologe Michael Heinrich daran, dass MarxistInnen seit mehr als einem Jahrhundert auf die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus hingewiesen haben. „Ob die Krise auch eine Chance auf radikale Veränderung bietet oder wie bisher nur zur Festigung kapitalistischer Herrschaft führt, ist abhängig von den sozialen Auseinandersetzungen und der Rolle des Staates in der Lösung der gegenwärtigen Krise“, so Heinrich. Deshalb müssten Krisenlösungsmodelle von sozialen Bewegungen auch darauf abgeklopft werden, ob sie beispielsweise mit der Forderung nach Reregulierung des Finanzsektors nicht zur Stabilisierung von Kapitalismus und Herrschaft beitragen.

Die Krise als Chance auf radikale Veränderung?

Was es heißt, radikale Kritik zu organisieren, war auch die Ausgangsfrage beim Abschlusspodium, wo Lars Röhm von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) am Beispiel der Organisierung von Beschäftigten in einem Berliner Kino deutlich machte, dass der Kampf um unmittelbare Interessen Ansätze von Selbstorganisierung im Alltag vermitteln und gleichzeitig Räume für eine Kritik an der kapitalistischen Verfasstheit der Gesellschaft öffnen können. Ähnliches berichtete der Kölner Rechtsanwalt und Sozialaktivist Detlef Hartmann in einem Workshop über Erwerbslosenaktivitäten in Köln und Umgebung.

Einen zentralen Stellenwert nahm auf dem Kongress die Entwicklung von Schuldenkrise und Klassenkampf in Griechenland ein. GenossInnen des linkskommunistischen Zeitungsprojekts TPTG interpretieren die Schuldenkrise als Angriff auf die Arbeiterklasse. Die von der EU unterstützte Politik der Krisenlösung solle dazu beitragen, dass sich die griechischen ArbeiterInnen mit dem Staat identifizieren und bereitwillig für ihn Opfer bringen. Bisher habe in großen Teilen des griechischen Proletariats aber eher die Stimmung vorgeherrscht: Die Schulden sind nicht unsere Schulden, und deshalb zahlen wir auch nicht für sie.

Leider war eine gründliche Diskussion der griechischen Erfahrungen nicht möglich. Die Kongressorganisation hatte noch Referate des Soziologen Rudi Schmidt und des Politologen Werner Bonefeld in die Veranstaltung gepackt, die ebenfalls viel Diskussionsstoff geboten hätten. Die OrganisatorInnen sollten die Möglichkeit schaffen, die interessanten Fragen, die auf dem Kongress aufgeworfen wurden, auch im Internet weiterzudiskutieren.

Peter Nowak

http://kongress.umsganze.de

aus:  akzeitung für linke debatte und praxis / Nr. 556 / 17.12.2010