Haustarif und Mindestlohn

Der Kampf um den Mindestlohn in der Postbranche geht weiter
Ver.di will Haustarifverträge in der Briefdienstbranche abschließen. Der Postmindestlohn ist deshalb nicht vom Tisch.
Ver.di will Haustarifverträge für Briefzusteller. »Wir werden die Unternehmen der Briefdienstebranche, bei denen wir auseinandersetzungsfähig sind, zu Verhandlungen über Haustarifverträge auffordern«, kündigte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Andrea Kocsis am Mittwoch an. Den entsprechenden Beschluss habe die Tarifkommission gefasst, nachdem die Vertreter des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste (AGV NBZ) einer Einladung zu Tarifverhandlungen vorige Woche nicht gefolgt waren.

Nach einer Erhebung der Bundesnetzagentur sind Stundenlöhne von bis zu 5,50 Euro bei den Briefdiensten nichts Ungewöhnliches. Der von der Bundesregierung verordnete Branchenmindestlohn für Briefzusteller von 9,80 pro Stunde war Ende Januar vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wegen eines Verfahrensfehlers gekippt worden. Mit dem Auslaufen der Mindestlohnverordnung zum 30. April hatte die Bundesregierung die Tarifparteien beauftragt, die vertraglichen Voraussetzungen für eine neue Verordnung zu schaffen.

Am vergangenen Donnerstag hatte ver.di einen neuen Anlauf gestartet, doch der Stuhl des NBZ-Präsidenten Florian Gerster blieb leer. Der ehemalige SPD-Politiker und spätere Chef der Bundesarbeitsagentur erklärte gegenüber der Tageszeitung »Welt«, er sei grundsätzlich zu Gesprächen bereit, wenn ver.di von seinen Lohnforderungen abgeht. Ver.di versicherte dagegen, noch keine Lohnforderungen gestellt zu haben. »Das Nichterscheinen von Herrn Gerster oder seiner Mannschaft lässt uns ernsthaft an der Bereitschaft des AGV NBZ zweifeln, mit uns tatsächlich einen Tarifvertrag abzuschließen», monierte Andrea Kocsis.

Die Zweifel hat Florian Gerster bestärkt, als er in der »Welt« androhte, sein Verband könne jederzeit mit einer anderen Gewerkschaft verhandeln. Schon in der Vergangenheit versuchten die Unternehmerverbände durch Verhandlungen mit kleinen Gewerkschaften, der Auseinandersetzung mit ver.di aus dem Weg zu gehen und die Löhne zu drücken. In dem Zusammenhang geriet auch die heutige niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) in die Kritik. Sie soll laut Medienberichten vor zwei Jahren für die deutsche Tochter des niederländischen TNT-Konzerns einen Tariflohn von 7,50 Euro in der Stunde ausgehandelt haben. Sie führte die Verhandlungen mit der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation. Ver.di hatte jedoch den seinerzeit geltenden Mindestlohn von 9,80 Euro mit der Post ausgehandelt. »Da ihr als Juristin bekannt gewesen sein muss, dass damals ein Postmindestlohn von 9,80 Euro galt, hat Özkan mit ihren Löhnen die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten«, kritisierte der Frankfurter Arbeitsrechtler Otto Ernst Kempen.

»Durch immer höhere Zielvorgaben, weniger Personal und steigende Krankenstände wächst der Druck«, zitiert die Gewerkschaftszeitung ver.di-Publik Mitarbeiter der Zustellbranche. Auch der Bundesvorsitzende der nicht bei ver.di organisierten Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM) Volker Geyer warnte vor einer Verschärfung des Lohn- und Sozialdumping in der Zustellbranche. Der DPV sammelte kürzlich rund 20 000 Unterschriften für einen neuen Mindestlohn.

Die Frage wird nun sein, ob die Gewerkschaften auch zu schärferen Kampfmitteln greifen. Die jüngste Forderung nach Haustarifverträgen klingt eher defensiv, auch wenn verbal am Mindestlohn festgehalten wird.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171792.haustarif-und-mindestlohn.html

Peter Nowak