Niederlage für eine solidarische Gesellschaft

Das Hamburger Ergebnis der Volksabstimmung zur Schulreform liegt ganz im Trend der Bildungspolitik
Das Ergebnis des Hamburger Volksentscheids zur Schulreform wird in der Regel vor dem Hintergrund der politischen Parteienkonstellation in Hamburg interpretiert (Schulreform gescheitert, Regierungschef zurückgetreten). Dabei wird vor allem die Frage gestellt, ob das schwarz-grüne Bündnis nach dem Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters noch eine Zukunft hat. Die ersten Neuwahlforderungen von SPD, FDP, aber auch der Linken bleiben in diesem Schema befangen. Auch den Hamburger Grünen hingegen fällt nichts Besseres ein, als von der CDU zu fordern, sie soll zum Koalitionsvertrag stehen.
   

Dass führende Unionspolitiker, darunter Bundesbildungsministerin Schavan, das Ergebnis des Volksentscheids ausdrücklich „als Signal für die Bildungspolitik“ begrüßen und sich damit von ihrem Hamburger Koalitionspartner distanzieren, wird von den Grünen ignoriert. Wenn nun Schavan, die bisher als entschiedene Anhängerin eines Bildungsföderalismus aufgetreten ist, vor einem bildungspolitischen Flickenteppich warnt, dann kann dies nur als Signal verstanden werden, dass die Union als Lehre aus dem Volksbegehren die Verteidigung des Bildungsprivileg der Besserverdienenden wieder zu ihrer Angelegenheit machen will.

Doppelcharakter der sozialliberalen Bildungsreform

Darum ging es der Initiative Wir wollen lernen primär. Das Lamento, dass sogenannte schwache gegenüber sogenannten starken Schülern benachteiligt werden, ist allgegenwärtig. Dass es bei den Adjektiven stark und schwach nicht um Naturgesetze, sondern um gesellschaftlich bestimmte Trennungen gibt, wird dabei gerne unterschlagen. Starke Schüler sind in der Regel die, die in einer Umgebung aufwachsen, in der sie zum Lernen motiviert werden, schwache Schüler hingegen haben diese Chance nicht.

 

Diese Unterschiede gab es in der bürgerlichen Gesellschaft seit jeher und das Ziel einer solidarischen Bildungspolitik bestand darin, die gesellschaftliche Spaltung in den Schulen, wenn nicht aufzuheben, so zumindest zu verringern. Um eine solche Schulpolitik, die in der Frage der Einführung der Gesamtschule kulminierte, entspann sich in den frühen 70er Jahren ein heftiger Schulkampf in Hessen, der mit der Politik des kürzlich gestorbenen Bildungsreformers Ludwig von Friedeburg verbunden wird. Den Bildungsreformern der frühen 70er Jahre ging es um einen leichteren Zugang von Kindern aus Arbeiterfamilien zum Abitur. Dagegen mobilisierte eine Front von CDU, konservativen Lehrer- und Elternverbänden bis hin zu großen Teilen der Medien.

Obwohl von Friedeburg schon 1974 zurücktrat und auch in seiner eigenen Partei, der SPD, als Polarisierer umstritten war, konnten sich auch seine Gegner nicht durchsetzen. Denn die Bildungsreformen waren nicht nur das Produkt einer egalitäreren Bildungspolitik, sondern knüpften auch an die Bedürfnisse einer postfordistischen Wirtschaft an. Das herkömmliche Schulsystem war nicht in der Lage, für die Erfordernisse der modernen Wirtschafts- und Arbeitswelt auszubilden. Das Schlagwort vom deutschen Bildungsnotstand machte schon Mitte der 60er Jahre die Runde und wurde dann von der APO politisiert.

Die sozialliberale Bildungsreform war stark von dem Doppelcharakter der Bildungsdebatte geprägt. Die Teile, die für eine moderne Ausbildung kompatibel waren, haben sich durchgesetzt und dabei wurden viele egalitären Vorstellungen einer grundsätzlichen Bildungsgerechtigkeit abgeschliffen. Diese Forderungen eines sozialen Lernens wurden allerdings außerhalb des parlamentarischen Raums von Gewerkschaften, Schüler- und Studierendengruppen und sozialen Bewegungen gegen die konservativen Gegner, aber auch gegen eine Sozialdemokratie vertreten, die die Bildungsreform bald gezähmt hatte.

„Die Schwachen sollen sehen, wo sie bleiben“

Der Hamburger Schulkampf hat bei allen Unterschieden im Detail mit der Debatte der 70er Jahre das Grundsätzliche gemeinsam. Es geht um die Frage, ob die Kinder der einkommensschwachen Familien, dazu gehören in erster Linie Hartz IV-Empfänger oder Menschen mit Migrationshintergrund, überhaupt Chancen für eine solidarische Bildung haben oder ob sie abgehängt werden sollen.

Führende Exponenten der Initiative „Wir wollen lernen“ haben immer wieder moniert, es werde zu viel für die „schwachen“ und zu wenig für die „starken“ Schüler getan. Es wurde auch darüber geklagt, dass die nicht darunter leiden sollen, dass es Schüler gibt, die nicht mittels Nachhilfe. ihr Schulwissen aufbessern können. Das ist eine Absage an eine Schulpolitik, die davon ausgeht, dass die „stärkeren“ Schüler die „schwächeren“ beim Lernen unterstützen können und alle davon profitieren. Zur Bildung gehört nach dieser Lesart auch das Ausbilden von sozialen Kompetenzen, wie Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Zu Zeiten der Bildungskämpfe der siebziger Jahre waren solche Werte in großen Teilen der Gesellschaft verbreitet. Das ist aktuell nicht mehr der Fall. So liegt das Hamburger Ergebnis ganz im Trend einer Gesellschaft, in der das Prinzip „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Der Schwache ist selber schuld und soll den anderen nicht zur Last fallen“ zum Dogma erhoben wurde . Im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten drückt sich diese Politik ebenso aus, wie in den Maßnahmen gegen Hartz IV-Empfänger und eben jetzt auch in der Bildungspolitik.

In einer Gesellschaft, in der es als normal gilt, wenn jeder mit jedem in Konkurrenz liegt, sorgen die Eltern dafür, dass damit schon im Schulalter angefangen wird. Ein solidarisches Lernen wird als Konkurrenznachteil für die eigenen Kinder empfunden, in die nicht wenige Eltern mittels teurer Nachhilfeprogramme einiges investieren. Dass auch Eltern, die in den 70er Jahren selber durch die Bildungsreformen aus dem Arbeitermilieu in das Bildungsbürgertum aufgestiegen sind, zu den Gegnern der Primarschule gehörten, verwundert nicht. Gerade dort ist die Furcht vor dem sozialen Abstieg besonders groß.

Keine soziale Bewegung

Dass „Volkes Stimme“ wie in Hamburg gegen eine ganz große Parteienkoalition von Union, SPD, Grünen und Linkspartei, die sich für die Primärschule aussprachen, stimmte, kann nur verwundern, wer noch immer noch meint, dass „die da unten“ oder auch „der kleine Mann“ sozialer abstimmen als die politischen Parteien. Eine solche Vorstellung verkennt, wie stark die Idee der Ungleichheit und des Konkurrenzgedanken in großen Teilen der Bevölkerung Konsens sind.

So verwundert es nicht, dass neben der in Hamburg außerparlamentarischen FDP vor allem diverse rechte Gruppen und die NPD gegen die Schulreform waren. Schließlich propagieren sie seit jeher die Ungleichheit der Menschen. Sie konnten sich in Hamburg profilieren, weil die CDU aus Koalitionsraison, und weil die Schulreform auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus vernünftig war, für die Primärschule eintrat. Führende Unionspolitiker aus Sachsen und NRW haben nach dem Hamburger Ergebnis deutlich gemacht, dass sie das Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen wollen.

Die Befürworter eines solidarischen Lernens außerhalb des Parlaments werden künftig die Möglichkeiten haben, jenseits der parteipolitischen Querelen das Konzept einer solidarischen Schule zu propagieren. Bisher waren sie in Hamburg in zwei Bündnisse gespalten. Eine größere Gruppe unterstützte den Mehrparteienkompromiss des Hamburger Senats. Ein kleines linkes Bündnis warb dafür, zweimal mit Nein zu stimmen, weil es auch den Senatskompromiss nicht akzeptabel fand. Das Ergebnis von Hamburg hat gezeigt, dass soziale Reformen trotz Unterstützung von großen Organisationen und Parteien verloren gehen, wenn es nicht gelingt, das gesellschaftliche Klima zu verändern.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32987/1.html

Peter Nowak

Ist Israel der Feind?

In der iranischen Opposition ist ein Streit über die Haltung zum Nahostkonflikt ausgebrochen
Wie hältst Du es mit Israel und mit Palästina? Diese Frage sorgt nicht nur in Deutschland immer wieder für viel Aufregung. Auch in der iranischen Opposition ist wegen der Nahostfrage ein großer Streit ausgebrochen. Auslöser war eine Erklärung führender Aktivisten der Grünen Bewegung, der zentralen Opposition gegen das iranische Regime, zum Sturm auf die sogenannte Gaza-Flotte, die die israelische Blockade gegen den Gazastreifen brechen wollte.

Nach dem Sturm der israelischen Armee auf die Flotte, bei dem 9 Menschen starben, schrieben die 75 Oppositionellen, das Vorgehen der israelischen Armee gleiche den Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Oppositionelle. Pathetisch heißt es dann in dem Schreiben, dass die Grüne Bewegung „Schulter an Schulter mit dem Widerstand der Palästinenser“ und überhaupt mit allen „freiheitsliebenden Bewegungen dieser Welt“ dieser Welt stehe. Viele der Unterzeichner gehörten der linken Opposition gegen das Schahregime an und wurden von dem Mullahregime abermals in die Gefängnisse geworfen oder ins Exil getrieben. Sie haben noch nicht vergessen, dass das Schahregime, das es bei der Verletzung der Menschenrechte den Mullahs ein Vorbild war, gute Beziehungen zu Israel unterhalten hat.

Eine jüngere Generation in der iranischen Opposition, die mit der permanenten antiisraelischen Propaganda des islamischen Regimes aufgewachsen war, widerspricht der pro-palästinensischen Erklärung der Grünen Bewegung. In einer von 27 Aktivisten unterzeichneten Erklärung wird darauf verwiesen, dass die Grüne Bewegung im Iran im Gegensatz zur palästinensischen Bewegung gewaltfrei agiert habe. Die Parole der iranischen Opposition habe „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Leben für Iran!“ gelautet. Deswegen sei die pro-palästinensische Erklärung nicht repräsentativ für die gesamte iranische Opposition.

Saeed Ghaseminejad, Sprecher der Liberalen Studenten Irans und Direktor des Centre Iranien d’etudes du Liberalisme charakterisierte in einem Interview die Unterzeichner des Gegenbriefes so: „Fast alle sind jung, die meisten sind Studenten. Sie sind die Kinder der islamischen Revolution und aufgewachsen unter der Islamischen Republik. In dieser Generation findet man so viele Gruppen und Individuen, die an Frieden im Nahen Osten glauben, die nicht antisemitisch denken, die glauben, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser ein Recht auf ein eigenes Land haben und in Frieden zusammen leben können – also Leute, die nicht glauben, dass Israel unser Feind ist.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148035

Peter Nowak

Die Unsichtbaren fordern Rechte

Kantinenbeschäftigte in NRW und Hessen wehren sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen
Bei ihren Protesten gegen schlechte Arbeitsbedingungen beim Kantinenbetreiber Eurest erhalten die Beschäftigten auch Unterstützung von der weltweiten Gewerkschaft IWW.
»Ohne Mampf kein Kampf«, lautet ein vielzitierter Kalauer in linken Kreisen. In den vergangenen Monaten haben KantinenmitarbeiterInnen in Hessen und NRW deutlich gemacht, dass der Spruch auch umgestellt werden kann. „Ohne Kampf kein Mampf“ sagten sich Beschäftigte der Ford-Kantine des Ford-Entwicklungswerks in Köln-Merkenich. Sie gründeten zusammen mit sozialen Initiativen sogenannte Küchenkomitees. Diese Bündnisse warfen dem Kantinenbetreiber Eurest schlechte Arbeitsbedingungen und Mobbing in der Ford-Kantine vor. Mit ihrer Mobilisierung erreichten sie eine Öffentlichkeit über Deutschland hinaus. So bekamen die Beschäftigten der Kölner Fordkantine bei einem Aktionstag am  8. Februar 2010 sogar  internationale Unterstützung. An diesem Tag organisierten die Küchenkomitees nicht nur in Frankfurt/Main, Saarlouis und Köln, sondern auch in New York und London Protestaktionen vor Eurest-Filialen.   Unterstützt wurde der Kantinenkampf von der Industrial Workers of the World (IWW), die  in Deutschland bisher  kaum in Erscheinung getreten ist. In den USA hat sich die IWW, besser bekannt als Wooblies,  hingegen den Ruf einer kämpferischen Gewerkschaft erworben.
Von der NGG zur IWW
Bei manchen Kantinenbeschäftigten in  Deutschland hat sich die IWW mittlerweile Sympathien erworben. Dass wurde 2008 deutlich, als mit weiteren aktiven Gewerkschaftern auch Harald Stubbe zur IWW übergetreten ist. Der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Eurest-Kantine bei der Commerzbank Frankfurt/Main war 20 Jahre Mitglied der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Für sie sollte er 2008 als Mitglied der Tarifkommission den Haustarifvertrag zwischen Eurest und der NGG mit aushandeln. Die Kollegen hätten kampflos alles abgenickt, was von der Geschäftsleitung kam, lautet der Vorwurf, den Stubbe zum Gewerkschaftsübertritt veranlasst hat. Die Auseinandersetzungen des Kantinenpersonals hätten sich bisher auf Köln und Frankfurt konzentriert, aber die Arbeit der IWW werde bundesweit wahrgenommen, erklärte Stubbe gegenüber ND.   „Je schlechter die Abschlüsse von NGG und je höher der Arbeitsdruck in den Betrieben, desto mehr Anfragen gibt es“, betont Stubbe, der im Frühjahr 2010 auch als IWW-Aktivist wieder in den Betriebsrat gewählt worden ist. Der Umgang im Gesamtbetriebsrat sei auch von Seiten der NGG-Mitglieder entspannt, doch zwischen IWW und NGG gibt es keinen Kontakt, so Stubbe.  
Schwierige Organisierung
Von einem Nichtverhältnis spricht auch Sylvia Arzten, die bei der NGG-Hessen für die Kantinenbeschäftigten zuständig ist. Sie kann Stubbes Schritt nicht verstehen. Schließlich sei die IWW nicht tariffähig, erklärte sie gegenüber dem ND.  Die NGG sei mit der Mitgliederentwicklung im Kantinenbereich zufrieden.  Allerdings sei es oft nicht einfach, die dort Beschäftigten, überwiegend Frauen und migrantische Arbeitskräfte, zu organisieren. Da die Kapazitäten der NGG angesichts der geringen Zahl der Hauptamtlichen begrenzt seien, müsse die Initiative von den Beschäftigten ausgehen, so Arzten.
  Die nächsten Konflikte im Kantinensektor sind schon abzusehen. Eurest werde weiter versuchen,  Kostensenkungen auf dem Rücken der Belegschaft durchzusetzen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/175341.die-unsichtbaren-fordern-rechte.html

Peter Nowak

Rettungsinitiative in der Kritik

Gewerkschaftsintern ist der Vorstoß von DGB und Arbeitgeberverband zum Erhalt der Tarifeinheit nicht unumstritten

Die Initiative zur Rettung der Tarifeinheit, in der sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) zusammengetan haben, ist innerhalb der Gewerkschaften nicht unumstritten. Manche Gewerkschafter fordern den DGB gar zur Beendigung der Initiative auf.
»BDA und DGB wollen die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern«, heißt es in einem Papier, in dem die Bundesregierung von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und dem Deutschen Gewerkschaftsbund aufgefordert wird, die Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen. Grund für die seltene Koalition ist eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Ende Juni, nicht mehr am Grundsatz der Tarifeinheit festzuhalten. Danach hat bisher in dem Betrieb nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft, in der Regel des DGB, gegolten.

Keine Zwangsbindung per Gesetz

Diesen Zustand will man gewahrt sehen. »Überschneiden sich in einem Betrieb die Geltungsbereiche mehrerer Tarifverträge, die von unterschiedlichen Gewerkschaften geschlossen werden, so ist nur der Tarifvertrag anwendbar, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist«, heißt es daher in der BDA-DGB-Initiative.

Der Widerstand der Branchengewerkschaften, die sich dadurch an den Rand gedrängt fühlen, war zu erwarten. Doch auch bei Arbeitsrechtsrechtlern und innerhalb der DGB-Gewerkschaften erntet der Vorstoß Kritik.

So hält etwa der Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler nichts von der Rettung der Tarifeinheit durch DGB und BDA. »Das hätte zur Folge, dass die Minderheiten-organisation zwar eine Gewerkschaft ist, aber keine Möglichkeiten mehr hat, sich des wichtigsten gewerkschaftlichen Mittels zu bedienen«. Däubler gibt auch zu bedenken, dass in manchen Betrieben auch DGB-Gewerkschaften in diese Minderheitenrolle geraten könnten.

Seine Befürchtung wird auch von der bei ver.di organisierten Fachgruppe Verlage, Druck und Papier geteilt. »Wenn eine Konkurrenzorganisation einen Tarifvertrag abschließt, dann dürfen ver.di-Mitglieder nicht zwangsweise durch Gesetz an diesen Tarifvertrag und dessen Friedenspflichten gebunden werden«, heißt es in der Resolution der Kritiker.

Sie fordern den DGB auf, statt den Schulterschluss mit den Unternehmen zu üben, »zur Verteidigung von Streikrecht und Tarifautonomie« zurückzukehren. Auch der ver.di-Landesfachbereichsvor-stand Berlin-Brandenburg hat sich der Kritik angeschlossen und in einem offenen Brief an den ver.di-Vorstand zur Beendigung der DGB-BDA-Initiative aufgerufen: »Es gibt keine Alternative zur gewerkschaftlichen Überzeugungsarbeit, zur gewerkschaftspolitischen Auseinandersetzung und zum Streik für die Durchsetzung der eigenen Forderungen«, heißt es dort.

Auch das Netzwerk linker Gewerkschaftler kritisiert die DGB-BDA-Kooperation scharf und verteidigt die Organisationsfreiheit auch für Gewerkschaften außerhalb des DGB. Es gehe hier gegen kämpferische Branchenverbände, aber auch Organisationen wie die anarchosyndikalistische Freie Arbeiterunion (FAU), die in der Vergangenheit gezeigt hätten, dass sie zur Durchsetzung ihrer Interessen auch mal streiken.

Ausführliche Diskussion fehlte

Der DGB-Vorstand steht zur Kooperation mit dem BDA, auch wenn die Gründe für die Verteidigung der Tarifeinheit bei beiden Organisationen unterschiedlich seien. Es handele sich nicht um einen einsamen Beschluss des DGB-Vorstands, sondern es habe Absprache mit den Einzelgewerkschaften gegeben, meinte Claudia Falk von der DGB-Pressestelle gegenüber ND. Von kritischen Stimmen habe sie noch nichts gehört. Allerdings hält sie es für ganz normal, wenn über ein solches Thema gewerkschaftsintern kontrovers diskutiert werde.

Nicht wenige Gewerkschafter fragen sich dagegen aber, warum man nicht eine ausführliche gewerkschaftsinterne Diskussion abgewartet hat, bevor die Initiative in die Wege geleitet wurde.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/175344.rettungsinitiative-in-der-kritik.html

Peter Nowak

Linke in Weißensee im Visier der Neonazis

RECHTE Polizei unterbindet offenbar Angriff von Neonazis auf linkes Wohnprojekt – und schweigt

Planten Neonazis in den frühen Morgenstunden des 9. Juli einen Angriff auf das linke Wohn- und Kulturprojekt Kubiz in Weißensee? Die North East Antifascists (NEA), eine seit Jahren im Nordosten Berlins aktive Antifagruppe, hat in einer Pressemeldung berichtet, dass gegen zwei Uhr morgens eine achtköpfige Neonazigruppe in unmittelbarer Nähe des Kubiz von der Polizei gestoppt worden sei. Die Rechten hätten zuvor rund um den Weißen See Neonaziparolen gesprüht, unter anderem „NS Jetzt!“, „Nazi-Area“ und „FNBM“ – das Kürzel der neonazistischen Kameradschaft Freie Nationalisten Berlin Mitte.

Ein NEA-Mitglied berichtet, dass „Linke aus dem Kiez“ beim Chillen rund um den See zufällig auf die Aktivitäten der Rechten aufmerksam geworden seien. Auch die Polizei sei den Rechten gefolgt. Das bestätigte ein Polizeisprecher gegenüber der taz: „Die Männer führten zwei Teleskopschlagstöcke, zwei Dosen Pfefferspray, zwei Teppichmesser und eine Farbspraydose mit.“ Konkrete Ansatzpunkte für einen Angriff auf das Kubiz seien nicht gefunden worden, konnten aber auch nicht ausgeschlossen werden, so die Polizei. Die Polizei habe gegen die Rechten einen Platzverweis rund um das Kubiz ausgesprochen. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. „Es handelt sich hier um einen Sachverhalt, der für die Öffentlichkeit von großem Interesse ist und eine Pressemeldung erfordert hätte“, sagte der Polizeisprecher zudem selbstkritisch. Wegen zahlreicher Demonstrationen am vergangenen Wochenende sei die Meldung von der Pressestelle versäumt worden. Die NEA hatte in ihrer Pressemeldung moniert, dass die Polizei keine öffentliche Stellungnahme abgegeben habe.

So ist es wahrscheinlich, dass die Neonazis eine Sprühaktion am Kubiz planten. Schon am 4. Mai 2010 waren auf das Gebäude rechte Parolen und Symbole gesprüht worden, darunter das Kürzel und die Internetadresse der Freien Nationalisten Mitte. Die Gruppe scheint sich bevorzugt vor linken Projekten zu produzieren. So postierten sich am 19. April FNBM-Aktivisten mit einem Transparent, das zum rechten Aufmarsch am 1. Mai mobilisierte, vor dem linken Weddinger Hausprojekt Schererstraße 8.

Ein Kubiz-Bewohner sieht in den rechten Sprühaktionen eine Bedrohung der BewohnerInnen und BesucherInnen des Projekts. Zumal es auch in der unmittelbaren Nachbarschaft bekennende Rechte gebe. Vor drei Wochen habe einer von ihnen einen Kubiz-Besucher zusammengeschlagen. Zuvor habe er sein Opfer gefragt, ob er etwas mit dem Kubiz zu tun hat

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F07%2F16%2Fa0164&cHash=b563ad865f

Peter Nowak

BP-Boykott?

Im Gegensatz zur Brent-Spar-Boykottkampagne vor 15 Jahren gegen Shell, gibt es gegen BP in Deutschland kaum Protestaktionen
Während rund um die Welt der Ölaustritt am Meeresgrund des Golf von Mexico per Webcam vom Schreibtisch aus beobachtet werden konnte, scheint die Umweltbewegung in Deutschland auf Tauchstation gegangen zu sein. Von Protestaktionen gegen BP hat man hierzulande bisher wenig gehört.

Dabei hatte die Nordelbische Kirche 1995 die bundesweit größte Boykottkampagne gegen den Shell-Konzern initiiert, weil er mit der Brent Spar eine Ölplattform in der Nordsee entsorgen wollte, die maximal 100 Tonnen Öl enthalten haben soll. Fälschlich wird dieser erfolgreiche Boykott Greenpeace zugeschrieben, weil deren Aktivsten die Ölplattform besetzt und damit das Thema populär gemacht hatten.

Nicht nur auf BP zeigen

Auch anlässlich des Öldesasters im mexikanischen Golf führt Greenpeace drastisch die Folgen vor Augen, will aber nicht zu einem BP-Boykott aufrufen. Es sei zu kurz gegriffen, nur BP zu kritisieren: „Während BP im Golf von Mexiko versagt, ist Shell weiter am Ölsandabbau in Kanada beteiligt – einem massiven Umweltverbrechen. Shell hält auch an Plänen zur Ölbohrung in der Arktis fest. In den arktischen Gewässern von Alaska ist heute noch, 21 Jahre nach der Havarie, frisches Öl aus der Exxon Valdez im Meer zu finden“, so Greenpeace in seiner Erklärung.

 Ähnlich argumentieren auch andere Umweltverbände, die sich skeptisch zu einem BP-Boykott äußern. Unbeeindruckt von solchen Argumenten wächst im Internet die Zahl der Boykottbefürworter. Auch die Stiftung Ethecon hat mit einem eigenen Boykottaufruf die Diskussion angeheizt. Der Boykott soll solange andauern, bis der Multi sich verpflichtet, für die materiellen Schäden und Folgewirkungen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko aufzukommen. Kritiker meinen etwa hingegen: Don’t boycott BP, boycott oil. 
 
http://www.heise.de/tp/blogs/2/148015

Peter Nowak

Mit Sankara gegen Sapi

In einer kolossalen Statue will der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade die afrikanische Renaissance symbolisiert sehen. Die meisten Senegalesen spüren wenig von der Wiedergeburt. Dennoch wächst die Zahl derer, die lieber im Land bleiben, als ihr Glück im ungastlichen Europa zu suchen.

Der Hüne blickt siegesgewiss in die Ferne. Er hält ein Kind in die Höhe, mit der linken Hand zieht er eine Frau hinter sich her. Dieses Monument am westlichen Rand der senegalesischen Hauptstadt Dakar ist der afrikanischen Renaissance gewidmet. Deshalb wurde die 49 Meter hohe Bronze­statue auch am 4. April dieses Jahres eingeweiht, am 50. Jahrestag des Abzugs der französischen Soldaten aus dem Senegal.

Doch auch Monate nach der offiziellen Zeremonie ist die Kritik an dem Monument im Senegal nicht verstummt. Es diene eher dem Ego des Präsidenten Abdoulaye Wade als der afrikanischen Renaissance, monieren Oppositionspolitiker. Der Präsident macht es seinen Kritikern auch leicht. So reklamiert Wade das geistige Eigentum an der Statue für sich und beansprucht deshalb 35 Prozent der Erlöse, die durch Eintrittsgeld erzielt werden sollen. Bisher hat der Koloss allerdings nur Ausgaben verursacht. Der Bau verzögerte sich wegen technischer Probleme und hat mindestens 27 Millionen Euro gekostet. Das komfortable Konferenzzentrum unterhalb des Monuments ist noch immer geschlossen.
Auch die Ästhetik der Statue, die an den sozialistischen Realismus der fünfziger Jahre erinnert, sorgt vor allem bei senegalesischen Intellektuellen für Spott. »Warum musste auch ausgerechnet eine nordkoreanische Baubrigade mit der Errichtung eines Monuments beauftragt werden, das die afrikanische Wiedergeburt symbolisieren soll?« Diese Frage stellt sich auch der zwischen seiner Herkunftsstadt Dakar und Berlin pendelnde Künstler Mansour Ciss. Über den derzeitigen Zustand des Senegal und Westafrikas macht er sich in seinen Arbeiten eigene Gedanken, und deren Ergebnisse sind weniger heroisch als Wades Monument.

Auf der diesjährigen Dak’ Art, einer der wichtigsten afrikanischen Ausstellungen für zeitgenössische Kunst, ist Ciss mit seinem Afro-Projekt vertreten. Nach dem Vorbild des Euro und des Dollar hat er Geldscheine einer nicht existierenden afrikanischen Währung gestaltet. Ciss will problematisieren, dass rund 50 Jahre nach der Unabhängigkeit die Währung der von Frankreich kolonisierten westafrikanischen Staaten noch immer den Namen Franc trägt. Ob eine afrikanische Währung tatsächlich einen Beitrag für die afrikanische Unabhängigkeit leisten könnte, lässt er offen. Auf den Einwand, dass eine Einheitswährung für den gesamten Kontinent schon wegen der wirtschaftlichen Disparitäten zwischen Ländern wie Senegal, Nigeria und Südafrika derzeit kaum durchzusetzen wäre, entgegnet Ciss, er sei kein Ökonom, sondern Künstler. Auch ihm geht es um Symbolik, aber anders als der Präsident verbraucht er dafür nicht Tonnen von Kupfer, sondern nur Papier.

Auf einem der von Ciss gestalteten Afro-Scheine ist das Konterfei Thomas Sankaras zu sehen, eines Offiziers, der den westafrikanischen Staat Burkina Faso vier Jahre lang regierte und 1987 von Militärs ermordet wurde (Jungle World, 41/07). Dass Sankara nicht nur ein Motiv für Künstler ist, sondern bei der Jugend in vielen Ländern des Kontinents den Status eines afrikanischen Che Guevara genießt und wie dieser häufig auf T-Shirts und Plakaten abgebildet wird, liegt an seinen Sozialprogrammen, die als »Marktfrauen­sozialismus« bekannt wurden. Sankaras Regierung ließ die teuren Limousinen seiner Vorgänger verkaufen, er förderte Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und die Frauenemanzipation. Gegen den heftigen Widerstand islamischer Gruppen wurde die Genitalverstümmelung verboten, die Polygamie bekämpft und ein ehrgeiziges Verhütungsprogramm aufgelegt. Auf ökonomischem Gebiet förderte die Regierung die Produktion von Textilien im Land und drosselte die Importe aus Europa.

Die Initiativen, die sich heute in ganz Westafrika auf Thomas Sankara berufen, sehen in der ökonomischen Entwicklung den Schlüssel für die afrikanische Unabhängigkeit. »Eine Bevölkerung, die Hunger und Durst leidet, ist abhängig. Wir müssen den Hunger besiegen und die Menschenwürde wiederherzustellen, um unabhängig zu werden«, so lautete Sankaras Credo. Seine Anhänger verstehen das auch als Kritik an der teuren Symbolpolitik Wades.

Auf ökonomischem Gebiet folgt Wades Parti Démocratique Sénégalais, die im Jahr 2000 als »Partei der sozialen Forderungen« die Wahlen gewonnen hatte, weitgehend den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds und der einstigen Kolonialmacht Frankreich, bei der Senegal Ende 2008 einen Notkredit in Höhe von 83 Millionen Dollar aufnehmen musste, um die Gehälter der Staatsangestellten bezahlen zu können. Allerdings konzedieren auch Wades Kritiker, dass dessen Regierung in der Bildungspolitik einige Erfolge vorzuweisen hat. Tatsächlich findet man auch in ärmeren Stadtteilen von Dakar Schulgebäude in gutem Zustand. Viele scheinen erst vor kurzem renoviert worden zu sein. Die Zahl der Analphabeten ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was die Regierung als Ergebnis ihrer Politik darstellt. Allerdings müssen viele Kinder nach der Schule arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. In Dakar findet man im Schatten hoher Bäume komplette Textilwerkstätten, in denen Kinder und Jugendliche tätig sind. Sie sind dort vor Sonne, Sand und Autoabgasen besser geschützt als das Heer der Straßenverkäufer, unter denen es ebenfalls viele Minderjährige gibt und die auf allen großen Straßen und Plätzen ihr schier unerschöpfliches Warensortiment anbieten.

Weil die Zahl der Mobiltelefone in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen hat, sind Telefonkarten der große Renner. Vor allem bei Touristen sind T-Shirts, die eine besondere senegalesische Note aufweisen, sehr begehrt. Wem ein Landeswappen oder eine Stadtansicht von Dakar zu konventionell sind, der kann für umgerechnet drei Euro ein T-Shirt mit der Aufschrift erwerben: »Wenn Du mich nicht in Ruhe lässt, gehe ich zurück in den Senegal.« Der Spruch wurde von Auswanderern in Frankreich erfunden, die damit ironisch auf Diskriminierungen reagierten. Sie, die immer wieder aufgefordert werden, in ihre Herkunftsländer zurückzugehen, drohten den Franzosen, sie ihre schlecht bezahlten Jobs alleine machen zu lassen.

Die Migration überwiegend junger Menschen wird im Senegal zunehmend kritisch gesehen. Noch in den neunziger Jahren war die Auswanderung nach Westeuropa der Traum vor allem junger und gut ausgebildeter Senegalesen. Die mit der Abschottung Europas verbundenen Erschwernisse der Migration und die schlechte Behandlung derjenigen, die es bis auf den Kontinent geschafft haben, stellten dieses idealisierte Bild Europas in Frage. Das hat vor allem Konsequenzen für diejenigen, die es nicht geschafft haben, sich in Europa eine Existenz aufzubauen. Lange Zeit wurden sie im Senegal als Versager stigmatisiert. Mittlerweile kümmern sich Organisationen um die Menschen, die aus Europa abgeschoben oder schon während der Migration aufgegriffen und zurückgeschickt worden sind. Wie in anderen afrikanischen Ländern beginnen auch im Senegal die Zurückgekehrten, sich zu organisieren.

Diese Initiativen stellen die Frage, ob die jungen Menschen nicht im Land bleiben und dort für eine bessere Zukunft eintreten sollten, statt den gefahrvollen Weg nach Europa zu wählen. Auch in der senegalischen Populärkultur hat sich dieser Wandel niedergeschlagen. Früher wurden erfolgreiche Auswanderer als Helden besungen, über die Gescheiterten wurde geschwiegen. Das hat sich geändert. Der im Senegal populäre Rapper Didier Awadi fragt in seinen Songs mittlerweile, ob die afrikanische Jugend nicht Europa den Rücken kehren und sich in ihren Ländern für grundlegende Veränderungen einsetzen sollte. In seinem Studio im Zentrum von Dakar hängen Plakate von Thomas Sankara, dem ersten ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah, von Frantz Fanon, Martin Luther King und Malcolm X. In seinen Protestsongs sampelt er Ausschnitte aus ihren Reden.

Auch Pape Amadou Fall und Cheikhou Coulibaly singen über die Schwierigkeiten der Migration und rufen die Jugend dazu auf, im Land zu bleiben. Allerdings geht es in ihren Texten um den Zusammenhalt und weniger um Veränderungen. Das Duo füllt den Saal, wenn es einmal in der Woche weit nach Mitternacht in einen Club in einem Vorort von Dakar auftritt. Die Musiker sind populär. Im Senegal sagen viele, Präsident Wade habe ihnen sogar den Wahlsieg im Jahr 2000 zu verdanken. Damals hatten sie mit »Yatal Gueew« die Hym­ne der um Wade vereinten Opposition geschrieben, die bald im ganzen Land bekannt geworden war. In diesem Song vergleichen Pape & Cheikh den Senegal mit einem großen Boot, das nicht kentern darf. Es gelte, Ruhe zu bewahren, um in den stürmischen Zeiten der Wahl den Hafen der Demokratie zu erreichen.

Damals wurde die seit 40 Jahren regierende Sozialistische Partei abgewählt, das von vielen befürchtete Chaos blieb aus. Noch in der Wahlnacht erkannte der abgewählte Abdou Diouf seine Niederlage an und gratulierte dem Gewinner Abdoulaye Wade. Noch immer schreiben viele Senegalesen dem Song »Yatal Gueew« eine demokratiefördernde Wirkung zu. Die Musiker widersprechen dem nicht und genießen ihre Popularität. Auch wenn ihnen Präsident Wade ein Haus in Dakar geschenkt hat, erscheinen Pape & Cheikh auf der Bühne noch immer als die einfachen Jungs aus dem Dorf, und für ihre Fans ist das keine Attitüde.

Populär bei der Jugend in den Vororten von Dakar sind die beiden auch, weil sie in Wolof singen. Ursprünglich die Sprache einer Bevölkerungsgruppe, wird Wolof mittlerweile von etwa 80 Prozent der Senegalesen gesprochen. Viele, die sich dieser Sprache bedienen, wollen sich bewusst von der frankofonen Oberschicht distanzieren.

Auch Präsidenten Wade will sich nun als Förderer des Wolof bei der Bevölkerung beliebt machen. Das ist ein Bruch mit der Politik Leopold Senghors, des ersten Präsidenten des unabhängigen Senegal, der ein erklärter Freund Frankreichs war und als Literat auch in französischer Sprache geschrieben hat. Die senegalesische Führungsschicht kommunizierte damals auf Französisch. So war es eine Sensation, als der senegalesische Universalgelehrte Cheikh Anta Diop in den siebziger Jahren als Präsidentschaftskandidat einer panafrikanischen Partei einen Wahlkampf nur auf Wolof führte. Viele Stimmen hat er damals nicht bekommen. Doch die größte Universität des Landes in Dakar wurde nach dem 1986 verstorbenen Anta Diop benannt.

Ein Kreis von Wissenschaftlern kümmert sich um die Förderung und Aktualisierung der Arbeiten Anta Diops. In der Universität sind mehrere Räume seinem wissenschaftlichen und politischen Lebenswerk gewidmet. Mit seiner These, die altägyptische Kultur sei eine originär afrikanische gewesen, sorgte Diop in den fünfziger Jahren in Paris für einen heftigen Streit unter Wissenschaftlern. Er musste jahrelang um seine akademische Reputation kämpfen. Viele junge Intellektuelle und Künstler sehen in Diop einen Vorkämpfer der afrikanischen Renaissance. Ob er heute im Senegal bei Wahlen mehr Stimmen gewinnen würde als vor 30 Jahren, ist allerdings fraglich.

Denn ein Großteil der armen Bevölkerung muss sich im Alltag mit sozialen Problemen herumschlagen, die seit dem Amtsantritt Wades eher noch gewachsen sind. Dem senegalischen Armutsbericht zufolge haben mehr als zwei Drittel der Familien keine ausreichende Ernährung. Auch die schlechte Strom- und Wasserversorgung und das desolate Straßensystem sind ein häufiger Anlass für Kritik. Immer wieder kommt es zu Protesten. So organisierten einige Verbrauchverbände am 30. März 2008 eine Demonstration gegen die Erhöhung der Lebenshaltungskosten (Jungle World, 15/08). Nachdem alle Demonstrationen verboten worden waren, kam es in Dakar zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften.

Derzeit beschäftigen sich die sozialen Bewegungen vor allem mit der Privatisierungspolitik. So soll die senegalesische Gesellschaft für die Vermarktung von Ölsaaten (Sonacos) verkauft werden. Sie kauft den Bauern ihre Erdnussernte ab und verarbeitet sie zu Öl, das von der Gesellschaft auch vermarktet wird. Ein Vertreter des senegalesischen Bauernverbandes CNCR beschreibt die Rolle der Sonacos: »Sie ist ein unentbehrliches Element in einem Wirtschaftszweig, der in einem Jahr mit guter Ernte einen Profit von mehr als 70 Milliarden CFA (umgerechnet 106 Millionen Euro) erwirtschaftet. Ihre Tätigkeit kommt den Bauern, aber auch den Transportunternehmen, Zulieferern und Banken zugute.« Eine Privatisierung der Sonacos könnte insbesondere den Bauern schaden, befürchtet die CNRC. Zudem ist die staatliche Landwirtschaftliche Sparkasse schon teilprivatisiert worden, und die Unterstützungs- und Dienstleistungsstrukturen für die Bauern wurden in den vergangenen Jahren reduziert.

Viele Senegalesen haben mit der Privatisierungspolitik im Alltag schlechte Erfahrungen gemacht. So habe sich nach dem Verkauf des staatlichen Elektrizitätsunternehmens Senelec der Service verschlechtert. »Die Ineffizienz des Strombetriebs ist ebenso sattsam bekannt wie all die Probleme, die daraus für die Preise, die Finanzierung, die Stromausfälle und die ungleiche Stromversorgung resultieren«, heißt es in einem Bericht von Assises nationales du Senegal, einem Bündnis, in dem sich NGO zusammengeschlossen haben. Es beteiligt sich auch an der Vorbereitung des Weltsozialforums, das im Februar 2011 in Dakar stattfinden soll. Der Widerstand gegen die Privatisierung wird dort ein wichtiges Thema sein, ebenso der Umgang mit der Migration.

Die sozialen Bewegungen im Senegal werden dort auch deutlich machen, dass eine Debatte über die afrikanische Renaissance, wie sie die Regierung führt, die sozialen Probleme nicht löst. Viele Aktivisten sprechen Wolof. In dieser Sprache gibt es für »schlechtes Leben« einen Begriff, er heißt Sapi und kann auch mit Bitterkeit übersetzt werden.

http://jungle-world.com/artikel/2010/27/41273.html

Peter Nowak

Verbot für Hamas-Unterstützer in Deutschland

Bundesinnenminister de Maizière verbietet die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH)
Heute hat das Bundesinnenministerium den Verein „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation“ (IHH) mit der Begründung verboten, die Tätigkeit der IHH sei gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Damit verstoße sie gegen Artikel 9 Abs. 2 GG / § 3 Abs. 1 des Vereinsgesetzes.

Als Begründung führte Bundesinnenminister Thomas de Maizière an, dass die IHH unter dem Deckmantel der Humanität Unterstützungsarbeit für Sozialorganisationen leiste, die der im Gazastreifen regierenden islamistischen Hamas unterstehen. „Die Hamas übt Gewalttaten gegenüber Israel und israelischen Staatsbürgern aus und beeinträchtigt dadurch die friedliche Verständigung des israelischen und palästinensischen Volkes“, heißt es in der Erklärung des BMI.

Der IHH wird vorgeworfen, durch Zuwendungen an die Sozialorganisationen „in Wahrheit die Terrororganisation Hamas als Ganzes“ zu unterstützen. In der Verbotsbegründung heißt es:

„Dadurch trägt die IHH zum einen dazu bei, den Einfluss der Hamas wegen ihres vermeintlichen sozialen Engagements weiter zu steigern. Zum anderen wird das Gesamtbudget der Hamas entlastet, so dass ihr mehr Mittel für terroristische Aktivitäten zur Verfügung stehen. Damit leistet die IHH dem Terror und der Gewalt in den palästinensischen Gebieten Vorschub.“

Ob diese Einschätzung einer späteren juristischen Prüfung standhalten wird, muss sich zeigen, hat aber keine aufschiebende Wirkung. Das Verbot wurde sofort vollzogen.

In Hessen, Hamburg und NRW wurden Büros der IHH durchsucht; ihre Website wurde abgeschaltet. Es ist sicher kein Zufall, dass das Verbot nur wenige Wochen nach einer der spektakulärsten von IHH-Organisationen gesponserten Aktionen erfolgte. Die von israelischen Militärs gestoppte sogenannte Gaza-Solidaritätsflotte war wesentlich vom türkischen Zweig der IHH organisiert. Die dortige Organisation hat auch gute Kontakte zur gegenwärtigen türkischen Regierung.

Der Bundesinnenminister ließ selber keinen Zweifel, dass das IHH-Verbot mit dem Nahostkonflikt im Zusammenhang steht:

„Das geradezu zynische Verhalten der IHH kommt schon in der Vereinsbezeichnung „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation“ zum Ausdruck. Sie missbraucht die Hilfsbereitschaft gutgläubiger Spender, um mit dem für vermeintlich gute Zwecke gespendeten Geld im Ergebnis eine terroristische Organisation zu unterstützen.

Organisationen, die sich unmittelbar oder mittelbar von deutschem Boden aus gegen das Existenzrecht des Staates Israel richten, haben ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit verwirkt.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148006

Peter Nowak

Soll man BP boykottieren?

Zu einem internationalen Boykott gegen den Ölkonzern BP und seine Tochterfirmen hat die »Stiftung für Ethik & Ökonomie« Ethecon aufgerufen. Dieser Boykott soll andauern, bis der Multi sich verpflichtet hat, für die materiellen Schäden und Folgewirkungen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko aufzukommen.

Na endlich, ist man versucht zu sagen. Schließlich sind mittlerweile mehr als 1000 Kilometer der US-Küste ölverseucht und ein Ende des Ölflusses ist nicht abzusehen. Doch während rund um die Welt der Ölaustritt am Meeresgrund per Webcam beobachtet werden kann, scheint die Umweltbewegung auf Tauchstation gegangen zu sein. Dabei war es Greenpeace Mitte der 90er Jahre gelungen, mittels einer internationalen Kampagne den Ölkonzern Shell unter Druck zu setzen, als er die Brent Spar, ein schwimmendes Erdöllager, am Grunde der Nordsee entsorgen wollte. Knapp 100 Tonnen Öl reichten damals für eine bundesweite Boykottkampagne.

Die Kampagne gegen Brent Spar wurde zum Symbol einer neuen Verbrauchermacht, zeigte aber auch schnell deren Grenzen. Denn es gibt eben nicht die vielen guten neben einzelnen besonders bösen Ölmultis. Sämtliche Ölkonzerne bohren nach Öl, wo sie können. Und eine sichere Ölbohrung gibt es so wenig wie sichere AKW. Doch solange Millionen Autos von diesem Öl abhängen, wird es kaum je einen Boykott gegen all diese Konzerne geben. Wäre dem Ethecon-Aufruf Erfolg beschieden, beschleunigte sich vielleicht der Abstieg von BP zum Übernahmekandidaten für einen der Konkurrenten. Doch das Problem riskanter Tiefseebohrungen bleibt. Bleiben also nur Lethargie und die Hoffnung auf technische Lösungen?

Nein, der Unfall müsste genutzt werden, um die Irrationalität des ölbasierten Verkehrssystems aufzuzeigen und Alternativen zu fördern. Dazu gehört in erster Linie ein preisgünstiger öffentlicher Nahverkehr, der vielen PKW-Nutzern den Umstieg attraktiv macht. Diesen Wandel würden die Ölkonzerne spüren. Und er brächte sozial gerechtere Mobilität.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/175036.soll-man-bp-boykottieren.html

Peter Nowak

Armut wohnt an der Autobahn

Linkspartei legt Studie über die Folgen des Baus innerstädtischer Betonschneisen vor
Die Ergebnisse einer repräsentativen Studie zu den Folgen des innerstädtischen Autobahnbaus für die Anwohner lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wohngebiete entlang der Stadtautobahn weisen einen deutlich höheren Anteil von Erwerbslosen und sozial Benachteiligten auf. Das betreffe alle Bevölkerungsgruppen, betonte Sigmar Gude vom Stadtforschungsbüro TOPOS, das die Untersuchung im Auftrag der Linksfraktion des Bundestages gestern vorstellte. Untersucht wurde je ein Wohngebiet in Berlin und in Essen.

Handynummer eintragen und mit Glück und Geschick gewinnen:    >>hier klicken<<  »Beschäftigte, die in Autobahnnähe wohnen, haben niedrigere Einkommen, und auch die Renten älterer Bewohner sind in der Nähe der Autobahnen geringer«, so Gude. Autobahn-Anwohner haben ein um fast 50 Prozent höheres Armutsrisiko und sind um ein Drittel häufiger arbeitslos. Deshalb besitzen sie oft kein Auto. »Sie leiden unter den Folgen eines Individualverkehrs, an dem sie selber kaum beteiligt sind«, resümierte der Stadtforscher.

Der Zustand der Wohnhäuser ist nach der Studie schlechter, je näher sie an der Autobahn stehen. Der Leerstand nimmt zu. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutzmaßnahmen werden oft nicht eingehalten. So waren in einem großen Teil der autobahnnahen Wohnungen in Essen keine Lärmschutzfenster eingebaut, obwohl die gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Heidrun Bluhm, nennt einen Grund für dieses Nichteinhalten geltender Bestimmungen: Lärmschutzmaßnahmen werden nur durchgeführt, wenn sie von den Anwohnern eingefordert werden. »Wenn die aber ihre Rechte gar nicht kennen, gehen sie leer aus«, so Bluhm. Die Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch kritisierte die Haltung vieler Länderpolitiker, die den Autobahnbau mit dem Argument befürworten, die Gelder dafür kämen vom Bund und müssten nun mal ausgegeben werden. Die sozialen Folgekosten des Autobahnbaus würden dabei oft nicht berücksichtigt, kritisiert auch Bluhm.

Das wird auch daran deutlich, dass Gude die bundesweit erste Studie erstellt hat, die die Auswirkungen des Autobahnbaus auf die Bewohner untersucht. Für Bluhm besteht die Konsequenz aus der Studie im Eintreten für eine Verkehrspolitik, »die Verkehr reduziert und vermeidet«.

Diese Forderung dürfte im Berliner Senat noch für viele Diskussionen sorgen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Woworeit will an der Verlängerung der Stadtautobahn A 100 von Neukölln nach Treptow festhalten und hat dafür auf dem jüngsten Landesparteitag seiner SPD eine knappe Mehrheit bekommen. Grüne und die LINKE lehnen das Projekt wie auch weiterhin große Teile der SPD ab.

Somit dürfte die Studie Wasser auf die Mühlen der Gegner des Projekts sein. Für die Verkehrsexpertin der Berliner Linksfraktion, Jutta Matuschek, weisen die Ergebnisse auf eine »fatale Perversion der Stadtentwicklung im Gefolge von Autobahnbauten hin«. Die angeblichen oder tatsächlichen Entlastungen in von Autobahnen entfernteren Quartieren gingen zu Lasten der ärmsten Bevölkerung. Matuschek fordert jetzt Lösungen, die den Weiterbau der A 100 entbehrlich machen.

Auch der außerparlamentarische Widerstand gegen das Projekt wächst. In den letzten Wochen haben die Aktionen der Autobahnkritiker zugenommen. Auf der heutigen Megaspree-Demonstration werden die A 100-Gegner einen der geplanten Sternmärsche organisieren.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/174962.armut-wohnt-an-der-autobahn.html

Peter Nowak

Tag des journalistischen Schweigens in Italien

Journalisten und ihren Verbände protestieren gegen ein von der Berlusconi-Regierung geplantes Abhör- und Mediengesetz, das als Knebelgesetz bezeichnet wird
Am 9. Juli sind in Italien viele Zeitungen, darunter der Corriere della Sera, L’espresso und La Stampa, nicht erschienen. Der Grund ist ein Protesttag von Journalisten und ihren Verbänden gegen ein von der Berlusconi-Regierung geplantes Abhör- und Mediengesetz. Das Gesetz wurde im italienischen Senat schon mit der Mehrheit der Regierungskoalition verabschiedet und soll Ende Juli im Abgeordnetenhaus beraten werden.

 
Webseite des L’espresso am heutigen Freitag 

Der Protest scheint zunächst zu überraschen. Schließlich soll mit dem Gesetz das in Italien weitverbreitete Abhören von Telefonaten unterbunden und die Strafen für das Veröffentlichen von illegal abgehörten Gesprächen erhöht werden. Das umstrittene Gesetz sieht auch Haftstrafen für Journalisten und Geldbußen für Verleger vor, die bei Ermittlungen abgehörte Telefonate unerlaubt veröffentlichen. Strafen drohen zudem, wenn Dokumente von Strafverfahren publiziert werden, bevor die Untersuchungen abgeschlossen sind und der Gerichtsprozess beginnt. Journalisten, die keine Mitglieder eingetragener Journalistenvereinigungen sind, drohen Haftstrafen, wenn sie bei ihren Recherchen versteckte Kameras oder Audio-Aufnahmegeräte verwenden.

 
Online-Protest der Leser auf der Website von la Repubblica 

Hier setzt die Kritik der Pressevertreter an. Sie befürchten stärkere Restriktionen, wenn sie über Affären und Skandale berichten, in die Regierungsmitglieder verwickelt sind. Die Furcht ist nicht grundlos. Schließlich hat die italienische Regierung ihre auf den ersten Blick datenschutzfreundliche Gesetzesinitiative erst vorgelegt, nachdem mehrere Minister durch die Veröffentlichung von teilweise illegal aufgenommenen Telefonaten kompromittiert worden sind. Deshalb sprechen die Journalisten von einem Maulkorbgesetz, mit dem sich die Regierung eine rechtliche Handhabe gegen ihre Kritiker schafft.

Dieser Einschätzung schließt sich auch die Organisation Reporter ohne Grenzen an, die den Journalistenprotest [www.reporter-ohne-grenzen.de/presse/pressemitteilungen/news-nachrichten-single/article/1/rog-unterstuetzt-streik-italienischer-journalisten-gegen-abhoergesetz.html unterstützt], weil durch das Abhörgesetz „die journalistische Berufspraxis in Frage gestellt wird und die italienischen Medien daran gehindert werden, in angemessener Weise zu recherchieren“.

Hoffnung auf Fini

Trotz komfortabler Mehrheiten der Rechtskoalition ist ein Erfolg der Kritiker des Abhörgesetzes nicht ausgeschlossen. Sie könnten vom Dauerzwist zwischen Berlusconi und dem ehemaligen Vorsitzenden der italienischen Neofaschisten Fini profitieren. Im Machtkampf der beiden Rechtspolitiker hat sich Fini mehrmals kritisch über das Abhörgesetz geäußert. Als Vorsitzender der italienischen Abgeordnetenkammer kann er die Verabschiedung zumindest erheblich verzögern.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147990

Peter Nowak

Immer auf die eigene Kraft vertraut

Seit den 1970er Jahren ist die gewerkschaftslinke Gruppe GoG bei Opel in Bochum aktiv
GoG-Mitbegründer Wolfgang Schaumberg war am Mittwoch in Berlin, um über die Geschichte der Gruppe zu sprechen. Die drei Buchstaben stehen heute für »Gegenwehr ohne Grenzen«. Gegründet hatte man sich dagegen in den bewegten 70er Jahren als Gewerkschaftliche Oppositions-Gruppe.
»In 10 Jahren können wir vielleicht die Machtfrage bei Opel stellen«, hat ein selbstbewusster Gewerkschafter einmal gesagt. Das war Anfang der 1970er Jahre. Nicht nur an den Universitäten, auch in den Nicht nur an den Universitäten auch in den Betrieben wuchs die Unruhe. Erstmals gab es auch in der BRD nicht vom DGB kontrollierte, sogenannte wilde Streiks. Damals gründeten unzufriedene Arbeiter gemeinsam mit Studierenden, die die Arbeiterklasse entdeckt hatten, bei  Opel-Bochum die Gewerkschaftliche   Oppositions-Gruppe (GoG). Anders als viele Neugründungen jener Jahre gibt es die GoG noch immer. Nach Auseinandersetzungen mit der DGB-Führung nannte sie sich in  Gegenwehr ohne Grenzen um. „Das war das einzige Zugeständnis, das wir  gemacht haben, als wir nach mehrjährigen Gewerkschaftsausschlüssen wieder in den DGB aufgenommen wurden, meinte Wolfgang Schaumberg am Mittwochabend in Berlin. Dort sprach der    GoG-Mitbegründer und langjährige Opel-Betriebsrat über die Geschichte der Gruppe. Konflikte hat es in der 38jährigen Geschichte viele gegeben, nicht nur mit dem DGB. „Wir haben die Ausschlüsse nicht so ernst genommen und unsere Politik fortgesetzt.

Kein Ende der Arbeiterbewegung
Anfang der 80er Jahre gab es bei der  GoG eine große Zäsur. Ein Teil der Akademiker verließ die Fabrik, beendete das Studium oder widmete sich anderen Tätigkeiten. Gleichzeitig verschlechterten sich mit der beginnenden Massenarbeitslosigkeit die Kampfbedingungen. Statt der Abschaffung des Kapitalismus stand nun der Erhalt der Arbeitsplätze im Mittelpunkt. Doch die GoG-Aktivisten stellten sich schnell auf die neuen Herausforderungen ein. Sie versuchten sie  Antwort auf die Globalisierung des Kapitals eine Bewegung der Lohnabhängigen zu organisieren. Deshalb reisten viele GoG-Aktivisten zu Opel-Werken in anderen europäischen Ländern und sogar in die USA. „Im Nachhinein muss ich selbstkritisch einschätzen, dass wir zu viel mit      Gewerkschaftsfunktionären und zu wenig mit der Basis Kontakt hielten, meint Schaumberg heute selbstkritisch. 
Die Zahl der Betriebsmandate der GoG ist in den letzten Jahren geschrumpft und seit den letzten Betriebsratswahlen ist sie erstmals gar nicht in dem  Gremium vertreten. Dabei hat sich an der Stimmenzahl gegenüber der vorherigen Wahl kaum verändert. Doch während die GoG damals mit einer weiteren Linken Liste kooperative, setzte sie in diesem Jahr auf dem Alleingang.  Im Wahlkampf setzte sie stark auf die Selbstorganisation. „Wir kritisierten dabei auch eine Stellvertreterpolitik, wie sie bei Gewerkschaftslinken zu finden ist“, meine Schaumberg. „Das müssen wir schon selber tun“ lautete das Motto.
Nach ihrer Niederlage diskutiert die GoG verstärkt auch neue Aktionsmethoden.  „Vor allem junge Menschen können sich nicht mehr ohne Weiteres mit der klassischen Gewerkschaftsarbeit identifizieren, die im wöchentlichen Treffen und dem Verfassen und Verteilen von Flugblättern und Betriebszeitungen besteht, betont Schaumberg. Auch die Identifikation mit dem Betrieb schwindet in Zeiten der flexiblen Beschäftigungsverhältnisse. Das hat auch Einfluss auf die Kampfbereitschaft. Die GoG will auch diese Krise überstehen und probiert neue  Aktionsformen. So haben bei der letzten Personalverssammlung von Opel GoG –Aktivisten als Bettlertruppe verkleidet  Arbeitshetze und Lohnverzicht kritisiert. 

https://www.neues-deutschland.de/artikel/174863.immer-auf-die-eigene-kraft-vertraut.html?sstr=Schaumberg
Peter Nowak

Pfändung bei Gegnern der Unimaut

Stell Dir vor, Du willst Geld abheben und Dein Konto ist gesperrt. Diese unangenehme Erfahrung mussten in den letzten Tagen Studierende der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg machen. Veranlasst wurde die Maßnahme von den Hamburger Landeskassen, die mit Pfändungen und Kontosperrungen an das Geld von 50 Kommilitonen gelangen will, die seit 2007 die Zahlung der Studiengebühren boykottieren. Zu den wenigen Bildungseinrichtungen, in denen die Mehrheit der Studierenden für den Boykott stimmte, gehört die HfbK.

Auch in Süddeutschland beschlossen Studenten an einigen Hochschulen mehrheitlich den Gebührenboykott. Während dort mit Exmatrikulationsdrohungen gegen die renitenten Kommilitonen vorgegangen wurde, drohen die Hamburger Behörden mit dem Pfändungstiteln. Viele Betroffene wurden bereits mehrmals von Inkassobeamten zu Hause aufgesucht, auch außerhalb von Hamburg. So beklagt Maximilian Wondrak, der seit seinem HfbK-Abschluss in Berlin nach einem Job sucht und zurzeit auf Hartz-IV-Unterstützung angewiesen ist, ihm sei das Konto gesperrt worden und zudem versuche die Berliner Finanzverwaltung, im Auftrag der Hamburger Kollegen das Geld einzutreiben. Dabei können Hartz-IV-Bezieher gar nicht gepfändet werden.

Generell ist zu fragen, warum in einer Zeit, in der die Unimaut zunehmend in der Kritik steht, mit allen Mitteln gegen ihre Gegner vorgegangen wird. In Hessen wurden die Studiengebühren abgeschafft und selbst von dem konservativen Hardliner Roland Koch nicht wieder eingeführt. Auch NRW könnte bald diesem Beispiel folgen. In beiden Ländern haben sich die Grünen gegen die Studiengebühren ausgesprochen. Warum schweigen deren Hamburger Parteifreunde, wenn in dem Stadtstaat mit Kontosperrungen gegen die Gebührenboykotteure vorgegangen wird? Schließlich sind die dort Regierungspartei.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/174830.pfaendung-bei-gegnern-der-unimaut.html

Peter Nowak

Versicherte mit kleinen Einkommen werden Bittsteller

Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Zusatzbeiträge könnten in Zukunft sehr schnell wachsen

 1.)            Monatelang wurde gegen die Kopfpauschale mobilisiert. Sind die jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte dagegen das kleinere Übel?

 N.R.: Auf keinen Fall. Es war schon länger klar, dass die große Kopfpauschale, wie sie die FDP und zuletzt der Arbeitgeberverband geplant hatte, nicht durchgesetzt werden kann. Die jetzt vorgelegten Eckpunkte laufen durch die geplanten pauschalen Zusatzbeiträge, die die Arbeitnehmer zahlen sollen, auf eine kleine Kopfpauschale hinaus. Die könnten aber in Zukunft schnell wachsen.

 2.)            Wovon hängt das ab?

 N.R.: Davon, wie viel an den Ausgaben über den Beitragssatz gedeckt wird. Der Arbeitgeberanteil soll jetzt auf 7,3 % erhöht und dann eingefroren werden. Das bedeutet, für alle weiteren Kosten sollen die Versicherten durch die Zusatzbeiträge aufkommen. Dadurch könnten schnell weitere Belastungen auf große Teile der Bevölkerung zukommen.

 3.)            Kann ein geplanter steuerfinanzierter Ausgleich soziale Härten mindern?

 N.R.: Das könnte er natürlich, aber dadurch werden Versicherte mit niedrigen Einkommen wahrscheinlich zu Bittstellern. Zudem ist noch völlig unklar, wie der Sozialausgleich finanziert werden soll. Weitere Steuererhöhungen würden weitere Belastungen für große Teile der Bevölkerung bedeuten, die schon durch die von der Koalition geplanten Sparpläne von Verschlechterungen betroffen sein werden.

 4.)            Die paritätische Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens wurde von der Politik lange Zeit als Vorzeigemodell der sozialen Marktwirtschaft verkauft. Kann davon heute noch gesprochen werden?

 N.R.: Schon lange nicht mehr. Durch die Einführung von Praxisgebühr, Zuzahlungen zu Medikamenten und anderem und die einseitige Erhöhung des Arbeitnehmeranteils um 0,9 Prozentpunkte wurde schon unter Rot-Grün das Prinzip der paritätischen Finanzierung im Gesundheitswesen aufgegeben. Zudem sollte man nicht vergessen, dass der Arbeitgeberanteil aus der Lohnsumme herrührt, also auch von den Arbeitnehmern erwirtschaftet wird.

 5.)            Eine daraus folgende offensive Forderung, dass die Arbeitgeber den ganzen Beitrag zahlen sollen, scheinen zurzeit utopisch. Wie sollten aktuell soziale Bewegungen und Gewerkschaften auf die Pläne der Bundesregierung reagieren?

 N.R.: Es sollten möglichst schnell Proteste dagegen organisiert werden. Dabei könnten die in den letzten Monaten entstandenen Bündnisse gegen die Kopfpauschale eine tragende Rolle spielen.

 6.)            Die Finanzierungslücke ist ja keine Erfindung der Bundesregierung. Wo soll das Geld für das Gesundheitssystem herkommen?

 N.R.: Es gibt ausgearbeitete und durchgerechnete Alternativvorschläge. Dazu gehört die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze (und entsprechend der Versicherungspflichtgrenze) und die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle nach ihrer Einkommenshöhe und mit allen Einkommensarten in die Krankenversicherung einzahlen. Die hessische SPD hat durchgerechnet, dass damit ein Beitragssatz von ca. 9,5 % erzielt werden könnte. Dass könnte zur Entschärfung der aktuellen Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen beitragen, ohne Menschen mit geringen Einkommen zu belasten.

 

 

 https://www.neues-deutschland.de/artikel/174808.versicherte-mit-kleinen-einkommen-werden-bittsteller.html?sstr=Nadja|Rakowitz

Interview: Peter Nowak  

Die Dekadenten bitten zur Kasse

Noch ist es nur eine Minderheit, doch immerhin:
Hartz-IV-Empfänger fangen an, sich gegen die
Zumutungen des Staates zu wehren. Von Peter Nowak

 

Deutschlands frechster Arbeitsloser«
wurde im Februar und März dieses
Jahres von den Boulevardmedien vors
Volksgericht gestellt. Der 54jährige Arno Dübel
ist seit 36 Jahren erwerbslos, schämt sich nicht
dafür, hält nichts von Minijobs und hat auch
seinen Humor nicht verloren. So einer muß
bestraft werden, meint »Bild« und meldete
Vollzug. Zumindest um 30 Prozent wurde ihm
die Stütze gekürzt. In Internetkommentaren
kochte die Volksseele über; manche forderten
dort gar die Todesstrafe für den »Schmarotzer«.
Dübel ist nicht der einzige Erwerbslose, der
es nicht als sein höchstes Ziel ansieht, Arbeit
um jeden Preis anzunehmen, und der sich etwas
Besseres vorstellen kann, als seine Zeit bei
Bewerbungstrainings oder sonstigen Beschäftigungstherapien
zu vertrödeln. Es gibt solch Ungefügige
da und dort. Sie demonstrieren lieber
spätrömische Dekadenz, wie die Mitglieder der
gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative Galida
aus Darmstadt, die Anfang März als Römer
verkleidet mit Tabletts voller Trauben, Häppchen
und Schampus bei der örtlichen FDP-Geschäftsstelle
vorstellig wurden. Doch dort hatte
man kein Verständnis für die tatkräftige Umsetzung
der Sottisen des Parteivorsitzenden,
holte die Polizei und erstattete Anzeige wegen
Freiheitsberaubung.
Andere freche Erwerbslose schlagen im Jobcenter
gelegentlich mit der Faust auf den Tisch.
So protestierten zirka 20 Aktivisten am 16. März
in Köln in Anwesenheit der Arbeitsamtsleiterin
gegen eine besonders repressiv auftretende Mitarbeiterin
der Agentur. »Zahltag« lautet das
Motto der Aktion, die im Herbst 2007 in der
Kölner Arbeitsagentur Premiere hatte. Immer
zu Monatsbeginn versammelten sich vor dem
Jobcenter Hunderte Hartz-IV-Empfänger, denen
fest eingeplante Gelder nicht oder unvollständig
überwiesen worden waren. Da es in
Köln nur ein zentrales Jobcenter gibt, wurde die
Zahl der Wütenden schnell dreistellig. Es waren
schließlich so viele, daß sie das Eingangsregime
der Jobcenter ignorieren konnten. Üblicherweise
sorgen Wachleute und aufgespannte Gurte
konkret
dafür, daß die »Kunden«, wie Hartz-IV-Empfänger
offiziell genannt werden, brav in der Schlange
warten, bis sie drankommen.
»Wir haben uns gedacht, statt hier hintereinander
zu stehen, können wir uns auch umdrehen
und miteinander sprechen. Dabei haben
wir gemerkt, daß wir alle das gleiche Anliegen
hatten. Leistungen, die uns eigentlich gesetzlich
zustehen, wurden uns vorenthalten. Da
haben wir uns gesagt, wir könnten auch gemeinsam
die Verantwortlichen auf den Ämtern
besuchen. Das geht schneller, und wir sind gemeinsam
stärker.« So beschreibt ein Kölner
Erwerbsloser in einer Kölner Lokalzeitung die
Stimmung beim »Zahltag«.
Plötzlich stand dem Jobcentermitarbeiter
nicht ein einzelner verunsicherter Hartz-IVEmpfänger
gegenüber, sondern eine Gruppe
von Menschen, die sachlich, aber bestimmt ihr
Recht forderte. Das führte auf beiden Seiten des
Schreibtisches zu unterschiedlichen Erfahrungen.
Erwerbslose, die weder streiken noch sonst
ein Druckmittel einsetzen können, spürten, daß
sie doch nicht ganz machtlos sind. Die Jobcentermitarbeiter
wiederum stellten fest, daß
diese Menge sich nicht mit Vertröstungen abfertigen
ließ. Denn die Erwerbslosen stellen
keine unerfüllbaren Forderungen, was es der
Behörde leichtmachen würde, sich auf Nichtzuständigkeit
herauszureden. Gerade weil sie
sehr präzise mit den entsprechenden Paragraphen
aus dem Sozialgesetzbuch unterfütterte
Anliegen hatten, wurden beim »Zahltag« längst
gestellte Anträge bewilligt und ausstehende
Gelder oft direkt an der Kasse der Jobcenter ausgezahlt.
Mit der Forderung nach der sofortigen
Auszahlung machen die Aktivisten deutlich,
daß nicht nur der Rechtsweg zum Erfolg führt.
Die Einführung von Hartz IV hat die Zahl
der Klagen vor den Arbeitsgerichten enorm
anwachsen lassen. In der überwiegenden Mehrheit
der Fälle entscheidet das Arbeitsgericht
zugunsten der Erwerbslosen. Allerdings bedeutet
der Klageweg ein monate-, manchmal auch
jahrelanges Prozedere. Der Charme des »Zahltags
« liegt für die Betroffenen gerade darin, ihre
Forderungen ohne einen zeitaufwendigen Prozeß
durchsetzen zu können.
Der erste in diesem Sinne erfolgreiche
»Zahltag« stärkte das Selbstbewußtsein der
Akteure und sorgte bald für Nachahmung in
anderen Städten. In den letzten drei Jahren haben
Erwerbslose im Ruhr- und Rhein-Main-
Gebiet sowie in Berlin in unregelmäßigen Abständen
»Zahltage« organisiert. Nicht immer
so offensiv wie in Köln. In Berlin waren angemeldete
Kundgebungen vor den Jobcentern der
Ausgangspunkt für die Begleitung von Erwerbslosen
bei ihren Amtsterminen.
In den Medien werden diese Formen des
Erwerbslosenprotestes kaum erwähnt. Selbst
in linken Kreisen werden meist nur die Montagsdemonstrationen
angeführt, wenn von
Arbeitslosenprotesten die Rede ist. Dabei waren
die Inhalte dieser Demonstrationen, die im
Spätsommer und Herbst 2004 vor allem in
Ostdeutschland Tausende gegen die Einführung
der Agenda 2010 auf die Straßen brachten,
zumindest ambivalent. So kritisierte Mag Wompel,
die Koordinatorin der Onlineplattform
Labournet, die sich als Internettreffpunkt für
»Ungehorsame mit und ohne Job« versteht, bei
vielen Montagsdemonstranten »ein für Spaltungen
und Sozialneid anfälliges Gerechtigkeitsverständnis
«. Die Demonstranten habe die
Empörung darüber auf die Straße getrieben,
daß sie nach jahrelanger Lohnarbeit auf das
Niveau der Sozialhilfeempfänger abrutschten.
Daß überhaupt Menschen auf diesem Niveau
leben müssen, wurde dagegen in der Regel
nicht in Frage gestellt.
Während die Montagsdemonstrationen
schon vor der Einführung von Hartz IV ihren
Zenit überschritten hatten, tauchten einige
ihrer Protagonisten bei Parteigründungsversammlungen
von Gruppen wie der Wahlalternative
Arbeit und soziale Gerechtigkeit auf, die
schon in ihrem Namen deutlich machte, daß es
ihr in erster Linie um Arbeit ging. Ihr Aufgehen
in der Linkspartei, die die Forderung nach
Arbeitsplätzen ganz oben auf der Agenda hat,
ist da nur konsequent. Die Erwerbslosen, denen
das Einkommen und nicht die Lohnarbeit fehlt,
bereiteten im Herbst 2004 mit der Aktion
»Agenturschluß« den Vorlauf für den »Zahltag
« vor.
Am 3. Januar 2005 war es soweit: In über 80
Städten wurden Jobcenter und Arbeitsagenturen
belagert. In vielen Behörden wurden Versammlungen
gegen die Agenda 2010 abgehalten,
Hartz-IV-Empfänger wurden mit nützlichen
Tips versorgt und zu ihrem Fallmanager
begleitet. Anders als bei den Montagsdemonstrationen
appellierten die »Agenturschluß«-
Aktivisten nicht an den Staat; sie setzten ihre
Hoffnung nicht in eine bessere Regierung. Wie
später beim »Zahltag« ging es ihnen um die
Selbstorganisation der Betroffenen zur Durchsetzung
konkreter Forderungen.
Eine solche Herangehensweise sorgt auch
unter politisch aktiven Erwerbslosen für Streit.
Denn auch sie setzen mehrheitlich noch immer
auf Opferdiskurs und Skandalisierung. Wenn
ein Arbeitsloser vor der Kamera von seinen vielen
vergeblichen Bewerbungen berichtet oder
eine alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder
versichert, auch mit Hartz IV noch ein
schmackhaftes Essen zubereiten zu können, ist
ihnen die Sympathie eines Publikums sicher,
das dann um so vehementer gegen die Erwerbslosen
wettert, die sich nicht an die Spielregeln
halten. Auch die Skandalisierung besonders
krasser Fallgeschichten kann das Hartz-IV-Regime
festigen, befürchtet Guido Grüner von der
Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg: »Bei den
Menschen, die noch Arbeit haben, wächst die
Angst vor Arbeitslosigkeit, so daß sie jeden
Lohn akzeptieren.« Ein erfolgreicher »Zahltag«
hingegen kann selbst einen »Bild«-Leser auf
andere Gedanken bringen. ●
Von Peter Nowak ist im letzten Jahr das Buch
Zahltag. Zwang und Widerstand: Erwerbslose
in Hartz IV erschienen (Unrast)

http://www.unrast-verlag.de/files/konkret0510.pdf

konkret

 

5/2010