Im Arbeitskampf wird’s konkret

Von Lesbian und Gays Support the Miners bis zur Unterstützung von Amazon: außerbetriebliche Solidarität hilft nicht nur den Arbeiter_innen

Pride – so heißt ein Film, der im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kam. Er widmete sich einem weitgehend vergessenen Kapitel der Geschichte der internationalen Arbeiter_innenbewegung, und zwar der Solidarität mit dem Streik der britischen Bergarbeiter, der in den Jahren 1984 und 1985 in Großbritannien und vielen anderen Ländern auch von Menschen unterstützt wurde, die nicht in Großbetrieben arbeiteten, ja nicht einmal in gewerkschaftlichen Zusammenhängen engagiert waren.
Im Zentrum des Films:

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Die Abwehr von Geflüchteten wollen alle vorantreiben

Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann

Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann

Die Satirezeitung Titanic hat für eine kurze Zeit mal wieder Politik gemacht, als sie die „Meldung“ lancierte, dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufgelöst sei. Dass mehrere Agenturen und Zeitungen diese Satire übernahmen, zeigte, wie fragil die Regierungskoalition mittlerweile geworden ist. Wenn nun Insiderberichte durchgestochen werden, nach denen Seehofer im kleinen Kreis erklärte, er könne mit Merkel nicht mehr arbeiten, gehört das auch zu den Machtspielen, an denen sich die unterschiedlichen Medien beteiligen.

Seehofer hat schließlich vor einigen Jahren das Agieren von Merkel im Herbst 2015 als Herrschaft des Unrechts bezeichnet. Legendär war Seehofers Standpauke gegenüber Merkel[1] im November 2015. Trotzdem waren beide professionell genug, um in einer Regierung zusammenzuarbeiten. Daran wird die Regierung nicht scheitern.

Nun gibt es schon verschiedene Vermittlungsversuche von Seiten der CDU und auch der CSU. Es kann also durchaus sein, dass man sich zunächst auf einen Formelkompromiss einigt. Schließlich würde ein tatsächlicher Bruch der Fraktionsgemeinschaft das politische System in Deutschland ziemlich durcheinander bringen. Davon wäre natürlich auch die AfD betroffen, die auf einmal einen „seriöseren“ Konkurrenten vor der Nase hätte.

CSU in die Opposition – Grüne in die Regierung?

Es gab sogar in der Taz nach den letzten Wahlen Kommentatoren, die der CSU empfohlen haben, sich doch wieder auf F.J. Strauß besinnen und den rechten Rand einzufangen, um die AfD kleinzuhalten. Dann könnten vielleicht sogar die Grünen Merkel entweder in oder von außerhalb der Regierung unterstützen. Das dürfte ihnen nun gar nicht mehr schwer fallen. Sie sind schließlich heute die eifrigsten Merkel-Verteidiger, und mitregieren wollten sie sogar mit Seehofer und Lindner.

Dass eine solche Konstellation nicht auf die FDP zählen könnte, zeigt sich schon daran, dass Lindner Seehofer im Streit mit Merkel verbal unterstützt hat, während er nun aus parteitaktischen Gründen eine eigenständige CSU als Konkurrent fürchten müsste. Seit die FDP wieder im Bundestag ist, hat Lindner versucht, sie zu einer AfD-light[2] zu machen und sie zwischen Union und AfD positioniert. Eine eigenständige CSU würde genau auf diesem Gebiet auch um Wähler werben, wäre also nicht in Lindners Sinne.

Auch sonst wäre ein Alleingang der CSU mit sehr vielen Unbekannten verbunden und für die Partei und vor allem für Seehofer selber nicht ohne Risiko. Weil er kein Abgeordnetenmandat hat, müsste er nach dem Verlust seines Ministeriums außerparlamentarisch reagieren, was viele Fragen entstehen ließe. Würde der Teil der AfD, der mit dem Einfluss des völkischen Flügels hadern, zu einer bundesweiten CSU wechseln? Danach sieht es allerdings nicht aus.

Werden alle CSU-Abgeordneten einen Alleingang mitmachen? Und wie viele Unionspolitiker würden zu Merkel stehen? Bisher hat sich in der Union keiner der vielen Merkel-Kritiker offen als Konkurrent um die Macht in der Partei zu erkennen gegeben, obwohl die Kritik aus dem rechten Spektrum zugenommen hat. Nur würde das so bleiben, wenn wirklich die Kooperation mit der CSU in Gefahr ist? Schließlich muss man bedenken, dass Merkel nach 13 Regierungsjahren am Ende ihrer Karriere steht. Politische Beobachter sind davon ausgegangen, dass diese Legislaturperiode ihre letzte Amtszeit ist. Nicht wenige haben angezweifelt, dass sie sie zu Ende bringt. Daher ist es fraglich, wie viele Abgeordnete hinter Merkel stehen, wenn es zum Schwur kommt.

„Merkel muss weg“ – aber was kommt dann?

Andererseits kann die CSU nicht sicher sein, ob ein Alleingang von den Wählern belohnt wird. Am Ende schadet das Manöver beiden Unionsparteien mehr als der AfD. Die könnte damit argumentieren, dass Seehofer jetzt die Abschottungspolitik gegenüber Migranten auch deshalb forciert, weil die CSU von der AfD im bayerischen Landtagswahlkampf von rechts unter Druck gesetzt wird. Das sagen führende CSU-Politiker ganz offen. Damit geben sie aber der AfD politisches Gewicht und geben offen zu, dass die CSU auf Druck von rechts reagiert.

Doch auch die Rechten sind verunsichert. Schließlich war die Parole „Merkel muss weg“ der kleinste gemeinsame Nenner, der die unterschiedlichen Gruppen auf der Straße und im Parlament stark machte. Nun fragen sich schon manche User auf der rechten Onlineplattform Politically Incorrekt: „Merkel muss weg und was kommt dann?“ Manche befürchten, dass ohne Merkel die Mobilisierung schwieriger wird. Für die Rechten wäre es natürlich ein Propagandaerfolg, wenn sie Seehofer vorwerfen könnten, wieder mal den Mund zu voll genommen zu haben.

Nur haben diese Identitätskämpfe zwischen etablierten und neuen Rechten wenig mit einer humaneren Migrationspolitik zu tun. Denn auch Merkel hat in den letzten Jahren zahlreiche Verschlechterungen beim Flüchtlingsrecht durchgesetzt. Vielleicht gelingt ihr das mit ihrem liberalen Image, das ihr Sympathien bis in linke Kreise einträgt, sogar besser als Seehofer und der CSU, gegen die sich leichter Widerstand formieren lässt. Schließlich hat die CSU in Bayern es geschafft, dass sich gegen ihr Polizeiaufgabengesetz[3] in kurzer Zeit eine Massenbewegung[4] entwickelte, wie dies in anderen Bundesländern, die ähnliches planen, nicht erkennbar ist.

Drohkulisse Deutschlands in der EU

Der Streit zur Flüchtlingspolitik innerhalb der Union sorgt für eine Drohkulisse innerhalb der EU. Wenn jetzt als Kompromissvorschlag ein Vorratsbeschluss von Seehofer ins Spiel gebracht wird, nachdem die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen noch eine bestimmte Zeit aufgeschoben wird, um eine EU-Lösung zu ermöglichen, dann würde der Druck noch einmal enorm steigen. Es wäre im Grunde eine weitere Ansage Deutschlands an die anderen EU-Länder, dafür zu sorgen, dass wir von Migranten verschont bleiben. Dafür soll das von Deutschland wesentlich durchgesetzte Dublin-System sorgen.

Es war der Aufbruch der Migranten und der Unwille der Regierungen der europäischen Nachbarländer, auf diesem Gebiet die deutsche Hegemonie zu akzeptieren, die das Dublin-System zum Einsturz brachten. Daraus eröffneten sich unter Umständen einige Spielräume für die Migranten. Schon die Berlusconi-Regierung ließ viele Migranten ungehindert Richtung Norden reisen, weil sie sie so loswerden konnte. Den Migranten war das recht, weil sie nicht Italien bleiben wollten.

Doch nicht nur zwischen Deutschland und den Nachbarstaaten gab es in der Migrationsfrage Streit. Das zeigte der Streit zwischen der neuen italienischen und der französischen Regierung zum Umgang um das Flüchtlingsschiff Aquarius. Auch hier wird die Heuchelei offenbar, die bei diesem Thema immer mit im Spiel ist. Während sich Macron nun als Vertreter von Humanität und Menschenrechte in der Flüchtlingsfrage aufspielt, wird vergessen, dass seine Regierung die Flüchtlingsgesetze massiv verschärft[5] hat. Erst vor wenigen Tagen hat die NGO Oxfam einen Bericht[6] über Zurückweisungen von Migranten, darunter Jugendlichen, an der französisch-italienischen Grenze veröffentlicht. Darauf konnte die italienische Regierung natürlich verweisen, um die Kritik abzuwehren.

Das ist das übliche Spiel in der EU. Alle Regierungen wollen Migranten zurückweisen und geben sich dann humanitär, wenn sie das Prozedere bei anderen Regierungen kritisieren. Das dürfte auch bei der neuen spanischen Regierung nicht anders sein, die das Einlaufen der Aquarius in Valencia zu einem Medienspektakel macht, um zu demonstrieren, dass in dem Land jetzt eine humanitäre Flüchtlingspolitik betrieben wird. Nur sind die Migranten auf dem Schiff überhaupt nicht gefragt worden, ob sie Teil dieser Inszenierung werden wollen. Die haben sicherlich nach dem strapaziösen Transfer andere Bedürfnisse. Und wenn die Kameras ausgeschaltet sind, beginnt die Frage, wie viele von ihnen in Spanien bleiben können.

Die Achse der Willigen

Wie in fast allen Fragen agieren die europäischen Nationalstaaten untereinander auch in der Migrationsfrage weiter als Konkurrenten. Da hat es auch Deutschland schwer, einfach eine Regelung durchzudrücken, die die Migranten aus dem Land raushält. Doch die Bemühungen für eine europäische Lösung gibt es auch von Seiten Seehofers. Er hat sich parallel zum Berliner Integrationsgipfel mit Österreichs Ministerpräsident Kurz getroffen und in der Abschiebepolitik Übereinstimmung festgestellt, die auch die neue italienische Regierung einschließt, Ungarn hat er nicht ausdrücklich genannt, aber auch diese Regierung gehört zur „Achse der Willigen“, die Sebastian Kurz sogleich ausrief.

Es gibt in Deutschland 73 Jahre nach dem Sieg über den NS noch einige Publizisten, denen sich „die Haare aufstellen“[7], wenn nun sogar metaphorisch wieder alte deutsche Bündniskonstellationen in Europa abgefeiert werden. Ungarn, Österreich, Deutschland, Italien, das waren schließlich bis 1943 die Achsenmächte, die das restliche Europa im Würgegriff hielten.

Auch Frankreichs Präsident Macron war nicht erfreut über diese Wortwahl[8]. Er ging auf Distanz zur Achse der Willigen, nicht aber zur Abschottungspolitik. Nun muss sich zeigen, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet wird oder ob der Druck aus Deutschland das eher erschwert, wie Siegmar Gabriel nun ohne politisches Amt schon warnt[9]. Er fordert die SPD auf, ebenfalls mehr Härte in der Migrationspolitik zu zeigen und hier nicht der AfD und Seehofer das Feld zu überlassen.

Boris Palmer hat kürzlich via FAZ einen ähnlichen Appell[10] an die Grünen gerichtet. So beteiligen sich fast alle politischen Parteien an der Frage, wie sich Migranten aus dem Land heraushalten lassen. Was die wollen, fragt dabei niemand. Denn da wollen noch immer viele nach Deutschland, Großbritannien oder die skandinavischen Länder. Für viele Politiker ist das ein Grund, das Abschiebeprozedere noch mehr zu verschärfen.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Die-Abwehr-von-Gefluechteten-wollen-alle-vorantreiben-4080171.html
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/angela-merkel-horst-seehofer-streit-chronologie-1.4015817
[2] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[3] http://netzpolitik.org/2018/das-haerteste-polizeigesetz-seit-1945-soll-heute-in-bayern-beschlossen-werden/
[4] http://www.deutschlandfunkkultur.de/kritik-an-gesetzentwuerfen-in-bayern-hoert-auf-solche.1005.de.html?dram:article_id=417488
[5] http://www.heise.de/tp/features/Zuwanderung-in-Frankreich-Neue-Haerten-3939982.html
[6] http://d1tn3vj7xz9fdh.cloudfront.net/s3fs-public/file_attachments/bp-nowhere-but-out-refugees-migrants-ventimiglia-150618-en.pdf
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/sebastian-kurz-achse-der-willigen-kommentar-1.4013997
[8] https://www.huffingtonpost.de/entry/macron-geht-auf-distanz-zur-achse-der-willigen-von-seehofer-und-kurz_de_5b23f0fae4b0783ae128dd57
[9] https://www.focus.de/politik/deutschland/duerfen-nicht-laenger-wegsehen-ex-spd-chef-gabriel-fordert-asyllager-in-afrika-und-geht-eigene-partei-scharf-an_id_9109418.html
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kriminalitaet-und-fluechtlinge-wir-muessen-nicht-alle-integrieren-15636465.html

„Così non va“

IKEA schmeißt Arbeiter raus

Proteste in Norditalien

Piacenza. Im Arbeitskampf der italienischen Logistikarbeiter in Norditalien gab es in den letzten Tagen eine massive Verschärfung. In Piacenza wurden 26 Beschäftigte vom IKEA-Konzern entlassen, zuvor waren Streikposten zusammengeschlagen und verletzt worden. Seit 2011 kämpfen in Italien die meist marantischen Arbeiter der italienischen Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In mehreren großen Logistikunternehmen ist es den Streikenden gelungen, die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen Vorarbeiter, Leiharbeitsfirmen sowie massiv auftretende Polizei durchzusetzen. Während die großen Gewerkschaften den Arbeitskampf weitgehend ignorierten, werden die Beschäftigten von Teilen der außerparlamentarischen Linken Italiens und der Basisgewerkschaft S.I. Cobas unterstützt. Nach den Entlassungen soll nun die internationale Unterstützung beginnen. In Berlin-Tempelhof ist für Mittwoch, den 25. Juni um 18 Uhr eine Solidaritätsaktion vor der IKEA-Filiale am Sachsendamm 47 geplant.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936471.ikea-schmeisst-arbeiter-raus.html

Peter Nowak

Renzi: Mit neuem Wahlgesetz für große Koalitionen, gegen kleine Parteien

Italien: Parlamentsreform im Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit angenommen

Warten auf den neuen Berlusconi

Links

[1]

http://www.matteorenzi.it/

[2]

http://www.partitodemocratico.it

[3]

http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio118254.html

[4]

http://brf.be/nachrichten/presseschau/712129/

[5]

http://www.fiom.cgil.it/

[6]

http://fiomcarrozzeriamirafiori.jimdo.com/

Bye, bye Berlusconi?

Links

[1]

http://www.byebyeberlusconi.de

[2]

http://www.tagesspiegel.de/politik/kritik-an-deutscher-krisenpolitik-berlusconi-droht-mit-euro-austritt-italiens/7723920.html

[3]

http://www.welt.de/politik/ausland/article106406519/Berlusconi-fordert-Euro-Austritt-Deutschlands.html

[4]

http://www.ilpopolodellaliberta.it/

[5]

http://www.handelsblatt.com/politik/international/kommentar-berlusconi-handelt-unverantwortlich/8862870.html

[6]

http://www.repubblica.it/politica/2010/10/26/news/archivia_casa-8458185/

[7]

http://derstandard.at/1379291335942/Berlusconi-koennte-in-Estland-fuer-EU-Parlament-kandidieren

[8]

http://www.beppegrillo.it

[9]

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/2148926

Demo gegen Görings Soldat

ANTIFA WILL IN HOHENSCHÖNHAUSEN PROTESTIEREN

Im Sommer 2011 endete in Italien ein Prozess gegen Angehörige des Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“. Neun Mitglieder der Formation waren wegen Massakern an italienischen Zivilisten im Frühjahr 1944 angeklagt worden. Sie erschienen während des Verfahrens nie vor Gericht, die Verurteilung zu hohen Haftstrafen hatte für sie keine Konsequenzen. Deutschland liefert die Männer nicht nach Italien aus und vollstreckt die Strafen auch nicht selbst.

Seit einem Jahr versuchen antifaschistische Gruppen, die in Berlin lebenden Angeklagten öffentlich zu machen. Im letzten Sommer wurde in der Nähe des Wohnorts von Helmut Odenthal in Reinickendorf demonstriert (taz berichtete). Nun soll die Nachbarschaft über die Vergangenheit von Herbert Wilke informiert werden. Der 92-Jährige war Offizier und Kommandant der 10. Batterie des II. Flak-Regiments der Division Hermann Göring. Da ihn beim Prozess in Italien keine direkte Beteiligung bewiesen werden konnte, wurde er nicht verurteilt. Die Entscheidung wurde vom Gericht allerdings nicht als Freispruch interpretiert.

„Wilke war Mitglied der Lieblingseinheit von Hermann Göring und hat weder in Italien noch in Deutschland zur Aufklärung der Massaker beigetragen“, betont Martin Sonnenborn vom Bündnis Liberationweeks.

Am vergangenen Wochenende berichtete die ständige Beobachterin der italienischen Prozesse Marianne Wienemann über die Bedeutung der Verfahren für Opfer und Angehörige. Am Freitag soll das Unwissen über diese letzten Verfahren in Deutschland durchbrochen werden. Die Demonstration beginnt um 16 Uhr vor dem Storchenhof-Center in der Rhinstraße/Ecke Hauptstraße in Hohenschönhausen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F04%2F18%2Fa0148&cHash=8bc5f48ad2
Peter Nowak

Demo gegen Görings Soldat

ANTIFA WILL IN HOHENSCHÖNHAUSEN PROTESTIEREN

Im Sommer 2011 endete in Italien ein Prozess gegen Angehörige des Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“. Neun Mitglieder der Formation waren wegen Massakern an italienischen Zivilisten im Frühjahr 1944 angeklagt worden. Sie erschienen während des Verfahrens nie vor Gericht, die Verurteilung zu hohen Haftstrafen hatte für sie keine Konsequenzen. Deutschland liefert die Männer nicht nach Italien aus und vollstreckt die Strafen auch nicht selbst.

Seit einem Jahr versuchen antifaschistische Gruppen, die in Berlin lebenden Angeklagten öffentlich zu machen. Im letzten Sommer wurde in der Nähe des Wohnorts von Helmut Odenthal in Reinickendorf demonstriert (taz berichtete). Nun soll die Nachbarschaft über die Vergangenheit von Herbert Wilke informiert werden. Der 92-Jährige war Offizier und Kommandant der 10. Batterie des II. Flak-Regiments der Division Hermann Göring. Da ihn beim Prozess in Italien keine direkte Beteiligung bewiesen werden konnte, wurde er nicht verurteilt. Die Entscheidung wurde vom Gericht allerdings nicht als Freispruch interpretiert.

„Wilke war Mitglied der Lieblingseinheit von Hermann Göring und hat weder in Italien noch in Deutschland zur Aufklärung der Massaker beigetragen“, betont Martin Sonnenborn vom Bündnis Liberationweeks.

Am vergangenen Wochenende berichtete die ständige Beobachterin der italienischen Prozesse Marianne Wienemann über die Bedeutung der Verfahren für Opfer und Angehörige. Am Freitag soll das Unwissen über diese letzten Verfahren in Deutschland durchbrochen werden. Die Demonstration beginnt um 16 Uhr vor dem Storchenhof-Center in der Rhinstraße/Ecke Hauptstraße in Hohenschönhausen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F04%2F18%2Fa0148&cHash=8bc5f48ad2
Peter Nowak

Kein Guantánamo im Mittelmeer

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde über europäische Flüchtlingspolitik entschieden
Italien hätte afrikanische Flüchtlinge, die noch auf See abgefangen wurden, nicht einfach zurück schicken dürfen. Das entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Damit stellten die Richter klar, dass das Meer kein rechtsfreier Raum ist.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasste sich auch mit der Kooperation der EU-Staaten mit dem Gadhaffi-Regime bei der Abwehr von Flüchtlingen, die heute gerne verschwiegen wird. Dabei waren Gadaffis Dienste als europäischer Grenzwächter sehr gefragt, nicht nur von der italienischen Regierung. Flüchtlinge wurden erst gar nicht auf europäischen Boden gelassen. Ihre Boote wurden gleich im Meer zur Rückkehr gezwungen.

Kritiker sprachen von einem Guantánamo auf hoher See, weil auf den Schiffen alle Rechte der Flüchtlinge suspendiert waren. So zum Beispiel im Mai 2009: Eine Gruppe von 227 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea wurde von Libyen kommend 35 Seemeilen vor der italienischen Insel Lampedusa von der italienischen Grenzpolizei und Marine aufgebracht. Zunächst dachten die Flüchtlinge, sie seien in Sicherheit, als sie auf die Schiffe der Marine gebracht wurden. Doch die transportierten sie sofort zurück nach Tripolis. Das Gericht entschied, dass die Flüchtlinge dadurch unmenschlicher Behandlung und Folter in den libyschen Flüchtlingslagern ausgesetzt wurden.

Die italienische Rechtsregierung sah in der Maßnahme einen großen Erfolg. Schließlich war es die erste Aktion nach dem Rückübernahmeabkommen mit Libyen. Deshalb fuhren mit der Grenzpolizei auch Journalisten mit, die für die mediale Verbreitung sorgen sollten. Schließlich gab es bei den Anhängern der italienischen Rechtsparteien, die damals die Regierung stellten, sogar Stimmen, die eine Bombardierung der Flüchtlingsboote forderte.

Schiffe kein rechtsfreier Raum

Die Anwesenheit von zwei französischen Journalisten auf dem Polizeiboot sorgte dafür, dass diese Rückführung den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof beschäftigte. Sie recherchierten in Libyen weiter, was mit den Abgeschobenen geschehen ist. Dort bekamen sie auch die Vollmachten von 24 Abgeschobenen, mit denen die Klagen eingereicht wurden. Der Europäische Gerichtshof stellte jetzt fest, dass mit der Rückführung gleich gegen mehrere Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden sei.

So seien die Flüchtlinge durch die Rückführung in Gefahr gebracht worden, weil ihnen unmenschliche Behandlung sowohl in Libyen als auch in ihren Herkunftsländern drohte. Es sei bekannt, dass in Eritrea Flüchtige mit Haft bestraft werden, nur weil sie das Land verlassen. Auf Zusagen der libyschen Regierung, wonach für den Schutz der Flüchtlinge gesorgt werde, hätte sich die Grenzpolizei schon deshalb nicht verlassen dürfen, weil das Land weder die Genfer Konvention zum Schutz der Flüchtlinge unterzeichnet, noch das örtliche Büro des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) anerkannt hatte.

Schließlich hätte Italien auch die Menschenrechtskonvention beachten müssen – den Flüchtlingen sei nämlich kein Rechtsmittel gegen ihre Zurückweisung nach Libyen ermöglicht worden. Ein solches Rechtsmittel hätte eine aufschiebende Wirkung haben müssen, so die Richter.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151490
Peter Nowak

Stürzt die EU Berlusconi?

Für Empörung in Italien sorgt das Lächeln von Merkel und Sarkozy über Berlusconi

n Seit Monaten fordert die breitgefächerte Opposition in Italien den Rücktritt von Ministerpräsident Berlusconi. Der aber, nur noch darum bemüht, sich seine Straffreiheit zu bewahren, hat trotz Zerwürfnissen in seiner eigenen rechten Koalition bei Vertrauensfragen im Parlament immer wieder eine knappe Mehrheit erhalten. Doch jetzt könnte der Dauerministerpräsident doch noch straucheln, wie italienische Medien melden. Verantwortlich dafür wären aber weder die italienische Protestbewegung und schon gar nicht die politischen Oppositionsparteien, die nicht weniger zerstritten als die Regierung sind. Der neueste Streit in der italienischen Regierung wurde von den EU-Gremien verursacht. Die verlangen von Italien massive Sozialkürzungen, u.a. eine Erhöhung des Rentenalters, damit das Land sein Defizit verringert. Gegen diese Maßnahme aber sperrt sich die Lega Nord, die in der letzten Zeit Berlusconis Stütze im Parlament war. Die norditalienischen Rechtspopulisten, die sich gerne als Stimme des italienischen Steuerbürgers gegen alle Zuwanderer, sei es aus dem Süden des Landes oder dem Ausland geriert, hat schon in der Vergangenheit an der Rentenfrage die Rechtskoalition platzen lassen. Schon redet der Lega-Vorsitzende Bossi von Neuwahlen. Damit aber bringt er nicht nur Berlusconi, sondern auch die EU in Bedrängnis. Denn wenn bei den Eurorettungsverhandlungen ein italienischer Ministerpräsident auf Zeit sitzt, der keine Verhandlungsvollmacht mehr hat, wird das vielzitierte Vertrauen in die Währung nicht gerade gestärkt. Zumal überhaupt nicht absehbar ist, wie es in einen Italien nach Berlusconi, der trotz erster Absatzbewegungen in seiner eigenen Partei noch immer die Nummer eins ist, weitergehen soll. Obwohl die Oppositionsparteien so oft dessen Rücktritt fordern, sind sie auf eine Nachfolgeregelung nicht vorbereitet. Zumal auch nicht klar ist, ob Berlusconi, entgegen aller seiner Versprechungen, bei vorgezogenen Neuwahlen nicht doch noch mal antreten und sich als Verteidiger Italiens gegen die Zumutungen der EU aufspielen könnte.

Das Lächeln von Merkel und Sarkozy

Zweifelhaft ist, ob Berlusconi auf dem EU-Gipfel am Mittwoch die von ihm zugesagten Maßnahmen zur Haushaltssanierung präsentieren kann. Es sei eine Vereinbarung erzielt worden, sagte Bossi, aber nicht über die Rentenreform. Für mehr Empörung in der italienischen Öffentlichkeit sorgt aber das „maliziöse Lächeln“ für Empörung, mit dem Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy bei einer Pressekonferenz auf die Frage reagierten, ob sie noch Vertrauen in Berlusconi haben? „Diese Erniedrigung, mit Griechenland gleich gesetzt zu werden, ist der Beweis, dass Italien abgestiegen ist. Wir müssen daran arbeiten, wieder in die erste Liga aufzusteigen“, übt sich Enrico Letta von der sozialliberalen Demokratischen Partei in Standortnationalismus. Auch Außenminister Frattini gab sich entrüstet. Solche Ab- und Aufwertungen der verschiedenen Länder im EU-Rahmen werden durch die Politik der EU eher gefördert und beschränken sich nicht nur auf Italien. So hat der konservative bulgarische Ministerpräsident in Bezug auf die Griechenlandhilfe gefordert, jedes EU-Mitglied solle die Löhne und Gehälter auf bulgarisches Niveau senken, bevor es Hilfe von der Europäischen Gemeinschaft in Anspruch nehmen darf. Wo nicht solidarische Bewegungen soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene verteidigen, übernehmen oft rechte Populisten und Nationalisten auf ihre Weise diese Aufgabe. Das könnte auch der italienischen Rechten nützen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150700

Peter Nowak

Italien: Wikiepedia-Protest gegen Abhörgesetz

Ein Passus des im italienischen Parlament diskutierten Gesetzentwurfs könnte das Ende des Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit bedeuten

Die italienische Wikipedia hat mit einer besonderen Aktion darauf hingewiesen, dass es die Plattform in ihrer bisherigen Form vielleicht bald nicht mehr geben könnte. Seit Tagen wird dort schon mal vorgeführt, wie die Plattform nach der Verabschiedung eines zurzeit im Parlament diskutierten Gesetzes aussehen könnte.

Wikipedia Italien ist seit einigen Tagen abgeschaltet. „Zurzeit ist die Seite, die Sie gerade lesen möchten, nur versteckt, doch es besteht die Gefahr, dass wir bald dazu gezwungen werden können, sie wirklich zu löschen“, heißt es dort zur Erläuterung.

Der Grund für den Wikipedia-Protest ist der Paragraph 29 eines italienischen Gesetzentwurfes, der als „DDL intercettazioni“ oder Gesetz gegen Abhörmaßnahmen bekannt wird. Der umfangreiche Gesetzentwurf enthält einen Passus, der nicht nur für Wikipedia gravierende Auswirkungen haben könnte:

Auf Internetseiten sowie in Tageszeitungen und Zeitschriften, die auf elektronische Weise veröffentlicht werden, müssen innerhalb von 48 Stunden nach Antragseingang die Statements und Korrekturen an gleicher Stelle und in gleichbleibender Formatierung, ohne Veränderung des Zugangs zur Seite oder der Sichtbarkeit der Nachrichten, auf die sie sich beziehen, veröffentlicht werden.

Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung der presserechtlich Verantwortlichen von Webseiten, innerhalb von 48 Stunden kommentarlos jegliche Korrektur am Inhalt vorzunehmen, die der Antragsteller im Interesse seiner Reputation fordert. Wikipedia weist auf die praktischen Auswirkungen hin:

Unerfreulicherweise verlangt dieses Gesetz keine Evaluation durch eine unabhängige dritte Person. Ausschließlich die Meinung der angeblich beleidigten Person oder Organisation genügt, um die geforderten Korrekturen an der Webseite durchsetzen zu lassen.

Jeder, der sich durch den Inhalt eines Blogs oder einer Online-Zeitschrift angegriffen fühlt, kann die die Entfernung des Inhalts und eine dauerhafte Veröffentlichung einer durch ihn korrigierten Fassung verfügen, unabhängig von den Quellen oder der Frage, ob der inkriminierte Inhalt tatsächlich eine Beleidigung bzw. Rufschädigung darstellt. Es käme dann auch nicht mehr darauf an, ob der geschilderte Sachverhalt der Wahrheit entspricht oder nicht.

Nicht nur ein Internetknebel made in Berlusconien

Tatsächlich könnte eine solche Regelung jegliche kritische Berichterstattung im Internet unmöglich machen. Betroffen wären mehr noch als Wikipedia, das durch seine internationale Bekanntheit einen gewissen Schutz genießt, die vielen kritischen Blogs und Internetmagazine, die sich als kritische Gegenöffentlichkeit verstehen.

Die Protestaktion von Wikipedia-Italien reiht sich ein in zahlreiche Aktionen, mit denen italienische Medien seit Jahren gegen Versuche der Berlusconi-Regierung protestieren, die Berichterstattungen zu reglementieren. So wurde am 9. Juli 2010 gegen die als Knebelgesetze bezeichneten Regierungspläne mit einen italienweiten Streiktag protestiert, an dem sich die gesamte nicht vom Berlusconi-Imperium beeinflussten Medien beteiligten (Tag des journalistischen Schweigens in Italien). Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen unterstützte den Protest.

Der aktuelle Gesetzesentwurf ist nun ein weiterer Versuch der Kommunikationseinschränkung. Es wäre allerdings verkürzt, die Auseinandersetzung um die zurzeit im italienischen Parlament diskutierte Fassung des Abhörgesetzes nur als einen Streit um einen Internetknebel made in Berlusconien zu betrachten. Mag auch die italienische Regierung besonders plump vorgehen und damit den Widerstand besonders herausfordern, das Bestreben, das Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit unter Kontrolle zu bekommen und zu neutralisieren, gibt es auch in Deutschland. Betroffen davon sind die vielen Blogs und Internetmagazine, die mit ihren Veröffentlichungen eine Gegenöffentlichkeit bilden, wie sie im Zeitalter der Printmedien unbekannt war.

Die presserechtlich Verantwortlichen sind auch in Deutschland zunehmend nicht nur Korrekturforderungen der bei ihnen publizierten Texte, sondern auch existenzgefährdenden Kostenbescheiden ausgesetzt, berichtet der presserechtlich Verantwortliche des Internetmagazins Trend-Onlinezeitung Karl-Heinz Schubert auf einer Veranstaltung in Berlin. In der letzten Zeit sei die Anzahl der Abmahnungen gewachsen.

Auffällig sei, dass Berichte von Konflikten aus der Arbeitswelt besonders häufig Anlass für juristische Schritte seien, so Schubert. Die seien dann sofort mit Kosten verbunden. Oft würden die Anwälte bereits im ersten Schreiben nicht nur die Entfernung eines inkriminierten Artikels verlangen, sondern sofort einen Kostenbescheid in drei- bis vierstelliger Höhe vorlegen. „Solche Maßnahmen dienen der Einschüchterung und haben zur Folge, dass viele sich gar nicht trauen, kritische Inhalte zu veröffentlichen“, so Schuberts Fazit. Daher kann man das im italienischen Parlament diskutierte Abhörgesetz durchaus in einem Zusammenhang mit den Einschränkungsversuchen der kritischen Kommunikation im Internet auch außerhalb von Italien betrachten.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35635/1.html

Peter Nowak

Protest gegen Unmenschen

NS-VERGANGENHEIT Zu lebenslanger Haft verurteilter Kriegsverbrecher lebt in Reinickendorf. Ein antifaschistisches Bündnis will dort für seine Auslieferung an Italien demonstrieren

Am kommenden Samstag wird es am beschaulichen Becherweg im Stadtteil Reinickendorf unruhiger als sonst. Für 12 Uhr ruft ein antifaschistisches Bündnis dort zu einer Kundgebung auf. Ganz in der Nähe wohnt der 91-jährige Helmut Odenwald, der am 6. Juli vom Militärgericht im italienischen Verona zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde. Er ist einer von sieben Angehörigen der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring“, denen das Gericht die Beteiligung an Massakern an der Zivilbevölkerung im Frühjahr 1944 in Norditalien nachgewiesen hat. Das Gericht verurteilte den damaligen Hauptmann und Kommandanten der Flakbatterie der Division wegen der Beteiligung an drei Massakern, darunter der Tötung von EinwohnerInnen in den Dörfern Monchio, Susano und Costrignano in der norditalienischen Provinz Modena am 18. März 1944.

Nach Auseinandersetzungen mit Partisanenverbänden war die Wehrmachtsdivision in die Orte eingerückt und hatte Jagd auf Menschen gemacht. „Zuerst in dem Dorf Susano, wo die Soldaten systematisch jedes Haus, jeden Stall, jede Scheune, jeden Hofplatz durchsuchten“, fasst die Journalistin und Prozessbeobachterin Marianne Wienemann die Aussagen der ZeugInnen zusammen. Die Bewohner seien auf der Stelle erschossen worden. Die jüngsten Opfer seien 3, 4 und 7 Jahre alt gewesen. In dem Ort Civiga, den die Wehrmachtsdivision am 20. März 1944 besetzt hatte, wurden an einem Tag 27 ZivilistInnen getötet und alle Häuser niedergebrannt. Weil die italienische Regierung während des Kalten Krieges die Akten in einen Geheimschrank sperrte, vergingen mehr als 60 Jahre bis zum Urteil.

„Für die Opfer ist dieser Prozess die längst fällige öffentliche Auseinandersetzung der Gesellschaft mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen worden war“, sagt Wienemann. In der deutschen Öffentlichkeit wurden Prozess und Urteil kaum wahrgenommen. Die Angeklagten blieben dem Verfahren fern, strafrechtliche Konsequenzen haben sie nicht zu befürchten: Deutschland liefert keine StaatsbürgerInnen aus, und die Strafe wird hier nicht vollstreckt. Dagegen protestiert die AG Reggio-Emilia, in der sich Einzelpersonen und AktivistInnen verschiedener Antifagruppen zusammengeschlossen haben. Sie fordern die Auslieferung von Odenwald und die sofortige Zahlung der Reparationen durch die deutsche Regierung.

„Die juristische Strafverfolgung der NS-Täter und die Anerkennung der von der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen sind zwingende Voraussetzung, wenn Deutschland seine nationalsozialistische Vergangenheit als aufgearbeitet betrachtet sehen will“, meint Carsten Schreiber von der antifaschistischen Arbeitsgruppe. Die Adressen der Angeklagten seien durch das Urteil bekannt geworden. Odenwald lebt als einziger der Verurteilten in Berlin. Ein ebenfalls angeklagter ehemaliger Wehrmachtssoldat aus Weißensee war von dem Militärgericht freigesprochen worden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F13%2Fa0165&cHash=3a153a28fa

Peter Nowak

Im Saal der leeren Stühle

In Italien finden derzeit die letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse statt. Die deutsche Öffentlichkeit scheint das nicht zu ­interessieren.
 
Die Staatsanwaltschaft des Militärgerichts von Verona hat gegen Horst Günther, Erich Köppe, Alfred Gabriel Lühmann, Günther Heinroth, Helmut Odenwald, Ferdinand Osterhaus, Fritz Olberg, Wilhelm Karl Stark und Hans Georg Winkler lebenslängliche Haftstrafen wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs gefordert. Selbst wenn das Gericht diesem Antrag bei der für den 22. Juni geplanten Urteilsverkündung folgt, brauchen sich die Angeklagten, die an den Verhandlungen nicht teilnehmen, genauso wenig Sorgen zu machen wie die drei ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die am 25. Mai von einem Militärgericht in Rom wegen der Beteiligung an Wehrmachtverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden sind. Die deutsche Regierung wird sie nicht ausliefern, und in ihrem Herkunftsland müssen die ehemaligen Mitglieder der Fallschirm-Panzer-Division »Hermann Göring« kein Verfahren befürchten.
 
Die Division »Hermann Göring« bewährte sich bei der Verfolgung von NS-Gegnern in Berlin, bevor sie als Teil der Wehrmacht ihre Blutspur im von Deutschland besetzten Europa hinterließ. Sie war an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands ebenso beteiligt wie am Terror gegen die italienische Zivilbevölkerung. Das Militärgericht in Verona wirft den Angeklagten die Beteiligung an mehreren Massakern an italienischen Zivilisten in der Toscana und der Emilia-Romagna im März und April 1944 vor, bei denen mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen sind. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Frauen, Kinder sowie alte und kranke Menschen. Ein Großteil der männlichen Einwohner hatte sich versteckt, weil sie nicht als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt werden wollten. In dem Verfahren kamen die Verbrechen der Wehrmachtseinheit detailliert zur Sprache, wie Marianne Wienemann in Berlin berichtete. Sie ist Mitarbeiterin des Instituts für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte in der Provinz Reggio Emilia Istoreco und verfolgt das Verfahren als Prozessbeobachterin. So wurden in einem Dorf alle Einwohner in eine Kapelle getrieben, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Vor der brennenden Kirche feierte die Einheit ein Fest und machte sich über die Schmerzensschreie der Überlebenden lustig. Diese Aussage stammt von einem Jugendlichen, der sich vor der Wehrmacht versteckt hatte und ansehen musste, wie seine Verwandten und Freunde umkamen.
 
In den ersten Jahren nach der Niederlage der deutsch-italienischen Achse begannen britische und amerikanische Richter mit Ermittlungen über die Kriegsverbrechen. Die juristische Aufarbeitung geriet in den fünfziger Jahren ins Stocken, die Akten wurden in einem später »Schrank der Schande« genannten Archiv der italienischen Militärgerichtsbarkeit deponiert. Erst 1994 begannen neue Ermittlungen, die zu den gegenwärtigen Verfahren führten. Während des Kalten Krieges sollte die Partnerschaft zwischen Westdeutschland und der Nato nicht durch Ermittlungen über Wehrmachtsverbrechen belastet werden. Die Interessen der italienischen Opfer- und Widerstandsverbände, die gegen die Verschleppung der Verfahren protestierten, wurden ignoriert. Wie die Stimmung in Westdeutschland war, zeigte sich zum Beispiel 1977. Damals gelang Herbert Kappler, einem der wenigen wegen Wehrmachtsverbrechen in Italien verurteilten NS-Funktionäre, die ihre Strafe verbüßen mussten, die Flucht aus einem Gefängniskrankenhaus in die BRD. Er starb einige Monate später im niedersächsischen Soltau; mehr als 800 Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Neben Alt- und Neonazis waren Konservative aus der Mitte der Gesellschaft dabei, die ein Ende der Aufarbeitung der NS-Verbrechen forderten. 35 Jahre später scheint ihr Wunsch sich erfüllt zu haben. Die deutschen Medien nahmen von dem jüngsten Prozess kaum mehr Notiz. Die Angeklagten erklärten sich für nicht schuldig und ignorierten die Verhandlungen. Ihre Stühle im Gerichtssaal blieben während des Verfahrens leer
http://jungle-world.com/artikel/2011/23/43355.html

Peter Nowak

Die späte Gerechtigkeit

In Rom wurden drei der letzten Wehrmachtssoldaten verurteilt, über neun weitere soll im Juni entschieden werden. Doch eine Auslieferung haben sie nicht zu fürchten

Jung sind die Verurteilten nicht gerade: Zwischen 88 und 94 Jahre sind die drei deutschen Staatsbürger alt, die letzte Woche von einem Militärgericht in Rom zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurden. Das Gericht befand sie für schuldig, im August 1944 in der Ortschaft Padule di Fucecchio nahe Florenz an der Ermordung von 184 Zivilisten – zum Großteil Frauen, Kinder und alte Menschen – beteiligt gewesen zu sein. Zeitgleich forderten die Staatsanwälte beim Militärgericht in Verona eine lebenslängliche Haftstrafe gegen neun ehemalige Wehrmachtsangehörige. Den ehemaligen Angehörigen der Fallschirm-Panzerdivision „Hermann Göring“ wird vorgeworfen, im Frühjahr 1944 bei als „Partisanenbekämpfung“ getarnten Massakern in Norditalien über 400 Zivilisten ermordet zu haben. Am 22. Juni soll in diesen Fall das Urteil gefällt werden.

Eine Verhaftung haben die Angeklagten ebenso wenig zu fürchten, wie diejenigen, die jetzt in Rom schuldig gesprochen wurden. Als deutsche Staatsbürger können sie nicht nach Italien ausgeliefert werden. Die deutsche Justiz hat aber auch erklärt, dass ihr die Beweise nicht ausreichen, um eigene Verfahren einzuleiten. Eine öffentliche Auseinandersetzung darüber gibt es in Deutschland kaum.

Opfer: Kinder, Alte, Kranke

Den Angeklagten wird die Beteiligung an den blutigen Massakern vorgeworfen, die Angehörige der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ der Wehrmacht zwischen März und Mai 1944 an italienischen Zivilisten verübten. Dabei wurden oft ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Die dort lebenden Männer zwischen 16 und 60 hielten sich versteckt – meist aus Angst, von den Deutschen als Zwangsarbeiter verschleppt zu werden. Deshalb wurden vor allem Kinder, Alte, Kranke und Frauen zum Opfer deutscher Soldaten, die ihre Wut über den wachsenden antifaschistischen Widerstand an den Zivilisten ausließen.

In einem Dorf wurden die Opfer in eine Kapelle gesperrt, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Während die Opfer grausam umkamen, feierte die Einheit vor der Kapelle ein feuchtfröhliches Fest. Dabei handelte es sich keineswegs um Vergeltungsaktionen für Partisanenaktionen, wie von konservativen Kreisen zur Entschuldigung oder Relativierung der Verbrechen gerne angeführt wird. Abgelegene Dörfer waren von den Mordaktionen besonders oft betroffen, weil sich die deutschen Täter dort ungestört austoben konnten.

 Schon kurz nach der Niederlage des Nationalsozialismus begannen britische und amerikanische Juristen zu ermitteln – gestützt auf die Berichte der wenigen Überlebenden. Doch die Ermittlungen gerieten bald ins Stocken. In Zeiten des kalten Krieges wurden die ehemaligen Wehrmachtssoldaten wieder für den Kampf gegen den Kommunismus gebraucht, und man wollte Westdeutschland als neu umworbenen Bündnispartner nicht mit der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen verärgern. Die Proteste der wenigen Überlebenden wurden in Italien ignoriert.

Schrank der Schande

Die belastenden Akten wanderten in den „Schrank der Schande“ – so bezeichnet die italienische Öffentlichkeit den braunen Holzschrank, der von 1960 bis 1994 in der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom stand. In diesem Schrank wurden im Jahr 1960 auf Beschluss des damaligen allgemeinen Militärstaatsanwaltes, Enrico Santacroce, Aktenbündel über 2274 Fälle von NS-Kriegsverbrechen in Italien während des zweiten Weltkriegs „provisorisch archiviert“. 1966 wurden etwa 1300 Fälle an die zuständigen italienischen Staatsanwaltschaften abgegeben und 20 weitere an deutsche Ermittlungsbehörden. Für 695 Fälle – angeblich die wichtigsten – dauerte die „Archivierung“ jedoch 34 Jahre. Diese Akten wurden erst im Jahr 1994 wiederentdeckt und bilden die juristische Grundlage für die Verfahren, die bis heute gegen ehemalige deutsche Wehrmachtssoldaten laufen.

„Der Prozess ist die längst fällige Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen wurde“, meint Marianne Wienemann, die die Verfahren als Prozessbeobachterin verfolgt und kürzlich auf Einladung der antifaschistischen AG-Reggio-Emilia auf einer Veranstaltung in Berlin darüber berichtete. Sie blieb die Ausnahme. In Deutschland sind die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrechen kein großes Thema in Öffentlichkeit und Medien.

http://www.freitag.de/politik/1122-die-spaete-gerechtigkeit

Peter Nowak