Pride – so heißt ein Film, der im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kam. Er widmete sich einem weitgehend vergessenen Kapitel der Geschichte der internationalen Arbeiter_innenbewegung, und zwar der Solidarität mit dem Streik der britischen Bergarbeiter, der in den Jahren 1984 und 1985 in Großbritannien und vielen anderen Ländern auch von Menschen unterstützt wurde, die nicht in Großbetrieben arbeiteten, ja nicht einmal in gewerkschaftlichen Zusammenhängen engagiert waren.
Im Zentrum des Films:
Schlagwort: Italien
Die Abwehr von Geflüchteten wollen alle vorantreiben
Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann
Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann
Die Satirezeitung Titanic hat für eine kurze Zeit mal wieder Politik gemacht, als sie die „Meldung“ lancierte, dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufgelöst sei. Dass mehrere Agenturen und Zeitungen diese Satire übernahmen, zeigte, wie fragil die Regierungskoalition mittlerweile geworden ist. Wenn nun Insiderberichte durchgestochen werden, nach denen Seehofer im kleinen Kreis erklärte, er könne mit Merkel nicht mehr arbeiten, gehört das auch zu den Machtspielen, an denen sich die unterschiedlichen Medien beteiligen.
Seehofer hat schließlich vor einigen Jahren das Agieren von Merkel im Herbst 2015 als Herrschaft des Unrechts bezeichnet. Legendär war Seehofers Standpauke gegenüber Merkel[1] im November 2015. Trotzdem waren beide professionell genug, um in einer Regierung zusammenzuarbeiten. Daran wird die Regierung nicht scheitern.
Nun gibt es schon verschiedene Vermittlungsversuche von Seiten der CDU und auch der CSU. Es kann also durchaus sein, dass man sich zunächst auf einen Formelkompromiss einigt. Schließlich würde ein tatsächlicher Bruch der Fraktionsgemeinschaft das politische System in Deutschland ziemlich durcheinander bringen. Davon wäre natürlich auch die AfD betroffen, die auf einmal einen „seriöseren“ Konkurrenten vor der Nase hätte.
CSU in die Opposition – Grüne in die Regierung?
Es gab sogar in der Taz nach den letzten Wahlen Kommentatoren, die der CSU empfohlen haben, sich doch wieder auf F.J. Strauß besinnen und den rechten Rand einzufangen, um die AfD kleinzuhalten. Dann könnten vielleicht sogar die Grünen Merkel entweder in oder von außerhalb der Regierung unterstützen. Das dürfte ihnen nun gar nicht mehr schwer fallen. Sie sind schließlich heute die eifrigsten Merkel-Verteidiger, und mitregieren wollten sie sogar mit Seehofer und Lindner.
Dass eine solche Konstellation nicht auf die FDP zählen könnte, zeigt sich schon daran, dass Lindner Seehofer im Streit mit Merkel verbal unterstützt hat, während er nun aus parteitaktischen Gründen eine eigenständige CSU als Konkurrent fürchten müsste. Seit die FDP wieder im Bundestag ist, hat Lindner versucht, sie zu einer AfD-light[2] zu machen und sie zwischen Union und AfD positioniert. Eine eigenständige CSU würde genau auf diesem Gebiet auch um Wähler werben, wäre also nicht in Lindners Sinne.
Auch sonst wäre ein Alleingang der CSU mit sehr vielen Unbekannten verbunden und für die Partei und vor allem für Seehofer selber nicht ohne Risiko. Weil er kein Abgeordnetenmandat hat, müsste er nach dem Verlust seines Ministeriums außerparlamentarisch reagieren, was viele Fragen entstehen ließe. Würde der Teil der AfD, der mit dem Einfluss des völkischen Flügels hadern, zu einer bundesweiten CSU wechseln? Danach sieht es allerdings nicht aus.
Werden alle CSU-Abgeordneten einen Alleingang mitmachen? Und wie viele Unionspolitiker würden zu Merkel stehen? Bisher hat sich in der Union keiner der vielen Merkel-Kritiker offen als Konkurrent um die Macht in der Partei zu erkennen gegeben, obwohl die Kritik aus dem rechten Spektrum zugenommen hat. Nur würde das so bleiben, wenn wirklich die Kooperation mit der CSU in Gefahr ist? Schließlich muss man bedenken, dass Merkel nach 13 Regierungsjahren am Ende ihrer Karriere steht. Politische Beobachter sind davon ausgegangen, dass diese Legislaturperiode ihre letzte Amtszeit ist. Nicht wenige haben angezweifelt, dass sie sie zu Ende bringt. Daher ist es fraglich, wie viele Abgeordnete hinter Merkel stehen, wenn es zum Schwur kommt.
„Merkel muss weg“ – aber was kommt dann?
Andererseits kann die CSU nicht sicher sein, ob ein Alleingang von den Wählern belohnt wird. Am Ende schadet das Manöver beiden Unionsparteien mehr als der AfD. Die könnte damit argumentieren, dass Seehofer jetzt die Abschottungspolitik gegenüber Migranten auch deshalb forciert, weil die CSU von der AfD im bayerischen Landtagswahlkampf von rechts unter Druck gesetzt wird. Das sagen führende CSU-Politiker ganz offen. Damit geben sie aber der AfD politisches Gewicht und geben offen zu, dass die CSU auf Druck von rechts reagiert.
Doch auch die Rechten sind verunsichert. Schließlich war die Parole „Merkel muss weg“ der kleinste gemeinsame Nenner, der die unterschiedlichen Gruppen auf der Straße und im Parlament stark machte. Nun fragen sich schon manche User auf der rechten Onlineplattform Politically Incorrekt: „Merkel muss weg und was kommt dann?“ Manche befürchten, dass ohne Merkel die Mobilisierung schwieriger wird. Für die Rechten wäre es natürlich ein Propagandaerfolg, wenn sie Seehofer vorwerfen könnten, wieder mal den Mund zu voll genommen zu haben.
Nur haben diese Identitätskämpfe zwischen etablierten und neuen Rechten wenig mit einer humaneren Migrationspolitik zu tun. Denn auch Merkel hat in den letzten Jahren zahlreiche Verschlechterungen beim Flüchtlingsrecht durchgesetzt. Vielleicht gelingt ihr das mit ihrem liberalen Image, das ihr Sympathien bis in linke Kreise einträgt, sogar besser als Seehofer und der CSU, gegen die sich leichter Widerstand formieren lässt. Schließlich hat die CSU in Bayern es geschafft, dass sich gegen ihr Polizeiaufgabengesetz[3] in kurzer Zeit eine Massenbewegung[4] entwickelte, wie dies in anderen Bundesländern, die ähnliches planen, nicht erkennbar ist.
Drohkulisse Deutschlands in der EU
Der Streit zur Flüchtlingspolitik innerhalb der Union sorgt für eine Drohkulisse innerhalb der EU. Wenn jetzt als Kompromissvorschlag ein Vorratsbeschluss von Seehofer ins Spiel gebracht wird, nachdem die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen noch eine bestimmte Zeit aufgeschoben wird, um eine EU-Lösung zu ermöglichen, dann würde der Druck noch einmal enorm steigen. Es wäre im Grunde eine weitere Ansage Deutschlands an die anderen EU-Länder, dafür zu sorgen, dass wir von Migranten verschont bleiben. Dafür soll das von Deutschland wesentlich durchgesetzte Dublin-System sorgen.
Es war der Aufbruch der Migranten und der Unwille der Regierungen der europäischen Nachbarländer, auf diesem Gebiet die deutsche Hegemonie zu akzeptieren, die das Dublin-System zum Einsturz brachten. Daraus eröffneten sich unter Umständen einige Spielräume für die Migranten. Schon die Berlusconi-Regierung ließ viele Migranten ungehindert Richtung Norden reisen, weil sie sie so loswerden konnte. Den Migranten war das recht, weil sie nicht Italien bleiben wollten.
Doch nicht nur zwischen Deutschland und den Nachbarstaaten gab es in der Migrationsfrage Streit. Das zeigte der Streit zwischen der neuen italienischen und der französischen Regierung zum Umgang um das Flüchtlingsschiff Aquarius. Auch hier wird die Heuchelei offenbar, die bei diesem Thema immer mit im Spiel ist. Während sich Macron nun als Vertreter von Humanität und Menschenrechte in der Flüchtlingsfrage aufspielt, wird vergessen, dass seine Regierung die Flüchtlingsgesetze massiv verschärft[5] hat. Erst vor wenigen Tagen hat die NGO Oxfam einen Bericht[6] über Zurückweisungen von Migranten, darunter Jugendlichen, an der französisch-italienischen Grenze veröffentlicht. Darauf konnte die italienische Regierung natürlich verweisen, um die Kritik abzuwehren.
Das ist das übliche Spiel in der EU. Alle Regierungen wollen Migranten zurückweisen und geben sich dann humanitär, wenn sie das Prozedere bei anderen Regierungen kritisieren. Das dürfte auch bei der neuen spanischen Regierung nicht anders sein, die das Einlaufen der Aquarius in Valencia zu einem Medienspektakel macht, um zu demonstrieren, dass in dem Land jetzt eine humanitäre Flüchtlingspolitik betrieben wird. Nur sind die Migranten auf dem Schiff überhaupt nicht gefragt worden, ob sie Teil dieser Inszenierung werden wollen. Die haben sicherlich nach dem strapaziösen Transfer andere Bedürfnisse. Und wenn die Kameras ausgeschaltet sind, beginnt die Frage, wie viele von ihnen in Spanien bleiben können.
Die Achse der Willigen
Wie in fast allen Fragen agieren die europäischen Nationalstaaten untereinander auch in der Migrationsfrage weiter als Konkurrenten. Da hat es auch Deutschland schwer, einfach eine Regelung durchzudrücken, die die Migranten aus dem Land raushält. Doch die Bemühungen für eine europäische Lösung gibt es auch von Seiten Seehofers. Er hat sich parallel zum Berliner Integrationsgipfel mit Österreichs Ministerpräsident Kurz getroffen und in der Abschiebepolitik Übereinstimmung festgestellt, die auch die neue italienische Regierung einschließt, Ungarn hat er nicht ausdrücklich genannt, aber auch diese Regierung gehört zur „Achse der Willigen“, die Sebastian Kurz sogleich ausrief.
Es gibt in Deutschland 73 Jahre nach dem Sieg über den NS noch einige Publizisten, denen sich „die Haare aufstellen“[7], wenn nun sogar metaphorisch wieder alte deutsche Bündniskonstellationen in Europa abgefeiert werden. Ungarn, Österreich, Deutschland, Italien, das waren schließlich bis 1943 die Achsenmächte, die das restliche Europa im Würgegriff hielten.
Auch Frankreichs Präsident Macron war nicht erfreut über diese Wortwahl[8]. Er ging auf Distanz zur Achse der Willigen, nicht aber zur Abschottungspolitik. Nun muss sich zeigen, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet wird oder ob der Druck aus Deutschland das eher erschwert, wie Siegmar Gabriel nun ohne politisches Amt schon warnt[9]. Er fordert die SPD auf, ebenfalls mehr Härte in der Migrationspolitik zu zeigen und hier nicht der AfD und Seehofer das Feld zu überlassen.
Boris Palmer hat kürzlich via FAZ einen ähnlichen Appell[10] an die Grünen gerichtet. So beteiligen sich fast alle politischen Parteien an der Frage, wie sich Migranten aus dem Land heraushalten lassen. Was die wollen, fragt dabei niemand. Denn da wollen noch immer viele nach Deutschland, Großbritannien oder die skandinavischen Länder. Für viele Politiker ist das ein Grund, das Abschiebeprozedere noch mehr zu verschärfen.
Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/angela-merkel-horst-seehofer-streit-chronologie-1.4015817
[2] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[3] http://netzpolitik.org/2018/das-haerteste-polizeigesetz-seit-1945-soll-heute-in-bayern-beschlossen-werden/
[4] http://www.deutschlandfunkkultur.de/kritik-an-gesetzentwuerfen-in-bayern-hoert-auf-solche.1005.de.html?dram:article_id=417488
[5] http://www.heise.de/tp/features/Zuwanderung-in-Frankreich-Neue-Haerten-3939982.html
[6] http://d1tn3vj7xz9fdh.cloudfront.net/s3fs-public/file_attachments/bp-nowhere-but-out-refugees-migrants-ventimiglia-150618-en.pdf
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/sebastian-kurz-achse-der-willigen-kommentar-1.4013997
[8] https://www.huffingtonpost.de/entry/macron-geht-auf-distanz-zur-achse-der-willigen-von-seehofer-und-kurz_de_5b23f0fae4b0783ae128dd57
[9] https://www.focus.de/politik/deutschland/duerfen-nicht-laenger-wegsehen-ex-spd-chef-gabriel-fordert-asyllager-in-afrika-und-geht-eigene-partei-scharf-an_id_9109418.html
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kriminalitaet-und-fluechtlinge-wir-muessen-nicht-alle-integrieren-15636465.html
„Così non va“
Generalstreik mit großer Beteiligung gegen Renzi und Merkel, auch in Belgien gibt es Proteste
In mehr als 50 Städten demonstrierten am Freitag nach Angaben der Gewerkschaften mehr als 270.000 Menschen gegen die Arbeitsmarktreformen von Premier Matteo Renzi. In Mailand und Turin kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. An den Aktionen beteiligten sich auch Studierende und prekär Beschäftigte.
Aber auch die Arbeitsniederlegungen warenin allen Branchen spürbar. Die größten italienischen Gewerkschaftsbündnisse CGIL (CGIL) und UIL erklärten, dass 50 Prozent der Bahn- und Flugverbindungen und 70 Prozent der Verbindungen im Nahverkehr betroffen gewesen seien. Die Streikbeteiligung in der Industrie habe bei insgesamt 70 Prozent gelegen. Auch Flüge von und nach Deutschland mussten ausfallen. Bei der Lufthansa war die Tochter Air Dolomiti betroffen, die von München aus fliegt. Air Berlin strich ebenfalls einige Flüge.
„Così non va“
In Rom brach der öffentliche Nahverkehr zusammen, U-Bahn und Busse wurden bestreikt und mehrere Demonstrationen schlängelten sich durch die Stadt. In Mailand sprangen als Weihnachtsmänner verkleidete Demonstranten über die Absperrung vor dem Pirelli-Hochhaus, die Polizei setzte Tränengas ein.
Die Gewerkschaften protestierten unter dem Motto „Così non va!“ [1], was mit „So geht es nicht“ übersetzt werden kann, in erster Linie gegen die Arbeitsmarktreformen von Renzis Mitte-Links-Regierung. Seit Monaten mobilisieren die Arbeitnehmervertreter gegen den sogenannten JobsAct [2], der unter anderem eine Lockerung des Kündigungsschutzes vorsieht. Italien steckt in der schwersten Rezession der Nachkriegszeit und hat mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 13 Prozent zu kämpfen – bei den Jugendlichen liegt sie sogar bei über 43 Prozent.
Gegen diese wirtschaftlichen Probleme sollen Italien nun die gleichen Rezepte angewandt werden, die bereits seit mehr als 10 Jahren in Deutschland zu einem Ausbreiten des Niedriglohnsektors führte. Als eine italienische Version der Agenda 2010 sollen auch in Italien die Arbeitsverhältnisse noch weiter dereguliert und der Einfluss der Gewerkschaften weiter minimiert werden.
Anders als in Deutschland bei der Einführung von Hartz IV haben sich in Italien auch die großen Gewerkschaften eindeutig gegen diese Reformen, die eine Verschlechterung der Arbeits- und Lebensverhältnisse bedeuten, ausgesprochen. Dabei sind die großen Gewerkschaftsbünde in der Regel auf Ausgleich mit der Regierung bedacht, was von Basisgewerkschaften wie SinCobas [3]kritisiert wird, die in der aktuellen Mobilisierung der großen Gewerkschaften keineswegs ein Abrücken von derensozialpartnerschaftlichen Linie sehen. Eigentlich wollen sie weiterhin einen Kompromiss, doch die Regierung Renzi hat daran gar kein Interesse.
Renzi hat sich schon vor seiner Wahl zum Premierminister als Verschrotter der letzten noch übrig gebliebenen Reste der alten Arbeiterbewegung empfohlen. Unter diesen Umständen sind die großen Gewerkschaften zum Kämpfen gezwungen.
Streik gegen deutsche Austeritätspolitik
Die Mobilisierung in Italien richtet sich nicht nur gegen die Pläne der Renzi-Regierung, sondern auch gegen Merkel und die von Deutschland favorisierte Austeritätspolitik. In den letzten Monaten häuften sich aus der deutschen Politik die Mahnungen an die Adresse der italienischen Regierung, bloß nicht in dem Bestreben nachzulassen, die italienische Wirtschaft nach dem Vorbild Deutschlands zu deregulieren. Die Ermahnungen wurden so dringlich, dass sie selbst Renzi, der eigentlich ein gelehriger Schüler der deutschen Politikkonzepte sein wollte, zu viel [4] wurden.
Der italienischen Protestbewegung ist in der großen Mehrheit durchaus bewusst, dass sie nicht nur gegen die Pläne eines neoliberal gewendetes Sozialdemokraten ankämpfen, sondern dass sie gegen ein von Deutschland auch gegen immer stärkere Kritik aufrechterhaltenes Dogma der Austeritätspolitik kämpfen. Der Generalstreik zeigte, dass der Widerstand dagegen vor allem in Südeuropa durchaus noch nicht gebrochen ist.
Vor zwei Jahren, am 14. November 2012 gab ein südeuropaweiter Generalstreik gegen die Austeritätspolitik zumindest eine Ahnung von der Kraft einer transnationalen sozialen Bewegung. Damals entstand auch in Deutschland eine Initiative [5], die solche transnationale Streiks auch hier solidarisch unterstützen wollte. Das Projekt stieß an Grenzen, weil es nach dem 14. November wenig transnationale Streiks in Europa gab. Dafür gab es in der letzten Zeit Versuche, lange Zeit weitgehend vergessene Arbeitskämpfe zu unterstützen [6], wie den der Logistikarbeiter [7] in
Norditalien [8].
Doch wie sich am 12. Dezember in Italien zeigte, sind auch Generalstreiks durchaus weiterhin ein Kampfmittel. Sollte der Albtraum der europäischen Austeritätspolitiker wahr werden und in Griechenland doch noch nach Neuwahlen die linkssozialdemokratische Syriza die Regierung bilden und zumindest einen Teil ihrer Wahlversprechen ernst nehmen, könntees europaweit noch zu größeren Widerstand gegen die Austerititätspolitik kommen.
In Belgien Streiks gegen Rechtsregierung
Schon vor einigen Jahren haben belgische Gewerkschafter die Kampagne „Helft Heinrich“ [9] vorgeschlagen, mit denen sie den Gewerkschaften in Deutschland helfen wollten, höhere Löhne durchzusetzen und damit nicht nur ihre Lebensbedingungen zu verbessern, sondern auch die Eurozone vor einen Wettbewerb in den Niedriglohnsektor bewahren wollten. Damit wurde schon deutlich, dass es in Belgien eine historisch gewachsene kämpferische Gewerkschaftsbewegung gibt.
Diese Erfahrungmuss jetzt auch die belgische Rechtsregierung machen, die mit gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen und Einschnitten ins soziale System eine Streikwelle provozierte. So soll das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt werden und die Löhne sollen nicht mehr automatisch an die Inflationsrate angepasst werden. Bereits im November gab es gleich mehrere Arbeitsniederlegungen, in den nächsten Tagen ist ein belgienweiter Generalstreik geplant [10].
In Spanien, wo es 2012 eine große Streikbewegung gab, bereitet die postfranquistische Regierung massive Einschränkungen beim Demonstrationsrecht vor, die nach Meinung des Spanien-Korrespondenten der Taz zwei Ziele hat: „Angst verbreiten, Mundtotmachen.“ [11]Angesichts der wachsenden Podemos-Bewegung [12], die in Umfragen mittlerweile die Regierungspartei an Zustimmungswerten übertrifft, geht in der Regierung wohl die Angst um, dass dort verspätet doch noch nachgeholt werden könnte, was 1975 versäumt wurde, die Befreiung der spanischen Gesellschaft vom Franquismus und seinen Nachwirkungen.
http://www.heise.de/tp/news/Cosi-non-va-2489476.html
Peter Nowak
Links:
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IKEA schmeißt Arbeiter raus
Proteste in Norditalien
Piacenza. Im Arbeitskampf der italienischen Logistikarbeiter in Norditalien gab es in den letzten Tagen eine massive Verschärfung. In Piacenza wurden 26 Beschäftigte vom IKEA-Konzern entlassen, zuvor waren Streikposten zusammengeschlagen und verletzt worden. Seit 2011 kämpfen in Italien die meist marantischen Arbeiter der italienischen Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In mehreren großen Logistikunternehmen ist es den Streikenden gelungen, die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen Vorarbeiter, Leiharbeitsfirmen sowie massiv auftretende Polizei durchzusetzen. Während die großen Gewerkschaften den Arbeitskampf weitgehend ignorierten, werden die Beschäftigten von Teilen der außerparlamentarischen Linken Italiens und der Basisgewerkschaft S.I. Cobas unterstützt. Nach den Entlassungen soll nun die internationale Unterstützung beginnen. In Berlin-Tempelhof ist für Mittwoch, den 25. Juni um 18 Uhr eine Solidaritätsaktion vor der IKEA-Filiale am Sachsendamm 47 geplant.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/936471.ikea-schmeisst-arbeiter-raus.html
Peter Nowak
Renzi: Mit neuem Wahlgesetz für große Koalitionen, gegen kleine Parteien
Eine große Mehrheit der Abgeordneten im italienischen Parlament hat der vom neuen Ministerpräsidenten Matteo Renzi vorangetriebenen Parlamentsreform zugestimmt. 365 Abgeordneten votierten mit Ja, die 156 Nein-Stimmen blieben klar in der Minderheit. Ob die Reform wirklich zu einer größeren Partizipation beiträgt, ist fraglich: Denn benachteiligt werden eindeutig kleine Parteien.
Das neue Wahlgesetz sieht eine Listenwahl in insgesamt 120 Wahlbezirken vor. Dabei geraten durch den schmalen Zuschnitt der Bezirke, der dem spanischen Modell abgeschaut ist, kleine Parteien ins Hintertreffen. Das könnte zu Problemen mit der europäischen Justiz führen. Allerdings versucht das italienische Wahlrecht, die Benachteiligung etwas abzumildern. Wenn eine Partei allein antritt, muss sie national mindestens 8 Prozent erreichen, um überhaupt ins Parlament zu kommen. Kandidiert sie aber in einer Koalition, reichen 4,5 Prozent – wenn die gesamte Koalition ihrerseits 12 Prozent erreicht.
Zudem ist in dem Wahlgesetz ein Mehrheitsbonus für die siegreiche Allianz eingebaut. Vereinen sie mindestens 37 Prozent der Stimmen, erhält sie automatisch 52 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus. Kommt keine der Allianzen über 37 Prozent, dann treten die beiden vorne liegenden Bündnisse zu einer Stichwahl an. Auf diese Weise soll das Wahlrecht eine Lage wie im gegenwärtigen Parlament verhindern. Seit den Wahlen von 2013 sind wegen fehlender Mehrheiten im Senat die Linke und die Rechte auf eine flügelübergreifende Koalition angewiesen, wie sie jetzt auch die Regierung Renzi trägt.
Berlusconi wieder mit im Spiel
Doch auch für den Parlamentsumbau hat sich Renzi von Anfang an auf eine große Koalition, die bis weit nach rechtsaußen reicht, gestützt. Dafür traf er sich bereits vor einigen Wochen mit seinem Vorvorgänger Silvio Berlusconi und löste in seiner sozialliberalen Demokratischen Partei [1] Verärgerung aus. Schließlich wurde der langjährige Regierungschef erst vor wenigen Monaten wegen seiner Vorstrafen aus dem Parlament ausgeschlossen, was zu einer Parteispaltung im rechten Lager führte.
Doch Berlusconi betätigt sich weiter als Strippenzieher in der italienischen Innenpolitik. Dass ihn ausgerechnet Renzi mit seinem Treffen in dieser Rolle bestätigte, kam in seiner Demokratischen Partei nicht gut an. Denn Sozialdemokraten und Linke haben sich in Berlusconi ein bequemes Feindbild gebastelt und wollen damit auch davon ablenken, dass sie in ihrer Regierungszeit vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik kaum Differenzen zu den Rechtsregierungen aufweisen.
Renzi allerdings schert sich sowieso nicht viel um die Befindlichkeiten der Linken und Sozialdemokraten. Der ehemalige Christdemokrat ist mit dem erklärten Vorsatz angetreten, die letzten linken Traditionen in seiner Partei zu tilgen. Da dürfte aber sowieso nicht viel übrig sein.
Keine Frauenparität und nicht mehr Demokratie
Auch bei seiner Parlamentsreform hat er erneut deutlich gemacht, dass er für ein gutes Einvernehmen mit den rechten Parteien keinen Konflikt im eigenen Lager scheut. So wird es keine Geschlechterparität geben. Diese Forderung kam vor allem von Frauen der Demokratischen Partei, stieß aber im Berlusconi-Lager auf entschiedenen Widerstand.
Zudem werden durch das neue Wahlrecht die Rechte der Parteien gestärkt. Den Versuch, durch Präferenzstimmen die Rechte der einzelnen Kandidaten gegenüber der Parteienbürokratie zu stärken, wurden nicht berücksichtigt. Damit ist Renzi seinem Ruf treu geblieben, dass er vor allem ein Hoffnungsträger der Eliten ist. Seine Parlamentsreform hat denn auch ein besseres Durchregieren zum Ziel und nicht eine Demokratisierung der Gesellschaft.
Vor allem die EU-Gremien mahnen bereits seit langem an, in Italien Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wirtschaftsliberale Reformen zügig umgesetzt werden können. Dazu soll auch beitragen, dass im Rahmen der Wahlreform der Senat zu einer nicht mehr direkt gewählten Länderkammer reduziert werden soll. Der muss allerdings seiner Entmachtung noch zustimmen. Dort könne die Reform nach Meinung von Politikbeobachtern noch ins Stocken geraten.
Doch selbst wenn Renzi auch dort Erfolg haben sollte, ist die Frage nach der Stabilität seiner Regierung weiterhin offen. Denn durch die Spaltung [2] der Grillobewegung [3] wäre der Weg zu einer Regierungsmehrheit mit linken Akzenten parlamentarisch möglich. Doch genau das ist nicht das Ziel von Renzi. Dass allerdings die sich als links verstehenden Parlamentarier den gerade zum Hoffnungsträger aufgebauten Politiker wieder stürzen werden, ist unwahrscheinlich.
Peter Nowak
Links:
[1] http://www.partitodemocratico.it/
[2] http://www.welt.de/politik/ausland/article125565919/Grillo-greift-hart-durch-gegen-Andersdenkende.html
[3] http://www.beppegrillo.it/movimento/
Warten auf den neuen Berlusconi
Der designierte italienische Minderpräsident Matteo Renzi könnte Berlusconis Werk fortsetzen. Die Reste der Linken sollen verschrottet und die letzten Sozialgesetze geschleift werden
Die Börse reagierte erfreut, auf die Aussicht, dass Matteo Renzi italienischer Regierungschef wird. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich klingt Renzis Rhetorik so, als wäre er Pressesprecher eines wirtschaftsnahen Verbandes.
Er hat sich den Beinamen Verschrotter erworben. Verschrotten will Renzi das was in der Partido Democratico noch an die linke Vergangenheit der Partei erinnert. Da muss man dann schon mit der Lupe suchen. Schließlich ist der PD aus der einst starken kommunistischen Partei Italiens entstanden und kann nach vielen Wandlungen und Spaltungen als eine Mischung aus rechtem Mehrheitsflügel der SPD und Merkel-CDU bezeichnet werden.
Renzi hatte keine kommunistische Vergangenheit, sondern sozialisierte sich in einem der Spaltprodukte der italienischen Christdemokraten, die später in der PD aufgingen. Aus der kommunistischen Traditionslinie gibt es dort längst nicht mehr viel zu verschrotten. Daher ist die Ankündigung von Renz eher als Drohung zu verstehen, Italien in großer Geschwindigkeit reif zu machen für eine sozialpolitische Schocktherapie.
Wenn die Reform Angst und Schrecken auslöst
In Renzis Rhetorik spielt der Begriff Reform eine wichtige Rolle. Dabei hat bei ihm der Begriff einen Klang, der für die Subalternen mit Angst und Rücknahme erkämpfter Rechte verbunden ist. Diesen Beigeschmack bekam der Reform-Begriff in Deutschlands spätestens in der Ära von Gerhard Schröder, den Renzi ebenso wie den britischen Labour-Premier Toni Blair zu seinen Vorbildern erkoren hat.
Bei ihnen hat der Reformbegriff den Wandel durchgemacht. Lange Zeit stand er für eine Politik, die den Kapitalismus nicht abschaffen, aber etwas lebenswerter im Interesse der Subalternen machen wollte. Doch für Schröder, Blair und Co. bedeutet Reform eine Anpassung aller Sphären der Gesellschaft an die Interessen der Wirtschaft und der Märkte. Eine gelungene Reform ist nach dieser Lesart eine, in der die Gewerkschaften möglichst machtlos sind und die Wirtschaft sich möglichst frei entfalten kann. Renzi hat angekündigt, dass er nach seinem Regierungsantritt jeden Monat eine Reform durchsetzen will.
So soll noch im Februar das neue Wahlgesetz samt den dafür nötigen Verfassungsänderungen beschlossen werden. Dafür hat Renzi bereits Vorarbeiten geleistet, als er Vorsitzender der PD, die Regierung Letta aber noch im Amt war. Da traf er sich bereits mit dem ehemaligen Regierungschef Berlusconi, um gemeinsam die neue Verfassung auszuarbeiten. Es gab in der Öffentlichkeit heftige Kritik, dass Berlusconi von Renzi wieder in das poltische Geschäft zurückgeholt würde, nachdem er nach einer juristischen Verurteilung sein Mandat verlor und auch keine Ämter annehmen darf.
Das Ziel von Berlusconi und Renzi ist ein Wahlgesetz, das ein Zweiparteiensystem nach US-Vorbild zum Ziel hat. Kleinere Parteien sollen dabei ganz aus dem Parlament verbannt werden. Diese Einschränkung der parlamentarischen Demokratie wird damit begründet, dass so die Parlamentsarbeiter effektiver würden. Eine solche Argumentation kennen wir auch in Deutschland von den Verteidigern der Fünf-Prozent-Hürde.
Vorbild Hartz IV
Tatsächlich hat Renzi mehrmals betont, dass er sich an Deutschland in mehrfacher Hinsicht ein Beispiel nehmen will. Vor allem die von ihm anvisierte Reform des Arbeitsmarktes nimmt Anleihen an den Hartz-IV-Gesetzen, die zu einem rasanten Wachstum des Niedriglohnsektors führte. Auch eine Steuer- und Verwaltungsreform steht auf der Agenda Renzis. Sein Machantritt wird in großen Teilen der Medien und Politik in der EU sehr gelobt.
„Renzis brutaler Weg zur Macht. Italiens letzte Chance“ – dem Kommentar der Tagesschau ähneln viele zu Renzis Machtübernahme. Im österreichischen Standard heißt es, mit Renz würde die letzte demokratische Karte gezogen:
“Sein Tatendrang ist atemberaubend. Seine Aussichten auf Erfolg sind dagegen höchst zweifelhaft. Und indem er sich selbst zur einzigen Alternative in einem zerfressenen politischen System darstellt, pokert er enorm hoch. Wenn er sein Blatt überreizt, dann sind die Folgen unabsehbar. Im politischen Kasino in Rom spielt er nämlich möglicherweise mit den letzten demokratischen Karten.“
Eine solche Rhetorik erinnert an Mussolini und Berlusconi. Tatsächlich gibt es Parallelen zum Aufstieg Berlusconis vor nunmehr 2 Jahrzehnten. Auch er profilierte sich als Verschrotter des alten christdemokratisch dominierten Italien. Sein Hauptfeind war die damals schon domestizierte Linke. Auch er wollte Italien fit für den globalen Kapitalismus machen. Daran kann und wird Renzi jetzt anknüpfen.
Die Jahre des Berlusconismus haben zu einer Individualisierung der Gesellschaft geführt, die in viele Kleinunternehmen zerfällt, die fast nur noch als Konkurrenten mit Dumpinglöhnen auftreten. In einer solchen Situation ist eine gewerkschaftliche Interessenvertretung schwer. Dazu trägt eine repressive Gesetzgebung bei, die beispielsweise oppositionelle Gewerkschaften wie die FIOM bei Fiat faktisch illegalisierte. Darauf kann Renzi beim Verschrotten des letzten Restes von Sozialstaat bauen und von der EU wird er auch Unterstützung bekommen, wenn es ihm gelingt, Italien in Form zu bringen für den Kapitalismus des 21 Jahrhunderts.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155885
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.matteorenzi.it/
[2]
http://www.partitodemocratico.it
[3]
http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio118254.html
[4]
http://brf.be/nachrichten/presseschau/712129/
[5]
http://www.fiom.cgil.it/
[6]
http://fiomcarrozzeriamirafiori.jimdo.com/
Bye, bye Berlusconi?
Selbst seine eigene Gefolgschaft steht nicht mehr hinter dem vorbestrafen Egomanen. Doch der Berlusconismus wird auch ohne ihn weitergehen
Jahrelang wurde das politische Ende des langjährigen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi immer wieder prophezeit und von vielen regelrecht herbeigesehnt. Bezeichnenderweise hieß ein kurzzeitig populärer Film aus dem Jahr 2006 Bye, bye, Berlusconi. Damals war die von dem Medienunternehmer geführte Rechtsregierung wieder einmal abgewählt worden und das linke und liberale Italien hoffte, dass es nun vorbei ist mit Berlusconi. Doch sie sollten sich irren.
Bei den nächsten Wahlen war Berlusconi wieder am Ruder und so schien es immer weiter zu gehen. Die heterogene italienische Opposition schien keinen Modus gefunden zu haben, um das rechte Stehaufmännchen in Rente zu schicken. Erst als sich der alternde Politiker mit der EU anlegte und mal den Austritt Italiens aus der Eurozone und dann den Ausschluss Deutschlands aus dem Euro forderte, wendete sich das Blatt.
Ausgerechnet der Musterkapitalist Berlusconi, der mit seiner wirtschaftsliberalen Agenda die italienische Gesellschaft umkrempelte, wurde nun in der EU als Gefahr für die Märkte bezeichnet. Hier zeigt sich deutlich, was passiert, wenn jemand im Namen des Staates ein individuelles kapitalistisches Interesse rücksichtslos durchsetzen will und dabei den Staat nicht mehr als ideellen Gesamtkapitalisten wahrnehmen kann. In Italien fiel der Justiz zunehmend diese Rolle zu.
Sie ermittelt seit der Anfangszeit von Berlusconis Regierung, doch erfolgreich war sie erst, als dem Egomanen die Gunst der Märkte bzw. der EU entzogen worden waren. Daher war seine erste rechtskräftige Verurteilung nur konsequent. Da damit auch der Ausschluss aus der aktiven Politik verbunden ist, könnte der optimistische Filmtitel von 2006 sieben Jahre später nun Wirklichkeit werden,
Regierung oder Berlusconi am Ende?
Seit Wochen kämpft Berlusconi nur noch darum, diesen Ausschluss aus der aktiven Politik zu verhindern. Dabei geht es nicht um finanzielle Pfründe, die für den schwerreichen Kapitalisten keine große Rolle spielen. Vielmehr stehen weitere Gerichtsverfahren gegen ihn an und dann könnte nicht mehr ein Hausarrest in einer seiner Luxusvillen, sondern eine Gefängniszelle auf ihn warten.
Anders als die prominenten Politiker aus der Vor-Berlusconi-Ära wie Craxi, die in den 1990er Jahren vor dem Antritt ihrer Haftstrafen nach Nordafrika flohen, sind die Regime gestürzt, die Berlusconi vor den Zugriff der Justiz schützen könnten. Daher hat Berlusconi vor wenigen Tagen genau das Szenario ausgelöst, über das seit Wochen spekuliert wurde. Er hat die Minister seiner Rechtspartei Volk der Freiheit zum Austritt aus der Regierung aufgefordert, die damit ihre Mehrheit verliert.
Der offizielle Grund für diesen Schritt war die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 22 Prozent. Damit sollte die Demission der Minister als Aktion im Interesse der Bevölkerung verkauft werden. Doch es ist fraglich, dass dieser populistische Trick noch zieht. Auch für viele italienische Medien ist klar, dass hier ein verurteilter Politiker Sonderrechte einfordert. Am kommenden Freitag will der Immunitätsausschuss des italienischen Senats über den Verlust seines Mandats endgültig entscheiden.
Wenn nun aber hiesige wirtschaftsnahe Medien wie das Handelsblatt moralinsauer das unverantwortliche Handeln Berlusconis anprangern, wird die Angst deutlich, dass die von Deutschland diktierte Austeritätspolitik wieder einmal zur Debatte steht. Solche Töne aus Deutschland können Berlusconi nur nutzen, weil er dann zumindest seine Anhänger wieder um sich sammeln kann, wenn er vermeintlich gegen ein Deutsch-Europa noch einmal in die Wahlschlacht ziehen will.
Denn auch Parteikollegen sind mittlerweile nicht mehr so überzeugt, dass sie mit Berlusconi weiterhin auf Erfolgskurs sind. Selbst einige der Minister aus Berlusconis Partei haben schon angedeutet, dass ihnen ihr Posten wichtiger ist als die Nibelungentreue zu ihren Vorsitzenden. Das könnte sich bereits am Mittwoch zeigen, wenn der italienische Ministerpräsident Letta im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Sollten Abgeordnete und Minister aus der Berlusconis Partei für ihn stimmen, würde es eine erneute Spaltung geben. Das wäre an sich nichts Neues.
Im letzten Jahrzehnt gab es in der italienischen Rechtskoalition immer wieder solche Trennungen, die spektakulärste war die zwischen Berlusconi und dem Postfaschisten Fini. Gerade bei rechten Bewegungen, die kritiklos auf einige Führungsfiguren eingeschworen sind, sind Spaltungen schnell vollzogen, wenn dann doch mal Kritik aufkommt.
Bisher konnte Berlusconi aus diesen Spaltungen immer gestärkt hervorgehen, weil er sich als Siegertyp inszenierte. Das hat sich seit einem Jahr geändert, daher könnte eine erneute Spaltung in Berlusconis Partei sein Ende einleiten. Den mit einem Verlierer will man denn doch gerade in rechten Kreisen nicht gemeinsam untergehen. Selbst in seinem engsten Umfeld scheint man ein Scheitern in Italien in Erwägung zu ziehen. Schließlich sondiert Berlusconi nach Presseberichten bereits für eine Kandidatur bei den Eurowahlen in Estland.
Berlusconismus bleibt
Spaltungstendenzen könnten sich allerdings bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage für die italienische Regierung auch bei der Grillo-Bewegung vertiefen. Auch dort wächst die Zahl der Abgeordneten, die dem Kurs von Grillo nicht mehr bedingungslos folgen wollen. Grillo und seine Gefolgsleute betrachten sämtliche anderen Parteien als Teil eines korrupten Kartells, das verschwinden soll. Deswegen haben sie auch eine Kooperation mit Teilen des linksreformistischen Spektrums gegen die Berlusconi-Rechte bisher abgelehnt.
Doch in der heterogenen Grillo-Bewegung gibt es an dieser Linie immer mehr Kritik. Manche sehen schon in Grillos autoritären Führungsstils Parallelen zum Kurs von Berlusconi. Selbst wenn Berlusconi nun endgültig in der italienischen Innenpolitik keine Rolle mehr spielen sollte, so wird doch der Berlusconismus noch weiterhin bestehen bleiben.
Schließlich ist es ihm und seiner Rechtskoalition im letzten Jahrzehnt erfolgreich gelungen, die Überreste der alten Arbeiterbewegung, aber auch der sich um 2000 neu entstandenen sozialen Bewegungen zu dezimieren. Die Linke in und außerhalb des Parlaments spielt heute keine Rolle mehr. Stattdessen wurde Italien erfolgreich in eine atomisierte Gesellschaft von Kleinunternehmen verwandelt, wo der Egoismus triumphiert und Solidarität als hoffnungslos altmodisch diskreditiert ist.
Der Kampf gegen diese Erbschaft Berlusconis kann wohl in Italien erst dann aufgenommen werden, wenn der Namensgeber keine Rolle mehr spielt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155060
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.byebyeberlusconi.de
[2]
http://www.tagesspiegel.de/politik/kritik-an-deutscher-krisenpolitik-berlusconi-droht-mit-euro-austritt-italiens/7723920.html
[3]
http://www.welt.de/politik/ausland/article106406519/Berlusconi-fordert-Euro-Austritt-Deutschlands.html
[4]
http://www.ilpopolodellaliberta.it/
[5]
http://www.handelsblatt.com/politik/international/kommentar-berlusconi-handelt-unverantwortlich/8862870.html
[6]
http://www.repubblica.it/politica/2010/10/26/news/archivia_casa-8458185/
[7]
http://derstandard.at/1379291335942/Berlusconi-koennte-in-Estland-fuer-EU-Parlament-kandidieren
[8]
http://www.beppegrillo.it
[9]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/2148926
Demo gegen Görings Soldat
ANTIFA WILL IN HOHENSCHÖNHAUSEN PROTESTIEREN
Im Sommer 2011 endete in Italien ein Prozess gegen Angehörige des Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“. Neun Mitglieder der Formation waren wegen Massakern an italienischen Zivilisten im Frühjahr 1944 angeklagt worden. Sie erschienen während des Verfahrens nie vor Gericht, die Verurteilung zu hohen Haftstrafen hatte für sie keine Konsequenzen. Deutschland liefert die Männer nicht nach Italien aus und vollstreckt die Strafen auch nicht selbst.
Seit einem Jahr versuchen antifaschistische Gruppen, die in Berlin lebenden Angeklagten öffentlich zu machen. Im letzten Sommer wurde in der Nähe des Wohnorts von Helmut Odenthal in Reinickendorf demonstriert (taz berichtete). Nun soll die Nachbarschaft über die Vergangenheit von Herbert Wilke informiert werden. Der 92-Jährige war Offizier und Kommandant der 10. Batterie des II. Flak-Regiments der Division Hermann Göring. Da ihn beim Prozess in Italien keine direkte Beteiligung bewiesen werden konnte, wurde er nicht verurteilt. Die Entscheidung wurde vom Gericht allerdings nicht als Freispruch interpretiert.
„Wilke war Mitglied der Lieblingseinheit von Hermann Göring und hat weder in Italien noch in Deutschland zur Aufklärung der Massaker beigetragen“, betont Martin Sonnenborn vom Bündnis Liberationweeks.
Am vergangenen Wochenende berichtete die ständige Beobachterin der italienischen Prozesse Marianne Wienemann über die Bedeutung der Verfahren für Opfer und Angehörige. Am Freitag soll das Unwissen über diese letzten Verfahren in Deutschland durchbrochen werden. Die Demonstration beginnt um 16 Uhr vor dem Storchenhof-Center in der Rhinstraße/Ecke Hauptstraße in Hohenschönhausen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F04%2F18%2Fa0148&cHash=8bc5f48ad2
Peter Nowak
Demo gegen Görings Soldat
ANTIFA WILL IN HOHENSCHÖNHAUSEN PROTESTIEREN
Im Sommer 2011 endete in Italien ein Prozess gegen Angehörige des Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“. Neun Mitglieder der Formation waren wegen Massakern an italienischen Zivilisten im Frühjahr 1944 angeklagt worden. Sie erschienen während des Verfahrens nie vor Gericht, die Verurteilung zu hohen Haftstrafen hatte für sie keine Konsequenzen. Deutschland liefert die Männer nicht nach Italien aus und vollstreckt die Strafen auch nicht selbst.
Seit einem Jahr versuchen antifaschistische Gruppen, die in Berlin lebenden Angeklagten öffentlich zu machen. Im letzten Sommer wurde in der Nähe des Wohnorts von Helmut Odenthal in Reinickendorf demonstriert (taz berichtete). Nun soll die Nachbarschaft über die Vergangenheit von Herbert Wilke informiert werden. Der 92-Jährige war Offizier und Kommandant der 10. Batterie des II. Flak-Regiments der Division Hermann Göring. Da ihn beim Prozess in Italien keine direkte Beteiligung bewiesen werden konnte, wurde er nicht verurteilt. Die Entscheidung wurde vom Gericht allerdings nicht als Freispruch interpretiert.
„Wilke war Mitglied der Lieblingseinheit von Hermann Göring und hat weder in Italien noch in Deutschland zur Aufklärung der Massaker beigetragen“, betont Martin Sonnenborn vom Bündnis Liberationweeks.
Am vergangenen Wochenende berichtete die ständige Beobachterin der italienischen Prozesse Marianne Wienemann über die Bedeutung der Verfahren für Opfer und Angehörige. Am Freitag soll das Unwissen über diese letzten Verfahren in Deutschland durchbrochen werden. Die Demonstration beginnt um 16 Uhr vor dem Storchenhof-Center in der Rhinstraße/Ecke Hauptstraße in Hohenschönhausen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F04%2F18%2Fa0148&cHash=8bc5f48ad2
Peter Nowak
Kein Guantánamo im Mittelmeer
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde über europäische Flüchtlingspolitik entschieden
Italien hätte afrikanische Flüchtlinge, die noch auf See abgefangen wurden, nicht einfach zurück schicken dürfen. Das entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Damit stellten die Richter klar, dass das Meer kein rechtsfreier Raum ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasste sich auch mit der Kooperation der EU-Staaten mit dem Gadhaffi-Regime bei der Abwehr von Flüchtlingen, die heute gerne verschwiegen wird. Dabei waren Gadaffis Dienste als europäischer Grenzwächter sehr gefragt, nicht nur von der italienischen Regierung. Flüchtlinge wurden erst gar nicht auf europäischen Boden gelassen. Ihre Boote wurden gleich im Meer zur Rückkehr gezwungen.
Kritiker sprachen von einem Guantánamo auf hoher See, weil auf den Schiffen alle Rechte der Flüchtlinge suspendiert waren. So zum Beispiel im Mai 2009: Eine Gruppe von 227 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea wurde von Libyen kommend 35 Seemeilen vor der italienischen Insel Lampedusa von der italienischen Grenzpolizei und Marine aufgebracht. Zunächst dachten die Flüchtlinge, sie seien in Sicherheit, als sie auf die Schiffe der Marine gebracht wurden. Doch die transportierten sie sofort zurück nach Tripolis. Das Gericht entschied, dass die Flüchtlinge dadurch unmenschlicher Behandlung und Folter in den libyschen Flüchtlingslagern ausgesetzt wurden.
Die italienische Rechtsregierung sah in der Maßnahme einen großen Erfolg. Schließlich war es die erste Aktion nach dem Rückübernahmeabkommen mit Libyen. Deshalb fuhren mit der Grenzpolizei auch Journalisten mit, die für die mediale Verbreitung sorgen sollten. Schließlich gab es bei den Anhängern der italienischen Rechtsparteien, die damals die Regierung stellten, sogar Stimmen, die eine Bombardierung der Flüchtlingsboote forderte.
Schiffe kein rechtsfreier Raum
Die Anwesenheit von zwei französischen Journalisten auf dem Polizeiboot sorgte dafür, dass diese Rückführung den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof beschäftigte. Sie recherchierten in Libyen weiter, was mit den Abgeschobenen geschehen ist. Dort bekamen sie auch die Vollmachten von 24 Abgeschobenen, mit denen die Klagen eingereicht wurden. Der Europäische Gerichtshof stellte jetzt fest, dass mit der Rückführung gleich gegen mehrere Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden sei.
So seien die Flüchtlinge durch die Rückführung in Gefahr gebracht worden, weil ihnen unmenschliche Behandlung sowohl in Libyen als auch in ihren Herkunftsländern drohte. Es sei bekannt, dass in Eritrea Flüchtige mit Haft bestraft werden, nur weil sie das Land verlassen. Auf Zusagen der libyschen Regierung, wonach für den Schutz der Flüchtlinge gesorgt werde, hätte sich die Grenzpolizei schon deshalb nicht verlassen dürfen, weil das Land weder die Genfer Konvention zum Schutz der Flüchtlinge unterzeichnet, noch das örtliche Büro des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) anerkannt hatte.
Schließlich hätte Italien auch die Menschenrechtskonvention beachten müssen – den Flüchtlingen sei nämlich kein Rechtsmittel gegen ihre Zurückweisung nach Libyen ermöglicht worden. Ein solches Rechtsmittel hätte eine aufschiebende Wirkung haben müssen, so die Richter.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151490
Peter Nowak
Stürzt die EU Berlusconi?
Für Empörung in Italien sorgt das Lächeln von Merkel und Sarkozy über Berlusconi
n Seit Monaten fordert die breitgefächerte Opposition in Italien den Rücktritt von Ministerpräsident Berlusconi. Der aber, nur noch darum bemüht, sich seine Straffreiheit zu bewahren, hat trotz Zerwürfnissen in seiner eigenen rechten Koalition bei Vertrauensfragen im Parlament immer wieder eine knappe Mehrheit erhalten. Doch jetzt könnte der Dauerministerpräsident doch noch straucheln, wie italienische Medien melden. Verantwortlich dafür wären aber weder die italienische Protestbewegung und schon gar nicht die politischen Oppositionsparteien, die nicht weniger zerstritten als die Regierung sind. Der neueste Streit in der italienischen Regierung wurde von den EU-Gremien verursacht. Die verlangen von Italien massive Sozialkürzungen, u.a. eine Erhöhung des Rentenalters, damit das Land sein Defizit verringert. Gegen diese Maßnahme aber sperrt sich die Lega Nord, die in der letzten Zeit Berlusconis Stütze im Parlament war. Die norditalienischen Rechtspopulisten, die sich gerne als Stimme des italienischen Steuerbürgers gegen alle Zuwanderer, sei es aus dem Süden des Landes oder dem Ausland geriert, hat schon in der Vergangenheit an der Rentenfrage die Rechtskoalition platzen lassen. Schon redet der Lega-Vorsitzende Bossi von Neuwahlen. Damit aber bringt er nicht nur Berlusconi, sondern auch die EU in Bedrängnis. Denn wenn bei den Eurorettungsverhandlungen ein italienischer Ministerpräsident auf Zeit sitzt, der keine Verhandlungsvollmacht mehr hat, wird das vielzitierte Vertrauen in die Währung nicht gerade gestärkt. Zumal überhaupt nicht absehbar ist, wie es in einen Italien nach Berlusconi, der trotz erster Absatzbewegungen in seiner eigenen Partei noch immer die Nummer eins ist, weitergehen soll. Obwohl die Oppositionsparteien so oft dessen Rücktritt fordern, sind sie auf eine Nachfolgeregelung nicht vorbereitet. Zumal auch nicht klar ist, ob Berlusconi, entgegen aller seiner Versprechungen, bei vorgezogenen Neuwahlen nicht doch noch mal antreten und sich als Verteidiger Italiens gegen die Zumutungen der EU aufspielen könnte.
Das Lächeln von Merkel und Sarkozy
Zweifelhaft ist, ob Berlusconi auf dem EU-Gipfel am Mittwoch die von ihm zugesagten Maßnahmen zur Haushaltssanierung präsentieren kann. Es sei eine Vereinbarung erzielt worden, sagte Bossi, aber nicht über die Rentenreform. Für mehr Empörung in der italienischen Öffentlichkeit sorgt aber das „maliziöse Lächeln“ für Empörung, mit dem Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy bei einer Pressekonferenz auf die Frage reagierten, ob sie noch Vertrauen in Berlusconi haben? „Diese Erniedrigung, mit Griechenland gleich gesetzt zu werden, ist der Beweis, dass Italien abgestiegen ist. Wir müssen daran arbeiten, wieder in die erste Liga aufzusteigen“, übt sich Enrico Letta von der sozialliberalen Demokratischen Partei in Standortnationalismus. Auch Außenminister Frattini gab sich entrüstet. Solche Ab- und Aufwertungen der verschiedenen Länder im EU-Rahmen werden durch die Politik der EU eher gefördert und beschränken sich nicht nur auf Italien. So hat der konservative bulgarische Ministerpräsident in Bezug auf die Griechenlandhilfe gefordert, jedes EU-Mitglied solle die Löhne und Gehälter auf bulgarisches Niveau senken, bevor es Hilfe von der Europäischen Gemeinschaft in Anspruch nehmen darf. Wo nicht solidarische Bewegungen soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene verteidigen, übernehmen oft rechte Populisten und Nationalisten auf ihre Weise diese Aufgabe. Das könnte auch der italienischen Rechten nützen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150700
Peter Nowak
Italien: Wikiepedia-Protest gegen Abhörgesetz
Ein Passus des im italienischen Parlament diskutierten Gesetzentwurfs könnte das Ende des Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit bedeuten
Die italienische Wikipedia hat mit einer besonderen Aktion darauf hingewiesen, dass es die Plattform in ihrer bisherigen Form vielleicht bald nicht mehr geben könnte. Seit Tagen wird dort schon mal vorgeführt, wie die Plattform nach der Verabschiedung eines zurzeit im Parlament diskutierten Gesetzes aussehen könnte.
Wikipedia Italien ist seit einigen Tagen abgeschaltet. „Zurzeit ist die Seite, die Sie gerade lesen möchten, nur versteckt, doch es besteht die Gefahr, dass wir bald dazu gezwungen werden können, sie wirklich zu löschen“, heißt es dort zur Erläuterung.
Der Grund für den Wikipedia-Protest ist der Paragraph 29 eines italienischen Gesetzentwurfes, der als „DDL intercettazioni“ oder Gesetz gegen Abhörmaßnahmen bekannt wird. Der umfangreiche Gesetzentwurf enthält einen Passus, der nicht nur für Wikipedia gravierende Auswirkungen haben könnte:
Auf Internetseiten sowie in Tageszeitungen und Zeitschriften, die auf elektronische Weise veröffentlicht werden, müssen innerhalb von 48 Stunden nach Antragseingang die Statements und Korrekturen an gleicher Stelle und in gleichbleibender Formatierung, ohne Veränderung des Zugangs zur Seite oder der Sichtbarkeit der Nachrichten, auf die sie sich beziehen, veröffentlicht werden.
Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung der presserechtlich Verantwortlichen von Webseiten, innerhalb von 48 Stunden kommentarlos jegliche Korrektur am Inhalt vorzunehmen, die der Antragsteller im Interesse seiner Reputation fordert. Wikipedia weist auf die praktischen Auswirkungen hin:
Unerfreulicherweise verlangt dieses Gesetz keine Evaluation durch eine unabhängige dritte Person. Ausschließlich die Meinung der angeblich beleidigten Person oder Organisation genügt, um die geforderten Korrekturen an der Webseite durchsetzen zu lassen.
Jeder, der sich durch den Inhalt eines Blogs oder einer Online-Zeitschrift angegriffen fühlt, kann die die Entfernung des Inhalts und eine dauerhafte Veröffentlichung einer durch ihn korrigierten Fassung verfügen, unabhängig von den Quellen oder der Frage, ob der inkriminierte Inhalt tatsächlich eine Beleidigung bzw. Rufschädigung darstellt. Es käme dann auch nicht mehr darauf an, ob der geschilderte Sachverhalt der Wahrheit entspricht oder nicht.
Nicht nur ein Internetknebel made in Berlusconien
Tatsächlich könnte eine solche Regelung jegliche kritische Berichterstattung im Internet unmöglich machen. Betroffen wären mehr noch als Wikipedia, das durch seine internationale Bekanntheit einen gewissen Schutz genießt, die vielen kritischen Blogs und Internetmagazine, die sich als kritische Gegenöffentlichkeit verstehen.
Die Protestaktion von Wikipedia-Italien reiht sich ein in zahlreiche Aktionen, mit denen italienische Medien seit Jahren gegen Versuche der Berlusconi-Regierung protestieren, die Berichterstattungen zu reglementieren. So wurde am 9. Juli 2010 gegen die als Knebelgesetze bezeichneten Regierungspläne mit einen italienweiten Streiktag protestiert, an dem sich die gesamte nicht vom Berlusconi-Imperium beeinflussten Medien beteiligten (Tag des journalistischen Schweigens in Italien). Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen unterstützte den Protest.
Der aktuelle Gesetzesentwurf ist nun ein weiterer Versuch der Kommunikationseinschränkung. Es wäre allerdings verkürzt, die Auseinandersetzung um die zurzeit im italienischen Parlament diskutierte Fassung des Abhörgesetzes nur als einen Streit um einen Internetknebel made in Berlusconien zu betrachten. Mag auch die italienische Regierung besonders plump vorgehen und damit den Widerstand besonders herausfordern, das Bestreben, das Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit unter Kontrolle zu bekommen und zu neutralisieren, gibt es auch in Deutschland. Betroffen davon sind die vielen Blogs und Internetmagazine, die mit ihren Veröffentlichungen eine Gegenöffentlichkeit bilden, wie sie im Zeitalter der Printmedien unbekannt war.
Die presserechtlich Verantwortlichen sind auch in Deutschland zunehmend nicht nur Korrekturforderungen der bei ihnen publizierten Texte, sondern auch existenzgefährdenden Kostenbescheiden ausgesetzt, berichtet der presserechtlich Verantwortliche des Internetmagazins Trend-Onlinezeitung Karl-Heinz Schubert auf einer Veranstaltung in Berlin. In der letzten Zeit sei die Anzahl der Abmahnungen gewachsen.
Auffällig sei, dass Berichte von Konflikten aus der Arbeitswelt besonders häufig Anlass für juristische Schritte seien, so Schubert. Die seien dann sofort mit Kosten verbunden. Oft würden die Anwälte bereits im ersten Schreiben nicht nur die Entfernung eines inkriminierten Artikels verlangen, sondern sofort einen Kostenbescheid in drei- bis vierstelliger Höhe vorlegen. „Solche Maßnahmen dienen der Einschüchterung und haben zur Folge, dass viele sich gar nicht trauen, kritische Inhalte zu veröffentlichen“, so Schuberts Fazit. Daher kann man das im italienischen Parlament diskutierte Abhörgesetz durchaus in einem Zusammenhang mit den Einschränkungsversuchen der kritischen Kommunikation im Internet auch außerhalb von Italien betrachten.
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35635/1.html
Peter Nowak
Protest gegen Unmenschen
NS-VERGANGENHEIT Zu lebenslanger Haft verurteilter Kriegsverbrecher lebt in Reinickendorf. Ein antifaschistisches Bündnis will dort für seine Auslieferung an Italien demonstrieren
Am kommenden Samstag wird es am beschaulichen Becherweg im Stadtteil Reinickendorf unruhiger als sonst. Für 12 Uhr ruft ein antifaschistisches Bündnis dort zu einer Kundgebung auf. Ganz in der Nähe wohnt der 91-jährige Helmut Odenwald, der am 6. Juli vom Militärgericht im italienischen Verona zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde. Er ist einer von sieben Angehörigen der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring“, denen das Gericht die Beteiligung an Massakern an der Zivilbevölkerung im Frühjahr 1944 in Norditalien nachgewiesen hat. Das Gericht verurteilte den damaligen Hauptmann und Kommandanten der Flakbatterie der Division wegen der Beteiligung an drei Massakern, darunter der Tötung von EinwohnerInnen in den Dörfern Monchio, Susano und Costrignano in der norditalienischen Provinz Modena am 18. März 1944.
Nach Auseinandersetzungen mit Partisanenverbänden war die Wehrmachtsdivision in die Orte eingerückt und hatte Jagd auf Menschen gemacht. „Zuerst in dem Dorf Susano, wo die Soldaten systematisch jedes Haus, jeden Stall, jede Scheune, jeden Hofplatz durchsuchten“, fasst die Journalistin und Prozessbeobachterin Marianne Wienemann die Aussagen der ZeugInnen zusammen. Die Bewohner seien auf der Stelle erschossen worden. Die jüngsten Opfer seien 3, 4 und 7 Jahre alt gewesen. In dem Ort Civiga, den die Wehrmachtsdivision am 20. März 1944 besetzt hatte, wurden an einem Tag 27 ZivilistInnen getötet und alle Häuser niedergebrannt. Weil die italienische Regierung während des Kalten Krieges die Akten in einen Geheimschrank sperrte, vergingen mehr als 60 Jahre bis zum Urteil.
„Für die Opfer ist dieser Prozess die längst fällige öffentliche Auseinandersetzung der Gesellschaft mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen worden war“, sagt Wienemann. In der deutschen Öffentlichkeit wurden Prozess und Urteil kaum wahrgenommen. Die Angeklagten blieben dem Verfahren fern, strafrechtliche Konsequenzen haben sie nicht zu befürchten: Deutschland liefert keine StaatsbürgerInnen aus, und die Strafe wird hier nicht vollstreckt. Dagegen protestiert die AG Reggio-Emilia, in der sich Einzelpersonen und AktivistInnen verschiedener Antifagruppen zusammengeschlossen haben. Sie fordern die Auslieferung von Odenwald und die sofortige Zahlung der Reparationen durch die deutsche Regierung.
„Die juristische Strafverfolgung der NS-Täter und die Anerkennung der von der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen sind zwingende Voraussetzung, wenn Deutschland seine nationalsozialistische Vergangenheit als aufgearbeitet betrachtet sehen will“, meint Carsten Schreiber von der antifaschistischen Arbeitsgruppe. Die Adressen der Angeklagten seien durch das Urteil bekannt geworden. Odenwald lebt als einziger der Verurteilten in Berlin. Ein ebenfalls angeklagter ehemaliger Wehrmachtssoldat aus Weißensee war von dem Militärgericht freigesprochen worden.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F13%2Fa0165&cHash=3a153a28fa
Peter Nowak
Im Saal der leeren Stühle
In Italien finden derzeit die letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse statt. Die deutsche Öffentlichkeit scheint das nicht zu interessieren.
Die Staatsanwaltschaft des Militärgerichts von Verona hat gegen Horst Günther, Erich Köppe, Alfred Gabriel Lühmann, Günther Heinroth, Helmut Odenwald, Ferdinand Osterhaus, Fritz Olberg, Wilhelm Karl Stark und Hans Georg Winkler lebenslängliche Haftstrafen wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs gefordert. Selbst wenn das Gericht diesem Antrag bei der für den 22. Juni geplanten Urteilsverkündung folgt, brauchen sich die Angeklagten, die an den Verhandlungen nicht teilnehmen, genauso wenig Sorgen zu machen wie die drei ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die am 25. Mai von einem Militärgericht in Rom wegen der Beteiligung an Wehrmachtverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden sind. Die deutsche Regierung wird sie nicht ausliefern, und in ihrem Herkunftsland müssen die ehemaligen Mitglieder der Fallschirm-Panzer-Division »Hermann Göring« kein Verfahren befürchten.
Die Division »Hermann Göring« bewährte sich bei der Verfolgung von NS-Gegnern in Berlin, bevor sie als Teil der Wehrmacht ihre Blutspur im von Deutschland besetzten Europa hinterließ. Sie war an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands ebenso beteiligt wie am Terror gegen die italienische Zivilbevölkerung. Das Militärgericht in Verona wirft den Angeklagten die Beteiligung an mehreren Massakern an italienischen Zivilisten in der Toscana und der Emilia-Romagna im März und April 1944 vor, bei denen mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen sind. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Frauen, Kinder sowie alte und kranke Menschen. Ein Großteil der männlichen Einwohner hatte sich versteckt, weil sie nicht als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt werden wollten. In dem Verfahren kamen die Verbrechen der Wehrmachtseinheit detailliert zur Sprache, wie Marianne Wienemann in Berlin berichtete. Sie ist Mitarbeiterin des Instituts für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte in der Provinz Reggio Emilia Istoreco und verfolgt das Verfahren als Prozessbeobachterin. So wurden in einem Dorf alle Einwohner in eine Kapelle getrieben, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Vor der brennenden Kirche feierte die Einheit ein Fest und machte sich über die Schmerzensschreie der Überlebenden lustig. Diese Aussage stammt von einem Jugendlichen, der sich vor der Wehrmacht versteckt hatte und ansehen musste, wie seine Verwandten und Freunde umkamen.
In den ersten Jahren nach der Niederlage der deutsch-italienischen Achse begannen britische und amerikanische Richter mit Ermittlungen über die Kriegsverbrechen. Die juristische Aufarbeitung geriet in den fünfziger Jahren ins Stocken, die Akten wurden in einem später »Schrank der Schande« genannten Archiv der italienischen Militärgerichtsbarkeit deponiert. Erst 1994 begannen neue Ermittlungen, die zu den gegenwärtigen Verfahren führten. Während des Kalten Krieges sollte die Partnerschaft zwischen Westdeutschland und der Nato nicht durch Ermittlungen über Wehrmachtsverbrechen belastet werden. Die Interessen der italienischen Opfer- und Widerstandsverbände, die gegen die Verschleppung der Verfahren protestierten, wurden ignoriert. Wie die Stimmung in Westdeutschland war, zeigte sich zum Beispiel 1977. Damals gelang Herbert Kappler, einem der wenigen wegen Wehrmachtsverbrechen in Italien verurteilten NS-Funktionäre, die ihre Strafe verbüßen mussten, die Flucht aus einem Gefängniskrankenhaus in die BRD. Er starb einige Monate später im niedersächsischen Soltau; mehr als 800 Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Neben Alt- und Neonazis waren Konservative aus der Mitte der Gesellschaft dabei, die ein Ende der Aufarbeitung der NS-Verbrechen forderten. 35 Jahre später scheint ihr Wunsch sich erfüllt zu haben. Die deutschen Medien nahmen von dem jüngsten Prozess kaum mehr Notiz. Die Angeklagten erklärten sich für nicht schuldig und ignorierten die Verhandlungen. Ihre Stühle im Gerichtssaal blieben während des Verfahrens leer
http://jungle-world.com/artikel/2011/23/43355.html
Peter Nowak
Die späte Gerechtigkeit
In Rom wurden drei der letzten Wehrmachtssoldaten verurteilt, über neun weitere soll im Juni entschieden werden. Doch eine Auslieferung haben sie nicht zu fürchten
Jung sind die Verurteilten nicht gerade: Zwischen 88 und 94 Jahre sind die drei deutschen Staatsbürger alt, die letzte Woche von einem Militärgericht in Rom zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurden. Das Gericht befand sie für schuldig, im August 1944 in der Ortschaft Padule di Fucecchio nahe Florenz an der Ermordung von 184 Zivilisten – zum Großteil Frauen, Kinder und alte Menschen – beteiligt gewesen zu sein. Zeitgleich forderten die Staatsanwälte beim Militärgericht in Verona eine lebenslängliche Haftstrafe gegen neun ehemalige Wehrmachtsangehörige. Den ehemaligen Angehörigen der Fallschirm-Panzerdivision „Hermann Göring“ wird vorgeworfen, im Frühjahr 1944 bei als „Partisanenbekämpfung“ getarnten Massakern in Norditalien über 400 Zivilisten ermordet zu haben. Am 22. Juni soll in diesen Fall das Urteil gefällt werden.
Eine Verhaftung haben die Angeklagten ebenso wenig zu fürchten, wie diejenigen, die jetzt in Rom schuldig gesprochen wurden. Als deutsche Staatsbürger können sie nicht nach Italien ausgeliefert werden. Die deutsche Justiz hat aber auch erklärt, dass ihr die Beweise nicht ausreichen, um eigene Verfahren einzuleiten. Eine öffentliche Auseinandersetzung darüber gibt es in Deutschland kaum.
Opfer: Kinder, Alte, Kranke
Den Angeklagten wird die Beteiligung an den blutigen Massakern vorgeworfen, die Angehörige der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ der Wehrmacht zwischen März und Mai 1944 an italienischen Zivilisten verübten. Dabei wurden oft ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Die dort lebenden Männer zwischen 16 und 60 hielten sich versteckt – meist aus Angst, von den Deutschen als Zwangsarbeiter verschleppt zu werden. Deshalb wurden vor allem Kinder, Alte, Kranke und Frauen zum Opfer deutscher Soldaten, die ihre Wut über den wachsenden antifaschistischen Widerstand an den Zivilisten ausließen.
In einem Dorf wurden die Opfer in eine Kapelle gesperrt, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Während die Opfer grausam umkamen, feierte die Einheit vor der Kapelle ein feuchtfröhliches Fest. Dabei handelte es sich keineswegs um Vergeltungsaktionen für Partisanenaktionen, wie von konservativen Kreisen zur Entschuldigung oder Relativierung der Verbrechen gerne angeführt wird. Abgelegene Dörfer waren von den Mordaktionen besonders oft betroffen, weil sich die deutschen Täter dort ungestört austoben konnten.
Schon kurz nach der Niederlage des Nationalsozialismus begannen britische und amerikanische Juristen zu ermitteln – gestützt auf die Berichte der wenigen Überlebenden. Doch die Ermittlungen gerieten bald ins Stocken. In Zeiten des kalten Krieges wurden die ehemaligen Wehrmachtssoldaten wieder für den Kampf gegen den Kommunismus gebraucht, und man wollte Westdeutschland als neu umworbenen Bündnispartner nicht mit der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen verärgern. Die Proteste der wenigen Überlebenden wurden in Italien ignoriert.
Schrank der Schande
Die belastenden Akten wanderten in den „Schrank der Schande“ – so bezeichnet die italienische Öffentlichkeit den braunen Holzschrank, der von 1960 bis 1994 in der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom stand. In diesem Schrank wurden im Jahr 1960 auf Beschluss des damaligen allgemeinen Militärstaatsanwaltes, Enrico Santacroce, Aktenbündel über 2274 Fälle von NS-Kriegsverbrechen in Italien während des zweiten Weltkriegs „provisorisch archiviert“. 1966 wurden etwa 1300 Fälle an die zuständigen italienischen Staatsanwaltschaften abgegeben und 20 weitere an deutsche Ermittlungsbehörden. Für 695 Fälle – angeblich die wichtigsten – dauerte die „Archivierung“ jedoch 34 Jahre. Diese Akten wurden erst im Jahr 1994 wiederentdeckt und bilden die juristische Grundlage für die Verfahren, die bis heute gegen ehemalige deutsche Wehrmachtssoldaten laufen.
„Der Prozess ist die längst fällige Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen wurde“, meint Marianne Wienemann, die die Verfahren als Prozessbeobachterin verfolgt und kürzlich auf Einladung der antifaschistischen AG-Reggio-Emilia auf einer Veranstaltung in Berlin darüber berichtete. Sie blieb die Ausnahme. In Deutschland sind die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrechen kein großes Thema in Öffentlichkeit und Medien.
http://www.freitag.de/politik/1122-die-spaete-gerechtigkeit
Peter Nowak