Mit Sankara gegen Sapi

In einer kolossalen Statue will der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade die afrikanische Renaissance symbolisiert sehen. Die meisten Senegalesen spüren wenig von der Wiedergeburt. Dennoch wächst die Zahl derer, die lieber im Land bleiben, als ihr Glück im ungastlichen Europa zu suchen.

Der Hüne blickt siegesgewiss in die Ferne. Er hält ein Kind in die Höhe, mit der linken Hand zieht er eine Frau hinter sich her. Dieses Monument am westlichen Rand der senegalesischen Hauptstadt Dakar ist der afrikanischen Renaissance gewidmet. Deshalb wurde die 49 Meter hohe Bronze­statue auch am 4. April dieses Jahres eingeweiht, am 50. Jahrestag des Abzugs der französischen Soldaten aus dem Senegal.

Doch auch Monate nach der offiziellen Zeremonie ist die Kritik an dem Monument im Senegal nicht verstummt. Es diene eher dem Ego des Präsidenten Abdoulaye Wade als der afrikanischen Renaissance, monieren Oppositionspolitiker. Der Präsident macht es seinen Kritikern auch leicht. So reklamiert Wade das geistige Eigentum an der Statue für sich und beansprucht deshalb 35 Prozent der Erlöse, die durch Eintrittsgeld erzielt werden sollen. Bisher hat der Koloss allerdings nur Ausgaben verursacht. Der Bau verzögerte sich wegen technischer Probleme und hat mindestens 27 Millionen Euro gekostet. Das komfortable Konferenzzentrum unterhalb des Monuments ist noch immer geschlossen.
Auch die Ästhetik der Statue, die an den sozialistischen Realismus der fünfziger Jahre erinnert, sorgt vor allem bei senegalesischen Intellektuellen für Spott. »Warum musste auch ausgerechnet eine nordkoreanische Baubrigade mit der Errichtung eines Monuments beauftragt werden, das die afrikanische Wiedergeburt symbolisieren soll?« Diese Frage stellt sich auch der zwischen seiner Herkunftsstadt Dakar und Berlin pendelnde Künstler Mansour Ciss. Über den derzeitigen Zustand des Senegal und Westafrikas macht er sich in seinen Arbeiten eigene Gedanken, und deren Ergebnisse sind weniger heroisch als Wades Monument.

Auf der diesjährigen Dak’ Art, einer der wichtigsten afrikanischen Ausstellungen für zeitgenössische Kunst, ist Ciss mit seinem Afro-Projekt vertreten. Nach dem Vorbild des Euro und des Dollar hat er Geldscheine einer nicht existierenden afrikanischen Währung gestaltet. Ciss will problematisieren, dass rund 50 Jahre nach der Unabhängigkeit die Währung der von Frankreich kolonisierten westafrikanischen Staaten noch immer den Namen Franc trägt. Ob eine afrikanische Währung tatsächlich einen Beitrag für die afrikanische Unabhängigkeit leisten könnte, lässt er offen. Auf den Einwand, dass eine Einheitswährung für den gesamten Kontinent schon wegen der wirtschaftlichen Disparitäten zwischen Ländern wie Senegal, Nigeria und Südafrika derzeit kaum durchzusetzen wäre, entgegnet Ciss, er sei kein Ökonom, sondern Künstler. Auch ihm geht es um Symbolik, aber anders als der Präsident verbraucht er dafür nicht Tonnen von Kupfer, sondern nur Papier.

Auf einem der von Ciss gestalteten Afro-Scheine ist das Konterfei Thomas Sankaras zu sehen, eines Offiziers, der den westafrikanischen Staat Burkina Faso vier Jahre lang regierte und 1987 von Militärs ermordet wurde (Jungle World, 41/07). Dass Sankara nicht nur ein Motiv für Künstler ist, sondern bei der Jugend in vielen Ländern des Kontinents den Status eines afrikanischen Che Guevara genießt und wie dieser häufig auf T-Shirts und Plakaten abgebildet wird, liegt an seinen Sozialprogrammen, die als »Marktfrauen­sozialismus« bekannt wurden. Sankaras Regierung ließ die teuren Limousinen seiner Vorgänger verkaufen, er förderte Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und die Frauenemanzipation. Gegen den heftigen Widerstand islamischer Gruppen wurde die Genitalverstümmelung verboten, die Polygamie bekämpft und ein ehrgeiziges Verhütungsprogramm aufgelegt. Auf ökonomischem Gebiet förderte die Regierung die Produktion von Textilien im Land und drosselte die Importe aus Europa.

Die Initiativen, die sich heute in ganz Westafrika auf Thomas Sankara berufen, sehen in der ökonomischen Entwicklung den Schlüssel für die afrikanische Unabhängigkeit. »Eine Bevölkerung, die Hunger und Durst leidet, ist abhängig. Wir müssen den Hunger besiegen und die Menschenwürde wiederherzustellen, um unabhängig zu werden«, so lautete Sankaras Credo. Seine Anhänger verstehen das auch als Kritik an der teuren Symbolpolitik Wades.

Auf ökonomischem Gebiet folgt Wades Parti Démocratique Sénégalais, die im Jahr 2000 als »Partei der sozialen Forderungen« die Wahlen gewonnen hatte, weitgehend den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds und der einstigen Kolonialmacht Frankreich, bei der Senegal Ende 2008 einen Notkredit in Höhe von 83 Millionen Dollar aufnehmen musste, um die Gehälter der Staatsangestellten bezahlen zu können. Allerdings konzedieren auch Wades Kritiker, dass dessen Regierung in der Bildungspolitik einige Erfolge vorzuweisen hat. Tatsächlich findet man auch in ärmeren Stadtteilen von Dakar Schulgebäude in gutem Zustand. Viele scheinen erst vor kurzem renoviert worden zu sein. Die Zahl der Analphabeten ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was die Regierung als Ergebnis ihrer Politik darstellt. Allerdings müssen viele Kinder nach der Schule arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. In Dakar findet man im Schatten hoher Bäume komplette Textilwerkstätten, in denen Kinder und Jugendliche tätig sind. Sie sind dort vor Sonne, Sand und Autoabgasen besser geschützt als das Heer der Straßenverkäufer, unter denen es ebenfalls viele Minderjährige gibt und die auf allen großen Straßen und Plätzen ihr schier unerschöpfliches Warensortiment anbieten.

Weil die Zahl der Mobiltelefone in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen hat, sind Telefonkarten der große Renner. Vor allem bei Touristen sind T-Shirts, die eine besondere senegalesische Note aufweisen, sehr begehrt. Wem ein Landeswappen oder eine Stadtansicht von Dakar zu konventionell sind, der kann für umgerechnet drei Euro ein T-Shirt mit der Aufschrift erwerben: »Wenn Du mich nicht in Ruhe lässt, gehe ich zurück in den Senegal.« Der Spruch wurde von Auswanderern in Frankreich erfunden, die damit ironisch auf Diskriminierungen reagierten. Sie, die immer wieder aufgefordert werden, in ihre Herkunftsländer zurückzugehen, drohten den Franzosen, sie ihre schlecht bezahlten Jobs alleine machen zu lassen.

Die Migration überwiegend junger Menschen wird im Senegal zunehmend kritisch gesehen. Noch in den neunziger Jahren war die Auswanderung nach Westeuropa der Traum vor allem junger und gut ausgebildeter Senegalesen. Die mit der Abschottung Europas verbundenen Erschwernisse der Migration und die schlechte Behandlung derjenigen, die es bis auf den Kontinent geschafft haben, stellten dieses idealisierte Bild Europas in Frage. Das hat vor allem Konsequenzen für diejenigen, die es nicht geschafft haben, sich in Europa eine Existenz aufzubauen. Lange Zeit wurden sie im Senegal als Versager stigmatisiert. Mittlerweile kümmern sich Organisationen um die Menschen, die aus Europa abgeschoben oder schon während der Migration aufgegriffen und zurückgeschickt worden sind. Wie in anderen afrikanischen Ländern beginnen auch im Senegal die Zurückgekehrten, sich zu organisieren.

Diese Initiativen stellen die Frage, ob die jungen Menschen nicht im Land bleiben und dort für eine bessere Zukunft eintreten sollten, statt den gefahrvollen Weg nach Europa zu wählen. Auch in der senegalischen Populärkultur hat sich dieser Wandel niedergeschlagen. Früher wurden erfolgreiche Auswanderer als Helden besungen, über die Gescheiterten wurde geschwiegen. Das hat sich geändert. Der im Senegal populäre Rapper Didier Awadi fragt in seinen Songs mittlerweile, ob die afrikanische Jugend nicht Europa den Rücken kehren und sich in ihren Ländern für grundlegende Veränderungen einsetzen sollte. In seinem Studio im Zentrum von Dakar hängen Plakate von Thomas Sankara, dem ersten ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah, von Frantz Fanon, Martin Luther King und Malcolm X. In seinen Protestsongs sampelt er Ausschnitte aus ihren Reden.

Auch Pape Amadou Fall und Cheikhou Coulibaly singen über die Schwierigkeiten der Migration und rufen die Jugend dazu auf, im Land zu bleiben. Allerdings geht es in ihren Texten um den Zusammenhalt und weniger um Veränderungen. Das Duo füllt den Saal, wenn es einmal in der Woche weit nach Mitternacht in einen Club in einem Vorort von Dakar auftritt. Die Musiker sind populär. Im Senegal sagen viele, Präsident Wade habe ihnen sogar den Wahlsieg im Jahr 2000 zu verdanken. Damals hatten sie mit »Yatal Gueew« die Hym­ne der um Wade vereinten Opposition geschrieben, die bald im ganzen Land bekannt geworden war. In diesem Song vergleichen Pape & Cheikh den Senegal mit einem großen Boot, das nicht kentern darf. Es gelte, Ruhe zu bewahren, um in den stürmischen Zeiten der Wahl den Hafen der Demokratie zu erreichen.

Damals wurde die seit 40 Jahren regierende Sozialistische Partei abgewählt, das von vielen befürchtete Chaos blieb aus. Noch in der Wahlnacht erkannte der abgewählte Abdou Diouf seine Niederlage an und gratulierte dem Gewinner Abdoulaye Wade. Noch immer schreiben viele Senegalesen dem Song »Yatal Gueew« eine demokratiefördernde Wirkung zu. Die Musiker widersprechen dem nicht und genießen ihre Popularität. Auch wenn ihnen Präsident Wade ein Haus in Dakar geschenkt hat, erscheinen Pape & Cheikh auf der Bühne noch immer als die einfachen Jungs aus dem Dorf, und für ihre Fans ist das keine Attitüde.

Populär bei der Jugend in den Vororten von Dakar sind die beiden auch, weil sie in Wolof singen. Ursprünglich die Sprache einer Bevölkerungsgruppe, wird Wolof mittlerweile von etwa 80 Prozent der Senegalesen gesprochen. Viele, die sich dieser Sprache bedienen, wollen sich bewusst von der frankofonen Oberschicht distanzieren.

Auch Präsidenten Wade will sich nun als Förderer des Wolof bei der Bevölkerung beliebt machen. Das ist ein Bruch mit der Politik Leopold Senghors, des ersten Präsidenten des unabhängigen Senegal, der ein erklärter Freund Frankreichs war und als Literat auch in französischer Sprache geschrieben hat. Die senegalesische Führungsschicht kommunizierte damals auf Französisch. So war es eine Sensation, als der senegalesische Universalgelehrte Cheikh Anta Diop in den siebziger Jahren als Präsidentschaftskandidat einer panafrikanischen Partei einen Wahlkampf nur auf Wolof führte. Viele Stimmen hat er damals nicht bekommen. Doch die größte Universität des Landes in Dakar wurde nach dem 1986 verstorbenen Anta Diop benannt.

Ein Kreis von Wissenschaftlern kümmert sich um die Förderung und Aktualisierung der Arbeiten Anta Diops. In der Universität sind mehrere Räume seinem wissenschaftlichen und politischen Lebenswerk gewidmet. Mit seiner These, die altägyptische Kultur sei eine originär afrikanische gewesen, sorgte Diop in den fünfziger Jahren in Paris für einen heftigen Streit unter Wissenschaftlern. Er musste jahrelang um seine akademische Reputation kämpfen. Viele junge Intellektuelle und Künstler sehen in Diop einen Vorkämpfer der afrikanischen Renaissance. Ob er heute im Senegal bei Wahlen mehr Stimmen gewinnen würde als vor 30 Jahren, ist allerdings fraglich.

Denn ein Großteil der armen Bevölkerung muss sich im Alltag mit sozialen Problemen herumschlagen, die seit dem Amtsantritt Wades eher noch gewachsen sind. Dem senegalischen Armutsbericht zufolge haben mehr als zwei Drittel der Familien keine ausreichende Ernährung. Auch die schlechte Strom- und Wasserversorgung und das desolate Straßensystem sind ein häufiger Anlass für Kritik. Immer wieder kommt es zu Protesten. So organisierten einige Verbrauchverbände am 30. März 2008 eine Demonstration gegen die Erhöhung der Lebenshaltungskosten (Jungle World, 15/08). Nachdem alle Demonstrationen verboten worden waren, kam es in Dakar zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften.

Derzeit beschäftigen sich die sozialen Bewegungen vor allem mit der Privatisierungspolitik. So soll die senegalesische Gesellschaft für die Vermarktung von Ölsaaten (Sonacos) verkauft werden. Sie kauft den Bauern ihre Erdnussernte ab und verarbeitet sie zu Öl, das von der Gesellschaft auch vermarktet wird. Ein Vertreter des senegalesischen Bauernverbandes CNCR beschreibt die Rolle der Sonacos: »Sie ist ein unentbehrliches Element in einem Wirtschaftszweig, der in einem Jahr mit guter Ernte einen Profit von mehr als 70 Milliarden CFA (umgerechnet 106 Millionen Euro) erwirtschaftet. Ihre Tätigkeit kommt den Bauern, aber auch den Transportunternehmen, Zulieferern und Banken zugute.« Eine Privatisierung der Sonacos könnte insbesondere den Bauern schaden, befürchtet die CNRC. Zudem ist die staatliche Landwirtschaftliche Sparkasse schon teilprivatisiert worden, und die Unterstützungs- und Dienstleistungsstrukturen für die Bauern wurden in den vergangenen Jahren reduziert.

Viele Senegalesen haben mit der Privatisierungspolitik im Alltag schlechte Erfahrungen gemacht. So habe sich nach dem Verkauf des staatlichen Elektrizitätsunternehmens Senelec der Service verschlechtert. »Die Ineffizienz des Strombetriebs ist ebenso sattsam bekannt wie all die Probleme, die daraus für die Preise, die Finanzierung, die Stromausfälle und die ungleiche Stromversorgung resultieren«, heißt es in einem Bericht von Assises nationales du Senegal, einem Bündnis, in dem sich NGO zusammengeschlossen haben. Es beteiligt sich auch an der Vorbereitung des Weltsozialforums, das im Februar 2011 in Dakar stattfinden soll. Der Widerstand gegen die Privatisierung wird dort ein wichtiges Thema sein, ebenso der Umgang mit der Migration.

Die sozialen Bewegungen im Senegal werden dort auch deutlich machen, dass eine Debatte über die afrikanische Renaissance, wie sie die Regierung führt, die sozialen Probleme nicht löst. Viele Aktivisten sprechen Wolof. In dieser Sprache gibt es für »schlechtes Leben« einen Begriff, er heißt Sapi und kann auch mit Bitterkeit übersetzt werden.

http://jungle-world.com/artikel/2010/27/41273.html

Peter Nowak