„Alle Wärme geht vom Menschen aus“

Aktionskunst Mit seinem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen begleitete Kurt Jotter die Alternativbewegung. 2013 gab es ein Comeback des Büros – derzeit ist Jotter mit Performances vor allem beim Mietenthema aktiv

taz: Herr Jotter, Sie haben zuletzt zahlreiche Performances mit MietrebellInnen gemacht. Warum engagieren Sie sich in diesem Gebiet so stark?

Kurt Jotter: Es gehört zu den Grundstandards der Menschlichkeit, eine Wohnung zu haben. Sie ist gewissermaßen die dritte Haut des Menschen. 85 Prozent der MieterInnen in Berlin sind existenziell auf bezahlbare Wohnungen und die Mieterrechte angewiesen. Zu diesem gesellschaftlichen Bewusstsein möchte ich mit künstlerischen und medialen Mitteln beitragen.

Sie haben bereits vor fast 30 Jahren in Westberlin eine MieterInnenbewegung unterstützt. Was hat sich seitdem geändert?

Mit der Lichtkunstaktion „Berlin wird helle“ haben wir damals zum Frühjahrsbeginn 1987 mit dem Berliner Mieterverein gegen die Aufhebung der Mietpreisbindung in Westberlin protestiert. Wir projizierten auf Hunderte Häuserwände Protest-Dias der Mieter und Entwürfe eines großen Künstlerwettbewerbs. Das war im Rahmen einer Kampagne, die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den Oppositionsparteien und allen Initiativen ein erfolgreiches Bürger-Mieter-Begehren startete. Das macht deutlich, dass die Aktionen von einer Massenbewegung unterstützt wurden, die es heute nicht gibt.

Wie würden Sie Ihre künstlerische Arbeit beschreiben?

Ich sehe mich als politischen Aktions-, Konzept- und Multi-Media-Künstler und arbeite interdisziplinär zwischen Print, Theater, Video und Performance – im Sinne von „Realmontagen“ im öffentlichen Raum. Meine frühkindliche Heimat liegt bei den dadaistischen Rebellen, John Heartfield, der frühe Meister der Fotomontage, war der erste Impulsgeber. Das Bild wird zur Gesamtmontage, als theatralische Inszenierung mit Humor, sodass das Lachen im Hals stecken bleibt. Dadurch entsteht der Anreiz, sich mit der Sache zu befassen. Es geht auch darum, ein Gefühl der Befreiung zu erzeugen im Sinne von Dario Fo: „Es wird ein Lachen sein, das sie beerdigt.“

Humor und Politik, das harmoniert ja nicht immer. Hatten Sie nicht manchmal Probleme mit Ihren Aktionen bei den linken AktivistInnen?

Wir agierten innerhalb der damals schnell wachsenden Bürgerinitiativ- und Alternativbewegung, die sich von der Realitätsferne und Humorlosigkeit der K-Gruppen frühzeitig abgesetzt hatte. Unsere damals entstandenen Plakate waren in dieser ständig wachsenden Bewegung sehr gefragt und finanzierten unsere Arbeit über Jahre. Gemeinsam mit der 2014 verstorbenen Kulturwissenschaftlerin Barbara Petersen gründete ich 1977 die Künstlergruppe „Foto, Design, Grafik, Öffentlichkeit“ (FDGÖ) – der Name spielte auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Berufsverbote an.

Mit dem 1987 gegründeten Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BfM) bekamen Sie Preise, es wurde in Spiegel, „Tagesschau“ und vielen anderen Medien über verschiedene Aktionen berichtet. Was waren die Höhepunkt Ihrer Arbeit?

Am 11. Juni 1987 der Mauerbau auf der Kottbusser Brücke als „Anti-Kreuzberger-Schutzwall“ gegen die Abriegelung Kreuzbergs beim Berlinbesuch von Ronald Reagan, danach die Jubelparade als Abgesang auf die Berliner 750-Jahr-Feiern mit 5.000 ParodistInnen aus der gesamten Szene und vieles andere mehr, einiges ist auch auf Wikipedia zu lesen. Auch Soloaktionen erregten Aufsehen: zum Beispiel eine lebende Haider-Karikatur in Salzburg, die in blauem FPÖ-Schal als Exhibitionist mit einem Hakenkreuz vorm Geschlechtsteil dessen Salon-Faschismus demonstrierte – bis zur Festnahme.

Nach einer längeren Pause machte sich das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen seit 2013 mit Aktionen wieder an ein Comeback. Gerade eben waren Sie aber auch Mitorganisator des stadtpolitischen Hearings der Initiativen zu den Koalitionsverhandlungen. Geht es jetzt in die Realpolitik?

Bei mir gab es nie diese Trennung von Kunst und Politik oder Form und Inhalt. Ich bin froh, wieder in Berlin aktiv zu sein und hoffentlich wieder in der Heimstätte des „Büros“, der ehemals besetzten Fabrik „Kerngehäuse“. Hier denkt man wieder an den Druck und die Kraft der alten Zeiten und weiß, was alles möglich sein kann.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb bei Ihren Aktivitäten?

Für mich waren immer zwei Faktoren entscheidend: Gerechtigkeit und Effektivität. Eine noch so gute künstlerische Public Relations nützt überhaupt nichts, wenn das zu stärkende Subjekt als Bewegung zersplittert und keine relevante Kraft mehr ist. Hier können Impulse zur Vernetzung und Vereinigung für die PR entscheidend sein. Was bleibt, ist auch die Rückbesinnung auf die Grundlagen der Menschlichkeit. Zum Schluss unseres Textes „Das Lachen im Halse“ heißt es: „Erster Vorschlag zur notwendigen Neuauflage der Energie-Debatte: Alle Wärme geht vom Menschen aus – der Rest kommt von der Sonne.“

1950 geboren, ist seit Ende der 1970er Jahre als Aktionskünstler im politischen Kontext aktiv. 1987 gründete er mit Barbara Petersen das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BfM). Für seine Aktionen erhielt das Büro 1988 den Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft zugesprochen. 2013 hat Jotter die aktionskünstlerische Arbeit des Büros wieder aufgenommen. Aktuell ist er vor allem in der MieterInnenbewegung aktiv

http://www.taz.de/!5362194/

Interview Peter Nowak

Mieter präsentieren Forderungen

ROT-ROT-GRÜN III Miet-Initiativen wollen sich stärker vernetzen

Insgesamt 25 MieterInnengruppen haben sich am Mittwochabend im Nachbarschaftshaus Centrum in der Kreuzberger Cuvrystraße 13 zum stadtpolitischen Hearing getroffen. Ihr Ziel: der wahrscheinlichen rotrot-grünen Koalition ihre  Forderungen vorzutragen. Das Spektrum der anwesenden Gruppen reichte von den Kreuzberger Stadtteilinitiativen Bizim Kiez,
Kotti & Co und Wem gehört Kreuzberg? über die Moabiter MieterInnengruppe Hansa-Ufer5, den Mieterprotest Koloniestraße
aus dem Wedding bis zur Initiative „Deutsche Wohnen Steglitz-Zehlendorf“. Moderiert vom Stadtsoziologen und  stadtpolitischen Aktivisten Andrej Holm trugen die Initiativen in knappen Statements ihre Probleme vor, woraus sich oft sehr konkrete Forderungen ergaben. Für bezahlbares generationsübergreifendes Wohnen machte sich etwa Eva Willig vom Verbund Berliner Wohnprojekte zur Miete stark. Bizim Kiez wiederum regte eine Berliner Bundesratsinitiative zur Eingliederung der
Mietenbremse in das Wirtschaftsstrafgesetz an. Wäre das erfolgreich, müssten Mietpreisüberhöhungen als Ordnungswidrigkeit
von Amts wegen geahndet werden.

Keine BittstellerInnen

Alle RednerInnen betonten, dass sie keine BittstellerInnen seien. Magnus Hengge von Bizim Kiez gab zu Beginn des Hearings
den selbstbewussten Ton vor. „Es gab in den letzten Jahrzehnten leider sehr viel amtierende Dummheit“, erklärte er unter Applaus. Hengge betonte, dass die SPD ein wichtiger Teil davon gewesen sei. Die Partei habe trotz Einladung keine VertreterInnen geschickt, kritisierte Hengge. Lediglich die beiden Zuhörer mit den Masken von Michael Müller und Andreas Geisel auf der Bühne schüttelten gelegentlich den Kopf. Katrin Schmidberger (Grüne), Katrin Lompscher und Katalin Gennburg (beide Linke), die in der ersten Reihe saßen, schrieben die Forderungen der MieterInnen hingegen eifrig mit.

Weiteres Treffen geplant

Kurt Jotter vom „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“, der zu den Organisatoren des Abends gehörte, stellte am Ende einen
Dreistufenplan der Berliner MieterInnenvernetzung vor. Die müssen sich „zusammenreißen, zusammentun und zusammenschließen“. Am 5. Dezember will sich das MieterInnenbündnis erneut treffen. Dann soll auch über Aktionen geredet werden, wenn der neue rot-rot-grüne Senat ihre Forderungen ignorieren oder auf die lange Bank schieben sollte.

aus Taz Berlin, 4.11.2016

Peter Nowak

Hearing fordert Wende in Berliner Wohnungspolitik

„Miete essen Seele auf“  stand auf den Plakaten, die am Mittwochabend am Eingang des Nachbarschaftshauses  Centrum in der  Cuvrystraße 13 hingen. Viele der mehr als 150  BesucherInnen haben den Kampf gegen hohe Mieten, gegen energetische Sanierung, Verdrängung und Vertreibung aufgenommen. Sie haben sich in Stadtteil- und Mieterinitiativen organisiert. Am 2. November haben sie sich zum stadtpolitischen Hearing versammelt, um den  PolitikerInnen der vorbereiteten  rot-rot-grünen Koalition ihre Forderungen zu übermitteln. Gekommen waren Katrin Schmidberger (Grüne), Katrin Lompscher und  Katalin Gennburg von den Linken. Von der SPD war trotz Einladung niemand gekommen. Der regierende Bürgermeister Michael Müller und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel wurden von Aktivisten gedoubelt und verfolgten die kurzen Statements der 25 Mieterinitiativen, die in knapp zwei Stunden ihre Forderungen vortrugen mit Belustigung, Kopfschütteln und nur gelegentlich mit Zustimmung. Vertreten waren unter Anderem die Stadtteilinitiativen Bizim Kiez, Wrangel21, Hansa Ufer 5, Deutsche Wohnung Steglitz-Zehlendorf, Otto-Suhr-Siedlung  und das Kiezbündnis am Kreuzberg/Kreuzberger Horn. So wurde deutlich, wie flächendeckend in Berlin die MieterInnen mittlerweile organisiert sind und wie dringlich sie schnelle Maßnahmen von der Politik einfordern. So forderte Bizim Kiez  von der künftigen Berliner Regierung eine  Bundesratsinitiative zur Einführung einer Mietenbremse in das Wirtschaftsstrafgesetz. Zahlreiche solcher sehr konkreten Forderungen waren an diesem Abend zu hören. Hoch war auch der Anteil an SeniorInnen, die ihre Anliegen vortrugen. Dazu gehörten die MieterInnen vom Hansa Ufer 5 in Moabit, aber auch die Initiative  „Verbund Berliner Wohnprojekte zur Miete“, die sich für bezahlbares generationsübergreifendes Wohnen einsetzt.

Wie die Forderungen  durchsetzen?

Eine Frage blieb an dem Abend offen.  Was tun, wenn der neue Senat, was absehbar ist, die alte Politik vielleicht etwas modifiziert fortsetzt und die Forderungen der MieterInnen ignoriert? In vielen Beiträgen klang die Befürchtung durch, von der Politik wie so oft über den Tisch gezogen werden. „Glauben sie nicht, dass wir es auf einen Kuschelkurs anlegt haben. Wir haben nicht vergessen, dass gerade die SPD Jahrzehntelang schon in Regierungsverantwortung war, und dass die jetzige Situation auch das Ergebnis der SPD-Politik ist“, betonte Magnus Hengge von der Initiative Bizim Kiez gleich zu Beginn des Hearings. Allerdings erwähnte er nicht, dass auch die beiden anderen Parteien des künftigen Senats bereits mehr oder weniger lang in Berlin mitregiert hatten.  „Wir können unsere Forderungen nur durchsetzen, wenn wir berlinweit der Vereinzelung entkommen, beschwor Kurt Jotter vom Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ die MieterInnen zur weiteren Kooperation. Am 5. Dezember wollen sie sich am Nachbarschaftshaus Wrangelkiez in der Cuvrystraße 13 erneut treffen, um die Möglichkeiten einer mietenpolitischen Vernetzung zu erörtern.

MieterEcho online 03.11.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohnungspolitisches-hearing.html

Peter Nowak

MietaktivistInnen wollen politisches Gehör finden

EINFLUSS Ein Hearing soll der künftigen Koalition Mieterforderungen näherbringen

„Neues Regieren braucht ein gutes Hearing!“, lautet das Motto eines Anfang November geplanten Workshops von Berliner Stadtteil- und MietaktivistInnen. Dort wollen sie PolitikerInnen der anvisierten Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken ihre Forderungen vorlegen. Ein Rederecht haben sie dort allerdings nicht. Wohnungspolitische Initiativen haben maximal drei Minuten Zeit, ihre wichtigsten Probleme zu benennen und ihre Forderungen vorzutragen. Angestoßen wurde die Initiative von Thilo Trinks vom Bündnis Pankower Mietenprotest und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ mitbegründet hat. Der ironische Ton ist auch im Aufruf zum Hearing zu erkennen. Man biete den PolitikerInnen ein „unwiderstehliches Hearing als öffentliche Bestandsaufnahme von Fehlern und Chancen berlinweit – hoch besinnlich wie zur Vorweihnachtszeit und inspirierend, wie es
nach einer Wahl sein muss“. An den Vorbereitungstreffen haben unter anderem VertreterInnen der Stadtteilinitiativen Kotti & Co. und Bizim Kiez teilgenommen. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ war beobachtend dabei. „Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden“, betont Bündnismitglied David Schuster gegenüber der taz. Manche MieterInnenorganisation verfolgen die Hearing-Bemühen skeptisch. „Die Initiative zeigt, wie prekär die Situation für viele MieterInnen in Berlin zurzeit ist und wie sehr sie auf eine Änderung der Politik hoffen. Ob die Forderungen dieser Menschen mit diesem Hearing umgesetzt
werden, muss ich aber außerordentlich bezweifeln“, meint Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft gegenüber der taz. Auch der Regisseur des Film „Mietrebellen“ und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers, der die Hearing-Initiative begrüßt, betont im Gespräch mit der taz, sie könne nur erfolgreich sein, wenn der außerparlamentarische Druck einer starken
MieterInnenbewegung aufrecht erhalten werde. Am 31. Oktober findet um 19 Uhr im Nachbarschaftshaus in der Cuvrystaße 13 das nächste Vorbereitungstreffen des Hearings statt. Dann werden auch endgültig Termin und Ort bekannt gegeben.

Taz vom 26.1o.2016

Peter Nowak

Initiativen von Mietern wollen sich einbringen

Aktivisten mischen sich in Koalitionsgespräche ein

Nach öffentlicher Anhörung sollen Forderungen an den neuen rot-rot-grünen Senat übermittelt werden.

Die Koalitionsgespräche des geplanten rot-rot-grünen Senats in Berlin laufen hinter verschlossenen Türen ab. Doch Aktivisten der Berliner Mieterbewegung wollen sich einmischen und die Verhandlungspartner mit ihren Forderungen konfrontieren. Unter dem Motto »›Neues Regieren‹ braucht ein gutes Hearing!« wollen sie unterschiedliche Mieterinitiativen an einen Tisch bringen. Zu den Organisatoren des Vorhabens gehören Thilo Trinks vom Bündnis »Pankower Mieterprotest« und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkulturgruppe »Büro für ungewöhnliche Maßnahmen« mitbegründete.

»Mit einem selbstorganisierten Hearing wollen wir Politikern und den Medien unsere Forderungen direkt vortragen«, sagt Jotter. Es gehe ihm dabei nicht nur um eine einmalige Veranstaltung, sondern um einen berlinweiten Zusammenschluss von Mietern. Damit sei es möglich, die Politik des neuen Senats besser zu kontrollieren. An der Initiative beteiligen sich bisher die Kreuzberger Stadtteilinitiativen »Kotti & Co« und »Bizim Kiez«. Das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« nimmt mit beobachtenden Status teil. »Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden«, sagt David Schuster vom Bündnis. Auch der Regisseur des Films »Mietrebellen« und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers verweist darauf, dass das Hearing nur erfolgreich sein kann, wenn der außerparlamentarische Druck aufrechterhalten wird. In Barcelona sei seit zwei Jahren eine langjährige Aktivistin der Bewegung gegen Zwangsräumungen Bürgermeisterin: Ada Colau werde bei ihrer Arbeit von einem Großteil der dortigen Aktivisten weiter kritisch begleitet, so Coers.

»Es wäre ein Signal über Berlin hinaus, wenn die Forderung nach einem Zwangsräumungsmoratorium während der Wintermonate auf der Agenda einen zentralen Stellenwert bekommen würde«, sagt Coers. Wer mit offenen Augen durch Berlin gehe und auch bei sinkenden Temperaturen sehe, wie in allen Stadtteilen Menschen draußen übernachten müssen, kenne die Dringlichkeit eines Zwangsräumungsstopps. Auch darüber dürfte beim nächsten Treffen für das Hearing gesprochen werden.

neues deutschland, Berlin-Ausgabe,vom Samstag, dem 22.10.2016

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1029621.initiativen-von-mietern-wollen-sich-einbringen.html
Von Peter Nowak

Gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf

DEMO Mehrere Initiativen rufen dazu auf, gegen Gentrifizierung auf die Straße zu gehen

Wenige Tage vor der Berlinwahl signalisieren viele Parteien auf ihren Plakaten, dass sie die Sorgen der MieterInnen verstehenund Menschen mit geringen Einkommen vor Vertreibung schützen wollen. Für Kurt Jotter ist das unglaubwürdig. Der Gründer der Politkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ gehört zu den OrganisatorInnen einer Demonstration, die unter dem Motto „Gemeinsam gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf der Stadt“ am kommenden Samstag um 14 Uhr am Platz der Luftbrücke beginnen soll. Vorbereitet wird diese Demo  nicht nur vom „Büro für  ungewöhnliche Maßnahmen“, sondern auch von zahlreichen Initiativen, die sich in der letzten Zeit gegen hohe Mieten in unterschiedlichen Berliner Stadtteilen gegründet haben. Die MieterInneninitiative „Kotti und Co.“ aus Kreuzberg ist ebenso vertreten wie das Bündnis „Hände weg vom Wedding“. Zum Auftakt der Demo wollen Initiativen mit einer „Tour der Entmietung“ auf Häuser hinweisen, aus denen MieterInnen vertrieben werden. Sie soll um 11 Uhr vor der Grunewaldstraße 87 beginnen, nach Neukölln und Kreuzberg ziehen und dann mit einem „Wall of Shame“-Block an der Demonstration teilnehmen.
Diese „Mauer der Schande“ soll aus großen Tafeln bestehen, auf denen Gebäude zu sehen sind, die entmietet werden. Embleme von Parteien sind auf der Demonstration nicht erwünscht, betont Jotter. Dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller wirft der Aktivist vor, die WählerInnen zu täuschen, indem er behauptet, die MieterInnen von Sozialwohnungen seien gesichert. Müller sei bisher nicht bereit, den Paragraf 5 des Berliner Wohnraumgesetzes zu ändern, moniert Jotter. Dieser gibt NeueigentümerInnen von ehemals Sozialem Wohnungsbau die gesetzliche Handhabe, nicht mehr an das Kostenmietrecht des Sozialen Wohnungsbaus gebunden zu sein. Massive Mieterhöhungen sind die Folge.

aus Taz vom 6.9.2016
Peter Nowak

M99 vor Räumung

REVOLUTIONSBEDARF Linker Laden soll im September geräumt werden. Besitzer HG bleibt hartnäckig

Am 22. September soll die Ladenwohnung von Hans Georg Lindenau (HG) in der Manteuffelstraße 99 zwangsgeräumt werden.
Der alte Räumungstermin am 9. August war ausgesetzt worden, nachdem sich die Anwälte von HG und dem Hauseigentümer
auf einen freiwilligen Auszug bis zum 20. September geeinigt hatten. Doch HG will sich daran nur halten, wenn er den Verkauf seines Warensortiments in einem anderen Laden in Kreuzberg fortsetzen kann. Der aber wurde bislang nicht gefunden. In Teilen der linken Szene war die Vereinbarung als „schlechter Deal“ kritisiert worden, der den Widerstand demobilisiert habe.
David Schuster vom Berliner Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ schließt sich der Kritik nicht an. „Wenn die eigene Existenz
auf dem Spiel steht, würde wahrscheinlich jeder nach dem Strohhalm der Verlängerung greifen, sagte er der taz. Das Bündnis unterstützt die Kundgebungen, die jeden Donnerstag vor dem M99 stattfinden und mobilisiert für den 22. September zur Verhinderung der Räumung. Der neue Termin ist der Jahrestag des Todes von Klaus-Jürgen Rattay, der am 22. September 1981 bei der Räumung besetzter Häuser von einem Wasserwerfer überrollt wurde. Eine Hoffnung bleibt HG noch: Seine Anwälte wollen einen gerichtlichen Räumungsschutz auf Grundlage eines Attests des Klinikums Neukölln beantragen, das HG eine psychische Gefährdung durch die Räumung diagnostiziert. „Einen alten Baum kann man nicht verpflanzen“, lautet das passende Motto eines von Kurt Jotter entworfenen neuen Plakats. Der Mitbegründer der Politkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“, die die Westberliner Protestkultur der 1980er Jahre revolutionierte, unterstützt MieteInnenproteste mit künstlerischen Interventionen.

aus Taz 18.8.2016

Peter Nowak