Berliner Gericht erklärte Überwachung von radikalen Linken für unzulässig, die Folgen dürften gering sein

Geklagt hatte einer von sechs Aktivisten der Berliner außerparlamentarischen Linken, die zwischen 1998 und 2006 vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht worden waren.
Sie wurden von den Behörden zum Umfeld der Militanten Gruppe gerechnet, die mit mehreren Anschlägen damals für Aufsehen sorgte. Für den Verfassungsschutz hatte der Rechtsprofessor Heinrich Wolff die Überwachung noch einmal vor Gericht verteidigt. Es sei Pflicht der Staatsschützer gewesen, alle Spuren zu verfolgen. Zudem seien die Beschatteten langjährige Aktivisten der linken Szene gewesen und hätten in von ihnen verfassten politischen Erklärungen Textbausteine benutzt, die auch in Erklärungen der militanten Gruppe auftauchten. Mit einer solchen Begründung wurde schon in den vergangenen Jahren unter anderem gegen den Stadtsoziologen Andrej Holm ermittelt.

Die erste Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts war von den Ausführungen des Verfassungsschutzvertreters nicht überzeugt. Sie schlossen sich in ihrem Urteil eher dem Anwalt des Klägers Volker Gerloff an, der von „abenteuerlichen Konstruktionen“ der Überwachungsbehörden sprach.

Nichttelefonieren kein Verdachtsmoment

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen seien von Anfang an nicht gegeben gewesen, meinten die 5 Richter der Kammer. Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit seien nur als letztes Mittel der Aufklärung zulässig, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben oder von vornherein aussichtslos seien.

Bereits im Antrag auf Anordnung der beabsichtigten Überwachungsmaßnahmen beim hierfür zuständigen Bundesministerium des Inneren hätte das Bundesamt diese Voraussetzungen bezogen auf den konkreten Sachverhalt darlegen müssen. In seinen Anträgen habe es aber nicht hinreichend konkret begründet, dass die mit den Maßnahmen beabsichtigte Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere Weise hätte erfolgen können.

Auch hätten keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den vom Bundesamt geäußerten Verdacht vorgelegen, die Kläger gehörten der „militanten Gruppe“ an. Vielmehr sei aus der Analyse von Verlautbarungen verschiedener Gruppen auf die Identität der Gruppenmitglieder geschlossen worden, ohne dass ein hinreichender Bezug zu den einzelnen Klägern hergestellt worden sei. Auch andere Verhaltensweisen der Betroffenen, wie zeitweises Nichttelefonieren, habe das Bundesamt ohne weitere konkrete Anhaltspunkte in unzutreffender Weise als tatsächliche Anhaltspunkte für den angenommenen Verdacht angesehen, rügte die Kammer.

Hamburgs SPD-Senat plant Einschränkung der Grundrechte

Doch auch die juristische Niederlage des VS ändert nichts daran, dass die Ausforschung der linken Szene über Jahre stattgefunden hat. Darin liegt aber der Hauptzweck der Maßnahme. So dürften die Folgen der juristischen Schlappe für die Behörden auch minimal sein. Zumal der Gesetzgeber parteiübergreifend die Weichen eher in Richtung auf mehr Überwachung stellt.

So plant der Hamburger SPD-Senat eine Novellierung des Polizeirechts, mit der die Polizei schon zum Eingreifen befugt wäre, wenn lediglich ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der Experte für öffentliches Recht Hartmut Aden rügte in einer Expertenanhörung zu der Novellierung, dass damit Maßnahmen wie Observation, Telefon- und Onlineüberwachungsmaßnahmen aus dem Bereich des Straf- ins Polizeirecht verlagert werden sollen. Also genau die vom Berliner Verfassungsgericht monierte Regelung würde dann Gesetzeskraft erhalten.
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Peter Nowak

Die Grenzen der Überwachung


Die Überwachung einer linken Gruppierung durch den Verfassungsschutz und Zweifel am hinreichenden Anfangsverdacht werden erneut vor Gericht verhandelt

Am ersten März wird vor der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin darüber verhandelt, ob die jahrelange Überwachung von drei Aktivisten der Berliner außerparlamentarischen Linken durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aus verwaltungsrechtlicher Sicht rechtswidrig war. Die drei wurden verdächtigt, Kontakte zur militanten Gruppe gehabt zu haben. Dass es keine Beweise gab, sorgte für eine Intensivierung der Überwachung.

Denn, so die augenscheinliche Logik des Verfassungsschutzes, wenn langjährigen Aktivisten der linken Szene keine illegalen Kontakte nachzuweisen sind, muss das daran liegen, dass sie sich besonders konspirativ verhalfen und daher noch intensiver überwacht werden müssen. Über ein Dutzend Telefonanschlüsse wurden abgehört, E-Mails wurden gelesen, Internetkommunikation ausgewertet und die Haustüren der Verdächtigen wurden mit Videokameras überwacht, zeitweise wurden die drei rund um die Uhr von Observationsteams begleitet.

Diese Logik leuchtete schon dem Bundesgerichtshof nicht ein. Er hat am 11.3.2010 entschieden, dass die Überwachung aus strafrechtlicher Sicht rechtswidrig war, weil es gegen die Betroffenen keinen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben habe.

Bereits bei der ersten Anordnung der Überwachung und der Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs vom Juli 2001 habe ein „ausreichender Tatverdacht nicht vorgelegen“, urteilten die Richter. Sie monierten, dass selbst ein entlastendes Gutachten – wonach es für die Urheberschaft von Texten wie der Selbstbezichtigungsschreiben für Anschläge, die der militanten Gruppe zugerechnet wurden, keinen sicheren Nachweis gab – in einer Antragsschrift des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter des BGH „keine Erwähnung“ gefunden habe.

Zudem zeigten Auswertungsberichte des Bundeskriminalamtes zu den Überwachungsmaßnahmen, „dass wesentliche Erkenntnisse zu begangenen Straftaten nicht gewonnen werden konnten“. Die Ermittlungen hätten selbst nach Auffassung des BKA und des Generalbundesanwalts für die früheren Beschuldigten „entlastende Umstände“ erbracht. Rechtsanwalt Volker Gerloff, der die Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht vertritt, kritisiert den Verfassungsschutz:

„Insbesondere die Logik, dass jemand, dem nichts nachzuweisen ist, sich besonders verdächtig macht, lässt erhebliche Zweifel an der Seriosität der Arbeit des BfV erkennen.“

Auch Anwaltsbüro im Visier

Zu den überwachten Orten zählte auch ein Berliner Anwaltsbüro, das auch Mandanten aus der linken Szene vertritt. Das BfV rechtfertigte diese Maßnahme damit, dass eine verdächtige Person die Telefonanschlüsse dieses Anwaltsbüros nutzen konnte. „Damit wurden über ein Jahr lang die vertraulichen Gespräche mehrerer Anwälte abgehört“, kritisierte Gerloff.

Er moniert auch, dass die gesetzlich vorgeschrieben Überprüfung der Maßnahme nicht gegeben war. Laut Gesetz muss das BfV die Überwachung beim Bundesministerium des Innern beantragen. Dieses muss wiederum die Zustimmung der sogenannten G-10-Kommission einholen. Die G-10-Kommission wird vom Bundestag eingesetzt und soll sicherstellen, dass die Überwachungsmaßnahmen des BfV parlamentarisch kontrolliert werden.

Allein die vom BfV im Gerichtsverfahren vorgelegten Teile umfassen elf Aktenordner. Die Überprüfung der Überwachungsanträge des BfV wurden jedoch durch das BMI und die G-10-Kommission noch am selben Tag bewilligt. „Es ist schlicht unmöglich, diese Anträge an einem Tag zu erfassen, zu erörtern und dazu eine Entscheidung zu treffen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das gesetzlich vorgeschriebene Kontrollinstrumentarium vollständig versagt hat“, so Rechtsanwalt Gerloff.

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Peter Nowak

Nur „isolierte Splittergruppen“ oder auch Oskar Lafontaine von Überwachung betroffen?

Während sich der Bundestag über die Überwachung der Linksparteiparlamentarier stritt, verdichten sich die Hinweise, dass auch deren geheimdienstliche Überwachung häufig angewandt wurde

Die Überwachung von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei sorgte heute für einen offenen Schlagabtausch zwischen Parlamentariern von Regierung und Opposition im Bundestag. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde hatte die Linkspartei das Thema auf die parlamentarische Agenda gesetzt und ein Ende der Überwachung verlangt. Seine Partei werde damit diskreditiert und die Verfassungsschutzbehörden würden parteipolitisch instrumentalisiert, monierte Dietmar Bartsch, einer von der offenen Überwachung betroffenen Bundestagsabgeordneten in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Seit die Überwachung zum Thema wurde, sind Politiker der Partei regelmäßige Interviewpartner des Senders. Dabei werden durchaus unterschiedliche Akzente auch in der Linken deutlich. So sah der Rechtsexperte der Linken, der ehemalige Richter Wolfgang Neskovic, in der Überwachung eine Form der Diffamierung. Auf den Vorhalt des Interviewers, dass es in der Linkspartei in Form der Kommunistischen Plattform und anderer Gruppen Tendenzen gäbe, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten, antwortete der ehemalige Richter: „Also dies ist ein Argument, das bewegt sich juristisch gesehen – ich sage das als ehemaliger Bundesrichter – auf Kindergartenniveau, weil ganz offenkundig die Ausrichtung einer Partei nicht an irgendwelchen Splittergruppen orientiert werden kann, sondern an ihrer Gesamtaussage.“

Solidarität sieht anders aus. Der Rechtsexperte der Partei erklärte nicht einmal pro forma, dass er auch diese genannten Gruppierungen nicht außerhalb des Verfassungsbogens stehen sehe, auch wenn er deren politische Ausrichtung nicht teilt. Vielmehr übernahm er mit der Formulierung „irgendwelche Splittergruppen“ die Stigmatisierung, will damit aber nicht die ganze Partei in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit gerückt sehen. Ob diese öffentliche Form der Entsolidarisierung parteiintern kritisiert wird, ist unklar.

Während der Aktuellen Stunde im Bundestag zumindest gab sich die Partei kämpferisch und geschlossen. Das viel auch nicht schwer, weil auch vor allem Unionspolitiker die Überwachung verteidigten. „Wer sich in der Partei eine Kommunistische Plattform hält, darf sich nicht wundern, dass es eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gibt“, erklärte der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach. Im Fall von Realpolitikern solle der Verfassungsschutz bei der Überwachung aber künftig Einzelfallentscheidungen treffen. Während auch Politiker von Grünen und SPD deren Überwachung kritisierten, meldeten sich Kritiker innerhalb der Regierungskoalition, wie die amtierende Bundesjustizministerin in der Aktuellen Stunde nicht zu Wort.

Geheime Überwachung in mehreren Bundesländern

Nach Informationen der der Linkspartei nahestehenden Tageszeitung Neues Deutschland ist die Überwachung ihrer Parlamentarier mit geheimdienstlichen Mitteln wahrscheinlich weiter verbreitet als bisher angenommen. Der niedersächsische Verfassungsschutzchef hatte diese Art der Überwachung in seinem Bundesland bestätigt.

Nach ND-Informationen wird die geheimdienstliche Überwachung in Bayern, aber auch in Baden-Württemberg weiter angewandt. Die grün-rote Landesregierung ließe dann eine Linkspartei kontrollieren, die weitgehend aus Gewerkschaftern des IG-Metall-Mittelbaus besteht. Aus den Jahresberichten der Verfassungsschutzämter von Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz würden sich nach ND-Angaben ebenfalls Hinweise auf eine geheimdienstliche Überwachung ergeben.

Unklar sei die Situation im Saarland. Zumindest 2006 soll der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden haben. Lafontaine steht damit aber in einer guten Tradition Auch der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann ist ins Visier der Geheimdienste geraten.
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Peter Nowak

„Bin links – bitte beobachten!“

Verfassungsschutz beobachtet 27 Politiker der Linkspartei

„Bin links – bitte beobachten!“ Dieser Slogan prangt seit wenigen Tagen auf der Webseite der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Es hatte sich herausgestellt, dass vielleicht nicht die Wähler dieser Weisung sehr intensiv Folge geleistet haben, dafür aber der Verfassungsschutz. Dieser Sachverhalt war schon länger bekannt und hat daher eigentlich wenig Neuigkeitswert. Schließlich versuchte der langjährige Linksparteipolitiker Bodo Ramelow, juristisch gegen seine Überwachung vorzugehen und blieb nach Erfolgen auf den unteren Instanzen am Ende damit erfolglos.

Die offene Beobachtung eines Parlamentsabgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist rechtmäßig, urteilte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig. Auch SPD und Grüne kritisierten diese Entscheidung, schließlich gehört Ramelow zum Realoflügel der Linken und wirbt für Koalitionen.

Nun stellte sich aber raus, dass er nicht der einzige Politiker des Reformflügels ist, der von der offenen Überwachung betroffen sind. Unter den 23 Bundestags- und 11 Landtagsabgeordneten befinden sich laut Spiegel mit Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Petra Pau prominente Exponenten des Realoflügels.

Über diese strömungsübergreifende Überwachung kann die Linkspartei sehr zufrieden sein. Eben noch stritt sich deren Personal über die Leitungsfunktionen und die Art, wie sie zu wählen ist. Doch nun hat es der Verfassungsschutz geschafft, dass die sonst zerstrittenen Politiker zusammenrücken. Einmütig wurde in einer Erklärung die Überwachung als „Unterminierung der Werte der parlamentarischen Demokratie“ bezeichnet“.

Die Regierung stellt sich hinter die Überwachung der Linkspartei, „weil sich in ihr Kräfte sammeln, die eine Veränderung der bisherigen Staats- und Gesellschaftsform wollen“, so ein Sprecher des Innenministeriums. Auch Regierungssprecher Seibert verteidigte das Vorgehen des Verfassungsschutzes.

Wäre nur der linke Parteiflügel beobachtet worden, wäre sofort parteiintern die Diskussion entbrannt, wie radikal sich die Politiker überhaupt gebärden dürfen. Solche Diskussionen werden natürlich leiser geführt, wenn auch anerkannte Realos im Rahmen der offenen Informationsbeschaffung bedacht werden. Allerdings hat Dietmar Bartsch in seiner Erklärung betont, dass eine Partei, die sich so sehr auf die Verfassung stütze wie die Linke, nicht überwacht werden dürfe. Auch der Verweis auf den Status als Parlamentarier, die nicht überwacht werden dürften, wirft Fragen auf. Wie soll mit Mandatsträgern rechter Parteien wie der NPD umgegangen werden?

Noch kein deutscher McCarthyismus

Trotz der juristischen Niederlage Ramelows hält der Staatsrechtler und Richter des sächsischen Verfassungsgerichtshofs Christoph Degenhart eine erneute Klage von Politikern der Linkspartei gegen die Überwachung nicht für aussichtslos. „Einzelne Abgeordnete zu beobachten mit Mitteln der offenen Information, ist sicher möglich, aber eine flächendeckende Überwachung, ohne dass bezüglich der Überwachten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, halte ich für nicht gesichert“, sagte er im Deutschlandfunk.

In dem Interview bezeichnete er auch die offene Überwachung als Eingriff in die politische Betätigung einer Partei. Damit wird die geheimdienstliche Auswertung von offen zugänglichen Schriften und Reden der Politiker verstanden. Eine verdeckte Ermittlung gegen die Politiker ist nicht bekannt.

Von einem McCarthyismus kann allerdings auch nach den nun bekannt gewordenen Überwachungsfällen noch nicht gesprochenen. Der als Inbegriff des Linkenjägers bekannt gewordene US-Senator Joe McCarthy hatte, wie ein aktueller Film über sein Leben zeigt, sogar Regierungsbeamte, Minister und am Ende auch den Geheimdienst selber überwachen lassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151282
Peter Nowak

Funkzellenüberwachung in Berlin

Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele verlangt Aufklärung von den Behörden

Die Überwachung der Handydaten während eines Neonaziaufmarsches und der Gegenproteste im letzten Jahr in Dresden hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Jetzt stellte sich heraus, dass diese Überwachungspraxis so selten nicht ist. So wurde jetzt bekannt, dass die Polizei in Berlin zur Aufklärung von Autobrandstiftungen Tausende Handydaten ausgespäht hat (…denn sie haben Funkverkehr). Die Datenschützer von Netzpolitik.org hatten die Informationen, die ihnen zugespielt wurden, bekannt gemacht. Aus den dort publik gemachten Aktenausschnitten geht hervor, dass die Handydaten rund um die Rigaer Straße 101 am 24.9.2009 im Zeitraum von 03.45 Uhr bis 5.00 Uhr gespeichert wurden.

Das Gebäude gehört zu den in den frühen 90er Jahren besetzten und schon lange legalisierten Häusern, in denen die Berliner Polizei noch immer Wohnsitze von Angehörigen bekannter Linker vermuten. Vor Monaten sorgte die Kameraüberwachung eines dieser Häuser für Schlagzeilen.

Durch die Funkzellenüberwachung wurden auch die Handydaten der Nachbarn und Passanten mitgespeichert. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, zu dessen Wahlkreis die Rigaer Str. 110 gehört, verlangt nun von der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft Aufklärung über mögliche Verlängerungen der Überwachungsmaßnahme, der Anzahl der Verkehrs- und Verbindungsdaten, der Fest- und Mobilfunknumern sowie der Gerätekennungen. Außerdem will er wissen, in welchen Strafermittlungsverfahren die Daten genutzt wurden, welchen weiteren Stellen die Daten übermittelt wurden und warum die Staatsanwaltschaft die Betroffenen nicht darüber informiert hat.

Weil Ströbele in der Gegend sein Handy häufiger nutzte, hält er es für möglich, selber in Datenerfassung geraten zu sein und behält sich juristische Schritte vor.

Die Echtheit der von Netzpolitik.org publizierten Akten wurde mittlerweile von Martin Steltner, dem Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, bestätigt. „Zu einzelnen Ermittlungsschritten werden wir uns aber nicht äußern.“ Ein Polizeisprecher sagte, Funkzellenabfragen seien laut Strafprozessordnung auch bei Autobränden „eine rechtlich zulässige Maßnahme“. Seien diese in Berlin erfolgt, habe es stets einen richterlichen Beschluss gegeben.

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Peter Nowak

BKA-Chef fordert mehr Überwachung

Ziercke will mehr verdeckte Ermittler und die Telekommunikationsverbindungen in der linken Szene besser überwachen
  
In den letzten Monaten warnen konservative Politiker und Medien verstärkt vor einem Anwachsen der radikalen Linken in Deutschland. Jetzt hat sich auch der Präsident des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke in diesen Chor eingereiht.

Gegenüber dem Hamburger Abendblatt bezeichnete er die extreme Linke als ähnlich bedrohlich wie die extreme Rechte. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten sei im linken Spektrum in den letzten Monaten deutlich angestiegen. Explizit ging Ziercke auf eine Serie von Brandstiftungen an Autos in Großstädten ein und rief die Bevölkerung zur Mithilfe bei der Aufklärung auf. Damit machte Ziercke auch deutlich, dass die Aufklärungsrate bei den Autobränden gering ist.

Aber über die Hintergründe gibt es wenig verlässliche Angaben. Da es selten Bekennerschreiben zu den Aktionen gibt, sind die Verortung der Brandstifter im linken Spektrum Spekulationen. So mussten in der Vergangenheit mehrmals Linke, die wegen Autozündeleien angeklagt und teilweise mehrere Monate in Untersuchungshaft saßen, freigesprochen werden, weil es keinerlei Beweise für ihre Tatbeteiligung gab. In mehreren Fällen wurde der Freispruch auch in zweiter Instanz bestätigt.

Hingegen wurden in Berlin Männer wegen Autobrandstiftungen verurteilt, die die Taten auch gestanden haben, aber keinerlei Berührungspunkte zur linken Szene haben. Persönliche Motive oder Versicherungsbetrug, die sicherlich auch zu den Motiven einer Autobrandstiftung zählen, werden in der öffentlichen Diskussion selten erwähnt. Dabei geht die Berliner Polizei laut Tagesspiegel davon aus, dass höchstens ein Drittel der Brandstiftungen politisch motiviert ist. Trotzdem wird die Serie von brennenden Autos immer wieder angeführt, wenn eine wachsende linke Gefahr begründet werden soll. Ziercke war da nur der aktuelle Warner.

Vorratsdatenspeicherung und verdeckte Ermittler

Er hat aber sehr deutlich gemacht, was mit dem ständigen Beschwören der linken Gefahr erreicht werden soll. Die Bevölkerung soll dazu gebracht werden, umstrittene und weitgehend abgelehnte Überwachungsmaßnahmen doch noch zu akzeptieren. So bekräftige Ziercke die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung und erhöht damit gemeinsam mit Unionspolitikern den Druck auf die in dieser Frage federführende Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger.

Zudem sprach sich Ziercke für den verstärkten Einsatz von verdeckten Ermittlern und die Überwachung von Telekommunikationsverbindungen in der linken Szene aus. Nun werden diese Maßnahmen schon seit langem praktiziert. Die Enttarnung des in der linken Szene aktiven Heidelberger Studenten Simon Brenner als LKA-Spitzel war nur der letzte spektakuläre Fall. Dass in einem zentralen Fachschaftsraum an der Heidelberger Universität ein Abhörgerät entdeckt wurde, war schon weniger bekannt.

In Berlin sorgt eine zufällig bekannt gewordene Überwachung der linken Szene zurzeit für heftige Diskussion. Ein linkes Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 in Berlin Friedrichshain war mit einer in dem Schornstein einer benachbarten Schule verstecken Kamera beobachtet worden. Nach der Aufdeckung waren die Kameras schnell verschwunden und über die gesetzliche Grundlage der Maßnahme wird weiter gestritten.

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Peter Nowak

Justiz setzt BKA-Überwachung auf Verdacht Grenzen

Bundesgerichtshof erklärt BKA-Überwachung von drei Libertad-Aktivisten für illegal

Der Bundesgerichtshof hat eine BKA-Überwachung von drei Aktivisten der linken Solidaritätsorganisation Libertad für illegal erklärt. Der Beschluss ist schon Anfang März gefallen, aber erst jetzt den Klägern und ihren Anwälten zugestellt worden.

Im Jahr 2001 waren die drei politischen Linksaktivisten vom BKA verdächtigt worden, Mitglieder der Militanten Gruppe (mg) zu sein. In einem Dossier des Verfassungsschutzes wurde der Verdacht damit begründet, dass sich Libertad gegen Kriegseinsätze und für politische Gefangene einsetzt, alles Themen, die auch bei den Zielen der mg eine Rolle spielten. Mit einem umfangreichen Überwachungsprogramm sollten die Beweise für die mg-Mitgliedschaft der Verdächtigten gesammelt werden.

Über ein Dutzend Telefonanschlüsse wurden abgehört, E-Mails wurden gelesen und die Internetnutzung ausgewertet. Auf die Haustüren waren hochauflösende Videokameras gerichtet, zeitweise wurden die drei rund um die Uhr von Observationsteams begleitet. Das BKA verwanzte Autos und erstellte aus Peilsendern und den Funkzellendaten von Mobiltelefonen Bewegungsprofile. Die Maßnahmen endeten offiziell 2006. Libertad-Sprecher Hans-Peter Kartenberg erklärte gegenüber Telepolis, dass aus den Akten der Beschuldigten hervorgeht, dass die Bewachungsmaßnahmen auch danach fortgesetzt wurden. Im Jahr 2008 waren die Ermittlungen gegen die Beschuldigten aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Der BGH hat mit seinem Beschluss nun den Ermittlungsbehörden Grenzen gesetzt. „Die angeordneten und durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen waren bereits deshalb rechtswidrig, weil zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung ein ausreichender Tatverdacht … nicht bestand“, heißt es zur Begründung. „Den Ausführungen des Verfassungsschutzes lässt sich zwar entnehmen, dass die früheren Beschuldigten dem politisch linken Spektrum zuzuordnen sind und sich mit Themenbereichen befasst haben… Dabei handelt es sich jedoch mit der Problematik der Entschädigung von Zwangsarbeitern und Ähnlichem um eher allgemeine, zur damaligen Zeit auch verstärkt in der öffentlichen Diskussion befindliche und nicht derart spezielle Themen, dass hieraus nähere Rückschlüsse auf die Personen der früheren Beschuldigten gezogen werden können“, pointieren die Richter ihre Kritik.

Rüge für Ermittlungsrichter

Die Begründung enthält auch eine Rüge an den Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Ulrich Hebenstreit, der die Überwachung gegen die Libertad-Mitglieder genehmigt hat.

„Die (…) eigenständige Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch den Ermittlungsrichter muss allerdings in der Praxis häufig unter großem Zeitdruck durchgeführt werden; der Akteninhalt ist oft umfangreich. Die Erfüllung seiner Funktion als Kontrollorgan der Ermittlungsbehörden (…) wird deshalb nicht unerheblich erschwert und verzögert, wenn der Ermittlungsrichter nicht annehmen kann, dass die Beweislage, soweit sie für die Entscheidung relevant ist, in den Antragsschriften ohne erhebliche Lücken dargetan ist“, moniert der BGH.

Peter Nowak