Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt

Auf einem Medienkongress in Berlin wurden manche Mythen über die Internetgesellschaft in Frage gestellt
Viel wurde über Revolution geredet am 8. und 9. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt, über die im arabischen Raum ebenso wie über die Internetrevolution. Die sollte eigentlich im Mittelpunkt des von Freitag und Taz organisierten Medienkongresses stehen, der das Motto trug: „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt.“

Doch in die Planungsphase fielen die Aufstände von Tunesien, Ägypten und Libyen und so bekam die Revolution auch wieder eine gesellschaftspolitische Dimension. Auf der Eröffnungsveranstaltung wurden beide Revolutionsvorstellungen verbunden. Über die Rolle des Internet bei den Aufständen diskutierten Medienaktivisten aus Ägypten, Tunesien, Irak und Belarus. Sie stellten unisono klar, dass die ganz realen Aufstände auf den Plätzen und Straßen die Revolution ausmachen und das Internet lediglich ein wichtiges Hilfsmittel sei. So betonte die ägyptische Aktivistin Mona Seif, sie sehe als politische Aktivistin das Internet als eine Möglichkeit, ihre Ideen zu verbreiten.

Die tunesische Bloggerin Lina ben Mhenni betonte ebenfalls die Rolle des Internets für die Koordination der Proteste. Victor Malishevsky aus Belarus berichtete über eine eher demobilisierende Seite des Internetaktivismus. So hätten in seinem Land viele Menschen das Ansehen eines Live-Streams von Demonstrationen im Umfeld der letzten Präsidentenwahlen als ihren Beitrag zur Oppositionsbewegung bewertet, ohne sich an einer Demonstration beteiligt zu haben.

Blogger nicht gleich Dissident

Der Medienwissenschaftler und Blogger Evgeny Morozov räumte mit manchen romantischen Vorstellungen über die politische Dissidenz der Blogger auf und lieferte einige Gegenbeispiele. So zahlte die chinesische Regierung an Blogger 50 Cent, damit sie Beiträge und Kommentare posten, die die chinesische Regierung in ein gutes Licht rücken. Wie Blogger Spitzeldienste für die Polizei leisten, zeigte sich auch im Fall von Adrian Lamo, der Bradley Manning bei den US-Behörden denunzierte, wichtige Informationen an Wikileaks weitergeleitet zu haben.

Sowohl die Solidarität mit Manning als auch die Folgen der Internetplattform Wikileaks waren Themen in den rund zwei Dutzend Workshops und Diskussionen am Samstag. Gerade am Beispiel von Wikileaks wird jetzt schon deutlich, dass der Plattform von den Medien eine Rolle zugeschrieben wurde, die sie mit weder personell noch technisch erfüllen konnte. Seit Monaten wird über den Wikileaks-Gründer mehr diskutiert als über die veröffentlichten Dokumente.

Morozov warnte auch vor der Vorstellung, das Internetzeitalter sei die beste Stütze für demokratische Bestrebungen in der Politik. Die Online-Welt sei wesentlich leichter manipulierbar als Zeitungen und bei weitem nicht so transparent, wie manche Menschen glauben, betonte er. Seine Mahnung auch bei Bloggern genau auf die Inhalte zu schauen, hätte auf dem Kongress gleich im Anschluss beherzigt werden können, als ein Videobeitrag der kubanischen Bloggerin Yoani Sanchez gezeigt wurde. Die selbst innerhalb der kubanischen Opposition wegen ihrer ultrarechten Thesen umstrittene Bloggerin wurde auch auf der Konferenz als Ikone der Meinungsfreiheit gefeiert.

Auffällig war das Fehlen von Positionen auf der Konferenz, die die eine grundsätzliche Kritik auch an den Verhältnissen in Deutschland leisteten. Wenn man bedenkt, in welchen Umfeld und Kontext die Taz Ende der 70e Jahre gegründet wurde, bekommt das Kongressmotto eine zusätzliche Bedeutung. Die Gründer hatten sich eine grundlegende politische Umwälzung auf die Druckfahnen geschrieben und das Internet bekommen.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/149632
 
Peter Nowak