Vor zwei Monaten hatten die 500 BewohnerInnen aus 157 Wohnungen der Häuser in der Koloniestraße Koloniestraße 2, 2a, 6, 6a, 6b, 7 und 8 erfahren, dass sich ab 1. Dezember 2015 ihre Mieten teilweise verdoppeln sollen (MieterEcho Online berichtete). Die Portfolio GmbH Lior Mamrud und Josif Smuskovics, die die Häuser 2010 erworben hat, profitiert von dem Wegfall der sogenannten Anschlussfinanzierung. Sie macht es möglich, dass die Mieten der ehemaligen Sozialwohnungen in der Koloniestraße steigen können. Viele der BewohnerInnen haben ein geringes Einkommen, befürchten Mietschulden und mögliche Zwangsräumungen und suchen sich neue Wohnungen. Doch viele BewohnerInnen wollen nicht wegziehen, sondern gegen die Mieterhöhung kämpfen. Und sie wollen dafür sorgen, dass das Thema in der Öffentlichkeit nicht in Vergessenheit gerät. Ca. 70 MieterInnen der Weddinger Koloniestraße und ihre UnterstützerInnen versammelten sich vor einigen Tagen vor dem Roten Rathaus. Die Kundgebung wurde von der Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“, dem „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ und dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ unterstützt. Nicht die fröhliche Weihnachten sondern die „ fröhliche Entmietung“ der Häuser in der Koloniestraße wurde auf einen Transparent angeprangert.
„Sie wollen uns Angst machen“
„Etwa ein Fünftel der MieterInnen ist schon ausgezogen“, monierte Canan Delipalta, eine Mieterin der Koloniestraße, die ihre Wohnung nicht verlassen will. „Jede leere Wohnung ist ein Gewinn für den Eigentümer. Er spielt auf Zeit“, sagte eine andere Bewohnerin. Die MieterInnen sehen es daher auch nicht als Erfolg, als sie Mitte Dezember Post von der Hausverwaltung erhielten und ihnen mitgeteilt wurde, dass die Mieterhöhung zum 1. Dezember zunächst ausgesetzt wird, weil noch juristischen Auseinandersetzungen mit dem Bezirksamt anhängig sind. Zugleich wurde aber angekündigt, die Mieten rückwirkend ab dem 1. Dezember 2015 zu erhöhen, sollte die Hausverwaltung den Prozess gewinnen, Nun haben viele MieterInnen Angst, dass sie hohe Beträge nachzahlen müssen. Auf diese Weise wird die stille Entmietung forciert. „Sie wollen uns Angst machen“, fasst Canan Delipalta die Strategie von Eigentümer und Hausverwaltung zusammen. Die Mieter/innen haben sich auch durch den kurzen Auftritt des Weddinger Sozialstadtrats Stephan von Dassel nicht beruhigen lassen, der die Maßnahmen seiner Behörde lobte und den BewohnerInnen riet, entspannt ins neue Jahr zu gehen. Ein Sprecher des Stadtteilbündnisses „ Hände weg vom Wedding“ kritisierte den Sozialstadtrat von Dassel, dass er sich als Weihnachtsmann aufgespielt habe und den Mieter/nnen einreden wolle, sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen .Er erinnerte daran, dass es erst dem Engagement der MieterInnen in der Koloniestraße zu verdanken sei, dass die Auseinandersetzung auch berlinweit bekannt wurden. Er warnte aber davor, jetzt auf den Justizweg und die Behörden zu vertrauen. Wichtig sei es vielmehr, den Widerstand fortzusetzen und auszuweiten. Kurt Joter vom Büro für ungewöhnliche Maßnahmen stellte in seiner kurzen Ansprache den Zusammenhang zur Berliner Wohnungspolitik her. Das Problem sei, so meinte er, dass durch die Politik der unterschiedlichen Parteien der Soziale Wohnungsbau abgewickelt worden sei und kein Ersatz angeboten werde.
MieterEcho online 26.12.2015
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/kolonistr-weihnachten.html
Peter Nowak
Für linke Kritiker nimmt sich Israel im Umgang mit Nichtregierungsorganisationen ein Vorbild an Russland
Für linke Kritiker nimmt sich das Land im Umgang mit Nichtregierungsorganisationen ein Vorbild an Russland. Dort müssen sich regierungskritische NGO nicht nur als vom Ausland gesteuert und finanziert bezeichnen lassen, sondern müssen diese Klassifizierung auch noch selber beantragen. Nun hat sich nach Meinung der Kritiker Israels Rechte in- und außerhalb der Regierung diese Praxis zum Vorbild genommen.
Vor knapp zwei Wochen hat die rechtsnationalistische Organisation [1] per Video Nichtregierungsorganisationen als ausländische „Implantate“ bezeichnet. Nun hat die rechtskonservative israelische Regierung nicht etwa die Angegriffenen verteidigt, sondern eine gesetzliche Grundlage für die weitere Reglementierung von kritischen NGOs ins Israel geschaffen.
Das Kabinett verabschiedeteeinen Gesetzentwurf zur schärferen Kontrolle bestimmter Nichtregierungsorganisationen (NGO). Die Arbeit von aus dem Ausland finanzierten Bürgerrechtsgruppen soll damit strenger kontrolliert werden.
NGOs, die mehr als die Hälfte ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, müssen diese Verbindungen detailliert offenlegen. Sie werden verpflichtet, in ihren Finanzerklärungen die Namen ihrer Geldgeber anzugeben und ihre Adressen den israelischen Behörden mitzuteilen. Zudem sollen die Bürgerrechtler künftig wie Lobbyisten besondere Plaketten tragen, wenn sie mit Vertretern von Parlamentsausschüssen zusammentreffen.
Geht es um Transparenz bei der Lobbyarbeit?
Nun könnte eine solche Regelung durchaus sinnvoll sein, wenn es darum gehen soll, Lobbyarbeit transparenter zu machen. Daher verweisen auch Verteidiger der israelischen Regierung darauf, dass das Gesetz doch eigentlich nur ein Beitrag zur viel geforderten Lobbycontrol darstellt. Doch die Einseitigkeit des Gesetzes lässt daran zweifeln, dass es den Initiatoren um eine bessere Lobbykontrolle geht.
In einem offenen Brief [2] an Israels Justizministerin Schaked warnt das Israelische Demokratie-Institut [3] vor Schaden für Israels Ansehen als Demokratie. Besonders problematisch sei, dass das „Transparenz-Recht“ nur Spenden ausländischer Staaten nennt, für private Gelder
aber nicht gilt. Damit werde der Zweck verfolgt, „nur den NGOs zu schaden, die auf einer bestimmten Seite der politischen Landkarte stehen“, so der Verdacht der IDI.
Während linke und friedenspolitisch engagierte NGOs meist Unterstützung von staatlichen Institutionen
im Ausland beziehen, bezieht das konservative und rechtsnationale Lager Israels vor allem von Privatleuten Spenden. Die aber würden bei der neuen Regelung ausgespart bleiben.
Israels Justizministerin Schaked begründete ihren Gesetzesvorschlag damit, dass die Öffentlichkeit ein Recht habe zu wissen, welche ausländischen Regierungen sich in die inneren Angelegenheiten Israels einmischen. Das IDI verweist in dem offenen Brief an Schaked auf ein vergleichbares US-Gesetz, das „keine Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Spenden macht“.
Wird hier nicht ein Seismograph der Demokratie beschädigt?
Zu den israelischen NGOs, die von der Neuregelung betroffen wären und sich als ausländisch finanzierte NGO outen müsste, gehört die Organisation Das Schweigen brechen [4]. Dort haben sich Soldatinnen und Soldaten organisiert, die in den besetzten Gebieten eingesetzt waren und über Menschenrechtsverletzungen berichten, die sie dort erlebt hatten. Manchmal waren sie darin selber involviert.
Sicherlich sind die Darstellungen oft subjektiv. Allerdings wurden hier tatsächlich vorher verschwiegene Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt und dann manchmal nachträglich geahndet. Deshalb haben sich auch israelische Politiker, die mit der politischen Ausrichtung der NGO oder ihres Umfeld nicht einverstanden sind, deren Arbeit verteidigt. Schließich sind sie Seismograph für eine Demokratie und machen mit ihrer sicher einseitigen Arbeit auf Fehlentwicklungen aufmerksam. Es ist für eine bürgerliche Demokratie kein gutes Zeichen, wenn solche Seismographen eingeschränkt werden.
Ähnlich argumentierte auch der israelisch-solidarische Publizist und Buchautor Stephan Griga [5]t, der sich ausführlich und kritisch mit der israelischen Linken sowie mit der Szene der Nichtregierungsorganisationen befasst [6] hat. Er kritisiert, dass sie oft politisch naiv seien und Islamismus und Antisemitismus unterschätzen würden. Allerdings verweist auch Grigat auf die wichtige Rolle der israelischen NGO und Nichtregierungsorganisationen als Frühwarnsystem vor eventuellen Gefährdungen der Demokratie.
Genau diese Rolle könnte durch die Arbeit der israelischen Rechten nun eingeschränkt und gefährdet werden. So kann man feststellen, dass mit dem Gesetz Israel noch nicht zu einem System à la Putin wird. Doch ein Stück in Richtung autoritären Staat wird Israel damit gerückt.
Hat die Initiative eine antisemitische Komponente?
Israels Rechte in und außerhalb des Parlaments unterscheidet sich damit nicht von der Rechten in allen Ländern der Welt, die die Autorität des Staates erhöhen, kritische Gruppen reglementieren und als vom Ausland gesteuert darstellen wollen. In diese Kategorie gehören auch linkstrappierte autoritäre Bewegungen wie der Stalinismus in all seinen Spielarten, der ja bekanntlich, alle Kritiker zu ausländischen Agenten stempelte.
Oft haben solch Vorwürfe einen offen oder latent antisemitischen Unterton. So richtete sich die stalinistische Kampagne gegen den Kosmopolitismus gegen linke Jüdinnen und Juden im Umfeld der damaligen kommunistischen Parteien [7]. Nun könnte man argumentieren, der Initiative der israelischen Rechten könne man zumindest keinen Antisemitismus vorwerfen. Doch dies sollte zumindest in Frage gestellt werden.
Zu den Unterstützern der inkriminierten israelischen NGO gehören jüdische Menschen in vielen Ländern der Welt. Schließlich ist Israel das Modell eines Einwandererlandes. Jüdische Menschen aus allen Kontinenten leben dort. Viele haben Verwandte, Freunde und Bekannte in ihren Herkunftsländern. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn sich auch diese Menschen für die innenpolitische Situation in Israel interessieren und deshalb auch Einzelpersonen und Gruppen unterstützen, die ihnen politisch nahestehen.
Die Reglementierungen gegen die kritischen NGO richten sich so auch gegen jüdische Unterstützer in aller Welt, die nicht in Israel leben. So wäre es vielleicht unpräzise, wenn man der israelischen Rechten mit ihren Maßnahmen direkt Antisemitismus unterstellt. Allerdings kann man schon konstatieren, dass sich die Maßnahmen gegen die kosmopolitische Vorstellungen eines Judentums richtete, das die ganze Menschheit und nicht ein Land zu Heimat hatte. So ist die israelische Rechte auch in dieser Frage den autoritären Strömungen in anderen Ländern nahe und sieht in Regierungskritikern und Kosmopoliten ausländische Agenten.
In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Kündigung des »Gemischtwarenladens für Revolutionsbedarf«
Seit 1985 verkauft Hans-Georg Lindenau in der Manteuffelstraße seine »Revolutionsartikel«. Doch am 31. Dezember soll Schluss sein. Dagegen organisiert sich Widerstand.
Schwarzrote Fahnen flattern neben einem Stapel Antifaaufkleber. In Regalen finden sich Plakate und Flugblätter zu verschiedenen Themen der außerparlamentarischen Linken. Im »Gemischtwarenhandel für Revolutionsbedarf« in der Manteuffelstraße 99 kann man den Geist des rebellischen Kreuzberg der späten 80er Jahre noch spüren.
Doch zum 31. Dezember soll damit Schluss sein. An diesen Tag soll Ladeninhaber Hans Georg Lindenau, den alle nur HG nennen, die Räume besenrein an die Idema Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft übergeben, die das Haus vor einigen Jahren erworben hat. Es ist der achte Hauseigentümer, seit Lindenau vor 30 Jahren den Laden eröffnet hat. Damals waren in Kreuzberg zahlreiche Häuser besetzt. Der Stadtteil an der Mauer wurde bei Linken, Alternativen und Aussteigern beliebt. Sie waren die ersten Kunden und Nutzer des Ladens.
In den letzten Jahrzehnten hat sich Kreuzberg rasant verändert. Doch der M99 ist bis heute Anlaufpunkt für Menschen aus aller Welt, die noch etwas vom Flair des alten Kreuzberg mitbekommen wollen. In den nächsten Tagen ist die Gelegenheit dazu besonders günstig. Denn Lindenau und seine Unterstützer bereiten den Widerstand gegen die Zwangsräumung vor. »Ich gehe hier nicht freiwillig raus«, erklärt HG, der bei einer Räumung nicht nur den Laden, sondern auch seine Wohnung verlieren würde, die er nach einer Querschnittslähmung in den hinteren Räumen rollstuhlgerecht eingerichtet hat.
An der Kampagne gegen die Räumung beteiligen sich viele Kunden. Das ist im Sinne von Lindenau, der sich nie als Geschäftsmann gesehen hat. »Von Anfang an haben Menschen, die im M99 Aufkleber, Infomaterial und die angesagten linken T-Shirts und Kapuzenpollover erworben haben, geholfen, den Betrieb aufrechtzuerhalten«, benennt HG das Konzept.
Jetzt tragen die Unterstützer dazu bei, dass im ganzen Stadtteil Plakate mit dem Motto »Bizim M99« (Wir sind alle M99) zu sehen sind. Die Parole ist an die Kampagne »Bizim Bakkal« angelehnt, mit der sich vor einigen Monaten Nachbarn für den Erhalt eines gekündigten Gemüseladens in der Kreuzberger Wrangelstraße engagierten (»nd« berichtete). Die Kündigung wurde zurückgenommen.
Mittlerweile kämpft die Bizim-Initiative gegen die Verdrängung von Mietern und kleinen Läden in ganz Kreuzberg. Sie engagiert sich auch für den Erhalt des M99. »HG ist kein profitorientierter Geschäftsmann, sondern sieht sich und seine Arbeit als einen Teil der Kultur von unten. Deshalb gibt es auch eine Freebox – hier kann jeder geben und nehmen, was er kann und möchte«, begründete eine Aktivistin der Bizim-Bewegung das Engagement für den Erhalt des Ladens. Der sei ein Anlaufpunkt für die Nachbarschaft, die nicht zu der kaufkräftigen Zielgruppe der neuen Läden gehört, die sich auch in Kreuzberg ausbreiten, betont sie.
Unter dem Motto »HG/M99 bleibt« soll am 9. Januar für den Erhalt des Ladens demonstriert werden. Beginn ist um 14 Uhr am Heinrichplatz.
Tschechien: Die Weihnachtsansprache von Milos Zeman klingt wie eine Pegida-Rede und macht deutlich, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist
Es sei kein spontaner Flüchtlingsstrom, sondern eine Invasion. Es handele es sich hauptsächlich um junge Männer, die statt mit der Waffe gegen den IS zu kämpfen, in Europa Sozialleistungen beziehen wollen. Das sind nicht etwa Auszüge aus einer Pegida-Rede sondern gehören zur Weihnachtsansprache des tschechischen Präsidenten Milos Zeman [1].
Die Rede war das passende Weihnachtsgeschenk für die pegidafreundlichen PI-News, die eine schlechte Übersetzung [2] der Rede ins Netz stellen. Die modernisierte Rechte hat Zeman spätestens nach dieser Rede in ihr Herz geschlossen und sieht so großzügig darüber hinweg, dass er den Geflüchteten empfahl, sich an den tschechischen Kämpfern gegen die deutsche Besatzung ein Beispiel zu nehmen, die schließlich auch mit der Waffe gegen das Nazi-Protektorat kämpften.
Schlusspunkt von Zemans Rede war der Verweis auf eine antirassistische Demonstration in Prag. Auf dem Transparent fand sich die Parole „Dieses Land ist für alle – Refugees Welcome“. Zeman wendet sich nun direkt gegen die Parole und beendet seiner Rede mit dem Spruch „Dieses Land ist für uns, wird und kann gar nicht für Alle sein“.
Inhaltlich hat Zeman wohl kaum jemanden überrascht. Es war schon lange bekannt, dass er ein Gegner der Geflüchteten ist. Auch mit den individuellen Freiheiten steht Zeman auf Kriegsfuß [3]. In der Frage von Rechten für Schwule und Lesben steht [4]Zeman näher beim russischen Präsidenten Putin als bei der EU.
Nun ist sich Zeman zumindest in der Ablehnung der Flüchtlinge einig mit der Orban-Regierung in Ungarn, der neuen polnischen Rechtsregierung, aber auch den baltischen Staaten. Er ist ein Nationalsozialdemokrat, der sich bei der tschechischen Präsidentenwahl gegen den EU-freundlichen Wirtschaftsliberalen Karel Schwarzenberg [5] durchsetzte. Damals stand die parteiförmige tschechische Linke hinter Zeman, um einen Wahlsieg Schwarzenbergs zu verhindern.
Zeman wiederum setzt die Tradition seines Vorgängers Klaus fort, der ebenfalls ein erklärter EU-Gegner war. Die jüngste Rede Zemans dürfte die Front der Kritiker verstärken. Nur ist die innenpolitische Gemengelage abstrus. Ein von der tschechischen Linken ins Amt gebrachter Präsident, der Zustimmung bei Pegida findet, und eine Opposition, die sich auf die EU und den Westen bezieht. Eine linke Opposition, die sich nicht auf die Alternative Zeman versus Schwarzenberg festlegen lässt, existiert. Sie wird allerdings marginalisiert und auch kriminalisiert [6].
Polen Ungarn und Tschechien – welche Länder werden folgen?
Die Rede Zemans hat aber auch über die tschechische Innenpolitik hinaus Bedeutung. Sie wird die Diskussion über die europäische Flüchtlingspolitik verschärfen. Schon seit Wochen warnen [7]verschiedene EU-Politiker vor einer Spaltung der EU über die Flüchtlingsfrage. Welche Länder noch werden der Linie von Polen, Tschechien und Ungarn folgen?
Besonders heikel wird es, wenn sich die Regierung eines Gründungsmitglieds der EU offen zu einer solchen Linie bekennt. Bisher wird in Großbritannien, aber auch in Dänemark und Schweden zumindest Zustimmung zu der flüchtlingsskeptischen Linie signalisiert. Aber eine offene Parteinahme bleibt bisher aus.
Vielmehr nutzten flüchtlingsskeptische Parteien Länder wie Polen, Ungarn und auch Tschechien, um selber mehr Zugeständnisse zur Flüchtlingsabwehr durchzusetzen. Der von der CSU initiierte aktuelle Streit [8] um die Grenzsicherung in Bayern ist nur ein Beispiel. Die Zeman-Rede zeigt auch, dass die Flüchtlingsfrage die EU noch lange beschäftigten wird und dass die Warnungen vor einer Spaltung an dieser Frage sicher nicht unberechtigt sind.
Am 8. April hatte er auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor den großen Auftritt. Beim Abschlusskonzert des Internationalen Romatages brachte Hikmet Prizreni a.k.a Prince H nicht nur das Publikum zum Tanzen. Er verkündete auch eine Botschaft. In kurzen Worten forderte er eindringlich gleiche Rechte für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft. Mittlerweile ist der 34jährige Rapper als Stimme der Geflüchteten bekannt geworden.
Sieben Monate später braucht Prince H die verkündete Solidarität nun selber. Und er erhält sie. Unter dem Motto »Freiheit für Hikmet. Alle sollen bleiben« organisierten Künstlerkollegen und Flüchtlingsgruppen am 22. Dezember in Berlin ein Solidaritätskonzert. Selbst der Rapper Sido rief via Facebook zur Teilnahme auf. Auch ein Solidaritätslied für Hikmet wurde gespielt.
Seit Monaten befindet sich Prince H. in Essen in Abschiebhaft, nachdem er am 9. Oktober bei einem Routinegang auf eine Behörde festgenommen worden war. Hikmet Prizreni wurde 1981 im kosovarischen Pristina geboren. Als er sieben Jahre alt war, flohen seine Eltern mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Deutschland. Über den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn schrieb er: »Als ich 13-14 Jahre alt war, fing ich an zu tanzen und Musik zu machen. Ich habe in meiner Freizeit hart trainiert und hatte viele Auftritte«. In Internetforen spricht er auch offen über einen großen Fehler, den er gemacht hat. Wegen eines Drogendelikts war er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Die Ausländerbehörde entzog ihm darauf die Aufenthaltserlaubnis. Fortan befand er sich im Status eines Menschen, der seinen Duldungsstatus monatlich verlängern lassen muss. Bereits im April 2015 hatten Freunde des Künstlers eine Onlinepetition für sein Bleiberecht initiiert. Sie wurde allerdings nur von 1812 Personen unterzeichnet. Erst nachdem der Rapper in Abschiebehaft kam und die Gefahr der Abschiebung akut geworden ist, wächst die Unterstützung. Es ist seine letzte Hoffnung, denn der Kosovo ist ein für ihn fremdes Land.
Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine eine Reise Wert. Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab. Dafür sorgt das Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort, in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20 solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und Kassel waren anwesend. AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder alternative Gewerkschaften noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP) genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von Ver.di, sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den Streik in den bei deutschen Amazon-Werken durchgeführt. Aus den heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
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Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40 Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren. Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien. Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige KollegInnen betrachten. Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten zwei der neuen KollegInnen den Bus verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden. Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe gelten. Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an. Auf dem Retourpaket können z.B. Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden, die sich mit den streikenden Beschäftigten solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen. Die InitiatorInnen betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“, begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni 2008 für mehrere Stunden ein Discounter in Berlin blockiert. Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten. Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen Mitglieder zu gewinnen.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Etwa eine halbe Million Menschen zieht es jährlich in den Botanischen Garten in Berlin-Steglitz. Die wenigsten werden sich Gedanken über die Arbeitsbedingungen in der Einrichtung machen, die sich im Besitz der Freien Universität (FU) befindet. Manche Beschäftigte haben sich in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisiert, um sich gegen Outsourcing und Dumpinglöhne wehren zu können. In der vergangenen Woche sorgten die Beschäftigten, unterstützt von der Berliner Gruppe »Aktion Arbeitsunrecht«, für etwas Proteststimmung auf dem Campus. Sie nahmen die Sitzung des Kuratoriums der FU zum Anlass, um auf ihre prekären Arbeitsbedingungen hinzuweisen. Im Jahr 2007 wurden Reinigung, Technik und Besucherservice von einer Tochtergesellschaft der FU übernommen. Die Outgesourcten verdienen für dieselbe Arbeit bis zu 72 Prozent weniger als ihre direkt bei der FU angestellten Kollegen. Nun drohen weitere Verschlechterungen, weil die Arbeiten an noch billigere Fremdfirmen vergeben werden sollen. Betriebsbedingte Kündigungen von 31 Beschäftigten wären die Folge. Auf diese Weise könnte auch eine Reihe kritischer Gewerkschafter ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese haben es in den vergangenen Monaten geschafft, eine neue Debatte über die Methode des Outsourcing anzuregen, die mittlerweile im öffentlichen Dienst zum Alltag gehört. Der Kanzler der FU, Peter Lange, verteidigte sich auf der Sitzung mit dem Hinweis, dass überall an der Universität Tätigkeiten outgesourct seien. Tatsächlich sind Hochschulen ein Labor der Prekarisierung in allen Bereichen, von der Reinigung bis zum Wissenschaftsapparat. Nur mit der Solidarisierung hapert es angesichts der politischen Flaute in den Hochschulen. Immerhin hat sich ein knappes Dutzend Studierende mit den Beschäftigten des Botanischen Gartens solidarisiert. Im Anschluss an die Kundgebung während der Sitzung des Kuratoriums hielten sie ein Teach-in vor der Mensa der FU ab.
Vergangene Woche hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Befugnisse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zu erweitern, die zudem besser ausgerüstet und personell verstärkt werden soll. Über die europäische Flüchtlingsabwehr und die Rolle von Frontex sprach die Jungle World mit Harald Glöde. Er ist Mitbegründer und langjähriger Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). 2007 gründete er mit anderen die Initiative Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Lange Jahre wurde die europäische Grenzschutzagentur Frontex von Antirassisten kritisiert. In der letzten Zeit ist das in den Hintergrund getreten. Was war der Grund?
Es stimmt, dass Frontex im »Sommer der Migration« in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wurde. Das liegt aber schlicht daran, dass sie bei den jüngsten Flüchtlingsbewegungen, insbesondere auf der Balkan-Route, bislang keine Rolle gespielt hat.
In neueren Berichten über Frontex wurde öfter die Lebensrettung von Geflüchteten thematisiert. Ist das nur Propaganda oder gab es in dieser Hinsicht Verbesserungen?
Dieser Versuch einer Imageverbesserung ist schon älter. Bei der Neuverhandlung des Frontex-Mandats 2011 wurden dort ein Menschenrechtsbeauftragter und ein sogenanntes Konsultativforum installiert, das Frontex in Menschenrechtsfragen beraten soll. In dieser Zeit hat der Chef der Abteilung Joint Operations, Klaus Rösler, öfter betont, dass seine Organisation Leben rette. Doch das widerspricht anderen Äußerungen von Frontex-Verantwortlichen, die beispielsweise betonten, dass bei der Operation Triton das eindeutige Mandat und damit die Priorität von Frontex bei der Sicherung der Grenzen liegt. Grenzsicherung heißt aber im Klartext Abschottung und Flüchtlingsabwehr.
Mehrere Nichtregierungsorganisationen beraten mittlerweile Frontex. Wäre auch Borderline Europe bereit, in einem dieser Gremien mitzuarbeiten?
Nein, wir würden uns daran nicht beteiligen. Für uns ist Frontex eine Organisation, deren Kernaufgabe die Abschottung und der Ausbau der Flüchtlingsabwehr ist. Sie kann nicht reformiert werden.
Nun soll nach den Plänen der EU Frontex umgebaut werden und mehr Macht bekommen. Was ist geplant?
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll Frontex in eine Europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz umgewandelt werden. Frontex’ Auftrag wird es dann sein, die Arbeit von etwa 300 verschiedenen militärischen und zivilen Organisationen, die in der EU im Küstenschutz aktiv sind und oft nebeneinanderher arbeiten, zu koordinieren. Sie soll dann auch kontrollieren, ob die Außengrenzenstaaten der EU fähig sind, ihre Grenzen zu sichern. Um dies dauerhaft gewährleisten zu können, ist der Aufbau eines Analysezentrums zur Beobachtung der Flüchtlingsbewegungen in die EU vorgesehen. Die Abschottungsmaßnahmen der einzelnen Staaten sollen durch regelmäßige »Stresstests« kontrolliert werden. Außerdem soll im Rahmen dieser neuen Agentur ein »Rückführungsbüro« eingerichtet werden, das die Mitgliedstaaten bei der Abschiebung von Flüchtlingen unterstützen soll. Dieses Büro soll auch die Vollmacht erhalten, ohne Anforderung des betreffenden Mitgliedstaates tätig zu werden.
Handelt es sich dabei um mehr als um die bessere Koordinierung der bisherigen Frontex-Arbeit?
Eine qualitative Neuerung an dem Plan der EU-Kommission ist die Forderung nach einer Truppe von mindestens 1 500 Grenzbeamten, die innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein sollen. Es ist auch die Möglichkeit vorgesehen, diese Truppe in EU-Mitgliedsländern einsetzen zu können, ohne dass die betroffenen Länder zustimmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit, auf dem das Agieren der Grenzschutzagentur bisher beruht, empfindet die EU-Kommission als entscheidenden Mangel. Ob sie einen Frontex-Einsatz überhaupt benötigen und in welchem Umfang sie Personal und Ausrüstung für Einsätze bereitstellen, entscheiden die Mitgliedstaaten nämlich bislang selbst. Im Fokus stehen sicherlich Italien und vor allem Griechenland, die nach Auffassung der Kommission beim Schutz der EU-Außengrenze versagen.
Soll damit verhindert werden, dass eine europäische Regierung die Flüchtlingsrechte ernster als die EU nimmt und nicht nur auf Abschreckung zielt? Solche Forderungen standen sowohl im Programm der griechischen Partei Syriza als auch dem von Podemos in Spanien und anderer linker Parteien.
Es ist offensichtlich, dass diese Pläne auf Griechenland zielen.
Was soll sich ändern?
Mit der Drohung des direkten Eingreifens der EU und der damit verbundenen Verletzung der Souveränität soll auf die betreffenden sogenannten Risikoländer, wozu Griechenland nach diesen Vorstellungen gehört, größerer Druck ausgeübt werden, damit sie ihre Grenzen stärker abschotten. Wie weit die Vorstellungen der EU-Kommission hierbei reichen, zeigt das folgende Zitat aus ihrem Papier: »Die Entscheidungen der Agentur sind für die Mitgliedstaaten bindend.« Die Kommission könne selbständig Anordnungen treffen, »einschließlich der Entsendung europäischer Grenz- und Küstenschutzteams«, wenn die Maßnahmen nicht innerhalb der gesetzten Frist umgesetzt werden. Die Kommission will dafür eine »stehende Truppe« mit 1 500 Grenzschützern aufstellen, die über die nötige Ausstattung an Fahrzeugen und sonstiger Ausrüstung verfügt.
In Griechenland hat die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank auf wirtschaftlichem Gebiet in die Souveränität des Landes eingegriffen. Passiert Ähnliches durch die geplante Stärkung von Frontex nun auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik?
Die mächtigen Kernstaaten der EU verschaffen sich damit Eingriffsrechte in die Souveränität anderer EU-Mitgliedstaaten, hier den Staaten an den EU-Außengrenzen, die ja auch schon im Zuge der Finanzkrise gezwungen wurden, die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. Insofern gibt es durchaus Parallelen zwischen den aktuellen Bestrebungen zur Stärkung von Frontex und dem Verhalten der EU in der Finanzkrise.
Regt sich gegen diese Pläne Protest?
Ja, den wird es mit Sicherheit geben. Zum einen werden sicherlich die Staaten, die diese Angriffe auf ihre Souveränität befürchten müssen, sich dagegen zur Wehr setzen und auch im EU-Parlament, das diesen Plänen noch zustimmen muss, wird sich sicherlich Widerstand regen. Zu befürchten ist aber auch, dass hierzu nationalistische Diskurse initiiert werden, die rechten Gruppen weiteren Auftrieb geben könnten. Zum anderen werden natürlich auch Flüchtlings-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen gegen diese Verschärfung der Abschottung protestieren und Widerstand organisieren.
Noch handelt es sich um einen Plan der EU-Kommission. Wie realistisch ist dessen Umsetzung?
Noch ist vieles unklar. Die entsprechenden Verordnungen oder Richtlinien müssen erst noch entworfen und diskutiert werden, was einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Es gibt mehrere Momente, die in dieser Zeit eine wichtige Rolle spielen werden. Da sind zum einen die weitere Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen, zum anderen das Ausmaß zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen diese Stärkung von Frontex. Letztlich wird auch der Ausgang anderer EU-weit geführter Debatten, wie beispielsweise die Austrittsdrohung Großbritanniens, die Diskussion um den EU-weiten Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen, die Frage des TTIP-Abkommens, Auswirkungen auf diese Auseinandersetzungen haben. Es wäre sehr zu wünschen, dass die breite Willkommensbewegung in Deutschland sich stärker an den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Protesten gegen diese Verschärfungen der EU-Flüchtlingspolitik beteiligt.
Einige zivilgesellschaftliche Initiativen wie Sea-Watch widmen sich der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Müsste das Engagement angesichts dieser Pläne nicht verstärkt werden?
Die Ausweitung der Rettung von Flüchtlingen ist natürlich absolut notwendig angesichts der etwa 3 500 Menschen, die in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken sind. Meiner Meinung nach muss diese Seenotrettung aber verbunden werden mit der Forderung nach legalen Zugangsmöglichkeiten und einem Ende der Abschottungspolitik, die die Ursache für diese vielen Todesfälle ist. Das praktizieren ja zum Beispiel bereits Sea-Watch und das Alarmtelefon von Watch the Med.
Wenn es um Afghanistan geht, fallen uns sofort Begriffe wie Taliban, IslamistInnen und Warlords ein. Schliesslich
kommt das Land fast nur mit Meldungen über islamistische Anschläge in die Schlagzeilen.
Doch am 11. November gab es Meldungen, die deutlich machten, dass sich in Afghanistan auch viele Menschen
aktiv gegen islamistischen Terror, aber auch gegen die Besatzung durch die NATO, wehren. Nach einem besonders
brutalen islamistischen Verbrechen, bei dem sieben Angehörige der ethnischen Minderheit der Hasara enthauptet
wurden, demonstrierten in Kabul Tausende, darunter viele unverschleierte Frauen. Sie belagerten den
Präsidentenpalast, versuchten sogar, dort einzudringen, und warfen der Regierung vor, dass sie zu wenig macht,
um die Menschen gegen den islamistischen Terror zu schützen.
Die Opposition wird sichtbar
Die Meldungen sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil damit die Existenz einer oppositionellen Bewegung sichtbar
wurde, die in der hiesigen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Mitte November informierten drei VertreterInnen
dieser säkularen, linken afghanischen Oppositionsbewegung auf einer Rundreise durch verschiedene
Städte in Deutschland über ihren schwierigen Kampf in Afghanistan.
Hafiz Rasikh sitzt im Vorstand von „Hambastagi“, der Solidaritätspartei Afghanistans. Sie zählt mittlerweile rund
30.000 Mitglieder. Zu ihren programmatischen Grundlagen gehören der Kampf für Demokratie und für die
Gleichberechtigung der Ethnien, die Gleichheit von Mann und Frau sowie die juristische Ahndung der Kriegsverbrechen
der letzten Jahrzehnte. „Wir positionieren uns sowohl gegen die sowjetische Besatzung, die Herrschaft
der unterschiedlichen Fraktionen der Islamisten, aber auch die NATO-Besatzung“, stellt Hafiz Rasikh klar. Die internationale
Solidarität ist eine wichtige Maxime der „Hambastagi“. Kontakte bestehen zu Podemos in Spanien,
aber auch zu Syriza in Griechenland sowie zu ausserparlamentarischen Bewegungen in vielen Ländern. Während
der jüngsten Rundreise nahm Hafiz Rasikh an einer Demonstration gegen ein militärisches Spektakel zum 50.
Jahrestag der Bundeswehr teil. In seiner Rede forderte er den Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan.
Sie seien Teil des Problems und keine Lösung, stellte er klar. Eine wichtige Rolle beim Kampf um die Aufarbeitung
von Verbrechen der letzten Jahrzehnte in Afghanistan spielt die „Social Association for Afghan Justice
Seekers (SAAJS), die auf der Rundreise von ihrer Direktorin Weeda Ahmad vorgestellt wurde. Die 2007 gegründete
Organisation unterstützt die Opfer von Verbrechen und Gewalt in Afghanistan. Sie fordert die Errichtung von
Gedenkorten und die juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen.
Kein kritischer Rückblick auf die Geschichte
Zu den politischen Bezugspunkten sowohl der Solidaritätspartei wie der SAAJS gehört die feministische Organisation
RAWA, die schon im Kampf gegen die Rote Armee und die damalige afghanische Linksregierung im Untergrund
aktiv war. Sie hat auch unter der Herrschaft der Taliban ihre Tätigkeit fortgesetzt. Viele RAWA-Mitglieder
sind in den letzten Jahrzehnten ermordet worden. Auch heute kann die Organisation in Afghanistan nicht öffentlich
auftreten. Sie arbeitet daher weiterhin klandestin. Die RAWA-Vertreterin Mariam-Rawi erklärte auf ihrer
Rundreise, dass es noch immer lebensgefährlich ist, sich in Afghanistan zur RAWA zu bekennen. Das Ziel ist es,
diese Organisationen zu kriminalisieren, betonte Rawi. Sie bestritt vehement, dass die NATO-Besetzung mit den
Rechten der Frauen zu tun hat und forderte ebenso den vollständigen Abzug aller fremden Truppen.
Die RAWA kommt ursprünglich aus einer maoistischen Tradition und hat auch mit diesem politischen Hintergrund
gegen die Linksregierung gekämpft, die nach der April-Revolution 1978 entstanden ist. Sie hatte grundlegende
gesellschaftliche Reformen eingeleitet, dazu zählten eine Landreform und die Gleichberechtigung der Frau.
Damals gingen Frauen selbstbewusst ohne Schleier und Kopftuch auf die Strasse. Sie zogen sich den Zorn von IslamistInnen
zu, die gegen diese Frauen mit Gewalt vorgingen und einen bewaffneten Kampf gegen die afghanische
Regierung begannen. Der Einmarsch der Roten Armee war die Antwort. Auf die Frage, ob es nicht im Nachhinein
ein grosser Fehler für eine feministische Organisation war, die afghanischen Linksregierungen nicht zumindest
kritisch unterstützt zu haben, bleibt Mariam Rawi konsequent. Für sie war die Linksregierung auch vor
dem Einmarsch der Roten Armee eine Filiale der Sowjetunion. Die Reformen seien nur Fassade gewesen. Es ist
bedauerlich, dass auch im Abstand von 35 Jahren hier noch keine kritische Reflexion einsetzte, warum eine feministische
Organisation eine Regierung bekämpfte, die wesentliche Beiträge zur Frauenbefreiung unternommen
hatte. Trotzdem ist es wichtig, die aktuelle linke Opposition in Afghanistan kennenzulernen, sich mit ihrem Kampf
und ihren politischen Vorstellungen auseinanderzusetzen und sie zu unterstützen.
*
Quelle: vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 43/44 vom 4. Dezember 2015
Marktführer BlaBlaCar will ab Januar Gebühren einführen
Mitfahrbörsen waren ursprünglich ein nichtkommerzieller Service in Universitätsstädten. Das hat sich mittlerweile geändert.
»Extrem günstig durch ganz Deutschland und Europa mitfahren«, lautet der Werbespruch von Europas größtem Mitfahrdienst BlaBlaCar. Das wird sich im kommenden Jahr ändern. Denn der hiesige Marktführer führt im kommenden Jahr Gebühren in Deutschland ein. Ihre Höhe soll von der Länge der Strecke abhängen. Auf einer durchschnittlichen Langstrecke – wie von Hamburg nach Köln – würden zwei bis drei Euro pro Mitfahrer fällig, erläuterte BlaBlaCar-Manager Olivier Bremer das neue Bezahlsystem gegenüber der »Berliner Zeitung«. Damit wolle sich das französische Unternehmen auf die gleiche professionelle Ebene wie Bahn oder Bus stellen.
Bereits im Januar soll ein Online-Bezahlsystem eingeführt werden. Mitfahrten können dann zunächst auf ausgewählten Strecken nicht mehr in bar gezahlt werden, sondern nur noch online per Kreditkarte oder Paypal. Reservierungsgebühren fallen noch nicht an. Erst wenn die Umstellung der gesamten Plattform auf das Online-Bezahlsystem erfolgt ist, soll sich dies ändern.
Auch Stornierungen werden künftig nicht mehr kostenfrei sein. Bei der kurzfristigen Absage eines Mitfahrers 24 Stunden vor der Abfahrt muss er dennoch 50 Prozent des Preises an den Fahrer zahlen. Wird früher storniert, bekommt der Kunde das Geld zurück. Ob die Gebühren ebenfalls erstattet werden, ist noch nicht sicher. BlaBlarCar-Manager Bremer versucht, den geplanten Griff ins Portemonnaie der Nutzer als besonders kundenfreundlich darzustellen. Die Online-Zahlung und die Gebühren würden für mehr Zuverlässigkeit sorgen und hätten die Stornierungsquote in anderen Ländern stark reduziert.
Mit der gleichen Begründung hatte bereits der BlaBlaCar-Konkurrent Carpooling, der die Webseiten Mitfahrzentrale.de und Mitfahrgelegenheit.de betrieben hat, Gebühren eingeführt. Das kam überhaupt nicht gut an. Neben zusätzlichen Kosten sorgte vor allem die Abgabe persönlicher Daten für Unmut unter den Mitfahrern. Viele Nutzer meldeten sich ab oder wechselten zu BlaBlaCar. Dort wurde damit geworben, dass in Deutschland keine Gebühren für die Dienste erhoben werden. Im April übernahm BlaBlaCar das durch die Austritte geschwächte Carpooling.
Noch im Sommer 2014 zeigte sich BlaBlarCar-Gründer Frédéric Mazzella in der Gebührenfrage zurückhaltend: »Du musst sehr behutsam sein, besonders, wenn Du Geld haben willst«, sagte er gegenüber dem Wirtschaftsmagazin »Bilanz«. Dieses bezeichnet die geplante Einführung von Gebühren in Deutschland jetzt als »riskanten Schritt« für BlaBlaCar.
Im Internet äußern viele Mitfahrer Unverständnis für den Schritt. Es gibt bereits erste Überlegungen, eine neue gebührenfreie Mitfahrbörse aufzubauen. Nutzer erinnern daran, dass Mitfahrbörsen als nichtkommerzieller Service in Universitätsstädten aufgebaut wurden. »Ähnlich wie der Zimmerservice Airbnb gehört BlaBlaCar zu den Unternehmen, die aus der Ökonomie des Teilens eine neue Profitquelle machen wollen«, lautet eine Kritik an den Gebührenplänen. Sollte es mit dem Aufbau einer neuen Mitfahrplattform nicht klappen, bleibt als Alternative noch immer die Nutzung der Fernbusse, die mit den Preisen mit den Mitfahrbörsen konkurrieren. Wer noch günstiger reisen wolle, könne es auch mit Trampen versuchen, heißt es in Internetforen.
Der Musiker setzte sich nicht nur für die Rechte der Roma, sondern für die aller Geflüchteten ein
Der Hip-Hopper Hikmet Prizreni a.k.a Prince H. macht zurzeit Schlagzeilen aus traurigem Anlass. Seit mehr als 2 Monaten befindet sich der 34-Jährige in Abschiebehaft [1]. Am 9.10.2015 wurde er von der Polizei gemeinsam mit seinen Bruder bei einem Routinebesuch einer Behörde in Essen verhaftet.
Prizreni wurde 1981 in der kosovarischen Stadt Pristina geboren. Als er 7 Jahre alt war, sind seine Eltern mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Deutschland geflohen. Über den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn schreibt er: „Als ich 13-14 Jahre alt war, fing ich an zu tanzen und Musik zu machen. Ich habe in meiner Freizeit hart trainiert und hatte viele Auftritte.“
Im Internetforum spricht er auch offen über das, was er heute als großen Fehler bezeichnet. Wegen eines Drogendelikts wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Daraufhin entzog ihm die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis. Fortan befand er sich im Status eines Geduldeten. Jeden Monat musste er seinen Aufenthaltsstatus verlängern lassen. Die Angst vor einer Abschiebung war groß.
Künstler solidarisierten sich mit den von Abschiebung Bedrohten
Bereits im April 2015 initiierten Freunde des Künstlers eine Onlinepetition [2] für sein Bleiberecht. Sie wurde von 1812 Personen unterzeichnet.
Nachdem die Abschiebehaft des Hip-Hoppers bekannt wurde, ist die Zahl seiner Unterstützer enorm gewachsen [3]. Im traditionsreichen Konzertsaal S036 organisierten Künstlerkollegen ein Solidaritätskonzert unter dem Motto „Freiheit für Hikmet. Alle sollen bleiben“ [4]. Selbst Sido ruft zur Teilnahme auf. „Geht dahin. Ist eine gute Sache“, schreibt er.
Die Solidarität dürfte auch damit zusammenhängen, dass der Hip-Hopper in den letzten Monaten als Stimme der Geflüchteten bekannt geworden ist. Einer der Höhepunkte war ein Auftritt aus Anlass des Internationalen Roma-Tags am 8.April 2015. Auf dem Abschlusskonzert [5] brachte Prince H. auf einer Bühne am Brandenburger Tor das Publikum zum Tanzen.
Der Musiker setzte sich nicht nur für die Rechte der Roma, sondern für die aller Geflüchteten ein. Deshalb unterstützen [6] auch zahlreiche Flüchtlingsorganisationen Prince H. Die Publicity könnte dazu beitragen, dass er Erfolg hat.
Vor sieben Jahren sollte der als Afrohesse bekannt gewordene Hip-Hopper nach Algerien abgeschoben [7] worden. Auch er hatte keine Beziehungen zu dem Land und wehrte sich gegen die Deportation. Nachdem er längere Zeit ohne Papiere in Deutschland gelebt hat und sogar eine Platte [8] aufnahm, drohte ihm nach seiner Verhaftung die unmittelbare Abschiebung. Auch für ihn setzten sich viele Künstlerkollegen ein und er hatte Erfolg. Seine Abschiebung konnte verhindert [9]werden. Heute ist er ein erfolgreicher Künstler [10].
Bis Mitte Dezember hatten Gzim und Ramiz Berisha den Alltag von Teenagern in Hannover. Sie gingen zur Schule und hatten einen großen Freundeskreis. Doch der 16. Dezember veränderte ihr Leben grundlegend. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15-jährigen Schüler mit ihren Eltern in den Kosovo abgeschoben. Von dort waren diese Anfang der 90er Jahre geflohen.
Dass Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden und hier integriert sind, in die Herkunftsländer ihrer Eltern abgeschoben werden, ist kein Einzelfall. Allein am 16. Dezember wurden mit der Familie Berisha insgesamt 125 Menschen aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert. Darunter waren mehrere Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden.
»Die Praxis ist durch die Gesetze in Deutschland leider gedeckt«, erklärt Anita Burchardt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern bekommt ein Mensch mit der Geburt in Deutschland nicht die hiesige Staatsbürgerschaft. Burchardt ist Pressereferentin des Vereins Amaro Drom. Dort hatten sich auch Gzim und Ramiz Berisha engagiert. Der Verein hat jetzt gemeinsam mit der Romaorganisation Amaro Drom eine Onlinepetition für eine Rückkehr der beiden Jungen und ihr Bleiberecht gestartet. Mittlerweile wurde sie von über 2000 Menschen unterzeichnet.
»Wir wollen erreichen, dass die beiden Schüler in ihr altes Leben nach Deutschland zurückkehren, aber wir wollen an Hand ihres Schicksals auch darauf hinweisen, dass zurzeit im ganzen Bundesgebiet in Deutschland geborene Jugendliche Angst haben müssen, von heute auf morgen in ein Land abgeschoben zu werden, zu dem sie keinen Bezug haben und dessen Sprache sie nicht kennen«, betont Burchardt.
Bei den in Deutschland geborenen Kindern geduldeter Flüchtlinge fällt die Duldung weg, wenn die Herkunftsländer ihrer Eltern als sicher eingestuft wurden. Die neue Abschiebewelle ist die Folge einer Gesetzesänderung, mit der auch Kosovo zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde. »Sichere Herkunftsstaaten sind eine politisch begründete Erfindung, die durch eine politisch-juristische Praxis anschließend vermeintlich legitimiert wird«, kritisiert der Vorsitzende von Ternengo Drom e Romengo, Nino Novaković.
Auch ohne neu geplante Blockupy-Aktionen will die Mainmetropole das Zentrum für sozialen Widerstand bleiben. Flüchtlings-, Mieter- und Studierendengruppen sowie Beschäftigte aus 17 Betrieben im Sozialbereich wollen gemeinsam die Politik in der Stadt prägen.
Im Anschluss an eine Flüchtlings- und Antirassismusdemonstration wurde in der Mainmetropole Frankfurt ein leerstehendes Haus der städtischen Wohnungsgesellschaft ABG-Holding besetzt. Schon wenige Stunden später wurde es von der Polizei unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray geräumt. Das Projekt Shelter initiierte die Besetzung und will den Kampf um ein selbstverwaltetes Zentrum für Geflüchtete auch nach der Räumung fortsetzten. Seit Monaten wirbt die Gruppe für das Zentrum. Zugleich ist sie Teil eines neuen Vernetzungsprozesses in der Stadt, an dem auch Mieter- und Studierendengruppen sowie Beschäftigte aus 17 Betrieben im Sozialbereich beteiligt sind. »Wesentliche Themen und Aktivitäten sind die gegenseitige Unterstützung bei der Organisierung in den Betrieben, der Austausch zwischen bestehenden Betriebsgruppen, der gegenseitige Besuch von Betriebsversammlungen und die Information übe die Arbeitssituation in den Betrieben«, erklärt eine Mitbegründerin des Netzwerks den Zweck.
Wenn Beschäftigte sanktioniert oder gekündigt werden, organisiert das Netzwerk Solidarität. Es will auch rumänische Wanderarbeiter, die besonders im Osten Frankfurts täglich auf Arbeitssuche sind, über ihre Rechte informieren. Kooperationspartner ist dabei die Frankfurter Beratungsstelle »Faire Mobilität« des DGB. »Viele rumänische Bauarbeiter haben Interesse, deutsch zu lernen. Tagsüber müssen sie arbeiten, aber ein Abendkurs wäre sicher ein interessantes Angebot«, meint Beraterin Letitia Matarea-Türk.
Die Zusammenarbeit so unterschiedlicher Gruppen hatte durch ein politisches Großevent Anschub bekommen. »Die Blockupy-Proteste, die in den letzten Jahren Frankfurt zum Zentrum eines sogar über Deutschland hinausgehenden Widerstands gegen die Krisenpolitik gemacht haben, brachten uns wichtige Impulse«, betont der Erwerbslosenaktivist Harald Rein gegenüber »nd«. Die Aktionen sollten Frankfurt und die Rhein-Main Region zu einem »Wendland des antikapitalistischen Protests« machen. Wie das Zwischenlager Gorleben das Wendland zum Zentrum des bundesweiten Anti-AKW-Protests machte,
sollte die Europäische Zentralbank (EZB) die Antikrisenproteste in Frankfurt bündeln. Das Konzept ging auf. An mehreren Aktionstagen beteiligten sich Tausende Gegner der europäischen Krisenpolitik, zuletzt am 18. März 2015.
Dieser Tag stellte für die Blockupy-Bewegung zugleich eine Zäsur dar. Nach der Neueröffnung der EZB war klar, dass es eine weitere Mobilisierung in der bisherigen Form nicht geben wird. Mit der regionalen Vernetzung will man jetzt neue Strukturen schaffen. An einem stadtpolitischen Ratschlag »Frankfurt für alle!« beteiligten sich Anfang Dezember zahlreiche Initiativen. Dort wurde auch die Demonstration am Tag der Menschenrechte organisiert, die in die kurze Besetzung des leerstehenden Hauses mündete. Als Selbstverständnis formuliert die regionale Koordinierung: »Wir sehen die hier ankommenden Geflüchteten nicht als Konkurrent*innen im Zugang zu öffentlichen Leistungen, sondern als Mitstreiter*innen im Kampf für soziale Gerechtigkeit, denen unsere uneingeschränkte Solidarität gilt.«
Der neue Streit über Höcke, hinter den sich AfD-Vize stellte, entscheidet auch darüber, ob die Partei ein potentieller Koalitionspartner der Union oder eine rechte Systemopposition wird
In den letzten Wochen war er der Lautsprecher der AfD[1]. Auf den von der Partei initiierten Demonstrationen in Erfurt und auch in anderen, vor allem ostdeutschen, Städten war er der Publikumsmagnet. Nun gibt sich der Noch-Vorsitzende der Thüringer AFD, Björn Höcke, medienscheu:
Es gab viele Nachfragen zur Reaktion von Björn Höcke auf die Pressemitteilung des Bundesvorstands heute. Björn Höcke hat es bisher immer so gehandhabt, dass er parteiinterne Angelegenheiten auch intern geklärt hat – und nicht über die Medien. Das möchte er auch weiterhin so handhaben. Er hat bereits ausdrücklich Fehler eingeräumt. Alles Weitere möchte er persönlich mit seinen Parteifreunden besprechen. An dieser Stelle würden wir aber gerne ausdrücklich darauf hinweisen, dass die mediale Berichterstattung über die heutige Bundesvorstandssitzung, die nahelegt, dass Herr Höcke die Partei verlassen soll, nicht richtig ist: Es gab keinerlei Parteiordnungsverfahren gegen Björn Höcke und auch keine Mehrheit dafür.Facebookseite[2] von Björn Höcke
In den wenigen Sätzen finden sich gleich mehrere Geschichtsklitterungen. Dass Höcke parteiinterne Angelegenheiten immer parteiintern geklärt hat, gilt zumindest für die Ägide des Parteivorsitzenden Lucke keineswegs. Schließlich hat er die Erfurter Resolution[3] formuliert, eine klare Kampfansage des rechten Flügels der Partei an den damaligen Vorstand. Allein die Namen der Erstunterzeichner machen deutlich, dass Höcke in der AfD keineswegs isoliert ist, noch weniger in der möglichen Wählerbasis der Partei.
Daher wird sich die AfD gut überlegen, ob sie Höcke wirklich aus der Partei wirft. Denn ein solcher Schritt wäre mit Flügelkämpfen bis zur Spaltung verbunden. Höcke hätte rechts von der AfD genügend Optionen für eine Fortsetzung der rechten Karriere. Selbst ein Eintritt in die NPD wäre denkbar und könnte der Partei zumindest in Ostdeutschland helfen, sich gegenüber der AfD als das rechte Original zu profilieren. Wahrscheinlicher wäre aber ein Mitmischen Höckes in den verschiedenen Versuchen von Pegida-Gründern, sich auch parteipolitisch neben der AfD zu profilieren.
Das alte Misstrauen zwischen einer Partei und einer Bewegung, das die Linke seit Jahrzehnten prägt, ist jetzt auch ein Phänomen, das die rechte Szene beschäftigt. Das Misstrauen bei der rechtspopulistischen Basisbewegung ist groß, dass die AfD Pegida und ähnliche Straßenproteste jetzt vereinnahmen will, um sich einen Platz im Parlament zu sichern und dann bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit der Union in Kooperation zu treten.
Selbst Höcke war für die Union als Koalitionspartner denkbar
Solche Überlegungen sind sehr real. In der thüringischen CDU gab es nach ihrer Wahlniederlage durchaus Überlegungen, mit der AfD zu kooperieren[4], um so eine Regierung unter Führung der Linkspartei zu verhindern.
Höcke war sogar kurzzeitig als Justizminister von Thüringen im Gespräch. Diese Pläne wurden nicht weiter verfolgt, weil die dafür nötigen Abweichler aus der SPD oder den Grünen im Landtag nicht zu finden waren, die unter allen Umständen eine Regierung unter den Linkssozialdemokraten Ramelow verhindern wollten. Abgehalferte Sozialdemokraten wie der rechte Sozialdemokrat Stefan Sandmann[5], die mit der Regierung Ramelow die DDR wieder auferstanden wähnten, wären dazu bereit gewesen, hatten aber kein Mandat.
Auch außerhalb der Union gab es schon bei den ersten Wahlerfolgen der Union Stimmen, die die AfD in ein Bündnis einbauen wollen. Sie stellen zunächst erfreut fest, dass mit der Einzug der AfD in mehrere Landtagen eine Koalition links der Union schwieriger werde, weil sie schlicht keine Mehrheit mehr habe. Solche Überlegungen spielen auch bei vielen AfD-Politikern eine große Rolle. Sie sehen sich nicht als Daueropposition, sie wollen mitregieren – und das wollen sie sich auch von Björn Höcke nicht vermiesen lassen.
Warum der Front National der AfD zu links ist
Hier besteht auch der Hauptdissens innerhalb der AfD. Es geht weniger um Inhalte, sondern um die Verpackung. Die AfD ist auch nach dem Abgang von Lucke und Henkel im Kern eine wirtschaftsliberale Partei. Dies passt aber nicht zu der Klientel, den Pegdia-Teilnehmern und denen, die Höcke applaudieren. Darunter sind auch viele Menschen, die zu den sozial Abgehängten gehören und die eine soziale Politik für deutsche fleißige Staatsbürger fordern.
Neoliberalismus halten sie eher für einen Exportschlager aus den USA. Sie fordern also eine Politik, mit der die Nationalkonservative PiS in Polen kürzlich die Wahlen gewonnen und mit welcher der Front National in Frankreich große Wahlerfolge eingefahren hatte. Dass Björn Höcke dem Front National dafür gratulierte, wird von der Mehrheit im AfD-Vorstand kritisiert.
Das muss eigentlich verwundern, denn die AfD, die es bundesweit in Umfragen gerade mal über die 5 Prozent schafft, könnte sich doch durch gute Beziehungen zu Frankreichs an Wählerstimmen reicher Partei aufgewertet fühlen. Zudem sind sich beide Parteien in den entscheidenden Fragen zur Einwanderung, den Umgang mit Moslems und der Ablehnung der EU weitgehend einig[6].
Doch der wirtschaftsliberalen Mehrheit im AfD-Vorstand ist die Partei nicht rechts genug. Die Parteivorsitzende Frauke Petry brachte die Differenz auf den Punkt, wenn sie den FN als linke Partei bezeichnet. Auf EU-Ebene scheint die Spaltung in wirtschaftsliberale und nationalsoziale Rechte zumindest durch Formelkompromisse überwindbar.
Schließlich kooperiert im EU-Parlament, der nach Pauly angeblich linke Front National mit der Freiheitspartei von Geert Wilders, deren erklärte wirtschaftsliberale Programmatik für die AfD ein Vorbild ist, in einer Fraktion[7]. Viele der heutigen AfD-Mitglieder waren in der Kleinstpartei „Die Freiheit“[8] aktiv, die ein besonders enges Verhältnis zu Wilders und seiner Partei hatte.
In Deutschland aber war die politische Landschaft rechts der Union wirtschaftspolitisch immer tief in Wirtschaftsliberale wie den Republikanern, dem Bund Freier Bürger und ähnlichen kurzlebigen Gruppierungen und den wirtschaftspolitisch nationalsozial gepoolten Gruppen wie der NPD gespalten. Es geht dabei nicht nur um Parteiprogramme, es ging auch um unterschiedliche kulturelle Milieus.
Der rechte Familienunternehmer und der Fußballproll haben im Lebensalltag wenig gemeinsam. Mit Pegida wird auf der Straße ein Brückenschlag zwischen diesen kulturell diversen Milieus versucht. Höcke und Co. versuchen ihn auf parteipolitischer Ebene. Hier liegen die eigentlichen Hintergründe des interparteilichen Dissenses, den Beobachter der AfD schon lange erwartet hatten.
Höckes Gerede über ein unterschiedliches Paarungsverhalten von Menschen in Europa und Afrika, das im wesentlich fragwürdige biologistische Thesen nachbetet, aber deswegen noch keine NS-Ideologie darstellt, war dann eher der willkommene Anlass dafür, den auftrumpfenden Flügel um Höcke einen Dämpfer zu verpassen.
Junge Freiheit versus Compact
Stichwortgeber ist dabei der Ex-Burschenschafter Dieter Stein, der als Chefredakteur der Jungen Freiheit publizistisch für eine AfD kämpft, die eine Art konservativere CDU und im Zweifel immer für diese koalitionsbereit sein soll. Stein hatte sich schon beim Streit um Lucke und Henkel auf der Seite der späteren Verlierer befunden. Nun versucht er, die AfD vor den eigenen Fundis zu retten. In einen JF-Kommentar schreibt[9] er nach dem Bekanntwerden von Höckes bioligistischen Äußerungen:
Für Höckes erneute, bewußt provokative Entgleisung muß die Parteiführung fast dankbar sein. Sie schafft den Anlaß, den Kurs der Partei deutlich zu klären. Will sich die AfD, die die einmalige Chance hat, sich als frische, moderne politische Alternative zu etablieren, von radikalen Sektierern Programmatik und Außenbild bestimmen lassen?
Auch bei den Grünen kam es in den achtziger Jahren zunächst zum Abbruch eines gemäßigten Flügels, später dann unter schweren Kämpfen zur Abtrennung eines linksextrem-fundamentalistischen Flügels. Es kam sogar zum Ausschluß von Landesverbänden. Ähnliches steht der AfD noch bevor. Die Reaktion des Bundesvorstandes von Sonntag war halbherzig. Die AfD könnte mit einem Befreiungsschlag nur gewinnen. Wichtig ist, daß endlich das andere, sympathische Gesicht zum Vorschein kommt.Dieter Stein
Dieter Stein
Das ist die Stimme der wirtschaftsliberalen Klientel, die mit der AfD Karriere und Posten verbindet. Demgegenüber steht der rechte Newcomer Jürgen Elsässer, der in seiner Publikation Compact für Höcke Partei ergreift[10] und gleich noch seinen alten Streit mit der JF pflegt. Wer sich sowohl in als auch außerhalb der Partei durchsetzt, ist offen.
Es ist gut möglich dass Höcke noch einmal mit einem Verweis davon kommt und er zum wiederholten Male Mäßigung in öffentlichen Auftritten verspricht. Eine Zwangsentfernung Höckes vom thüringischen Landesvorsitz wäre für die AfD besonders riskant. Schließlich ist die Fraktion nach dem Ausschluss von Höcke-Kritikern weitgehend auf Linie gebracht. Die Gefahr, dass hier eine ostdeutsche AfD-Konkurrenz entstünde, ist zu groß, auch wenn Stein diese Option durchaus in Erwägung zieht. Außerdem wollen Petry und Co. vor allem verhindern, dass Höcke die bundesdeutsche AfD-Politik bestimmt. Daher müssten sie ja ein Interesse haben, ihn mehr in der Landespolitik zu binden.
Mittlerweile hat der AfD-Vize Alexander Gauland Frauke Petry gegenüber der Bild-Zeitung kritisiert[11] und Höcke in Schutz genommen: „Der Bundesvorstand hat ausdrücklich keine Maßnahmen gegen Björn Höcke beschlossen und ihn nicht verurteilt. Ich finde es falsch und zutiefst unfair, dass sie das jetzt umdeutet und etwas anderes vertritt, als vom Vorstand beschlossen wurde.“
Der Streit zeigt auch, wie die AfD in guter rechter Tradition steht. In allen rechten Formationen der letzten Jahrzehnte standen sich in den Auseinandersetzungen egomanische Personen gegenüber, die noch jedes dieser Projekte zum Scheitern brachten. Auch das kann eine Perspektive der AfD sein.
Wie zwei in Deutschland geborene Teenager in ein fremdes Land debattiert und abgeschoben wurden
Der Fall von zwei Hannoveraner Jugendlichen, die in ein sicheres Herkunftsland abgeschoben wurden, aus dem sie nicht kamen, erregt die Gemüter: Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben von Teenagern in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation Amaro Drom [1].
Doch der 16. Dezember veränderte ihr Leben grundlegend. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren waren, von Anfang die deutsche Sprache gelernt und sich in die deutsche Gesellschaft integriert hatten, also alle die Voraussetzungen erfüllten, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt werden.
Wobei diese Forderung bei Gzim und Ramiz Berisha schon deshalb fragwürdig ist, weil sie eben in Deutschland geboren wurden und daher auf die dumm-deutsche Frage, woher sie kommen, eben wahrheitsgemäß nur dieses Land angeben hätten können. Dass sie jetzt in ein ihnen völlig unbekanntes Land abgeschoben wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte.
Damals wurden Länder wie Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen innerparteiliche Auseinandersetzungen. Gefühlt war die Basis dagegen, weil schließlich bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden.
Doch im Bundesrat, wo die Grünen eine Machtstellung haben, stimmte auch der erste und einzige Grüne Ministerpräsident von Baden Württemberg für die Regelung. Nun rollte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie an. Doch die kritische Öffentlichkeit reagiert kaum.
Platzmachen für andere Geflüchtete
Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf anderen Geflüchteten. Diejenigen, die oder deren Eltern einst aus den Balkanländern kamen, werden jetzt weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Ihnen wird sogar auch manchmal von zivilgesellschaftlichen Gruppen vorgehalten, dass sie es doch im Vergleich zu Menschen aus Syrien oder Afrika gut haben. Sie sollen sich bloß nicht zieren.
Hier wird eine klare Hierarchisierung unter Geflüchteten aufgebaut. Amaro Drom bringt den Zynismus so auf den Punkt: „Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als „Sichere Herkunftsländer“ eingestuft wurden sind.“
Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde auch deshalb bekannt, weil die beiden sich in der Roma-Selbstorganisation engagierten. Die versucht, die Teenager und ihre Eltern jetzt zurückzuholen und hat eine Petition [2] gestartet. In der Begründung heißt es:
„Wir nehmen es nicht an, dass deutsche Jugendliche von deren Zuhause weggerissen werden und irgendwo hingeschickt werden, wo die Bundesregierung meint, dass es deren „Zuhause“ ist. Die zwei Jungs fühlen sich hier heimisch und Deutschland ist deren Zuhause! Die beiden haben hier, in Deutschland, vor, eine Ausbildung zu absolvieren und das Leben auf die Reihe zu bekommen, wie viele andere Jugendliche in deren Alter.“
Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in sichere Herkunftsländer, aus denen sie nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung für die nun favorisierten Geflüchteten. Ihnen wird so schon mitgeteilt, der Staat sortiert euch ein und entscheidet, wann ihr Platz zu machen habt. Er entscheidet auch für Kinder, die in Deutschland geboren werden, mit.
Auch Thüringen schiebt ab
Von den bundesweiten Abschiebungen in die Balkanstaaten ist auch Thüringen nicht ausgenommen [3]. Das ist deshalb bemerkenswert, weil dort die Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt und das Land im Gegensatz zu Baden-Württemberg im Bundesrat der Erweiterung der sicheren Herkunftsländer nicht zustimmte. Im letzten Jahr gab es in Thüringen während der Wintermonate einen Abschiebestopp.
Der wurde in diesem Jahr nicht verlängert, obwohl Antirassismusgruppe [4]n und Flüchtlingsorganisationen [5] ein solches Moratorium einforderten. Wohl, weil Antirassisten von einer von der Linkspartei geführten Landesregierung etwas anderes als ein Mitmachen bei den Abschiebungen erwarteten, gab es dort auch Proteste [6].
Schon bei der Abschiebung sollte mit einer Sitzblockade die Abfahrt eines Polizeifahrzeugs verhindert werden, in der bereits eine Familie gesessen hatte. „Entgegen ihrer eigenen Presseinformation ging die Polizei teilweise sehr rabiat gegen die Menschen in der Sitzblockade vor. Mehrere Protestierende wurden leicht verletzt“, heißt es in einer Pressemitteilung eines antirassistischen Bündnisses.
So gab es wie bereits in der letzten Woche am vergangenen Donnerstag ab 20:00 Uhr in der Innenstadt Erfurts erneut eine kleine Protestdemonstration gegen die Sammelabschiebungen.
Auch in Bayern gibt es Proteste von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich allerdings weniger gegen die Abschiebung, sondern gegen die dort übliche Praxis richten, Menschen aus nun zu herkunftssicheren Ländern erklärten Balkanländern schon vor ihrer Abschiebung in Abschiebezentren [7] zu konzentrieren. Kinder werden so aus ihren Schulen herausgerissen und bekommen oft über eine längere Zeit keinen Schulunterricht, lautet die Kritik.