Austerität und Ausgrenzung

Der Umgang mit der griechischen Regierung in der „Flüchtlingskrise“ ist die Fortsetzung der Politik von Deutsch-Europa vom letzten Jahr – ein Kommentar

„Arschkarte für Hellas“ [1] titelte die Taz am letzten Donnerstag, nachdem das Land bei der von Österreich organisierten Balkankonferenz zur Flüchtlingsabwehr ignoriert worden war. Dabei hat der Kommentartor Erich Rathfelder, der sich in den frühen 90er Jahren als einer der ersten Befürworter Nato-Intervention gegen Jugoslawien exponiert hatte, allerdings die Interessen der Migranten kaum im Auge. Denn die sind es in erster Linie, die, salopp gesagt, die Arschkarte gezogen haben. Das hätten sie allerdings auch bei der von fast allen Seiten der Politik geforderten Paketlösung, die Geflüchtete in Länder schiebt, in die sie nicht wollen. Rathfelder schreibt zur Rolle Griechenlands:

„Dass die Griechen nicht einmal zur Westbalkan-Konferenz in Wien eingeladen wurden, zeigt, dass Österreich nicht daran gelegen ist, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Das Argument, Griechenland würde die Flüchtlinge nur weiterleiten, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Was haben denn die anderen Anrainerländer bisher getan?

Griechenland so im Regen stehen zu lassen nimmt die Destabilisierung des ohnehin krisengeschüttelten Landes bewusst in Kauf. Dass Wien von München bis Warschau klammheimliche Sympathie genießt, überrascht nicht. Eine gemeinsame Strategie zur Sicherung der Außengrenzen, wie sie Berlin und offiziell auch Brüssel anstreben, wird durch den Alleingang Wiens zwar noch nicht völlig konterkariert, aber doch erschwert. Europa ist wieder ein Stück auseinandergedriftet.“

Exponent Schäuble

Da fällt natürlich auf, dass Deutschland mal wieder völlig von der Verantwortung ausgenommen wird. Schon vergessen, wie Griechenland in der ersten Hälfte des letzten Jahres nicht nur „im Regen stehen gelassen“, sondern regelrecht erpresst wurde, ein von der Mehrheit der wahlberechtigten griechischen Bevölkerung abgewähltes Austeritätsprogramm durchzusetzen.

Die Entschlossenheit, die griechische Regierung und das Votum der griechischen Bevölkerung zu ignorieren, wuchs bei der Deutsch-EU noch, als das Austeritätsprogramm in einem Referendum mit sehr großer Mehrheit abgelehnt wurde. Danach knickte die linkssozialdemokratisch dominierte griechische Regierung ein und die Vorstellung auch vieler Reformkräfte in der EU, es ließe sich mit diesen Strukturen eine Veränderung in Richtung sozialer und demokratischer Reformen durchsetzen, wurde nicht nur in Griechenland beerdigt.

Seitdem bestimmt der Rechtspopulismus in vielen EU-Ländern den Diskurs. Es zeugt von einem Kurzzeitgedächtnis und dem Unvermögen, ingesellschaftlichen Zusammenhängen zu denken, dass keine Verbindung zwischen dem wachsenden Rechtspopulismus und der politischen und ökonomischenErdrosselung des griechischen Reformprogramms hergestellt wird. Dabei haben im letzten Jahr viele Analysten davor gewarnt, dass ein Scheitern der Reformpläne europaweit den Rechten nutzt.

Genau das lässt sich aktuell beobachten. Dabei geht es nicht darum zu behaupten, dass die Rechte bei einem Erfolg für das Modell Griechenland nicht eine starke Kraft gewesen wäre. Doch die politische Agenda wäre bei einem Erfolg Griechenlands von der Frage bestimmt gewesen, wie sich solche Reformen auch in anderen EU-Ländern umsetzen lassen. Es hätten Fragen der Demokratisierung, der sozialen und politischen Partizipation auf der Tagesordnung gestanden.

Das gilt das auch für die Flüchtlingspolitik. Die griechische Regierung hatte vor ihrer Niederlage vor der EU wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht, was auch von Antirassismusgruppen anerkannt wurde. Nach der Niederlage des Reformmodells wandelte sich die Agenda, auf der jetzt Austerität und Abgrenzung stehen. Und das war wie in allen Ländern die Stunde der Rechtsparteien.

Wenige Monate nach der erfolgreichen Erpressung gilt manchen Rechten in der Union der Exponent dieser Politik, Kohls ehemaliger Mann fürs Grobe, Wolfgang Schäuble, sogar als heißer Tipp für eine Alternative, falls Merkel aus irgendwelchen Gründen doch noch vorzeitig auf das Amt verzichten muss. Schließlich hat er es mit seiner Erpressungspolitik auf Spitzenwerte in der deutschen Politik gebracht. Jetzt weist Schäuble alle sozialpopulistischen Anwandlungen von SPD-Chef Gabriel kalt zurückweist, angesichts guter Haushaltsdaten eine soziale Agenda aufzulegen, die nicht nur Migranten zugutekäme, sondern auch Niedriglöhnern, Hartz IV-Beziehern und überhaupt den vielen Menschen, die erst wieder im aktuellen Armutsbericht erwähnt wurden.

Schäuble steht für eine Verarmungspolitik nicht nur in Griechenland und viele stimmen dieser zu. Wenn wir Opfer bringen, soll es auch den anderen nicht besser gehen, lautet die Devise, die sich gegen die Einkommensschwachen in allen Ländern richtet. Die Gegenposition müsste lauten, ein besseres Leben für Alle, beispielsweise mehr kommunaler Wohnungsbau etc. Das geht natürlich nicht mit einer SPD, die mit der Einführung von Hartz die Verarmungspolitik erst so richtig etablierte.

Gabriel reagiert mit seinen Vorschlägen auf das Anwachsen von rechten Parteien wie der AfD, Schäuble und Co, haben damit keine Probleme. Denn je stärker die Rechten außerhalb der Union werden, desto eher wird sich dort eine Bewegung weg vom Merkel-Kurs bemerkbar machen. Ob diese Schäuble noch mal ins Kanzleramt spült, ist nicht ganz ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Es geht aber nicht um Personen, sondern um die Durchsetzung einer Politik der Austerität und Abgrenzung. Das wurde letztes Jahr an Griechenland exekutiert und setzt sich in der Flüchtlingsfrage bis heute fort.

Lex Griechenland

Schon im letzten Jahr, noch bevor die Flüchtlingsfrage eine solche öffentliche Bedeutung fand, machten Unionspolitiker den Vorstoß, Griechenland müsse sich auch in der Flüchtlingsfrage an „EU-Regeln“ halten und wollten daran die Gewährung weiterer Kredite knüpfen. In einer Ende 2015 bekannt gewordenen Planung für die Grenzschutzorganisation Frontex wurde eine vielfach „Lex Griechenland“ genannte Klausel erwähnt, die besagt [2], dass Frontex auch gegen den Willen des EU-Mitgliedslands tätig werden soll.
„Wenn Mängel fortbestehen oder ein Mitgliedsstaat einem erheblichen Migrationsdruck ausgesetzt ist, wodurch der Schengenraum gefährdet wird“, könne die EU-Kommission einen entsprechenden Durchführungsbeschluss erlassen. Der Mitbegründer der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration [3] Harald Glöde erklärte im Interview [4], dass diese Reform-Pläne auf Griechenland zielen:
„Eine qualitative Neuerung an dem Plan der EU-Kommission ist die Forderung nach einer Truppe von mindestens 1 500 Grenzbeamten, die innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein sollen. Es ist auch die Möglichkeit vorgesehen, diese Truppe in EU-Mitgliedsländern einsetzen zu können, ohne dass die betroffenen Länder zustimmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit, auf dem das Agieren der Grenzschutzagentur bisher beruht, empfindet die EU-Kommission als entscheidenden Mangel. Ob sie einen Frontex-Einsatz überhaupt benötigen und in welchem Umfang sie Personal und Ausrüstung für Einsätze bereitstellen, entscheiden die Mitgliedstaaten nämlich bislang selbst. Im Fokus stehen sicherlich Italien und vor allem Griechenland, die nach Auffassung der Kommission beim Schutz der EU-Außengrenze versagen.“

Wie weit die Vorstellungen der EU-Kommission hierbei reichen, machte Glöde an folgenden Zitat aus ihremFrontex-Papier deutlich: „Die Entscheidungen der Agentur sind für die Mitgliedstaaten bindend.“ Die Kommission könne selbständig Anordnungen treffen, „einschließlich der Entsendung europäischer Grenz- und Küstenschutzteams“, wenn die Maßnahmen nicht innerhalb der gesetzten Frist um­gesetzt werden. Dafür soll die „stehende Truppe“ mit 1.500 Grenzschützern aufgestellt werden, die mit Fahrzeugen und sonstiger Ausrüstung ausgestattet werden soll.

Warum nicht Austeritätspolitik aufkündigen?

Damit wird deutlich, dass der Umgang der Regierung Österreichs mit Griechenland EU-konform ist und ganz auf der Linie liegt, mit der die EU im letzten Jahr bereits mit der Regierung in Athen umgegangen ist. Wenn nun die griechische Regierung für einige Tage österreichische Minister für unerwünscht erklärt, dann ist das nur Symbolpolitik.

Im letzten Jahr wurde schon mal die Troika des Landes verwiesen, die einige Wochen später als Quadriga zurückkehrte. Solange die griechische Regierung in der Flüchtlingspolitik die EU-Vorgaben erfüllt, erweist sich auch an diesem Punkt die Syriza-Regierung als neuer Wein in alten Schläuchen. Wenn dann nebulös von Seiten griechischer Minister gedroht wird, man könnte bestimmte EU-Projekte blockieren, ist das nur ein Mitmachen beim üblichen intransparenten Machtspiel der EU-Eliten.

Ganz anders sehe es aus, wenn die griechische Regierung erklären würde, angesichts des Umgangs mit ihr in der Flüchtlingsfrage sehe sie keine Grundlage mehr, um das ihr aufgezwungene Austeritätsprogramm umzusetzen. Das dürfte Syriza nicht schwer fallen, wo führende Politiker doch immer erklären, sie seien von der Wirkungslosigkeit des Programms überzeugt und setzten es nur auf Druck der EU um.

Eine Aufkündigung des Programms könnte auch damit begründet werden, dass angesichts der außergewöhnlichen Situation die Umsetzung noch absurder geworden ist. Notwendig sind soziale Reformen und Wiederaufbau des Gesundheits- und Bildungswesens. Beide haben in der Zeit der Troika-Diktate einen Niedergang erlebt. Mit der durch die EU erzwungenen Politik wird dieser aber nicht gestoppt. Das bedeutet seit Jahren eine reale Verarmung vieler Menschen in Griechenland, wie durch zahlreiche Berichte von Ärzte- und Wissenschaftsdelegationen dokumentiert wurde.

Nun kommen viele neue Menschen ins Land und ein Umsteuern wäre umso wichtiger. Eine Kündigung des Austeritätsprogramm könnte auch die Proteste beenden, mit denen seit Wochen unterschiedliche Berufs- und Bevölkerungsgruppen gegen die für sie besonders nachteiligen Elemente der Umsetzung des Austeritätsprogramms protestieren. So blockieren Bauern wichtige Straßen in Griechenland, was teilweise auch die Migranten tangiert, die dann auch vor diesen Sperren festsitzen, bevor sie zu den EU-internen Grenzen kommen.

Eine Aufkündigung des Austeritätsprogramms durch die griechische Regierung wäre auch ein Signal an die europäische Öffentlichkeit, die im letzten Jahr für einige Monate einen Aufschwung erlebte. Die Verteidigung des Oxi der griechischen Bevölkerung hatte vor allem junge Menschen, aber auch selber von Niedriglohn und sozialer Ausgrenzung Betroffene auf die Straße getrieben. Die Bewegung zerfiel, als die griechische Regierung kapitulierte. Wenn nun das Oxi wieder ins Spiel käme, wäre das ein Ansporn, die Zukunft nicht den Schwarzen Nullen und den Rechtspopulisten zu überlassen.

http://www.heise.de/tp/news/Austeritaet-und-Ausgrenzung-3119625.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taz.de/!5277998/

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46875/1.html

[3]

http://www.ffm-berlin.de/

[4]

http://jungle-world.com/artikel/2015/52/53233.html

»Frontex kann nicht reformiert werden«

Vergangene Woche hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Befugnisse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zu erweitern, die zudem besser ausgerüstet und personell verstärkt werden soll. Über die europäische Flüchtlingsabwehr und die Rolle von Frontex sprach die Jungle World mit Harald Glöde. Er ist Mitbegründer und langjähriger Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). 2007 gründete er mit anderen die Initiative Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

Lange Jahre wurde die europäische Grenz­schutz­agentur Frontex von Antirassisten kritisiert. In der letzten Zeit ist das in den Hintergrund getreten. Was war der Grund?

Es stimmt, dass Frontex im »Sommer der Migration« in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wurde. Das liegt aber schlicht daran, dass sie bei den jüngsten Flüchtlingsbewegungen, insbesondere auf der Balkan-Route, bislang keine Rolle gespielt hat.

In neueren Berichten über Frontex wurde öfter die Lebensrettung von Geflüchteten thematisiert. Ist das nur Propaganda oder gab es in dieser Hinsicht Verbesserungen?

Dieser Versuch einer Imageverbesserung ist schon älter. Bei der Neuverhandlung des Frontex-Mandats 2011 wurden dort ein Menschenrechtsbeauftragter und ein sogenanntes Konsultativforum installiert, das Frontex in Menschenrechtsfragen beraten soll. In dieser Zeit hat der Chef der Abteilung Joint Operations, Klaus Rösler, öfter betont, dass seine Organisation Leben rette. Doch das widerspricht anderen Äußerungen von Frontex-Verantwortlichen, die beispielsweise betonten, dass bei der Operation Triton das eindeutige Mandat und damit die Priorität von Frontex bei der Sicherung der Grenzen liegt. Grenzsicherung heißt aber im Klartext Abschottung und Flüchtlingsabwehr.

Mehrere Nichtregierungsorganisationen beraten mittlerweile Frontex. Wäre auch Borderline Europe bereit, in einem dieser Gremien mitzuarbeiten?

Nein, wir würden uns daran nicht beteiligen. Für uns ist Frontex eine Organisation, deren Kernaufgabe die Abschottung und der Ausbau der Flüchtlingsabwehr ist. Sie kann nicht reformiert werden.

Nun soll nach den Plänen der EU Frontex umgebaut werden und mehr Macht bekommen. Was ist geplant?

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll Frontex in eine Europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz umgewandelt werden. Frontex’ Auftrag wird es dann sein, die Arbeit von etwa 300 verschiedenen militärischen und zivilen Organisationen, die in der EU im Küstenschutz aktiv sind und oft nebeneinanderher arbeiten, zu koordinieren. Sie soll dann auch kontrollieren, ob die Außengrenzenstaaten der EU ­fähig sind, ihre Grenzen zu sichern. Um dies dauerhaft gewährleisten zu können, ist der Aufbau ­eines Analysezentrums zur Beobachtung der Flüchtlingsbewegungen in die EU vorgesehen. Die Abschottungsmaßnahmen der einzelnen Staaten sollen durch regelmäßige »Stresstests« kontrolliert werden. Außerdem soll im Rahmen dieser neuen Agentur ein »Rückführungsbüro« eingerichtet werden, das die Mitgliedstaaten bei der Abschiebung von Flüchtlingen unterstützen soll. Dieses Büro soll auch die Vollmacht erhalten, ohne Anforderung des betreffenden Mitgliedstaates tätig zu werden.

Handelt es sich dabei um mehr als um die bessere Koordinierung der bisherigen Frontex-Arbeit?

Eine qualitative Neuerung an dem Plan der EU-Kommission ist die Forderung nach einer Truppe von mindestens 1 500 Grenzbeamten, die innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein sollen. Es ist auch die Möglichkeit vorgesehen, diese Truppe in EU-Mitgliedsländern einsetzen zu können, ohne dass die betroffenen Länder zustimmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit, auf dem das Agieren der Grenzschutzagentur bisher beruht, empfindet die EU-Kommission als entscheidenden Mangel. Ob sie einen Frontex-Einsatz überhaupt benötigen und in welchem Umfang sie Personal und Ausrüstung für Einsätze bereitstellen, entscheiden die Mitgliedstaaten nämlich bislang selbst. Im Fokus stehen sicherlich Italien und vor allem Griechenland, die nach Auffassung der Kommission beim Schutz der EU-Außengrenze versagen.

Soll damit verhindert werden, dass eine europäische Regierung die Flüchtlingsrechte ernster als die EU nimmt und nicht nur auf Abschreckung zielt? Solche Forderungen standen sowohl im Programm der griechischen Partei Syriza als auch dem von Podemos in Spanien und anderer linker Parteien.

Es ist offensichtlich, dass diese Pläne auf Griechenland zielen.

Was soll sich ändern?

Mit der Drohung des direkten Eingreifens der EU und der damit verbundenen Verletzung der Souveränität soll auf die betreffenden sogenannten Risikoländer, wozu Griechenland nach diesen Vorstellungen gehört, größerer Druck ausgeübt werden, damit sie ihre Grenzen stärker abschotten. Wie weit die Vorstellungen der EU-Kommission hierbei reichen, zeigt das folgende Zitat aus ihrem Papier: »Die Entscheidungen der Agentur sind für die Mitgliedstaaten bindend.« Die Kommission könne selbständig Anordnungen treffen, »einschließlich der Entsendung europäischer Grenz- und Küstenschutzteams«, wenn die Maßnahmen nicht innerhalb der gesetzten Frist um­gesetzt werden. Die Kommission will dafür eine »stehende Truppe« mit 1 500 Grenzschützern aufstellen, die über die nötige Ausstattung an Fahrzeugen und sonstiger Ausrüstung verfügt.

In Griechenland hat die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank auf wirtschaftlichem Gebiet in die Souveränität des Landes eingegriffen. Passiert Ähnliches durch die geplante Stärkung von Frontex nun auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik?

Die mächtigen Kernstaaten der EU verschaffen sich damit Eingriffsrechte in die Souveränität anderer EU-Mitgliedstaaten, hier den Staaten an den EU-Außengrenzen, die ja auch schon im Zuge der Finanzkrise gezwungen wurden, die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. Insofern gibt es durchaus Parallelen zwischen den aktuellen Bestrebungen zur Stärkung von Frontex und dem Verhalten der EU in der Finanzkrise.

Regt sich gegen diese Pläne Protest?

Ja, den wird es mit Sicherheit geben. Zum einen werden sicherlich die Staaten, die diese Angriffe auf ihre Souveränität befürchten müssen, sich dagegen zur Wehr setzen und auch im EU-Parlament, das diesen Plänen noch zustimmen muss, wird sich sicherlich Widerstand regen. Zu befürchten ist aber auch, dass hierzu nationalistische Diskurse initiiert werden, die rechten Gruppen weiteren Auftrieb geben könnten. Zum an­deren werden natürlich auch Flüchtlings-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen ­gegen diese Verschärfung der Abschottung protestieren und Widerstand organisieren.

Noch handelt es sich um einen Plan der EU-Kommission. Wie realistisch ist dessen Umsetzung?

Noch ist vieles unklar. Die entsprechenden Verordnungen oder Richtlinien müssen erst noch entworfen und diskutiert werden, was einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Es gibt mehrere Momente, die in dieser Zeit eine wichtige Rolle spielen werden. Da sind zum einen die weitere Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen, zum anderen das Ausmaß zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen diese Stärkung von Frontex. Letztlich wird auch der Ausgang anderer EU-weit ­geführter Debatten, wie beispielsweise die Austrittsdrohung Großbritanniens, die Diskussion um den EU-weiten Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen, die Frage des TTIP-Abkommens, Auswirkungen auf diese Auseinandersetzungen haben. Es wäre sehr zu wünschen, dass die breite Willkommensbewegung in Deutschland sich stärker an den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Protesten gegen diese Verschärfungen der EU-Flüchtlingspolitik beteiligt.

Einige zivilgesellschaftliche Initiativen wie Sea-Watch widmen sich der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Müsste das Engagement an­gesichts dieser Pläne nicht verstärkt werden?

Die Ausweitung der Rettung von Flüchtlingen ist natürlich absolut notwendig angesichts der etwa 3 500 Menschen, die in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken sind. Meiner Meinung nach muss diese Seenotrettung aber verbunden werden mit der Forderung nach legalen Zugangsmöglichkeiten und einem Ende der Abschottungspolitik, die die Ursache für diese vielen Todes­fälle ist. Das praktizieren ja zum Beispiel bereits Sea-Watch und das Alarmtelefon von Watch the Med.

http://jungle-world.com/artikel/2015/52/53233.html

Interview: Peter Nowak