Die Partei wird nicht trotz, sondern wegen ihrer marktradikalen Sozial- und Wirtschaftspolitik gewählt
„Sozialstaat? Braucht Grenzen!“ Mit diesem Motto wirbt die AfD für den Bundestagswahlkampf. Im Wahlprogramm der Rechtspopulisten wird der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und Flüchtlingspolitik so formuliert[1]:
Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen. Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung.
Wahlprogramm AfD
Eine solche Argumentation findet auch bei Gewerkschaftern Zustimmung. Der Essener Bergmann Guido Reil, der von der SPD zur AfD gewechselt ist, postet auf seiner Facebook-Seite[2] ein Video, auf dem man 10 Minuten sieht, wie er sich, flankiert von Kameras, in die Essener DGB-Demonstration zum 1. Mai drängen will. Ihm schallen immer wieder „Nazis raus“-Rufe entgegen.
Der Münchner Journalist und aktive Gewerkschafter[3] Stefan Dietl[4] untersucht in seinem im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Die AfD und die soziale Frage“[5] die Sozialpolitik der Rechtspopulisten und benennt dabei erfreulicherweise auch die Verantwortung des DGB.
Der Untertitel seines Buches „zwischen Marktradikalismus und völkischen Antikapitalismus“ benennt die beiden Pole der AfD-internen Debatte. Dietl erinnert noch einmal daran, dass die Wahlalternative 2013, aus der die AfD hervorgegangen ist, als Sammelbecken von der FDP enttäuschter Neoliberaler gegründet wurde.
Von Anfang an waren Neokonservative mit im Boot. „Der AfD gelang es, sowohl marktradikale Eliten als auch nationalkonservative Hardliner, christlich-fundamentalistische Aktivisten und völkische Nationalisten zu vereinen“, beschreibt Dietl das Erfolgsrezept der Rechtspopulisten. Im Detail geht Dietl dann auf das sozialpolitische Programm, der AfD und die innerparteilichen Debatten um einen Mindestlohn oder das Freihandelsabkommen TTIP ein.
Unterstützung der Agenda 2010 und der Leiharbeit
Er zeigt auf, dass die AfD flügelübergreifend sowohl die Agenda 2010 als auch die Leiharbeit unterstützt.
Die Ausgrenzung und Selektion von sozial Benachteiligten nach vermeintlichen Leistungskriterien zum Wohle von Weltwirtschaft und Volk fügt sich in die sozialdarwinistische Ideologie der völkischen Antikapitalisten ebenso ein wie in das marktradikale Denken neoliberaler Hardliner.
Stefan Dietl
Daher warnt Dietl auch vor der naiven Vorstellung, man müsse die AfD nur als neoliberale Partei entlarven, damit sie die Wähler aus der Arbeiterklasse verliert. Die wählen oft die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Mischung aus Sozialchauvinismus, Rassismus und Marktradikalismus, weil auch sie für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland Opfer bringen wollen und sich gegen alle die wenden, die das ablehnen.
Damit ist die AfD auch ganz auf der Linie ihrer europäischen Bündnispartner vom Front National in Frankreich und der FPÖ in Österreich. Beide sind trotz ihrer gelegentlichen Sozialdemagogie im Kern marktradiale Parteien. Die FPÖ will sogar die Rechte der Gewerkschaften massiv einschränken.
Eine sehr detaillierte vergleichende Studie von FPÖ und AfD leistet das im Nomos-Verlag von Stephan Grigat herausgegebene Buch AfD & FPÖ[6]. Die 12 Autoren legen ihren Fokus auf das völkische Denken und die unterschiedlichen Ausprägungen des Antisemitismus in beiden Parteien.
Wenn dann immer besonders skandalisiert wird, dass doch Lohnabhängige gegen ihre Interessen wählen, wenn sie Parteien wie der AfD oder der FPÖ ihre Stimme geben, übersieht man, dass es kein ontologische Arbeiterbewusstsein gibt, dass nur entdeckt werden muss. Tatsächlich hängt die Positionierung der Menschen zu gesellschaftlichen Fragen davon ab, wie sie ihre Stellung im Kapitalismus oder ihre Abstiegsängste in der Krise interpretieren.
„Standort Deutschland“: DGB-Gewerkschaften und Rechtspopulismus
Da gibt es emanzipatorische sowie verschiedene Varianten von reaktionären Krisenlösungskonzepten. Der Rechtspopulismus bietet da durchaus eine Kriseninterpretation und findet Zustimmung bei Menschen, für die die Perspektive nicht eine transnationale Solidarität der Lohnabhängigen, sondern die Identifizierung mit einen erfolgreichen Konzern oder Industriestandort ist.
Nun muss man sich fragen, ob die DGB-Gewerkschaften einen Beitrag dazu leisten, dass ihre Mitglieder das Lager der transnationalen Solidarität stärken. Das wäre ein realer Beitrag gegen den Rechtspopulismus. Wenn man die Erklärungen verschiedener Vorstandsmitglieder des DGB und seiner Einzelgewerkschaften hört und registriert, dass viele Gewerkschafter sich an lokalen Bündnissen gegen die AfD beteiligen, sieht ihre Bilanz positiv aus. „Wer hetzt, fliegt raus“, erteilte[7] der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, Rechten in seiner Organisation eine klare Absage.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Das Propagieren eines starken Standortes Deutschland, der sich im internationalen Wettbewerb durchsetzen muss, gehört ebenso zum Repertoire des DGB. Eine solche Ideologie könnte zum ungewollten Scharnier für die Ideologie rechter Gruppen werden, warnt Dietl und nimmt dabei Bezug auf den schon vor 17 Jahren erstellen Bericht einer Kommission Rechtsextremismus[8], die vom DGB-Bundesvorstand beauftragt wurde, die Ursachen von extrem rechten Einstellungen in der eigenen Mitgliedschaft zu untersuchen.
Die im Jahr 2005 veröffentlichte Studie Gewerkschaften und Rechtsextremismus[9] führten erstmals zu einer größeren Diskussion, welche Verantwortung die DGB-Politik selber für dafür hat, dass auch die eigene Mitgliedschaft nicht immun gegen rechte Parteien ist.
Deutsche Facharbeiter oder Prekäre mit und ohne deutschen Pass
Da stellt sich die Frage nach den Zielgruppen des DGB. Aktuell sind dort noch immer die gut ausgebildeten Facharbeiter in der Mehrheit, die mit ihrer Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg häufig nach rechts abdriften.
Die Gewerkschaften müssen sich besonders den prekären Segmenten der Lohnarbeiter unabhängig von ihrer Herkunft öffnen, wo sie im europäischen Vergleich großen Nachholbedarf haben. Darin sieht Dietl die beste gewerkschaftliche Abwehrstrategie gegen die AfD und andere Rechtspopulisten.
„Gewerkschaftliche Organisierung muss nicht nur unabhängig von Nation und Herkunft erfolgen, sondern auch unabhängig vom arbeitsrechtlichen Status der Betroffenen“, schreibt Dietl und nimmt damit Bezug auf eine längere Diskussion über den Status von Geflüchteten in den DGB-Gewerkschaften[10], die längst nicht immer solidarisch geführt wurde.
Leider hat Dietl in seinem Buch nur den DGB im Blick. Dabei haben sich kleinere Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union[11] in einigen Städten schon längst als Alternative für prekäre und migrantische Lohnabhängige entwickelt.
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Peter Nowak
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[3] https://oberpfalz.verdi.de/ueber-uns/bezirksvorstand/++co++41a188fa-56b2-11e4-9faf-525400a933ef
[4] https://oberpfalz.verdi.de/themen/nachrichten/++co++86f40a76-c82b-11e6-99a5-525400423e78
[5] https://www.unrast-verlag.de/die-afd-und-die-soziale-frage-detail
[6] http://www.nomos-shop.de/Grigat-AfD-FP%C3%96/productview.aspx?product=28904
[7] http://www.deutschlandfunk.de/ig-metall-chef-joerg-hofmann-wer-hetzt-der-fliegt.868.de.html?dram:article_id=334950
[8] http://www.dgb.de/++co++4738dc6e-3c22-11df-7b76-00188b4dc422
[9] http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/oekonomie/gewerkschaftspolitik/materialien/GEWREXSCHLUSS/index.html
[10] http://www.labournet.de/category/interventionen/asyl/arbeitsmigration/gewerkschaften-und-migrantinnen/
[11] https://berlin.fau.org