Afghanische Opposition gegen Islamismus und NATO-Besatzung

Wenn es um Afghanistan geht, fallen uns sofort Begriffe wie Taliban, IslamistInnen und Warlords ein. Schliesslich
kommt das Land fast nur mit Meldungen über islamistische Anschläge in die Schlagzeilen.
Doch am 11. November gab es Meldungen, die deutlich machten, dass sich in Afghanistan auch viele Menschen
aktiv gegen islamistischen Terror, aber auch gegen die Besatzung durch die NATO, wehren. Nach einem besonders
brutalen islamistischen Verbrechen, bei dem sieben Angehörige der ethnischen Minderheit der Hasara enthauptet
wurden, demonstrierten in Kabul Tausende, darunter viele unverschleierte Frauen. Sie belagerten den
Präsidentenpalast, versuchten sogar, dort einzudringen, und warfen der Regierung vor, dass sie zu wenig macht,
um die Menschen gegen den islamistischen Terror zu schützen.
Die Opposition wird sichtbar
Die Meldungen sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil damit die Existenz einer oppositionellen Bewegung sichtbar
wurde, die in der hiesigen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Mitte November informierten drei VertreterInnen
dieser säkularen, linken afghanischen Oppositionsbewegung auf einer Rundreise durch verschiedene
Städte in Deutschland über ihren schwierigen Kampf in Afghanistan.
Hafiz Rasikh sitzt im Vorstand von „Hambastagi“, der Solidaritätspartei Afghanistans. Sie zählt mittlerweile rund
30.000 Mitglieder. Zu ihren programmatischen Grundlagen gehören der Kampf für Demokratie und für die
Gleichberechtigung der Ethnien, die Gleichheit von Mann und Frau sowie die juristische Ahndung der Kriegsverbrechen
der letzten Jahrzehnte. „Wir positionieren uns sowohl gegen die sowjetische Besatzung, die Herrschaft
der unterschiedlichen Fraktionen der Islamisten, aber auch die NATO-Besatzung“, stellt Hafiz Rasikh klar. Die internationale
Solidarität ist eine wichtige Maxime der „Hambastagi“. Kontakte bestehen zu Podemos in Spanien,
aber auch zu Syriza in Griechenland sowie zu ausserparlamentarischen Bewegungen in vielen Ländern. Während
der jüngsten Rundreise nahm Hafiz Rasikh an einer Demonstration gegen ein militärisches Spektakel zum 50.
Jahrestag der Bundeswehr teil. In seiner Rede forderte er den Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan.
Sie seien Teil des Problems und keine Lösung, stellte er klar. Eine wichtige Rolle beim Kampf um die Aufarbeitung
von Verbrechen der letzten Jahrzehnte in Afghanistan spielt die „Social Association for Afghan Justice
Seekers (SAAJS), die auf der Rundreise von ihrer Direktorin Weeda Ahmad vorgestellt wurde. Die 2007 gegründete
Organisation unterstützt die Opfer von Verbrechen und Gewalt in Afghanistan. Sie fordert die Errichtung von
Gedenkorten und die juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen.

Kein kritischer Rückblick auf die Geschichte
Zu den politischen Bezugspunkten sowohl der Solidaritätspartei wie der SAAJS gehört die feministische Organisation
RAWA, die schon im Kampf gegen die Rote Armee und die damalige afghanische Linksregierung im Untergrund
aktiv war. Sie hat auch unter der Herrschaft der Taliban ihre Tätigkeit fortgesetzt. Viele RAWA-Mitglieder
sind in den letzten Jahrzehnten ermordet worden. Auch heute kann die Organisation in Afghanistan nicht öffentlich
auftreten. Sie arbeitet daher weiterhin klandestin. Die RAWA-Vertreterin Mariam-Rawi erklärte auf ihrer
Rundreise, dass es noch immer lebensgefährlich ist, sich in Afghanistan zur RAWA zu bekennen. Das Ziel ist es,
diese Organisationen zu kriminalisieren, betonte Rawi. Sie bestritt vehement, dass die NATO-Besetzung mit den
Rechten der Frauen zu tun hat und forderte ebenso den vollständigen Abzug aller fremden Truppen.
Die RAWA kommt ursprünglich aus einer maoistischen Tradition und hat auch mit diesem politischen Hintergrund
gegen die Linksregierung gekämpft, die nach der April-Revolution 1978 entstanden ist. Sie hatte grundlegende
gesellschaftliche Reformen eingeleitet, dazu zählten eine Landreform und die Gleichberechtigung der Frau.
Damals gingen Frauen selbstbewusst ohne Schleier und Kopftuch auf die Strasse. Sie zogen sich den Zorn von IslamistInnen
zu, die gegen diese Frauen mit Gewalt vorgingen und einen bewaffneten Kampf gegen die afghanische
Regierung begannen. Der Einmarsch der Roten Armee war die Antwort. Auf die Frage, ob es nicht im Nachhinein
ein grosser Fehler für eine feministische Organisation war, die afghanischen Linksregierungen nicht zumindest
kritisch unterstützt zu haben, bleibt Mariam Rawi konsequent. Für sie war die Linksregierung auch vor
dem Einmarsch der Roten Armee eine Filiale der Sowjetunion. Die Reformen seien nur Fassade gewesen. Es ist
bedauerlich, dass auch im Abstand von 35 Jahren hier noch keine kritische Reflexion einsetzte, warum eine feministische
Organisation eine Regierung bekämpfte, die wesentliche Beiträge zur Frauenbefreiung unternommen
hatte. Trotzdem ist es wichtig, die aktuelle linke Opposition in Afghanistan kennenzulernen, sich mit ihrem Kampf
und ihren politischen Vorstellungen auseinanderzusetzen und sie zu unterstützen.
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Quelle:
vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 43/44 vom 4. Dezember 2015

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1151.html

Peter Nowak