Protest kontra Schäuble im Berliner Ensemble

Am Theatervorplatz des Berliner Ensembles (BE) haben am Sonntag einige Dutzend Menschen gegen einen Auftritt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Theater protestiert, der dort mit dem Dirigenten Daniel Barenboim diskutierte. Die linken Protestierenden kritisierten, dass nur wenige Wochen nach einem Auftritt von Thilo Sarrazin im BE jetzt Schäuble eine Bühne geboten werde. In einem Beitrag wurde betont, dass nicht die Person Schäuble, sondern die Politik der Bundesregierung kritisiert werde. BE-Direktor Claus Peymann diskutierte angeregt mit den Demonstranten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/931275.protest-kontra-schaeuble-im-berliner-ensemble.html

Peter Nowak

Das gläserne Bankkonto und die soziale Kontrolle

Die Kontenabfragen der Behörden nehmen zu; die Datenschutzbewegung zeigt sich diesem Ausspähen gegenüber desinteressiert

In den letzten Jahren war der Datenschutz ein großes Thema in Teilen der Gesellschaft. Vor allem die Vorratsdatenspeicherung hat die öffentliche Debatte angeheizt. Jetzt wurde bekannt, dass die staatliche Datenschnüffelei in einem Sektor zugenommen hat, der auch in der Datenschutzdebatte immer unterbelichtet war. Die Süddeutsche Zeitung berichtet [1], dass staatliche Behörden in den vergangenen 15 Monaten private Konten so oft durchleuchtet haben wie noch nie.

2013 verzeichnete das zuständige Bundeszentralamt für Steuern knapp 142.000 dieser Kontenabfragen. Sie haben sich damit im Vergleich zu 2012 verdoppelt. Im ersten Quartal des neuen Jahres wuchs ihre Zahl ähnlich stark – von gut 24.000 auf mehr als 48.000. Seit 2005 haben die Behörden erst die gesetzliche Möglichkeit, die Konten zu durchleuchten Seitdem machen Jobcenter, Arbeitsagenturen, Finanz-, Bafög- und Wohngeldämter immer häufiger davon Gebrauch.

Steuerbehörden und Gerichtsvollzieher auf Datenjagd

Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung nutzen vor allem Steuerbehörden und Gerichtsvollzieher das Instrumentarium immer häufiger. Steuerbehörden hätten in fast 69.000 Fällen Kontodaten abgefragt, 7.000 mehr als 2012. Bei den Kontoabfragen der anderen Behörden ist der Anstieg in den vergangenen 15 Monaten nach Angaben des Finanzministeriums „nahezu vollständig“ auf die Gerichtsvollzieher zurückzuführen.

Für sie wurde erst Anfang 2013 die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, Auskünfte bei der Rentenversicherung, beim Bundeszentralamt für Steuern und beim Kraftfahrt-Bundesamt über Arbeitsverhältnisse, Konten und Fahrzeuge einzuholen, wenn sich die Ansprüche des Gläubigers auf mehr als 500 Euro belaufen.

Dieses Instrument werde vor allem bei unkooperativen Schuldnern genutzt, die keine Vermögensauskunft vorgelegt haben, wird der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes [2], Detlef Hüermann, in der Zeitung zitiert. Damit wird Gerichtsvollziehern ein Überwachungsinstrumentarium in die Hand gegeben, das tief in die Privatsphäre reicht.

Denn im Zeitalter des bargeldosen Zahlungsverkehrs verrät ein Kontoabgleich eine Menge nicht nur über die Arbeitsverhältnisse, sondern auch über die Einkaufsgewohnheiten und das Freizeitverhalten des Überprüften. Schließlich schlägt sich heute jeder dieser Aktivitäten in einer Kontobewegung nieder. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Gerichtsvollzieher an die gesetzlichen Festlegungen halten und das Augenmerk nur auf bestimmte Transaktionen richten, müssen sie alle Kontobewegungen kontrollieren, um die gesuchten Daten herauszufinden. Dass gilt auch für alle übrigen Behörden, die Zugriff auf das Bankkonto haben.

Wenn ein eBay-Handel zu Sanktionen führt

Besonders Erwerbslose empfinden es als besondere Demütigung, dass jede Kontobewegung den Arbeitsagenturen bekannt wird und oft auch Folgen hat. So berichtet ein Berliner Hartz IV-Empfänger gegenüber Telepolis, er sei sanktioniert worden, weil sich aus seinen Kontodaten ergeben hat, dass er eine Angelausrüstung über eBay verkauft hat. Obwohl der Betrag nur im unteren dreistelligen Bereich lag, hätte er dem Jobcenter gemeldet werden müssen.

Ähnliche Beschwerden häufen sich in letzter Zeit. Doch auch in der Datenschutzbewegung war diese Form der Schnüffelei in der Privatsphäre bisher kein Thema. Das liegt auch daran, dass sich der Kern der Aktivisten zum Mittelstand zählt und wenig dafür interessierte, wenn Erwerbslose zu gläsernen Bankkunden werden.

Doch das könnte sich ändern. Denn die zeigende Zahl der Kontoabfragen zeigt, dass der Mittelstand auch davon so wenig verschont bleibt wie vom Abrutschen auf das Hartz IV-Niveau. Übrigens hat man das Kontoausspähen ursprünglich damit gerechtfertigt, dass damit Straftaten wie der internationale Drogenhandel und der „internationale Terrorismus“ bekämpft [3] werden sollten.

Damit wurde Akzeptanz erzeugt. Längst zeigte sich, dass es um die soziale Kontrolle vieler Menschen geht. Das sollte bei der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung bedacht werden. Auch die wird von Sicherheitsbehörden und – politikern als unverzichtbar im Kampf gegen Kapitalverbrechen erklärt und dürfte in der Praxis ebenso zur Massenausspähung führen wie die Kontoabfragen.

[1]

[2]

[3]http://www.ad-hoc-news.de/datenschutzbeauftragter-kritisiert-erleichterte–/de/News/2239907

Je besser es dem Standort Deutschland geht, desto mehr wächst die Armut

Europa von unten aufgerollt

Europäisches Netzwerk der Basisgewerkschaften tagt und demonstriert in Berlin – Bericht von Peter Nowak und Willi Hajek

Ein seltenes Bild bot sich den wenigen PassantInnen, die am 16. März an der Zentrale des DGB-Vorstands in Berlin-Mitte vorbeikamen. Dort hatten sich GewerkschafterInnen aus mehreren europäischen Ländern versammelt und hielten ihre Transparente und Fahnen in den scharfen Wind. Darunter Banner der Cobas aus Italien, mehrere Sektionen der französischen Gewerkschaft Sud und der polnischen Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen. Vor der DGB-Zentrale protestieren sie gegen alle Versuche, die Gewerkschaftsrechte für Basis- und Spartengewerkschaften einzuschränken. Dieser Protest hatte einen konkreten Grund.

In Deutschland unterstützt der DGB ein Gesetz zur Tarifeinheit, das die Rechte von kleineren Gewerkschaften, Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien schließen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt. Daher appellierten die RednerInnen in mehreren Sprachen an den – am Sonntag allerdings abwesenden – DGB-Vorstand, sich nicht an der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten zu beteiligen. Die zu der Aktion per Presseerklärung eingeladenen Medien ignorierten diese europäische Aktion von BasisgewerkschafterInnen vollständig. Das Neue Deutschland hatte für so viel Kritik am DGB schlicht „keinen Platz“, wie die verantwortliche Redakteurin dem Verfasser mitteilte.

Die Aktion bildete den Abschluss des diesjährigen Treffens der europäischen Basisgewerkschaften in Berlin, an dem sich vom 14.-16. März mehr als 60 GewerkschafterInnen aus Italien, Spanien, Schweiz, Frankreich, Polen und der BRD beteiligten. Seit 2001 finden diese Treffen jährlich in einem anderen europäischen Land statt. Die Wurzeln des Netzwerks reichen bis in das Jahr 1995 zurück, als die Erhöhungen des Renteneintrittsalters in Frankreich zu Massenstreiks führten und die Notwendigkeit deutlich machten, dass sich Basisgewerkschaften europaweit koordinieren. Den Kern des Netzwerks bilden heute die Gewerkschaften der SUD Solidaires aus Frankreich, die CGT aus Spanien und die italienischen Cobas. Aus Deutschland beteiligten sich an der Vorbereitung und der Veranstaltung die FAU-Berlin, die Wobblies (Berlin), TIE-Germany, labournet.de, labournet.tv, der Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall/Berlin und die Basisinitiative Solidarität (BaSo) aus Wuppertal.

Ein Schwerpunkt der theoretischen Debatte war die Bedeutung von Betriebsbesetzungen, Betriebsübernahmen und Arbeiterselbstverwaltung in der Krise. Hierzu wurden gemeinsame Orientierungsthesen erarbeitet.

In mehreren Resolutionen wurde darüber hinaus die Mobilisierung für den „Marsch der Würde“ am 22. April in Madrid sowie die Teilnahme an den Blockupy-Aktionstagen, die Mitte Mai in mehreren europäischen Ländern stattfinden werden, beschlossen. Obwohl das Verfassen von Resolutionen nach dem Geschmack eines Delegierten der FAU deutlich zu viel Raum auf dem Treffen einnahm, erschöpfte sich die Arbeit nicht darin. Mittlerweilen existieren innerhalb des Netzwerks Branchennetzwerke für Call Center, Gesundheit, Transport, Industrie, Erziehung und den Öffentlichen Dienst. In entsprechenden Arbeitsgruppen ging es um den Ausbau der vorhandenen Kontakte und gemeinsame Aktivivtäten. So beratschlagten in dem Netzwerk „Bahn ohne Grenzen“, an dem sich neben europäischen Bahnbeschäftigten, NutzerInnen-Initiativen und ökologisch orientierten Gruppen auch afrikanische Bahnbeschäftigte beteiligen, auch Gäste eines linksgewerkschaftlichen Berliner Bündnisses bei der S-Bahn, wie man weitere Privatisierungen verhindern kann. Ihre gemeinsame Perspektive richtet sich auf einen Kampf für eine öffentliche Bahn unter Kontrolle der Beschäftigten und der NutzerInnen.

Interessant war der Bericht einer Cobas-Neugründung aus Norditalien, die aus einem mittlerweile vier Jahre andauernden militanten Streik in einem der wachsenden Logistik-Zentren bei Mailand vor zwei Monaten entstanden war. Ausführlich berichteten die KollegInnen über ihren Kampf gegen Logistikkonzerne wie TNT, DHL und GLS und den Milchriesen Granarolo, in dem sie sich – weitgehend erfolgreich – u.a. für die Wiedereinstellung von 51 entlassenen KollegInnen, die Einhaltung von Tarifverträgen (die bei den italienischen Großgenossenschaften gesetzlich außer Kraft gesetzt sind) und einen geregelten Acht-Stunden-Tag eingesetzt haben. Zu der Auseinandersetzung gibt es auch einen Film („Granarolo – eine Woche der Leidenschaft“, 15 min., italienisch mit dt. Untertiteln, bei labournet.tv unter: http://de.labournet.tv/laender/italien/) und einen längeren Hintergrundtext zum Boom der Logistikbranche in Italien und zur Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in dieser Branche (http://debatteforum.wordpress.com/).

Aus Polen waren die Gewerkschaften der Krankenschwestern und Hebammen gekommen, die das „europäische Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens“ vorstellten (s. auch express, Nr. 10/2012). Die Initiative für diesen Aufruf und die laufende Kampagne war von belgischen, französischen und polnischen BasisgewerkschafterInnen im Gesundheitsbereich ausgegangen. Etwas enttäuscht zeigte sich eine Delegierte der polnischen Gewerkschaft, die in dem Workshop über den Widerstand gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens allein blieb. Dabei existiert das Manifest seit über einem Jahr und liegt übersetzt in verschiedenen Sprachen vor. (Auf Deutsch kann es auf der Homepage des vdää nachgelesen werden[1]).

Dass hier die Chance für eine internationale Koordinierung nicht besser genutzt werden konnte, ist auch deshalb bedauerlich, weil aktuell Beschäftigte an der Berliner Charité gemeinsam mit einer Solidaritätsinitiative gegen die zerstörerischen Folgen der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und für den Zusammenhang von besseren Arbeitsbedingungen und Qualität der Pflege kämpfen. Die GesundheitsaktivistInnen waren jedoch auf dem Care-Revolution-Kongress vertreten, der zeitgleich mit den Treffen des europäischen Gewerkschaftsnetzwerkes in Berlin stattfand (S. dazu den Bericht von Stefan Schoppengerd, S.12  in diesem express). Zu der geplanten gemeinsamen Demonstration kam es leider aus Gründen der Konferenzdramaturgie nicht. Diess  ist aber sicher nicht der kleinen Vorbereitungsgruppe vorzuwerfen, die sich für die Durchführung des mehrsprachigen Kongresses nur auf wenige aktive Gruppen und Einzelpersonen in Berlin stützen konnte. Vielleicht beim nächsten Mal. Verabredet wurde wurde eine Folgekonferenz,  die im Oktober 2014 in Paris stattfinden soll.

express-Ausgabe 3-4/2014

http://www.labournet.de/express/

Eine zweite Warnung

Aktivisten übergaben Senat mietenpolitisches Dossier

Mieteraktivisten übergaben dem Berliner Senat für Stadtentwicklung und Umwelt am Montagnachmittag auf dem Stadtforum ein mietenpolitisches Dossier. In diesem wird Kritik geübt, doch es finden sich auch Lösungsvorschläge für zahlreiche Probleme, die Berliner Mieter heute umtreibt. Das Spektrum der in der »Dossiergruppe« kooperierenden Mietergruppen ist groß und umfasst viele Stadtteile.

Alle Initiativen beschreiben auf maximal zwei Seiten ihre Probleme, benennen die Ignoranz der Politik und listen Lösungsvorschläge auf. So fordert zum Beispiel die Pankower Oase »Kleingärten statt Luxusimmobilien«. Das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« setzt sich für einen sofortigen Stopp der Vertreibung von Mietern aus ihren Wohnungen bei Härtefällen wie Alter und Krankheit ein, während von energetischer Modernisierung betroffene Mieter für eine Begrenzung der Mieterhöhung eintreten. Eine weitere zentrale Forderung ist der Erhalt von Bestandswohnungen zu bezahlbaren Mieten. Dem Berliner Senat wirft die Dossiergruppe vor, sich auf Wohnungsneubauten zu konzentrieren, womit aber kaum Wohnungen für einkommensschwache Bewohner geschaffen würden.

»Die Geduld der Mieter mit der Politik geht zu Ende«, erklärt Gerlinde Walther von der Dossiergruppe. Bereits 2012 habe man ein erstes mietenpolitische Dossier der Politik übergeben. Die Situation habe sich aber für die Mieter nicht verbessert. Walther betonte, wenn die Politiker die zweite Mahnung ignorieren, könnte die Zahl der Widerstandsaktionen gegen Zwangsräumungen weiter steigen.

mietendossier.blogsport.de/

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929625.eine-zweite-warnung.html

Peter Nowak

Asylbewerber sind in der Arbeitsagentur demnächst willkommen

Jugendliche und Langzeiterwerbslose weiter ohne Mindestlohn

Die gegenwärtige Debatte um die konkrete Ausgestaltung des Mindestlohns zeigt, wie schwer es ist, selbst minimale Reformen durchzusetzen, die die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen verbessern

„Der Mindestlohn kommt“, ließ Bundesarbeitsministerin Nahles seit Wochen in vielen Städten plakatieren. Handelt es sich dabei doch um ein Renommierprojekt der SPD, mit dem die Partei in der aktuellen Regierungskoalition Handlungsfähigkeit beweisen will.

Noch ist vielen das Debakel der SPD bei der Rente mit 67 in der vorigen großen Koalition bewusst. Obwohl ein großer Teil der SPD-Basis dagegen war, setzte der damalige Arbeitsminister Müntefering diese Reform um. Damals hatte sich für viele Betroffene erneut die Überzeugung verhärtet, dass Reformen zunehmend mit Belastungen für große Teile der Bevölkerung verbunden sind.

Die Umsetzung des Mindestlohns ist für die SPD auch deshalb ein wichtiges Anliegen, weil es etwas vom Flair der 1970er Jahre vermitteln soll, als Reformen noch mit Schlagworten wie Verkürzung und Humanisierung der Arbeitswelt und anderen Maßnahmen verbunden war, die Verbesserungen für die Lebensumstände vieler Menschen zur Folge hatten. Doch ist die SPD nun in der Mindestlohn-Debatte der strahlende Sieger oder hat doch eher der Focus mit der Überschrift [1] recht: „Die SPD punktet, Nahles strahlt – und am Ende gewinnt doch wieder Angela Merkel“?

Tatsächlich stellt man, wenn man die Ausführungsbedingungen liest, fest, dass die Lobbyorganisationen der Industrie und des Handwerks gute Arbeit geleistet haben. Spätestens als sie erkannten, dass ein Mindestlohn im Allgemeinen nicht mehr zu verhindern ist, waren sie bemüht, konkrete Ausnahmen durchzusetzen. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf sollen nun gerade diejenigen ausgeschlossen werden, die den Mindestlohn am nötigsten brauchen: Jugendliche unter 18 und Langzeitarbeitslose.

Der Sozialwissenschaftler Torsten Schulte vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung bezeichnet [2] die Aussparung junger Menschen vom Mindestlohn als eine Form der Altersdiskriminierung, die arbeitsmarktpolitisch nicht zu verantworten [3] sei.

Die Berliner Erwerbslosenaktivistin Christel T., die in den letzten Monaten mit Aktionen vor Jobcenters gegen ihre Sanktionierung protestierte [4], kritisiert gegenüber Telepolis die Ausnahmen Erwerbsloser vom Mindestlohn scharf:

„Die Bemühungen Erwerbsloser, am Arbeitsmarkt ein Entgelt zu erzielen, das sie von Sozialleistungen unabhängig macht, werden damit unterhöhlt, die Chancen Langzeiterwerbsloser auf faire Bezahlung und diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt geschwächt.“

Angst um Arbeitsplätze

Dabei konnten sich die Lobbygruppen von Wirtschaft und Handel darauf verlassen, dass auch die Beschäftigten, die den Mindestlohn am Dringendsten brauchen, Angst haben, dass sie bei einer Einführung womöglich ihren Job verlieren könnten. Selbst auf der Homepage der Initiative Mindestlohn [5], auf der eindrucksvoll dargestellt ist, wie Dumpinglöhne in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, äußern Betroffene Befürchtungen um ihren Arbeitsplatz.

Dass eine Vollzeitarbeitsstelle mit Subventionierung durch Hartz IV der Erwerbslosigkeit vorgezogen wird, liegt sicher auch am deutschen Arbeitsethos. Mehr noch aber liegen die Gründe im Hartz IV-Regime, das mit Sanktionen und Kontrollen für viele Menschen als schwarzes Loch erscheint, in das sie nicht fallen wollen. Es sind also politische Entscheidungen, die nun diejenigen nutzen, die alles vermeiden wollen, was die Kosten der Ware Arbeitskraft erhöhen könnte.

Ausnahmen „überflüssig und politisch falsch“

Auch die Reaktion der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum Kabinettsentwurf zum Mindestlohn fällt verhalten [6] aus.

Der Mindestlohn sei richtig und überfällig, die Ausnahmen aber überflüssig und falsch, lautet das Fazit der DGB-Gewerkschaft, die sich in den letzten Monaten sehr energisch für den Mindestlohn engagierte.

„Es ist abwegig, die Vermittlungshemmnisse für Langzeitarbeitslose an der Lohnhöhe festzumachen. Im Gegenteil wird bei einer Einstellung zum Niedriglohn die Hürde nach sechs Monaten beim Sprung auf 8,50 Euro noch höher.“

Zudem sei die Annahme, Hungerlöhne brächten Langzeitarbeitslose in Arbeit, in den vergangenen Jahren trotz einer drastischen Ausweitung des Niedriglohnsektors eindeutig widerlegt worden, moniert ver.di. Schärfer ist die Kritik [7] der Linkspartei, die erklärt, Nahles habe sich beim Mindestlohn über den Tisch ziehen lassen.

Auch der mittlerweile nicht mehr sehr einflussreiche Arbeitnehmerflügel der SPD ist nicht zufrieden mit den vielen Ausnahmen beim Mindestlohn und fordert Nachbesserungen [8]. So kann die SPD bei der nächsten Wahl erneut für einen Mindestlohn mit weniger Ausnahmen werben.

Peter Nowak

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„Murks ist Teil der Logik der Produktion“

AUSSTELLUNG Stefan Schridde sammelt im Murks-Showroom für die Mülltonne gemachte Gegenstände

taz: Herr Schridde, in Ihrem Showroom versammeln Sie alte Schuhe, kaputte Waschmaschinen und gebrauchte Zahnbürsten. Warum soll man sich das ansehen?

Stefan Schridde: Wir wollen auf die sogenannte geplante Obsoleszenz aufmerksam machen. Das ist der Oberbegriff für Strategien und Methoden, die Lebensdauer eines Produkts zu verringern, um durch einen Neukauf den Profit zu steigern. Es geht uns um Ursachen und Methoden einer Produktion, die am Markt vorbeizielen.

Wie sehen solche Methoden aus?

Eine kleine Kohlebürste am Elektromotor von Staubsaugern sorgt etwa dafür, dass die Geräte kaputtgehen. Wir alle kennen auch das Problem von Schuhsohlen, die so schnell abgetreten sind, dass die Schuhe nicht mehr getragen werden können. Wir rufen dazu auf, solche abgetretenen Schuhsohlen im Murks-Showroom vorbeizubringen. Am Ende soll ein Kunstwerk der geplanten Obsoleszenz entstehen.

Die Ausstellung findet im Haus der IG Metall statt. Viele Unternehmen, die in der Gewerkschaft organisiert sind, dürften ebenfalls ihren Teil zur Wegwerfproduktion beitragen.

Wir haben mit der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen eine Partnerschaft geschlossen, um auch in den Betrieben über die geplante Obsoleszenz aufzuklären und Alternativen zu entwickeln. Denn der Murks, der produziert wird, ist nicht die Schuld der Beschäftigten, sondern Teil der herrschenden Produktionslogik.

Was hat Sie zu der Kampagne „Murks? Nein Danke!“ bewogen?

Es waren vor allem ethische Gründe. Ich bin Vater zweier Kinder. Bei meinen Besuchen in Afrika habe ich gesehen, wie Kinder auf Müllhalden herumklettern, die aus ausrangierten Waren aus Europa bestehen. Da wurde mir klar, dass wir den AfrikanerInnen nicht nur ihre Ressourcen entwenden, sondern bei ihnen auch unseren gesundheitsschädlichen Müll abladen.

INTERVIEW: PETER NOWAK

Der Showroom im Haus der IG Metall, Alte Jakobstr. 149, ist bis zum 25. April geöffnet. Mo.-Do. 9-18 Uhr, Fr. 9-14.30 Uhr. Eintritt frei. Immer mittwochs von 17 bis 19 Uhr gibt es vertiefende Fachvorträge

Stefan Schridde

Jahrgang 1961, ist Betriebswirt und Initiator der 2012 gegründeten Bürgerbewegung „Murks? Nein danke!“, die sich für Ressourceneffizienz einsetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F04%2F02%2Fa0139&cHash=a5ce9f2c62b987b7612835512626fe41

Konferenz europäischer Basisgewerkschaften in Berlin

Deutsche KollegInnen schwach vertreten

Ein seltenes Bild bot sich den wenigen Passanten, die am 16.März an der Zentrale des DGB-Vorstands in Berlin-Mitte vorbeikamen. Dort hatten sich Gewerkschafter aus mehreren europäischen Ländern versammelt und hielten ihre Transparente und Fahnen in den scharfen Wind. Mehrere Banner der Cobas aus Italien, mehrere Sektionen der französischen Gewerkschaft SUD waren ebenso vertreten wie die polnische Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen. Vor der DGB-Zentrale protestierten sie gegen alle Versuche, die Gewerkschaftsrechte für Basis- und Spartengewerkschaften einzuschränken.

Der Protest hatte einen konkreten Anlass: In Deutschland will der DGB vor allem mit Hilfe der IG Metall ein Gesetz zur Tarifeinheit durchsetzen, das die Rechte von Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien schließen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt.

Daher riefen die Redner in mehreren Sprachen den DGB-Vorstand dazu auf, sich an der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten nicht zu beteiligen. Der Protest war der Abschluss des diesjährigen Treffens der europäischen Basisgewerkschaften, das vom 14. bis 16.März in Berlin stattfand. Seit 2001 finden diese Treffen jährlich in einem anderen europäischen Land statt.

Die Wurzeln für das Netzwerk reichen ins Jahr 1995 zurück, als ein großer Streik in Frankreich die Notwendigkeit deutlich machte, dass sich Basisgewerkschaften europaweit koordinieren. Das war natürlich auch in Berlin das zentrale Thema. In mehreren Resolutionen wurde die Teilnahme am «Marsch der Würde» am 22.März in Madrid beschlossen, einige der anwesenden Gewerkschafter beteiligten sich daran sogar persönlich im Block der Internationalen Solidarität. Auch an den Blockupy-Aktionstagen, die Mitte Mai in mehreren europäischen Ländern stattfinden werden, wollen sich die Basisgewerkschaften beteiligen.

Doch darin erschöpft sich ihre Arbeit nicht, wie sich in den Arbeitsgruppen zeigte. Besonders gut besucht war das Netzwerk «Bahn ohne Grenzen,» an dem neben europäischen auch afrikanische Bahnbeschäftigte teilnahmen. Aus Berlin waren Delegierte des gewerkschaftlichen Bündnisses «100 Prozent S-Bahn» als Gäste zugegen, die sehr zufrieden über den Austausch mit ihren Kollegen aus den anderen Ländern waren.

Etwas enttäuscht zeigte sich dagegen eine Delegierte der polnischen Gewerkschaft der Hebammen und Krankenschwester. Im Workshop über den Widerstand gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens blieb sie allein. Dabei liegt seit Monaten ein Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens in verschiedenen Sprachen vor. (Die deutsche Version kann unter www.vdaeae.de/images/stories/fotos2/europmanifest_gegen_ kommerzialisierung_g-wesen_121001.pdf aufgerufen werden.)

Zum Treffen in Berlin ging die Initiative von belgischen, französischen und polnischen Gewerkschaften aus. Wieder einmal zeigte sich, dass Deutschland auf diesem Gebiet immer noch Schlusslicht ist. Auch linksgewerkschaftliche Kreise waren auf der Konferenz nur schwach vertreten, und die linken Medien ignorierten das Treffen fast vollständig, obwohl sie eingeladen waren. Das nächste Treffen der Basisgewerkschaften soll in Barcelona stattfinden. Dort dürfte die regionale und mediale Verankerung wesentlich besser sein.

Konferenz europäischer Basisgewerkschaften in Berlin

von Peter Nowak

»Gegen die Folgen der Krise«

Am Wochenende fand in Berlin ein Netzwerktreffen von europäischen Basisgewerkschaften statt. Es wurde über Strategien des betrieblichen und so­zialen Widerstands gegen die Austeritätspolitik diskutiert. Zum Abschluss fanden Kundgebungen vor dem Sitz des DGB-Bundesvorstands und der Vertretung der Europäischen Kommission statt. Willi Hajek ist in der basisgewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig.

Wie ist das Netzwerk entstanden?

Es hat sich das erste Mal 2001 getroffen und seitdem jährlich in einer anderen europäischen Hauptstadt. Die Initiative ging von der französischen Basisgewerkschaft SUD und der spanischen CGT aus. Die Kontakte reichen bis ins Jahr 1995, als es in Frankreich Massenstreiks gab.

Was passiert zwischen den jährlichen Treffen?

Es gibt eine regelmäßige Koordination in verschiedenen Branchen. Besonders gut funktioniert das Netzwerk »Bahn ohne Grenzen«, an dem sich neben europäischen auch afrikanische Bahnbeschäftigte beteiligen. Auch das Netzwerk der Callcenter-Beschäftigten funk­tioniert gut, weil dort die Sprachprobleme klein sind.

Ging es bei dem Treffen auch um Beschäftigungen, die mit dem Begriff Care-Arbeit bezeichnet werden?

Ja, es gibt ein Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, das in verschiedenen Sprachen, auch auf Deutsch, zu finden ist. Die Initiative ging von belgischen, französischen und polnischen Gewerkschaften aus. Auf dem Treffen berieten mehrere Gewerkschafterinnen der polnischen Krankenschwestern und Hebammen, wie die Kampagne gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben werden kann. Leider war in der Arbeitsgruppe aus Deutschland niemand vertreten.

Gab es auch Verabredungen zu europaweiten Protesten?

Eine große Rolle spielen die »Märsche der Würde« gegen die Folgen der Krise, die am 22. März in Madrid enden. Auf der Abschlussdemonstration wird es einen Block von internationalen Unterstützern geben.

Warum endete das Netzwerktreffen mit einer Protestkundgebung vor der Zentrale des DGB-Vorstands?

Aus zwei Gründen. In Deutschland will der DGB vor allem mit der IG Metall ein Gesetz zur Tarifeinheit durchsetzen, das die Rechte von Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien machen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt.

http://jungle-world.com/artikel/2014/12/49537.html

Interview: Peter Nowak

Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

Doppelpass und Mindestlohn

Zerrüttetes Verhältnis zum Jobcenter

Erwerbsloser wegen Beleidigung in versehentlich versandter satirischer Mail verklagt – Freispruch

Einem schwerbehinderten Mann wird vom Jobcenter wiederholt die Umschulung verweigert. Auf eine E-Mail von ihm reagiert es mit einer Anzeige.

»Ich bin doch schon Stammkunde beim Jobcenter. Dafür gibt es woanders Rabatt. Doch ich werde kriminalisiert.« Mit diesen traurigen Resümee beendete Paul Baumert (Name geändert) am Freitagvormittag vor dem Berliner Landgericht eine Erklärung über sein seit Jahren zerrüttetes Verhältnis mit dem Jobcenter Neukölln. Die Behörde hatte ihn wegen Beleidigung verklagt. Stein des Anstoßes ist eine Mail, die Baumert nach seinen Einlassungen versehentlich an das Jobcenter verschickt hat. Dort rückt er die Leitung in die Nähe von Kleinkriminellen. In der fast dreistündigen Beweisaufnahme schilderte Baumert seine jahrelangen vergeblichen Bemühungen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Der nach einem Autounfall und zwei Schlaganfällen schwerbehinderte Mann beantragte wiederholt Umschulungen zum Veranstaltungsfachwirt. Dabei sah er sich von vielen Jobcenter-Mitarbeitern nicht ernstgenommen. Er sei wie ein lästiger Bittsteller behandelt worden, beklagte er. Eine Jobcenter-Mitarbeiterin, die als Zeugin geladen worden war, erklärte, dass man Baumert wegen seines gesundheitlichen Zustands keine Jobangebote geschickt habe. Lästig geworden seien ihnen die häufigen Mails von Baumert, in denen er eine Diskriminierung beklagte. Die Jobcenter-Leitung habe entschieden, dass es reicht, und Anzeige erstattet. Seitdem würde Baumert nur noch sachliche Anfragen schicken, so die Mitarbeiterin. In einer als Beweismittel verlesenen älteren Mail finden sich allerdings keine beleidigenden Äußerungen, dafür konkrete Kritik an den Abläufen im Jobcenter. Baumert glaubte nicht mehr an einen Freispruch. »Ich bin nicht eloquent genug. Mir wird nicht geglaubt«, erklärte er im Schlusswort. Doch er wurde positiv überrascht. Das Gericht sprach Baumert frei, weil nicht mit Sicherheit widerlegt werden könnte, dass er die Mail versehentlich versandt hatte. Die Kosten trägt die Gerichtskasse. Baumert atmete hörbar auf, als er das Urteil vernahm. Der Konflikt um eine Arbeitsvermittlung aber wird wohl weitergehen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/925661.zerruettetes-verhaeltnis-zum-jobcenter.html

Peter Nowak

Urlaub ist Ausbeutung

»Für euch ist es Urlaub – für uns ist es Ausbeutung«, rufen die mehr als 70 Demonstranten an diesem Samstagnachmittag. Sie haben sich vor dem »Amadeus Hostel« in der Brunnenstraße 70 in Berlin versammelt, um gegen die Ausbeutung von Beschäftigten zu protestieren. Bevor die Polizisten draußen vor dem Tor registrieren, was geschieht, besetzen Demonstranten die Gänge des Etablissements und bringen Transparente und Plakate an. Nach zehn Minuten haben alle die Räumlichkeiten wieder verlassen. Der Standard ist dort ohnehin derart schlecht, dass man in dem Hostel nicht viel Zeit verbringen möchte. Die etwa zehn ehemaligen Beschäftigten wollen nicht mehr im »Amadeus Hostel« arbeiten. Aber sie fordern die Nachzahlung des ihnen vorenthaltenen Lohns. Er habe dort drei Monate lang für einen Stundenlohn von 0,65 Cent gearbeitet, berichtet James aus Schottland. Auch Nathan aus Frankreich arbeitete für einen Dumpinglohn. »Wir suchten ein Zimmer und im Hostel sagten sie uns, wir könnten hier leben und arbeiten«, berichtet er. So machten zahlreiche junge Leute aus aller Welt Bekanntschaft mit der besonderen Ausbeutung in Deutschland. Nur Bulgaren, Rumänen und Isra­elis waren offenbar ausgenommen. Sie seien weder als Hostelgäste noch als Beschäftigte erwünscht gewesen, berichten die ehemaligen Beschäftigten. Sie haben die Kundgebung vorbereitet. Dazu trafen sie sich in den Räumen der Erwerbsloseninitiative Basta im Wedding. Nach dem Vorbild der Working Centers in den USA hat Basta ihnen einen Raum zur Selbstorganisation bereitgestellt. Unterstützt werden sie von zwei Basisgewerkschaften, der neugegründeten Berliner Ortsgruppe der Wobblies und der FAU. Diese will in der nächsten Woche die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in anderen Berliner Hostels ermitteln. Denn die miesen Zustände im »Amadeus Hostel« dürften kein Einzelfall sein. Der Widerstand dagegen ist es bisher schon.

http://jungle-world.com/artikel/2014/08/49377.html

Peter Nowak

Helferlein für die Gewerkschaft?

Eine kritische Bilanz der linken Streikunterstützung beim Tarifkonflikt im Einzelhandel

Wie können AktivistInnen der außerparlamentarischen Linken einen Streik unterstützen? Diese Frage streifte Jan Ole Arps in der Novemberausgabe dieser Zeitung in einem Artikel zum Streik im Einzelhandel. Darin schilderte er unter anderem eine »Blitz«-Aktion, bei der linke UnterstützerInnen bei der Mitgliedergewinnung für ver.di halfen, und stellte die Frage, welche Rolle das Aktivistenmilieu in Tarifkämpfen spielen kann, »in denen die Gewerkschaft den Fahrplan bestimmt« (ak 588). In diesem Beitrag soll eine kritische Bilanz der Solidaritätsaktionen mit dem Kampf im Einzelhandel gezogen werden.

»Ob Ost, ob West – gleicher Lohn jetzt«, lautete eine der Parolen, die DemonstrantInnen am Nachmittag des 20. Dezember 2013 vor einer H&M-Filiale in Berlin-Mitte skandierten. Es war eine Solidaritätsaktion des Berliner Blockupy-Bündnisses mit den Streiks im Einzelhandel. (1)

Das Bündnis, in dem Gruppen der außerparlamentarischen Linken, gewerkschaftliche Organisationen, aber auch die Studierendengruppe Die Linke.SDS zusammenarbeiten, bereitete die bundesweiten Krisenproteste Anfang Juni 2013 in Frankfurt/Main vor. Schon damals stand bei einer Aktion auf der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil der Kampf im Einzelhandel auf der Agenda. Mit der Gründung der Berliner Streik-AG wollte das Blockupy-Bündnis verdeutlichen, dass Krisenproteste nicht nur auf ein Großevent zu reduzieren sind, sondern auch im Alltag unterstützt werden müssen.

Schon im Spätsommer diskutierte das Bündnis über geplante Solidaritätsaktionen und nahm Kontakte zu den Beschäftigten und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf. Die zuständigen GewerkschafterInnen waren über die außergewerkschaftliche Unterstützung erfreut. Allerdings zeigte sich schnell, dass die Vorstellungen im Detail durchaus auseinander gingen. Die ver.di-Verantwortlichen hatten mehrere sogenannte Blitz-Aktionen geplant. Im Rahmen dieser Aktion besuchten Beschäftigte, GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen ausgewählte Einzelhandelsfilialen, um die dort Beschäftigten über den Stand des Arbeitskampfes zu informierten. Ziel der Aktion sollte es sein, Beschäftigte zum Eintritt in die Gewerkschaft zu motivieren.

Ein Teil des Blockupy-Bündnisses beteiligte sich an diesen Blitz-Aktionen, ein anderer Teil, vor allem aus der außerparlamentarischen Linken, blieb auf Distanz. Dieser kritisierte vor allem, dass die Blitz-Aktion vollständig in der Regie von ver.di lief und beteiligte Gruppen und Einzelpersonen nur als UnterstützerInnen agieren konnten. Zudem wollten viele AktivistInnen des Blockupy-Bündnisses nicht ausschließlich als Werbetrupp für die Gewerkschaft auftreten.

Konzept kritischer KundInnen

Die KritikerInnen des Blitz-Konzeptes verwiesen auf die Solidaritätsaktionen außerparlamentarischer Linker in Berlin beim Arbeitskampf im Einzelhandel im Jahr 2008. (Siehe ak 530) Damals agierten unterstützende Gruppen als kritische KundInnen, denen die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten nicht egal sind. 2008 war das Konzept der kritischen KundInnen auch von ver.di unterstützt worden. Es gab ein gemeinsames Auftreten im Rahmen der Berliner Euromayday-Parade am 1. Mai, an dem sich Beschäftigte aus dem Einzelhandel beteiligten. Später erarbeiteten Beschäftigte, BetriebsrätInnen, GewerkschafterInnen und solidarische Linke bei einem gemeinsamen Workshop ein Konzept, wie der Arbeitskampf im Einzelhandel unterstützt werden konnte. Höhepunkt war die Aktion Dichtmachen, bei der im Juni 2008 AktivistInnen aus der außerparlamentarischen Linken in Berlin eine Reichelt-Filiale belagerten. Die Beschäftigten standen dabei und machten deutlich, dass sie die Aktion unterstützten.

Bei der Kundgebung des Blockupy-Bündnisses am 20. Dezember 2013 dagegen waren weder die Beschäftigten aus der H&M-Filiale noch GewerkschafterInnen anwesend. Obwohl die Aktion im Vorfeld mit ver.di abgestimmt war und sogar auf deren Wunsch einmal verschoben wurde, hatte die Gewerkschaft am 20. Dezember zu einer Aktion in eine Brandenburger Kleinstadt mobilisiert. Obwohl es zeitlich möglich gewesen wäre, zeigte ver.di bei der Blockupy-Aktion am späten Nachmittag nicht einmal symbolisch Präsenz.

Nimmt man den Aktionsrahmen 2008 zum Maßstab, hat ver.di die Kontakte zu den sozialen Bewegungen 2013 zurückgefahren. Der Grund liegt in den unterschiedlichen politischen Ausgangsbedingungen 2008 und 2013. Vor fünf Jahren, beim Berliner Einzelhandelsstreik 2008, war ver.di in der Defensive. Zum Zeitpunkt, als die Zusammenarbeit mit den linken UnterstützerInnen begann, dauerte der Arbeitskampf bereits mehr als ein Jahr an, der Einzelhandelsverband stellte sich stur. Es war klar, dass die Gewerkschaft ohne eine veränderte Streikstrategie nicht in der Lage sein würde, den Arbeitskampf mit einem Ergebnis zu beenden. In dieser Situation war ver.di eher bereit, auch Aktionen zu unterstützen, die nicht unter der Federführung der Gewerkschaft standen. Man könnte auch sagen: In der Defensive hatte sich ver.di der außerparlamentarischen Linken geöffnet.

2013 war die Situation eine andere. Die Debatte über einen Mindestlohn zeigte, dass bis weit in bürgerliche Kreise das Thema Niedriglohn diskutiert wurde. In einem solchen politischen Umfeld war es für ver.di wesentlich einfacher, den Arbeitskampf zu führen. Auch organisationsintern hatte ver.di die Defensive überwunden. Vor allem in Baden-Württemberg hatten die KollegInnen einen offensiven Kampf geführt, der sicher Anteil an dem allgemein als positiv für die Beschäftigten eingeschätzten Tarifabschluss hatte. Die ver.di-Führung war hingegen an einem schnellen Abschluss interessiert und hatte kein Interesse, die Solidaritätsaktionen auszuweiten.

Bessere Kooperation der Solidaritätsstrukturen nötig

Gewerkschaftslinke wie Anton Kobel kritisierten denn auch, dass ver.di keine bundesweite Kampagne zur Streikunterstützung initiiert hat. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass die Bereitschaft von ver.di, mit außerparlamentarischen Linken auf Augenhöhe zu kooperieren, 2013 wesentlich geringer ausgeprägt war als 2008.

Selbstkritische Töne gab es auf einer Nachbereitungsveranstaltung zur Streikunterstützung Anfang Februar in Berlin. Die TeilnehmerInnen waren sich einig, dass die Kooperation mit den GewerkschafterInnen nicht erst beginnen sollte, wenn ein Arbeitskampf bereits im Gange ist. Die losen Strukturen der außerparlamentarischen Linken führen oft dazu, dass in konkreten Kämpfen geknüpfte Kontakte wieder abbrechen.

In Hamburg haben sich linke Gruppen, die in Arbeitskämpfe intervenieren, im Riseup-Bündnis zusammengeschlossen. In Berlin gibt es mit dem Blockupy-Bündnis (2) und dem Klassenkämpferischen Block (3) zurzeit zwei außerparlamentarische linke Zusammenhänge, die sich zum Ziel gesetzt haben, Betriebs- und Arbeitskämpfe zu unterstützen. Nach dem Ende des Einzelhandelsstreiks steht die Frage einer festeren Organisierung auf der Agenda, damit beim nächsten Arbeitskampf eine schnellere Reaktion möglich ist.

Anmerkungen:

1) Der Tarifkonflikt im Einzelhandel war Anfang Dezember mit einer Einigung zwischen ver.di und der Arbeitgeberseite im Pilotbezirk Baden-Württemberg zu Ende gegangen, die den Manteltarif wieder in Kraft setzte und Lohnerhöhungen von drei Prozent (rückwirkend zum 1. Juli 2013) und 2,1 Prozent ab April 2014 vereinbarte. (Siehe ak 588 und 589) Strittig blieb aber im Tarifbezirk Berlin-Brandenburg die Frage der Angleichung der Löhne und des Urlaubs- und Weihnachtsgelds in Brandenburg und Ostberlin an die Löhne im Westteil der Stadt. In den Ostberliner Bezirken und Brandenburg müssen die Beschäftigten für den gleichen Grundlohn eine Stunde pro Woche länger arbeiten, die Differenz beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld beträgt laut ver.di 332 Euro (Ostberlin) bzw. 387 Euro (Brandenburg).

2) www.facebook.com/BlockupyPlattformBerlin

3) klassenkampfblock.blogsport.de

ak 591 vom 18.2.2014

http://www.akweb.de/

Peter Nowak