So hart wie die Realität – die neue CD von Kai Degenhardt

»Auch meine fünfte Platte ist selbstverständlich wieder ein politisches Liedermacher-Album – was sonst? Allerdings nicht in dem Sinne, dass ich zur Klampfe singend tagespolitische Themen erörtere«, schreibt der Hamburger Liedermacher Kai Degenhardt auf den Waschzettel zu seiner kürzlich veröffentlichten CD »näher als sie scheinen«. Ein singendes Flugblatt war und ist Kai genau so wenig wie sein im letzten Jahr verstorbener Vater Franz Josef Degenhardt, der als »Väterchen Franz« seit den 60er Jahren Maßstäbe im Bereich der deutschsprachigen Chansons gesetzt hat.

Kai Degenhardt steht in dieser Tradition und doch ist ihm das Kunststück gelungen, einen unverwechselbaren Stil zu kreieren. Es ist die Härte in Text und Musik, mit der sich der Sohn eindeutig von den Arbeiten des Vaters unterscheidet. Damit zeigt er aber, wie nah er an der Realität der heutigen Arbeits- und Lebenswelt vieler Menschen dran ist.

Während der alte Degenhardt in seinen Chansons noch zur Feier am »Tisch unter den Pflaumenbäumen« einladen konnte, lässt Kai Degenhardt in »Wendehammer-Bohème« »ein dickes Imbiss-Mädchen mit »Kleinkrimiellen in Adidas« und »Kifferkurt mit Lederhut« ihr Bier trinken. Für Romantik ist da ebenso wenig Platz wie für kuschelige Sitzecken. Konnte der Vater mit Rudi Schulte noch das Bild eines linken Gewerkschaftsaktivisten zeichnen, der seinen Weg geht, steht sich bei Kai im Song »Vom Machen und Überlegen« »Verdi-Willi mit Trillerpfeife und Flugblatt mit Tausenden seiner Kollegen die Füße wieder platt«. Verdi-Willi ist genau so ratlos wie die Jungautome »Mari mit nem Molli in der Hand«. Doch Degenhardt wendet die scheinbar ausweglose Szenerie mit dem letzten Satz: »Wo kommen wir zusammen und überlegen uns noch mal?«

Nein, wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie. Diese aus Wissen und Verzweiflung gewonnene Einsicht spricht auch aus den historischen Songs, mit denen Kai Degenhardt am direktesten an Songs aus dem Repertoire seines Vaters anknüpft. Der Heizer Franz, der in dem Chanson »Herbst 1918« auf dem kaiserlichen Kriegsschiff das Feuer löschte und den Startschuss zur Revolution gab, erhielt schon Wochen später von kaisertreuen Freikorps einen Schuss in den Arm. »Und am Horizont drohte schon die braune Brut«, heißt es kurz und prägnant am Ende.

Im letzten, mehr als 18 Minuten dauerenden Song werden zahlreiche 68er-Mythen dekonstruiert. »Sich immer wieder neu erfinden, wie bei Madonna, Apple oder Adidas«, bringt Degenhardt eine ganze Philosophie mit einem Satz auf den Punkt. Aus dem Alltag gegriffen ist hier nicht nur eine hübsche Floskel. Die klappenden Mülltonnendeckel und das Katzengemieze stammen von Alltagsgeräuschen, die Kai Degenhardt mit einem Mp3-Player in den letzten Jahren in seiner Umgebung aufgenommen und dann am Rechner verfremdet hat.

Degenhardt zeigt auch mit seiner neuesten Platte, dass man ein gnadenloser Realist sein kann und gerade deshalb den Traum von einer vernünftiger eingerichteten Welt nicht aufgeben muss.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/224739.plattenbau.html

Peter Nowak

Kai Degenhardt: näher als sie scheinen (Plattenbau)

Parteilich für die Leidenden

Zum 30. Todestag des langsam wieder entdeckten Sozialpsychologen und APO-Aktivisten Peter Brückner

Es gibt in diesem Jahr gleich zwei Gründe, an den Sozialpsychologen Peter Brückner zu erinnern. Der linke Wissenschaftler starb vor 30 Jahren, am 11. April 1982, mit 59 an Herzversagen. Am 12. Mai 2012 wäre er 90 Jahre alt geworden.

Brückner, der in Hannover lehrte und die 68er Jugendrevolte unterstützte, war in der Bundesrepublik eine Art »Symbolfigur für den linken Professor«. Bis kurz vor seinem Tod war er wegen seines politischen Engagements politischen Drucks ausgesetzt. Nicht nur die Springerpresse und konservative Politiker sahen in ihm einen Linken, der sich unter dem »Schutz« des Professorenstatus staatsfeindlich betätige. Bis weit in das liberale und sozialdemokratische Lager wurde Brückner als »Radikaler im öffentlichen Dienst« geschmäht. Gleich zweimal wurde Brückner als Professor vom Dienst suspendiert und seine Bezüge gekürzt. Die Universität verhängte sogar ein Hausverbot gegen ihn.

Es war die Zeit des sogenannten deutschen Herbstes, als im Zuge der Terrorismushysterie kritische Forschung und Lehre ins Visier der Staatsorgane gerieten. Wie vielen Linken wurde Brückner Unterstützung der RAF vorgeworfen. Distanzierung von jeglichem subversiven Gedankengut war angesagt. Doch Brückner lehnte das ab. Er verteidigte öffentlich den umstrittenen Buback-«Nachruf« eines anonymen Göttinger Studenten, bekannt als »Mescalero-Affäre«. Wegen dieser Schrift fanden damals Razzien, Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren statt. Intellektuelle, die mit der Herausgabe der Schrift ein Zeichen gegen die Repression setzen wollten, wurden eingeschüchtert und zogen ihre Unterschrift zurück. Brückner stand dazu.

Der Mann, der sich selbst als »antiautoritärer Sozialist« bezeichnete, war 1922 als Sohn einer jüdischen Künstlerin und eines liberalen Demokraten in Dresden geboren worden. Die Mutter und der Halbbruder konnten sich im Nationalsozialismus durch Emigration retten, der Vater hangelte sich von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten. Diese Familiensituation hat ihn politisch geprägt. »Ein so gebildetes Kind wird durch seine sozialen Erfahrungen auf dem Spielplatz, im Kindergarten und in der Schule zur Parteilichkeit genötigt: für die je Leidenden und gegen die Gewalt, die ihnen rücksichtslos angetan wird«, schrieb Brückner zwei Jahre vor seinem Tod in dem Aufsatz »Über linke Moral«.

Parteinahme für die Leidenden, das war auch das Credo seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Brückner gehörte zu den jungen linken Intellektuellen, die mit viel Hoffnung und Engagement nach 1945 für einen demokratischen Neuanfang eintraten. Als KPD-Mitglied beteiligte er sich am Neuaufbau der Leipziger Universität. Abgestoßen von autoritären Parteistrukturen ging er 1949 in den Westen. Bei aller Kritik, die er in vielen seiner Schriften am Realsozialismus übte, ließ er sich jedoch nicht zum Kronzeugen gegen die DDR machen. Brückner, der 1967 einen Lehrstuhl für Psychologie in Hannover annahm, wurde zu einem wichtigen Bezugspunkt der außerparlamentarischen Bewegung. »Was heißt Politisierung der Wissenschaft und was kann sie für die Sozialwissenschaften heißen« war der Titel seiner 1972 veröffentlichten, sehr populären Schrift. »Wie kein anderer machte er sich zum Interpreten linker Erneuerung und wie kein anderer beobachtete und analysierte er ihren widersprüchlichen und langsamen Zerfall«, beschrieb der Historiker Christoph Jünke das Verhältnis Brückners zur antiautoritären Revolte der späten 60er Jahre, die weit über das studentische Milieu hinausging.

Wie viele linke Intellektuelle dieser Zeit war auch Brückner lange vergessen, bis er in den letzten Jahren wieder entdeckt wurde. So gab der Sozialpsychologe Klaus Weber 2004 Brückners Buch »Sozialpsychologie des Kapitalismus« neu heraus. Im Vorwort schrieb Weber, die Neuauflage solle Brückner und dessen Werk »dem Vergessen entreißen, für diejenigen, die immer die Befreiung der Menschen aus unmenschlichen Verhältnissen sich zum Ziel setzen«. Anfang März dieses Jahres ging die Neue Gesellschaft für Psychologie bei einem Kongress in Berlin der Frage nach, was an Brückners Erkenntnissen heute noch aktuell ist. An der Tagung nahmen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch linke Aktivisten teil. Der Berliner Psychologe Klaus-Jürgen Bruder wies dabei darauf hin, dass sich Brückner intensiv mit den Reaktionen der Menschen auf Krisen auseinandergesetzt habe. Demnach nimmt in Krisenzeiten die Loyalität der Menschen mit dem Staat zu, autoritäre Krisenlösungsmodelle stoßen dagegen auf mehr Zustimmung. Für das nächste Jahr ist ein weiterer Kongress geplant.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/223691.parteilich-fuer-die-leidenden.html

Peter Nowak

Aufstand der Amateure

Dokumentarfilm zeigt die wachsende Anti-AKW-Bewegung in Japan
Der Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima war für Julia Leser und Clarissa Seidel Anlass für einen Dokumentarfilm über die noch recht kleine, aber stetig wachsende japanische Opposition gegen die Atomwirtschaft.
Der Jahrestag des Atomunfalls von Fukushima hat wieder das Interesse auf die Situation der Menschen in Japan gerichtet, die mit den Folgen leben müssen. Doch das Bild von den disziplinierten Menschen, die auch nach der Katastrophe brav Anweisungen folgen, bekommt Risse, wenn man den Film »Radioactivists« sieht, der pünktlich zum Jahrestag in verschiedenen deutschen Programmkinos anläuft. Der Film wirft einen Blick auf die Protestszene, die sich nach der Katastrophe in Japan gebildet hat.

Überwiegend junge Menschen aus dem subkulturellen Milieu, die sich in Secondhandläden ihren Lebensunterhalt verdienten und sich als »Aufstand der Amateure« begreifen, mobilisierten einen Monat nach dem Super-GAU zur ersten Anti-AKW-Demonstration in Tokio. Mit rund 15 000 Menschen war es nicht nur die größte Aktion von Umweltschützern, sondern die größte politische Aktion seit den 1960ern in Japan überhaupt. Manches daran erinnert im Film an die westdeutschen Proteste nach Tschernobyl. Denn auch in Japan dominiert die Angst vor den Folgen.

Der Film zeigt aber auch, wie die Protestaktionen die beteiligten Menschen aus der Lähmung nach der Katastrophe befreiten und ihnen einen gesellschaftskritischen Ansatz eröffnete. Auch bei der zweiten Demonstration blieb die Aufbruchstimmung erhalten. Allerdings machte die Polizei da bereits mit kleinlichen Auflagen deutlich, dass die Staatsmacht wieder Fuß gefasst hatte.

Neben der Organisation von Demonstrationen mobilisierte der »Aufstand der Amateure« zu Solidaritätsreisen in die Regionen in der Nähe der havarierten Reaktoren. Damit sollten die dort lebenden Menschen psychologisch und durch Spenden unterstützt werden. Dadurch sind Menschen aus den Großstädten das erste Mal in diese abgelegenen japanischen Regionen gereist und haben ein anderes Land kennengelernt.

Die beiden Regisseurinnen wurden beim Aufenthalt in Japan vom GAU überrascht. Doch es ist ihnen gut gelungen, ein etwas anderes Bild vom Japan nach dem Reaktorunfall zu entwerfen. Im Film kommen die Aktivisten auch außerhalb von Pressekonferenzen zu Wort. Schon zwei Monate nach dem Unglück wurden Befürchtungen laut, dass der Protest wieder einschlafen könnte. Die Lage hatte sich stabilisiert, die Zahl der Zugriffe auf die Webseiten der Initiativen sank wieder und die Proteste stagnierten. Der Film endet im Sommer 2011. Es wäre durchaus interessant zu erfahren, wie sich die Anti-Atom-Bewegung seither entwickelt hat.

Radioactivists – Protest in Japan since Fukushima, Regie: Julia Leser und Clarissa Seidel, Deutschland/Japan 2011, 72 min.

Der Film läuft am 18.3 um 18.15 Uhr in Anwesenheit der Regisseurinnen im Lichtblick-Kino in der Berliner Kastanienallee 77

http://www.neues-deutschland.de/artikel/220958.aufstand-der-amateure.html
Peter Nowak

Wie erträgt das Individuum die Zumutungen des kapitalistischen Alltags?

Ein Kongress in Berlin suchte Antworten bei dem vor 30 Jahren verstorbenen Sozialpsychologen Peter Brückner

Was hat der seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zunehmend akzeptierte Fußballpatriotismus, der sich im extensiven Schwenken von schwarz-rot-goldenen Winkelementen äußert, mit der Entsicherung in der Arbeitswelt zu tun? Die Psychologin Dagmar Schediwy sieht darin Ausgleichshandlungen des Individuums im flexiblen Kapitalismus. „Wenn man jederzeit seinen Job verlieren kann, bietet der Rückgriff auf die Nation scheinbar die letzte Sicherheit“, erklärte sie am Samstag mit Verweis auf die Kritische Theorie in ihrem Vortrag im Seminarzentrum der Freien Universität Berlin. Dort hatte in den letzten vier Tagen die Neue Gesellschaft für Psychologie zu dem Kongress „“Sozialpsychologie des Kapitalismus – heute“ eingeladen. Der Titel knüpft an ein 1981 erschienenes Buch des Hannoveraner Sozialpsychologen Peter Brückner an. Sein neunzigster Geburts- und dreißigster Todestag in diesem Jahr nutzten die Kongressorganisatoren, um an den lange vergessenen Wissenschaftler zu erinnern. Dabei machten die Referenten, überwiegend Psychologen, Sozialpädagogen oder Soziologen, die erstaunliche Aktualität seiner Schriften deutlich.

So wies der Berliner Psychologe Klaus-Jürgen Bruder darauf hin, dass sich Brückner sehr intensiv mit dem Phänomen auseinandergesetzt hat, dass in großen Teilen der Gesellschaft in Krisenzeiten die Loyalität mit dem Staat zunimmt und autoritäre Krisenlösungsmodelle auf mehr Zustimmung stoßen. Für Bruder könnten hier wichtige theoretische Erklärungsmuster für die Apathie weiter Teile der Bevölkerung trotz „der klaffenden Diskrepanz zwischen staatlichem Handeln, rücksichtloser Durchsetzung partikularer Interessen und den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung“ heute liegen. Warum Erwerbslose oder prekär Beschäftigte lieber auf die „Pleitegriechen“ schimpfen, statt sich mit andere Betroffenen für die Verbesserung ihrer Situation zusammenschließen, könnte mit Brückners Forschungen über die Massenloyalität als Ergänzung zur Machtbasis des Staates tatsächlich besser erklärt werden als mit gängigen Manipulationsthesen.

Die Sozialpsychologin Claudia Barth widmete sich in ihren Vortrag über Esoterik als „Ecstasy des Bürgers“ einer weiteren, oft verkürzt als Weltflucht interpretierten Anpassungsleistung des Individuums. „Ziel esoterischer Selbsttherapeutisierung ist es, Leiden an Kälte und Entfremdung zu beenden, innere Widerstände abzubauen, aktuell gefragte Kompetenzen aufzubauen, um im Hier und Jetzt erfolgreich zu sein“, so ihr Befund.

Politische Rehabilitation

Der Kongress könnte auch der Auftakt für eine Rehabilitation des politischen Aktivisten Peter Brückners sein. Der wichtige theoretische Impulsgeber des politischen Aufbruchs um 1968 wurde in den 70er Jahren zweimal von seiner Professur suspendiert, unter anderem, weil er sich nicht von der Mitherausgabe des damals vieldiskutierten Mescalero-Aufrufs distanzierte, der sich mit dem RAF-Anschlag auf dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback aus der Position eines damaligen Sponti-Linken auseinandersetzte. Eine bundesweite Solidaritätsbewegung für die Wiedereinstellung Brückners war auch ein Signal gegen die berüchtigte bleierne Zeit der 70er Jahre, als der Staat im Namen des Kampfes gegen die Rote Armee Fraktion auch unangepasste Linke ins Visier nahm.

Wenige Monate nach einem siegreichen Rechtsstreit starb Brückner durch die jahrelangen Auseinandersetzungen zermürbt an Herzversagen. Wäre es 30 Jahre später nicht an der Zeit, am Beispiel Brückners deutlich zu machen, dass es politische Verfolgung eben durchaus nicht nur in der DDR gab? Diese auf dem Kongress gestellte Frage blieb vorerst unbeantwortet.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151550
Peter Nowak

Innenansichten des Systems

Ein Wochenende lang wurde an der FU über die „Sozialpsychologie des Kapitalismus“ diskutiert. von Peter Nowak

Geschäftiges Treiben herrschte am Wochenende im Seminarzentrum der Freien Universität: PsychologInnen aus Deutschland und Österreich beschäftigten sich auf Einladung der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NfG) mit der Rolle der Psychologie im Kapitalismus. Die Themen der Vorträge waren denkbar verschieden: Mehrere ReferentInnen widmeten sich den Veränderungen des Fußballs im postindustriellen Kapitalismus, andere beschäftigten sich mit der Occupy-Bewegung oder der Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Der Sozialpsychologe Gerd Dembowski untersuchte am Beispiel der Ultras die Veränderungen in der Fankultur in einer Zeit, in der Vereinsidentität durch ständige Wechsel von Trainern und Stadionnamen brüchig geworden ist. Die Psychologin Dagmar Schediwy sieht in dem spätestens seit der Fußball-WM 2006 virulenten Fußballpatriotismus einen Ausgleich der Individuen für die wachsenden Anforderungen im Kapitalismus. „Wenn man jederzeit seinen Job verlieren kann, bietet der Rückgriff auf die Nation scheinbar die letzte Sicherheit.“

Für eine stärkere Kooperation von kritischer Wissenschaft und Zivilgesellschaft plädierte der Politologe Thomas Rudeck, der das im letzten Jahr erfolgreiche Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserverträge mitverfasst hat. In solchen Referenden sieht er einen Hebel für eine Veränderung der Gesellschaft, erntete damit beim Publikum aber auch Widerspruch.

Gleich mehrere AGs beschäftigten sich mit der Zukunft kritischer Wissenschaft. Dafür stand in den 80er Jahren auch der Hannoveraner Sozialpsychologe Peter Brückner, der in diesem Jahr 90 Jahre geworden wäre. „Seine Befreiungspsychologie war eine radikale Absage an die kapitalistische Gesellschaft“, sagte der Psychologe Klaus Weber.

In der Wiederentdeckung des linken Wissenschaftlers Brückner bestand ein großes Verdienst des Kongresses. Dabei steht eine politische Rehabilitierung des BRD-Dissidenten noch aus. Weil sich Brückner nicht von der Mitherausgabe des Buback-Aufrufs distanzierte, einem Text, in dem Buback kritisiert wurde, betrieb die niedersächsische Ministerialbürokratie seine Suspendierung.
http://www.taz.de/Kongress-an-der-Freien-Uni/!88935/
Peter Nowak

Erinnerung an die Folternacht von Genua

Der Überfall von 300 schwerbewaffneten Polizisten auf in der Diaz-Schule von Genua schlafende Globalisierungskritiker am 21. Juli 2001 sorgte weltweit für Entsetzen. Jetzt hat der italienische Regisseur Carlo Bachschmidt sieben Menschen porträtiert, die damals verletzt wurden. Sie berichten über ihre Probleme, nach den Foltererlebnissen in den Alltag zurückfinden, von Traumatisierungen, aber auch von dem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Der Dokumentarfilm holt eine Nacht zurück ins Bewusstsein, als mitten in einem Rechtsstaat alle Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Der Film kann für Veranstaltungen ausgeliehen werden (gipfelsoli@nadir.org).

http://www.neues-deutschland.de/artikel/218546.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

»Auf und hinter der Bühne«

Vergangene Woche fand die Theaterpremiere von »Dantons Tod« am Berliner Ensemble statt. Die Initiative »Das Grollen im Zuschauermagen« nutzte die Aufführung für eine künstlerisch-politische Intervention. Die Jungle World sprach mit einem Mitglied der Initiative.

Small Talk von Peter Nowak

Wie seid ihr auf die Idee zu dieser Intervention gekommen?

Wir hatten vor einigen Wochen auf einer Demonstration zur Unterstützung des Streiks an der Berliner Charité erfahren, dass sich Theatermitarbeiter von der Bühnentechnik und den Requisiten des Ensembles organisiert haben und einen Tarifvertrag fordern, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es war uns wichtig, eine Öffentlichkeit für diese »unsichtbaren Mitarbeiter« herzustellen. Deshalb haben wir uns für eine Intervention am Ensemble entschieden, die Kunst und Politik miteinander verbindet.

Kannst du die Aktion schildern?

Nach der Pause stürmten wir einen der Gänge im ersten Rang, sangen die Marseillaise und riefen gemeinsam einen Sprechchor. Dafür hatten wir aus Georg Büchners Danton-Text eine Collage erarbeitet. Damit wollten wir auf die Diskrepanz zwischen dem, was auf der Bühne vorgetragen wird, und dem, was hinter ihr passiert, aufmerksam machen. Die Aktion dauerte ungefähr zwei Minuten. Am Ende ließ jemand aus dem zweiten Rang Flugblätter ins Parkett regnen, auf denen die Zusammenhänge erklärt wurden.

Gab es Reaktionen aus dem Publikum?

Bis auf wenige Ausnahmen gab es Zuspruch und Applaus. Das Publikum stürzte sich regelrecht auf die Flugblätter. Teilweise wurde unsere Intervention allerdings als Teil der Theaterinszenierung missverstanden.

Und wie hat Claus Peymann, der Regisseur des Stücks und Intendant des Ensembles, reagiert?

Er hat die Aktion in der Presse als Kampfansage bezeichnet, hinter der er Verdi vermute, womit er sich irrt. Zudem hat er mit einer Anzeige gedroht. Wir finden diese Reaktion albern. Schließlich ist es nicht verboten, in der Theaterpause seine Meinung zu sagen. Wenn sich Peymann zudem in der Bild-Zeitung selbst als »größter Ausbeuter überhaupt« bezeichnet, spricht das für seine Ignoranz gegenüber den Forderungen der Beschäftigten.

Sind weitere Aktionen geplant?

Wir werden die Situation im Ensemble und die bald beginnenden Verhandlungen beobachten. Sollte in naher Zukunft kein Tarifvertrag mit deutlichen Verbesserungen für die Beschäftigten abgeschlossen werden, könnten wir, entgegen unseren Vorlieben, zu Stammkunden im Ensemble werden.
http://jungle-world.com/artikel/2012/02/44662.html
Interview: Peter Nowak

„Kunstaktion“ mit Sarrazin-Büchern

Auf der Berliner Biennale sollen Sarrazins Bestseller ausgestellt und anschließend „recycelt“ werden

Der ehemalige Senator und Bankdirektor Thilo Sarrazin hat mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ in den letzten Monaten den innenpolitischen Diskurs wesentlich mit beeinflusst. Mit über 1,3 Millionen verkauften Exemplaren zählt es zu den erfolgreichen Sachbüchern. Jetzt wird Sarrazin zum Gegenstand einer Kunstaktion, die dem Bestsellerautor nicht gefallen dürfte. Der Künstler Martin Zet ruft dazu auf, sich der Bücher zu entledigen.

Dazu haben zahlreiche Galerien, Kunstvereine, Buchläden und Museen unterschiedliche Behältnisse aufgestellt, in denen die Bücher gesammelt werden können. In Berlin beteiligen sich so unterschiedliche Institutionen wie das Haus der Kulturen der Welt, der Kunstraum Kreuzberg, der Buchladen Pro qm, das Theater Hebbel am Ufer und das Theater an der Parkaue an der Sammelaktion.

Mittlerweile wurden auch in Leipzig, München, Frankfurt/Main, Hamburg und Hannover Buchsammelstellen eingerichtet. Es werden noch weitere Orte dazu kommen, bestätigte Denhard von Harling von der Berlin Biennale gegenüber Telepolis. Auf der am 27.April beginnenden Veranstaltung, die vom polnischen Künstler Artur Żmijewski zusammen mit den Kuratorinnen Voina und Joanna Warsza vorbereitet wird, sollen die bundesweit gesammelten Sarrazin-Bücher ausgestellt und anschließend recycelt werden.

Entgiftung der Gesellschaft

Martin Zet sieht die Kunstaktion als Kritik an den im dem Buch vertretenen Thesen von Sarrazin, wie er erklärt:

„Ab einem bestimmten Moment ist es nicht mehr wichtig, was die Qualität oder die wahre Intention eines Buches ist, sondern welchen Effekt es in der deutschen Gesellschaft hat. Das Buch weckte und förderte anti-migrantische und hauptsächlich anti-türkische Tendenzen in diesem Land. Ich schlage vor, das Buch als aktives Werkzeug zu benutzen, welches den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden.“

Denhard von Harling spricht gegenüber Telepolis auch von einer „Entgiftungsaktion“. Schließlich habe das Buch dazu beigetragen, Ressentiments gegen Minderheiten in der Gesellschaft zu schüren und Menschen in „wertvoll“ und „nicht wertvoll“ einzuteilen.

Martin Zet hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Biennale-Beginn 60.000 Bücher eingesammelt zu haben. Dabei steht er vielleicht vor dem Problem, dass sich von der Aktion eher die Sarrazin-Kritiker angesprochen fühlen dürften, die aber oft das Buch gar nicht erworben haben. Dass die Kunstaktion das Geschäft von Sarrazin sogar noch ankurbeln könnte, an diesen Effekt glaubt von Harling nicht. Schließlich können auch Zeitschriften oder Schriften mit Thesen, die denen von Sarrazin ähnlich sind, eingesammelt werden. Auch Kommentare in den Büchern sind ausdrücklich erwünscht und sollen bei der Biennale-Ausstellung berücksichtigt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/151208
Peter Nowak

Armut zieht immer

FILM Je trauriger die Kulleraugen, desto mehr Geld: Kritik an Afrika-Klischees in Spendenkampagnen

„Verzeihung, ihr Sparschwein hat gerade eine Krankenschwester verschluckt.“ „Ich trage einen Brunnen am Ohr.“ Über solche Nonsenssätze der Africa-Aid-Kampagne wird immer wieder gelästert. Aber welches Bild von Afrika wird über die Plakate derartiger Spendenkampagnen vermittelt? Mit dieser Frage haben sich die Bildungsexperten Carolin Philipp und Timo Kiesel in ihrem 48-minütigen Film „White Charity“ kritisch, aber nicht verbissen beschäftigt. MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen kommen darin ebenso zu Wort wie wissenschaftliche KritikerInnen der Spendenwerbung.

Für die Schriftstellerin und Literaturdozentin Grada Kilomba reproduzieren die meisten Plakate in hohem Maße Klischees über Afrika, so sagt sie in dem Film. So würden dort bevorzugt halbnackte Kinder vor ländlichen Hütten abgebildet, obwohl die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung längst in Städten lebe. Die Aid-Afrika-Werbung bediene sich des Bilds von „ausgemergelten Gestalten, die hilfesuchend nach Europa blicken“, ergänztder Bonner Politikwissenschaftler Aram Ziai.

Nach Ansicht der New Yorker Literaturwissenschaftlerin Peggy Piesche hat sich an diesem Afrikabild in den zwei Jahrhunderten wenig geändert.

Sascha Decker von der Kindernothilfe hat grundsätzlich Verständnis für die antirassistische Fragestellung der Filmemacher, für das Fundraising hält er ihn aber für unpraktikabel. Er glaubt, dass die Spendenbereitschaft schnell sinken würde, wenn statt spärlich bekleideter Kinder Jugendliche in einen Internetcafe in Lagos oder einer anderen afrikanischen Metropole auf den Plakaten präsentiert werden – eine Prognonse, die sehr realistisch sein dürfte.

Allerdings bestätigt er damit die postkolonialen KritikerInnen: Traurige Kinderaugen fördern die Spendenbereitschaft und fördern die Überlegenheit der weißen HelferInnen.


Der Film kann bestellt und oder kostenlos angesehen werden unter www.whitecharity.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort
=tz&dig=2011%2F12%2F22%2Fa0164&cHash=f41abbd07c

Peter Nowak

Raum für kritische Interventionen

FILM Das Filmfest „Globale“ zeigt Sozialkritisches aus aller Welt – und von Berliner Arbeitskämpfen

Am Donnerstag beginnt im Moviemento-Kino in Kreuzberg die diesjährige Globale. Bis zum 9. November präsentiert das globalisierungskritische Filmfestival rund 50 Filme zu den Themen Migration, Vertreibung, Feminismus und soziale Kämpfe.

Ein Highlight sind dieses Jahr Filme aus Afrika, die in Berlin bisher nicht zu sehen waren. Dieser Schwerpunkt ist Jordane Maurs zu verdanken, die mehrere Jahre bei einer Nichtregierungsorganisation in Mali gearbeitet hat, bevor sie zum Globale-Team gestoßen ist. Von ihr ist der Film „Der unwissende Lehrmeister. Kommentare“ zu sehen, der Einblicke in das kolonial geprägte Erziehungssystem vieler afrikanischer Länder gibt. Der Film „Depuis l’ecole publique“ widmet sich den Landraub in Afrika und damit einem sehr aktuellen Thema. Mit „Früchte des Zorns“ wird auf der Globale ein Klassiker des sozialkritischen Films wieder vorgestellt. Zu den Gästen, die im Anschluss an die Aufführung mit dem Publikum diskutieren, gehört der Theaterintendant Armin Petras.

Auch lokale Themen werden nicht zu kurz kommen. In dem Film „Das Ende der Vertretung“ wird an den Arbeitskampf im Berliner Einzelhandel und die ambivalente Rolle der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di erinnert. Mit der Aufführung des Films „arbeitsscheu – abnormal – asozal“ der Berliner Filmemacherin Andrea Behrendt wird an die lange vergessene Geschichte der Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen nicht nur im Nationalsozialismus erinnert. Im Anschluss werden AktivistInnen des „Arbeitskreises Marginalisierte gestern und heute“ von ihrer schwierigen Arbeit berichten, diese Verfolgtengruppe zu würdigen.

Die KuratorInnen und OrganisatorInnen der Globale kommen nicht aus der Kunstszene, sondern aus politischen Projekten. Jedes Jahr stoßen neue Interessierte dazu, andere verlassen das Projekt nach einiger Zeit. Die Globale wurde 2003 als ehrenamtliches Projekt von filmbegeisterten politischen Menschen gegründet, als die globalisierungskritische Bewegung gerade ihren Zenit überschritten hatte. Ziel war, die gesellschaftlichen Widersprüche und die Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung mit künstlerischen Mitteln darzustellen und zu kritisieren. Acht Jahre später gehen im Rahmen der Krisenproteste wieder in vielen Ländern Menschen auf die Straße. Die richtige Zeit für ein Festival, das kritischen künstlerischen Interventionen Raum bietet.

www.globale-filmfestival.org

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F11%2F02%2Fa0148&cHash=438f9146a6

Peter Nowak

Italien: Wikiepedia-Protest gegen Abhörgesetz

Ein Passus des im italienischen Parlament diskutierten Gesetzentwurfs könnte das Ende des Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit bedeuten

Die italienische Wikipedia hat mit einer besonderen Aktion darauf hingewiesen, dass es die Plattform in ihrer bisherigen Form vielleicht bald nicht mehr geben könnte. Seit Tagen wird dort schon mal vorgeführt, wie die Plattform nach der Verabschiedung eines zurzeit im Parlament diskutierten Gesetzes aussehen könnte.

Wikipedia Italien ist seit einigen Tagen abgeschaltet. „Zurzeit ist die Seite, die Sie gerade lesen möchten, nur versteckt, doch es besteht die Gefahr, dass wir bald dazu gezwungen werden können, sie wirklich zu löschen“, heißt es dort zur Erläuterung.

Der Grund für den Wikipedia-Protest ist der Paragraph 29 eines italienischen Gesetzentwurfes, der als „DDL intercettazioni“ oder Gesetz gegen Abhörmaßnahmen bekannt wird. Der umfangreiche Gesetzentwurf enthält einen Passus, der nicht nur für Wikipedia gravierende Auswirkungen haben könnte:

Auf Internetseiten sowie in Tageszeitungen und Zeitschriften, die auf elektronische Weise veröffentlicht werden, müssen innerhalb von 48 Stunden nach Antragseingang die Statements und Korrekturen an gleicher Stelle und in gleichbleibender Formatierung, ohne Veränderung des Zugangs zur Seite oder der Sichtbarkeit der Nachrichten, auf die sie sich beziehen, veröffentlicht werden.

Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung der presserechtlich Verantwortlichen von Webseiten, innerhalb von 48 Stunden kommentarlos jegliche Korrektur am Inhalt vorzunehmen, die der Antragsteller im Interesse seiner Reputation fordert. Wikipedia weist auf die praktischen Auswirkungen hin:

Unerfreulicherweise verlangt dieses Gesetz keine Evaluation durch eine unabhängige dritte Person. Ausschließlich die Meinung der angeblich beleidigten Person oder Organisation genügt, um die geforderten Korrekturen an der Webseite durchsetzen zu lassen.

Jeder, der sich durch den Inhalt eines Blogs oder einer Online-Zeitschrift angegriffen fühlt, kann die die Entfernung des Inhalts und eine dauerhafte Veröffentlichung einer durch ihn korrigierten Fassung verfügen, unabhängig von den Quellen oder der Frage, ob der inkriminierte Inhalt tatsächlich eine Beleidigung bzw. Rufschädigung darstellt. Es käme dann auch nicht mehr darauf an, ob der geschilderte Sachverhalt der Wahrheit entspricht oder nicht.

Nicht nur ein Internetknebel made in Berlusconien

Tatsächlich könnte eine solche Regelung jegliche kritische Berichterstattung im Internet unmöglich machen. Betroffen wären mehr noch als Wikipedia, das durch seine internationale Bekanntheit einen gewissen Schutz genießt, die vielen kritischen Blogs und Internetmagazine, die sich als kritische Gegenöffentlichkeit verstehen.

Die Protestaktion von Wikipedia-Italien reiht sich ein in zahlreiche Aktionen, mit denen italienische Medien seit Jahren gegen Versuche der Berlusconi-Regierung protestieren, die Berichterstattungen zu reglementieren. So wurde am 9. Juli 2010 gegen die als Knebelgesetze bezeichneten Regierungspläne mit einen italienweiten Streiktag protestiert, an dem sich die gesamte nicht vom Berlusconi-Imperium beeinflussten Medien beteiligten (Tag des journalistischen Schweigens in Italien). Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen unterstützte den Protest.

Der aktuelle Gesetzesentwurf ist nun ein weiterer Versuch der Kommunikationseinschränkung. Es wäre allerdings verkürzt, die Auseinandersetzung um die zurzeit im italienischen Parlament diskutierte Fassung des Abhörgesetzes nur als einen Streit um einen Internetknebel made in Berlusconien zu betrachten. Mag auch die italienische Regierung besonders plump vorgehen und damit den Widerstand besonders herausfordern, das Bestreben, das Internet als Medium der kritischen Öffentlichkeit unter Kontrolle zu bekommen und zu neutralisieren, gibt es auch in Deutschland. Betroffen davon sind die vielen Blogs und Internetmagazine, die mit ihren Veröffentlichungen eine Gegenöffentlichkeit bilden, wie sie im Zeitalter der Printmedien unbekannt war.

Die presserechtlich Verantwortlichen sind auch in Deutschland zunehmend nicht nur Korrekturforderungen der bei ihnen publizierten Texte, sondern auch existenzgefährdenden Kostenbescheiden ausgesetzt, berichtet der presserechtlich Verantwortliche des Internetmagazins Trend-Onlinezeitung Karl-Heinz Schubert auf einer Veranstaltung in Berlin. In der letzten Zeit sei die Anzahl der Abmahnungen gewachsen.

Auffällig sei, dass Berichte von Konflikten aus der Arbeitswelt besonders häufig Anlass für juristische Schritte seien, so Schubert. Die seien dann sofort mit Kosten verbunden. Oft würden die Anwälte bereits im ersten Schreiben nicht nur die Entfernung eines inkriminierten Artikels verlangen, sondern sofort einen Kostenbescheid in drei- bis vierstelliger Höhe vorlegen. „Solche Maßnahmen dienen der Einschüchterung und haben zur Folge, dass viele sich gar nicht trauen, kritische Inhalte zu veröffentlichen“, so Schuberts Fazit. Daher kann man das im italienischen Parlament diskutierte Abhörgesetz durchaus in einem Zusammenhang mit den Einschränkungsversuchen der kritischen Kommunikation im Internet auch außerhalb von Italien betrachten.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35635/1.html

Peter Nowak

Labournet.tv

Labournet.tv (http://de.labournet.tv/) ging im Januar 2011 online und wird seitdem zügig ausgebaut. Das Projekt ist Teil der Internetplattform Labournet, die sich seit 1999 als „Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job“ für die Stärkung gewerkschaftlicher und sozialer Gegenmacht einsetzt. Bei Labournet.tv werden Videos und Filme zu den auf Labournet dokumentierten Berichten über soziale Kämpfe in aller Welt ins Netz gestellt. „Über Filme lassen sich globale Zusammenhänge der Ausbeutung und der Gegenwehr besonders gut veranschaulichen“, begründet Bärbel Schönafinger den Fokus auf dieses Medium. Die Berliner Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin betreut das von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt mit einer halben Stelle geförderte Projekt Labournet.tv.
Was bislang nur auf kommerziellen Videoplattformen oder in unzugänglichen Filmarchiven aufbewahrt war, soll auf labournet.tv konzentriert gesammelt werden. Die mittlerweile über 250 dokumentierten Videos und Filme sind denkbar unterschiedlich und sprechen verschiedene Zielgruppen an. Wer auf Theorie Wert legt, kann sich von dem Kölner Publizisten und Übersetzer Christian Frings kenntnisreich in zwei aktuelle Werke der marxistischen Theorie einführen lassen.
Auch, wer sich über aktuelle soziale Kämpfe informieren will, wird auf Labournet.TV schnell fündig. Dafür sorgt die benutzerfreundliche Gliederung auf der Webseite des Filmarchivs. Der virtuelle Besucher kann unter den Obertiteln, „Länder“, „Branchen“. „Kampffelder“, „Umwälzung“ und „Widerstandsbewegungen“ auswählen. Dort finden sich jeweils zahlreiche Unterpunkte.
So können Filmdokumente aus 30 Ländern angeklickt werden und geben Einblicke in einen oft kaum bekannten Alltag in den jeweiligen Regionen. Unter dem Stichwort Philippinen ist „Blue Elephants“, ein 14 minütiger Filmbeitrag über den Alltag von Arbeitsmigranten in den südostasiatischen Staaten zu finden. Ein Dutzend Filmbeiträge findet sich aus Italien. Darunter ist eine dreieinhalb minütige Dokumentation über die Straßenproteste vom 12. Dezember letzten Jahres, als Berlusconi zum Unmut vieler Demonstranten ein wichtiges Misstrauensvotum gewann ebenso zu finden, wie ein einstündiger Film über den Fiatstreik.
Neben der klassischen Lohnarbeit und der gewerkschaftlichen Organisierung kommen in dem audiovisuellen Archiv Aktionen von Migranten und Erwerbslosen nicht zu kurz. So sind aus Deutschland mehrere Dokumentationen über Proteste in und vor Jobcentern neben einem Filmbericht über einen Hungerstreik von Leiharbeitern bei VW dokumentiert. Auch Wadans Welt, ein Film über den Arbeitsplatzabbau auf einer Werft in Wismar kann ebenso heruntergeladen werden wie unter der Rubrik Großbritannien der Film „The Navigators“ von Ken Loach, der die Folgen der Privatisierung bei der englischen Bahn beschreibt. Weitere Filme aus der Arbeitswelt werden auf die Seite gestellt, so weit es die Nutzerrechte zulassen, so Schönafinger. Schon jetzt ist es ein Fundus für die filmische Geschichte der sozialen Kämpfe gestern und heute.

http://mmm.verdi.de/archiv/2011/08-09/rundfunk/schon-entdeckt-labournet-tv

    Peter Nowak

Schnelles Internet für alle

Konferenz zu Netzpolitik in Berlin / LINKE gründet Arbeitskreis zum Thema

Das Betahaus in Berlin-Kreuzberg, in dem man sich stunden- und tageweise Büroräume mieten kann, ist ein Symbol für Arbeitsplätze im Internetzeitalter geworden. Dorthin hatten am Samstag die Rosa Luxemburg-Stiftung und die Linksfraktion im Bundestag zu einer Konferenz unter dem Titel »Netz für Alle« geladen.

In der Eröffnungsrede zur Netzkonferenz hoben die LINKEN-Politiker Bodo Ramelow und Halina Wawzyniak die Bedeutung der Netzpolitik für eine zukunftsfähige Linke hervor und übergaben dann das Mikrofon an die Internetexperten. An Constanze Kurz vom Chaos-Computer-Club etwa, die sich für ein Grundrecht auf einen Netzzugang mit Breitbandkabel auch für Menschen mit geringen Einkommen ausspricht. Ohne diesen Internetzugang seien Menschen vielfältig benachteiligt. Kurz verwies auf verschiedene Umfragen, in denen diese Forderung von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird. Länder wie Finnland seien bei der Umsetzung eines solchen Zieles weit vorangeschritten.

In der anschließenden Diskussion wurde gefragt, ob die Forderung nach einem Netz für Alle im Alltag vor allem junger Menschen nicht schon längst umgesetzt werde. Kurz warnte aber davor, lediglich die statistischen Daten zur Grundlage zu nehmen. Gerade Familien mit niedrigen Einkommen fehle oft ein Internetzugang. Sie kritisierte Entscheidungen von Sozialgerichten, die ein Fernsehgerät, nicht aber den Internetzugang zur Grundversorgung für Hartz-IV-Betroffene erklärten.

Gutes Netz, schlechtes Netz

Der österreichische Schriftsteller und Philosoph Robert Misik ging auf eine Debatte ein, die in der Linken lange Jahre tobte. Ist das Internet gut oder schlecht? Misik verwies auf den mit großer Erbitterung geführten Streit über die Rolle der Technologie. Während die einen der Meinung waren, dass die Technologie nur unter Arbeiterkontrolle sinnvoll nutzbar zu machen ist, erklärten andere, dass die Technologie nicht neutral ist und daher nicht einfach übernommen werden kann. Diese Debatte wiederholt sich nun bei der Einschätzung des Netzes.
Mobilisierung per Internet

Misik betont, dass man sehr kulturpessimistisch sein müsse, um das Internet generell abzulehnen. Diese Haltung wäre zudem unpolitisch, weil damit jede Einflussmöglichkeit aufgegeben würde. Ein Teilnehmer warnte vor einer Überbewertung des Netzes bei politischen Mobilisierungen. Auch ohne Netz wurden Massendemonstrationen organisiert. In Arbeitsgruppen debattierten die Teilnehmer anschließend über soziale Netzwerke, ein barriere- und diskriminierungsfreies Internet und viele andere Themen.

Aus aktuellem Anlass wurde am Ende der Konferenz eine Diskussionsrunde über die Datenpanne bei Wikileaks angesetzt. Auch dort wurde lebhaft über die Perspektive eines Projekts diskutiert, das vor einigen Monaten noch hochgelobt worden war. Mit Wikileaks wurde der Beginn einer neuen Epoche der Transparenz verbunden. Viele sind der Meinung, dass die aktuelle Affäre dem Projekt Wikileaks schade. Für die Bloggerin Anne Roth hat sich der Wikileaks-Gründer übernommen. Allerdings sind viele Diskutanten zuversichtlich, dass das von Wikileaks hochgehaltene Prinzip künftig von anderen dezentralen Projekten weitergeführt wird.

Die Debatten auf der Konferenz gingen einher mit der Gründung einer »Arbeitsgemeinschaft Netzpolitik« innerhalb der LINKEN, die sich künftig verstärkt der Gestaltung der digitalen Gesellschaft widmen will.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/205999.schnelles-internet-fuer-alle.html

Peter Nowak

Öffentliches Interesse

E-MAIL-Verkehr: »taz« gewinnt Rechtstreit

Die »taz« darf weiterhin gegen den Willen eines Burschenschaftlers relevante Auszüge aus dessen E-Mail-Verkehr veröffentlichen. Das entschied das Landgericht Braunschweig Mitte letzter Woche in erster Rudolf Sch., der als Alter Herr weiterhin mit der ultrarechten Burschenschaft  “Karlsruher Burschenschaft Tuiskonia” verbunden ist, wollte  der Zeitung per Einstweiliger Verfügung verbieten lassen, aus seinen Emails zu zitieren.  Er sehe sich durch die Veröffentlichung  in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, argumentierte er. Zumal  in den Mails deutlich gemacht wurden, dass sie  nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sind.
Bei dem Schriftwechsel ging es nicht um persönliche Dinge, sondern um eminent politische Fragen. Mehrere Burschenschafter vom rechten Flügel, darunter der Kläger,  beraten dort über Möglichkeiten,  im Dachverband „Deutsche Burschenschaften“ die Macht an sich reißen  und den in ihren Augen  zu liberalen Vorstand zu vermachten.  Dabei wird auch nicht vor eindeutigen politischen    Aussagen gespart:
„Durch die von den Siegermächten eingesetzten Medien-Macher (….) und durch den von den 68ern erfolgten Umdeutungsversuch aller traditionellen Werte soll gerade beim deutschen Volk erreicht werden, dass es statt natürlichem Stolz und nationalbewusstsein (…) Schuld- und Scham-Gefühle entwickelt.
„Gerade der exklusive Verschwörungsgehalt, mit dem bewusst eine Übernahme des Verbands durch rechte Gruppen geplant wurde, unterstreicht die Relevanz“, rechtfertigt die taz  die Veröffentlichung der Mailinhalte gegen den Willen der Verfasser.
Das Landgericht Braunschweig  folgte nach einer mündlichen Verhandlung dieser Auffassung. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, über den Vorgang  zu berichten. Weil der Kläger hinreichend anonymisiert wurde,  sei er  nicht in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, weil der Schreiber der Mails weitere juristische Schritte einleiten kann. Hat sie auch in den höheren Instanzen bestand, kann sie nach Meinung von Juristen auch Auswirkungen auf ähnliche Fälle bei anderen Medien haben.
Mittlerweile hat der Mann auch Probleme mit seinen Arbeitgeber. Die Volkswagen-AG hat ihm verboten, solche Mails künftig weiterhin mit dem Account des Unternehmens zu versenden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205877.oeffentliches-interesse.html

Peter Nowak

Stadtteilblog sucht nach Personal und Perspektive

Neuköllner Internetauftritt feiert 500. Ausgabe. Die Zukunft ist aber alles andere als gesichert

Egal, ob es sich um Streetart oder einen politischen Protest handelte, das Neuköllner Internetmagazin „Das gemeine Wesen“ (das-gemeine-wesen.blog.de) war in der Berichterstattung oft schneller als die Printmedien. Vor einigen Wochen feierte es ein rundes Jubiläum: „Seit November 2009 haben wir versucht, Euch jeden Tag mit Neuigkeiten über Neukölln – manchmal auch von jenseits des Tellerrandes – zu versorgen“, kommentierten die StadtteilbloggerInnen ihre 500. Ausgabe.

Doch zurzeit wird die Internetzeitung nur sporadisch aktualisiert. Dafür hat die Perspektivdebatte begonnen. „Der Blog beruht auf reiner Selbstausbeutung. Alle Beteiligten arbeiten unentgeltlich und bringen im Zweifelsfall sogar noch Geld mit“, beschreibt Peter Brunnett die Misere.

Der Neuköllner hat den Blog vor gut anderthalb Jahren mit sechs MitstreiterInnen gegründet. „Mir ging es um ein Stadtmagazin, das strittige politische und kulturelle Themen im Kiez aufgreift und nicht um die Schaffung eines Werbeumfeldes“, beschreibt seine anfänglichen Vorstellungen. „Das Gemeine Wesen“ hat in den letzten Monaten auch die BezirkspolitikerInnen nicht geschont. So sorgte eine im März 2011 auf dem Blog veröffentlichte Exklusivrecherche über den Konflikt zwischen der Task Force Okerstraße im Schillerkiez und deren damaligem sozialarbeiterischen Arm Integra e. V. für Wirbel und Debatten in der BVV. Dort zitierten PolitikerInnen aus dem Blog-Bericht.

Dadurch wurde „Das gemeine Wesen“ auch von politischen AktivistInnen aus Neukölln zunehmend geschätzt. In den Randnotizen, einer sporadisch erscheinenden linken Stadtteilzeitung, wurde der Blog als Lesetipp empfohlen. Weil dort über die drohende Schließung von Jugendeinrichtungen ebenso berichtet werde wie über die neuesten Entwicklungen in Sachen Bürgerarbeit und die Umstrukturierung des Bezirks, habe das Internetmagazin einen hohen Gebrauchswert für sie, meinte die Aktivistin einer Neuköllner Erwerbslosengruppe, die in der Vergangenheit auch mal einen Beitrag auf dem Blog veröffentlichte. Für eine ständige Mitarbeit fehle ihr aber die Zeit.

Das Problem ist Redaktionsleiter Peter Brunnett schon seit langem bekannt. Mit einer Handvoll fester Freiwilliger könne das Magazin weiter ausgebaut werden, betont er. Bisher bleibe die gesamte Redaktionsarbeit an sehr wenigen Mitarbeitern hängen. Für das Werben von Spenden und AnzeigenkundInnen bleibe dann aber keine Zeit mehr.

Brunnett will mit dem Blog die „virtuelle Kleingärtnerei der Projekte“ überwinden. Das ist allerdings nicht so einfach: Auch in der virtuellen Welt baue fast jedes Projekt eine eigene Internetpräsenz auf. Dabei wäre eine Kooperation nicht nur zeitsparend, sondern würde auch die Sichtbarkeit und damit die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erhöhen. Fünf der sieben BloggründerInnen haben die Mitarbeit mittlerweile aus unterschiedlichen Gründen eingestellt oder mindestens reduziert; einige aus Zeitmangel wegen beruflicher Verpflichtungen, eine Mitbegründerin bemängelte gar die journalistische Professionalität des Blogs.

Jetzt versucht Brunnett einen neuen Anlauf, um die dünne Personaldecke zu erweitern, vor Ort im Richardkiez. Am 15. August will er ab 19 Uhr auf einer öffentlichen Redaktionssitzung im Eltern-Kind-Café Purzelbaum in der Schudomastraße 50 über die Perspektive des Stadtteilblogs beratschlagen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F08%2F10%2Fa0132&cHash=f630804848

Peter Nowak