Vor 20 Jahren, am 1. Januar 2005, trat Hartz IV in Kraft und sollte die Sozialsysteme und die Wirtschaft in Deutschland nachhaltig verändern. Dabei war die nach dem damaligen VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz benannte Maßnahme weit mehr als eine …
„Vor 20 Jahren: Als Hartz IV Deutschland grundlegend veränderte – und wie es nachhallt“ weiterlesenSchlagwort: Bertelsmann-Stiftung
Ist die Demokratie in der Corona-Krise nur in Ungarn und Polen bedroht?
„Verteidigt die Demokratie in der Coronakrise“, fordert eine Online-Petition, die von linken, sozialdemokratischen, grünen und liberalen Politikern des EU-Parlaments initiiert wurde. Dort wird moniert, dass die ungarische Regierung ….
„Ist die Demokratie in der Corona-Krise nur in Ungarn und Polen bedroht?“ weiterlesenWie die Kommunen finanziell ausgeblutet werden
Die neoliberale Bertelsmann Stiftung warnt vor Schuldennotstand der Kommunen und schlägt eine Schuldenbremse vor
„Finanzlage der Kommunen spitzt sich zu“, lautet die Überschrift einer Pressemitteilung [1], mit der die Bertelsmann Stiftung [2] ihren Finanzreport 2013 [3] ankündigte, der am 20. August veröffentlicht wurde. Der alarmistische Ton bestimmte auch die Berichterstattung über diesen Report.
„Die Spaltung in reiche und arme Kommunen vertieft sich. Viele Städte scheinen in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen“, erklärt die Kommunalexpertin der Stiftung Kirsten Witte. Dabei handelt es sich nicht um eine Ost-West-Spaltung, wird im Report betont. Es gibt auf dem Territorium der ehemaligen DDR einige finanzstarke Städte, dagegen gibt es stark verschuldete Kommunen im Ruhrgebiet und in der Pfalz. Der Kämmerer von Oberhausen [4] wurde als Schuldenmeister durch die Medien gereicht. Dieser Befund dürfte denen recht geben, die den Solidaritätszuschlag Ost für überholt halten.
Bankenkredite für Finanzkrise verantwortlich
Von 2007 bis 2011 ist die Gesamtverschuldung der Städte und Gemeinden nach dem Finanzreport von 111 auf 130 Milliarden Euro gestiegen. Dafür sind überwiegend höhere Kassenkredite verantwortlich. Diesen Krediten stünden keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber, lautet das Fazit des Reports. 2007 machten die Kassenkredite mit 29 Milliarden Euro ein Viertel der kommunalen Gesamtschulden aus. Bis Ende 2011 sind die Kassenkredite um über die Hälfte auf 44 Milliarden Euro angestiegen, was knapp 34 Prozent der Gesamtverschuldung bedeutet.
Kassenkredite gelten als Kern der kommunalen Finanzkrise, weil sie ausschließlich der Liquiditätssicherung dienen. Sie wurden zum Symbol der zunehmenden Handlungsunfähigkeit der Städte und Gemeinden, da mit steigenden Kassenkrediten auch der Raum für Investitionskredite und damit Bau und Instandhaltung von Straßen, Schulgebäuden und sonstiger städtischer Infrastruktur enger wird. Damit wird die Lebensqualität vor allem der einkommensschwachen Bewohner dieser Städte massiv gemindert. Schulen und Bibliotheken müssen schließen, auch viele andere Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, auf die vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen angewiesen sind, sind nur noch eingeschränkt oder gar nicht funktionsfähig.
Doch diese Probleme sind für die Bertelsmann Stiftung kein Thema. Ihr Rezept würde vielmehr die kommunale Infrastruktur noch mehr einschränken. Sie schlägt nämlich vor, ähnlich wie für die Landeshaushalte auch für Kommunen eine Schuldenbremse zu erlassen. Dabei haben Kritiker der Schuldenbremse [5] wiederholt darauf hingewiesen, dass die Schuldenbremse in den Landeshaushalten für Einschnitte in der Infrastruktur sorgt.
Nun will die Bertelsmann Stiftung genau dieses wirtschaftsliberale Instrumentarium auf die Kommunen ausdehnen. Kein Gedanke findet sich bei der wirtschaftsliberalen Stiftung, ob nicht die eigenen Wirtschaftsrezepte zu der nun beklagten Situation beigetragen haben, dass sich manche Kommunen im Würgegriff der Banken befinden. Natürlich ist von der Bertelsmann Stiftung auch nicht zu erwarten, dass sie etwa einfach eine Schuldenstreichung in die Debatte wirft.
Eine alternative Erklärung der kommunalen Finanzprobleme
Das wäre die Aufgabe einer sozialen Bewegung, die aber in Deutschland besonders schwach ist. Dabei wäre sicher großen Teilen der Bevölkerung der Gedanke nahezubringen, dass nicht sie mit einer immer weiteren Reduzierung der sozialen Infrastruktur rechnen müssen, sondern die Banken, die den Kommunen die Kredite mit allen Mitteln geradezu aufgenötigt haben, zahlen sollen. Zu den wenigen sozialen Initiativen, die sich Gedanken über die Finanzsituation der Kommunen machen, gehört die AG Kommunen [6] bei Attac.
Sie sieht in der Unterfinanzierung und Verschuldung vor allem eine Folge des Einbruch bei der Gewerbesteuer infolge der Wirtschaftskrise, der Abwälzung von immer mehr Aufgaben vom Bund auf die Kommunen und die Folgen der Steuerreformen zu Gunsten der Vermögenden und der Unternehmen und die seit zwei Jahrzehnten anhaltende Umverteilung von unten nach oben [7]. Diese alternative Lesart der kommunalen Finanzen hat es allerdings schwerer, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden als die Erklärungs- und Lösungsansätze der Bertelsmann Stiftung.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154808
Peter Nowak 21.08.2013
Links
[1]
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-8E5E29BE-1E5FFAA4/bst/hs.xsl/nachrichten_117698.frhtm
[2]
http://www.bertelsmann-stiftung.de
[3]
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-8E5E29BE-1E5FFAA4/bst/xcms_bst_dms_38670_38671_2.pdf
[4]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2222487/
[5]
http://www.gerecht-geht-anders-hessen.de/
[6]
http://www.attac.de/aktuell/kommunen/unterlagen/
[7]
http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/Kommunen/Basispapier%20Einnahmen%20und%20Ausgaben%20der%20Kommunen.pdf
Arm durch hohe Mieten
Laut einer von der Bertelsmann Stiftung am 22. Juli vorgestellten Studie geraten immer mehr einkommensschwache Menschen durch hohe Mieten unter das Hartz IV-Niveau.
Untersucht wurde ihre Einkommenssituation in 100 deutschen Großstädten. In 60 der 100 größten Städte in Deutschland haben Familien nach Abzug der Miete im Schnitt weniger Geld zur Verfügung als den Hartz-IV-Regelsatz von 1169 Euro im Monat, schreibt die Bertelsmann Stiftung in einer Pressemitteilung, in der die Ergebnisse der Studie zusammengefasst sind. Ausgangspunkt ist eine vierköpfige Familie mit weniger als 60 Prozent des regionalen Durchschnittseinkommens, mit einem Kind im Alter von bis zu sieben Jahre sowie einen Kind zwischen sieben und 14 Jahren
In der Studie wird das nationale Gefälle bei der Mietpreisentwicklung deutlich. So bleiben einer solchen Modellfamilie in Jena laut Studie nach dem Abzug der der Miete rechnerisch 666 Euro im Monat. Damit liege ihr verfügbares Einkommen 43 Prozent unter dem Niveau der Grundsicherung. Eine Familie mit ähnlicher sozialer Zusammensetzung käme hingegen in Heilbronn mit einem entspannteren Wohnungsmarkt und relativ hohen Durchschnittseinkommen auf 1941 Euro im Monat. Damit lägen sie 66 Prozent über dem Grundsicherungsniveau. In Berlin beträgt der Anteil der Miete am Gesamteinkommen einkommensarmer Familien 30 %. Das verfügbare Restbudget dieser Familie liegt demnach 3 % unter dem Hartz IV-Regelsatz.
Die für die Studie verantwortlichen Wissenschaftler machen die für Mieter nicht überraschende Feststellung, dass der Wohnraum „zum teuersten Kulturgut“ geworden ist. Der Zusammenhang zwischen der mangelnden Verfügbarkeit von preiswerten Wohnraum und der Mietbelastung für einkommensarme Familie wird gut herausgestellt. Je geringer diese Zahl in einer Region ist, desto mehr der Betroffenen rutschen in den Armutssektor ab. „Durch die hohen Mietkosten verfügt eine arme Familie in Frankfurt am Main über 37 Prozent weniger Mittel als Familien mit SGB-II-Bezug“, heißt es dort. Bei der Anteil der Wohnquartiere, in denen Wohnungen für einkommensschwache Familien angeboten werden, liegt Berlin im unteren Drittel. Auch bei der Durchschnittsentfernung der Wohnungen mit geringen Mieten vom Stadtmittelpunkt liegt Berlin mit 8 km im Mittelfeld. Spitzenreiter ist in diesem Bereich München, wo diese Wohnungen bis zu 40 km von der City entfernt liegen.
Im Fazit betonen die Autoren der Studie, die Einflussmöglichkeiten der Kommunen um die Situation von einkommensschwachen Familien auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern. Lösungsmöglichkeiten jenseits des Marktes und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus sind von der Bertelsmann Stiftung nicht zu erwarten. Allerdings bieten die Ergebnisse der Studie durchaus Anknüpfungspunkte für diese Forderungen. Die Studie macht deutlich, dass selbst wirtschaftsliberale Institute die Konsequenzen einer Politik, bei der Privatisierung und Profit die Leitlinien sind, nicht mehr übersehen können.
Peter Nowak
Die Studie kann unter www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-8696679E-344F9B0F/bst/xcms_bst_dms_38453_38454_2.pdf abgerufen werden.
aus: MieterEcho online 23.07.213
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/bertelsmann-studie.html
Privileg des Bürgertums
Rolltreppe nach unten. Mit dieser Metapher wurde in vielen Medien das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Durchlässigkeit der 16 Schulsysteme zusammengefasst. Die Ergebnisse der am Dienstag dieser Woche vorgestellten Studie sind nicht wirklich überraschend. In Deutschland gibt es zwischen den einzelnen Schulformen weit mehr Ab- als Aufsteiger. Etwa 50 000 Schüler der Klassen fünf bis zehn sind im Schuljahr 2010/11 auf ein niedrigeres Niveau wie Real- oder Hauptschule herabgestuft worden. Nur rund 23 000 schafften es nach oben. Welch wichtige Rolle die soziale Herkunft der Kinder dabei spielt, machte bereits eine Studie der Bertelsmann-Stiftung vom März dieses Jahres deutlich. Danach haben Kinder einkommensschwacher Eltern deutlich geringere Chancen, nach der Grundschule ein Gymnasium zu besuchen als Kinder von Akademikern – bei gleicher Intelligenz.
Um diese soziale Spaltung im Bildungsbereich zu minimieren, haben progressive Bildungspolitiker aber auch die GEW in den 1970er Jahren die Gesamtschule als Alternative zum gegliederten Bildungssystem in die Diskussion gebracht. Solche Reformansätze wurden von einem Bürgertum bekämpft, das ihr Bildungsprivileg bis heute verteidigt, wie das Referendum über die Primärschule in Hamburg 2010 deutlich zeigte. Wenn die Bertelsmann-Stiftung nun die individuelle Förderung als Mittel für bessere Bildungschancen in die Diskussion bringt, bleibt sie ihrer wirtschaftsliberalen Agenda treu und stärkt das Bildungsprivileg des Bürgertums. Denn das kann sich Nachhilfeunterricht und individuelle Betreuung für ihre Kinder leisten. Entsprechende Angebote tauchen gleich neben den Onlineartikeln über die Ergebnisse der neuen Studie auf.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/802975.privileg-des-buergertums.html
Peter Nowak
Stolz auf die Reform der Bertelsmann-Stiftung
Zum 10. Jubiläum der Präsentation der Hartz IV-Reform wird kaum diskutiert, dass damit auch die Grundlagen der Krise der Eurozone begann
Länger hat man von dem SPD-Politiker Franz Müntefering nichts mehr gehört. Aber rechtzeitig zum 10. Jubiläum der Hartz IV-Reformen meldete er sich zurück. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau bekannte er kurz und bündig:
„Ich zumindest bin stolz darauf.“ Wie zahlreiche andere Politiker von FDP, Union, und SPD sang er das hohe Lied auf die Hartz IV-Reformen, die angeblich die Arbeitslosigkeit beseitigt haben.
„2002 war der Arbeitsmarkt in einem schlechten Zustand. Die Arbeitslosigkeit war viel höher, als die offiziellen Statistiken sagten. Arbeitsämter waren – anders als heute – Behörden, die Arbeitslose verwalteten. Von dort gab es keine Impulse. Deswegen haben wir genau zugehört, als die Ideen von Hartz kamen. Wir haben sie praktikabel gemacht und in vier Reformschritten umgesetzt“, so Müntefering.
Ideen von der Bertelsmannstiftung
Nun kam die Journalistin nicht auf die Idee, genauer nachzufragen, wer denn die Ideen ausgearbeitet hat, die angeblich von Peter Hartz kamen. Hätte sie selber etwas recherchiert, wäre sie schnell auf die von den von der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Bertelsmann Stiftung initiierten Arbeitskreis Sozialhilfe/Arbeitslosenhilfe als die eigentliche Ideengeberin der Hartz IV-Reformen gestoßen.
Unter der Überschrift „Reformmodelle in Deutschland“ listet die Bertelsmann Stiftung neben der Gemeindefinanzierung in Deutschland die Hartz IV-Reform auf. Im Bericht der Stiftung heißt es in nüchterner Technokratensprache:
„Die Arbeitsgruppe Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe richtete ihren Fokus auf die effizientere Gestaltung der steuerfinanzierten Transfersysteme für Erwerbstätige. Vorrangiges Ziel war es, die öffentlichen Haushalte durch eine schnellere und passgenauere Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu entlasten… Die Bundesregierung folgte in ihrem Gesetzesvorhaben dem Vorschlag der Arbeitsgruppe.“
Der Bericht hat den Vorteil, dass er ohne allzu viele rhetorische Schnörkel auf den Punkt brachte, welchen Zweck die Hartz IV-Reform hatte und wie sie konzipiert wurde. Es ging um die Kostensenkungen sowohl bei den kommunalen Haushalten als auch um die Senkung der Kosten der Ware Arbeitskraft insgesamt. Es bleibt dann Politikern wie dem Ex-Kanzler Gerhard Schröder vorbehalten, daraus dann die Aussage zu formulieren: „Hartz IV ist ein Gewinn für die Gesellschaft.“
Natürlich wird dann sowohl von Müntefering als auch von Schröder eingeräumt, dass es dabei auch einige Schattenseiten gebe, die aber könnten an dem insgesamt positiven Eindruck der Hartz IV-Reformen nicht trüben. Von den Erwerbslosengruppen gab es wenige Reaktionen auf das Hartz IV-Jubiläum. Schließlich stehen sie in den alltäglichen Auseinandersetzungen gegen die verschiedenen Formen der Sanktionierung, gegen das Prinzip, Erwerbsarbeit um jeden Preis annehmen zu müssen und sei es auch ein unbezahltes Praktikum, dass sie solche Jubiläum nicht unbedingt zu Mobilisierungszwecken benötigen.
Von den politischen Parteien hat lediglich die Linke die Hartz IV-Reform ein Verarmungsprogramm genannt und eine Totalreform gefordert. Nur fehlen zur Zeit die sozialen Bewegungen, die eine solche Forderung durchsetzen können. Ein Grund besteht darin, dass ein Teil der Lohnabhängigen in Krisenzeiten eher auf den heimischen Standort als auf transnationale Solidarität setzt. Dabei hat die Hartz IV-Reform eine internationale Dimension auch zum Jubiläum kaum angesprochen.
Man könnte auch davon sprechen, dass vor 10 Jahren die Grundlage für die Krise der Eurozone gelegt wurde. Durch die Hartz IV-Reform wurde der Lohn der Ware Arbeitskraft so verbilligt, dass die deutsche Wirtschaft gegen die Ökonomien anderer Länder leichter konkurrieren kann. Das wesentlich von Deutschland gestützte Sparprogramm für die Eurozone soll im Grunde das Prinzip hinter Hartz IV auf die gesamte Eurozone übertragen werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152600
Peter Nowak