Monat: Dezember 2013
Eingeschränkte Solidarität
Ver.di hat in Hamburg 300 Flüchtlinge aufgenommen – nun gibt es Ärger in der Organisation
»Um uns selbst zu verteidigen und unsere Rechte zu erlangen müssen wir kämpfen. In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt.«
Das schrieb eine Gruppe libyscher Flüchtlinge, die sich »Lampedusa in Hamburg« nennt und für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der Hansestadt kämpft, Anfang Juli an die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Den etwa 300 Migranten war vom Fachbereich »Besondere Dienstleistungen« bei ver.di Hamburg die Gewerkschaftsmitgliedschaft angeboten worden, was sie gerne annahmen. Seitdem treten sie auf Kundgebungen und Demos auch mit ver.di-Fahnen auf.
»Wir heißen die Flüchtlinge willkommen und wollen die Beschäftigten in Hamburg mit den neuen Mitgliedern aus Libyen in einen Dialog bringen, um die Forderungen der Flüchtlinge auf eine breitere Basis zu stellen«, erklärte der Fachbereichsleiter »Besondere Dienstleistungen«, Peter Bremme, den Neumitgliedern. Bremme möchte gegenüber »nd« dazu nicht mehr Stellung nehmen. Denn statt für den erhofften Dialog mit den Gewerkschaftsmitgliedern sorgte die Aufnahme zunächst für Zoff mit dem Gewerkschaftsapparat. Bremme wurde vom ver.di-Vorstand mit der Begründung abgemahnt, er habe er eigenmächtig gehandelt.
Das Ressort Organisation beim ver.di-Bundesvorstand stellte in einem Gutachten fest, dass die Aufnahme der Flüchtlinge der ver.di-Satzung widerspricht. Die Flüchtlinge stünden weder in einem Beschäftigtenverhältnis, noch seien sie Erwerbslose, die ver.di-Mitglieder werden können. Eine Satzungsänderung könne nur gemeinsam mit den Einzelgewerkschaften des DGB erfolgen, heißt es in dem Gutachten.
Für die Aufgenommenen hat das keine Konsequenzen. »Die Neumitglieder sind nach wie vor bei ver.di Mitglied. Es ist auch nicht beabsichtigt dies zu ändern«, betont Dieter Raabe vom ver.di-Fachbereich Organisation gegenüber »nd«. Ver.di setze sich politisch für die Rechte von Migranten, Flüchtlingen, Menschen ohne Papiere und Asylbewerbern ein. »Dieses politische Engagement werden wir auf allen Ebenen fortsetzen, gerne auch weiterhin mit dem AK Undokumentierte Arbeit.« Dort beraten Gewerkschaftsmitglieder Beschäftigte auch ohne gültige Dokumente über ihre Rechte als Lohnabhängige.
Projekte wie die Anlaufstellen für undokumentiert Arbeitende hätten einen »wichtigen Impuls in die Gewerkschaftsbewegung gegeben und konkret gezeigt, dass Arbeitende ohne Arbeitserlaubnis sehr wohl an gewerkschaftlicher Zusammenarbeit interessiert sind und Arbeitskämpfe mit ihnen erfolgreich geführt werden können,« heißt es nun in einen offenen Brief an den Verdi-Bundesvorstand. Er fordert eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus. »Migrationskontrolle ist nicht unser Geschäft«, lautet die Überschrift.
Zu den Erstunterzeichnern dieses Schreibens gehören Mitglieder des AK Undokumentiertes Arbeiten, darunter Michal Kip. Gegenüber »nd« bezeichnet er die Aufnahme der Flüchtlinge als einen mutigen Schritt, die Gewerkschaft an ein Thema heranzuführen, dem bislang innerhalb der Organisation zu wenig Beachtung geschenkt worden sei. »An diesem Beitritt zeigt sich beispielhaft ein Verständnis von Gewerkschaftssolidarität, das von den unterschiedlichen Lebenslagen der Mitglieder ausgeht und einen Ausgleich schaffen will«, betont Kip.
Mittlerweile wurde der Brief von mehr als 500 ver.di-Mitgliedern unterschrieben, darunter Ehren- und Hauptamtliche aus den verschiedensten Fachbereichen. Noch bis zum kommenden Montag kann der Brief unterzeichnet werden. Die Debatte in der Gewerkschaft dürfte damit aber nicht beendet sein.
Der Brief kann bei ak.verdi@gmail.com bestellt und unterzeichnet werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/918085.eingeschraenkte-solidaritaet.html
Peter Nowak
Recht ist, was den Waffen nutzt
Das Urteil des Bonner Landgerichts im Fall von Kunduz ist für die Angehörigen der Toten eine Niederlage. Allerdings wird so auch der Mythos vom zivilisierten Krieg infrage gestellt
Am 11. Dezember wurde eine mittellose Rentnerin ins Gefängnis gebracht, weil sie häufiger ohne Ticket den öffentlichen Nahverkehr benutzt hat. Sie wurde mit Haftbefehl gesucht, weil sie zum Prozess vor dem Bonner Landgericht nicht erschienen war. Die Zeit bis zu einem neuen Prozess soll die Seniorin nun in Untersuchungshaft verbringen. Solche Verfahren sind Alltag in Deutschland.
Weniger alltäglich hingegen war das Verfahren gegen Oberst Klein, der im afghanischen Kunduz in Einsatz war. Am 4. September 2009 starben mindestens 140 Menschen, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche, als Klein den Befehl für einen Luftangriff auf zwei von Islamisten entführte Tanklastzüge gab. Zum Zeitpunkt des Angriffs hatten sich viele Bewohner der umliegenden Dörfer um die Fahrzeuge versammelt, um Benzin abzuzapfen. Auf Initiative der Rechtsanwälte Karim Popal und Peter Derleder hatten Angehöriger der Umgekommenen im Rahmen eines Zivilverfahrens Schadenersatz von der Bundesregierung gefordert.
Das Bundesministerium für Verteidigung hatte eine außergerichtliche Einigung abgelehnt und die Klage für unzulässig erklärt. Das Landgericht Bonn stärkte deren Position und wies am 11. Dezember die Klage ab. Oberst Klein sei kein Verstoß gegen die Amtspflichten vorzuwerfen, entschied das Gericht. Er habe mehrmals nachgefragt, ob keine Zivilisten vor Ort sind, bevor er den Angriff befohlen habe, so das Gericht. Es gab allerdings damals auch andere Versionen, nach denen Klein Warnungen ignoriert habe, dass auch Zivilisten gefährdet sein könnten. Das Gericht versuchte gar nicht erst, mögliche Widersprüche aufzuspüren. Oberst Klein wurde vor Gericht nicht einmal vernommen.
Niederlage für das Völkerrecht?
Heftige Kritik an der Entscheidung übte das Komitee für Grundrechte:
„Das Gericht hatte mit einer konkreten Beweisaufnahme zunächst Hoffnungen geweckt, dass das Völkerrecht zur Geltung kommen könnte. Eine vom Gericht vorgeschlagene Einigung zwischen Klägern und der beklagten Bundesregierung hatten die Regierungsvertreter abgelehnt mit dem Ziel, ‚Rechtsklarheit‘ herzustellen. Nun hat die Regierung ihr Recht nach dem Motto ‚Recht ist, was den Waffen nützt‘.“ (Helmut Kramer/Wolfram Wette)
Das Komitee erinnerte auch daran, dass sich das Urteil in die Geschichte anderer Entscheidungen einreiht, die immer dem Militär juristische Absolution erteilen. So war es im Fall von Distomo, einer griechischen Kleinstadt, in dem die SS ein Massaker anrichtete. Alle Versuche der Angehörigen, wenigstens eine Entschädigung zu bekommen, waren bisher vergeblich.
Auch die Angehörigen der Opfer von Varvarin in Serbien, die starben als am 30. Mai 1999 Natoflugzeuge die Brücke des Ortes bombardierten, blieben mit ihren Klagen erfolglos. Für die Opfer sind diese Entscheidungen ein schwerer Rückschlag. Ob man allerdings gleich von einer Niederlage des Völkerrechts reden kann, wie das Komitee für Grundrechte, ist doch fraglich. Schließlich dürfte ein völkerrechtlich gezähmter Krieg eine Illusion sein. Das könnte die politischen Kräfte bestärken, die Kriege generell ablehnen.
El Masri erneut zu Haftstrafe verurteilt
Zufälligerweise wurde ebenfalls am vergangenen Mittwoch Khaled El Masri zu einer Haftstrafe von sieben Monaten wegen Beleidigung, Bedrohung und Körperverletzung von Vollzugsbeamten verurteilt.
Der Deutsch-Libanese hatte vor Jahren Schlagzeilen gemacht, weil er bei einen Urlaub von der CIA nach Afghanistan entführt und im Rahmen des Krieges gegen den Terror mehrere Monate in illegalen Gefängnissen festgehalten worden. Er wurde freigelassen, nachdem sich rausstellte, dass er verwechselt wurde.
Er hat also den Krieg gegen den Terror überlebt, fand sich aber danach im Leben nicht mehr zurecht. Er kam mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt und wurde immer wieder verurteilt. Prozessbeobachter sprachen von einem psychisch gebrochenen Mann, der mit dem Leben abgeschlossen hat. Er ist ein Opfer des Kriegs gegen den Krieg gegen Terror, der vom Gericht nicht freigesprochen wurde.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155482
Peter Nowak
Links
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Jobcenter-Mitarbeiter gegen Befragung
Personalräte befürchten Stellenabbau
Eine Erhebung soll demnächst die Personalausstattung in den Jobcentern flächendeckend erfassen. Doch die Mitarbeiter wehren sich.
Noch bis Donnerstag treffen sich in Berlin die Personalräte der Jobcenter aus ganz Deutschland. Dort wird auch darüber diskutiert, wie die Mitarbeiter der Leistungsabteilung mit einer demnächst anstehenden Befragung zur Personalbemessung umgehen sollen. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegebene Projekt soll Hilfestellung bei der Personalbemessung in den Leistungsabteilungen der Jobcenter geben. „Der entscheidende Grund für die flächendeckende Erhebung von Daten in allen gemeinsamen Einrichtungen sind deren verschiedene organisatorische und sozioökonomische Rahmenbedingungen, die die notwendige Personalkapazität beeinflussen“, heißt es auf der Homepage des Projekts. Dort wird auch betont, wie wichtig es ist, dass alle Jobcenter-Mitarbeiter sich an der Befragung beteiligen, damit eine Arbeit mit den Daten, die Ende 2014 zur Verfügung stellen sollen, möglich ist. Es sollen empirisch belastbare Resultate mit einem hohen Akzeptanzwert erzielt werden“, heißt es in einer Beschreibung des Projekts.
Doch genau diese Akzeptanz scheint bei den Mitarbeitern der Jobcentern, die befragt werden sollen, noch längst nicht gesichert. Im Gegenteil. „Am Anfang war die Euphorie groß. Mittlerweile wird die Befragung kritischer gesehen“, erklärte der Personalratsvorsitzende eines Jobcenters gegenüber nd, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die Kritik entzündet sich vor allem an der Beraterfirma Steria Mummert Consulting, die vom BMAS mit der Befragung beauftragt worden ist. So stellen die kritischen Personalräte die Frage, ob man in ein Unternehmen Vertrauen haben kann, dass mit Rüstungsfirmen kooperiert und zu den Anbietern von „Human Capital Management Solutions“ gehört, mit dem der europäische Schengenraum vor Flüchtlingen gesichert werden soll. Die zentrale Kritik der Personalräte bezieht sich allerdings auf die Funktion der Steria Mummert Consulting beim Abbau von Arbeitsplätzen bei Befragungsprojekten in der Vergangenheit. Sie verweisen dabei auf eine heftige Kritik des ver.di Bezirks Berlin-Brandenburg an einer von der Firma zu verantworteten Befragung zur Personalausstattung der Berliner Jugendämter im Jahr 2009. Sie habe zum Ökonomisierung der Arbeitsabläufe und zum Ablauf von Personal geführt, lautet die Kritik der Gewerkschaft.
In einem Brief an den ver.di-Bundesvorstand mahnen die Personalräte von der Gewerkschaft eine Positionierung zur Frage der Personalbemessung in den Jobcentern und dem beauftragten Unternehmen an. „Für den Fall, dass die Bundesregierung und das BMAS von den beauftragten Unternehmen nicht Abstand nehmen wird bzw. es vertraglich nicht kann, ist ver.di – ähnlich wie im Bezirk Berlin-Brandenburg – bereit, die Ergebnisse der Untersuchung kritisch durch ein zu beauftragendes alternatives Unternehmen zu begleiten?“ lautet eine der Fragen. Bisher haben die Personalräte vom ver.di-Bundesvorstand keine Antwort erhalten. „Auf dem Treffen der Personalräte wird auch die Gewerkschaft unseren Fragen nicht mehr ausweichen können,“ gibt ich einer der Kritiker überzeugt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/917705.jobcenter-mitarbeiter-gegen-befragung.html
Peter Nowak
Archiv des Mieterwiderstandes
Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« geht zu Ende
Die Mieterbewegung machte in den letzten Monaten mit Demonstrationen und Protesten gegen Zwangsräumungen Schlagzeilen. Neben diesen öffentlichkeitswirksamen Aktionen bot die Berliner Mietergemeinschaft in ihrer Neuköllner Beratungsstelle unter dem Titel »Wohnen in der Krise« jeden Monat ein Informations- und Bildungsprogramm an.
»Wir wollen mit diesen Veranstaltungen ein umfangreiches Wissen über die Auswirkungen des Neoliberalismus auf das Wohnen in unseren Nachbarländern zusammentragen, am Aufbau einer europäischen Wohnungspolitik von unten mitwirken sowie Verbindungen für weitere Kooperationen aufbauen«, erklärt Matthias Coers, der an der Vorbereitung von »Wohnen in der Krise« beteiligt war. Dazu wurden in den letzten Monaten Mieteraktivisten aus Großbritannien, Polen, Frankreich, Spanien, Russland, Griechenland, Holland und den USA eingeladen. Für jeden Vortrag wählte die Gruppe Videos aus, die die Situation der Mieter sowie ihren Widerstand in dem jeweiligen Land dokumentierten.
Alle Vorträge wurden aufgenommen und ins Netz gestellt. Auch teilweise seltene Videos über den Mieterwiderstand in den einzelnen Ländern kann man dort runterladen. Auf dem Youtube-Kanal www.youtube.com/user/WohneninderKrise ist so mittlerweile ein kleines Archiv des internationalen Mieterwiderstands entstanden, auf das vor allem rund um den 19. Oktober 2013 viele Aktivisten zurückgegriffen haben. An diesem Tag fanden in mehreren europäischen Ländern Proteste unter dem Motto »Wohnungen für Menschen, nicht für Profite« statt. In Berlin wurde von wohnungslosen Menschen aus Osteuropa für einige Stunden ein Haus besetzt.
Auch für die Zukunft haben die Aktivisten große Pläne. Eine europäische Webseite des Mieterwiderstands soll online gehen, die von den Initiativen der jeweiligen Länder betreut und aktualisiert wird. In der Gruppe wird auch überlegt, wie die Veranstaltungsreihe im nächsten Jahr fortgesetzt werden kann. Schließlich war sie gut besucht, bei einigen Vorträgen war der Raum sogar überfüllt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/917845.archiv-des-mieterwiderstandes.html
Peter Nowak
Waren die Trümmerfrauen Nazi-Männer?
In München sorgt die Verhüllung für einen rechten Shitstorm und erinnert an den rechten Protest gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht
Seit dem Sommer steht das Denkmal auf dem Marstallplatz im Zentrum Münchens. Es trägt eine Widmung: „Den Trümmerfrauen und der Aufbaugeneration“ mit „Dank und Anerkennung“. Damit sollten die Männer und Frauen geehrt werden, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs den Schutt von den kriegszerstörten Straßen räumte. Schon vor der Aufstellung des Denkmals gab es Kritik unter anderem vom Münchner Stadtarchiv.
Nun hat sich der Streit zugespitzt, nachdem vor einigen Tagen die grünen Mitglieder des bayerischen Landtags – Katharina Schulze und Sepp Dürr – das Denkmal mit einem Tuch verhüllt hatten, auf dem zu lesen war: „Den Richtigen ein Denkmal setzen! Nicht den Altnazis!“
Sie bezogen sich auf eine historische Studie, die nachwies, dass in München männliche NS-Funktionäre auf Befehl der Alliierten die Trümmer von den Straßen geräumt haben.
„Nach Informationen des Münchner Stadtarchivs waren an den Aufräumarbeiten unter den 1.500 Personen in München 1.300 Männer und zu 90 Prozent ehemalige aktive Mitglieder in NS-Organisationen beteiligt. Dieser historisch unbestrittene und seitens der Staatsregierung bestätigte Tatsache wurde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Gedenksteins am Marstallplatz in keiner Weise Rechnung getragen“, begründet Schulze ihre Kritik an dem Denkmal.
Mythos Trümmerfrauen
Die Diskussion war überfällig und betrifft nicht nur München. Mag dort der Anteil männlicher NS-Mitglieder bei der Trümmerbeseitigung auch besonders groß gewesen sein. Auch in den Städten, in denen tatsächlich vor allem Frauen die Trümmer wegräumten, ist zu fragen, wie hoch dabei der Anteil der Mitglieder von NSDAP oder ihrer Unterorganisationen, wie der NS-Frauenschaft oder dem Bund deutscher Mädel, gewesen ist.
Ferner ist zu fragen, wie viele Trümmerfrauen sich an Ausplünderung von Juden im Nationalsozialsmus beteiligt hatten. Schließlich gab es bei der Versteigerung des Haushaltsinventars der deportieren Juden in vielen Städten großen Andrang. Der Anteil der Frauen war dabei besonders hoch, weil die Männer in der Wehrmacht oder in besonderen Einsatzgruppen in ganz Europa und Nordafrika die deutsche Ordnung in die Welt trugen.
Mit dem Begriff der Trümmerfrauen und der Aufbaugeneration sollte vergessen gemacht werden, was sie vor 1945 gemacht haben. Einer ganzen Generation wurde so Absolution erteilt. Egal, ob sie vor 1945 das NS-Regime am Laufen gehalten haben, vielleicht sogar selbst an Mordaktionen gegen Minderheiten beteiligt waren, nach dem als Stunde Null ausgerufenen Kriegsende fanden sie sich alle unter dem Begriff Aufbaugeneration wieder.
Rechter Shitstorm
Dass dieser Mythos bis in die 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts in der BRD wirkungsmächtig war, ist bekannt. Doch dass der Mythos auch heute noch lebt, zeigt der rechte Shitstorm, der nach der Münchner Verhüllungsaktion einsetzte. In der Verteidigung des Mythos von den Trümmerfrauen waren sich sämtliche sonst zerstrittenen rechten Fraktionen einig.
Auch in der rechtskonservativen Jungen Freiheit, die sich um eine Abgrenzung von Neonazi-Rhetorik bemüht, posteten Leser, die beiden Grünen hätten für ihre Verhüllungsaktion Arbeitslager und Schuften im Steinbruch verdient.
Auf Facebook wurde eine Seite zur „Ehrung der Trümmerfrauen“ eingerichtet, die auch von Gruppen und Parteien der äußersten Rechten unterstützt wird. Derweil gingen an Grüne in der ganzen Republik Drohmails mit Verweis auf die Münchner Aktion. Dabei wurden auch regionale Themen mit einbezogen.
So tauchte vor der Geschäftsstelle der Grünen im Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf ein Transparent mit der Aufschrift „Bündnis 90/Die Grünen – Denkmalschänder“ auf. Das Foto der Aktion wurde auf der Facebook-Seite einer Bürgerbewegung Hellersdorf gepostet, welche die Nachfolge einer rechten Bürgerinitiative Hellersdorf angetreten hat, die massiv den Einzug von Geflüchteten in eine Schule in dem Stadt mobil gemacht hatte und damit bundesweit Schlagzeilen machte.
Nachdem der Account der Bürgerinitiative Hellersdorf gelöscht worden war, setzte die Bürgerbewegung Hellersdorf deren Arbeit fort. Die Grünen Hellersdorf hatten in den vergangenen Monaten gemeinsam mit vielen zivilgesetzlichen Gruppen die Geflüchteten in Hellersdorf willkommen geheißen und waren damit in das Visier der Rechten geraten.
Erinnerung an die Verteidigung der Wehrmachtsoldaten
Die Verteidigung von Trümmerfrauen und Aufbaugeneration ist ein Projekt, das die zerstrittene Rechte eint. Es ist kein Zufall, dass die Diskussion von München ausging. 1997 gab es in München die bundesweit größte Demonstration gegen die damals im Rathaus der Stadt präsentierte Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht (Eine gespenstische Auseinandersetzung um die „Verbrechen der Wehrmacht“. Das Spektrum der Beteiligten reichte von Neonazigruppen jeglicher Couleur bis zum CSU-Politiker Peter Gauweiler. Bei der Verteidigung der Trümmerfrauen scheint sich eine ähnlich weitgreifende politische Konstellation zu wiederholen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155479
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.merkur-online.de/lokales/muenchen/zentrum/kritik-denkmal-truemmerfrauen-2912110.html
[2]
http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Direktorium/Stadtarchiv.html
[3]
http://katharina-schulze.de/
[4]
http://www.sepp-duerr.de
[5]
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/bdm
[6]
http://www.dhm.de/ausstellungen/legalisierter-raub/
[7]
http://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2013/gruene-protestieren-gegen-denkmal-fuer-truemmerfrauen/
[8]
https://www.facebook.com/Truemmerfrauen
[9]
http://www.gruenemarzahnhellersdorf.de/
[10]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154803
[11]
http://www.heise.de/tp/artikel/1/1127/1.html
[12]
http://www.sueddeutsche.de/politik/politiker-als-demonstranten-zeichen-setzen-auf-der-strasse-1.939643-7
Getrennt marschieren für Luxemburg und Liebknecht
GEDENKEN Bereits zum zweiten Mal in Folge wird es eine alternative Demonstration geben
Auch am kommenden 12. Januar wird es wieder zwei Demonstrationen zum Gedenken an die SozialistInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geben. Anfang dieses Jahres hatte das linke Jugendbündnis „Karl und Rosa“ erstmals eine eigene Demonstration am zweiten Januarsonntag organisiert, um an die am 18. Januar 1919 von rechten Freikorps Ermordeten zu erinnern.
Eine ungleich längere Tradition hat die Demonstration, die gewöhnlich vom Frankfurter Tor zum Friedhof der SozialistInnen nach Lichtenberg zieht. An ihr nahmen in den vergangenen Jahren Tausende Menschen teil. Am kommenden 12. Januar wird diese Kundgebung allerdings auf dem Potsdamer Platz starten und durch das Zeitungsviertel ziehen, das im Januar 1919 Schauplatz der Kämpfe zwischen revolutionären ArbeiterInnen und Freikorps war.
„Die Beschäftigung mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ist für junge Menschen in unseren Verbänden wichtig“, sagte Kristin Witte von der Berliner Naturfreundejugend, die zu den „Karl und Rosa“-Organisatoren gehört, der taz. „Die bisherigen Luxemburg-Liebknecht-Demonstrationen haben es aber vielen jungen Leuten schwer bis unmöglich gemacht, sich daran zu beteiligen.“ Eine linke „Heiligenverehrung mit übergroßen Porträts vermeintlicher Polit-Ikonen“ passe nicht „zu unserer Form des Gedenkens“, heißt es im Aufruf des Bündnisses.
Fragend blicken, fragend schreiten
Allerdings werde nicht einfach die Aktion vom Januar 2013 wiederholt, betonte Witte. Das Demo-Motto „Fragend blicken wir zurück. Fragend schreiten wir voran“ solle verdeutlichen, dass das Alternativbündnis noch auf der Suche nach der angemessenen Form eines linken Gedenkens sei, das die Widersprüche in der Geschichte der Arbeiterbewegung nicht zukleistere.
Mit dieser Widersprüchlichkeit werden sich am 12. Januar auch die sozialdemokratischen Jugendgruppen im Bündnis konfrontiert sehen. Schließlich soll eine Zwischenkundgebung vor der Bundeszentrale der SPD stattfinden. Die spielte im Januar 1919 bekanntlich eine zentrale Rolle bei der Niederschlagung der Arbeiteraufstände.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F12%2F11%2Fa0143&cHash=9ca2fadf65dc48f7006c98486237bd1f
Peter Nowak
Bundesweite Hetzkampagne
Attacke auf Grünen-Geschäftsstelle in Berlin – die „Bürgerbewegung Hellersdorf“ postet wohlwollend ein Photo der Aktion auf Facebook.
„Bündnis 90/Die Grünen sind Denkmalschänder!!!“ stand auf einem Transparent, das in der Nacht zum 9. Dezember an der Außenfassade der Geschäftsstelle der Grünen im Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf angebracht worden war. Auf Facebook postete eine „Bürgerbewegung Hellersdorf“ das Photo mit dem Transparent vor der bündnisgrünen Geschäftsstelle, versehen mit dem Kommentar: „Klare Ansage in Hellersdorf! Wir verachten Antideutsche!“.
Nach Recherchen der Tageszeitung taz ist die „Bürgerbewegung Hellersdorf“ aus der „Bürgerinitiative Hellersdorf“ hervorgegangen, die in den letzten Monaten mit rassistischer Hetze gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge in einer ehemaligen Carola Neher-Schule im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf bundesweit bekannt geworden war. An der Bürgerinitiative waren NPD-Mitglieder sowie frühere Aktivisten von Freien Kameradschaften beteiligt. Ende November hatte Facebook die Seite der „Bürgerinitiative Hellersdorf“ gelöscht. Kurze Zeit später tauchte dann die „Bürgerbewegung Hellersdorf“ auf Facebook auf, die inhaltlich an die Kampagnen der gelöschten Seite anknüpft.
Als Denkmalschänder diffamiert
Die Grünen Marzahn-Hellersdorf hießen die die Flüchtlinge in der Berliner Carola Neher-Schule willkommen, wie dies zahlreiche weitere Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen taten. Die Verankerung im extrem rechten Milieu machte die „Bürgerbewegung Hellersdorf“ durch das Posting des Fotos, in denen die Grünen als Denkmalschänder diffamiert wurden, erneut deutlich.
Die Kampagne läuft bundesweit, nachdem in München Mitglieder der Grünen ein dort befindliches Denkmal zur Ehrung der Trümmerfrauen mit einem Transparent verdeckten, das die Aufschrift trug: „Ehrt die Richtigen! Nicht die Alt-Nazis“. Zuvor war eine historische Studie veröffentlicht worden, die mit zahlreichen Quellen nachweist, dass hauptsächlich ehemalige männliche NSDAP-Mitglieder auf Befehl der Alliierten in München die Trümmer der kriegszerstörten Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg wegräumten. Nach der Verhüllungsaktion wurde auf rechten Internetseiten massiv gegen die Grünen gehetzt. Bekannte Mitglieder der Partei erhielten anonyme Mails, in denen sie beschimpft wurden. Auch das Mitglied der Berliner Grünen in Marzahn-Hellersdorf Matthias Raudies war Empfänger einer solchen Mail. Er hat inzwischen Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet.
aus. Blick nach Rechts
Die Blaupause für Watergate kam aus Bonn
Die Überwachung der Opposition in der Adenauer-Ära war weitaus stärker als bisher angenommen, doch in der Diskussion um die NSA wird darauf kaum Bezug genommen
Eigentlich hätten die Ergebnisse des Zwischenberichts der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Frühgeschichte des BND das Zeug für einen großen Skandal. Schließlich klingt das, was Kommissionsmitglied und Historiker Klaus-Dietmar Henke in einem Interview berichtet, nach Watergate am Rhein. Nur dass sich das Ganze vor mehr als 60 Jahren zutrug.
„Für die Adenauer-Zeit können wir zeigen, dass die innenpolitische Präsenz des BND ungleich stärker war, als damals vermutet. BND-Chef Gehlen und seine engsten Mitarbeiter haben systematisch Informationen aus Parteien, Gewerkschaften, Medien und Wirtschaft gesammelt. Gehlen hat dem Bundeskanzleramt intensiv Informationen aus dem Inland geliefert – etwa über missliebige Journalisten.“
Henke kommentiert das ganze Geschehen so, dass man den Eindruck bekommen kann, das sei eine Blaupause für Watergate gewesen. Bei Watergate wurden einige Männer bei dem bekanntlich recht dilettantischen Versuch ertappt, Dokumente der oppositionellen Demokraten zu fotografieren und Abhörwanzen in deren Parteibüro anzubringen. Die Spur der enttarnten Einbrecher führte schnell in das engste Umfeld von Präsident Nixon.
Die Affäre beschäftigte die Öffentlichkeit in den USA über Jahre, auch nachdem der Präsident zurücktreten musste. Der Bonner Watergate-Vorläufer hingegen bewegt auch nach der Aufdeckung die Öffentlichkeit kaum. Die Ergebnisse der Unabhängigen Historikerkommission werden eher als lobendes Beispiel dafür genommen, welch großer Meister Deutschland doch im Aufklären ist. Jetzt wage man sich sogar an die Frühgeschichte der BRD.
„Für Adenauer war es wichtig zu wissen, was die Opposition tat“
Nun erfahren wir so en passant, dass es für den ersten Nachkriegskanzler Adenauer und seinen Kanzleramtschef Hans Globke wichtig war, zu wissen, was die Opposition plante, bevor es öffentlich wurde. „Gehlen und Globke hatten über Jahre fast täglichen Kontakt. Das war eine Symbiose. Gehlen warnte Globke, wenn Kampagnen gegen ihn anliefen“, so der Historiker Henke.
Nun war es auch für Nixon und seine Umgebung wichtig zu wissen, was die oppositionellen Demokraten planten. Die Anfang der 1970er Jahre sehr politisierte Öffentlichkeit in den USA nahm diese Nachrichten allerdings nicht so nonchalant hin wie die Gesellschaft in Deutschland. Es gibt einige Unterschiede.
In Deutschland wird die Bespitzelung oppositioneller Parteien, Medien und Organisationen durch den BND mit Wissen des Bundeskanzlers und seiner rechten Hand Globke erst nach 60 Jahren bekannt, wo wohl fast alle der Beteiligten nicht mehr Leben oder hochbetagt sind. Wir wissen nicht, was geschehen wäre, wenn die Spitzelaffäre noch in der Adenauer-Ära bekannt geworden wäre. Doch wäre es das überhaupt möglich gewesen? Wären in Zeiten von Kalten Krieg und KPD-Verbot nicht alle Versuche, solche Informationen zu verbreiten, als kommunistische Unterwanderungsstrategie im Auftrag der „Sowjetzone“ geahndet und verfolgt worden?
Schließlich war damals selbst die Spiegel-Redaktion nicht vor Verhaftung sicher, wenn einem Minister des Adenauer-Kabinetts die Berichterstattung nicht passte. Ein Hauch von Landesverrat war schnell herbeiphantasiert. Allerdings zeigte die Spiegel-Affäre und die Folgen – kurzfristig der einstweilige Rückzug von Franz Joseph Strauß vom Ministeramt – mittelfristig das Ende der Adenauer-Ära, die Grenzen der staatlichen Unterdrückung auf.
Die Spiegel-Affäre schaffte eine neue außerparlamentarische Opposition in den frühen 1960er Jahren, nachdem die alte Opposition mit dem KPD-Verbot und der Sympathisantenhetze weitgehend marginalisiert wurde. Schnell stellt sich die Frage, warum hat die aufgewachte Opposition damals nicht weitergebohrt? Hätte sie vielleicht schon die Gehlen-Adenauer-Connection aufdecken können, die jetzt durch die Unabhängige Historikerkommission bekannt wird?
Erfahrenes NS-Personal
Doch auch hier ist ein weiterer Unterschied zur Watergate-Affäre zu konstatieren. Die BND-Männer, die da im Bündnis mit Adenauer die Opposition bespitzelten, hatten schon im Nationalsozialismus ihre Erfahrungen bei der Unterdrückung oppositioneller Bewegungen gesammelt, und auch nach 1945 nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie, das was sie damals gelernt haben, nicht vergessen hatten.
Die Leitung des BND, resümiert Kommissionsmitglied und Historiker Gerhard Sälter, machte „die im Nationalsozialismus entstandene Kameradschaft zur Grundlage ihrer Personalpolitik“.
„Das ging ohne Masterplan, es geschah wie von selbst. So ähnlich wurde in der Frühphase die Verwaltung in Westdeutschland aufgebaut“, kommentierte die Taz die Gehlen-Adenauer-Connection. Unter Leitung von Reinhard Gehlen, der im Nationalsozialismus am Überfall an die Sowjetunion beteiligt war und die NS-Spionageabteilung Fremde Heere Ost geleitet hat, hatte ein NS-Widerstandskämpfer keine Chance beim BND.
Diese Erkenntnis der Unabhängigen Untersuchungskommission kann genau so wenig überraschen wie die Enthüllungen, dass selbst NS-Massenmörder in der neuen Behörde unbehelligt agieren konnten. Sie hatten natürlich ein großes Interesse, dass anderen Nazikumpanen in führenden Stellen auch keine Gefahr drohte. Deswegen war ihnen daran gelegen frühzeitig zu erfahren, was die Opposition in der Causa Globke plane. Schließlich war der wichtige Adenauer-Berater im NS an der Formulierung der NS-Rassegesetze beteiligt und feilte so an den Instrumenten zur Entrechtung der Jüdinnen und Juden.
In den 1950er Jahren war Globke wegen dieser Vergangenheit von verschiedenen Seiten mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Die NS-Seilschaft beim BND und anderen Staatsapparaten waren schon deshalb an einen Verbleib Globkes im Amt interessiert, weil sie wussten, solange er sich halten kann, wird auch ihnen nichts passieren. Wie offensiv das BND mit Rückendeckung der Adenauer-Regierung agierte, zeigt eine weitere Enthüllung der Historiker-Kommission.
Falls es zu einer Regierungsbeteiligung der SPD und missliebiger Unionspolitiker in einer Großen Koalition kommen sollte, wollte Gehlen einen illegalen Apparat gründen, enthüllte Hanke und kommentiert:
„Es passt jedenfalls exakt zu Gehlens erratischem Antikommunismus. Alles, was jenseits des konservativen Mainstreams lag, behandelte er als gegnerisch.“
Was die im NS geschulte Kumpanei im Ernstfall mit gegnerischen Kräften machte, war in den 1950er Jahren noch allzu bekannt. So flog im September 1952 eine Untergrundgruppe auf, die sich Bund Deutscher Jugend nannte und den Kampf gegen gegnerische Kräfte ganz im Stil von vor 1945 weiterführen wollte.
Auf Listen, die bei dem rechten Trupp gefunden worden, standen Namen bekannter Kommunisten und Sozialdemokraten, die im Widerstand gegen den NS aktiv waren, darunter der hessische Ministerpräsident Zinn. Sie sollten im Ernstfall liquidiert werden. Bald stellte sich heraus, dass es sich beim BDJ nicht um einige autonom agierende Altnazis handelte, sondern dass die Organisation auf Anordnung des US-Geheimdienstes geschaffen wurde.
Jetzt wäre es an der Zeit auch die Rolle des BND und der Adenauer-Regierung bei der Schaffung solcher Gruppen zu untersuchen. Wenn Gehlen offen erklärte, einen illegalen Apparat gründen zu wollen, wenn die Opposition an die Macht kommt, stellt sich schnell die Frage, ob damit nicht schon in den Bundesländern damit begonnen wurde, wo die Sozialdemokraten an der Landesregierung waren wie in Hessen. Dass solche Fragen in Deutschland nicht gestellt werden, ist auch heute noch das eigentlich beunruhigende.
Warum wird keine Verbindung zwischen NSA und BND gezogen?
Dass gleichzeitig im Zuge der NSA-Affäre auch von vielen Überwachungskritikern der Eindruck erweckt wird, diese Überwachungspolitik sei eine tückische Erfindung der USA – und Deutschlands Souveränität so hochgehalten wird, gibt der ganzen Diskussion eine deutschnationale Schlagseite.
Das aktuelle Beispiel eines solchen Diskurses ist der Aufruf „DDR-Bürgerrechtler gegen NSA-Überwachung“, der vor allem von DDR-Oppositionellen im Umfeld des Neuen Forums gegründet wurde. Sie schreiben mit Recht:
„Es war ein Fest, die Überwachungskameras, die Wanzen und die Abhörtechnik der Stasi zu demontieren.“
Nur vergessen sie zu erwähnen, dass gleiches mit den Abhörequipment westlicher Dienste leider nicht geschah. Überhaupt kommt der BND bei ihnen nicht vor. Dabei brauchte man nun nicht auf die Zwischenergebnisse der Unabhängigen Untersuchungskommission zu warten, um darüber informiert zu sein.
„Wir haben erlebt, dass man eine Diktatur beenden kann, dann werden wir doch eine Demokratie am Leben erhalten können“, heißt in dem Aufruf, in dem Demokratie und Diktator sehr klar in West und Ost aufgeteilt ist. Ob ein Kanzler Adenauer, der mit Gehlen über die Überwachung der Opposition korrespondiert, da so einfach in die Demokratieschublade des Neuen Forums reinpaßt?
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155467
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.bnd.bund.de
[2]
http://rcswww.urz.tu-dresden.de/~zge/
[3]
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2013%2F12%2F04%2Fa0080&cHash=2033fb14377a35266868dd764b456297
[4]
http://www.uhk-bnd.de/
[5]
http://www.spiegel-affaere.de/
[6]
http://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/mitarbeiterinnen-und-mitarbeiter-261,270,2.html
[7]
http://www.taz.de/Die-Vergangenheit-des-BND/!128718/
[8]
http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/BDJ.htm
[9]
http://www.sueddeutsche.de/politik/untergrundtruppen-in-nato-staaten-guerilla-von-staats-wegen-1.410128
[10]
http://www.taz.de/DDR-Buergerrechtler-gegen-NSA/!128851/
[11]
http://www.neuesforum.de/
Boykottiert Gauck die Winterolympiade in Sotschie oder fährt er einfach nicht hin?
Das Lavieren des Bundespräsidenten macht deutlich, dass in führenden Kreisen aus Politik und Wirtschaft Uneinigkeit über die Positionierung zu Russland besteht
Bundespräsident Gauck wird nicht zur Winterolympiade reisen, die in knapp 2 Monaten im russischen Sotschi beginnt. Doch will damit der Bundespräsident eine Missbilligung der russischen Menschenrechtspolitik ausdrücken, wie es Spiegel-Online behauptete und gleich von einem Boykott sprach?
Schon Stunden später kamen aus dem Bundespräsidentenamt Bemerkungen, die diesen Eindruck relativeren sollen. So wurde darauf verweisen, es gäbe keine Gesetzmäßigkeit, dass ein Bundespräsident die Olympischen Winterspiele besuchen müsse. Schließlich sei auch sein Vorvorgänger Köhler den Winterspielen in Kanada ganz ohne politische Botschaft ferngeblieben.
Schuldeingeständnis von Russland gefordert
Diese Erklärung ist formal richtig, aber keinesfalls ein Dementi des Spiegelberichts. Die Repräsentationspolitik eines Bundespräsidenten in Deutschland besteht hauptsächlich aus Gesten und Symbolen. Als Köhler einem Sportevent in Kanada ferngeblieben ist, hat daher mit Recht niemand eine politische Aussage dahinter vermutet. Wenn Gauck aber den Winterspielen in Russland fernbleibt, ist das anders. Schließlich hat er öfter mehr Druck auf Russland gefordert, unter anderem bei seinen Besuch in Litauen vor einigen Monaten, wo er wegen dieser Aussagen von der dortigen Regierung mit offenen Armen empfangen wurde.
Schon vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten wurde Kritik an dessen Lesart der Erinnerungspolitik laut, die unter anderem vom Leiter des Simon Wiesenthal Centers formuliert wurde. Sie entzündete sich an einer von ihm vertretenen Totalitarismustheorie, die den Nationalsozialismus und den Nominalsozialismus auf die gleiche Stufe setzen will. So hatte Gauck eine Prager Erklärung unterzeichnet, der diese Lesart der Geschichte Vorschub leistet.
Daher war nur konsequent, wenn der Bundespräsident in einer Rede vor dem deutsch-russischen Forum in Potsdam vor einigen Monaten von Russland ein Schuldeingeständnis einforderte.
Gauck hat bisher in seiner Amtszeit Russland nicht besucht. Als im Juni 2012 in Russland das „Deutschlandjahr“ eröffnet wurde, sollte es ein deutsch-russisches Prestigeobjekt werden. Allerdings ist der Bundespräsident der feierlichen Eröffnung in Moskau ferngeblieben, obwohl er mit Wladimir Putin zum Puzzlespielen auf dem Roten Platz verabredet gewesen war, wo sie eine riesige Kopie eines Selbstporträts des deutschen Malers Albrecht Dürer zusammenfügen und das Deutschlandjahr in Russland einläuten sollten.
Deswegen muss es auch nicht verwundern, wenn nun an seine Nichtteilnahme an den Winterspielen in Sotchi als weiteres Symbol an Russland verstanden wird.
Persönliche Motive?
Dabei vermischen sich Gaucks totalitarismustheoretische Ansätze mit seiner Biographie. Seine Eltern waren Mitglieder der NSDAP, sein Vater war Oberleutnant zur See der Reserve. Einige Zeit vor dem Kriegsende hatte Gauck im Haus seiner Großmutter an der Ostsee verbracht, das später von der Roten Armee zu militärischen Zwecken requiriert wurde.
Sein Vater wurde von einem sowjetischen Militärtribunal in Schwerin wegen Spionage und so genannter „antisowjetischer Hetze“ zu zwei Mal 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt und in ein sibirisches Arbeitslager verbannt. Im Oktober 1955 kehrte er in Folge der Moskauer Verhandlungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Deutschland zurück.
Gauck hat in der Vergangenheit öfter erklärt, dass sein Antikommunismus auch aus dieser Erfahrung herrührt. Dabei hat er die NS-Vergangenheit seiner Eltern allerdings ausgeklammert. Gerade die russische Seite reagiert empfindlich auf eine Lesart der Geschichte, bei der die deutsche Seite zum eigentlichen Opfer stilisiert wird. Daher ist Gaucks Absage, an den Winterspielen teilzunehmen, bereits von russischen Parlamentariern kritisiert worden. Sie monierten, dass sich der Bundespräsident nicht in gleicher Weise gegen Menschenrechtsverletzungen der Nato in Afghanistan äußere.
Gaucks Absage fällt in eine Zeit, in der sich um die Ukraine ein erneuter Ost-West-Konflikt entzünden könnte. So wurde der noch amtierende Außenminister Westerwelle in Russland und der Ukraine heftig dafür kritisiert, dass er bei einem Besuch in Kiew den Oppositionellen einen Besuch abstattete und sie ermutigte, ihren Protest fortzusetzen. Zudem wird hierzulande kaum registriert, dass eine der einflussreichen Parteien in der derzeitigen ukrainischen Opposition, die Swobada-Bewegung, nicht nur erklärtermaßen russlandfeindlich und antisemitisch ist (Hass auf Moskauer, Juden und „andere Unreine“), sondern sich auf politische Kräfte bezieht, die im 2. Weltkrieg mit den deutschen Nazibesatzern auch bei der Ermordung von Juden zusammengearbeitet haben.
Deutsche Interessen mit oder gegen Russland?
Die deutsche Politik gegen Russland ist von zwei sich widersprechenden Interessen geprägt. Es gibt Fraktionen in Politik und Wirtschaft, die ein gutes Verhältnis zu Russland bevorzugen und die osteuropäischen Länder dabei eher ignorieren. Sie träumen von einem deutsch-russischen Wirtschaftsraum. Diese Kräfte machten schon 1980 gegen einen Olympiaboykott mobil, der damals vor allem aus den USA forciert wurde. Nach dem Ende des Kalten Krieges war es vor allem der Ex-Kanzler Schröder, der als Fürsprecher der prorussischen Kreise gelten kann.
Dagegen steht ein anderer Teil in Wirtschaft und Politik, der an alte Beziehungen Deutschlands mit osteuropäischen Ländern anknüpfen will, und klar gegen Russland gerichtet ist. Sie finden in Gauck ihren Fürsprecher.
Beide Positionen mögen sich mit Menschenrechtsargumenten einen moralischen Anstrich geben. Es geht dabei aber in erster Linie um die Frage, was dem deutschen Standort mehr nützt. Solange diese Auseinandersetzung auch in den höchsten politischen Kreisen andauert, muss auch Gauck lavieren. Er fährt nicht nach Moskau, will es aber auch nicht offensiv als Boykott verstanden wissen.
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.bundespraesident.de
[2]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundespraesident-gauck-boykottiert-olympia-in-sotschi-a-937791.html
[3]
http://www.handelsblatt.com/politik/international/besuch-in-litauen-gauck-fordert-mehr-druck-auf-russland/8482640.html
[4]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151636
[5]
http://www.taz.de/Gaucks-verzerrtes-Geschichtsbild/!89802/
[6]
http://www.victimsofcommunism.org/
[7]
http://german.ruvr.ru/2013_06_14/Gauck-wunscht-Russlands-Beichte-7064/
[8]
http://www.svoboda.org.ua/
[9]
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40495/1.html
[10]
http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-12/ukraine-protest-swoboda-maidan
Zeit für den Weihnachtsstreik
Verdi setzt beim Arbeitskampf im Einzelhandel auf Streiks an den Adventswochenenden.
Wenn in den kommenden Wochen vor Berliner Einkaufszentren Flyer verteilt werden, muss das keine Werbung für das Weihnachtsgeschäft sein. Es könnte sich auch um ein Flugblatt handeln, das zur Solidarität mit den Streikenden im Einzelhandel aufruft: »Bitte kaufen Sie heute nicht in den bestreikten Betrieben ein.«
Der bisher längste Arbeitskampf im Einzelhandel hat die Weihnachtszeit erreicht. Provoziert wurde er durch die Kündigung sämtlicher Entgelt- und Manteltarifverträge durch die Arbeitgeberseite zum 1. Mai dieses Jahres. Es geht um die Senkung von Löhnen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Handelsbranche, in der es für die Beschäftigten ohnehin besonders schwer ist, sich zu organisieren. Die Arbeit im Einzelhandel ist geprägt von Teilzeitstellen, niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten und einer Sechstagewoche.
»Mit diesem Vorhaben legt die Unternehmerseite die Axt an die Existenzsicherung und wesentlichen Schutzregelungen für die Beschäftigten im Einzelhandel«, sagte Stefanie Nutzenberger vom Bundesvorstand von Verdi im Januar, nachdem die Unternehmer ihr Vorhaben angekündigt hatten. Der langjährige Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Anton Kobel, betont in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Express, bei diesem Arbeitskampf gehe es vor allem um die Abwehr von Verschlechterungen. Die Unternehmer wollen die Kassierer und Kassiererinnen einer schlechteren Tarifgruppe zuordnen. »Dies wären 250 bis 300 Euro monatlich weniger Gehalt für Vollzeitkräfte beziehungsweise eine fünfzehnprozentige Kürzung«, beschreibt Kobel die Folgen für die Beschäftigten.
Zudem wollen die Arbeitgeber die tariflich vereinbarte Kassierzulage von etwa 25 Euro monatlich abschaffen und eine neue Niedriglohngruppe für das Einräumen von Regalen schaffen. Die Beschäftigten des Einzelhandels sind trotz der langen Dauer dieses Arbeitskampfs auch deshalb weiterhin motiviert, weil eine Durchsetzung solcher Verschlechterungen für viele bedeuten würde, dass sie mit Hartz IV aufstocken müssten.
Dass sich die Tarifauseinandersetzung bis in die Adventszeit zieht, ist der harten Haltung der Unternehmer geschuldet, die bisher sämtliche Kompromissvorschläge der Gewerkschaft ablehnte. An der Basis wird jedoch auch moniert, dass Verdi noch immer keine bundesweite Arbeitskampfstrategie entwickelt habe und die Öffentlichkeitskampagne vor allem Betroffene, aber kaum andere gesellschaftliche Gruppen erreiche. In verschiedenen Städten haben sich allerdings bereits Gruppen gegründet, die an Streiktagen die Beschäftigten unterstützen. So haben sich im Umfeld der Studierendengruppe »Die Linke.SDS« Initiativen gebildet, die gemeinsam mit Verdi Kundgebungen und Flashmobs organisieren. Mitte November besuchten in Berlin im Rahmen einer »Blitzaktion« Gewerkschafter, Beschäftigte und Unterstützer mehrere Filialen des Bekleidungskonzerns H & M und sprachen mit den Beschäftigten über ihre Arbeitssituation und ihre Erwartungen an den Tarifkampf.
In den kommenden Wochen will auch die Arbeitsgruppe Streik des Berliner »Blockupy«-Bündnisses mit eigenen Aktionen den Arbeitskampf unterstützen. Genutzt werden sollen die Adventswochenenden, an denen für die Beschäftigten des Einzelhandels der Stress und die Arbeitsbelastung besonders spürbar werden. Die Unterstützer wollen dabei vor allem ihre Solidarität mit den Beschäftigten unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft ausdrücken. Damit knüpfen sie an den letzten Arbeitskampf im Handel aus dem Jahr 2008 an. Damals solidarisierten sich erstmals »Kritische Kundinnen und Kunden« mit den Forderungen der Beschäftigten. Höhepunkt war die Aktion »Dichtmachen«, mit der eine Reichelt-Filiale über mehrere Stunden blockiert wurde. Selbst in einer abgeschwächten Variante würde eine solche Aktion eine erhebliche Beeinträchtigung des Weihnachtsgeschäfts bedeuten und den Druck auf die Unternehmer erhöhen. Zustimmung von vielen Beschäftigten, denen die bisherige Taktik von Verdi zu verhalten erscheint, wäre sicher vorhanden.
http://jungle-world.com/artikel/2013/49/48941.html
Peter Nowak
Vereint oder getrennt zu Karl und Rosa?
Das Kreuz mit dem linken Gedenken – eine scheinbar nicht enden wollende Debatte
In sechs Wochen jährt sich wieder der Todestag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Alljährlich am zweiten Sonntag im Januar demonstrieren in Berlin Tausende zu deren Gräbern in Berlin-Friedrichsfelde. Anfang diesen Jahres entbrannte jedoch erneut eine heftige Diskussion über die Frage, wie den ermordeten Sozialisten gedacht werden soll. Ein linkes Jugendbündnis hatte erstmals eine eigene Demonstration angemeldet und wurde daher von einem Teil der Linken als »Spalter« beschimpft. Am Montagabend hingegen wurde im Berliner Initiativenzentrum Mehringhof engagiert und sachlich über »Das Kreuz mit dem linken Erbe« diskutiert.
Mieterprotest mit Sambarhythmen
Wohninitiative übergibt »Wunschzettel« an neue Geschäftsführerin des Liegenschaftsfonds
Eine Bescherung der besonderen Art bereiteten am Nikolaustag Aktivisten des Berliner Bündnisses »Recht auf Wohnen« der neuen Geschäftsführerin des Berliner Liegenschaftsfonds Birgit Möhring. Knapp 35 Personen und eine Sambaband beteiligten sich am Freitagvormittag an einer Aktion in der Zentrale der Behörde, die für die Grundstücke verantwortlich ist, die sich im Besitz des Landes Berlin befinden.
Auf einem Wunschzettel, der an Birgit Möhring gerichtet war, wird eine Änderung der Politik des Liegenschaftsfonds angemahnt. Eigentlich sollte der Liegenschaftsfonds nach einem Senatsbeschluss bereits seit 2010 neu ausgerichtet werden und soziale und ökologische Ziele verfolgen Der Wunschzettel am Nikolaustag war ein Forderungskatalog derjenigen, die von der aktuellen Linie der Liegenschaftspolitik betroffen sind. Dazu gehören die Wagenplätze Rummelplatz und Schwarzer Kanal, der Jugendtreff »Kirche von Unten« und die Initiative »Studis gegen hohe Mieten«. Auch einige wohnungslose Familien aus Rumänien, die vor einigen Wochen ein Haus besetzt hatten, beteiligten sich.
»Ich schaue mir den Wunschzettel an, dann können wir gemeinsam darüber reden, was möglich ist. Hinterlassen sie Ihre Nummer, dann können wir einen Termin ausmachen«, erklärte Birgit Möhring. Die Aktivisten wollen dieses Angebot in den nächsten Tagen wahrnehmen.
Jan Stein von der Initiative »Recht auf Stadt« lobte gegenüber »nd« die »freundliche Gesprächsatmosphäre«. »Wir freuen uns auf ein gemeinsames Gespräch zwischen Initiativen und Liegenschaftsfonds und hoffen auf eine produktive Arbeitsatmosphäre, in der gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird«, betonte er.
Allerdings werde man auch in den nächsten Tagen an verschiedenen Stellen in Berlin auf hohe Mieten, drohende Vertreibung nichtkommerzieller Projekte aus der Innenstadt und Wohnungsnot aufmerksam machen. Dazu wollen die Aktivisten die Vorweihnachtszeit nutzen. Das »Recht-auf-Stadt-Bündnis« hat einen Aktionskalender erstellt und im Internet und auf Plakaten angekündigt, »jeden Tag ein Türchen zu öffnen«.
Die Aktion im Büro des Liegenschaftsfonds war der Auftakt der Adventskampagne. Am Dienstag soll ein neues Türchen geöffnet werden. Der Ort wird wie bei allen Aktionen dieser Kampagne nicht vorher bekannt gegeben. Mit dem Mittel des zivilen Ungehorsams und des Angebots, sich an Lösungsvorschlägen konstruktiv zu beteiligen, sucht das Protestbündnis einen Ausweg aus dem Wohndilemma in der Stadt.
Oft gab es in der Vergangenheit Demonstrationen vor Büros von Behörden und Eigentümern nach Feierabend, wenn bloß noch der Wachschutz im Haus war. Daher kommen die Aktivisten jetzt unangemeldet zu den Bürozeiten. Gleich die erste Aktion wird als Erfolg gewertet und motiviert zum Nachlegen, so Jan Stein.
Über die weiteren Aktionen des Adventskalenders der Recht-auf-Stadt-Bewegung gibt es Informationen unter: wirbleibenalle.org
http://www.neues-deutschland.de/artikel/917394.mieterprotest-mit-sambarhythmen.html
Peter Nowak
Ist die Zahl der Morde mit Neonazi-Hintergrund wesentlich höher?
Polizei: eine Aktenrevision offenbart neue Zahlen rechter Gewalttaten. Wie blind war man zuvor, wie blind ist man noch?
Vor einigen Tagen ging eine Meldung durch die Medien, die aufhorchen lässt. Danach kann die Zahl der Tötungsdelikte mit neonazistischem Hintergrund wesentlich größer sein, als bisher in der Öffentlichkeit behauptet wurde. Nachdem die NSU-Morde bekannt geworden sind, durchforstete die Polizei in Bund und Ländern die Archive nach unaufgeklärten Fällen, bei denen es keine Tatverdächtigen gibt. 3.300 Tötungsdelikte und Tötungsversuche von 1990 bis 2011 wurden noch einmal unter die Lupe genommen. Als Zwischenergebnis wurde bekannt, dass es in 746 Fällen Anhaltspunkte für ein mögliches rechtes Tatmotiv gibt.
Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass in so vielen Fällen die rechten Motive nicht erkannt wurden. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass die Polizei und die Justiz auf dem rechten Auge blind waren? Die Kritik am Verschweigen der rechten Hintergründe bei Kriminalfällen wird von zivilgesellschaftlichen Initiativen seit Jahrzehnten moniert. Dazu gehören die Macher der Internetplattform „Mut gegen rechte Gewalt“.
Sie haben nach genauen Nachforschungen 184 Tote durch Neonazis von 1990 bis 2011 in Deutschland aufgelistet. Die Sicherheitsbehörden gehen noch immer von 63 Todesopfern aus. Es waren vor allem engagierte Journalisten wie Heike Kleffner und Frank Jansen, die bereits vor 10 Jahren in einer akribisch recherchieren Dokumentation nachgewiesen haben, wie staatliche Stellen den rechten Hintergrund zahlreicher Morde ignorierten.
Nazimord im Altersheim?
In der Liste der Initiative „Mut gegen rechte Gewalt“ werden die staatlich anerkannten Neonazimorde gesondert vermerkt. Der Tod des deutsch-ägyptischen Schauspielers Jeff Dominiak, der von einem rechten Skinhead auf einem gestohlenen Motorrad überfahren und tödlich verletzt wurde, gehört nicht dazu. Vor Gericht wurde der Täter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Auch der Tod des 92-jährigen Alfred Salomon ist nicht offiziell als von einem Nazi verursacht anerkannt. Der Holocaust-Überlebende traf in einem Altenheim in Wülfrath auf einen ehemaligen Obersturmführer der Organisation Todt. Er beschimpfte und schlug Solomon wegen seiner jüdischen Herkunft. Der starb daraufhin an einem Herzinfarkt.
Seit einigen Monaten wird der Tod des Künstlers Günther Schwannecke auch offiziell in ein mahnendes und den Mann würdigendes Licht gestellt. Der Spielplatz, auf dem er von einem Neonazi mit einem Baseballschläger so schwer verletzt wurde, dass er wenige Stunden später starb, trägt seinen Namen. Das ist den Mühen eines Bündnisses verschiedener antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen zu verdanken.
Nach dem Vorbild dieser Gedenkinitiative bemüht sich seit einigen Monaten auch in Berlin-Pankow ein Bündnis um die Errichtung eines Gedenksteins für den am 23. Mai 2000 in seiner Wohnung von Rechten ermordeten Dieter Eich. Bei Schwannecke und Eich handelte es sich um Menschen, die schon zu Lebzeiten an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden. Solchen Menschen wird auch nach ihren Tod, wenn sie Opfer rechter Gewalt werden, ein würdiges Gedenken verweigert.
Zweierlei Zivilcourage
Das wird bei Günther Schwannecke besonders deutlich. Er wurde von dem Neonazi angegriffen, nachdem er einen Angriff auf ausländische Studierende durch eine Gruppe betrunkener Rechter verhindert hatte. Die Amnesie im Fall Schwannecke wird offensichtlich, wenn man den Fall mit der Reaktion auf den Tod von Dominik Brunner vergleicht .
Brunner wurde am 12. September 2009 in der Münchner S-Bahn Zeuge, wie Schüler von drei betrunkenen Jugendlichen belästigt wurden. Sie verlangten von ihnen die Herausgabe ihrer Handys und Geld. Brunner stellte sich vor die bedrohten Schüler und wollte die Jugendlichen der Polizei übergeben. Nachdem er einem von ihnen ins Gesicht geschlagen hatte, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Brunner zusammenbrach und starb.
Obwohl sich bald herausstellte, dass die Todesursache ein Herzinfarkt war und kein Baseballschläger benutzt wurde, war er für einen großen Teil der Öffentlichkeit und der Boulevardmedien ein Held. „Nach dem Mord an einem couragierten Bürger ist das Land berührt und fragt, wie die Täter derart verrohen konnten“, schrieb der Tagesspiegel.
Zum Zeitpunkt von Brunners Beerdigung standen die S- und U-Bahnen in München für eine Gedenkminute still. Brunner wurde posthum mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Bayerischen Verdienstorden und dem XY-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Die Zivilcourage des Günther Schwannecke aber wurde erst vor einigen Monaten durch eine zivilgesellschaftliche Initiative gewürdigt.
Auch wenn nun die Polizei jetzt damit begonnen hat, ihre Akten nach den braunen Hintergründen mancher unaufgeklärter Verbrechen zu durchforsten, so dürfte auch damit die ganze Dimension der rechten Gewalt nicht aufgeklärt werden. Das wird schon durch die Beschränkung auf die Tötungsverbrechen ohne bekannte Täter deutlich.
Denn es gibt auch Verbrechen mit bekannten und oft auch zu geringen Strafen verurteilten Tätern, die nicht als Tat von Neonazis anerkannt wurden. Die Todesfälle Jeff Dominiak und Alfred Solomon sind da keine Einzelfälle. Auch Dorit Botts würde weiterhin nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt, wenn die Kriterien der Aktendurchforstung durch die Polizei nicht verändert worden wären.
Der Mörder der Ladeninhaberin eines Military Shops in der Fuldaer Innenstadt ist bekannt und verurteilt worden. Nach der Recherche von Journalisten war der Mord an der Geschäftsfrau ein Aufnahmeritual in eine neonazistische heidnische Organisation. Zivilgesellschaftliche Initiativen in Fulda wollen nun immer an Botts Todestag dafür eintreten, dass der Nazihintergrund ihrer Ermordung auch offiziell anerkannt wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155456
Peter Nowak
Links
[1]
https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990
[2]
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/todesopfer-rechte-gewalt
[3]
http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/mai/jeff-dominiak
[4]
http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/november/alfred-salomon
[5]
http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/august/guenter-schwannecke/
[6]
http://guenterschwannecke.blogsport.eu/
[7]
http://niemandistvergessen.blogsport.eu/
[8]
http://www.tagesspiegel.de/berlin/gedenken-vor-zehn-jahren-von-rechtsradikalen-ermordet-dieter-eich/1844198.html
[9]
http://www.tagesspiegel.de/meinung/herzversagen-dominik-brunner-der-provozierte-held/1887598.html
[10]
http://www.tagesspiegel.de/meinung/herzversagen-dominik-brunner-der-provozierte-held/1887598.html
[11]
http://www.dominik-brunner-stiftung.de/
[12]
http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/august/dorit-botts/
[13]
http://fuldawiki.de/fd/index.php?title=Naziaufmarsch
Peter Nowak
Der erneute Anlauf des NPD-Verbots oder die Markierung einer tolerierten Rechten
Wie viel Ausländerfeindlichkeit ist erlaubt?
Knapp 10 Jahre nach dem ersten Anlauf die NPD zu verbieten, findet nun ein neuer Versuch statt. Dieses Mal wurde der Antrag nur von dem Bundesrat gestellt. Dabei sind die Bedingungen nicht besser geworden und auch erklärte Nazigegner reagieren skeptischer.
Die Staatsorgane haben ihre Hausaufgaben wohl gemacht. Dass das NPD-Verbotsverfahren noch einmal an VS-Leuten in höchsten Parteigremien scheitert, ist wohl ausgeschlossen. Ausdrücklich wurde bei Beginn der neuen Verbotsrunde erklärt, dass die Quellen, die das Verfahren stützen sollen, nicht durch informelle Mitarbeiter tangiert sind. Doch, ob das Verbotsverfahren dieses Mal zu einem, für die Antragssteller erfolgreichen Ende kommt, ist trotzdem offen.
Die Skepsis ist auch bei Kommentatoren gewachsen, die zu den Befürwortern eines erneuten NPD-Verfahrens gehören, wie Patrick Gensing. Er gehört er nicht zu denen, die mit einen NPD-Verbot vor allem Schaden an Deutschland, der Verfassung und den Grundgesetzt abwehren wollen. „Das demokratische System in der Bundesrepublik Deutschland kann eine solche Partei wohl aushalten. Doch für die Feinde der Neonazis, gegen die auf Wahlplakaten, auf Demonstrationen oder im Internet gehetzt wird, ist eine solche Partei unzumutbar. Und Hetze gegen Minderheiten ist auch mitnichten von der Meinungsfreiheit gedeckt“, schreibt der Journalist. Doch er ist ernüchtert über das Prozedere:
„Da passt es ins Bild, dass die Bundesregierung und der Bundestag die Länder nun allein den Weg zum Bundesverfassungsgericht gehen lassen. Auch die Innenminister der Länder scheinen ihren Inlandsgeheimdiensten nicht ganz über den Weg zu trauen, was die ‚Quellenfreiheit‘ des Materials für das NPD-Verbot angeht. Anders ist es nicht zu erklären, warum mehrere Minister mit einer Garantie zögerten, wonach kein Material von bezahlten Neonazis verwendet worden sei. Auch nicht gerade ein Zeichen von Geschlossenheit und Stärke.“
„Genug Gründe, den Verbotsantrag mit spitzen Fingern anzufassen“
Grundsätzlicher ist die Kritik des Taz-Kommentators Christian Rath. Für ihn muss ein Parteienverbot hohe Hürden haben und nur das letze Mittel in einer Demokratie sein. Zudem gibt es zu Bedenken, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Ende immer noch das in Deutschland juristisch bestätigte Parteienverbot aufheben könnte. Raths Hauptkritik ist aber der instrumentelle Umgang der Staatsapparate mit dem NPD-Verbot:
„Die Forderung nach Ausschaltung der NPD kam immer dann hoch, wenn sich die Öffentlichkeit über rechtsradikale Gewalttaten empörte, im Sommer 2000 nach einem Anschlag auf russische Einwanderer in Düsseldorf und jüngst nach Bekanntwerden der Morde der rechten Terrorgruppe NSU. Wenn die unmittelbaren Täter unbekannt oder tot sind, dann ist ein NPD-Verbot immer gut, um staatliche Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu zeigen. Inzwischen wird das Verbotsverfahren vor allem fortgeführt, weil man es einmal angefangen hat.“
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten kritisiert auch, dass es erst des NSU-Skandals bedurfte, damit ein erneutes NPD-Verbot in die Gänge kommt. Doch endet die Presseerklärung recht optimistisch.
„Bestätigt fühlen können sich alle, die seit fast 50 Jahren dafür gekämpft haben, die legale Existenz einer neofaschistischen Partei mit allen daraus resultierenden finanziellen und juristischen Vorteilen für die NPD zu beenden. Die VVN-BdA hat sich dafür von Anfang an und insbesondere seit 2007 mit ihrer Kampagne „nonpd – NPD-Verbot jetzt!“ besonders engagiert.“
Freibrief für die nichtbiologistische Rechte
Doch wird wenig darauf eingegangen, dass mit dem NPD-Verfahren auch eine staatliche Markierung dessen verbunden ist, welche rechten Gruppierungen noch im Sinne des Grundgesetzes akzeptabel sind und welche nicht. Dabei wird von verschiedenen Landespolitikern hervorgehoben, dass die NPD vor allem aufgrund ihrer biologisch-rassistischen Ideologie verboten werden soll.
Ausdrücklich haben einige Landespolitiker betont, dass es eben nicht ausreicht, wenn eine Partei ausländerfeindlich ist, um sie zu verbieten. Eine solche Erklärung markiert dann auch die Trennung zu einer Rechten, die verboten werden soll und einer Rechten, die, obwohl ausländerfeindlich, dann doch akzeptabel ist.
Das korrespondiert mit einer Modernisierung innerhalb der rechten Bewegungen in Europa. Selbst Gruppierungen wie der Vlaams Belang und der Front National, die ihre Wurzeln in der alten nazistischen Rechten hatten, geben sich heute als Rechtspopulisten, kaschieren ihren Antisemitismus und begründen ihren Rassismus ethnopluralistisch statt biologistisch.
Zu den wenigen rechten Gruppierungen, die im europäischen Raum noch relativ ungebrochen auf die nazistische Ideologie rekurrieren, gehört neben der Jobbik in Ungarn, der Goldenen Morgenröte in Griechenland auch die NPD.
Auch in Griechenland diskutieren Antifaschisten, was hinter dem Verfolgungseifer der griechischen Behörden gegenüber den Faschisten steht, die monatelang nicht belangt worden. Der Anlass für das Umschwenken der griechischen Politik war die Ermordung des Rap-Musikers Pavlos Fyssas. Doch zuvor hatten die Rechten auch schon Migranten ermordet, ohne dass es zu einem Aufschrei kam. Im Gegenteil gab es in regierungsnahen Medien sogar Diskussionen, die Goldene Morgenröte in die Regierung mit den Rechtskonservativen einzubeziehen.
Nun ist klar, dass im gegenwärtigen Europa die offene Kooperation mit einer nazistischen Partei keine Perspektive hat. Wenn sich aber die Partei nach den Verfolgungsdruck gemäßigter gibt oder ein sogenannter moderater Flügel eine rechtspopulistische Partei gründet, die dem Antisemitismus und den offenen Straßenterror abschwört, scheint eine Kooperation mit den Konservativen viel einfacher.
Solche Überlegungen mögen im gegenwärtigen politischen Koordinatensystem Deutschlands zurzeit keine entscheidende Rolle spielen. Doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich auch hierzulande eine Partei rechts von der Union etabliert. Ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren könnte eine solche Entwicklung sogar beschleunigen, weil sie der Markierung einer verbotenen und einer tolerablen Rechten Vorschub leistet.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155440
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.tagesschau.de/kommentar/npdverbot172.html
[2]
http://www.taz.de/!128563/
[3]
http://www.coe.int/t/d/menschenrechtsgerichtshof/
[4]
http://www.vvn-bda.de/verbotsverfahren-konsequent-durchfuhren
[5]
http://www.npd-verbot-jetzt.de/
[6]
http://www.vlaamsbelang.org/
[7]
http://www.frontnational.com/
[8]
http://www.jobbik.hu/