Wohngemeinschaft ist keine Pension

Mit der Zurückweisung der Kündigung ist die Auseinandersetzung um Wohngemeinschaft in Weissensee nicht beendet

„B 59 bleibt“. Diese Parole kann man in Weissensee in den letzten Monaten häufiger lesen. Dabei handelt es sich um eine aus fünf Personen bestehende  Wohngemeinschaft in der Berliner Allee 59. Sie besteht seit November 2009, und die Mieter wollen auch weiter dort wohnen. Doch die Eigentümer des Hauses, Manfred und René Ulrich, haben mit dem Haus andere Pläne und sind seit Langem im Konflikt mit den Mietern.  Ihnen wurde mit der Begründung gekündigt, es gäbe eine unerlaubte Untervermietung. Mit Unterstützung der Berliner Mietergemeinschaft legten die Mieter Widerspruch gegen die Kündigung ein. Am 20. November fand vor dem Amtsgericht Weissensee die mündliche Verhandlung statt.
Dort führte der Anwalt der Eigentümer Hartwig Tholl aus, dass es sich nicht um eine Wohngemeinschaft sondern um eine Pension handele. Zur Begründung führte er in der Anklageschrift an,  dass in sich in der Wohnung häufiger fremde Personen mit großen Taschen und Rücksäcken aufhielten. Dabei handelt es sich  um Freunde und Bekannte der Wohngemeinschaft, die dort zu Besuch sind.  Das Amtsgericht Weissensee folgte der Lesart der Eigentümer und ihres Anwalts  nicht und wies die Kündigung zurück. Diese Entscheidung, die am 2. Dezember bekannt wurde,  hatte sich bereits in der mündlichen Verhandlung abgezeichnet.  Eine Wohngemeinschaft sei eine Wohngemeinschaft und keine Pension,  erklärte die Richterin sinngemäß und wies gegenüber Hartwig Troll auf verschiedene Urteile höherer Instanzen hin, die die Rechte der Mieter von Wohngemeinschaften stärken. Im Gespräch mit MieterEcho Online zeigte sich ein Mieter der Wohngemeinschaft erfreut über das Urteil. Allerdings dürfte damit die Auseinandersetzung mit den Vermietern nicht beendet sein.  So ist noch nicht klar, ob die Eigentümer Widerspruch gegen das Urteil einlegen werden.      Unwahrscheinlich wäre es nicht. Schließlich hatte der Vermieter bereits während der Verhandlung  die nächste Kündigung an. Dieses Mal soll eine von Solidaritätsaktion mit der Wohngemeinschaft als Grund dienen. Unbekannte hatten Ausstellungspuppen eines Bekleidungsladens T-Shirts mit der Parole „B59 bleibt“ übergezogen. Einen Zusammenhang mit den Mietern der Wohngemeinschaft gibt es nicht.  Schließlich hatte sich zu ihrer Unterstützung ein Solidaritätsbündnis gebildet, das die Kündigung der Wohngemeinschaft in einen politischen Kontext stellte und mit der Parole „B59 bleibt“ dagegen mobilisierte.   „In diesem Fall wird wieder einmal deutlich, dass der Vermieter offensiv Gründe sucht,  um die Bestandmieter zu räumen und bei Neuvermietung den Profit zu steigern“, erklärte Aktivist des Solidaritätsbündnisses, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will,  gegenüber dem MieterEcho.

MieterEcho online 03.12.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohngemeinschaften.html

Peter Nowak

Sind höhere Produktionskosten ein Vorteil für den Standort Deutschland?

Links

[1]

http://www.boeckler.de/2728_44851.htm

[2]

http://www.welt.de/wirtschaft/article122469407/Der-Standort-Deutschland-wird-wieder-teurer.html

[3]

http://www.boeckler.de/11011_5821.htm

[4]

http://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/tid-23196/profianleger-jens-ehrhardt-ein-austritt-deutschlands-aus-dem-euro-waere-das-beste_aid_652113.ht

[5]

http://www.personalmarketingblog.de/praktikantenspiegel-2014-unternehmenskultur-wichtiger-als-verguetung

[6]

http://hamburg.euromayday.de

[7]

http://www.goethe.de/ges/soz/dos/arb/alw/de1683946.htm

„Anlass für Verfolgung“

Antiziganistisches Ressentiment und das Stereotyp der Kindesentführung. Interview mit Markus End

KONKRET: Ende Oktober führte die (falsche) Behauptung griechische Roma hätten ein blondes Mädchen entführt, in verschiedenen europäischen Ländern zu Polizeimaßnahmen. Auch in Irland wurde einer Familie von Roma ein blondes Mädchen weggenommen. Erst nach mehreren Tagen wurde das Kind wieder zu seinen Eltern gelassen. Erleben wir gegenwärtig die Renaissance eines klassisch gewordenen rassistischen Motivs?

Markus End: Das antiziganistische Motiv des Kindesraubs ist jahrhundertealt. Es geht ursprünglich auf eine Novelle des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes zurück. Spätere literarische Werke, aber auch »wissenschaftliche« Publikationen, die »Zigeunern« Kindesentführungen zuschreiben, lassen sich auf diese Quelle zurückführen.

Zum Volksmythos wurde die Mär vom »zigeunerischen« Kindesraub wohl erst im 18. und 19. Jahrhundert. Seither diente sie immer wieder zum Anlaß für Verfolgungen. Als beispielsweise 1872 die Tochter eines Domänenpächters in Stettin verschwunden war, wurden polizeiliche Kontrollen von Sinti und Roma in ganz Preußen durchgeführt.

Warum tauchen diese Mythen im 21. Jahrhundert erneut auf ?

Es muß eher festgehalten werden, daß das Stereotyp vom Kindesraub nie verschwunden, sondern latent immer vorhanden war. So behauptete 2008 eine italienische Nicht-Romni in Neapel, eine Romni habe versucht, ihr Kind zu stehlen. Dies nahm die Nachbarschaft zum Anlaß, ein anliegendes campo nomadi mit Molotowcocktails und Eisenstangen anzugreifen.

Seit mehreren Monaten hält sich in verschiedenen deutschen Städten und auf Facebook die Legende, Roma würden bei H & M oder Primark kleine Kinder in die Umkleidekabinen ziehen, sie dort umkleiden, ihnen die Haare färben und sie dann entführen.

Zeigen die Nachrichten der letzten Wochen also eine europäische Normalität?

Was die Virulenz des Stereotyps vom Kindesraub betrifft, würde ich die Frage bejahen. Aber daß Medien und Öffentlichkeit weltweit unkritisch auf diesen Vorwurf Bezug nehmen, immer explizit mit Bezug auf das »Roma-sein« der Tatverdächtigen, das ist schon ein Novum.

Auf einer Pressekonferenz in Berlin beklagte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, das Schweigen der Politiker in dieser Angelegenheit. Gibt es keine Unterstützung für die diskriminierte Minderheit von offizieller Seite?

Rose hat recht. Mir ist in diesem konkreten Fall keine Äußerung von Personen des öffentlichen Lebens bekannt, die die mediale Behandlung dieses Vorgangs, während sie geschah, kritisiert hätten. Gleichzeitig wäre eine solche Behandlung heute gegenüber keiner anderen Minderheit in Europa denkbar.

Die Haar- und Augenfarbe spieltem in der Berichterstattung eine große Rolle. Wie erklärt sich dieser Rückfall in den Old-School-Rassismus, wo doch seit Jahren selbst in rechten Kreisen der kulturelle Rassismus dominiert?

Es könnte sein, daß es sich hier um die Folge eines antirassistischen Impetus handelt. Daß aus der »Rasse« auf das Verhalten geschlossen wird, ist – mit Recht – in die Kritik geraten und verpönt. Dies hat dazu geführt, daß Darstellungen, die Andersheit rein »phänotypisch«, aber ohne Rückschluß auf Verhalten inszenieren, heute harmloser erscheinen. Wenn in staatlichen Publikationen Roma dargestellt werden sollen, werden sie gegenwärtig verstärkt wieder mit ethnischen Zuschreibungen identifiziert. In eine solche Publikation hätte ein Foto der vermeintlich entführten Maria auch keinen Eingang gefunden.

So ist also ein fehlgeleiteter Antirassismus dafür verantwortlich, daß Eltern ihre Kinder weggenommen werden?

In dieser Form würde ich den Satz nicht unterschreiben. Ich will das mal an dem Beispiel aus Irland verdeutlichen. Dort riefen Nachbarn und Nachbarinnen die Polizei, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß eine Roma-Familie ein blondes Kind haben kann. Auch für die Polizei paßte das nicht. Hier stand die vermeintliche ethnische Differenz im Vordergrund, das Stereotyp lieferte lediglich eine unterstützende Erklärung. Wäre das Kind nicht blond gewesen, hätte die Polizei ja nicht auf Basis des Stereotyps einfach DNA-Tests aller Kinder der Familie durchgeführt. Darin liegt die Differenz zwischen der konkreten Praxis und der medialen Debatte. In dieser Debatte stand der Vorwurf des »Kindesraubs« im Vordergrund. Die blonden Haare fungierten lediglich als Bestätigung.

Hat der Rassismus gegen Sinti und Roma in der letzten Zeit insgesamt zugenommen, oder ist lediglich die mediale Aufmerksamkeit gewachsen?

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten kam es zu einer Renationalisierung und -ethnisierung des Politischen. Gleichzeitig verschlechterte sich die ökonomische und soziale Situation sehr vieler Roma in diesen Staaten dramatisch, weil sie aufgrund bestehender Diskriminierung tendenziell stärker vom Zusammenbruch ganzer Industriezweige betroffen waren. In dieser Zeit haben Angriffe auf Roma und antiziganistische Diskurse in fast allen Ländern Europas stark zugenommen. Diese massive Ausprägung hat der Antiziganismus in Europa bis heute mehr oder weniger beibehalten. Daß darüber in der letzten Zeit verstärkt berichtet wird, ist einer gewachsenen medialen Aufmerksamkeit in Deutschland geschuldet.

Womit ist diese gewachsene Medienaufmerksamkeit zu erklären?

Vor allem in Deutschland ist sie die Folge einer Wahrnehmung von politischen Entwicklungen in verschiedenen EU-Ländern. Hinzu kommt, daß sich auch im Wissenschaftsbereich das Thema »Antiziganismus« als Forschungsgegenstand zu etablieren beginnt. Seit dem letzten Jahr hat die Beschäftigung mit Antiziganismus vor dem Hintergrund der sogenannten Armutsflüchtlinge noch einmal zugenommen.

Während verschiedene EU-Länder in der deutschen Medienberichterstattung im Fokus stehen, scheint der deutsche Antiziganismus für die Medien kaum eine Rolle zu spielen.

Dieser Eindruck ist richtig. In den deutschen Medien wird vor allem über Antiziganismus in anderen Ländern berichtet. Daß auch in Deutschland Menschen bei antiziganistischen Angriffen verletzt werden, daß Wohnhäuser von Sinti oder Roma angezündet wurden, daß auch in Deutschland eine weitverbreitete Alltagsdiskriminierung mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen besteht, sorgt in den Medien hingegen selten für Schlagzeilen. Romani Rose sagte in der Pressekonferenz am 5. November, daß Roma und Sinti sich in Deutschland tagtäglich verstecken müssen – dies sei »der schlimmste Vorwurf, den man nach Auschwitz an diese Gesellschaft richten kann«.

Halten Sie die Vergleiche mit dem Antisemitismus für berechtigt?

Es bleibt wichtig, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede herauszuarbeiten. Bezüglich des Kinderraubmotivs sehe ich zentrale Unterschiede zum Ritualmordmotiv im Antisemitismus, insbesondere in der religiösen Komponente. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht allerdings darin, daß, so wie der Antisemitismus nichts über Jüdinnen und Juden aber viel über die Antisemiten aussagt, auch der Antiziganismus nichts mit dem Verhalten der als »Zigeuner« klassifizierten Menschen zu tun hat.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/aktuelles-heft/articles/anlass-fuer-verfolgung.html

aus:  Konkret 12/2013

Interview: Peter Nowak –

Zu kritisch für die Bundesanstalt für Arbeit?

Links

[1]

http://www.hdba.de/

[2]

https://kritischerkommilitone.wordpress.com/

[3]

http://kritischerkommilitone.wordpress.com/2013/11/26/sanktionen-endlich-abschaffen/

[4]

http://kritischerkommilitone.wordpress.com/category/personalpolitik/

[5]

https://kritischerkommilitone.wordpress.com/

[6]

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/ba-mahnt-hartz-iv-kritischen-mitarbeiter-ab-90015897.php

[7]

http://www.bmas.de

[8]

https://www.sgb2.info/seite/personalbemessung

[9]

http://www.steria.com/de

[10]

http://www.bearingpoint.com/de-de

[11]

http://bb.verdi.de

[12]

http://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/showNews?id=0f5306da-7aad-11de-5280-0019b9e321cd

[13]

http://www.jan-van-aken.de/files/r__stungsindex_20111207.pdf

[14]

http://gipfelsoli.org/Home/4223.html

[15]

http://www.bj-89.de/isg/index.php?action=fabienne

[16]

http://www.pole-emploi.fr/accueil

[17]

http://altonabloggt.wordpress.com

[18]

https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2013/_10/_23/Petition_46483.html

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“

Die Geschichte von Hilde und Rose Berger
Kürzlich hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Interviewband mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger  veröffentlicht und damit  das Schicksal der   jüdischen  Familie Berger in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Band enthält mehrere Interviews, die die  Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben,  sowie  einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben  und ihre politisches Engagement  in Berlin. Schon früh  befanden   sie sich  in Opposition zum streng  religiösen Vater und dem deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten  sie sich  in einer zionistischen Jugendorganisation, wo sie die Schriften von Marx und Engels kennenlernten.  Rose, Hilde und Hans Berger wurden  Mitglieder  der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber  bald in Opposition zu den autoritären Organisationsstrukturen, die Kritik verunmöglichten.
Nach ihren Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten  sich die drei Geschwister mit FreundInnen in einer trotzkistischen Organisation und bauten  nach 1933 deren illegalen  Organisationsstrukturen in Berlin auf. Hier böte sich sicherlich Material zum Weiterforschen an. Denn noch immer ist die trotzkistische Widerstandsbewegung gegen den NS wenig bekannt. Hilde Berger liefert auch einige Beispiele vom unverantwortlichen Handeln der KPD, die noch im Frühjahr 1933 die Namen oppositioneller KommunistInnen, die als Konterrevolutionäre bezeichnet werden, in ihren Publikationen veröffentlichte.  Natürlich kamen auf diese Weise auch die Nazis und die Polizei an die Daten.“Mein Bruder und ich hatten Angst, dass die Kommunisten unsere Namen veröffentlichten. Also beschlossen wir, woanders hinzuziehen“, erinnerte sich Hilde Berger.
Dass  Hans Berger 1936 verhaftet  und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet wurde, war allerdings nicht auf diese Denunziation der Stalinisten sondern auf das Einschleusen eines Spitzels in die Organisation zurückzuführen. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität. Ihre Schwester  entkam  nach mehreren Gefängnisaufenthalten in Deutschland nach Polen, wo sie bald von den deutschen Häschern eingeholt wurde. Im KZ Plaszow musste sie als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen FreundInnen das Leben retten. Dort traf sie auch auf den späteren Krupp-Manager Berthold Beitz als Teil der deutschen Administration. Als die Rote Armee näherrückte,  bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die dort aufgelisteten Gefangenen in den tschechoslowakischen Ort Brünnltiz gebracht werden sollen. „Mir wurde klar, dass  dieser  Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich, Kuba und einige andere enge Freunde ebenfalls auf diese Transportliste ein“, erinnert sich Hilde Berger.
Ein Kritikpunkt soll  bei dem ansonsten verdienstvollen Buch  angebracht werden.  Der Herausgeber  Reinhard Hesse kritisiert Hilde Berger als rigoros, weil sie sich nach 1945 geweigert hatte, Berthold Beitz einen Persilschein auszustellen. Sie erkannte an, dass er Leben von Juden gerettet hat, erinnerte sich aber auch seine  antisemitische Gespräche  und seiner Bereitschaft, von den Geretteten, Geschenke anzunehmen. Im Dokumententeil des Buches ist der Briefwechsel zwischen Berger und Beitz  von 1948  abgedruckt. Nachdem sich Berger geweigert hat, ihn  zu entlasten, drohte Beitz, „mit ihnen müsste jemand mal richtig „deutsch“ reden“. Diese Unverschämtheit gegenüber einer Frau, die knapp  den deutschen Vernichtungswahn überlebt und einen großen Teil ihrer Angehörigen und Freunde verloren hat, wird von Hesse nicht etwa zurückgewiesen sondern verteidigt. Dafür darf sich Beitz in der Einleitung gespreizt darüber auslassen, dass Hilde Berger sich nicht in seine  „komplexe und dilemmatische Lage“ hineinversetzen konnte. Sich in die Lage von Hilde Berger hineinzuversetzen,  kam  den Elitemenschen Beitz der schon 1948 von seinen neuen Karrierechancen in der Nachkriegsrepublik schwärmte,  natürlich nicht in den Sinn.  Dafür bekam Beitz kürzlich auf einem Staatsbegräbnis Lob von Politik und Wirtschaft.  Die Bergers waren bis zum Erscheinen dieses Buches vergessen.

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger, (Hrg. Reinhold Hesse), Gießen, Psychosozial Verlag, 2013, 223 Seiten, 19,90 Euro
aus:
Sozialistische Zeitung/ SoZ, November 2013,
http://www.sozonline.de/2013/11/inhalt-soz-112013/#more-8816
Peter Nowak

Kranenkampf

Dokumentarfilm über INNSE-Besetzung

„Es ist nicht so, dass du die Probleme löst, indem du auf einen Kran steigst. Du musst wissen, worauf du hinaus willst…“ (Massimo, Arbeiter bei INNSE Mailand)
„Hände weg von der INNSE“, diese Parole findet sich noch an vielen Hauswänden in norditalienischen Städten. Sie zeugt von einem der wenigen erfolgreichen Arbeitskämpfe gegen die Schließung einer Fabrik in den letzten Jahren. Dabei sah es auch in der Mailänder Metallfabrik INNSE lange Zeit so aus, als hätten die Beschäftigten keine Chance: Ende Mai 2008 erhalten sie die Nachricht, dass der neue Besitzer die Fabrik schließen wolle. Noch am gleichen Tag beschließen sie, die Fabrik zu besetzen. In Eigenregie versuchen sie, während der nächsten Monate weiterzuproduzieren. Nach mehrmaligen Räumungen gehen sie schließlich zu einem „Streik“ vor den Werkstoren über. Es nützt alles nichts. Am Sonntag, den 2. August 2009, beginnen unter Polizeischutz die Demontagearbeiten in der INNSE. Mehrere hundert Ordnungskräfte umzingeln die Fabrik und sollen für den sicheren Abtransport des Materials sorgen. Doch zwei Tage später gelingt es vier Arbeitern, die Polizeisperren zu überlisten und in der Werkshalle auf einen Kran zu klettern. Damit wendet sich das Blatt, und der Arbeitskampf tritt in eine neue, spektakuläre Phase mit hoher Medienresonanz.
Die Demontagearbeiten werden gestoppt, und es beginnen lange, zähe Verhandlungen zwischen den Arbeitern und der Gewerkschaft FIOM auf der einen Seite, dem Fabrikbesitzer Genta, der Immobilienfirma, der das Gelände gehört, dem Kaufinteressenten Camozzi, der den Betrieb samt Grundstück übernehmen will, sowie dem Präfekten von Mailand auf der andern Seite. Nach acht Tagen und sieben Nächten steigen Enzo, Fabio, Luigi und Massimo unter dem Beifall der Beschäftigten vom Kran herunter. Am Ende des Sommers werden die Werktore wieder geöffnet, und alle Arbeiter kehren in die Fabrik zurück.
In dem Dokumentarfilm „Dell‘ Arte della Guerra“ (Von der Kunst des Krieges), der nun auch deutsch untertitelt zu sehen ist, stellen die vier Arbeiter ihre nüchterne und höchst aktuelle Analyse dieser neuen Form von Arbeitskampf vor, die der „Politik des kleineren Übels“ eine Absage erteilt und sich mit aller Kraft und Entschlossenheit den Angriffen der herrschenden Klasse entgegenstellt.
Der Film hat die Form eines Essays über Politik und Guerillakrieg. In vier Akten und fast wie in einem Handbuch werden genaue und für jede Kampfform gültige Regeln entwickelt.
Dabei werden auch einige Grundsätze formuliert, die bei Vorführungen in Deutschland sicher für heftige Diskussionen sorgen werden. So erklären die Arbeiter offen, dass sie die gegenwärtigen  sozialen Bewegungen für erfolglos halten. Dagegen setzen sie auf klare Strukturen und strategische Orientierungen. Bevor man einen solchen Kampf beginne, müsse man ein „Heer mit einem Mindestmaß an Disziplin aufbauen“, so einer der Kranbesetzer. Die militärischen Metaphern sind bewusst gewählt und wiederholen sich häufiger. Für die Arbeiter ist klar, dass sie sich in einem Klassenkrieg mit den Kapitalisten befinden und die Besetzung der Kräne als eine Etappe in diesem Kampf begreifen. Für die Gewerkschaft FIOM , die sie während der Auseinandersetzung unterstützt hat, haben sie nur Spott übrig. „Wenn es nach ihnen ginge, wäre die Fabrik längst geschlossen, denn die wollen immer nur verhandeln“, meint einer der Aktivisten und stellt die berechtigte Frage: „Wenn die eine Seite die Fabrik schließen will, die andere Seite das aber ablehnt, was gibt es dann zu verhandeln?“ Die Arbeiter stellen auch klar, dass es ihnen mit ihrer Aktion nicht darum gegangen sei, um Arbeitsplätze zu kämpfen, sondern der Macht des Kapitals Grenzen aufzuzeigen. Das zumindest ist ihnen gelungen. Nach der Besetzung fand sich ein neuer Investor, und die Verhandlungen über den Weiterbetrieb begannen. Man sieht in dem Film mehrere Kundgebungen, bei denen die Parole ausgegeben wurde, dem neuen Investor keine zu hohen Forderungen zu stellen, damit er nicht wieder abspringt. Am Ende kommt es zu einer Einigung, nach der die Beschäftigten unter den gleichen Arbeitsbedingungen wie vorher weiterarbeiten können.
Der Film endet mit dem Satz, dass INNSE heute wieder ein rentabler Betrieb ist.  Dieses Ende enttäuscht etwas. Denn das war sicher nicht das primäre Ziel des Kampfes der vier Kranbesetzer und ihrer Unterstützer, zumindest wenn man deren radikale Klassenkampfrhetorik zum Maßstab nimmt. Da wäre es doch interessant gewesen zu erfahren, wie die Arbeitsbedingungen unter dem neuen Investor sind und ob durch den Kampf ein Organisierungsprozess unter den Beschäftigten eingesetzt hat, der auch dem neuen Investor Grenzen setzt.
Dennoch ist es erfreulich, dass mit dem Film nun einer der erfolgreichsten Arbeitskämpfe der letzten Jahre dokumentiert ist und dass man etwas mehr über die Bedingungen dieses Erfolgs erfährt. Bisher gibt es keinen Verleih in Deutschland für den Film. Eindrücke vermitteln jedoch Ausschnitte, die unter Labour-TV zu sehen:

aus:  express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

11/2013

http://www.labournet.de/express/

Von der Kunst des Krieges, italienisch mit dts. Untertiteln, Regie: Luca Bellini / Silvia Luzi, 85 min.

Peter Nowak