Kunduz-Angriff: Klage von Opfern erneut abgewiesen

Gericht entscheidet, dass dem Befehlsgeber des Luftangriffs mit etwa 100 Toten, Oberst Klein, „keine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vorzuwerfen“ ist

Das Oberlandesgericht Köln bestätigte [1] am 30. April ein Urteil des Bonner Landgerichts vom Dezember 2013 [2], wonach Angehörige der Opfer eines Militäreinsatzes leer ausgehen. Anfang September 2009 waren nahe dem deutschen Feldlager in Kunduz Tankfahrzeuge von Taliban-Kämpfern entführt worden. Der damalige Oberst Klein gab in der Nacht zum 4. September 2009 den Befehl für den Angriff.

Daraufhin bombardierte ein US-Kampfjet die Laster, die in einem Flussbett feststeckten. Bei der Bombardierung waren etwa 100 Menschen getötet worden, darunter viele Zivilisten. Die Opfer waren meinst junge Männer, die Benzin von dem gestrandeten Tanker abzapfen wollten. Geklagt hatten ein afghanischer Vater, dessen zwei Söhne bei der Bombardierung getötet wurden, und eine Witwe, deren Mann ums Leben kam. Als freiwillige Leistung hatte die Bundesrepublik Deutschland an die Familien von 90 Opfern jeweils 5.000 US-Dollar (4.470 Euro) gezahlt, die Kläger forderten zwischen 40.000 und 50.000 Euro.

Weißwäscher von Klein und der Militärlobby

Das Gericht beschränkte sich nicht darauf, die Entschädigungsklage aus formalen Gründen zurückzuweisen, sondern begründete ihre Entscheidung politisch. Nach Auffassung des Gerichts ist Oberst Klein keine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vorzuwerfen. Er habe alle verfügbaren Aufklärungsmaßnahmen genutzt, um auszuschließen, dass sich Zivilisten am Zielort befanden.Unter anderem habe er sich mehrfach bei einem Informanten vergewissert.

Es ist schon bemerkenswert, dass sich das Gericht hier unkritisch zum Claqueur von Oberst Klein und seinen Unterstützern macht. Schließlich haben Recherchen längst ergeben, dass er Warnungen ignoriert und sogar US-Soldaten bewusst getäuscht [3] habe. So heißt es in einem Natogeheimbericht:

Der Bundeswehroberst Georg Klein wollte, dass US-Truppen am 4. September 2009 die von Taliban entführten Tanklaster bombardieren – dafür hat er sie bewusst mit Falschinformationen versorgt, meldete der Spiegel – mit Verweis auf einen Natogeheimbericht [4].

In dem rund 500 Seiten starken Untersuchungsbericht, der bisher nur in Auszügen bekannt war und dem SPIEGEL vorliegt, korrigiert die Nato dagegen, dass es keine sicheren Erkenntnisse gegeben habe, „die auf einen geplanten Angriff der Taliban“ gegen das deutsche Feldlager hinwiesen.

Gegenüber den Nato-Ermittlern gab Klein zudem zu, dass er gezielt die Unwahrheit angegeben habe, um sich die amerikanische Luftunterstützung zu sichern. Dafür musste er den Eindruck erwecken, dass seine Soldaten Feindberührung hatten, also „troops in contact“ waren, kurz: TIC.

„Sein Problem sei gewesen, dass er gewusst hätte, dass es in Wirklichkeit keine TIC-Situation gab“, heißt es in dem Protokoll von Kleins Befragung zusammenfassend. „Er war der Ansicht, dass er bei Meldung einer TIC-Situation die gewünschte Luftunterstützung bekommen werde.“

Laut Spiegel wurde Klein für sein Verhalten sogar von deutschen Militärs kritisiert. Kleins Beförderung zum General standen aber weder die über 100 Toten noch die militärinterne Kritik an seinen Verhalten im Wege. Das ist natürlich die Praxis der Militärs überall auf der Welt.

Auch das Oberlandesgericht zeigt mit seiner Weißwäscherei für Oberst Klein nur, dass es in einer alten Tradition steht. Auch die zivilen Opfer des Natokrieges in Jugoslawien, die in Deutschland auf Entschädigung klagten, gingen leer [5] aus. Der juristische Streit um die Entschädigung der Kunduz-Opfer ist noch nicht zu Ende.

Das OLG Köln hat eine Revision beim Bundesgerichtshof zugelassen. Die Anwälte der Kläger haben schon angekündigt, dass sie diesen Weg gehen werden. All zu große Hoffnungen sollten sie sich allerdings nicht machen.

„Töte einen Menschen und du kommst lebenslänglich ins Gefängnis. Töte Hunderte und Du bekommst einen Orden umgehängt und wirst befördert.“ – Dieser Spruch kursierte bereits in pazifistischen Kreisen der Weimarer Republik und wie sich nicht nur am Fall Klein zeigt, hat sich daran auch heute wenig geändert.

http://www.heise.de/tp/news/Kunduz-Angriff-Klage-von-Opfern-erneut-abgewiesen-2631119.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.olg-koeln.nrw.de/index.php

[2]

http://www.olg-koeln.nrw.de/index.php

[3]

http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-01/afghanistan-klein-gesteht-luege

[4]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/kunduz-affaere-oberst-klein-gibt-gezielte-falschinformationen-zu-a-672261.html

[5]

http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-beschluss-2-bvr-2660-06-2-bvr-487-07-bruecke-varvarin-nato-angriff-zivile-opfer-schadensersatz/

Recht ist, was den Waffen nutzt

Links

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[3]

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Kein Schadenersatz für Opfer des Natokriegs

Am Vorabend des vierten Jahrestags des Bombardements von Kunduz entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen den verantwortlichen Staat zusteht

„Eine mörderische Entscheidung“ [1] lautete der ARD-Themenabend am 4.August. Es ist der vierte Jahrestag eines von dem Bundeswehroberst Klein zu verantwortenden Bombardements in der afghanischen Provinz Kunduz, die mindestens 140 Menschen das Leben kostete.

Es handelte sich in der Mehrzahl um junge Menschen, Kinder armer Bauern, die etwas Sprit aus einem Nato-Tanklastzug abzapfen wollten, der von Aufständischen entführt worden war. Die Bilder zum Film machen eigentlich schon deutlich, in welcher Atmosphäre eine solche tödliche Entscheidung getroffen wurde. Da sind eventorientierte junge Soldaten zu sehen, ein intellektuell dreinblickender Klein-Darsteller und ein Dorfbewohner mit traditioneller Kopfbedeckung und Bart. Besser kann der Clash der Kulturen, die da aufeinanderstießen, nicht dargestellt werden. Bezeichnenderweise laufen die Sendungen unter der Rubrik „Unterhaltung im Ersten“. Schließlich sollen ja die Fernsehschauer und Gebührenzahler nicht verschreckt werden, indem man die Rubrik „Deutsche Geschichte“ genannt hätte.

Einer solchen Eventisierung des Afghanistankrieges widersetzen sich Initiativen [2], die mit Veranstaltungen und Kundgebungen an die Toten von Kunduz erinnern. In Berlin kam am 3. September am Brandenburger Tor auf einer Videokundgebung [3] auch der Bremer Anwalt Karim Popal [4] zu Wort, der darüber klagte, dass viele Angehörige der Getöteten noch immer keine Entschädigung bekommen haben. Viele der Opferfamilien sind durch den Tod ihrer Angehörigen auch in finanzielle Not geraten. Oberst Klein hingegen ist trotz seiner mörderischen Entscheidung befördert worden.

Kein Schadenersatz für zivile Opfer im Jugoslawienkrieg

Zufälligerweise hat das Bundesverfassungsgericht am Vorabend des Bombardements von Kunduz eine Entscheidung [5] gefällt, die die deutschen Steuerzahler beruhigen dürfte. Danach haben die Opfer des Bombardements der Brücke von Varvarin in Jugoslawien keinen Anspruch auf Entschädigung.

Bei einem Angriff von Nato- Kampfflugzeugen auf die serbische Stadt Varvarin am 30.Mai 1999 wurde eine Brücke über den Fluss Morawa durch den Beschuss mit insgesamt vier Raketen zerstört. Zehn Menschen wurden getötet und 30 verletzt, 17 davon schwer. Mehrere Betroffene hatten auf Entschädigung geklagt [6]. Das Gericht bestätigte, dass es sich ausschließlich um Zivilpersonen handelte. Deutsche Flugzeuge waren nicht unmittelbar an dem Bombardement beteiligt, befanden sich aber ebenfalls im Einsatz in unmittelbarer Nähe des Tatorts. „Ob und inwieweit die eingesetzten deutschen Aufklärungsflugzeuge auch den Angriff auf die Brücke von Varvarin abgesichert haben, ist zwischen den Beschwerdeführern und der Bundesrepublik Deutschland im fachgerichtlichen Verfahren streitig geblieben“, hieß es in der Pressemitteilung des Gerichts. Doch der Grund für die Ablehnung der Entschädigung wird nicht damit begründet.

„Es gibt jedoch keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat zusteht. Derartige Ansprüche stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat des Geschädigten zu oder sind von diesem geltend zu machen. Art. 3 des IV. Haager Abkommens und Art. 91 des Protokolls I begründen keine unmittelbaren individuellen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, weshalb offenbleiben kann, ob diese Vorschriften völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangt haben, “ heißt es in der Urteilsbegründung. Damit werden Kriegsopfer auf die Staaten verwiesen und individuelle Rechte negiert.

Das Europäische Zentrum für Menschenrechte [7], das die Kläger unterstützt [8] hat, kritisiert die Entscheidung. „Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts bleibt allerdings den Betroffenen weiterhin der Zugang zu Entschädigungsklagen für den rechtswidrigen Angriff der NATO verwehrt. Weder gegen die NATO direkt, noch gegen am NATO-Einsatz beteiligte Bundesrepublik Deutschland konnte bislang eine Entschädigung für den Verlust der Angehörigen erreicht werden. Die Forderung, den Geschädigten von Kriegshandlungen einen Weg vor die ordentlichen Gerichte zu eröffnen, bleibt damit aktuell.“ Der ECCHR kündigte an, nun den europäischen Rechtsweg einzuschlagen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154897

Peter Nowak 05.09.2013

Links

[1]

http://www.daserste.de/unterhaltung/film/eine-moerderische-entscheidung/index.html

[2]

http://www.friedenskooperative.de/terroterndx.htm

[3]

https://linksunten.indymedia.org/de/node/93771

[4]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153978

[5]

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg13-055.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/13/13313/1.html

[7]

http://www.ecchr.de

[8]

http://www.ecchr.de/index.php/varvarin.html

Karrieresprung nach fast 100 Toten von Kunduz

Die geplante Beförderung von Oberst Klein macht nur deutlich, die Bundeswehr ist eine Armee wie jede andere geworden und nicht der bewaffnete Arm von Amnesty International

Normalerweise stößt die Beförderung eines Bundeswehroberst zum General in der Öffentlichkeit auf kein besonderes Interesse. Doch im Falle von Oberst Georg Klein ist die Aufregung groß. Schließlich war er befehlshabender Offizier beim Luftangriff auf Kunduz am 4. September 2009. Islamisten hatten zwei Tanklastwagen entführt, die aber im unwegsamen Gebiet feststeckten. Zahlreiche Einwohner der umliegenden Dörfer versammelten sich um die Tanklastwagen, um Benzin abzuzapfen. Sie stellten den größten Teil der 91 Toten und 11 Verletzten des Angriffs.

Manche der Opfer waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Es handelte sich überwiegend um junge Männer. Auf einer Fotoaustellung in Potsdam waren die Porträts einiger Opfer und ihrer Angehöriger zu finden. Der Fotograf Christoph Reuter wollte ihnen ein Gesicht geben, denn was bedeutet eine Meldung, dass 91 Personen bei einem Luftangriff ums Leben kamen? Diese Frage wird oft an Oberst Georg Klein gerichtet. Doch in der Öffentlichkeit war er nur bemüht, sein Handeln als juristisch einwandfrei darzustellen. Nachdem die Bundesanwaltschaft ein juristisches Verfahren gegen Klein eingestellt hat, gab es viel Kritik, doch der Oberst fühlte sich rehabilitiert und war wieder für höhere Aufgaben verwendungsfähig. Nun soll er Abteilungsleiter beim neugeschaffenen Bundesamt für Personalmanagement bei der Bundeswehr werden. Verständlich, dass der Karrieresprung eines für den Tod von fast 100 Menschen Verantwortlichen für viele nicht nachvollziehbar ist. Das Unverständnis dafür groß.

Die Suche nach dem unschuldigen Militär

Trotzdem muss man aber der Kritik an Klein widersprechen, die in seinem Handeln ein militärisches Versagen sieht und die deshalb auf eine Anklage drängte. Darauf hatte der sich selbst als kritischen Militärangehörigen begreifende Jürgen Rose in einem Freitag-Beitrag hingewiesen. Er begründet dort auch, warum in der deutschen Politik erst nach dem Luftangriff von Kunduz offiziell davon gesprochen wurde, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan in einem Krieg befindet. Zuvor vermieden die Politiker von SPD, Union und FDP eine solche Klassifizierung immer. Doch dann hätte der Angriff für Klein wohl juristische Konsequenzen haben müssen. Handelt es sich aber um eine kriegerische Auseinandersetzung, ist die Genfer Konvention samt ihrer Zusatzprotokolle für den juristischen Umgang maßgeblich, wie Jürgen Rose erklärt:

„Wendet man diese Regeln nun auf den Fall Kunduz an, so war die gewaltsame Kaperung der beiden Tanklastwagen, die Treibstoff für die ISAF transportierten, zweifellos ein feindseliger Akt der gegnerischen Guerilla. Diese feindliche Handlung war zum Zeitpunkt der Bombardierung keineswegs beendet – im Gegenteil waren die Taliban unter Mithilfe lokaler Dorfangehöriger damit beschäftigt, die festgefahrenen Tanker wieder flottzukriegen und zu diesem Zweck unter anderem Treibstoff aus diesen abzuzapfen. Nach militärischer Logik durften beide Akteure gemäß den Regeln des HVR zu diesem Zeitpunkt bekämpft werden. Gleichermaßen durften die beiden Tankfahrzeuge ins Visier genommen werden, um zu verhindern, dass der Feind aus dem erbeuteten Treibstoff einen Vorteil für seine Kampfführung ziehen konnte.“

„Markenzeichen der Bundeswehr“ beschädigt?

Roses Resümee ist deutlich: „Unübersehbar offenbart sich in jenem nicht nur völkerrechtlich ungemein komplexen Geschehen erneut die Absurdität der Vorstellung, einen Krieg ’sauber‘ führen oder darin gar ‚unschuldig‘ bleiben zu können. Darüber hinaus gibt das Desaster von Kunduz Anlass zum Zweifel, ob das ‚ius in bello‘ die Kriegführung wirklich maßgeblich beschränken oder gar unmöglich machen könnte – ganz im Gegenteil erweist sich: Krieg zermalmt und vernichtet stets das Recht.“

Vor diesem Hintergrund ist es merkwürdig, wenn der verteidigungspolitische Sprecher der Linkspartei, Paul Schäfer, die angekündigte Beförderung Kleins mit der Begründung kritisiert, dass diese „nicht mit der Vorbildfunktion der Generäle für die Soldaten in Einklang zu bringen“ sei und „gegen einen zentralen Grundsatz der Inneren Führung, die strikte Bindung des eigenen Handelns an Recht und Gesetz“, verstoße. Wenn Schäfer dann noch erklärt, dass „dieses Markenzeichen“ der Bundeswehr nicht geschwächt werden dürfe, reibt man sich schon die Augen. Schließlich ging alles streng nach Kriegsrecht zu und wenn man die Todesbilanz zahlreicher Gründer der Bundeswehr im Zweiten Weltkrieg berücksichtigt, könnte man die Metapher vom Markenzeichen der Bundeswehr auch ganz anders interpretieren.

Der anvisierte Karrieresprung für Klein zeigt, die Bundeswehr ist eine Armee wie alle anderen auch. Klein wird sicher bei vielen aus der Armeeführung gerade deswegen geschätzt, weil er mit dazu beigetragen hat, dass sie sich jetzt ganz offen dazu bekennt, Krieg zu führen und nicht der bewaffnete Arm von Amnesty International zu sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152549
Peter Nowak