Das Lavieren des Bundespräsidenten macht deutlich, dass in führenden Kreisen aus Politik und Wirtschaft Uneinigkeit über die Positionierung zu Russland besteht
Bundespräsident Gauck wird nicht zur Winterolympiade reisen, die in knapp 2 Monaten im russischen Sotschi beginnt. Doch will damit der Bundespräsident eine Missbilligung der russischen Menschenrechtspolitik ausdrücken, wie es Spiegel-Online behauptete und gleich von einem Boykott sprach?
Schon Stunden später kamen aus dem Bundespräsidentenamt Bemerkungen, die diesen Eindruck relativeren sollen. So wurde darauf verweisen, es gäbe keine Gesetzmäßigkeit, dass ein Bundespräsident die Olympischen Winterspiele besuchen müsse. Schließlich sei auch sein Vorvorgänger Köhler den Winterspielen in Kanada ganz ohne politische Botschaft ferngeblieben.
Schuldeingeständnis von Russland gefordert
Diese Erklärung ist formal richtig, aber keinesfalls ein Dementi des Spiegelberichts. Die Repräsentationspolitik eines Bundespräsidenten in Deutschland besteht hauptsächlich aus Gesten und Symbolen. Als Köhler einem Sportevent in Kanada ferngeblieben ist, hat daher mit Recht niemand eine politische Aussage dahinter vermutet. Wenn Gauck aber den Winterspielen in Russland fernbleibt, ist das anders. Schließlich hat er öfter mehr Druck auf Russland gefordert, unter anderem bei seinen Besuch in Litauen vor einigen Monaten, wo er wegen dieser Aussagen von der dortigen Regierung mit offenen Armen empfangen wurde.
Schon vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten wurde Kritik an dessen Lesart der Erinnerungspolitik laut, die unter anderem vom Leiter des Simon Wiesenthal Centers formuliert wurde. Sie entzündete sich an einer von ihm vertretenen Totalitarismustheorie, die den Nationalsozialismus und den Nominalsozialismus auf die gleiche Stufe setzen will. So hatte Gauck eine Prager Erklärung unterzeichnet, der diese Lesart der Geschichte Vorschub leistet.
Daher war nur konsequent, wenn der Bundespräsident in einer Rede vor dem deutsch-russischen Forum in Potsdam vor einigen Monaten von Russland ein Schuldeingeständnis einforderte.
Gauck hat bisher in seiner Amtszeit Russland nicht besucht. Als im Juni 2012 in Russland das „Deutschlandjahr“ eröffnet wurde, sollte es ein deutsch-russisches Prestigeobjekt werden. Allerdings ist der Bundespräsident der feierlichen Eröffnung in Moskau ferngeblieben, obwohl er mit Wladimir Putin zum Puzzlespielen auf dem Roten Platz verabredet gewesen war, wo sie eine riesige Kopie eines Selbstporträts des deutschen Malers Albrecht Dürer zusammenfügen und das Deutschlandjahr in Russland einläuten sollten.
Deswegen muss es auch nicht verwundern, wenn nun an seine Nichtteilnahme an den Winterspielen in Sotchi als weiteres Symbol an Russland verstanden wird.
Persönliche Motive?
Dabei vermischen sich Gaucks totalitarismustheoretische Ansätze mit seiner Biographie. Seine Eltern waren Mitglieder der NSDAP, sein Vater war Oberleutnant zur See der Reserve. Einige Zeit vor dem Kriegsende hatte Gauck im Haus seiner Großmutter an der Ostsee verbracht, das später von der Roten Armee zu militärischen Zwecken requiriert wurde.
Sein Vater wurde von einem sowjetischen Militärtribunal in Schwerin wegen Spionage und so genannter „antisowjetischer Hetze“ zu zwei Mal 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt und in ein sibirisches Arbeitslager verbannt. Im Oktober 1955 kehrte er in Folge der Moskauer Verhandlungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Deutschland zurück.
Gauck hat in der Vergangenheit öfter erklärt, dass sein Antikommunismus auch aus dieser Erfahrung herrührt. Dabei hat er die NS-Vergangenheit seiner Eltern allerdings ausgeklammert. Gerade die russische Seite reagiert empfindlich auf eine Lesart der Geschichte, bei der die deutsche Seite zum eigentlichen Opfer stilisiert wird. Daher ist Gaucks Absage, an den Winterspielen teilzunehmen, bereits von russischen Parlamentariern kritisiert worden. Sie monierten, dass sich der Bundespräsident nicht in gleicher Weise gegen Menschenrechtsverletzungen der Nato in Afghanistan äußere.
Gaucks Absage fällt in eine Zeit, in der sich um die Ukraine ein erneuter Ost-West-Konflikt entzünden könnte. So wurde der noch amtierende Außenminister Westerwelle in Russland und der Ukraine heftig dafür kritisiert, dass er bei einem Besuch in Kiew den Oppositionellen einen Besuch abstattete und sie ermutigte, ihren Protest fortzusetzen. Zudem wird hierzulande kaum registriert, dass eine der einflussreichen Parteien in der derzeitigen ukrainischen Opposition, die Swobada-Bewegung, nicht nur erklärtermaßen russlandfeindlich und antisemitisch ist (Hass auf Moskauer, Juden und „andere Unreine“), sondern sich auf politische Kräfte bezieht, die im 2. Weltkrieg mit den deutschen Nazibesatzern auch bei der Ermordung von Juden zusammengearbeitet haben.
Deutsche Interessen mit oder gegen Russland?
Die deutsche Politik gegen Russland ist von zwei sich widersprechenden Interessen geprägt. Es gibt Fraktionen in Politik und Wirtschaft, die ein gutes Verhältnis zu Russland bevorzugen und die osteuropäischen Länder dabei eher ignorieren. Sie träumen von einem deutsch-russischen Wirtschaftsraum. Diese Kräfte machten schon 1980 gegen einen Olympiaboykott mobil, der damals vor allem aus den USA forciert wurde. Nach dem Ende des Kalten Krieges war es vor allem der Ex-Kanzler Schröder, der als Fürsprecher der prorussischen Kreise gelten kann.
Dagegen steht ein anderer Teil in Wirtschaft und Politik, der an alte Beziehungen Deutschlands mit osteuropäischen Ländern anknüpfen will, und klar gegen Russland gerichtet ist. Sie finden in Gauck ihren Fürsprecher.
Beide Positionen mögen sich mit Menschenrechtsargumenten einen moralischen Anstrich geben. Es geht dabei aber in erster Linie um die Frage, was dem deutschen Standort mehr nützt. Solange diese Auseinandersetzung auch in den höchsten politischen Kreisen andauert, muss auch Gauck lavieren. Er fährt nicht nach Moskau, will es aber auch nicht offensiv als Boykott verstanden wissen.
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.bundespraesident.de
[2]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundespraesident-gauck-boykottiert-olympia-in-sotschi-a-937791.html
[3]
http://www.handelsblatt.com/politik/international/besuch-in-litauen-gauck-fordert-mehr-druck-auf-russland/8482640.html
[4]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151636
[5]
http://www.taz.de/Gaucks-verzerrtes-Geschichtsbild/!89802/
[6]
http://www.victimsofcommunism.org/
[7]
http://german.ruvr.ru/2013_06_14/Gauck-wunscht-Russlands-Beichte-7064/
[8]
http://www.svoboda.org.ua/
[9]
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40495/1.html
[10]
http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-12/ukraine-protest-swoboda-maidan