Deutschland war für einen Tag erneut im Lockdown, erklärten wütende Kapitalvertreter:innen. Doch am 27. März war es kein Virus, der das Land lahmlegte.
Genug ist genug – das könnte auch in Deutschland zum Motto einer Arbeiter:innenbewegung werden, die gerade in Zeiten von steigender Inflation nicht mehr bereit ist weiter für die Krise zu zahlen und Reallohnverluste hinzunehmen. Der beste Kampf gegen steigende Mieten und Energiepreise wären Streiks für mehr Lohn, die den Bossen auch wehtun. Denn nur dann sind sie wirksam. Da haben uns die Kolleg*innen Frankreich einiges voraus.
Deutschland war für einen Tag erneut im Lockdown, erklärten wütende Kapitalvertreter:innen. Doch am 27. März war es kein Virus, der das Land lahmlegte. Es waren die Beschäftigten von Bahn und Öffentlichem Nahverkehr, die im Rahmen ihres Tarifkampfs in einen eintägigen bundesweiten Warnstreik traten. Er wurde im Wesentlichen von den DGB-Gewerkschaften Verdi und EVG getragen und hat eine Ahnung von der Macht der Lohnabhängigen vermittelt. „Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will“, heißt es in einem bekannten Lied der frühen Arbeiter:innenbewegung von 1863. Der Spruch hat auch 160 Jahre später nichts von seiner Bedeutung verloren, da mögen postmoderne Theoretiker:innen auch noch so oft die Arbeiter:innenbewegung beerdigen. Von der Stärke der organisierten Arbeiter:innen bekamen wir beim Warnstreik vom 27. März eine Ahnung. In Frankreich konnten wir in den letzten Monaten sehen, wie das Land stillsteht, wenn die Arbeiter:innen sich ihrer Macht bewußt werden. Dort protestieren seit Monaten …
Dabei wird auch das neue Gesicht der Arbeiterbewegung in Zeiten nach dem Ende der großen Fabriken deutlich: Es ist nicht mehr weiß und männlich
Seit zwei Monaten streikt das Personal der Uniklinik Düsseldorf für mehr Personal und Entlastung bei ihrer Arbeit. Hochrangige Klinikmitarbeiter haben mittlerweile in einem Offenen Brief den Ministerpräsidenten von NRW zur Vermittlung aufgefordert[1]:
„Es berührt uns zutiefst, seit Wochen die gravierenden Folgen des Streiks für unsere Patienten hilflos erleben zu müssen“, schreiben die Ärzte jetzt in dem offenen Brief. Die Notaufnahme sei zeitweise von der Notfallversorgung abgemeldet, wodurch Einschränkungen für Patienten entstehen könnten.
ÄrzteZeitung
Jetzt bekommen die Streikenden auch Unterstützung von den Patienten. Auf Initiative des Geschäftsführers der Stiftung ethecon Axel Köhler-Schnura[2] verfassten 135 ehemalige und aktuelle Klinikpatienten einen Solidaritätsaufruf[3] mit den Streikenden.
Wir sind empört über die skandalöse Überlastung und Überforderung des Personals, über extrem mangelnde Entlohnung, über unhaltbare Arbeitsbedingungen. Wir verurteilen, dass die Leitungen der Uni Klinik und ihrer Tochter-Gesellschaften nicht dafür sorgen, dass genügend Personal zur Verfügung steht und in angemessener Sorgfalt und Qualität gearbeitet werden kann. Es ist ein Skandal, dass bei den Geschäftsführungen der Uni Klinik Düsseldorf und ihrer Tochter-Gesellschaften betriebswirtschaftliche Überlegungen – wirtschaftlichkeit, Rendite und Profit – im Zentrum stehen und nicht das Wohl der PatientInnen.
Aus dem Solidaritätsbrief mit den Streikenden
Aus Personalnot vor das Bett gepinkelt
Im Gespräch mit Telepolis nennt Axel Köhler-Schnura ein prägnantes Beispiel, wie die desolate Personalsituation die Rechte der Patienten beeinträchtigt.
Wenn, wie eine mitunterzeichnende Patientin berichtete, dass sie dringend auf die Toilette muss, aber wegen der Krankheit nicht kann, und niemand in angemessener Zeit auf den Notruf reagiert, und dann vor das Bett urinieren muss, was kann denn dann sonst noch passieren?
Axel Köhler-Schnura
Neben dem Offenen Brief unterstützt die Patienteninitiative die Streikenden auch finanziell und beteiligt sich an den Kundgebungen. Die Initiative ist eine wichtige Solidaritätsaktion, weil so verhindert wird, dass es der Klinikleitung gelingt, Patienten und Personal zu spalten. Es gab bereits in den letzten Jahren Solidaritätsaktionen von außerbetrieblichen Linken[4] mit den Streikenden an der Berliner Charité.
Hier wird auch deutlich, dass die Arbeitskämpfe in den Kliniken in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle bei den bundesweiten Arbeitskämpfen[5] spielen werden. Lange Zeit galt die Arbeit in Kliniken und der Pflege als Ehrenamt, Streiks waren schon deshalb kaum möglich, weil man die Patienten nicht im Stich lassen will.
Doch das hat sich in den letzten Jahren geändert. Quer durch die Republik gab und gibt es Arbeitskämpfe von Klinikpersonal, die deutlich machen, dass es sich hier um Lohnarbeit handelt, die gut bezahlt werden muss. Es geht nicht nur um Lohn, es geht immer mehr um mehr Personal selbst. Die Beschäftigten sind nicht mehr bereit, Pflege am Limit[6] zu leisten.
Das neue Gesicht der Arbeiterbewegung
In den Ausständen wird auch das neue Gesicht der Arbeiterbewegung in Zeiten nach dem Ende der großen Fabriken deutlich. Es ist nicht mehr weiß und männlich (rein deutsch war auch die Belegschaft in der fordistischen Phase des Kapitalismus nicht). Im Bereich der Pflege gibt es besonders viele weibliche Arbeitskräfte, die lange Zeit auch von großen Teilen der traditionellen Arbeiterbewegung nicht so richtig als gleichwertig anerkannt wurden.
Das beginnt sich zu ändern. Schon vor einigen Jahren hat die Bewegung Carerevolution[7] auf die zunehmende Bedeutung der Pflege- und Sorgeberufe gelegt. Die Ausstände in den Kliniken[8] sind ein Teil dieser Carerevolution und die Solidaritätsaktionen können durchaus der Vorschein sein für eine neue Solidarität in Lohnarbeitsverhältnissen.
Denn klar ist: Arbeitskämpfe in Kliniken, Kitas etc. können nicht gegen, sondern nur mit den Patienten bzw. Eltern und Kinder gewonnen werden. In einem Stahlwerk konnten die Streikenden noch singen. Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will. Für die Streiks der neuen Arbeiterbewegung ist die Solidarität mit der Bevölkerung und vor allem der Nutzerinnen und Nutzer ihrer Dienstleistungen die größte Stärke.
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4137235
https://www.heise.de/tp/features/Uniklinik-Duesseldorf-Patienten-solidarisieren-sich-mit-streikendem-Klinikpersonal-4137235.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikmanagement/article/969264/uniklinikum-duesseldorf-offener-brief-landesvater-druckmittel.html
[2] https://www.ethikbank.de/die-ethikbank/unsere-kunden-im-portraet/axel-koehler-schnura.html
[3] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2018/08/Streik_UniklinikD_OffenerBrief.pdf
[4] https://interventionistische-linke.org/beitrag/solidaritat-mit-dem-streik-der-charite
[5] http://mehr-krankenhauspersonal-bremen.de/2018/07/05/solidaritaetserklaerung-mit-den-streikenden-beschaeftigten-der-unikliniken-duesseldorf-und-essen/
[6] https://thueringen.verdi.de/themen/nachrichten/++co++d6936b90-72bb-11e7-b881-525400423e78
[7] https://care-revolution.org/
[8] https://de.labournet.tv/kaempfe-im-gesundheitsbereich
Was sollen Linke von der Bewegung »Pulse of Europe« halten? Der europäische Puls schlägt nicht auf deutschen Marktplätzen, sondern in den Kämpfen und Bewegungen, die die Vorherrschaft Deutschlands in der EU nicht einfach hinnehmen wollen.
Von Aachen bis Wiesbaden gehen immer sonntags um 14 Uhr Menschen mit EU-Fahnen auf die Straße, um für den Erhalt der Europäischen Union zu werben. Auch in anderen europäischen Ländern hat sich diese Mode mittlerweile ausgebreitet. Seit sich herausgestellt hat, dass die Bewegung zumindest einige Wochen Bestand haben wird, gibt es Diskussionen, wie sich die Linke dazu verhalten soll. Der Journalist Sebastian Weiermann bezeichnet »Pulse of Europe« in der Tageszeitung Neues Deutschland als Partner für die Linke und moniert: »Die (radikale) Linke steht wieder einmal auf dem Bürgersteig, während auf den Straßen Deutschlands eine anschlussfähige Bewegung protestiert«. Dabei konstatiert auch er, »Pulse of Europe« sei »bestimmt kein Projekt für die befreite Gesellschaft, aber die Bewegung, die den Nationalismus in Europa aufhalten will«.
Es ist notwendig, der falschen Alternative Nationalstaaten versus Euronationalismus eine Absage zu erteilen.
Dabei kennt der Autor die Kritik, die vor gerade einmal einem Jahrzehnt von antinationalen Linken an dem Streben nach einer europäischen Nation geübt wurde, die vor allem ein deutsches Projekt war und sich anschickte, mit den USA auf weltpolitischer Ebene ebenbürtig zu werden. Noch 2007 konnten manche solche Überlegungen als typisch antideutsche Panikmache abtun, wie die Warnung vor dem Vierten Reich nach 1989. Aber spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps zeigt sich, dass die Kritikerinnen und Kritiker einer deutsch dominierten EU sogar noch untertrieben haben. Heute geht es nicht mehr darum, dass die EU mit den USA gleichberechtigt sein soll. Jetzt soll die EU die Verteidigung der »freien Welt« in die eigenen Hände nehmen. Deutschland soll dabei die Führungsrolle zukommen. »Pulse of Europe« ist der außerparlamentarische Arm dieser von Deutschland dominierten europäischen Nation. Die Initiatoren formulieren die Zielsetzung deutlich: »Wir sind nicht gegen etwas, sondern für etwas. Es ist nicht die Zeit der Proteste. Es ist Zeit, für die Grundlagen unserer Wertegemeinschaft im positiven Sinne einzustehen.«
Radikale Linke sollten zu solchen Bestrebungen Abstand halten. Es ist notwendig, der falschen Alternative Nationalstaaten versus Euronationalismus eine Absage zu erteilen. Schließlich geht es darum, einen dritten Pol aufzubauen, der sich auf soziale, gewerkschaftliche und antirassistische Bewegungen stützt, die in vielen europäischen Ländern existieren. Doch oft ist es schwer, sie über Ländergrenzen hinweg zu verbinden. Da wäre die Bewegung der Geflüchteten zu nennen, die in vielen europäischen Ländern inner- und außerhalb der EU für ein Leben in Würde eintritt. Sie kämpft gegen eine EU-Politik der Abschottung, die ein untrennbarer Teil der stets betonten europäischen Werte ist. Das wird an den oft tödlichen Grenzzäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla ebenso deutlich wie beim Tod Tausender Geflüchteter im Mittelmeer. Eine Bewegung, die so penetrant die europäischen Werte beschwört und über deren tägliche Opfer nicht reden will, kann kein Partner einer radikalen Linken sein.
Natürlich gibt es bei »Pulse of Europe« kein kritisches Wort über die Austeritätspolitik der EU zu lesen, die wesentlich von Deutschland diktiert wurde und wird. Es ist noch keine zwei Jahre her, dass in vielen europäischen Städten Menschen auf die Straße gingen, damit das »Oxi« der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung gegen diese Politik der Misere akzeptiert wird. Die Ansätze dieses echten Pulses wurden mit dem an Griechenland beispielhaft exekutierten EU-Diktat schnell zunichte gemacht. In der Folge wurden rechtspopulistische und sozialchauvinistische Strömungen stärker. Eine Gegenbewegung muss von den sozialen und basisgewerkschaftlichen Kämpfen ausgehen, die es in vielen europäischen Ländern gibt, die aber auch von der radikalen Linken zu wenig beachtet werden. Wer nimmt schon Notiz davon, dass in Norditalien migrantische Logistikarbeiter seit Jahren mit Streiks und Blockaden gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen kämpfen?
Immerhin ist es punktuell gelungen, den Arbeitskampf bei Amazon auf einer transnationalen Ebene zu führen, damit sich beispielsweise die Kollegen in Deutschland und Polen nicht als Konkurrenten gegenübertreten. Initiativen wie die transnationale Strike Platform oder das Amazon-Solidaritätsbündnis haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Hier schlägt noch viel zu schwach ein emanzipativer Puls für Europa, an dem die radikale Linke sich beteiligen sollte.
Leipzig. Bei Amazon in Leipzig geben Mitarbeiter der Stammbelegschaft an, in den letzten Wochen verstärkt zur Kündigung gedrängt worden zu sein. »Beschäftigte wurden wegen zu vieler krankheitsbedingter Fehlzeiten zu Gesprächen zitiert, um auf sie Druck abbauen«, erklärte ein gewerkschaftlich aktiver Amazon-Beschäftigter, der in den letzten Jahren als Streikführer in Leipzig am Arbeitskampf für einen Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzelhandels beteiligt war. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Der für Amazon zuständige Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Thomas Schneider bestätigte gegenüber »nd« die Angaben des Beschäftigten. Der Druck auf die Coreteam genannte Stammbelegschaft habe in der letzten Zeit zugenommen.
Viele Kollegen seien verunsichert und haben angebotene Abfindungen angenommen. Allerdings gibt es auch eine Anzahl von Kollegen, die mit Unterstützung von ver.di gegen die Kündigung klagen. Der Betriebsrat habe in der Regel die Zustimmung zu den Entlassungen verweigert, betont Schneider. »Das Geld, das Amazon für die Abfindungen von Kollegen ausgibt, damit sie den Betrieb verlassen, wäre viel besser in einem Tarifvertrag angelegt, wie ihn die Beschäftigten seit Jahren fordern«, kritisiert Schneider.
David Johns vom Amazon-Solidaritäts-Bündnis, das von außerhalb den Kampf um einen Tarifvertrag unterstützt, befürchtet, dass die Verringerung des Kernteams vor allem auf streikerfahrene Kollegen zielt und so Arbeitskämpfe erschweren soll. Hat das Unternehmen damit Erfolg, könnten auch andere Amazon-Standorte von der Ausdünnung der Stammbelegschaft betroffen sein, befürchtet Johns.
Anette Nachbar von der Kommunikationsabteilung von Amazon Deutschland bestreitet gegenüber »nd« eine Strategie der zunehmenden Entlassung der Stammbelegschaft in Leipzig und verweist darauf, dass ihr Unternehmen 2017 2000 neue Vollzeitstellen in Deutschland plane.
Mit Spontanität wollen die Amazon-Arbeiter den Konzern unter Druck setzten
Eine große Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon vor Weihnachten sucht man in diesem Jahr vergebens. Das liegt jedoch nicht an Untätigkeit sondern an einer neuen Taktik der Gewerkschaft.
Bis Weihachten wird an den Amazon-Standorten Rheinberg, Werne und Koblenz gestreikt. Der Ausstand begann am 21.Dezember. Damit ist der Kampf der Amazon-Beschäftigten für einen neuen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzelhandels wieder neu entbrannt. In den vergangenen Jahren fand der Arbeitskampf vor allem in den Weihnachtstagen ein großes öffentliches Interesse. Schließlich ist der Onlinekonzern in dieser Zeit besonders druckempfindlich, weil sehr viele Menschen Bestellungen aufgeben.
Im November und der ersten Dezemberhälfte wurde auch in diesem Jahr an 12 Tagen an unterschiedlichen Amazon-Standorten die Arbeit niedergelegt. Dass diese Ausstände medial wenig Beachtung fanden, lag auch an der veränderten Streiktaktik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. »Es werden nicht alle Streiks per bundesweiter Pressemitteilung bekannt gemacht. Wenn in einem Landesbezirk gestreikt wird, wird dies über eine Landespressemitteilung bekannt gegeben«, erklärt Thomas Voss vom verdi-Fachbereich Handel gegenüber »nd«. Die neue Streiktaktik habe sich aber bewährt, meint der Gewerkschaftssekretär. Die flexible Strategie, bei der Streiks sehr kurzfristig bekannt gemacht werden, mache es für Amazon schwer, zu reagieren und sich auf den Ausstand vorzubereiten. »Das führt zu spürbaren Störungen der Arbeitsabläufe mit Auswirkungen auf die Auslieferung und treibt die Kosten für Amazon in die Höhe. Denn das Unternehmen hat an vielen Standorten Ersatzbeschäftigte eingestellt, die dann nicht zum Einsatz kommen, weil wir zum angenommenen Zeitpunkt eben nicht streiken«, betont Voss. Dabei seien allein in Leipzig im November rund 7000 sogenannte unproduktive Stunden angefallen.
Dass Amazon manchmal mehr Geld ausgeben muss, wenn nicht gestreikt wird, bestätigt auch David Johns vom Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig gegenüber »nd«. Die zusätzlich eingestellten Ersatzbeschäftigten müssen ebenso bezahlt werden, wie die regulären Mitarbeiter. Wenn es dann doch zu verlängerten Mittagspausen kommt, wie eine der flexiblen Arbeitskampfmethoden genannt wird, sei die Stimmung gut und es würden auch sich auch Beschäftigte daran beteiligen, die vorher abseits standen.
Das außerbetriebliche Bündnis unterstützt seit mehr als drei Jahren die Beschäftigten, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.Es wurde zum Vorbild für Solibündnisse an anderen Amazon-Standorten. Das letzte bundesweite Treffen der Solidaritätsgruppen fand im November 2016 am Standort Bad Hersfeld statt. Dort wurde auch das Konzept des Konsumentenstreiks entwickelt. Kunden sollten Waren bestellen und anschließend von der Möglichkeit der Rücksendungen gebrauch machen. Dabei sollten die Sendungen mit Unterstützungsbekundungen der Streikenden versehen werden.
»Wir waren organisatorisch nicht in der Lage, diese Kunden-Kampagne so auszuweiten, dass sie sich für Amazon auch finanziell bemerkbar macht«, meint Johns. Ver.di bietet für ihre Aktion Aufkleber an, die für die Rücksendungen verwendet werden können. Darauf heißt es unter anderem: »«
»Eine präzise Auswertung können wir nicht bieten. Wir wissen aber, dass sie auf großes Interesse bei Kunden stößt und der Arbeitgeber Amazon sie sehr wohl registriert«, meint Thomas Voss. Über die weitere Perspektive des Amazon-Streiks will sich der Gewerkschaftssekretär nicht äußern. Nur soviel, der Kampf werde weitergehen. »So lange bei Amazon kein Tarifvertrag existiert, muss sich das Unternehmen jederzeit auf Arbeitskampfmaßnahmen und auch weitere Streiks einstellen. Und wir werden bei unserer derzeitigen flexiblen Streiktaktik bleiben, weil wir sie als sehr erfolgreich ansehen«, stellt Voss klar.
Auch das Solibündnis hat seine Arbeit keineswegs eingestellt, selbst wenn die Homepage seit einem Jahr nicht erneuert wurde. »Wir haben in letzter Zeit mehr mit den Kollegen vor Ort gearbeitet, als bundesweite Kampagnen gemacht«, begründet David John diese digitale Inaktualität. Das Bündnis bereitet das am polnischen Amazon-Standort Wroclaw geplante Treffen der Beschäftigten vor. Dort wollen Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen Ländern darüber beraten, wie sie Amazon transnational unter Druck setzen können.
Vom 27. bis 29. November 2015 versammelten sich rund 20 solidarische Aktivist_innen und Beschäftigte von Amazon und anderen Betrieben im hessischen Bad Hersfeld, um Erfahrungen auszutauschen und Strategien der Streiksolidarität zu diskutieren. Organisiert wurde das Treffen von den Streiksolikreisen in Kassel und Leipzig. Mit dabei waren Streikunterstützer_innen, Amazon-Kolleg_innen und Betriebsräte aus dem ganzen Bundesgebiet. Schwerpunkte der Diskussion, waren neben den Arbeitskämpfen bei Amazon auch die Streiks der vergangenen Monate in den unterschiedlichen Branchen. Da auch mehrere Aktivist_innen des Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main anwesend waren, spielten die Arbeitskämpfe im Carebereich in der Diskussion eine große Rolle. Am Samstagabend wurde über antirassistische Strategien im Betrieb diskutiert. Anlass waren die Beschäftigung von Geflüchteten in den Amazon-Standorten Bad Hersfeld und Leipzig. Ein Fortsetzungstreffen soll es im Frühjahr 2016 geben.
aus:
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 611 / 15.12.2015
Im Amazon-Tarifstreit ist das Weihnachtsgeschäft ein wichtiges Schlachtfeld – nun ruft ein Solidaritätskreis zum »Konsumentenstreik« auf
Der Onlineriese will Streiks mit Prämien unterlaufen, die Gewerkschaft stockt die Kriegskasse auf, soziale Initiativen mischen sich ein: Beim Amazon-Tarifkampf geht es längst auch um Prinzipien.
»Ver.di will Amazon das Weihnachtsgeschäft verderben«, titelte das Handelsblatt am 30. November. Das mag die Strategie der Gewerkschaft durchaus treffen. Nun, da die jährliche Verkaufssaison so richtig in Fahrt zu geraten beginnt, häufen sich auch wieder die Ausstände in der Dauerauseinandersetzung um die Einführung Tarifverträge bei dem Giganten des Onlinehandels.
Bestreikt wurden jüngst wieder die Versandzentren Koblenz, Leipzig, Bad Hersfeld in Hessen, Graben in Bayern, Rheinberg und Werne in Nordrhein-Westfalen sowie der DVD-Verleiher und Video-Streaming-Dienstes Amazon Prime Instant Video Germany GmbH im schleswig-holsteinischen Elmshorn. Im polnischen Wroclaw gab es eine Kundgebung und eine Pressekonferenz gegen schlechte Arbeitsbedingungen bei Amazon in Polen und aus Solidarität mit den Arbeitsniederlegungen in Deutschland. Die Aktionen sollen fortgesetzt werden.
Nun tragen Konzern und Gewerkschaft den Kampf um das Weihnachtsgeschäft auf monetärer Ebene aus. In den nächsten beiden Kalenderwochen zahle Amazon ein Antrittsgeld von je 100 Euro, um Arbeitende bei Laune zu halten, so die »Sächsische Zeitung« am Donnerstag unter Berufung auf ver.di. Gewerkschaftsfachsekretär Thomas Schneider kündigte an, die Gewerkschaft wolle ihrerseits »beim Streikgeld nachlegen«.
Zudem bestätigte die Deutschlandzentrale von Amazon in München dem Blatt, man werde in den Logistikzentren einen »Bonus in der Weihnachtszeit« anbieten. Für jede voll gearbeitete Schicht soll es »eine Prämie von zehn bis 20 Euro« geben. Hintergrund dürfte sein, dass sich die Gewerkschaft zunehmend darauf verlegt, mit Ausständen inmitten laufender Schichten zu beginnen, damit sich die Arbeitgeber schlechter auf die Streiks einstellen können.
Wird das Amazon-Management sein Versprechen, Kunden pünktlich zu beliefern, halten können? Ein bundesweites Seminar der Amazon-Streiksolidarität am vergangenen Wochenende in Bad Hersfeld rief nun die Konsumenten dazu auf, sich mit kreativen Methoden am Arbeitskampf zu beteiligen.
Funktionieren soll der »Konsumentenstreik« folgendermaßen: Zunächst wird bei Amazon Ware für mindestens 40 Euro bestellt. Anschließend sollen die kritischen Kunden von der großzügigen Umtauschregelung bei Amazon Gebrauch machen: Ware kann innerhalb zweier Wochen nach Empfang auf Firmenkosten zurückgeschickt werden. Auf das Retourpaket sollen Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden, die sich mit den Streiks solidarisieren. Zudem ruft das Solibündnis dazu auf, Fotos von solchen Rücksendungen einzuschicken, die dann von der Soliaktion auf Facebook veröffentlicht werden sollen.
Die Initiative, die streikenden Amazon-Beschäftigten helfen, bei DHL-Beschäftigten freilich auf weniger Begeisterung treffen dürfte, geht von einem Leipziger Solidaritätskreis aus. Seit gut drei Jahren unterstützt die mehrheitlich studentische Gruppe den Streik. »Hier geht es um mehr als einen innerbetrieblichen Arbeitskampf. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten und leben wollen«, sagt ein Mitglied der Gruppe zu »nd«. Es habe sich ein enger Kontakt zwischen Aktiven und Solikreis ergeben.
Die Initiatoren betonen, die Soliaktion sei kein Boykottaufruf: »Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Management von Amazon einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen,« erklärt ein Mitglied des Leipziger Unterstützerkreises. Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag beim Onlinehändler gesellschaftliche Unterstützung findet.
Bereits während jüngerer Arbeitskämpfe im Einzelhandel hatten sich kritische Kunden mit Streikenden solidarisiert. So wurde etwa im Juni 2008 für mehrere Stunden ein Discountmarkt in Berlin blockiert. Und als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort ebenfalls die Retoursendungen in die Höhe. In manchen Paketen lagen solidarische Grüße.
Zalando ist direkter Nachbar von Amazon im brandenburgischen Brieselang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, auch hier in beiden Unternehmen mehr Mitglieder zu gewinnen.