Parteitag der Linken: Wie passen offene Grenzen mit realen Abschiebungen zusammen?

Die Linke zerstreitet sich auf ihren Parteitag erwartungsgemäß über offene Grenzen. Doch die Abschiebungen in von ihr mitregierten Bundesländern wurden erst am Ende ein Thema

Am Ende kam es doch noch zum Eklat auf dem Parteitag der Linken. In einer teilweise sehr emotionalen, extra anberaumten einstündigen Diskussion über die Flüchtlingsfrage[1] zeigte sich, wie sehr die Delegierten das Thema umtreibt. Es hatten sich fast 100 Delegierte für eine Wortmeldung angemeldet. Nicht mal ein Viertel konnte sich aus Zeitgründen äußern.

Es war seit Monaten vorauszusehen, dass die Flüchtlingspolitik zum Knall führen wird. Dabei bemühte man sich zwei Tage um Formelkompromisse. Es sah auch erst so aus, als könnte das gelingen.

„Bleiberecht für Alle“ oder „Bleiberecht für Menschen in Not“

Sahra Wagenknecht erklärte ausdrücklich, dass sie mit dem vom Parteivorstand eingebrachten Beschluss leben kann, weil dort nicht mehr ein Bleiberecht für alle Menschen, sondern für alle Geflüchtete gefordert wird. Nun handelt es sich hier auch wieder um viel Semantik. Denn natürlich wollen nicht alle Menschen fliehen und nur ein Bruchteil der Menschen in Not will überhaupt nach Deutschland.

Darauf wies Fabian Goldmann in einem Kommentar[2] in der Tageszeitung Neues Deutschland hin.

Von den 67 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, kamen im vergangenen Jahr 186.644 nach Deutschland. Rechnet man noch die 1,17 Millionen Geflüchteten aus den beiden Vorjahren hinzu, kommt man immer noch nicht auf „die ganze Welt“, sondern auf rund zwei Prozent der weltweiten Flüchtlingsbevölkerung.

Fabian Goldmann

Allerdings macht Goldmann seine Kritik an einer populistischen Äußerung der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles fest. Doch eigentlich zielte seine Kritik auf den Flügel um Sahra Wagenknecht und so wurde sie auch punktgenau vor dem Beginn des Parteitags der Linken im Neuen Deutschland platziert.

Hier wird einer der Gründe deutlich, warum in der Linken eine Debatte um Migration so schwierig ist. Goldmann schlägt Nahles und meint Wagenknecht, die manche schon nicht mehr als rechte Sozialdemokratin sehen, sondern gleich in die Nähe der AfD stellen. Und Goldmann hat auch noch exemplarisch gezeigt, wie man in der Migrationsdebatte in der Linkspartei künstlich Konflikte schafft.

Denn die Überschrift über Goldmanns Überschrift ist natürlich polemisch gemeint, was im Text deutlich wird. „Doch wir können alle aufnehmen“ – weil nur 2% der Migranten überhaupt nach Deutschland kommen. Es ist schon erstaunlich, dass sich vor allem der realpolitische Flügel der Linken in den Fragen der Migrationspolitik als Maximalisten der Worte geriert, während seine Mitglieder in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen ansonsten jeden Wortradikalismus bekämpfen, weil er angeblich viele potentielle Wähler abschrecke.

Würde, so ließe sich fragen, in einem sozialpolitischen Leitantrag die Überschrift auftauchen, dass nur eine kommunistische Gesellschaft – nicht zu verwechseln mit dem untergegangenen Staatskapitalismus – die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen kann? Einem Antrag mit einer solchen Wortwahl würden nicht mal 10 Prozent der Delegierten zustimmen. Warum also in der Flüchtlingsfrage die Liebe zur Wortradikalität?

Da lohnt ein Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Schon Jahre vor Beginn des 1. Weltkriegs, als ein Großteil der sozialdemokratischen Parteien ihren Burgfrieden mit Staat und Kapital schloss, hatten bekannte Parteifunktionäre diesen Schritt vorbereitet. Sie befürworteten den Kolonialismus, wollten Frauen aus der Arbeiterbewegung ausgrenzen – und auch die Liebe zu Nation und Staat hatten sie schon entdeckt. Doch diese Verstaatlichung der Sozialdemokratie wurde durch radikal klingende Parteiprogramme verdeckt, in denen man sich scheinbar orthodox auf Marx berief. Doch sie hatten wenig mit der konkreten Parteipolitik zu tun. Daher konnte man sie zu Beginn des 1. Weltkriegs so schnell über Bord werfen. Umgekehrt schien die Burgfriedenspolitik für viele überraschend, weil sie eben nur auf die radikal klingenden Programme und weniger auf die Praxis guckten.

Warum nicht auch ein würdiges Leben für die, die nicht migrieren wollen?

In der Debatte um die Flüchtlingspolitik in der LINKEN scheint sich das Muster zu wiederholen. Das wird schon daran erkennbar, dass die Aufregung von der Person abhängt, die sich zur Migrationspolitik äußert.

Es ist absolut richtig und mit linker Programmatik kompatibel, die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in den Aufnahmeländern ebenfalls im Blick zu haben.

Wieder so ein Satz von Sahra Wagenknecht gegen Offene Grenzen? Nein, er stammt von einen Beitrag[5] des Bundestagsabgeordneten Michael Leutert[6] in der Wochenzeitung Jungle World. Dort verteidigt Leutert ein Einwanderungsgesetz der LINKEN, das er mit formuliert hat. In einen späteren Beitrag kritisiert[7] Caren Lay[8] dieses Einwanderungsgesetz vehement und sieht es als Versuch der Revision einer angeblich libertären Programmatik in der Flüchtlingspolitik der LINKEN.

Das Thesenpapier von Fabio De Masi, Michael Leutert und anderen folgt dagegen einer anderen Agenda: nämlich die bisherige programmatische Forderung der Linkspartei nach offenen Grenzen zu revidieren. Es spricht sich erstmalig in der linken Migrationsdebatte klar für die Regulierung von Einwanderung, vor allem die Begrenzung der Arbeitsmigration im Interesse der deutschen Bevölkerung, aus. Ich bin erschrocken, wenn behauptet wird, ‚ohne Grenzmanagement stünden die Staaten hilflos gegenüber der international organisierten Kriminalität und dem Terrorismus‘ da, denn das suggeriert, dass organisierte Kriminalität offenbar ausschließlich von außen importiert wird.

Anstatt Migration und Einwanderung als Normalfall und Grundlage moderner Gesellschaften anzunehmen und positive Leitbilder für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen, werden die Bedürfnisse von Eingewanderten und Einheimischen gegeneinandergestellt. Grundlage der Argumentation ist die Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, wie es im Mainstreamdiskurs heißt, auch wenn die Formulierung „diejenigen, (…) die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen“ versucht, diesen Begriff zu umschiffen. Eine solche Unterscheidung bedeutet im Kern nichts anderes, als von Millionen Menschen im globalen Süden paternalistisch zu fordern, doch bitte zu Hause zu bleiben und dort für Gerechtigkeit und ein besseres Leben zu kämpfen. Garniert wird dies mit der abenteuerlichen Behauptung, nur die Wohlhabenden der Herkunftsgesellschaften würden den Weg nach Europa schaffen.

Caren Lay

Lay und Leutert sind aktiv im realpolitischen Flügel der LINKEN, stehen in der Einwanderungsfrage konträr und schaffen es doch, ohne persönliche Angriffe die Kontroverse auszutragen. Hier geht es also im Grunde um den Streit, der am Sonntagmittag zur Eskalation auf dem Parteitag der LINKEN beigetragen hat. Wagenknecht hatte in ihrer Rede betont, dass sie das Asylrecht verteidigt und daher offene Grenzen für Menschen in Not befürwortet, nicht aber eine Arbeitsmigration.

Tatsächlich wird in der Debatte von allen Seiten sehr selektiv geurteilt. Auch bei den Befürwortern einer Arbeitsmigration für Alle werden die Konsequenzen für die Gesellschaften außer Acht gelassen. Schon die heute legale Arbeitsmigration im EU-Raum zeigt diese Problematiken. Viele Kinder wachsen in Rumänien und Bulgarien ohne Eltern auf, weil die in Westeuropa arbeiten und nur wenige Tage im Jahr zu Hause sind. Wenn die wenigen Ärzte und Pfleger aus dem Subsahara-Raum migrieren, wer kümmert sich dann um die Ärmsten, die eben aus Alters- und Krankheitsgründen nicht fliehen können?

Müsste eine linke Position nicht nur das Recht auf Migration, sondern auch das Recht stark machen, dass Menschen in ihren Heimatländern ein würdiges Leben führen können? Und warum macht man sich nicht auch für die Ausbildung von Geflüchteten in Deutschland stark, mit der sie in ihren Heimatländern ein würdiges Leben für sich und andere aufbauen können? Es haben viele Geflüchtete aus Syrien, aber auch aus anderen afrikanischen und asiatischen Ländern immer wieder betont, dass sie gerne zurückgingen, wenn sich für sie Lebensperspektiven bieten würden. Könnten nicht derartige Ausbildungsprogramme zu solchen Perspektiven beitragen?

Auf dem Parteitag wurde etwas nebulös auch immer wieder davon geredet, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Aber von Ausbildungsprogrammen für Migranten, die wieder in ihre Heimatländer zurückwollen, hat man wenig gehört. Dabei wäre das im Interesse für einen nicht unerheblichen Teil der Menschen, die migrieren mussten. Was auch nicht erwähnt wurde, war die gewerkschaftliche Organisierung der Migranten.

Erst kürzlich wurde in Italien Soumaila Sacko erschossen[9], der sich gewerkschaftlich organisierte[10]. Er sammelte Blech für seine Hütte, mit der er in Italien sich selber ein Dach über dem Kopf schaffen wollte. Doch diese Biographien von Lohnabhängigen in Europa kommen auch in den moralisch grundierten Refugee-Welcome-Erzählungen einer parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken viel zu wenig vor.

Der Film Eldorado[11] ist da eine Ausnahme. Der Regisseur Markus Imhooff begleitete einen Gewerkschafter in die Hütten der ausgebeuteten Tagelöhner, die in Italien Tomaten ernten. Doch ein Großteil der Migrantengeschichten in Filmen und Theatern nimmt die Perspektive eines linksliberalen akademischen Mittelstands ein, der heute in verschiedenen Orten der Welt zu Hause ist und sich dann fragt, wo ihre Heimat ist. Das gilt auch für künstlerisch sehr gelungene Theaterstücke wie Being here – hier sein[12]. Was für eine künstlerische Arbeit, die ein linksliberales Bürgertum anspricht, das auch sonst kaum mit der realen Arbeitswelt in Berührung kommt, verständlich sein mag, ist für eine Partei, die sich rhetorisch auf die Arbeitswelt bezieht, fatal.

Werden Kipping und Wagenknecht zusammen Abschiebungen behindern?

Am Ende sind die streitenden Personen innerhalb der LINKEN doch noch gemeinsam auf die Bühne gegangen und haben einen Vorschlag für die Weiterführung der Debatte vorgestellt. So soll nicht mehr über die Medien, sondern innerhalb der Partei und ihren Gremien diskutiert werden. Es wird sich zeigen, wie lange dieser Vorsatz Bestand hat. Zudem soll eine Tagung zur Flüchtlingsfrage mit Bündnisorganisationen und Experten beraten werden. Vielleicht kommt es dann doch noch dazu, darüber zu beraten, wie denn Abschiebungen von Migranten aus Ländern mit Regierungsbeteiligung der LINKEN be- oder gar verhindert werden können.

In der nach Wagenknechts Rede erzwungenen Diskussion haben mehrere Delegierte auf diese Abschiebungen hingewiesen. Das war implizit auch eine Kritik an die vielen Realpolitikern der LINKEN, die so vehement für offene Grenzen auf dem Papier eintreten und über darüber schwiegen, dass sowohl in Berlin und Brandenburg als auch in Thüringen die Polizei weiterhin Abschiebungen mit Polizeihilfe vollzieht.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die Wagenknecht in einem emotionalen Redebeitrag sehr stark angriff, äußerte sich nicht dazu. In der anschließenden Abschlussrede erklärte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow mit dem Parteibuch der LINKEN wie sehr er diese Abschiebungen bedauert. Doch leider müssen nun mal Bundesgesetze umgesetzt werden. Daher müsse die LINKE auch da so stark werden, dass sie die Gesetze verändern kann. Das ist allerdings eine Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Viel realistischer ist es, wenn eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung Abschiebungen real be- oder auch verhindert. Das ist auch schon mehrmals geschehen und mittlerweile wird ein solcher Widerstand vermehrt kriminalisiert[15], wie im letzten Jahr in Nürnberg[16] und kürzlich in Ellwangen[17].

Warum positioniert sich die LINKE nicht hier, anstatt über offene Grenzen zu zerstreiten? Weil es dann für die Realpolitiker um ihre Ämter geht? Wie würde die Presse reagieren, wenn sich Katja Kipping und Sahra Wagenknecht gemeinsam auf einer Blockade unterhaken, um womöglich in einem von der LINKEN mitregierten Land die Abschiebung einer Roma-Familie zu verhindern? Das wäre doch ein Thema, mit der die LINKE ganz konkret in die Abschiebemaschine eingreifen könnte.

Der Sender Phönix habe die Ausstrahlung des Films „Kreuzzug der Katharer“ abgesagt, um die kurzfristig anberaumte Diskussion der LINKEN auszustrahlen, erklärte Dietmar Bartsch stolz. Ungleich größer wäre das Medienecho, wenn die Spitzenpolitiker der LINKEN dem Vorschlag eines Delegierten folgend tatsächlich in die Abschiebemaschine eingreifen würden.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Parteitag-der-Linken-Wie-passen-offene-Grenzen-mit-realen-Abschiebungen-zusammen-4075493.html

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=cuWwA4AWdKM
[2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1090349.obergrenze-fuer-fluechtlinge-doch-wir-koennen-alle-aufnehmen.html
[3] https://www.flickr.com/photos/die_linke/42688945811/
[4] https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/
[5] https://jungle.world/artikel/2018/20/regulieren-ist-notwendig
[6] https://www.michael-leutert.de/de/topic/3.bundestag.html
[7] https://jungle.world/artikel/2018/22/links-bleiben
[8] https://www.caren-lay.de/
[9] http://www.ilgiornale.it/news/vibo-valentia-fermato-presunto-killer-soumaila-sacko-1537727.html
[10] http://www.derstandard.de/story/2000081073354/mord-an-migrant-in-kalabrien-entflammt-tageloehnerdebatte
[11] http://www.majestic.de/eldorado/
[12] http://www.hellerau.org/being-here-2018
[13] https://www.flickr.com/photos/die_linke/42661563902/
[14] https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/
[15] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Asef-N-Der-Rachefeldzug-3973990.html
[16] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Asef-N-Nuernberger-Lehren-3744160.html
[17] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-polizeieinsatz-in-ellwangen-fluechtlinge-schildern-polizei-ihre-aengste.5dcc19ae-89aa-4a28-be3f-33aeec1e3ad4.html

Auf der Suche nach dem deutschen Corbyn

Die Linke sieht eine Chance auf einen Wahlerfolg. SPD und Grünen möchten, dass sie aufgibt, was sie von ihnen unterscheidet

Die Reformlinke in Deutschland hat periodisch neue Idole. Sie sind immer aus dem Ausland und ihre Verfallszeit ist kurz. Alexis Tsipras war solange ein Vorbild, mit dem die Linke Hoffnung verbreiten wollte, bis er sich dem wesentlich von „Deutsch-Europa“ erzwungenen Austeritätsdiktat unterwerfen musste. Hier wird ein Paradox der Reformlinken deutlich.

Weil in einem Land, das als EU-Hegemon auftritt, die Linke aus historischen und aktuellen Gründen besonders schwer Fuß fassen kann, macht man sich Hoffnung und zieht Inspiration von anderen Ländern. Aber der Linken in Deutschland gelingt es dann nicht einmal, die deutsche Politik daran zu hindern, dass sie diese Reformhoffnungen regelmäßig austritt, wie sich am Beispiel Griechenland zeigt. Zwischenzeitlich waren spanische Podemos-Politiker zum linken Hoffnungsträger avanciert und seit einigen Tagen nimmt Jeremy Corbyn diese Rolle ein.

Der britische Sozialdemokrat hat schließlich eine beachtliche Aufholjagd bei der Wahl absolviert, die weder seine Freunde noch seine Gegner für möglich gehalten haben. Nun wird auch in der SPD gerne auf Corbyn verwiesen, um ihre Anhänger in dem Glauben zu halten, dass auch in Deutschland die Wahlen noch nicht gelaufen sind.

Nur werden die Sozialdemokraten mit dem britischen Politiker nicht so recht glücklich. Schließlich sind seine Positionen eher mit dem unter Schröder erfolgreich marginalisierten Lafontaine-Flügel vergleichbar. Das hat auch dessen neue politische Heimat erkannt.

Die Linke sieht daher gerade im Wahlerfolg von Corbyn einen Beweis dafür, dass man eben nicht das Lied Wirtschaftsliberalismus singen muss, um gewählt zu werden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Sahra Wagenknecht, die am konsequentesten die Lafontaine-Linie in der Partei vertritt, sich nun positiv auf Corbyn bezieht[1].

Sie hatte die große Mehrheit auf dem Hannoveraner Parteitag auf ihrer Seite als sie bei ihrer Abschlussrede in den Saal rief, ihre Partei würde einen Corbyn sofort mit zum Kanzler wählen, aber sie habe keine Möglichkeit, aus einem Martin Schulz einen Jeremy Corbyn zu formen. Das ist nun keineswegs eine Absage an ein Bündnis mit der SPD und den Grünen, wenn es rechnerisch nach den nächsten Wahlen möglich ist.

Es ist eher eine Aufforderung an die SPD, sie solle, wie kurz nach der Nominierung von Schulz wieder mehr nach links blinken und selber auch ein Bündnis mit der Linken nicht ausschließen. Diese kurze Episode war nach der Saarland-Wahl beendet. Danach hat sich Schulz immer als rechter Sozialdemokrat präsentiert, mit dem es weder in der Innen- noch in der Sozial- oder Außenpolitik Experimente gibt.

Nun hat sich die Linke auf dem Parteitag für eine Gerechtigkeitswende eingesetzt (vgl. Linke: Hartz-IV abschaffen, Mindestsicherung von 1.050 Euro einführen[2]), wozu ein Ende der als Agenda 2010 bekannten Austeritätspolitik ebenso gehört wie eine armutssichere Altersrente und ein Mindestlohn von 12 Euro.

Wenn Sahra Wagenknecht polemisch vom Ende der „Betrugsrenten“ spricht, die nur die Versicherungen reich machen, wird der Graben zur SPD deutlich. Schließlich ist der Namensgeber dieser Riesterrenten ein immer noch angesehener Sozialdemokrat. Außenpolitisch positionierte sich die Linke gegen Kriegseinsätze und forderte den Abzug der Bundeswehr aus den Krisenherden dieser Welt[3].

Das aber steht dem Interesse des deutschen Imperialismus fundamental entgegen, die schließlich die späte symbolische Entnazifizierung der Bundeswehr genau deshalb veranstalten, um überall in der Welt scheinbar ohne historische Altlasten auftreten zu können. Wenn die Linke also wirklich irgendwie an einer Regierungskoalition beteiligt ist, müsste sie sich bedingungslos hinter Bundeswehr, Nato und EU stellen.


Wagenknecht als Hindernis für eine Selbstaufgabe der Linken in der Außen- und Sozialpolitik

Deshalb hatte der Taz-Kommentator Stefan Reinicke im Vorfeld des Linkspartei-Tags noch einmal den Fokus auf Wagenknecht gerichtet, die zumindest verbal deutlich macht, dass die Linke nicht über jedes Stöckchen springt, das ihr die SPD hinhält.

„Die Linkspartei bleibt derzeit unter ihren Möglichkeiten. Eigentlich gäbe es angesichts der in die Mitte strebenden Grünen und der unsicher wirkenden Sozialdemokraten Raum für eine entschlossene egalitäre, undogmatische Kraft. Doch die 8-Prozent-Partei kultiviert einen kuriosen moralischen Alleinvertretungsanspruch für das Volk und ist in Empörungsroutinen erstarrt. Solange sie den Eindruck vermittelt, dass ihr Rechthaberei wichtiger ist als politische Erfolge, ist sie unattraktiv für alle, die sich nach entschlossener linksliberaler, egalitärer Realpolitik sehnen“, schreibt[4] Reinicke.

Dabei lässt er keinen Zweifel, gegen wen sich seine Intervention richtet:

Wagenknechts überlebensgroße Rolle ist nur eine Seite der inneren Selbstblockade des politikfähigen Teils der Partei. Die kreative Fraktion der Reformer um Jan Korte und Stefan Liebich ist seit Jahren mit Katja Kipping und deren schmalem Anhang über Kreuz. Politisch ticken Reformer und Kipping in vielem ähnlich. Doch es gibt viele nie vernarbte Wunden aus vergangenen Machtscharmützeln. So ist das kreative Zentrum der Partei gelähmt. Es müsste Kipping, die Antennen ins grüne Milieu hat, ebenso umfassen wie pragmatische Westlinke, die sich von der Hassliebe zur SPD befreit haben, und jenen Teil der Ostreformer, die mehr wollen als bloß Apparate verwalten. Ein solches Bündnis könnte den Beton aufsprengen – und politikunfähige Fundis vertreiben.
Stefan Reinicke[5]

Hier wird formuliert, was sich die Reformer von Linken, SPD und Grünen wünschen: eine Linkspartei, die noch auch noch das letzte Stück überwindet, dass sie von den anderen beiden Parteien unterscheidet und die sich dadurch mittelfristig überflüssig macht.

Differenzen zwischen Wagenknecht und Bartsch?

Wenn Reinicke nun fordert, dass das Zweckbündnis zwischen Wagenknecht und Dietmar Bartsch beendet werden soll, wird die Axt an die Existenz der Linken gelegt. Denn dieses Bündnis hat dazu geführt, dass sich die Partei einigermaßen stabilisieren konnte. Nun gab und gibt Wagenknecht genügend Grund für Kritik, vor allem mit ihren immer wiederholten Äußerungen gegen Migration. Als Lafontainistin ist sie die Vertreterin eines keynsianistischen Kurses, die in der Außenpolitik noch gewisse linke Grundsätze hochhält, in der Flüchtlingspolitik aber eher rechts blinkt und damit kompatibel mit SPD und Union ist. Wenn Wagenknecht aber deswegen Nähe zur AfD unterstellt wird, wird unterschlagen, dass sie mit ihrer Migrationspolitik sich im bürgerlichen Mainstream bewegt und genau deshalb kritisiert werden muss.

Wenn Grüne, die selber ständig migrationsfeindliche Gesetze durchwinken, nun Wagenknecht wegen ihrer Äußerungen kritisieren, ist das Kalkül klar. Sie wollen wie Reinicke in Wagenknecht den Parteiflügel schwächen, der zumindest verbal noch Dissens zur herrschenden Außen- und Sozialpolitik äußert.

Die Hoffnung, dass das Zweckbündnis Wagenknecht – Bartsch aufgeweicht werden könnte, ergibt sich aus unterschiedlichen Äußerungen im Umgang mit dem SPD-Kandidaten Schulz. Während Bartsch schon erklärte, er könnte sich vorstellen, ihn mitzuwählen, wenn die Mehrheiten es hergäben, erklärt Wagenknecht, er müsste dann schon mehr nach links blinken. Doch bei aller Rhetorik sind sich sämtliche Flügel der Linken einig, dass es nur um einen reformistischen Weg geben kann.

https://www.heise.de/tp/features/Auf-der-Suche-nach-dem-deutschen-Corbyn-3740439.html

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article165395793/Corbyns-Erfolg-bestaerkt-Wagenknechts-Lager-im-Widerstand.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Linke-Hartz-IV-abschaffen-Mindestsicherung-von-1-050-Euro-einfuehren-3740221.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Wagenknecht-Die-Linke-kann-dieses-Land-aufmischen-3740410.html
[4] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5416154&s=&SuchRahmen=Print/
[5] https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5416154&s=&SuchRahmen=Print/

SPD: Am TTIP-Vertrag Widerstand simulieren

Es geht um eine marktkonforme Politik, daran wird sich bei der SPD nichts ändern

Ein Bonmot, das sich Sigmar Gabriel in sein Redemanuskript hat schreiben lassen, könnte schneller Realität werden, als er denkt. In seiner Rede lässt Gabriel seine kleine Tochter fragen, wie lange er noch zu Angela Merkel gehen muss. Die Antwort lautet: noch bis 2017.

Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst von der SPD-Spitze zurückgezogen. Entweder, weil die Partei mit ihm als Kanzlerkandidat noch mal Stimmen verloren hat. Viel wahrscheinlicher aber ist nach dem Parteitag, dass es gar keinen Kanzlerkandidaten Gabriel geben wird. Er selber hat sich in dieser Frage bedeckt gehalten und auf die Zukunft verwiesen. Dazu dürfte auch das in der Öffentlichkeit allgemein als historisch schlechtestes betitelte Ergebnis von 74,7 % beigetragen haben.

Steinmeier versus Gabriel

Sollten in den nächsten Monaten für die SPD einige Wahlen verloren gehen und die Partei beispielsweise in Rheinland-Pfalz gar die Regierungsmacht verlieren, könnte es Gabriel wie einst Kurt Beck gehen: Er würde parteiintern entmachtet. Dass er diesem Schicksal bisher entgangen ist, liegt vor allem daran, dass die Bundestags-Wahlen 2017 parteiintern schon verloren gegeben werden. Schließlich gab es schon vor einigen Wochen Stimmen dafür, gar nicht erst einen Kanzlerkandidaten aufzustellen.

Dass nun ausgerechnet der Steinmeier noch einmal als Kanzlerkandidat recycelt werden soll, zeigt mehr als alles andere die hoffnungslose Situation der SPD an. Da werden zwei Männer, deren ganzes Programm darin besteht, deutsche Mitte sein und mitregieren zu wollen und das auch immer wieder postulieren, gegeneinander in Stellung gebracht.

Aber dieses Personal repräsentiert die SPD gut. Es geht eben nur um das Treten in der Mitte, dort, wo fast alle schon sind. Es geht darum, auch keinen Zweifel an der Regierungsfähigkeit aufkommen zu lassen. Die Frage ist nur, wann in der Geschichte der letzten 50 Jahre die SPD woanders als in der deutschen Mitte gewesen wäre und wann sie mal nicht regierungsfähig sein wollte?

Dass diese Banalitäten zu einer „Politik der klaren Kante“ aufgeblasen werden und die Parteibasis mehrheitlich dazu applaudiert, zeigt, wie es um diese SPD steht. Wenn Gabriel dann noch ausdrücklich eine Erhöhung der Unternehmenssteuer ablehnt und stattdessen auf Wirtschaftswachstum setzt, dann könnte man meinen, die SPD wolle im Wahlkampf die bessere FDP geben.

Da haben in den letzten Jahren sozialdemokratische Ökonomen und Gewerkschafter immer wieder argumentiert, dass eine Steuererhöhung bei den Unternehmen Geld für den sozialen Wohnungsbau und andere gesellschaftliche Aufgaben in die Kasse spülen würde. Doch die SPD bleibt ihrer Linie treu. Schließlich hat ja die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder die Unternehmenssteuer gesenkt.

Allein eine Rückkehr zu einem Unternehmersteuersatz der Kohl-Ära würde eine Menge Geld bringen. Doch das ist mit Gabriel genau sowenig zu machen wie mit Steinmeier oder anderen Kandidatinnen und Kandidaten, die in der SPD Karriere machen wollen. Was Gabriel von Politikern hält, die wirklich eine sozialdemokratische Politik umsetzen wollten, machte er deutlich, als er die Syriza-Regierung, bevor sie sich dem Austeritätsdiktat der EU unterwarf, als in Teilen kommunistisch bezeichnete, die es nicht wert sei, dass deutsche Steuergelder dafür ausgeben werden.

Natürlich spielte diese rechtspopulistische Volte Gabriels auf dem Parteitag genauso wenig eine Rolle wie sein zeitweiliges Verständnis für die Sorgen der Pegida-Teilnehmer. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Viertel der Delegierten, die Gabriel die Stimme verweigerten, daran gedacht hatte. Auch die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Syrien, die auch in der SPD als Beitrag im Kampf gegen den Islamismus bezeichnet wurde, spielte auf dem Parteitag keine Rolle.

Symbolpolitik TTIP

Nur über das Freihandelsabkommen TTIP wurde tatsächlich auf dem Parteitag ernsthaft gestritten. Erwartungsgemäß setzte sich Gabriel durch. Es war schließlich auch von der Parteitagsregie so eingefädelt worden, dass da nichts schief geht. Schließlich brachte der erklärte SPD-Linke Stegner den Antrag ein. In der typischen Diktion jedes SPD-Linken verteidigte er die Parteilinie als das kleinere Übel, weil ja sonst alles nur noch schlimmer werde.

„Wenn wir die Verhandlungen jetzt abbrechen, wird nichts besser“, warnte Stegner. Dann würden Staaten wie China und Bangladesch die Standards für Arbeit und Umwelt vorgeben. Auch Gabriel warnte, die SPD setze ihre Regierungsfähigkeit aufs Spiel, wenn sie jetzt aus den Verhandlungen aussteige.

Wenn Gabriel dazu erklärt, dass die SPD vor der endgültigen Verabschiedung des Vertrags noch mal gefragt wird, weiß jeder, dass es sich hier um Kosmetik handelt. An der SPD wird ein ausverhandelter TTIP-Vertrag bestimmt nicht scheitern.

Dass das Thema überhaupt eine solche Rolle auf dem Parteitag spielte, macht die Symbolpolitik deutlich, die sowohl auf dem Parteitag als auch in den sozialen Bewegungen dominierend ist. Am TTIP-Vertrag wird ein Widerstand simuliert, der von einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik nichts wissen will. Eine Partei, die nicht mal die Steuersätze deutscher Unternehmer auf die Höhe der Kohl-Ära setzen will, kann sich prächtig über den ungebremsten Kapitalismus in den USA echauffieren. Bereits Müntefering, der alle sozialen Grausamkeiten der Schröder-Ära unterstützte, konnte sich über die Heuschrecken aus den USA aufregen.

Alles nichts Neues bei der SPD. Die Partei bleibt sich treu, steht fest in der Mitte, die immer weiter nach rechts geht, und will regierungsfähig bleiben. Von der Linie werden auch alle möglichen Gabriel-Nachfolger nicht abgehen, wie immer sie heißen.

Trotzdem gibt es immer wieder Publizisten und Intellektuelle, die die angeblich wahre SPD vor der realexistierenden Partei verteidigen wollen. Aktuell ist es Albrecht von Lucke, Redakteur der Blätter für deutsche und Internationale Politik [1], der mit seinen Buch Die Schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken [2] für publizistisches Aufsehen sorgte. Für Lucke ist die deutsche Linke mit der SPD identisch.

Die historische Spaltung der Arbeiterbewegung seit 1914 kommt bei ihm gar nicht vor. Die Ursünde sieht er in der Transformation der PDS in die Linkspartei, die angeblich die Linke gespaltet habe. Von Lucke erklärte auf einer Veranstaltung, er habe das Buch geschrieben, weil er die linke Sozialdemokratie stärken will. Wenn man liest, wie vehement er Willy Brandt verteidigt, weil der 1989 als Patriot gehandelt habe, als er für eine schnelle Wiedervereinigung eintrat und Lafontaine, der für einen allmählichen Übergang eintrat, dafür aburteilt, fragt man sich, was daran links ist.

Doch solche und ähnliche Debatten, die sich vor allem vor Wahlen häufen, sind reine Kopfgeburten. Es geht nicht um die Schwarze Republik versus die „deutsche Linke“. Es geht um eine marktkonforme Politik und da wird sich bei der SPD nichts ändern, auch wenn Gabriel schon längst Geschichte sein wird.

http://www.heise.de/tp/news/SPD-Am-TTIP-Vertrag-Widerstand-simulieren-3042917.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.blaetter.de/archiv/autoren/albrecht-von-lucke

[2]

http://www.droemer-knaur.de/buch/8571829/die-schwarze-republik-und-das-versagen-der-deutschen-linken

Gysi und der Fahrplan zur Mitverantwortung

Der Parteitag der Linken und Machtfragen

Der Kampagnenrat für einen gesetzlichen Mindestlohn von 10. Euro [1] hat sofort reagiert. Wenige Minuten nachdem der Parteitag „Der Linken“ in Bielefeld [2] den entsprechenden Beschluss gefasst hatte, verschickte er eine Pressemitteilung: „Gratulation: DIE LINKE fordert die Steuerfreiheit jedes gesetzlichen Mindestlohns.“ Das Mitglied des Kampagnenrats, Edgar Schu, begründete das Lob:

Das Gemeinwesen, die öffentlichen Aufgaben und auch die Kosten der Erwerbsarbeitslosigkeit müssen von denen bezahlt werden, die sie durch ihre Unternehmenspolitik verursacht und von Entlassungen profitiert haben. Diese Kosten dürfen nicht mehr auf diejenigen abgewälzt werden, die durch Steuerzahlung unter ihr eigenes Existenzminimum gedrückt werden und dann selber Hartz IV beantragen müssen. Das Existenzminimum muss steuerfrei sein. Endlich hat eine erste Partei in Deutschland die erste Weichenstellung hierfür vorgenommen. Das ist ein großer Tag für die Steuergerechtigkeit.

Diese Frage ist für viele Menschen im Niedriglohnsektor existentiell. Doch darüber wird in den meisten Medien nicht berichtet, wenn über den Parteitag der Linken in Bielefeld geschrieben wird. Dabei sollte es dort mal um Inhalte gehen, weil Wahlen und Personalentscheidungen nicht anstanden.

Alleinunterhalter Gregor Gysi dominierte Parteitag

Doch sofort konterkarierte der Mann dieses Konzept, der seit vielen Jahren mit seiner Egomanie die Partei bestimmt. Gregor Gysi hält sich für so unersetzlich, dass er jahrelang einen Parteibeschluss, der eine Quotierung auch an der Fraktionsspitze vorsieht, einfach ignorierte. Dass die Partei mehrheitlich solche Allüren von einem Politiker duldete, der immer betont, aus dem Scheitern des Nominalsozialimus gelernt zu haben, dass autoritäre Führungs- und Herrschaftsmethoden in der Linken bekämpft werden müssen, ist schon ein Armutszeugnis.

Dass aber auch ein Großteil der Medien, die sonst den Linksparteipolitikern nicht die kleinsten Peinlichkeiten auf ihren Facebook-Auftritten durchgehen lässt, das Hohelied auf Gregor Gysi singen, ist natürlich Berechnung. Er ist immerhin ein erklärter Befürworter einer Koalition mit der SPD und den Grünen auch auf Bundesebene und versucht schon mal seine Parteibasis darauf einzustimmen, dass man das eigene Programm dann eben sehr konstruktiv auslegen muss.

Gysis Fahrplan für das Mitregieren

In einem Taz-Interview [3] gab Gysi die Leitlinien vor: „Wir haben nächstes Jahr fünf Landtagswahlen. In Berlin könnten wir wieder in eine Koalition kommen. In Mecklenburg-Vorpommern vielleicht auch, und wenn wir in Sachsen-Anhalt stärker werden als die SPD, haben wir 2016 vielleicht schon zwei Ministerpräsidenten. Dann drängt auch die Gesamtpartei, diesen Weg auf der Bundesebene ebenfalls zu gehen.“ Das ganze läuft unter dem Stichwort „Verantwortung übernehmen“.

Auf die Frage der Taz-Journalisten nach seinen Fahrplan antwortete Gysi:

Eine Partei merkt es, wenn der Stillstand beginnt. Dann werden die Mitglieder unruhig, und es entsteht ein Druck von unten. Deshalb wird der letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte.

Nun ist es schon für einen Streiter gegen autoritäre Parteimanieren merkwürdig, dass er sich so sicher ist, was ein künftiger Parteitag beschließen wird. Dass er dann aber selbst die roten Linien, die dort vielleicht noch zur Besänftigung des linken Parteiflügels einbezogen werden, und die im Ernstfall sowieso sehr kreativ ausgelegt werden, für überflüssig erklärte, hätte eigentlich auf dem Parteitag mit einer herben Rüge beantwortet werden müssen.

Doch Gregor Gysi weiß, dass er sich solche Allüren leisten kann. Dass er einen Parteitag, bei dem es um Inhalte und nicht um Personalien gehen soll, seine eigene Personaldebatte aufdrückt, ist nur ein weiterer Affront mehr, der hingenommen wird. Dabei hätte Gysi noch genügend Zeit gefunden zu erklären, dass er im Herbst nicht mehr für den Fraktionssitz kandidieren wird. Dass er gleichzeitig beteuert, die Fraktion nicht indirekt leiten zu wollen, ist unerheblich.

Für einen Großteil der Medienöffentlichkeit wird er weiterhin als wichtige Stimme des vernünftigen, weil koalitionsbereiten Teils der Linkspartei gelten. Er wird interviewt werden und wer wird sich dem kaum verweigern.

Schließlich haben vor ca. 30 Jahren auch bei den Grünen Politiker wie Joseph Fischer, die damals längst nicht so bekannt waren, die Parteilinke um Thomas Ebermann oder Jutta Ditfurth erfolgreich zu Hoffnungsträgern hochgeschrieben. Am Ende waren die Linken draußen und Fischer Außenminister.

Ein solcher Prozess funktioniert natürlich nur, wenn es in der Partei relevante Strömungen und Flügel gibt, die Verantwortung für eine Regierung übernehmen wollen. Die gab es bei den Grünen und die gibt es auch in der Linkspartei. Ob Gysi selber noch ein Ministeramt übernimmt, ist offen. Schließlich hat er es als Berliner Wirtschaftssenator nicht lange ausgehalten und ein Außenministerposten dürfte für ihn kaum erreichbar sein.

Wie schnell eine Partei, wenn sie irgendwo mitverwaltet, mit ihren hehren Grundsätzen in Widerspruch gerät, zeigte sich in diesen Tagen in der Kommunalpolitik. Während die Linke den Kitastreik mit warmen Worten unterstützte, beschwerten [4] sich Erzieherinnen und Gewerkschafter über einige Bürgermeister der Linkspartei, die nicht einmal mit den Streikenden reden wollten. Solche Probleme potenzieren sich, wenn die Linke noch mehr Posten in Bundesländern und am Ende gar in der Bundesregierung besetzen sollte.

Dass diese Problematik den Delegierten der Linkspartei bewusst ist, zeigte sich in Beiträgen des Vorstandsduos Katja Kipping und Bernd Riexinger. Die Linke ist nach den Worten Riexingers nicht bereit, für ein Bündnis mit SPD und Grünen ihre „Haltelinien“ aufzugeben.

„Kein Sozialabbau, keine Tarifflucht und keine Kampfeinsätze sind selbstverständliche Teile linker Politik“, rief Riexinger unter dem Beifall der Delegierten. Ko-Parteichefin Katja Kipping hatte bereits am Samstag vor den Delegierten gesagt, es werde kein Ja zu Kriegseinsätzen oder Sozialkürzungen geben. Allerdings erklärte sie auch kryptisch: „Wir wollen die Machtfrage stellen, aber wir wollen sie wirklich stellen.“

Dass sie der Illusion erliegt, ein Mitregieren bedeute auch an der Macht sein, ist nicht unwahrscheinlich.

Ausführlich wurde auf dem Parteitag über das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, das parteiintern stark umstritten ist. Der Gewerkschaftsflügel fürchtet, dass damit der Sozialstaat noch mehr abgebaut werden soll.

Dass es aber unterschiedliche Grundeinkommensmodelle gibt und dass man sich auf die Formel einigen könnte, mit Lohnarbeit soll man leben können – ohne aber auch – , zeigt, dass es möglich ist, sich mit kontroversen Fragen zu beschäftigten und auch zu Ergebnissen zu kommen, wenn man sich nicht das Damoklesschwert des Mitregierenwollens selber über seinen Köpfen aufhängt.

Ersetzt das Duo Wagenknecht-Bartsch Gysi?

Nun muss sich zeigen, wer an Gysis Stelle den Fraktionsvorsitz übernimmt. Der Realo Dietmar Bartsch hat schon seine Kandidatur angekündigt. Er wäre aber parteiintern nur durchzusetzen, wenn eine Frau vom anderen Parteiflügel mit ihm kandidiert.

Lange Zeit schien alles auf das Duo Wagenknecht-Bartsch hinauszulaufen. Zwischenzeitlich hatte Wagenknecht schon mal erklärt, dass sie dafür nicht zur Verfügung steht. Diese Aussage scheint aber durchaus nicht in Stein gemeißelt [5].

Bliebe Wagenknecht bei ihren Nein würden der Partei wohl auch wieder Flügelkämpfe drohen. Wie fragil der innerparteiliche Frieden ist, zeigte sich bei einem Antrag, mit dem einige in der Linkspartei Weltpolitik machen und gleichzeitig parteiinterne Signale setzen wollten.

Überschrieben ist der Antrag mit „Frieden statt Nato- Für eine Weltfriedenskonferenz“ [6]. Damit soll der letzte sowjetische Präsident Gorbatschow für eine Konferenz zur Ukraine gewonnen werden. Es ist schon erstaunlich, dass sich alle auf Gorbatschow einigen konnten, dem manche Traditionalisten das Ende der Sowjetunion persönlich übel nehmen.

Doch für Streit sorgte eine Passage in dem Antrag, in der eine Mitgliedschaft in der Atlantikbrücke [7] für unvereinbar mit einem Mandat der Linkspartei erklärt wurde. Das zielte [8] auf den Realpolitiker Stefan Liebich, der bisher das einzige Linksparteimitglied in dieser Organisation [9] ist. Gysi erklärte, er persönlich habe ihn dazu geraten.

Schließlich wurde der Antrag gegen den Widerstand [10] der Kommunistischen Plattform als Tagungsmaterial behandelt, über den nicht abgestimmt wurde. So wurde ein Angriff auf den Fahrplan zur Mitverwaltung abgewendet.

http://www.heise.de/tp/news/Gysi-und-der-Fahrplan-zur-Mitverantwortung-2681122.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.mindestlohn-10-euro.de/

[2]

http://www.dielinke-bielefeld.de/

[3]

http://www.taz.de/!5201637/

[4]

http://www.neues-deutschland.de/artikel/973192.hoch-die-paedagogische-solidaritaet.html

[5]

http://dietmar-bartsch.de/doppelspitze-bartschwagenknecht-moeglich

[6]

http://www.weltfriedenskonferenz.org/

[7]

http://www.atlantik-bruecke.org/

[8]

http://www.berliner-zeitung.de/politik/atlantik-bruecke-linker-fluegel-will-stefan-liebich-aus-der-partei-draengen,10808018,30652810.html

[9]

http://www.stefan-liebich.de/de/topic/131.mitgliedschaften.html

[10]http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattform-der-partei-die-linke/dokumente/4-tagung-der-17-bundeskonferenz/1736-menschen-unterstuetzen-offenen-brief-an-michail-s-gorbatschow

Ist die Schonzeit für die Linkspartei bald vorbei?

Links

[1]

http://www.spd.de/

[2]

http://www.spd.de/aktuelles/111782/20131113_bpt_leipzig_vorab.html

[3]

http://planwirtschaft.wordpress.com/

[4]

http://www.stefan-liebich.de/

[5]

http://www.swp-berlin.org/de/projekte/neue-macht-neue-verantwortung/das-papier.html

Linken-Spitze mit Vertretern sozialer Bewegungen

Mit der Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger haben die Delegierten des Parteitages der Linken den Kurs der Anpassung an die SPD eine klare Aussage gegeben. Die Partei will sich den unterschiedlichen sozialen Bewegungen öffnen
.
Kipping, die der Emanzipatorischen Linken nahe steht, setzt sich besonders für die Aufhebung von Sanktionen für Hartz IV-Empfänger und das bedingungslose Grundeinkommen ein. Der Stuttgarter verdi-Vorsitzende Bernd Riexinger war von vielen Medien bisher überhaupt nicht beachtet worden. Deshalb wird er jetzt mit Bezeichnungen wie Gefolgsmann Lafontaines oder Fundamentalist bedacht.

Dabei gehört Riexinger seit Jahren zu den profiliertesten Linksgewerkschaftern in der Republik. Immer wieder hat er, oft gemeinsam mit Werner Sauerborn in [(http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/debatte/wurzeln.pdf Diskussionspapieren] für eine Gewerkschaftspolitik geworben, die sich vom Dogma der Standortsicherung verabschiedet. Auch in der Praxis steht Riexinger seit Jahren in Krisenbündnissen für die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, linken Initiativen und sozialen Bewegungen. Riexinger war einer der wenigen Gewerkschafter, der keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linke hatte.

Absage an die alte SED-Mentalität

Dass sich Riexinger in einer Kampfabstimmung gegen den rechten Flügelmann der Partei Dietmar Bartsch durchgesetzt hatte, war eine Bedingung für eine Fortsetzung als bundesweite Linke. Um Bartsch hätte sich der Flügel in der PDS gescharrt, die mit dem Konzept einer ideologiefreien, stromlinienförmigen ostdeutschen Volkspartei möglichst schnell an Regierungsposten kommen wollte. Schließlich handelte es sich bei dem Personal um SED-Kader im Wartestand, die zunächst wegen der Zähigkeit der Funktionärselite um Honecker und dann dem Ende der DDR nicht mehr zum Zuge kamen. Nach der Fusion mit der WASG zur Linkspartei war diesen ewigen Nachwuchskadern in linkssozialdemokratischen Gewerkschaftern eine lästige Konkurrenz erwachsen. Daraus und nicht nur an ideologischen Fragen rühren die sich zur Feindschaft entwickelten Konflikte, die das Bartsch-Lager mit den Kreisen um Klaus Ernst und Oskar Lafontaine hat. In den letzten Wochen haben sich die Konflikte so weit zugespitzt, dass selbst führende Politiker der Linken vor einer Spaltung warnten. Gregor Gysi sprach denn auch von einem Klima des Hasses in der Partei und sah in einer Trennung dann sogar eine zivilisierte Lösung.

Mit der Wahl von Riexinger und Kipping müsste diese Gefahr eigentlich gebannt sein. Denn Kipping kommt zwar aus dem Osten, hat aber weder etwas für Ostalgie übrig noch für die Strippenzieher-Qualitäten eines Dietmar Bartsch. Mit Riexinger kommt nun ein Gewerkschafter zum Zuge, der anders als Klaus Ernst Politik nicht nur aus der Perspektive des IG-Metall-Büros betrachtet. Doch ob damit die Krise der Linken beendet wird, liegt in erster Linie an der Reaktion derjenigen Parteirechten, die sich hinter dem Kandidaten Bartsch versammelt haben.

Dazu gehört auch der Berliner Landeschef Klaus Lederer und der Parteivorsitzende von Mecklenburg Vorpommern, Steffen Bockhahn, die einfach den Kandidaten unterstützen, der für eine stromlinienförmige Partei mit Regierungsoptionen eintritt. Riexinger und Kipping dürften hierfür die Gewähr nicht bieten. So ist nicht unwahrscheinlich, dass manche Bartsch-Anhänger noch den Absprung zur SPD wagen, vor allem wenn ihnen Abgeordnetenmandate zugesichert werden.

Die Medien würden daraus ebenso eine Fortsetzung der Krise der Linkspartei herbeisprechen, wie über jede andere kritische Äußerung aus dem Bartsch-Lager. Da mit dem Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn auch ein Exponent des Realoflügels auf einen zentralen Posten gewählt wurde, könnte es allerdings auch zu einer Auflösung der starren Fronten kommen. Auch als stellvertretende Vorsitzende wurden neben der Parteilinken Sahra Wagenknecht Vertreter der Realos gewählt. In Medien wird das Ergebnis des Parteitags eher negativ aufgenommen.

Schon seit Monaten war dort Bartsch zum Hoffnungsträger der Linken hochgeschrieben worden, während Lafontaine zum Fast-Diktator heruntergeschrieben wurde. Warum soviel Nachsicht gegenüber einem SED-Apparatschick und so viel Wut über einen Ex-SPD-Vorsitzenden, der sich im Grunde auch in seiner neuen Partei nicht groß verändert hat?

Ein Radikaler ist Lafontaine bis heute nicht; seine gelegentlichen Ausflüge in den Populismus zeigen, dass er sich auch auf das Geschäft des Machterhalts versteht und eine Regierungsbeteiligung seiner Partei wäre an ihm bestimmt nicht gescheitert. Es ist eher die Existenz einer Partei, die dem neoliberalen Einheitsdenken widerspricht, die in großen Teilen der Medien solche Abwehrreflexe hervorrufen. Ein Bartsch oder Lederer taugen dann als Bespiele dafür, dass auch dort Vernunft einkehrt, d.h. dass sich die Partei auch dem Mainstream anpasst. Auf dem Parteitag ist die Mehrheit diesem Kurs nicht gefolgt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152124
Peter Nowak

Schulterschluss mit der Wirtschaft und bloß nirgendwo anecken

Auf dem grünen Parteitag wurden grundlegende politische Diskussionen nicht geführt

Nach dem Parteitag der Grünen geht es zum Protest. Die Parteitagsregie und der Castorwiderstand machten es möglich, dass viele Delegierte des grünen Parteitags doch noch von Kiel in das Wendland fahren und zumindest symbolisch Präsenz zeigen konnten. Auf dem Parteitag wurde denn auch immer wieder über die Stationen des Castors informiert. Es sollte in der Öffentlichkeit gar nicht erst der Eindruck entstehen, dass die Grünen den Castorwiderstand für Vergangenheit halten.
Allerdings war dieser Eindruck nicht zuletzt durch ein Interview entstanden, das der neue grüne Hoffnungsträger, der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Zeit gegeben hatte. „Der Protest macht keinen Sinn mehr“, wurde dort der von den Medien nach dem Parteitag mit Begriffen wie „grüner Papst“ titulierte Politiker zitiert. Auch auf dem Parteitag machten sich einige per Twitter über den Personenkult um Kretschmann lustig.

Hat die Partei also einen neuen Joschka Fischer? Wie beim Ex-Außenminister lässt sich auch bei Kretschmann schon jetzt feststellen, dass Inhalte ausgeblendet werden. So wurde auch der baden-württembergische Ministerpräsident auf dem Parteitag gefeiert, obwohl es im Vorfeld viel Kritik dafür gab, dass er bei der neuen Endlagersuche den Standort Gorleben nicht ausgeschlossen hatte. Nun hört sich die vehemente Forderung aus dem Wendland, dass unter allen Regionen Deutschlands ausgerechnet die dünnbesiedelte Gegend um Gorleben auf jeden Fall für ein Atommüll-Lager ungeeignet sein soll, nach dem Prinzip an: „Hautsprache nicht hinter meinen ökologisch gedüngten Kleingarten“.

Gorleben ist aber für die grüne Seele wichtig, weil viele dort schon mal demonstriert haben. Daher gab es im Vorfeld viel Kritik an Kretschmanns Kompromiss. Doch wie so oft in der grünen Geschichte ist für die grüne Seele seit Jahren Claudia Roth zuständig, wenn es um die Macht geht, wird dann doch Kretschmann bejubelt, wie ein Jahrzehnt vorher Fischer.

Ein Wunder oder ein Fiasko von Stuttgart?

Dabei ist die Position des ersten grünen Ministerpräsidenten gar nicht so sicher, wie es scheint. Vieles wird von dem heutigen Ausgang der Volksabstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 abhängen. Wird es mit der nötigen Quote abgelehnt, werden alle vom Wunder von Stuttgart reden und die Grünen werden ihren Politiker bei den schwierigen Verhandlungen der Abwicklung den Rücken stärken. Sollte es ein klares Votum für den Bau von Stuttgart 21 geben, wird die grüne Seele eine Nacht baumeln und dann wird die Partei ihre Regierungsfähigkeit damit begründen, dass sie einen Konflikt auf besondere Weise befriedet hat. Ein umstrittenes Projekt wird mit dem Bürgervotum geadelt gebaut, und wer weiterhin dagegen ist, wird marginalisiert. Ein solches Konfliktbearbeitungsmodell würde die Partei auch an anderen Brennpunkten interessant machen.

Doch was passiert, wenn das hohe Quorum der Volksbefragung in Baden-Württemberg knapp verfehlt, aber eine hohe Ablehnung des Bahnprojekts zustande kommt? Wie reagiert dann der Koalitionspartner SPD, der sich für das Projekt ausspricht? Und wird auch dann die grüne Basis still leiden und das Projekt ansonsten nicht mehr gefährden? Diese vielen offenen Fragen, die an der Zukunft von Kretschmann als Ministerpräsident hängen, dürfen bei dem großen Applaus für ihn in Kiel nicht außer Acht gelassen werden. Schnell kann das Wunder von Stuttgart zu einem Fiasko werden, wenn die Koalition am Streit um die Interpretation der Volksabstimmung zerbrechen sollte.

Wie schnell Hoffnungsträger bei den Grünen out sind, musste erst vor einigen Monaten Renate Künast in Berlin erleben. Als Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin mit viel Vorschusslorbeeren aufgestellt, wurde sie bald für alle Fehler des Grünen Wahlkamps in Berlin verantwortlich gemacht. Am Ende hatte die Partei eine innerparteiliche Polarisierung erlebt, wie er in der Partei eigentlich nach dem Austritt der Linken vor nun mehr als 20 Jahren nicht mehr für möglich gehalten wurde.

Nachdem bei der Vorstandswahl in Berlin die Realos alle Posten für sich reklamieren konnten, rebellierte der linke Flügel und meldete sich sogar mit einer eigenen Pressekonferenz zu Wort. Vorerst ist ein kalter Friede in der Berliner Partei verordnet worden, nachdem der Exponent des rechten Parteiflügels Volker Ratzmann von seinen Vorstandsposten zurücktrat. Der linke Flügel konnte sich allerdings auch nicht mit seiner Forderung nach einen eigenen Kandidaten durchsetzen, so dass jetzt die pragmatischer auftretende Ramona Pop die Vorstandsarbeit alleine ausführt.


Steuersatz wie unter Helmut Kohl zu radikal?

Solche grundlegenden politischen Differenzen kamen auf dem Parteitag gar nicht erst auf. Konflikte, die es um den neuen grünen Steuersatz gab, wurden schon im Vorfeld von der Parteitagsregie geglättet. So befürchteten wichtige Parteiexponenten, die guten Beziehungen zu der Wirtschaft könnten gestört werden, wenn auf dem Parteitag wie von der Grünen Jugend und einigen Wirtschaftspolitkern gewünscht, ein Spitzensteuersatz von 52 %, wie er unter der schwarz-gelben Bundesregierung unter Helmut Kohl galt, als künftige Richtschnur festgelegt worden wäre.

„Wir müssen mit der ausgestreckten Hand, nicht mit der Faust auf die Wirtschaft zugehen“, betonte der Parteivorsitzende Cem Özdemir, als sei die Kohl-Regierung ein Hort des Klassenkampfes gewesen. Doch seine Intervention hatte am Parteitag Erfolg. Die Delegierten sprachen sich mehrheitlich für einen Spitzensteuersatz von 49 % ab einem Jahreseinkommen von 80.000 Euro aus. Den grünen Schulterschluss mit der Wirtschaft symbolisierte der Generalsekretär des Handwerksverbandes, Holger Schwannecke, als einer der Hauptredner. Als Partner der Wirtschaft wollen die Grünen Deutschland in einen grünen Kapitalismus führen.

Partei der moderaten deutschen EU-Interessen

Auch die Frage der Finanzmärkte soll in enger Kooperation mit der Wirtschaft angegangen werden. Die Grünen gaben sich ein betont EU-freundliches Programm und sprachen sich im Gegensatz zur Bundesregierung, aber im Einklang mit vielen Politikern anderer EU-Staaten für Eurobonds aus.

Als einer der bejubelten Gastredner nahm der vor wenigen Wochen von den EU-Gremien gestürzte griechische Ministerpräsident Papandreou am grünen Parteitag teil. Gerade die Weichenstellung als Pro-EU-Partei könnte die Grünen als Regierungspartner auch für die Eliten aus der Wirtschaft interessant werden lassen. Die Bundesregierung hat sich mittlerweile mit ihrer Ablehnung von Eurobonds und ihrer Betonung des Wirtschaftsliberalismus nicht nur bei großen Teilen der Bevölkerung in den EU-Staaten, sondern auch bei vielen Politikern und Ökonomen isoliert. Es könnte sich bald erweisen, dass sie sich damit in eine Sackgasse manövriert hat. Dann könnten die Grünen als Partei, die die deutschen Interessen in der EU scheinbar moderater und mehr im Einklang mit den Partnerländern treffen will, an Bedeutung gewinnen.

Wenn in immer mehr EU-Staaten, nicht nur an der Peripherie, von einen deutschen Diktat geredet und selbst in Frankreich Unmut über die Merkel-Linie laut wird, kommt eine Partei, die die anderen EU-Ländern nicht von Anbeginn das Gefühl gibt, sie seien nur untergeordnet, gut an. Was die grüne EU-Linie in der Praxis für große Teile der Bevölkerung bedeutet, steht auf einem anderen Blatt. Von der vielfältigen Protestbewegung gegen die sozialen Zumutungen des wirtschaftlichen EU-Diktats, die es in Griechenland, Spanien und Portugal gibt, wurde auf dem Parteitag wenig Notiz genommen.

Eingeknickt vor der Verwertungsindustrie?

Auch der Versuch grüner Netzpolitiker, das Urheberrecht gründlich zu reformieren, wurde zunächst vertagt. Ihr Antrag, das Urheberrecht auf 5 Jahre auf Veröffentlichung zu begrenzen, fand keine Mehrheit („VermittlerInnen“ und „ProduzentInnen“). „Grüne fürchten den Zorn der Kreativen“, titelten die Medien schon im Vorfeld.

Doch es war wohl eher die kreative Lobbyarbeit der Rechteverwertungsindustrie, die ihre Interessen gerne mit schlecht bezahlten Künstlern begründet, die das Votum der Delegierten beeinflusst haben dürfte. Der Berliner Konzertagent und Publizist Bertold Seliger hat kürzlich mit seinem Artikel über diese ideologische Verknüpfung in der Zeitschrift Konkret eine Debatte ausgelöst, bei der neben Polemik auch viele bedenkenswerte Argumente ausgetauscht wurden.

Auf dem Parteitag der Grünen wurde hingegen der Antrag zur Verkürzung des Urheberrechts lediglich unter den Blickpunkt vertagt, wie man es vermeiden kann, bei der Wirtschaft anzuecken. Dieses Prinzip galt auch für die Debatte um ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Nur, wenn es erfolgreich zu Ende geführt werden kann, lautet die Formel, die zur Zeit aus allen politischen Lagern zu hören ist. Da aber in einer juristischen Auseinandersetzung ein Erfolg nicht sicher sein kann, heißt das, es wird kein neues Verfahren geben.

Ob das Prinzip „Schulterschluss mit der Wirtschaft und bloß nirgendwo anecken“, auf die Dauer ausreicht, um auf der grünen Erfolgswelle der letzten Monate weiter zu surfen, ist fraglich. Der Einschnitt bei der Berliner Wahl ist ein erstes Zeichen, dass die Partei wieder in der Realität angekommen ist und zur Kenntnis nehmen muss, dass sie ein festes Wählerpotential von knapp 10 % hat.
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35954/1.html
Peter Nowak

Zurück zu Willy Brandt

Die Linke gibt es sich mit großer Mehrheit ein Grundsatzprogramm und stärkt Lafontaine und Wagenknecht

In den letzten Monaten wurde die Linkspartei in der Öffentlichkeit mehr als einmal zum Auslaufmodell erklärt. Begründet wurde diese Einschätzung neben den parteiinternen Streit auch damit, dass ja jetzt anders als zur Zeiten der Hartz IV-Proteste, die soziale Frage an Bedeutung verloren habe.

Nun müssten nach dieser Logik die Aktien der Linkspartei eigentlich wieder steigen. Schließlich hat die zweite Bankenkrise eine diffuse Protestbewegung auch in Deutschland hervorgebracht, die durchaus mit den frühen Anti-Hartz-Protesten vergleichbar ist. Zwar liegt der Occupy-Bewegung sicher keine Kapitalismuskritik zugrunde, aber sie drückt einen Unmut über die Verhältnisse aus. Auf jeden Fall hat sie es wie 2004 der Anti-Hartz-Protest geschafft, dass in den Medien die Krise wieder registriert wird.

Das neue Parteiprogramm wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Das von der Linkspartei auf ihrer Website veröffentlichte Bild soll wohl den Jubel – oder die Erleichterung? – darstellen.

Gute Zeiten eigentlich für die Linkspartei, die von ihrem Glück noch nichts ahnen konnte, als sie den Parteitag ganz im historischem Bewusstsein für Ende Oktober in Erfurt ansetzte. Schließlich bedeutete der Erfurter Parteitag der Sozialdemokratie vor 120 Jahren den Durchbruch des Marxismus in der alten Sozialdemokratie.

„Koks ja – Banken nein“

Wenn der Linken also ein Traditionsbewusstsein nicht fehlt, kann dennoch niemand sagen, sie gehe nicht mit der Zeit. Das zeigte die Abstimmung über die Legalisierung aller Drogen, den die Parteitagsmehrheit gegen den Willen des Vorstands durchsetzte. Da war das Grundsatzprogramm noch nicht beschlossen und schon titelten die Medien hämisch und verkürzt „Koks ja – Banken nein“.

Nachdem die ersten negativen Pressereaktionen kamen, wurde der Beschluss schnell wieder relativiert und korrigiert. Damit wurden auch sofort die Grenzen der Konfliktfähigkeit der Linken markiert. Für die Forderung nach Verstaatlichung der Banken und der langfristigen 30-Stunden-Woche ist auch die Basis der Linken bereit zu streiten. Aber sich eine Drogenlegalisierungsdebatte aufzuhalsen, dafür hat auch in großer Teil der Linkenbasis dann doch keine Lust. Schließlich weiß man auch nicht, ob man sich da für die Forderung einer Klientel einsetzt, die dann doch eher die Piratenpartei oder gar nicht wählt.

Alle aufeinander angewiesen

Wer wie ein Großteil der Medien auf den großen Flügelkampf in der Linken, gar eine Spaltung gewartet hatte, wird nach Erfurt enttäuscht sein. Der Leitantrag des Parteivorstandes, um den in einzelnen Formulierungen noch lange gerungen wurde, bekam eine übergroße Mehrheit von 503 Stimmen bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen. Er soll jetzt den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden. Da man von einer großen Zustimmung ausgehen kann, hat dann die Partei ihr erstes Grundsatzprogramm, und die ständigen Kritiker, die immer auf den programmlosen Zustand aufmerksam gemacht haben, haben ein Argument weniger.

Das Abstimmungsergebnis macht deutlich, dass in Erfurt die Sorge um den gemeinsamen Untergang der Partei überwogen hat. Der mit sinkenden Wahlergebnissen und Umfragewerten verbundene innerparteiliche Streit der letzten Monate hat allen Flügelexponenten deutlich gemacht, dass sie aufeinander angewiesen sind. Allein hätte keiner der Flügel eine realistische Chance, in ein Parlament einzuziehen. Also wäre auch die Machtperspektive verloren, auf die besonders die Realpolitiker setzen.

Das Wissen um den drohenden gemeinsamen Untergang förderte die Kompromissbereitschaft. An dieser flügelübergreifenden Einigkeit hatten Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine einen wichtigen Anteil. Letzterer setzte sich auf den Parteitag persönlich für einen Kompromiss bei der Formulierung der antimilitaristischen Grundsätze der Partei ein. Die waren in den letzten Wochen zu einem wichtigen Zankapfel im innerparteilichen Streit geworden.

Diese Auseinandersetzung hat schon die PDS mehr als 10 Jahre begleitet. Jeder Versuch der Realos, die antimilitaristischen Grundsätze aufzuweichen, um das Mitregieren zu ermöglichen, traf auf heftige Gegenwehr des linken Parteiflügels. Nach dem in Erfurt verabschiedeten Kompromiss soll Deutschland aus den militärischen Strukturen der Nato austreten, die Bundeswehr soll alle Kampfeinsätze beenden. Ein generelles Verbot, Bundeswehrsoldaten ins Ausland zu schicken, fand ebenso keine Mehrheit wie ein sofortiger Austritt aus der Nato.

Besonders Lafontaine hatte sich auf dem Parteitag für diesen Kompromiss eingesetzt. Von ihm stammt auch der Vorschlag eines Willy-Brandt-Korps zur unbewaffneten Katastrophenhilfe. Damit will der alte Sozialdemokrat seine ehemalige Partei ärgern. Allerdings dürfte der Bezug auf Willy Brandt bei Parteilinken nicht unumstritten sein. Denn der gehört in den 60er Jahren zu den Scharfmachern im Kalten Krieg, bevor er sich unter dem Einfluss von Egon Bahr auf das Konzept des Wandels durch Annäherung und damit die Entspannungspolitik einließ. Auch den Vietnamkrieg der USA unterstützte Brandt. Deshalb war sein Auftreten nicht unumstritten, als er als Elder-Stateman und Präsident der Sozialistischen Internationale in den 80er Jahren wieder seine Gegnerschaft zu Waffen und Raketen made in USA entdeckte. Damals galt Lafontaine als einer der Brandt-Enkel in der SPD. Auf diese Phase bezieht sich daher wohl auch Lafontaine mit seinen Vorschlag.

Wagenknechts Aufstieg

Schon zu Beginn des Parteitags hat sich auch Sahra Wagenknecht an die Realofraktion gewandt und zur Einigkeit gemahnt. Wagenknecht dürfte wohl in der Partei bald eine größere Rolle spielen. Sie ist schon als stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Gespräch. Die Realofraktion hat immer weniger Argumente dagegen.

Wagenknecht gilt als wirtschaftspolitische Expertin und hat in der aktuellen Krise dazu mehrmals fundiert Stellung genommen. Zudem hat sie in ihren jüngsten Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard gegen den aktuellen Neoliberalismus verteidigt. Diese kontrovers diskutierten Thesen dürften auch als Kooperationsangebot an die Realos gedacht sein.

Wer in der Linkspartei Karriere machen will, darf nicht als Flügelexponent auftreten, schon gar nicht, wenn man von der Kommunistischen Plattform kommt. Das informelle Bündnis Wagenknecht-Lafontaine existiert schon länger in der Linkspartei. Der linke Flügel hatte mit dem Motto „Kurs halten“ auf einer Konferenz im Vorfeld des Parteitags für den Erhalt des innerparteilichen Status Quo geworben. Sie haben sich als Vertreter der Parteimehrheit gesehen. Für diese Taktik wurde ihr auch von innerparteilichen Gegnern Respekt gezollt.

Die Schwäche der Realos liegt allerdings nicht nur an fehlenden vorzeigbaren Personen. Es gibt keinen Partner für ihre Vorstellungen eines politischen Ko-Managements. Das zeigt sich aktuell sogar in den Berliner Bezirken. Dort bildet sich eine Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und Union, um die Wiederwahl von Bürgermeistern der Linken zu verhindern, die teilweise seit Jahren dort regiert haben. Diese ganz große Koalition lässt sich lediglich vom Reflex gegen die Linke leiten.

Dass unter solchen Umständen die Kritiker einer Koalition um jeden Preis Gehör finden, dürfte nicht verwundern. Zumal weder Lafontaine, der wohl unter den Exponenten der Linkspartei die längste Regierungserfahrung hat, noch Wagenknecht ein Mitregieren generell ausschließen. Nur unter den Bedingungen, unter denen sich der Berliner Zweig darauf eingelassen hat und ihm einen großen Wählerschwund bescherte, will man sich wohl vorerst nicht mehr zum pflegleichten Juniorpartner degradieren lassen. Allerdings dürfte in den ostdeutschen Landesverbänden bald wieder eine Regierungsbereitschaft um jeden Preis diskutiert werden, wenn in einem der Bundesländer die Bedingungen dafür gegeben sind. Das kann sogar in Sachsen der Fall sein, wo manche in der SPD ihrer Rolle als Juniorpartner im CDU-Staat überdrüssig geworden sind. Die Koalitionsfrage wird die Linke also weiter begleiten.

Die medialen Kritiker, die vor allem in der Tageszeitung die Linke immer aufforderten, Teil eines Blocks aus SPD und Grünen zur Ablösung der Union und damit superrealistisch zu werden, raten ihr nun, von dem Erfolg der Piratenpartei zu lernen und den Klassenkampf sein zu lassen. Da nun aber die Piratenpartei zu Ausbeutungsverhältnissen auch in der Internetbranche wenig zu sagen hat und bei der Frauenemanzipation noch hinter die CSU zurückfällt, wäre die Umsetzung eines solchen Rats der Selbstmord der Linken. Zumal auch jenseits der medial mit Aufmerksamkeit verfolgten Grundsatzdebatte interessante Diskussionen um feministische Perspektiven geführt wurden, wird dadurch eher das Defizit der Piraten in diesen Fragen verdeutlicht.

Übrigens hat die innerlinke Nah-Ost-Debatte, die zeitweilig ein großes Thema vor allem außerhalb der Partei war (Linker Antisemitismus?), auf dem Parteitag keine große Rolle mehr gespielt. Schon vor einigen Wochen zeigte eine kleine Broschüre unter dem Titel „Königsweg der Befreiung oder Sackgasse der Geschichte“ auf , wie eine „Annäherung an eine aktuelle Nahostdebatte“ ohne aufgeregten Flügelstreit möglich ist.
a Luxemburg erklärte bei der Gründung der KPD um die Jahreswende 1918/19, dass man nun wieder bei Marx angelangt sei. Die Linke ist nach Erfurt im Oktober 2011 wieder bei Willy Brandt.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35751/1.html

Peter Nowak

Grüne Angst vor dem Höhenflug

Die Umfrageergebnisse bereiten den Grünen nicht nur Freude, wie sich auf ihrem Parteitag in Freiburg am Wochenende zeigte
„Oben bleiben“, das Motto der Stuttgarter S-21-Gegner hätten viele Delegierte des Grünen Parteitags am Wochenende in Freiburg gerne übernommen. Doch die Parteitagsregie hat erkannt, dass soviel Populismus und das Schielen auf die Wahlumfragen medial nicht gut angekommen wären. Auf die Idee, das Motto des Castorwiderstands von Gorleben „Wir stellen uns quer“ zu übernehmen, ist selbst der linke Flügel nicht gekommen. Die Zeiten, in denen solche Parolen auf grünen Parteitagen Mehrheiten bekommen haben, sind lange vorbei.
   

Die Grünen bereiteten sich darauf vor, in künftigen Landesregierungen und vielleicht auch im Bund (Und am Ende ein Kanzler Trittin?) die Rolle des Juniorpartners zu verlassen und selber zur stärksten Partei zu werden. Ganz Optimistische träumen schon davon, in Baden-Württemberg das Ministerpräsidentenamt und in Berlin den Posten des Regierenden Bürgermeisteramts für die Partei zu reklamieren. Schon machen sich die Parteistrategen Gedanken, wie man der Parteibasis schonend beibringt, dass auch bei einer solchen Konstellation keineswegs die ökologische Republik ausgerufen wird und die grünen Parteitagsbeschlüsse nicht im Gesetzblatt stehen werden.

Eigentlich hatte man gemeint, dass die Grünen diese Phase längst hinter sich haben. Schließlich waren sie in unterschiedlichsten Konstellationen an Landesregierungen und sieben Jahre an der Bundesregierung beteiligt. Aber in allen Fällen befanden sie sich in der Rolle des Juniorpartners und mancher sah die Ursache von ungeliebten Beschlüssen darin, nun mal der kleinere Partner in der Koalition zu sein.

 Wenn dieses Argument wegfallen sollte und die Grünen auch unter einer Regierenden Bürgermeisterin Künast oder einem Ministerpräsidenten Kretschmann merken, dass sie nur an der Regierung, aber nicht an der Macht sind, dann sind sie endlich die ganz normale Partei, die viele ihrer Mitglieder schon lange sein wollen und einige wenige fürchten. So stellen sich schon manche die Frage, ob Stuttgart 21 nicht eher mit einer starken außerparlamentarischen Opposition verhindert werden kann, in der die Grünen ein Teil sind, als von einen grünen Ministerpräsidenten, der gar nicht so viele Möglichkeiten hat, das Projekt zu stoppen, aber den außerparlamentarischen Protest eher schwächt.

Schmerzhafte Entscheidungen

Um solche für die Wahlchancen nicht sonderlich geeignete Fragen erst gar nicht aufkommen zu lassen, haben führende grüne Politiker ihren Diskurs verändert. Seit die Grünen von der Unionschefin zum Hauptgegner erklärt wurden, ist die Diktion führenden Politiker staatstragender geworden. So redet Jürgen Trittin von einer Politik „Jenseits der Illusionen“ und wie alle Parteipolitiker von den künftigen schmerzhaften Entscheidungen und vom Haushaltsvorbehalt, der auch bei den Grünen künftig das Wünschbare vom Möglichen scheidet. Trittin hat auch schon erkannt, dass einer gestärkten grünen Partei auch der konservative Gegenwind heftiger entgegenwehen wird.

Kaum hat Künast in Berlin für mehr Tempo 30-Zonen geworben, machen die Autolobby und konservative Boulevardmedien mobil. In Berlin-Kreuzberg muss sich der grüne Bezirksbürgermeister mit Mietern auseinandersetzen, die nicht einsehen wollen, dass sie nach einer ökologischen Sanierung ihrer Wohnungen viel mehr zahlen sollen.

Wie sich die kräftigen Strompreiserhöhungen, die führende Stromkonzerne mit Verweis auf die gestiegenen Kosten für die Erneuerbaren Energien angekündigt haben, auf die Wahlpräferenzen auswirken, ist noch völlig offen. Doch gerade Menschen mit geringen Einkommen dürften damit kaum für Alternativenergie und die für sie werbenden Politiker zu gewinnen sein.

Gegen den Standort Gorleben und die Olympiade in München

Auf dem Parteitag in Freiburg war der der Widerspruch zwischen einer Realpolitik, die sich schon der Logik des Machbaren verschrieben hat, und einer Position, die sich auf gewisse grüne Grundsätze stützt, an mehreren Stellen zu beobachten. Am grünen Vorzeigethema Gorleben konnte ein Streit erst kurz vor Beginn des Parteitags beigelegt werden. Während im Leitantrag zur Energiepolitik der Standort Gorleben für ein Endlager nicht vollkommen ausgeschlossen werden sollte, konnte sich die kritische Basis durchsetzen. Nun soll ein Endlager nur noch außerhalb von Gorleben gefunden werden. Die Grünen wissen aber auch, dass, wo immer neue Projekte ins Auge gefasst werden, sich Initiativen unter Einschluss der lokalen Grünen dagegen wenden werden.

In der Frage der Münchner Olympiabewerbung 2018 konnte der Streit nicht mehr vor dem Parteitag geschlichtet werden. Eine knappe Mehrheit der Delegierten lehnte die Olympiabewerbung ab und Claudia Roth, die bisher für ihre Partei im Kuratorium der Bewerbergesellschaft gesessen hat, zieht sich zurück. Die übrigen Parteien hatten einmal mehr Gelegenheit, auf die „Dagegen-Partei“ zu schimpfen. Allerdings wurden sowohl die Olympiabefürworterin Roth als auch der Co-Vorsitzende Cem Özdemir mit guten Ergebnissen in ihren Ämtern bestätigt.

Von der Wohlfühl- zur Enteignungspartei?

Auch bei der Bürgerversicherung als Alternative zur Kopfpauschale im Gesundheitswesen folgten die Delegierten den zahmen Vorgaben der Parteigremien nicht. Sie beschlossen mehrheitlich, bei der Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitssystem die Beitragsbemessungsgrenze auf 5.500 Euro zu erhöhen. Dieser Beschluss dürfte noch inner- und außerparteiliche Nachwirkungen haben.

Ein Kommentator der konservativen „Welt“ sieht die Grünen auf dem Weg zu einer Enteignungspartei und spricht von einem „Anschlag auf die Mitte der Gesellschaft“. Seit die CDU die Grünen zum Hauptgegner erklärt und schwarz-grüne Allianzen als nicht sinnvoll bezeichnet hat, kehren im rechten Blätterwald die alten Beißreflexe zurück. Selbst von Konservativen wurde gegenüber den Grünen solch schweres ideologisches Geschütz in letzter Zeit kaum noch aufgefahren. Es erinnert eher an die medialen Reaktionen aus einer Zeit, als Ökolinke wie Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth wesentlich die Politik der Grünen bestimmten. Diese Zeiten sind aber endgültig vorbei.

Parteimitbegründerin Ditfurth erklärte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass die Grünen der 80er Jahre und die heutige Partei zwei völlig verschiedene Projekte sind. Über die aktuelle Zusammensetzung der Mitgliedschaft sagt Ditfurth:
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 Das eine ist, es gibt – und das ist eher das, was mich verwundert hat – ja immer noch einen Teil grüner Wählerschaft, die immer sagen, wir wollen es gar nicht so genau wissen, wir möchten aber gerne glauben dürfen, dass die Grünen immer auch noch ein ganz klein bisschen links sind, und diese Menschen werden demnächst aufwachen, weil sie mitkriegen, dass das, was den Grünen an neuen Mitgliedern und an neuen Wählern zufließt, dermaßen erzkonservativ ist, aber gerne mit gutem Gewissen, das sein möchte.
Jutta Dittfurth

Diese neue Mitglieder- und Wählerschicht könnte aber zu dem Klientel gehören, die bei dem beschlossenen Modell der Bürgerversicherung selber zur Kasse gebeten wird, wie die taz anmerkt. Parteiinterne Kritiker des Beschlusses wie Theresa Schopper erklärten nachher: „Wir müssen auch nach dem Parteitag erhobenen Hauptes über den Dorfplatz gehen können – ohne von wütenden Beamtinnen und Architektinnen beschimpft zu werden.“

Der weitere parteiinterne Umgang mit dem Beschluss könnte zum Lackmustext für die Grünen werden. Sie sind längst eine linksliberale Partei mit einer bürgerlichen Klientel und wenig Interesse an sozialen Themen. Ein linksliberaler Vordenker war in den frühen 70er Jahren Karl-Hermann Flach, der bei der FDP Liberalismus und soziale Demokratie versöhnen wollte. Die damals verabschiedeten Freiburger Thesen könnten für die Grünen als Erbin der Linksliberalen von Interesse sein. Doch wie viel soziale Gerechtigkeit ist das grüne Klientel bereit mitzutragen, wenn sie selber dafür zahlen soll? Sollte dieser Konflikt offen ausbrechen, könnte es mit den grünen Höhenflügen schnell vorbei sein. Parteipolitische Konkurrenz scheint aber für die Grünen zurzeit die geringste Sorge. Die Piratenpartei beispielsweise, die vor einem Jahr durchaus als Konkurrent für die Grünen wahrgenommen wurde, fand auf ihrem Parteitag in Chemnitz nur eine begrenzte öffentliche Resonanz.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33705/1.html

Linkspartei zum Mitregieren bereit

Linkspartei zum Mitregieren bereit

Die Stärkung der Linken in der Linken und die Bereitschaft zum Mitregieren, diese beiden auf den ersten Blick widersprüchlichen Signale gingen vom Rostocker Parteitag der Linken aus
Harmonie war angesagt am Parteitag der Linken am Wochenende in Rostock. Dabei war er gleich in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Mit Lothar Bisky und Oskar Lafontaine traten die zwei Politiker bundespolitisch in den Hintergrund, die die Partei in den letzten Jahren maßgeblich prägten und ohne die es die Vereinigung von PDS und WASG zur Linken wohl nicht gegeben hätte. Damit fällt dem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi automatisch ein großes Gewicht zu, das er am Parteitag geschickt einsetzte.
   

So als er den scheitenden Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der in Intrigen um Lafontaine verstrickt war oder wurde, noch eine politische Karriere in der Linkspartei voraussagte. Damit dürfte er so falsch nicht liegen. Denn der ausgewiesene Pragmatiker Bartsch hatte immer auch das Ziel, die Partei auf allen Ebenen regierungsfähig zu machen.

Bisher wird inner- und außerhalb der Partei das Berliner Modell mit einer äußerst pragmatischen Regierungslinken je nach politischem Gusto als Ausnahme oder Betriebsunfall gesehen. Der Pragmatikerflügel ist hingegen immer bestrebt, das Berliner Modell zu verallgemeinern und durch Regierungsbeteiligungen in möglichst vielen Bundesländern den Weg für Regierungsbeteiligungen auch auf Bundesebene freizumachen.

 

Zwischendurch eine ernste Lage

Dabei gab es zwischendurch Situationen, wo die Kontroversen auf dem Parteitag aufbrachen, beispielsweise als die von Pragmatikern geprägte Frauenliste Ost im ersten Wahlgang mehrheitlich durchfiel.

Am Ende aber wurde das im Vorfeld ausgehandelte Personaltableau angenommen. Die Doppelspitze wurde sogar mit großen Mehrheiten gewählt. Bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden schnitt die Parteilinke Sahra Wagenknecht mit 75,3 % der Stimmen am besten ab, obwohl sie vor einigen Wochen in die Schlagzeilen geriet, als sie bei einer Rede des israelischen Staatspräsidenten Kritik an der israelischen Staatspolitik für angebracht hielt. Darüber wurde aber in der außerparlamentarischen Linken mehr gestritten als in der Partei, wie das Wahlergebnis zeigt. Fiel auch die Positionierung der Linken zum Nahostkonflikt unter das Harmoniebedürfnis?

Auseinandersetzungen werden weiter gehen

Doch nach dem Parteitag werden die Auseinandersetzungen um die Regierungsbeteiligungen und die zu ziehenden roten Linien ebenso weitergehen, wie die zur Positionierung in außenpolitischen Fragen, ob im Nahen Osten, in Afghanistan oder bei den UN-Militäreinsätze. Es war denn auch Matthias Höhn aus Sachsen-Anhalt, der gerne erster Ministerpräsident seiner Partei nach den dortigen Landtagswahlen werden will und nach dem Parteitag mehr Mut zu Kontroversen einforderte. Die Parteilinke hingegen hält sich bedeckt.

Das weißt auf ein Dilemma hin, in dem sich die Linkspartei befindet und das in einem Streitgespräch zwischen der Parteilinken Ulla Jelpke und den Realo Klaus Lederer in der Taz deutlich wurde. Während Lederer das Berliner Modell des Mitregierens verteidigte, betonte Jelpke, dass die Zeit für Reformen im Kapitalismus vorbei seien. Allerdings wich sie der Konsequenz, der Ablehnung von Regierungsbeteiligungen, aus und forderte lediglich von ihren Genossen in Berlin mehr Konfliktbereitschaft. An anderer Stelle warnt auch Sahra Wagenknecht die Partei immer wieder vor einer Entwicklung wie bei den Grünen, vermeidet aber auch jede klare Positionierung gegen Regierungsbeteiligungen. So ging auch vom Parteitag das auf den ersten Blick widersprüchliche Signal aus, dass die Linke in der Linken gestärkt und gleichzeitig die Bereitschaft zum Mitregieren bekräftigt wurde.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32645/1.html

Peter Nowak