Gysi und der Fahrplan zur Mitverantwortung

Der Parteitag der Linken und Machtfragen

Der Kampagnenrat für einen gesetzlichen Mindestlohn von 10. Euro [1] hat sofort reagiert. Wenige Minuten nachdem der Parteitag „Der Linken“ in Bielefeld [2] den entsprechenden Beschluss gefasst hatte, verschickte er eine Pressemitteilung: „Gratulation: DIE LINKE fordert die Steuerfreiheit jedes gesetzlichen Mindestlohns.“ Das Mitglied des Kampagnenrats, Edgar Schu, begründete das Lob:

Das Gemeinwesen, die öffentlichen Aufgaben und auch die Kosten der Erwerbsarbeitslosigkeit müssen von denen bezahlt werden, die sie durch ihre Unternehmenspolitik verursacht und von Entlassungen profitiert haben. Diese Kosten dürfen nicht mehr auf diejenigen abgewälzt werden, die durch Steuerzahlung unter ihr eigenes Existenzminimum gedrückt werden und dann selber Hartz IV beantragen müssen. Das Existenzminimum muss steuerfrei sein. Endlich hat eine erste Partei in Deutschland die erste Weichenstellung hierfür vorgenommen. Das ist ein großer Tag für die Steuergerechtigkeit.

Diese Frage ist für viele Menschen im Niedriglohnsektor existentiell. Doch darüber wird in den meisten Medien nicht berichtet, wenn über den Parteitag der Linken in Bielefeld geschrieben wird. Dabei sollte es dort mal um Inhalte gehen, weil Wahlen und Personalentscheidungen nicht anstanden.

Alleinunterhalter Gregor Gysi dominierte Parteitag

Doch sofort konterkarierte der Mann dieses Konzept, der seit vielen Jahren mit seiner Egomanie die Partei bestimmt. Gregor Gysi hält sich für so unersetzlich, dass er jahrelang einen Parteibeschluss, der eine Quotierung auch an der Fraktionsspitze vorsieht, einfach ignorierte. Dass die Partei mehrheitlich solche Allüren von einem Politiker duldete, der immer betont, aus dem Scheitern des Nominalsozialimus gelernt zu haben, dass autoritäre Führungs- und Herrschaftsmethoden in der Linken bekämpft werden müssen, ist schon ein Armutszeugnis.

Dass aber auch ein Großteil der Medien, die sonst den Linksparteipolitikern nicht die kleinsten Peinlichkeiten auf ihren Facebook-Auftritten durchgehen lässt, das Hohelied auf Gregor Gysi singen, ist natürlich Berechnung. Er ist immerhin ein erklärter Befürworter einer Koalition mit der SPD und den Grünen auch auf Bundesebene und versucht schon mal seine Parteibasis darauf einzustimmen, dass man das eigene Programm dann eben sehr konstruktiv auslegen muss.

Gysis Fahrplan für das Mitregieren

In einem Taz-Interview [3] gab Gysi die Leitlinien vor: „Wir haben nächstes Jahr fünf Landtagswahlen. In Berlin könnten wir wieder in eine Koalition kommen. In Mecklenburg-Vorpommern vielleicht auch, und wenn wir in Sachsen-Anhalt stärker werden als die SPD, haben wir 2016 vielleicht schon zwei Ministerpräsidenten. Dann drängt auch die Gesamtpartei, diesen Weg auf der Bundesebene ebenfalls zu gehen.“ Das ganze läuft unter dem Stichwort „Verantwortung übernehmen“.

Auf die Frage der Taz-Journalisten nach seinen Fahrplan antwortete Gysi:

Eine Partei merkt es, wenn der Stillstand beginnt. Dann werden die Mitglieder unruhig, und es entsteht ein Druck von unten. Deshalb wird der letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte.

Nun ist es schon für einen Streiter gegen autoritäre Parteimanieren merkwürdig, dass er sich so sicher ist, was ein künftiger Parteitag beschließen wird. Dass er dann aber selbst die roten Linien, die dort vielleicht noch zur Besänftigung des linken Parteiflügels einbezogen werden, und die im Ernstfall sowieso sehr kreativ ausgelegt werden, für überflüssig erklärte, hätte eigentlich auf dem Parteitag mit einer herben Rüge beantwortet werden müssen.

Doch Gregor Gysi weiß, dass er sich solche Allüren leisten kann. Dass er einen Parteitag, bei dem es um Inhalte und nicht um Personalien gehen soll, seine eigene Personaldebatte aufdrückt, ist nur ein weiterer Affront mehr, der hingenommen wird. Dabei hätte Gysi noch genügend Zeit gefunden zu erklären, dass er im Herbst nicht mehr für den Fraktionssitz kandidieren wird. Dass er gleichzeitig beteuert, die Fraktion nicht indirekt leiten zu wollen, ist unerheblich.

Für einen Großteil der Medienöffentlichkeit wird er weiterhin als wichtige Stimme des vernünftigen, weil koalitionsbereiten Teils der Linkspartei gelten. Er wird interviewt werden und wer wird sich dem kaum verweigern.

Schließlich haben vor ca. 30 Jahren auch bei den Grünen Politiker wie Joseph Fischer, die damals längst nicht so bekannt waren, die Parteilinke um Thomas Ebermann oder Jutta Ditfurth erfolgreich zu Hoffnungsträgern hochgeschrieben. Am Ende waren die Linken draußen und Fischer Außenminister.

Ein solcher Prozess funktioniert natürlich nur, wenn es in der Partei relevante Strömungen und Flügel gibt, die Verantwortung für eine Regierung übernehmen wollen. Die gab es bei den Grünen und die gibt es auch in der Linkspartei. Ob Gysi selber noch ein Ministeramt übernimmt, ist offen. Schließlich hat er es als Berliner Wirtschaftssenator nicht lange ausgehalten und ein Außenministerposten dürfte für ihn kaum erreichbar sein.

Wie schnell eine Partei, wenn sie irgendwo mitverwaltet, mit ihren hehren Grundsätzen in Widerspruch gerät, zeigte sich in diesen Tagen in der Kommunalpolitik. Während die Linke den Kitastreik mit warmen Worten unterstützte, beschwerten [4] sich Erzieherinnen und Gewerkschafter über einige Bürgermeister der Linkspartei, die nicht einmal mit den Streikenden reden wollten. Solche Probleme potenzieren sich, wenn die Linke noch mehr Posten in Bundesländern und am Ende gar in der Bundesregierung besetzen sollte.

Dass diese Problematik den Delegierten der Linkspartei bewusst ist, zeigte sich in Beiträgen des Vorstandsduos Katja Kipping und Bernd Riexinger. Die Linke ist nach den Worten Riexingers nicht bereit, für ein Bündnis mit SPD und Grünen ihre „Haltelinien“ aufzugeben.

„Kein Sozialabbau, keine Tarifflucht und keine Kampfeinsätze sind selbstverständliche Teile linker Politik“, rief Riexinger unter dem Beifall der Delegierten. Ko-Parteichefin Katja Kipping hatte bereits am Samstag vor den Delegierten gesagt, es werde kein Ja zu Kriegseinsätzen oder Sozialkürzungen geben. Allerdings erklärte sie auch kryptisch: „Wir wollen die Machtfrage stellen, aber wir wollen sie wirklich stellen.“

Dass sie der Illusion erliegt, ein Mitregieren bedeute auch an der Macht sein, ist nicht unwahrscheinlich.

Ausführlich wurde auf dem Parteitag über das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, das parteiintern stark umstritten ist. Der Gewerkschaftsflügel fürchtet, dass damit der Sozialstaat noch mehr abgebaut werden soll.

Dass es aber unterschiedliche Grundeinkommensmodelle gibt und dass man sich auf die Formel einigen könnte, mit Lohnarbeit soll man leben können – ohne aber auch – , zeigt, dass es möglich ist, sich mit kontroversen Fragen zu beschäftigten und auch zu Ergebnissen zu kommen, wenn man sich nicht das Damoklesschwert des Mitregierenwollens selber über seinen Köpfen aufhängt.

Ersetzt das Duo Wagenknecht-Bartsch Gysi?

Nun muss sich zeigen, wer an Gysis Stelle den Fraktionsvorsitz übernimmt. Der Realo Dietmar Bartsch hat schon seine Kandidatur angekündigt. Er wäre aber parteiintern nur durchzusetzen, wenn eine Frau vom anderen Parteiflügel mit ihm kandidiert.

Lange Zeit schien alles auf das Duo Wagenknecht-Bartsch hinauszulaufen. Zwischenzeitlich hatte Wagenknecht schon mal erklärt, dass sie dafür nicht zur Verfügung steht. Diese Aussage scheint aber durchaus nicht in Stein gemeißelt [5].

Bliebe Wagenknecht bei ihren Nein würden der Partei wohl auch wieder Flügelkämpfe drohen. Wie fragil der innerparteiliche Frieden ist, zeigte sich bei einem Antrag, mit dem einige in der Linkspartei Weltpolitik machen und gleichzeitig parteiinterne Signale setzen wollten.

Überschrieben ist der Antrag mit „Frieden statt Nato- Für eine Weltfriedenskonferenz“ [6]. Damit soll der letzte sowjetische Präsident Gorbatschow für eine Konferenz zur Ukraine gewonnen werden. Es ist schon erstaunlich, dass sich alle auf Gorbatschow einigen konnten, dem manche Traditionalisten das Ende der Sowjetunion persönlich übel nehmen.

Doch für Streit sorgte eine Passage in dem Antrag, in der eine Mitgliedschaft in der Atlantikbrücke [7] für unvereinbar mit einem Mandat der Linkspartei erklärt wurde. Das zielte [8] auf den Realpolitiker Stefan Liebich, der bisher das einzige Linksparteimitglied in dieser Organisation [9] ist. Gysi erklärte, er persönlich habe ihn dazu geraten.

Schließlich wurde der Antrag gegen den Widerstand [10] der Kommunistischen Plattform als Tagungsmaterial behandelt, über den nicht abgestimmt wurde. So wurde ein Angriff auf den Fahrplan zur Mitverwaltung abgewendet.

http://www.heise.de/tp/news/Gysi-und-der-Fahrplan-zur-Mitverantwortung-2681122.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.mindestlohn-10-euro.de/

[2]

http://www.dielinke-bielefeld.de/

[3]

http://www.taz.de/!5201637/

[4]

http://www.neues-deutschland.de/artikel/973192.hoch-die-paedagogische-solidaritaet.html

[5]

http://dietmar-bartsch.de/doppelspitze-bartschwagenknecht-moeglich

[6]

http://www.weltfriedenskonferenz.org/

[7]

http://www.atlantik-bruecke.org/

[8]

http://www.berliner-zeitung.de/politik/atlantik-bruecke-linker-fluegel-will-stefan-liebich-aus-der-partei-draengen,10808018,30652810.html

[9]

http://www.stefan-liebich.de/de/topic/131.mitgliedschaften.html

[10]http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattform-der-partei-die-linke/dokumente/4-tagung-der-17-bundeskonferenz/1736-menschen-unterstuetzen-offenen-brief-an-michail-s-gorbatschow

Keine Weihnachtsruhe für Neonazis


In Bielefeld gingen am 24. Dezember Tausende gegen einen Neonaziaufmarsch auf die Straße

n wir ausgerechnet am 24. Dezember überhaupt Menschen gegen einen Neonaziaufmarsch mobilisieren können? Diese Frage stellten sich Antifaschisten in NRW, nachdem bekannt geworden war, dass ausgerechnet an diesem Tag ein rechter Aufmarsch in Bielefeld angekündigt war. Schon am frühen Nachmittag konnten die Nazigegner die Frage bejahen.

Nach Angaben der Polizei waren ca. 6.500 Menschen auf der Straße, die gegen den Aufmarsch von 68 Neonazis protestierten. In dieser Einschätzung waren sich Nazigegner und Polizei einig. Allerdings legen die Rechten ihre Aktion wie auf Altermedia als Erfolg aus: „Weit mehr Aufmerksamkeit als erhofft erregte die knapp einstündige „Heiligabend-Demo“ in Bielefeld.“

Die große Mehrheit der Antifaschisten traf sich am Bielefelder Arbeiterjugendzentrum, das seit mehr als drei Jahrzehnten als Zentrum von Punkkultur und linker Szene Ostwestfalens gilt.

Jahrelang war es Konservativen aller Couleur ein Dorn im Auge. Dazu gehörte die Regionalzeitung Westfalenblatt, das auch wegen ihrer betont konservativen Ausrichtung den Beinamen Bayernkurier des Nordens trägt. Aber auch ein Bielefelder Bürgergemeinschaft machte schon vor zwei Jahrzehnten mit der Forderung nach Streichung jeglicher Zuschüsse an das AJZ erfolgreich Wahlkampf. Es war alsbald an einer Bürgerkoalition mit der CDU und der FDP beteiligt, die tatsächlich alle finanziellen Zuwendungen für das AJZ strich. Manche Aktivisten sehen das im Nachhinein gar nicht so negativ, denn bald zeigte sich, das linke Zentrum konnte sich durch verschiedene kulturelle Aktivitäten selber finanzieren und war damit umso unabhängiger von allen Anforderungen der Politik.

Und Silvester das Gleiche noch mal?

Dass diverse ultrarechte Gruppierungen den Kampf gegen das linke Zentrum auf ihre Fahnen geschrieben haben, ist nicht verwunderlich. Schließlich hatten schon Mitte der 80er Jahre führende Neonazigruppen ihr Zentrum in unmittelbarer Nähe zum AJZ, das auch Ausgangspunkt vieler antifaschistischer Gegenaktionen war. Auch aktuell wird die Rechte von Ostwestfalen durch Antifagruppen genau beobachtet.

„Straftätern die Räume nehmen – AJZ schließen“, lautete das Motto der Nazidemo schon am 6. August. Im Anschluss an einen rechten Aufmarsch in Bad Nenndorf wollten sie auch noch in Bielefeld Präsenz zeigen. Wegen Blockadeaktionen von Antifaschisten war der Versuch nicht erfolgreich. Damals kündigten die rechten Organisatoren bereits an, dass sie zu Weihnachten und Silvester wiederkommen würden. Zunächst wurden diese Sprüche als leere Drohungen behandelt, mit der das wegen der Blockade frustrierte rechte Klientel bei Laune gehalten werden sollte. Deshalb staunten auch viele Antifaschisten, als sich vor einigen Wochen herausstellte, dass es die Rechten mit ihren weihnachtlichen Besuch in Ostwestfalen ernst meinten.

Zufrieden zeigte sich ein Sprecher der Antifaschisten mit der kurzfristigen Mobilisierung. Man habe ein „deutliches Zeichen gegen rechts“ gesetzt, meinte er. Schließlich ist es in der stark universitär geprägten Bielefelder Politszene nicht selbstverständlich, am 24. Dezember Menschen auf die Straße zu bringen. Ob die Aktivisten alsbald erneut ihre Mobilisierungsfähigkeit unter widrigen Bedingungen unter Beweis stellen müssen, ist noch nicht sicher. Denn noch ist unklar, ob die Rechten auch den zweiten Teil ihrer Drohung wahrmachen und auch zu Silvester noch einmal Bielefeld besuchen wollen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151108
Peter Nowak