Wissenschaftskonferenzen gibt es in Berlin viele. Doch sticht die Konferenz des Zentrums für Analyse und Forschung, die am 16. und 17. September in Berlin stattfinden soll, heraus und sorgt auch unter Wissenschaftlern für Kritik. Schließlich handelt es sich beim Zentrum für Analyse und Forschung, um eine im Aufbau befindliche Einrichtung des …
„Sozialwissenschaft im Dienst der Inneren Sicherheit“ weiterlesenSchlagwort: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Hartz-IV-Sanktionen: Nahles will das soziale Profil der SPD schärfen
Bei der Rente versucht es Scholz – Kann etwas Sozialpolitik die SPD vor dem Schicksal einer 18-Prozent-Partei bewahren?
In den 1990er Jahren hatte der Politiker Freke Over in Berlin einen gewissen Bekanntheitsgrad. Der ehemalige Hausbesetzer hatte auf dem Ticket der damals noch sehr ostdeutschen PDS kandidiert[1] und viele haben sich gefragt, wie lange die Zusammenarbeit zwischen dem undogmatischen Westlinken und den Ostgenossen gut gehen würde.
Tatsächlich verabschiedete sich Over aus persönlichen Gründen bald aus der Großstadt in die Provinz und um ihn wurde es still. Nun sorgt er wieder für Aufmerksamkeit. Over hat gerade für die Linke einen Kooperationsvertrag seiner Partei mit der CDU und kleineren konservativen Parteien in Ostpriegnitz-Ruppin unterzeichnet[2].
Nun könnten Metropolenfreunde sagen, wen interessiert, was in Ostpriegnitz-Ruppin passiert? Doch das Bündnis hat schon deshalb für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt, weil erst vor einigen Tagen in der Union eine Debatte über Bündnisse mit den Linken geführt worden war. Da argumentierten die Befürworter solcher Kooperationen noch damit, dass sie notwendig sein könnten, um jenseits der AfD überhaupt noch Regierungen bilden zu können.
Doch in Ostpriegnitz-Ruppin hätte die Linke auch die Möglichkeit gehabt, mit der SPD zu koalieren. Ein SPD-Politiker hat sogar bei den Wahlen zum Landratsamt die meisten Stimmen erreicht, doch weil das notwenige Quorum nicht erfüllt worden war, lag die Wahl nun bei den Parteien des Kreistages.
Nicht mal mehr die Linke gibt der SPD automatisch den Vorzug
Da hat die Linke dem CDU-Kandidaten mit der Begründung den Vorzug gegeben, mit ihm sei – anders als mit der SPD – ein fester Koalitionsvertrag möglich gewesen. So ist das Bündnis in Ostpriegnitz auch eine neue Hiobsbotschaft für die SPD. Auch die Linke entscheidet sich nicht mehr automatisch für ein Bündnis mit ihr, selbst wenn das die Mehrheitsverhältnisse hergeben würden.
Wie stark der Einflussverlust der SPD geworden ist, lässt sich durch einen Rückblick um 15 Jahre ermessen. Damals zeigten weite Kreise der Mehrheitssozialdemokratie ihren linken Genossen noch die kalte Schulter und meinten, die Partei sei doch nur die SED unter neuem Namen und werde verschwinden.
Als dann die Linke entstand, war der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine ein zusätzlicher Grund, ein Bündnis abzulehnen. Und die Grünen galten lange Zeit als natürlicher Bündnispartner der SPD, die Stimmen für eine schwarz-grüne Koalition waren von Anfang an vorhanden, aber konnten sich lange nicht durchsetzen.
Nun wird man bei den Grünen kaum noch Stimmen finden, die für ein Bündnis mit der SPD aus Prinzip antreten. Selbst in Bayern bereiten sie sich auf eine Rolle als Juniorpartner der CSU vor. Dabei ist es gerade mal acht Jahre her, dass die jetzige bayerische grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze[3] mit ihrer Dekonstruktion des deutschen Mythos von den Trümmerfrauen[4] auch weite Teile der CSU-Basis gegen sich aufbrachte.
Heute würde sie mit den Nationalkonservativen eine Koalition eingehen. Schließlich ist die SPD in den Umfragen hinter der CSU, den Grünen und der AfD auf Platz 4 bei den bayerischen Landtagswahlen gelandet. Ihr droht also dort ein Ergebnis, das sie aus vielen ostdeutschen Landtagen schon kennt.
SPD und Union sind austauschbar
Da muss sie Glück haben, wenn sie noch jene 18%-Grenze erreicht, die die früh verstorbenen FDP-Politiker Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann für die Liberalen anstrebten. In Bundesländern wie Sachsen kann sie von einem solchen Ergebnis nur träumen. Mit Verlierern will man sich nicht gemeinsam sehen lassen und so argumentieren mittlerweile auch Teile der Linken wie vor einigen Jahren die Grünen.
Da SPD und Union in den meisten politischen Fragen austauschbar sind, gibt es keinen Grund, wenn man sich schon auf ein Bündnis mit der SPD einlässt, nicht auch mit der Union zu kooperieren. Damit bestätigt sich nur die Logik derer, die wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann etc. bei den Grünen generell gegen Regierungsbündnisse argumentierten.
Diese linke Strömung hatte allerdings die Partei schon vor mehr als 2 Jahrzehnten verlassen. Nur der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler[5] ist noch der letzte Vertreter dieser Strömung bei den Grünen.
Wenn nun auch die Linke offen für SPD und Union ist, bestätigt sich einmal mehr die Analyse einer kapitalistischen Einheitspartei mit unterschiedlichen Namen, die der Politologe Johannes Agnoli[6] in seinem Buch Transformation der Demokratie[7] schon um 1968 diagnostizierte.
Doch für die SPD ist diese Entwicklung besonders desaströs. Unter Druck ist sie von der AfD, von der Linken und auch die Initiative „Aufstehen“ könnte noch die letzten Sozialdemokraten innerhalb der SPD aus der Partei vertreiben.
Sozialpolitik als Strafrecht?
Vor diesem Hintergrund haben in den letzten Wochen gleich zwei SPD-Spitzenpolitiker das soziale Profil ihrer Partei schärfen wollen. Zunächst hat sich die Parteivorsitzende Andrea Nahles dafür ausgesprochen, die Sanktionen bei jüngeren Hartz-IV-Beziehern[8] zu lockern.
Im Grunde waren die Bestimmungen so formuliert, dass es für jüngere Hartz-IV-Bezieher schwer war, nicht sanktioniert zu werden. Es gab genügend Fälle, wo Betroffene zu 100 Prozent sanktioniert wurden, und so gar keine finanziellen Leistungen mehr bekommen und häufig auch noch die Wohnung verlieren[9].
Viele der Betroffenen landen in der Wohnungs- oder Obdachlosigkeit und viele sehen dann auch keinen Grund mehr, überhaupt noch zum Jobcenter zu geben. Hier setzt auch die Argumentation von Nahles ein. „Die melden sich nie wieder im Jobcenter, um einen Ausbildungsplatz zu suchen. Ergebnis sind ungelernte junge Erwachsene, die wir nicht mehr erreichen“, begründet sie ihren Vorstoß zur Lockerung der Sanktionen.
So verlöre ja das Jobcenter seine Funktion im repressiven Staatsapparat. Während die Grünen den Vorstoß der SPD-Politiker als nicht weitgehend genug kritisierten[10], kam gleich die Retourkutsche der Konservativen aller Parteien, die fürchten, Nahles könnte mit ihrem Vorstoß, Hartz-IV etwas von seinem repressiven Charakter nehmen.
So wurde auch wieder deutlich, dass ein großer Teil der Medien und auch der Öffentlichkeit ganz offen Sozialpolitik als Teil des Strafrechts akzeptiert und es als Erfolg ansieht, wenn die Betroffenen gezwungen sind, Lohnarbeit unter den schlechtesten Bedingungen anzunehmen.
So heißt es in der konservativen Welt[11]: „‚Niemand sanktioniert gerne und auch die Jobcenter würden lieber ohne Sanktionen arbeiten‘, sagt Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung[12], das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. ‚Aber Auswertungen zeigen, dass die Sanktionen im gewünschten Sinne wirken, es also vermehrt Arbeitsaufnahmen gibt. Die Sanktionen für jüngere Hartz-IV-Bezieher einfach abzuschaffen, hätte also auch Nachteile.'“
Die Nachteile würden also dann entstehen, wenn Hartz-IV-Bezieher nicht mehr gezwungen wären, sich dem Kapital zu besonders schlechten Bedingungen zu verkaufen. Es wird weder von Nahles noch von den meisten ihrer Kritiker infrage stellt, dass das Sozialrecht als Strafrecht genutzt werden soll.
Nur über den Umfang und die Form der Sanktionen gehen die Meinungen auseinander. Deswegen lehnt auch die Nahles-SPD den Vorschlag der Linkspartei ab, die Sanktionen im Hartz IV-System generell abzuschaffen. Es dürfte der SPD mit dieser Andeutung eines Reförmchen kaum gelingen, sich wieder als soziale Kraft zu etablieren.
SPD – Die Rentnerpartei?
Auch der aktuelle Bundesminister Scholz[13] bürgt schon mit seiner politischen Vita[14] nach dem Ende seiner Juso-Zeit dafür, nie gegen Kapitalinteressen agiert zu haben. Wenn er jetzt für ein Rentenkonzept eintritt, dass stabile Renten auch noch in 20 oder 30 Jahren garantiert, will er seine Partei für die ältere Generation wieder wählbar zu machen.
Die Reaktionen auf seinen Vorstoß zeigen, dass er damit ins Schwarze getroffen hat. Ihm wird tatsächlich angekreidet, diese Frage nicht auf eine „überparteiliche Kommission“ vertagt zu haben, die sich der Frage widmen soll.
Hartz-IV lässt grüßen, auch diese Verarmungspolitik wurde von einer überparteilichen Kommission kreiert. Damit soll suggeriert werden, dass es hier nicht um unsere politische Konzepte mit den dahinter stehenden Interessen geht, sondern um scheinbar naturgegebene Sachzwänge, die nicht veränderbar sind und nicht hinterfragt werden sollen.
Konkret heißt das, ein Großteil der Bevölkerung soll Altersarmut als naturgegeben hinnehmen und sich mit Selbstvorsorge und Niedriglohnjobs bis ins hohe Alter behelfen. Das Kapital kalkuliert bereits damit. Eine Rente für Alle, von denen Menschen leben können, wäre für diese Interessen dysfunktional. Entsprechend harsch reagieren die Medien, die im Zweifel immer die Kapitalinteressen im Blick haben:
So benennt die Süddeutsche Zeitung[15] die Konsequenzen der Umsetzung der Scholz-Pläne:
Die Menschen müssten entweder sehr viel später in Rente gehen als jetzt; oder die Rentenbeiträge müssten drastisch angehoben werden, heißt, die Arbeit würde deutlich teurer; oder der Staat müsste seinen Zuschuss für die Rentenkassen massiv ausweiten, was bedeutet, die Steuern würden steigen. Da gerade die Sozialdemokraten sich gegen ein späteres Renteneintrittsalter wehren, kann Scholz eigentlich nur erheblich höhere Beiträge oder / und Steuern im Sinn haben. Darüber, wie der Minister und Spitzengenosse sein Vorhaben bezahlen möchte, lässt sich nur spekulieren. Mitten im Sommerloch via Wochenend-Interview mal eben so eine Forderung mit außerordentlich weitreichenden Folgen zu stellen, dafür hat es bei Scholz gereicht. Für Überlegungen dazu, wie seine Pläne finanziert werden könnten, offenbar nicht.
Damit macht der Sozialdemokrat es all jenen leicht, die die ebenso schwierige wie dringend notwendige Debatte über die Zukunft der Rente, über mehr Gerechtigkeit in der Rente und über den Kampf gegen Altersarmut nicht so recht führen möchten.
Süddeutsche Zeitung
Im Anschluss regt sich das liberale Blatt auch darüber auf, dass Scholz das Thema nicht der dafür vorgesehenen Kommission überlässt, also Altersarmut als kapitalistischen Sachzwang akzeptiert. Noch deutlicher wird die wirtschaftsfreundliche FAZ in einem Kommentar zum Scholz-Vorstoß:
Als Bundesfinanzminister muss er das Wohl des ganzen Landes m Blickhaben, nicht nur das der Rentnergeneration – auch wenn sie bald 25 Millionen Wähler stellen wird. Kein Politiker darf den Spielraum seiner Nachfolger so dramatisch einengen.
Kerstin Schwenn, Faz
Wenn es eine Rangliste über menschenfeindliche Kommentare gäbe, dann stünde Schwenns Text ganz oben. Hier wird ganz deutlich gesagt, anders als die Kapitalisten sind auch 25 Millionen Rentner nicht systemrelevant. Die sollen im Zweifel für sich selber sorgen. Wenn nicht, dann haben sie Pech gehabt.
Dass die wirtschaftsliberale Presse, die in letzter Zeit auch gerne mit emphatischen Floskeln aufwartete, so offen menschenfeindlich formuliert, ist ein Verdienst des Scholz-Vorstoßes. Dabei hat er sicher im Sinn, der SPD mit sozialen Themen wieder einige Wählerstimmen zu verschaffen.
Doch das wird kaum gelingen, denn weder die SPD im Allgemeinen noch Scholz im Konkreten wollen sich mit den gesellschaftlichen Kräften anlegen, die wie Kerstin Schwenn denken und handeln. Das will in der SPD niemand.
Sozialpolitik statt Minderheitenschelte
Ein weiterer positiver Nebeneffekt der zaghaften sozialen Profilierung der SPD besteht in der Diskursverschiebung. So wird deutlich, dass nicht das Eintreten für Minderheitenrechte die SPD zur 18%-Prozentpartei machen, sondern die Unterordnung unter die Standortinteressen des deutschen Kapitals. Der Publizist Johannes Simon hat diesen Zusammenhang in der Printausgabe des Freitag klar benannt:
Für die bessergestellten Milieus, die in der SPD und den liberalen Medien den Ton angeben, ist der Vorwurf an sich selbst natürlich viel angenehmer, sich zu sehr um Minderheitenrechte gekümmert zu haben, anstatt einzugestehen, dass man ohne mit der Wimper zu zucken das brutale Hartz IV-System, Leiharbeit, wachsende Kinderarmut und dergleichen unterstützt hat, nur weil man Angst um den Standort Deutschland und den eigenen Wohlstand hatte.
Johannes Simon, Wochenzeitung Freitag
Wenn die SPD tatsächlich wieder Sozialpolitik machen würde, müsste sie das anerkennen. Aber wer wird das ausgerechnet von der SPD erwarten?
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4144691
https://www.heise.de/tp/features/Hartz-IV-Sanktionen-Nahles-will-das-soziale-Profil-der-SPD-schaerfen-4144691.html
Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://jungle.world/artikel/2010/45/die-aufarbeitung-beginnt-gerade-erst
[2] https://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1676012
[3] https://katharina-schulze.de/
[4] https://katharina-schulze.de/schriftliche-anfrage-zum-truemmerfrauen-denkmal-in-muenchen
[5] https://www.gruene-linke.de/tag/wilhelm-achelpohler/
[6] https://www.ca-ira.net/verlag/johannes-agnoli-gesammelte-werke
[7] http://copyriot.com/sinistra/reading/agnado/agnoli06.html
[8] https://www.sozialberatung-essen.de/sanktionen/sanktionen-f%C3%BCr-unter-25-j%C3%A4hrige-im-sgb-ii/
[9] https://www.gegen-hartz.de/100-prozent-hartz-iv-total-sanktion-nach-4-jahren-aufgehoben
[10] https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-08/44606878-gruene-kritisieren-nahles-hartz-iv-vorstoss-003.htm
[11] https://www.welt.de/wirtschaft/article181245032/Keine-Sanktionen-fuer-Juengere-Kritik-an-Nahles-Hartz-IV-Idee.html
[12] https://www.iab.de/123/section.aspx/Mitarbeiter/56703
[13] https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundeskabinett/OlafScholz/_node.html
[14] https://www.olafscholz.de/main/pages/index/p/61
[15] https://www.sueddeutsche.de/politik/rentenplaene-von-olaf-scholz-ein-baerendienst-fuer-die-spd-1.4097666
Flüchtlinge: So konservativ wie die deutsche Gesellschaft
Studien zu Migranten: Vielleicht sollte die Blickrichtung mal umgedreht und die Integrationsfähigkeit der deutschen Gesellschaft erforscht werden
„Ausländer, lasst uns mit diesen Deutschen nicht allen“, laute das Motto eines Aufklebers, mit dem sich in den 1980er Jahren Gegner des deutschen Rassismus positionierten. Dahinter stand die Vorstellung, die Migranten würden manche konservativen und verkrusteten Gesellschaftsstrukturen aufbrechen.
Teilweise war sie von den Erfahrungen der 1960er und 1970er Jahre geprägt, als in manchen Städten in der Arbeiterbewegung ihrer Länder verankerte Arbeitsmigranten ihre Arbeitskampf- und Streikerfahrungen in die von der Sozialpartnerschaft geprägte Betriebskultur nach Deutschland brachten. Doch welche gesellschaftspolitischen Vorstellungen bringen heute Migranten mit?
Bürgerliche Vorstellungen
Die Ergebnisse von zwei aktuellen Studien waren eigentlich nicht überraschend. Da die wenigsten Migranten mit der Kultur der Arbeiterbewegung vertraut waren, teilen sie eher die bürgerlichen Vorstellungen, die auch in Deutschland hegemonial sind. Warum aber die Hochschule für Medien, Kultur und Wirtschaft[1], die eine der Studien durchführte, in einer Pressemitteilung von überraschenden Ergebnissen[2] spricht, ist nicht so klar (Flüchtlinge: Für Demokratie und einen starken Führer[3]).
Überraschen dürften sie nur die Menschen, die in den Migranten die ganz anderen sehen, die entweder bewundert oder gehasst und abgelehnt werden. Für alle anderen dürften die Ergebnisse nur verdeutlichen, dass die Migranten in der Mehrheit nicht fortschrittlicher oder reaktionärer als die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland sind.
So schätzen die meisten der Migranten, die die Fragebögen ausgefüllt haben, Werte wie Freiheit, Sicherheit, Familie und Arbeit. Sie bekennen sich mehrheitlich zur Demokratie, wie ein Großteil der deutschen Bevölkerung jenseits von Pegida. Allerdings heißt es bei beiden Gruppen noch lange nicht, dass sie Freunde von kollektiver und individueller Freiheit sein müssen.
Homophobe und antisemitische Einstellungen sowie konservative Vorstellungen über Ehe und Familie sind auch bei Menschen anzutreffen, die sich als gute Demokraten bezeichnen. So kann als Fazit der HMKW-Studie gelten, dass die Mehrheit derjenigen, welche die Fragen beantworteten, konservative Wertvorstellungen und eine konservative politische Einstellung hatten.
Die Studie ist nicht repräsentativ. Die Studierenden der HMKV verteilten rund 1.000 Fragebögen in den Sprachen Farsi (Persisch), Arabisch und Englisch in zwei Berliner Flüchtlingsunterkünften des Deutschen Roten Kreuzes. 445 Bögen wurden beantwortet zurückgegeben.
Wenn auch nicht repräsentativ, so dürfte die Studie doch einen Ausschnitt der Einstellungen in einem Segment der Geflüchteten wiedergeben. Ähnliche Ergebnisse lieferte auch eine qualifizierte Befragung des Instituts- für Arbeitsmarkt und Berufsforschung[4].
Arbeit finden, finanziell unabhängig sein
Das wenig verwunderliche Fazit dieser Untersuchung lautet: Die Befragten schätzen Freiheit und Sicherheit, eine verlässliche Gesetzgebung sowie die in der Gesellschaft vorherrschenden Sekundärtugenden, etwa Disziplin, sowie die Einhaltung eines für alle gültigen Regelkanons. Wichtig ist ihnen eine „hohe Bildungsperspektive“. Sie wünschen sich, bald Arbeit zu finden und finanziell unabhängig zu sein.
Die Stärke dieser Studie ist, dass sie auf die individuellen Erfahrungen der Migranten in ihren Heimatländern, wie auch auf der Flucht, eingeht und diese mitberücksichtigt, wenn es um die Einordnungen ihrer politischen und gesellschaftspolitischen Einstellungen geht. Auch die diskriminierenden Erfahrungen vieler Migranten in Deutschland bis hin zur Abschiebung werden in den Bericht thematisiert.
Kontakte zu Deutschen liefen vor allem über die Vereine, aber auch über Praktika oder Arbeitsplätze, wird dort festgestellt. Deswegen ist es für diese Menschen besonders nachteilig, wenn sie keine oder nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Eine aktuelle Studie des Berliner Instituts für Bevölkerungsentwicklung[5] beschäftigt sich auch mit der Frage, wie Migranten besser an Arbeitsplätze kommen können. Interessant wäre die Frage danach, wie sich solidarische Aktionen zivilgesellschaftlicher Gruppen und Organisationen von Geflüchteten auf das gesellschaftliche Weltbild der Menschen auswirken. Bei dem Flüchtlingswiderstand der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass sich einige Aktivisten sehr schnell und nachhaltig politisiert hatten.
Flüchtlinge bejahen rechtspopulistische Einstellungen?
Die Häufung der Studien und Untersuchungen zeigt, dass „der Migrant zum stark beforschten Wesen“ wurde. Das kann spätestens dann problematisch werden, wenn die Prämisse der Untersuchungen darin besteht, den Migrant der Mehrheit der autochthonen Bevölkerung gegenüber zu stellen oder die Ergebnisse selber wieder zur Stigmatisierung zu nutzen.
So titelte die FAZ „Viele Flüchtlinge bejahen rechtspopulistische Einstellungen“[6], was im Text selbst relativiert wurde. Dort hat man eher den Eindruck, dass viele der Befragten ähnlich wie viele Deutsche liberale und konservative Einstellungen kombinieren.
Die weitere Entwicklung der Befragten dürfte auch sehr viel damit zusammenhängen, ob sie als Geflüchtete anerkannt werden oder nicht und vor allem, ob sie in Deutschland akzeptiert werden. Ein Teil der Deutschtürken hat diesen Eindruck nicht.
Nicht das Gefühl, willkommen zu sein
Eine vom Meinungsforschungsinstitut Emnid TNS erstellte Umfrage unter Deutschtürken[7] ergab, dass sich die Befragten einerseits als Teil der Gesellschaft in Deutschland und andererseits als Bürger zweiter Klasse fühlen.
„Woran es aber unter den in Deutschland lebenden Türkeistämmigen mangelt, ist das Gefühl, willkommen geheißen und anerkannt zu sein“, führte der Leiter der Studie mit. Hier wird die Blickrichtung mal geändert. Nicht die Migranten sondern die Gesellschaft, in die sich integrieren wollen, wird kritisch befragt.
Dies sollte auch Gegenstand weiterer Studien sein. Es soll nicht immer nur um die Frage gehen, wie integrationsbereit die Migranten sind. Es sollte auch die Frage erforscht werden, wie offen für Migration die deutsche Gesellschaft ist.
http://www.heise.de/tp/artikel/49/49170/1.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
http://www.hmkw.de/
[2]
http://www.hmkw.de/news/artikel/pressekonferenz-studie-zu-demokratieverstaendnis-und-integrationsbereitschaft-von-fluechtlingen-2016/
[3]
http://www.heise.de/tp/artikel/49/49148/
[4]
http://doku.iab.de/forschungsbericht/2016/fb0916.pdf
[5]
http://www.berlin-institut.org/
[6]
http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/umfrage-in-berlin-viele-fluechtlinge-bejahen-rechtspopulistische-einstellungen-14389092.html
[7]
https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2016/jun/PM_Integration_und_Religion_aus_Sicht_Tuerkeistaemmiger.html
Statt Lohn nur Löhnchen
In Deutschland arbeitet inzwischen jeder Vierte im Niedriglohnsektor. Diese Entwicklung beeinflusst mittlerweile auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Arbeitslosigkeit und Prekarität.
Die Ergebnisse der Studie dürften jene, die sich mit der sozialen Entwicklung in Deutschland beschäftigen, nicht überrascht haben. Das zur Bundesagentur für Arbeit gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Ende Juli Zahlen vorgelegt, die belegen, dass Deutschland den zweitgrößten Niedriglohnsektor in Europa hat, nur in Litauen gibt es noch mehr Geringverdiener. Im Jahr 2010 verdiente hierzulande knapp ein Viertel aller Beschäftigten weniger als 9,54 Euro brutto pro Stunde. Damit ist der Anteil der Geringverdiener in Deutschland größer als in anderen westlichen EU-Ländern. Wenn man ausschließlich Vollzeitbeschäftigte berücksichtigt, ist der Anteil in Deutschland mit rund einem Fünftel zwar etwas niedriger, aber im Vergleich immer noch hoch.
In der Studie wird darauf hingewiesen, dass eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor nicht unbedingt mit Armut einhergehen müsse: »Die Armutsgefährdung hängt nicht nur vom individuellen Bruttolohn, sondern auch von anderen Einkünften, von der Wirkung des Steuer- und Transfersystems und vom Haushaltskontext ab«, heißt es dort. Dabei bleibt jedoch unerwähnt, dass es sich bei einem Großteil dieser zusätzlichen Transferzahlungen um Leistungen nach dem SGB II handelt. Die Zahl der Geringverdiener hat in Deutschland bereits seit den neunziger Jahren deutlich zugenommen, richtig groß wurde der Niedriglohnsektor jedoch mit der Einführung von Hartz IV. Weil die Lohnarbeit nicht mehr dazu reicht, den Lebensunterhalt zu bestreiten, müssen sich immer mehr Beschäftigte dem Hartz-IV-Regime unterordnen. Mit den Folgen dieser Entwicklung beschäftigen sich auch 23 Sozialstaats- und Armutsforscher in einem kürzlich von Mechthild Bereswill, Carmen Figlestahler und Lisa Yashodhara Haller herausgegebenen Sammelband »Wechselverhältnisse im Wohlfahrtsstaat«. Detailliert werden dort die Veränderungen des Sozialsystems untersucht. Dabei konzentrieren sich die Autoren und Autorinnen auf die Relevanz der immer schlechter bezahlten Erwerbsarbeit, die Erosion des männlich konnotierten Alleinverdienermodells sowie die Durchsetzung des sogenannten Aktivierungsparadigmas in immer mehr Bereichen des Sozialstaates. Die Soziologen Wolfgang Ludwig-Mayerhofer und Ariadne Sondermann untersuchen die Ungleichheit in der Arbeitsverwaltung, die durch die Ausweitung der Transferleistungen immer mehr Macht erhält. Die beiden Wissenschaftler der Universität Siegen stellen dabei fest: »(Relativ) eindeutige Rechte haben Arbeitslose nur noch auf die finanziellen Unterstützungsleistungen, während nahezu alle anderen Leistungen rechtlich nur noch als Kann- oder allenfalls als Sollleistungen normiert sind.« In ihrer Untersuchung der Organisation in den Jobcentern kommen sie zu dem Fazit, dass es bei der Jobvermittlung eine Bevorzugung von Erwerbslosen gebe, die auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben. Die in der Verwaltungssprache als »Beratungs- und Betreuungskunden« bezeichneten Erwerbslosen mit schlechten Aussichten auf dem freien Arbeitsmarkt würden auch im Jobcenter vor allem Frustration erleben. Ludwig-Mayerhofer und Sondermann sprechen von einer »Drei-Klassen-Gesellschaft« bei der Jobvermittlung. Mehrere Beiträge des Sammelbands gehen auf die feministische Kritik an der Erwerbszentrierung der bisherigen Arbeitslosen- und Prekaritätsforschung ein. So kritisieren die Kasseler Soziologen Julia Weber und Marko Perels nach ihrer Auseinandersetzung mit historischen Arbeiten der Erwerbslosenforschung, dass das Lohnarbeitsverhältnis als gesellschaftliche Norm festgesetzt wurde. Äußerungen von Erwerbslosen würden dabei lediglich als Defiziterfahrung wahrgenommen. Weber und Perels beschäftigen sich unter diesem Aspekt mit der Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal« von 1933, die sich mit den Folgen von Arbeitslosigkeit beschäftigt und als Klassiker der empirischen Sozialforschung gilt. Während dort vor allem die Hoffnungslosigkeit nach dem Verlust von Arbeitsplätzen betont werde, seien die Versuche der Bevölkerung, auch in Zeiten der Krise die sozialen Zusammenhänge aufrechtzuerhalten, zu wenig gewürdigt worden. Allerdings warnen die Autoren, die sich kritisch mit der Erwerbszentrierung auseinandersetzen, davor, der Lohnarbeit überhaupt keine Relevanz zuzusprechen. Das würde auch den Ergebnissen vieler Langzeitstudien über die Situation der Bezieher von Transferleistungen wie Hartz IV widersprechen. So berichten Andreas Hirseland und Philipp Ramos Laboto vom IAB: »Die hier im Fokus stehende Gruppe von Befragten erlebte ihre lang andauernde Arbeitslosigkeit und den Grundsicherungsbezug zumeist als eine mit vielfältigen alltäglichen Restriktionen verbundene Zeit.« Hirseland und Laboto weisen besonders auf den mit den materiellen Einschränkungen verbundenen Verlust von sozialen Kontakten und Beziehungen hin. »Dem Zwang zu sparsamer Haushaltsführung aufgrund der geringen finanziellen Spielräume fallen außerhäusliche (Freizeit-)Aktivitäten zum Opfer.« Die unterschiedlichen Beiträge der Publikation liefern einen guten Einblick in die Diskussionen der derzeitigen Prekaritäts- und Erwerbslosenforschung. Allerdings kommt auch dort ein Aspekt zu kurz, auf den die Studie des IAB ihre Aufmerksamkeit legt. Gerade in Deutschland wächst der Anteil derjenigen Menschen, die trotz regelmäßiger Lohnarbeit auf Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind. Sie sind nicht nur mit den gleichen finanziellen Einschränkungen konfrontiert, sondern auch den gleichen Zwängen des Hartz-IV-Regimes unterworfen. Die Zunahme der Transferleistungen auch für Beschäftigte lässt daran zweifeln, dass die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften in Deutschland noch tarifmächtig sind. Zumindest macht es den Eindruck, dass die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, für ihre Mitglieder Löhne durchzusetzen, die zumindest die Reproduktionskosten decken. Angesichts dessen ist ein Vorschlag, den belgische Gewerkschaften unter dem Motto »Helft Heinrich« (Jungle World 50/2011) bereits vor drei Jahren in die Diskussion brachten, durchaus bedenkenswert. Die Idee hinter dieser Kampagne ist einleuchtend. Weil der Niedriglohnsektor nicht nur die Beschäftigten in Deutschland betreffe, sondern auch zu geringeren Löhnen und einer Verschlechterung von Arbeitsrechten in der gesamten EU führe, sei eine Unterstützung deutscher Arbeitnehmer beim Kampf um höhere Löhne nicht nur eine Sache gewerkschaftlicher Solidarität, sondern auch im Interesse der Beschäftigten anderer EU-Länder, argumentierten die belgischen Gewerkschafter. Nach der Veröffentlichung der IAB-Studie nahmen hierzulande einige Medien irritiert zur Kenntnis, dass in Deutschland der Niedriglohnsektor größer ist als in Zypern. Dabei ist die Erklärung dafür einfach. In Zypern existierten starke Gewerkschaften, die lange hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen durchsetzten, bis im Zuge der Krise die von Deutschland beeinflusste sogenannte Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds auch auf Zypern deutsche Verhältnisse anordnete.
http://jungle-world.com/artikel/2013/32/48235.html
Peter Nowak
Niedriglohnspitzenreiter Deutschland
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Der Anteil der Geringverdiener ist hierzulande größer als in anderen westlichen EU-Ländern
Wieder einmal ist eine Studie zu Ergebnissen gekommen, die niemanden überraschen kann, der die politische Entwicklung in dem Land verfolgt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung [1] hat Zahlen vorgelegt [2], die beweisen, dass Deutschland europaweit zu den Spitzenreitern auf dem Niedriglohnsektor gehört.
In Deutschland verdiente im Jahr 2010 knapp ein Viertel aller Beschäftigten weniger als 9,54 Euro brutto pro Stunde, so die Studie. Damit ist der Anteil der Geringverdiener hierzulande größer als in anderen westlichen EU-Ländern. Wenn man ausschließlich Vollzeitbeschäftigte berücksichtigt, ist der Anteil in Deutschland mit rund einem Fünftel etwas niedriger, aber im Vergleich immer noch relativ hoch.
Wie in international vergleichenden Analysen üblich wurde in der IAB-Studie die Niedriglohnschwelle bei zwei Drittel des nationalen Medianlohns angesetzt. Der Medianlohn ist der mittlere Lohn: Die eine Hälfte aller Beschäftigten verdient mehr, die andere Hälfte weniger als den Medianlohn. Dieser Definition folgend lag die deutsche Niedriglohnschwelle im Jahr 2010 bei einem Stundenlohn von 9,54 Euro brutto. Länderübergreifend sind Frauen, Jüngere, Geringqualifizierte, Ausländer, befristet Beschäftigte und Arbeitnehmer in Kleinbetrieben unter den Geringverdienern überrepräsentiert. Die Niedriglohnquoten von Frauen und Teilzeitbeschäftigten sind in Deutschland besonders hoch. Zu den Geringverdienern zählen nicht nur Geringqualifizierte: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland haben eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Niedriglohn nicht gleich Armut?
Die Forscher weisen darauf hin, dass Niedriglohnbeschäftigung nicht unbedingt mit Einkommensarmut einhergehen muss:
„Die Armutsgefährdung hängt nicht nur vom individuellen Bruttolohn, sondern auch von anderen Einkünften, von der Wirkung des Steuer- und Transfersystems und vom Haushaltskontext ab.“
Dabei wird aber nicht erwähnt, dass diese Leistungen an viele Voraussetzungen verknüpft sind, die die Betroffenen auch als Zumutungen empfinden. So gehörten zu diesen zusätzlichen Transferzahlungen Leistungen nach Hartz IV. Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten ist in Deutschland bereits seit den 1990er Jahren deutlich gestiegen, doch so richtig steil nach oben ging sie mit der Einführung von Hartz IV.
Wenn die Lohnarbeit nicht mehr zur eigenen Reproduktion reicht, müssen sich immer mehr ihnen dem Hartz-IV-Regime unterordnen. Die ehemalige Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann [3] von der anderen Seite des Schreibtisches hat noch einmal das Ausmaß des Zwanges und der Unterwerfung deutlich gemacht, der damit verbunden ist. Sozialstaats- Armutsforscher kommen in einem kürzlich im Dampfboot-Verlag veröffentlichten Sammelband mit dem Titel Wechselverhältnisse im Wohlfahrtsstaat [4] ebenfalls mehrheitlich zu einem vernichtenden Urteil über das Hartz IV-System. Daher ist die Ersetzung von einem Lohn, von dem man leben kann, durch Transferleistungen kein reines Zahlenspiel, sondern mit Unterwerfung und Zwang verbunden.
„Helft Heinrich“
Eine solche Studie wird ebenso im Sommerloch verschwinden, wie ähnliche mit dem gleichen Tenor, wenn sie von den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften nicht zum Anlass genommen wird, für höhere Löhne zu kämpfen. Der aktuelle Streik im Einzelhandel wäre eine gute Gelegenheit. Allerdings gibt es viele Indizien dafür, dass die Arbeitgeber die Weichen noch mehr in die andere Richtung stellen wollen. Die Löhne sollen noch mehr abgesenkt, also der Niedriglohnsektor noch weiter ausgeweitet werden.
Am Beispiel der Fast-Food-Kette Burgerking wurde dieser Klassenkampf von oben kürzlich wieder einmal öffentlich [5]. Aber es ist gut möglich, dass auch die DGB-Gewerkschaften nicht mehr tarifmächtig sind, wie der juristische Terminus heißt, wenn eine Gewerkschaft nicht mehr in der Lage ist, für ihre Mitglieder vernünftige Löhne durchzusetzen. Daher wäre ein Vorschlag noch einmal ernsthaft zu erörtern, den belgische Gewerkschaften unter dem Motto „Helft Heinrich“ [6] schon vor drei Jahren in die Diskussion brachten.
Die Idee dahinter ist einfach. Weil der Niedriglohnsektor nicht nur die Beschäftigten in Deutschland betrifft, sondern zu einer Abwärtsspirale bei Löhnen und Arbeitsrechten im gesamten EU-Raum führt, ist eine Unterstützung der Kollegen in Deutschland bei ihren Kampf um höhere Löhne nicht nur eine Sache gewerkschaftlicher Solidarität, sondern auch im wohlverstandenen Interesse der Beschäftigten in den anderen EU-Ländern. Dass Deutschland im Niedriglohnvergleich vor Zypern liegt, merkten einige Medien nach der Veröffentlichung der IAB-Studie mit Erstaunen an. Dabei ist die Erklärung einfach. Auf der Mittelmeerinsel existierten sehr kampfstarke Gewerkschaften, die lange Jahre hohe Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen, bis die von Deutschland beeinflusste Troika auch dort deutsche Verhältnisse anordnete.
Links
[1]
http:://www.iab.de
[2]
http://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb1513.aspx
[3]
http://www.ingehannemann.de/
[4]
http://www.dampfboot-verlag.de/buecher/924-3.html
[5]
http://www.taz.de/!120508
[6]