In Berlin besetzten diese Woche Erwerbslosenaktivisten aus Protest gegen die dortige Behandlung von Hartz-IV-Empfängern ein Jobcenter.
Mitglieder der Berliner Erwerbsloseninitiative »Basta« besetzten am Montag für zwei Stunden das Jobcenter Mitte im Berliner Ortsteil Wedding. Während die Aktion von den wartenden Erwerbslosen teilweise mit Zustimmung aufgenommen wurde, erstattete die Jobcenterverwaltung Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Gitta Schalk von »Basta« ist es wichtig, über die alltäglichen Tücken zu reden, mit denen Hartz-IV-Bezieher alltäglich auf dem Amt konfrontiert sind. »Unter dem scheinbar schönen Label ›Bürokratieabbau‹ werden von den Jobcentern ständig neue Schikanen gegen Erwerbslose ausgeheckt«, sagt sie der Jungle World. Es handele sich um hausinterne Regelungen und Dienstanweisungen, die den Betroffenen nicht bekannt sind. Nur die Konsequenzen haben sie zu tragen.
Besonders ein Wohnungswechsel sei für Hartz-IV-Empfänger am Jobcenter Mitte mit großen bürokratischen Hürden verbunden, berichtet Schalk aus ihrer Beratungstätigkeit für »Basta«. Diese Maßnahmen waren auch der Grund für die kurzzeitige Besetzung. »Basta« hatte zuvor in einem offenen Brief an das Jobcenter heftige Kritik am Umgang mit wohnungssuchenden Hartz-IV-Beziehern geübt. Besonders zwei Punkte hebt sie hervor. »Wiederholt verschleppt die Behörde die Bearbeitung der Zusage nach Übernahme der Wohnkosten. Die ist aber die Voraussetzung zum Abschluss eines Mietvertrags«, sagt Schalk. Auch die Übernahme von Kautionen bei Untermietverträgen seien vom Jobcenter Mitte in mehreren Fällen verweigert worden. Damit werde das Recht von Erwerbslosen verletzt, ihren Wohnort selbst zu wählen. »Basta« forderte, über die Zusage der Übernahme der Wohnkosten sofort zu entscheiden und Kautionen auch für Untermietverträge zu übernehmen. »Die Umsetzung unseres Anliegens würde den durch chronischen Geldmangel, Bevormundung und Schikanen geprägten Alltag vieler ALG-II-Bezieher in einem kleinen, aber wichtigen Teilbereich ein wenig entlasten«, begründet Schalk die Konzentration auf die beiden Forderungen.
Nachdem es auf den offenen Brief keine Reaktion gegeben hatte, erfolgte die Besetzung. Eine auf ihren Termin wartende Frau freute sich über die Aktion. Ihrer Tochter werde de facto seit Monaten vom Amt ein Umzug verweigert, sagte sie. Der Pressesprecher des Jobcenters Mitte, Andreas Ebeling, sagte der Jungle World, die Behörde setze lediglich die vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossenen Verordnungen um und sei daher der falsche Adressat für Proteste.
Auch der Wuppertaler Erwerbslosenverein »Tacheles« dokumentiert immer wieder Fälle von Willkür, die Hartz-IV-Empfängern das Leben schwer machen. So weigerte sich das Jobcenter Wuppertal beharrlich, die Kosten für eine Gastherme zu übernehmen, die ein Erwerbsloser für das Erhitzen von Wasser benötigte. Das Sozialgericht Düsseldorf verurteilte das Amt Mitte Juli zur Kostenübernahme und zur Zahlung einer Gebühr, weil es das Verfahren missbräuchlich in die Länge gezogen habe. »Tacheles« hat auch die Klage einer Fallmanagerin des Jobcenters Osterholz in Niedersachsen öffentlich gemacht, die vom Arbeitsgericht den widerrechtlichen Umgang mit Leistungsbeziehern per Dienstanweisung feststellen lassen wollte. Das Gericht wies die Klage aus formalen Gründen ab.
Für ein solches Engagement kann die Fallmanagerin nicht unbedingt auf Unterstützung durch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zählen, in der Mitarbeiter der Jobcenter organisiert sind. Unter der Überschrift »Gefährdete Staatsdiener« war in der Zeitschrift Verdi Publik ein Artikel erschienen, der eher auf Repression als auf Solidarität mit renitenten Erwerbslosen setzt. Beklagt wird, dass die Gewalt gegen Beschäftigte im Jobcenter zugenommen habe. Positiv wird über Forderungen von Personalräten der Jobcenter berichtet, künftig nicht nur psychische Gewalt, sondern auch Brüllattacken aktenkundig zu machen. »Beides sind schließlich Straftatbestände«, heißt es in dem Text. Die Gewaltverhältnisse in Jobcentern, die »Basta« und »Tacheles« dokumentieren, kommen in dem Artikel hingegen nicht vor. Der Vorsitzende der Personalräte der Jobcenter, Uwe Lehmensiek, sieht immerhin die Not vieler Menschen, die sich mit Hartz IV herumschlagen müssen – um dann zu schreiben: »Wenn Menschen uns beleidigen und bedrohen, müssen ihnen Grenzen aufgezeigt werden.«
Einen anderen Weg geht die französische Basisgewerkschaft SUD, die Jobcentermitarbeiter unterstützt, die sich weigern, Erwerbslose zu sanktionieren. Dazu gehörte Fabienne Brutus, die 2008 erklärte: »Unsere Aufgabe ist es vor allem, den Arbeitsuchenden zu helfen, eine Beschäftigung zu finden, und das erwarten die Arbeitsuchenden von uns. Aber es gibt einfach keine Arbeit für alle.«
http://jungle-world.com/artikel/2016/30/54548.html
Peter Nowak