An der SPD wird die GroKo nicht scheitern

Die SPD wird wieder mitregieren, wenn es die Merkel-Gegner in der Union nicht verhindern

Verantwortung für Deutschland, das ist das Leitmotiv der SPD seit über 100 Jahren. Die Floskel wurde beim gestern zu Ende gegangenen SPD-Parteitag wieder strapaziert. Dabei ging es doch nur darum, dass der alte und neue SPD-Vorsitzende Schulz nun plötzlich das Gegenteil von dem verkündete, was er noch nach dem letzten Parteitag erklärte.

„Wir beenden die Kooperation mit der Merkel-Union und gehen in die Opposition“ – für diese Ankündigung bekam Schulz damals viel Lob von großen Teilen seiner Partei und Anerkennung von den Medien. Manche Beobachter hatten den Eindruck, dass diese Ankündigung, in die Opposition zu gehen, von vielen in der SPD als Befreiung aufgenommen wurde, die sogar das desaströse Wahlergebnis erträglich machte.

Das zeigte die Reaktion im Willi Brandt-Haus. Die Anwesenden applaudierten und man hatte nicht den Eindruck, man stehe einer Partei gegenüber, die gerade noch mal ihr schon schlechtes Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl unterboten hatte. Da fühlten sich manche an die Wochen erinnert, nachdem Schulz von seinen Vorgänger Gabriel zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde.

Die Phrase vom Schulz-Zug, der nie abfuhr

Damals wurde die Phrase vom Schulz-Zug geboren, der nie abfuhr. Was tatsächlich geschehen ist: Einige Tausend junge Menschen sind in die SPD eingetreten, die wenig bis nichts mit der alten SPD-Tradition zu tun hatten. Selbst ein langjähriger Unterstützer der gewaltfrei-anarchistischen Zeitschrift Graswurzelrevolution gehörte dazu.

Nur war es schon ein Irrtum zu glauben, dass sie wegen Schulz und nicht trotz Schulz in die SPD eingetreten waren, weil sie darin ein Signal gegen den Rechtsruck im Zeichen von Trump und AFD erblickten. Andere treten deswegen bei den Linken und manche auch bei den Grünen ein. Sie jubelten dann Schulz zu, weil sie glauben wollen, er sei in der realexistierenden SPD der Hoffnungsträger.

Der hatte sich aber schnell entzaubert und spätestens nach der Veröffentlichung der Spiegel-Reportage über Schulz und das SPD-Wahlkampfteam wurde klar, wie stark der Parteiapparat nur auf öffentliche und veröffentlichte Meinung reagierte, wie er jeder Umfrage entgegenfieberte und später immer mehr davor zitterte und wie Schulz von diesem Apparat an der kurzen Leine geführt wurde.

Das war sicher für manche eine gute Lektion in Sachen real existierender Demokratie. Denn dass die Reportage des im Wahlkampfteam eingebetteten Journalisten eine gewisse Aufmerksamkeit bekam, lag nicht daran, dass diese Art der Wahlkampfführung so ungewöhnlich war, sondern dass sie in dem Text so gut auf den Punkt gebracht wurde. Wenn Schulz ein Hoffnungsträger für irgendjemand war, so ist das längst vorbei.

Wenn er auf dem SPD-Parteitag wieder gewählt wurde, dann nur deshalb, weil niemand bereit war, die Partei in der aktuellen Situation zu übernehmen.

Nun auch noch Verantwortung für Europa

Seine Berater aus dem Apparat haben wohl Schulz geraten, sich wieder auf ein Gebiet zu besinnen, auf dem er sich auskennen müsste. Als langjähriger EU-Bürokrat, der auch schon mal dem italienischen Rechtspopulisten Berlusconi Paroli geboten hat, war Schulz schließlich in Deutschland bekannt.

Seine Berater vom Parteiapparat haben es wohl nicht für opportun gehalten, im Wahlkampf zu stark dieses Thema zu strapazieren. Die EU ist schließlich zurzeit auch in Deutschland nicht so populär, dass sie Stimmen bringt. Nun, wenn es gilt, die SPD wieder in Regierungsverantwortung zu bringen und von anderen Festlegungen abzubringen, muss nun die Partei nicht nur wie seit 100 Jahren für Deutschland, sondern gleich für Europa Verantwortung übernehmen.

Wie üblich, wenn im hiesigen Politikersprech dieses Wort genutzt wird, ist damit die von Deutschland dominierte EU gemeint. Schulz und die Sozialdemokraten wollen nun dazu beitragen, dass die Hegemonie, die durch Schäubles Austeritätskurs brüchig geworden war, wieder zu festigen. Dabei geht es natürlich nicht darum, dass nun in Europa eine keynisiastische Politik gemacht werden soll.

Vielmehr orientiert sich die SPD am französischen Präsidenten Macron, einen erklärten Wirtschaftsliberalen, der im letzten Jahr von den Grünen und der Taz zum Hoffnungsträger ausgerufen wurde. Auch die SPD will nun von Macrons Wahlerfolg in Frankreich profitieren und Schulz will damit rechtfertigen, wieder in eine große Koalition einzutreten.

Dabei kann er sich sogar auf Griechenlands Premierminister Tsipras berufen, der Schulz davor warnte, aus Gründen der politischen Reinheit in die Opposition zu gehen.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Vorsitzende einer Partei, der als linke Alternative mit dafür sorgte, dass die sozialdemokratische Schwesternpartei in der Versenkung verschwand, eine SPD darum bittet, Regierungsverantwortung zu übernehmen, die mit dafür gesorgt hat, dass im Jahr 2015 die Daumenschrauben gegen die Syriza-Regierung vor der Kapitulation angezogen wurde. Schulz und auch sein Vorgänger Gabriel haben sich damals eindeutig gegen die damals noch linke griechische Regierung gestellt.


Zusammenbruch der europäischen Sozialdemokratie

Aber Tsipras und seine Syriza sind mittlerweile der rechten Sozialdemokratie in Europa so ähnlich, dass sei auch wie diese bei den nächsten Wahlen ebenso abgestraft werden könnten. In einer Taz-Reportage dazu heißt es:

Die Sozialdemokratie in Europa ist nicht mehr nur im Krisenmodus, sie nähert sich mancherorts dem Zusammenbruch. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Frankreich und Griechenland wurden die altehrwürdigen Parteien pulverisiert. Die Symptome sind überall ähnlich: Die Aufsteigergeneration hat die Verbindungen zu ihrer Herkunft gekappt.

Wo es ärmlich und ungemütlich zugeht, im Mannheimer Norden, den Vororten von Rotterdam oder den Randbezirken von Wien, laufen frühere Stammwähler zu den Rechtspopulisten über. Die Parteiapparate schauen hilflos zu. Die Abgehängten und das Dienstleistungsproletariat setzen nicht mehr auf die saturierten Sozialdemokraten. Und die erfolgreichen, jungen Globalisierungsgewinner finden Sozialdemokratie voll 20. Jahrhundert.“

Taz

Nicht vom europäischen Abwärtstrend betroffen sind die portugiesischen und britischen Sozialdemokraten. Beide haben sich in den letzten Jahren zu moderaten Linkspositionen durchgerungen und die Austeritätspolitik etwas modifiziert, in Portugal mit Unterstützung der Linksopposition. In Großbritannien ist noch klar, ob die Labour Party den linkspopulistischen Kurs ihres aktuellen Vorsitzenden Corbyn beibehalten kann und wird.

Manche linken Sozialdemokraten sehen in ihm genau einen Hoffnungsträger wie vorher in Bernie Sanders und auch vor einigen Jahren Tsipras. Die Namen wechseln, aber sie waren bisher nie erfolgreich, und die SPD hat daran wie bei Tsipras aktiv mitgearbeitet.

Die SPD wird diese Tradition fortsetzen, ob als Teil der Regierung oder als loyale Opposition. Die durch die unterschiedliche Position bedingte Rhetorik sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Darum ist es für die Politik letztlich irrelevant, ob die SPD Teil einer Regierung ist.

In Fragen der Inneren Sicherheit, der Flüchtlingsabwehr, der Innenpolitik wird sie da weitermachen, wo die alte Regierung aufgehört hat. Schließlich amtieren die Minister sogar noch. Und die Gegner der großen Koalition, die wie der linksliberale Publizist Jakob Augstein die SPD ebenfalls aus gesamtdeutscher Verantwortung auffordern, in der Opposition zu bleiben, werden am Ende keine Rolle spielen.

Schon vor den letzten Koalitionen mit der Union haben Linke in der SPD gegen die Groko mobilisiert. Damals war gab es sogar rechnerisch eine Mehrheit links von der Union. Doch jedesmal haben die Groko-Gegner Niederlagen erlitten. Das wird jetzt, wo es eine strukturell rechte Mehrheit im Parlament gibt, nicht anders sein.

Sogar die Jungsozialisten sind keineswegs so klar gegen eine Groko, wie es suggeriert wird. In der Wochenzeitung Kontext wurde über Jungsozialisten in Baden Württemberg berichtet, die auch bei der FDP anheuern könnten.

Und die Jusos im Südwesten sehen sich an der Spitze der Bewegung. Sie wollen den Landesverband wieder zum Motor der Bundespartei machen. So wie er das einst schon war in den Siebziger Jahren, als der legendär gewordene „Tübinger Kreis“ Furore machte als linker Talentschuppen und Ideenwerkstatt der 68er. Gefolgt von Erhard Eppler und seinem Aufbruch zu einer neuen Orientierung der SPD in der Umwelt- und Friedenspolitik. Diesmal aber geht es dem Nachwuchs nicht um progressive Inhalte, sondern darum, das Erbe der Schröder-Ära mit ihrer Annäherung an neoliberale Denke vor kritischer Rückschau zu bewahren. Sie wolle keine „endlosen Debatten“ über die Vergangenheit führen, sagte Bernickel auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag in Donaueschingen. Vielleicht doch in der falschen Partei? Jedenfalls verlangt die Betriebswirtin, Studienrichtung Finanzdienstleistungen, nach einer „ganzheitlichen Erzählung“.

Johanna Henkel-Waidhofer, Kontext

Wenn die Groko scheitert, dann an der Union

Solche Detailberichte sagen mehr über die Situation der angeblichen SPD-Linken als markige Worte des aktuellen Juso-Vorsitzenden. Die SPD wird in die Regierung gehen, eine Groko kann nur an Kräften in der Union scheitern, die die Merkel-Ära beenden und Neuwahlen wollen. Merkel und ihr Umfeld hat genau deshalb kein Interesse an diesen Neuwahlen.

Die Diskussion um die Verlängerung des Nachzugsstops von syrischen Migranten, der demnächst ausläuft, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Union hat schon deutlich gemacht, dass sie auch mit den Stimmen der AfD eine weitere Verlängerung durchsetzen würde. Schon haben in der letzten Woche einige Unionspolitiker davon geredet, dass Abschiebungen nach Syrien wieder möglich werden sollen.

Das hat die AfD im Wahlkampf auch immer gesagt und schon einen Antrag im Parlament eingebracht. Hier könnten Gemeinsamkeiten einer Nach-Merkel-Ära ausgelotet werden.

Für die SPD könnte das ein Ansporn sein, mit der Union schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Sie könnte damit der Union signalisieren, dass sie nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen ist, um Migranten abzuwehren, genau so wie beim Sozialabbau und der Abbau von Datenschutz. Die SPD wird also noch gebraucht.

Peter Nowak

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[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[2] http://www.graswurzel.net/
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-on-the-road-mit-dem-spd-kanzlerkandidaten-spiegel-titelgeschichte-a-1170992.html
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[6] http://www.taz.de/!5464728/
[7] http://www.taz.de/!5464728/
[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[9] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[11] https://afd.saarland/afd-bundestagsfraktion/2017/11/antrag-der-afd-bundestagsfraktion-rueckfuehrung-syrischer-fluechtlinge-einleiten

Europäische Gerichtshof stärkt die Rechtsposition von schwulen Flüchtlingen

Links

[1]

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=144215&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=63826

[2]

http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/voelkerrechtswidrige_push_backs_europaeische_komplizenschaft-1/

EU will Flüchtlinge weiter abwehren

Links

[1]

http://ec.europa.eu/avservices/2010/mediaGallery.cfm?sitelang=en&gallery=yes

[2]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155071

[3]

http://www.uv.es/~tyrum/artinmi1.html

[4]

http://www.consilium.europa.eu/press/press-releases/justice-and-home-affairs?lang=en&BID=86

[5]

http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/malmstrom

[6]

http://www.saabgroup.com/Civil-security/Border-Security-Solutions/

[7]

http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_persons_asylum_immigration/l33153_de.htm

[8]

http://www.meltingpot.org/Appell-zur-Offnung-eines-humanitaren-Korridors-fur-ein.html#.UlVMy1M1e79

[9]

http://www.efh-bochum.de/hochschule/lehrende_detail.php?recordID=131

[10]

http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Migration/lampedusa7.html

Letzte Chance für den Euro?

Auf dem linksreformistischen Flügel der Linken mehren sich Initiativen für eine andere EU-Politik. Doch die Erfolge sind fraglich

„Der Euro vor der Entscheidung“ lautet der Titel einer Studie, die gestern von der Rosa Luxemburg Stiftung vorgestellt worden ist, die im Umfeld der Linkspartei sicher noch für weitere Diskussionen sorgen dürften.

Zu den Herausgebern der Studie gehört neben Costas Lapavitsas mit Heiner Flassbeck ein Ökonom, der in der kurzen Ära des Finanzministers Oskar Lafontaine als dessen Staatssekretär fungierte. Eben jener Lafontaine hat mit einem EU-kritischen Beitrag in und außerhalb der Linkspartei für Aufregung gesorgt.

Bei Lafontaines politischer Vita ist es verständlich, dass diese Wortmeldung als Anbiederung an populistischen Anti-EU-Stimmungen verstanden wird. Allerdings ist diese Interpretation nicht vom Wortlaut des Beitrags gedeckt, wird doch dort ausdrücklich die Politik der deutschen Regierung für die Krise des europäischen Währungssystems verantwortlich gemacht und nicht wie in populistischen Argumentationen Deutschland à la Alternative für Deutschland als europäischer Zahlmeister hingestellt.

In Lafontaines Fußstapfen argumentiert auch die von Lapavitsas und Flassbeck ausgestellte Studie. Nur anders als der ehemalige Minister sind die beiden Herausgeber der Studie noch nicht ganz so pessimistisch. Sie sehen noch eine Chance für den Euro. „Es ist spät, doch noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr. Würde Deutsch¬land als wich¬tigs¬tes Gläu¬bi¬ger¬land Ein¬sicht zei¬gen, seine Posi¬tion radi¬kal ver¬än¬dern und zusam¬men mit allen ande¬ren auf eine neue Stra¬te¬gie set¬zen, könnte die Euro¬zone die schwere Krise über¬win¬den“, heißt es in der Studie.

Doch dann bekunden sie, dass sie an eine solche Änderung nicht so recht glauben und diskutieren ganz wie Lafontaine andere Austrittsstrategien diskutieren. Schon in einem Interview im Deutschlandradio Ende April erklärte Flassbeck, man müsse den schwachen Ländern Anreize bieten, damit sie ihren Binnenmarkt wieder stärken. „Wenn dies von innen nicht möglich ist, dann müssen sie aussteigen und ihre eigene Währung abwerten.“ Konkret nennt der Ökonom folgende Schritte zur Rettung des Euros:

„Der Euro kann nur überleben, wenn alle Mitgliedsländer gleich wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet: Die Löhne in Deutschland müssen deutlich steigen, um das Lohndumping der vergangenen Jahre auszugleichen. Außerdem muss man in ganz Europa die Sparprogramme einstellen und das Wachstum stimulieren. Sonst wird die Rezession unkontrollierbar, und die Schulden werden explodieren. Wenn die deutsche Regierung ihren Kurs nicht ändert, wird der Euro auseinanderfliegen.“

„Europa geht anders“

Diese Maßnahmen werden auch in einem Aufruf unter dem vagen Titel „Europa geht anders“ vorgeschlagen, die ausgehend von linken österreichischen Sozialdemokraten von verschiedenen linksreformerischen Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien unterzeichnet worden ist. Aus Deutschland gehören zu den Erstunterzeichnerinnen die Co-Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping und von der SPD mit Hilde Mattheis eine SPD-Linke, deren Strömung parteiintern erst vor wenigen Wochen politisch abgewertet worden ist.

Zu den zentralen Forderungen des Aufrufs zählen eine europäische Umverteilung des Reichtums durch faire Einkommen und höhere Gewinn- und Vermögensbesteuerung, die Beendigung der Lohnsenkungsspirale und damit der Abbau der riesigen Ungleichgewichte, was in den Leistungsbilanzüberschüsse weniger Länder auf Kosten von Defiziten anderer Länder deutlich werde. Neben der Wiederregulierung der Finanzmärkte gehören auch die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Arbeitnehmerschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte zu den Forderungen des Aufrufs. Der Punkt ist wichtig, weil allein in Griechenland in den letzten Wochen mehrere Streiks durch Dienstverpflichtungen von der Regierung unterbunden wurden. Aktuell sind die Lehrer betroffen.

Diese Einschränkungen des Streikrechts betreffen nicht nur die europäische Peripherie. Vor einigen Wochen hatte Dänemarks Mitte-Links-Regierung tausende streikende Lehrer ausgesperrt und versucht, damit einen Arbeitskampf abzuwürgen. An diesem Beispiel wird aber auch schon das Dilemma solcher Aufrufe für ein anderes Europa deutlich. Weil nicht nur in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne an der Deregulierung an führender Stelle mit beteiligt sind, ist auch von diesen Kreisen nicht zu erwarten, dass sie ihre eigene Politik demontieren und sich an Aufrufen beteiligen, die ein Umsteuern fordern.

Daher macht das Unterzeichnerspektrum aus Deutschland den Eindruck, als träfe es sich regelmäßig beim Institut Solidarische Moderne, das seit einigen Jahren wenig beachtet von der Öffentlichkeit die Kräfte links von der Bundesregierung zusammenbringen will.

EU-Austritt und das deutsche Interesse

Sollte aber die EU-Politik so weiterlaufen wie bisher, dann werden ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Frage nach einem Ausweg außerhalb des Euros aktuell werden lassen. Diese Fakten zu benennen, hat nichts mit Populismus zu tun. Denn dass zumindest die Studie das Gegenteil der Alternative für Deutschland will, zeigen allein diese Sätze, die als Absage an eine rechtspopulistische EU-Kritik verstanden werden können.

„Darüber hinaus haben die einseitige und eindeutig falsche Schuldzuweisung an die Schuldnerländer und die von ihnen verlangte Austeritätspolitik eine Wirtschaftskrise in Gang gesetzt, deren negative Folgen für die Lebensverhältnisse der Menschen die nationalen demokratischen Systeme infrage stellen und das friedliche Zusammenleben der Bürger in Europa für Jahrzehnte belasten werden.“

Deswegen gehen auch Beiträge in die Irre, die an linken EU-Austrittsszenarien in erster Linie die Nähe zum Rechtspopulismus monieren, wie es der Ökonom Michael Krätke in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Freitag versucht. Dort zählt er ausdrücklich auch Heiner Flassbeck zu diesen „Illusionisten“. Bemerkenswerterweise hat aber seinen Beitrag dann einen anderen Inhalt, als die Ankündigung erwarten lässt. Nicht linke Austrittsszenarien, sondern die Argumente des AfD werden dort widerlegt, indem er aufzeigt, welche negativen Folgen ein EU-Austritt für die deutsche Wirtschaft haben würde. Eine solche Argumentation trifft politische Kräfte, die ein deutsches Interesse an einen EU-Austritt ernsthaft vertreten.

Man kann aber auch argumentieren, dass Deutschlands Euromitgliedschaft so gravierende negative Folgen für die Länder in der europäischen Peripherie hat und Deutschland bisher so eindeutig der ökonomische Gewinner war, dass über Austrittsszenarien auch dann diskutiert werden sollte, wenn davon der deutsche Standort Nachteile erfährt. Ansonsten bleibt man in populistischen Argumentationslinien gefangen.

Die von immer mehr Ökonomen im In- und Ausland geforderte Kursänderung in der EU-Politik scheitert ja nicht an der Boshaftigkeit oder Dummheit deutscher Politiker, sondern an der kurzfristigen Interessenlage des Standorts Deutschland, die sich eben von den Interessen der Standorte der europäischen Peripherie unterscheiden. Ein europäischer ideeller Gesamtkapitalist, der eine langfristige Interessenlage im Blick hat, existiert aber nicht. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass die auch von Flassbeck und Co. geforderte Kursänderung zustande kommt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154284
Peter Nowak

Weniger Demokratie wagen

Die Empfehlungen des italienischen Ministerpräsidenten, sich in der europäischen Politik von den Parlamenten unabhängiger zu machen, ist schon längst Praxis

Zur Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Politiker vor dem Auseinanderbrechen der Eurozone und einem Ende des Euro warnen. Zu Wochenbeginn versuchte sich der italienische Ministerpräsident Mario Monti als Kassandra. In einem Interview mit dem Spiegel sparte er nicht mit düsteren Szenarien. „Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas“, so der italienische Ministerpräsident.

Wenn der Euro scheitert, dann so Monti, „sind die Grundlagen des Projekts Europa zerstört“. Natürlich hatten diese Warnungen einen bestimmten Zweck. In Zeiten des Quasinotstands sind auch besondere Politikmethoden angebracht, die Monti denn auch gleich benannte. „Wenn sich Regierungen vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden ließen, ohne einen eigenen Verhandlungsspielraum zu bewahren, wäre das Auseinanderbrechen Europas wahrscheinlicher als eine engere Integration.“ Die Reaktion der deutschen Politik ließ nicht lang auf sich warten.

Monti, Draghi und die italienischen Interessen

Die Akzeptanz für den Euro und seine Rettung wird durch nationale Parlamente gestärkt und nicht geschwächt“, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß der Rheinischen Post und vergaß nicht, Zensuren in Demokratiesimulation zu verteilen. Offensichtlich habe in Italien in den „unsäglichen Berlusconi-Jahren das Parlamentsverständnis gelitten“, keilte Poß. In Richtung Italien noch deutlicher wird der als Europaskeptiker bekannte, zum nationalliberalen Flügel der FDP gehörende Frank Schäffler: „Monti will seine Probleme auf Kosten des deutschen Steuerzahlers lösen und verpackt das in Europa-Lyrik“. Variiert er das Lamento deutsche Politiker von rechtsaußen bis in die SPD, dass Deutschland nicht der Zahlmeister Europas werden dürfe.

Die Parole stand vor einigen Wochen bei einer Protestaktion vor dem Reichstagsgebäude auf einem Transparent der NPD und wird in letzter Zeit von Bundestagsabgeordneten von CSU und FDP gegen Griechenland und nun auch Italien in Stellung gebracht. Die Monti-Schelte ist Teil dieser Politik. Hatte er doch in dem Spiegel-Interview auch v die jüngste Pressemitteilung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi gelobt, in der er den Euro auch mit den Mitteln der EZB verteidigen wollte. Diese Erklärung war von Politikern der Union und der FDP als Lizenz zum Schuldenmachen kritisiert worden.

Am weitesten wagte sich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrinth vor, der Draghi vorwarf, seinen Posten für die Durchsetzung italienischer Interessen zu missbrauchen. Besser hätte man Montis Befund von der psychologischen Auflösung der Eurozone nicht dokumentieren können. Die Monti-Schelte ist Teil dieses Konfliktes. Denn inhaltlich gibt es zwischen seiner Erklärung und der Praxis fast aller Länder in Europa kaum einen Unterschied.

Dass sich die Politik von dem demokratischen Korsett der Parlamente befreien soll, ist seit Jahren Praxis. Monti ist mit seinem Technokratenkabinett ein Prototyp dieser Entwicklung hin zu einer Politik, die neben dem Parlament auch den Einfluss von Gewerkschaften und sozialen Verbänden weitgehend ausschaltet. Dafür bekam Monti auch von der deutschen Politik lange Zeit viel Lob Erst als er sich nach dem Wahlsieg Hollandes in Frankreich mit Vorschlägen einer Lockerung des deutschen Spardiktats über Europa zur Wort meldete, geriet er in die Kritik deutscher Politiker und Medien.

Wenn sich in der letzten Zeit deutsche Politiker häufiger hinter dem Parlament und das Bundesverfassungsgericht verstecken, geht es auch um die Durchsetzung deutscher Interessen im EU-Raum, die natürlich besonders gut zu wahren sind, wenn deutsche Parlamentarier und Gerichte immer und überall mitzureden haben. Während hier also auf einmal das hohe Lied der parlamentarischen Demokratie angestimmt wird, die nicht angetastet werden dürfe, wurden bei der Durchsetzung der Spardiktate in Griechenland, Portugal und Spanien die Parlamente regelrecht entmündigt und die deutsche Politik war nicht etwa Kritikerin, sondern Förderin dieser Entwicklung.

Auch hierzulande ist die Tendenz erkennbar, wichtige Entscheidungen nicht mehr durch parlamentarische Mehrheiten, sondern durch nicht gewählte Expertenrunden auszuhandeln. Auch die in letzter Zeit von Politikern unterschiedlicher Couleur in die Diskussion gebrachten Volksbefragungen könnten zur Verfestigung autoritärer Herrschaftsformen jenseits des Parlaments beitragen. Wenn Monti jetzt von deutschen Politikern kritisiert wird, dann nicht wegen seiner demokratiefeindlichen Ideen, sondern wegen seiner finanzpolitischen Vorstellungen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152532
Peter Nowak

Ärger im Anflug

Der monatelange Streit zwischen EU und den USA über die Einbeziehung der Flüge von und nach Europa in den EU-CO2-Emissionshandel hat sich in den letzten Tagen zugespitzt. Der Handelsausschuss des US-Senats hatte entschieden, dass sich US-Fluggesellschaften nicht an die EU-Richtlinie halten dürfen. Nun hat sich auch das US-Abgeordnetenhaus hinter diesen Beschluss gestellt.
Melderecht

Seit Jahresbeginn müssen alle Flugzeuge, die einen Flughafen im EU-Raum ansteuern, für den CO2-Ausstoß auf der gesamten Flugstrecke Emissionsrechte erwerben. Nicht nur die USA laufen dagegen Sturm. Regierungsvertreter von 16 Ländern, darunter China und Indien, trafen sich vor einigen Tagen in Washington, um ein Bündnis gegen die EU-Richtlinie zu schließen. Kämpft also die EU hier eine Schlacht für den Umweltschutz gegen den Rest der Welt? Diesen Eindruck suggeriert die grünennahe »tageszeitung«, die die Front gegen die EU-Richtlinie mit der Gegenfrage kommentierte: »Handelskrieg? Warum nicht!«. Mag es seitens der EU durchaus um die Umwelt gehen, so ist die aktuelle Zuspitzung kaum zu verstehen, wenn man die sich verschärfende Konkurrenz zwischen den USA, China, Indien und der EU aus dem Blickfeld verliert. Ginge es einzig um das Klima, dann gäbe die Dumpingklage mehrerer EU-Staaten und der USA gegen die chinesische Konkurrenz bei Solarzellen kaum einen Sinn.

Umgekehrt passt einer breiten Front auch deutscher Unternehmen die CO2-Richtlinie der EU überhaupt nicht ins Konzept. Und da können sich auch sonst verfeindete Partner zur großen Anti-EU-Koalition zusammenfinden. Das gilt offenbar auch für die USA. Denn die jüngste Zuspitzung des Konflikts ist ganz offensichtlich dem Wahlkampf geschuldet. In einem Land, wo »Klimawandel« ein Unwort ist, sind sich Republikaner und Demokraten schnell einig.

Für Umweltaktivisten sollte das kein Grund sein, sich am Klimakrieg im Luftraum zu beteiligen, sondern das von linken Ökologen schon lange kritisierte Konzept des Emissionshandels infrage zu stellen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/234632.aerger-im-anflug.html
Peter Nowak

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS
Das von Wolfgang Schäuble ins Gespräch gebrachte Referendum ist vor allem Populismus

Den Bundestagsabgeordneten wurde in die Sommerpause ein ungewöhnlicher Ratschlag mitgegeben. Sie sollen nicht so weit raus schwimmen und immer das Handgepäck griffbereit haben. Schließlich ist der ESM-Vertrag und der Fiskalpakt noch nicht in trockenen Tüchern, auch wenn am Freitag kurz vor Mitternacht eine große Mehrheit zugestimmt hat. Doch weil auf dem EU-Gipfel in Brüssel wenige Stunden zuvor gegen Merkels hinhaltenden Widerstand beschlossen wurde, dass auch strauchelnde Banken unter den Rettungsschirm schlüpfen können, muss das Parlament bald erneut entscheiden. Zudem fragen sich viele, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, das unmittelbar nach der Abstimmung am Freitag in Sachen ESM von rechten und linken Politikern angerufen wurde. Es geht schlicht und einfach darum, dass die deutsche Verfassung eben rein nationalstaatlich ausgelegt war und mit den Erfordernissen einer europäischen Politik kollidiert.

Dieses Dilemma haben auch führende Politiker wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erkannt, der in die Sommerloch-Debatte den Vorschlag einer Volksabstimmung ins Gespräch brachte, mit das Grundgesetz so umgestaltet werden kann, dass Befugnisse auf die EU-Ebene übertragen werden können.

Populistische EU-Kritik

Nun ist es schon ein seltsamer Vorgang, dass ein Vertreter der Unionsparteien CDU/CSU, die immer gegen Volksabstimmungen aufgetreten sind und sich beharrlich dagegen gesperrt haben, dass für Deutschlands Reunion eine neue in einer Volksabstimmung beglaubigte Verfassung erarbeitet wird, auf einmal einen solchen Vorschlag in die Debatte wirft. Da es überhaupt noch keine erarbeiteten Gesetzentwürfe gibt, die zur Abstimmung gestellt werden, verfolgt Schäuble damit durchaus wahltaktische Züge.

Der in breiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene Unmut über das intransparente Prozedere der EU-Gesetzgebung soll hier populistisch genutzt werden. Der Soziologe Thomas Wagner hat aufgezeigt, wie angeblich basisdemokratisches Instrumente, wie die Volksabstimmung schon längst Tools für populistische Regierungspraktiken geworden sind (Ein Hauch Bonapartismus in Berlin?).

Besonders, wenn solche Referenden von amtierenden Politikern lanciert werden, liegt der Verdacht nahe. Beispiele aus der Schweiz und Österreich gibt es in den letzten Jahren dafür genug. Dort sind es häufig rechtspopulistische Organisationen und Parteien, die solche Volksabstimmungen für ihre Politik nutzen. Daran knüpfen auch bundesdeutsche Rechtsparteien an. So sprach sich ein Redner der NPD am vergangenen Freitag auf einer Kundgebung in Berlin für eine Volksabstimmung zum ESM und zum Fiskalpakt aus. Nur wenige hundert Meter demonstrierte das linksreformerische Spektrum von Attac bis Linken und Grünen gegen ESM und Fiskalpakt und forderten ebenfalls eine Volksabstimmung. Nun ist es manchmal nicht zu vermeiden, fast die gleichen Forderungen wie die NPD zu haben. Wenn aber eine Attac-Gruppe auf Postkarten die Abstimmung über den Fiskalpakt mit den Ermächtigungsgesetz der Nazis 1933 vergleicht, was die Organisationen mittlerweile bedauert und die gleiche Kritik aus dem Mund von NPD-Funktionären kommt, ist es schon kein Zufall mehr, sondern Ergebnis einer verkürzten und ungenauen EU-Kritik.

Die wird auch in einem Interview mit der ehemaligen sozialdemokratischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin deutlich, die eine der Kläger gegen den EMS und Fiskalpakt ist. Dort betont sie einerseits für ein besseres Europa zu sein, beklagt aber heftig, dass dem Bundestag durch diese Verträge Kompetenzen entzogen werden.

Kein Wort wird dagegen darüber geäußert, dass Parlamenten in Italien, Portugal und vor allem Griechenland in den letzten Monaten durch die wesentlich von Deutschland forcierte europäische Sparpolitik massiv Kompetenzen entzogen worden sind. Ein Großteil der jetzigen Kritiker des Kompetenzverlustes des deutschen Bundestags haben dazu geschwiegen, als der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Griechenlands von der EU-Troika geradezu genötigt wurde, sein angekündigtes Referendum zu den Sparbeschlüssen zurück zu nehmen und selber zurückzutreten.

An der Spitze der Politiker, die sich vehement gegen eine solche Befragung der Bevölkerung wandten, gehörte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Das ist aber nicht verwunderlich. Denn, dass die Bevölkerung über die ihnen zugemuteten sozialen Zumutungen abstimmen kann, ist auch im Schäuble Vorschlag nicht vorgesehen. Es geht vielmehr darum, dafür zu sorgen, dass der Einfluss Deutschlands in Europa erhalten bleibt.

Gerade in den letzten Wochen nach der Wahl eines Präsidenten in Frankreich, der sich im Gegensatz zu seinen Vorgänger gegen das deutsche Sparmodell ausgesprochen hat, kann Merkel nicht mehr schalten und walten, wie sie will in der EU. Das wurde beim Brüsseler Gipfel vor wenigen Tagen schon deutlich, wo Spanien und Italien den neuen Wind aus Frankreich genutzt haben, um Merkel bei ihrem Spardiktat Paroli zu bieten (Allein gegen den Rest Europas).

Stimmung entfachen

Schäuble selbst hat das neue Selbstbewusstsein der anderen EU-Partner zu spüren bekommen. Er konnte nicht zum Leiter der EU-Gruppe ernannt werden, was die Bundesregierung scheinbar schon als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. In Kommentaren war nach dem Gipfel in Brüssel schon von zwei Niederlagen Deutschlands die Rede, einer im Fußball und einer beim EU-Gipfel. In einer solchen Situation bekommen populistische Strömungen nicht nur am rechten Rand Auftrieb, die darüber lamentieren, dass Deutschland Zahlmeister Europas sei und dann noch überstimmt werde.

Mit einer Volksabstimmung kann eine solche Stimmung erst richtig entfacht werden. Deutsche Politiker können gegen eine weitere Aufweichung der deutschen Linie in der EU ins Feld führen, dass sie dann zu Hause um ihre Mehrheiten fürchten müssen und eine EU wohl ohne Griechenland, nicht aber ohne Deutschland funktionieren würde. Wenn nach dem Brüssel-Gipfel in regierungsnahen Zeitungen kommentiert wurde, Merkel habe dort eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren, ist das ernst zu nehmen. Jetzt soll der Kampf um ein deutsches Europa auch mit Bild, BamS und Glotze geführt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152315
Peter Nowak

Was stört die EU-Kommission an Ungarns Rechtsregierung?

In der ungarischen Opposition gibt es unterschiedliche Auffassungen zum Eingriff der EU

Lange Zeit konnte Ungarns Rechtsregierung augenscheinlich schalten und walten, wie sie wollte. Mit einer komfortablen Mehrheit im Rücken machte sie sich an den konservativen Staatsumbau. Die Proteste im Innern waren überschaubar und Kritik vom Ausland schien die Rechtskonservativen in ihrer Bunkermentalität nur zu bestärken. Doch seit sich in Ungarn die Folgen der Wirtschaftskrise bemerkbar machen und das Land dringend neue Kredite braucht, kann Ministerpräsident Viktor Orban die Kritik aus dem Ausland nicht mehr ignorieren.

Jetzt hat die EU-Kommission rechtliche Schritte gegen die ungarische Regierung eingeleitet. Gleich auf drei Feldern sieht sie das EU-Recht verletzt: bei der Unabhängigkeit der Notenbank, beim Pensionseintrittsalter von Richtern und bei der Unabhängigkeit des Datenschutzes.

Politische Beobachter gehen davon aus, dass Orban am ehesten bei der Bankreform zu Kompromissen gezwungen und bereit dafür ist. Er hat auch schon angedeutet, das Bankgesetz im Sinne der EU zu verändern. Am schwersten dürfte es der Regierung vor allem bei der Justizreform, einem Kernstück des Staatsumbaus, fallen, den Brüsseler Kritikern nachzugeben. Schließlich muss die Regierung dem eigenen Anhang gegenüber fürchten, das Gesicht zu verlieren, wenn sie einerseits gegen ausländische Einmischung polemisiert und Oppositionelle als Handlager des Auslands diffamiert, um dann selbst Brüsseler Vorgaben zu erfüllen.

Zumal mit der Jobbik-Bewegung eine rechte Opposition in Ungarn bereitsteht, die bereits Demonstrationen und Aktionen gegen die EU organisiert und Vergleiche zwischen Moskau vor 1989 und Brüssel zieht. Diese rechtspopulistischen Kräfte könnten von einer Schwächung des Orban-Regimes profitieren.

Weder Orban noch EU

Wesentlich schwieriger noch ist es für die liberale und linke ungarische Opposition, sich gegen die EU-Vorgaben zu positionieren. Von den liberalen Kräften wird das Vorgehen Brüssels weitgehend begrüßt. Dort wurde schon längerem ein Eingreifen gefordert. Manche Liberale wünschen sich noch stärkeren Druck aus den USA. Der ungarische Philosoph und Linksoppositionelle Gáspár Miklós Tamás warnt allerdings in einem Beitrag, erschienen in der liberalen ungarischen Zeitung hvg davor, im Kampf gegen Orban auf die EU zu setzen. Tamás warnt:

Das in der Vergangenheit schon so oft enttäuschte ungarische Volk könnte in der „Causa Demokratie“ nur das i-Tüpfelchen auf dem von den westlichen Mächten verordneten Sparmaßnahmenkatalog sehen. Letztere scheinen sich eher um Finanzstabilität zu sorgen. Wenn der Schutz der demokratischen Institutionen zwangsläufig mit einer Verarmung des ungarischen Volkes einhergeht, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bürger nicht für eine Wiederherstellung der liberalen Demokratie begeistern, die ihnen mehr Armut bringt.

Die Stichhaltigkeit seiner Argumente kann man an der EU-Kritik am ungarischen Bankengesetz deutlich machen. Die EU-Kommission wirft der ungarischen Regierung Verstöße gegen Artikel 130 des EU-Vertrags vor, der die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken vorschreibt, sowie gegen Artikel 127, der bei Gesetzesänderungen Konsultationen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) verlangt.

Im Detail bemängelt die Kommission, dass der Finanzminister direkt an den Sitzungen des geldpolitischen Rats teilnehmen kann, was der Regierung die Möglichkeit geben könnte, die Notenbank von innen zu beeinflussen. Auch müsse die Bank der Regierung vorab ihre Tagesordnung vorlegen, was vertrauliche Erörterungen behindere. Die Bezahlung des Notenbankpräsidenten werde schon jetzt, statt erst zur nächsten Amtszeit, verändert, was die Gefahr berge, dass auf diese Weise politischer Druck auf ihn ausgeübt werde. Problematisch sei auch, dass der Präsident und die Mitglieder des geldpolitischen Rats auf Ungarn und dessen Interessen vereidigt würden, obwohl der Präsident auch Mitglied des Erweiterten Rats der EZB sei.

Diese Kritik ist auch in dem Sinne zu lesen, dass die EU-Kommission die unabhängige Finanzpolitik eines Landes begrenzen oder gar verhindern will. Jede Regierung, mag sie auch durch Wahlen von der Bevölkerung legitimiert sein, die eine Banken- und Fiskalpolitik einschlägt, die nicht mit den Interessen der EU-Kernländer harmoniert, könnte sanktioniert werden.

Es ist nicht der von EU-Kommissionspräsident Barroso beschworene ominöse Geist der EU, der hier verletzt wird, sondern es sind Interessen von mächtigen Ländern in der EU, die hier tangiert werden. Die EU-Kommission hat nicht protestiert, als der griechischen Bevölkerung im Dezember vergangenen Jahres das Recht genommen wurde, über das Krisenprogramm abzustimmen. Dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreous kostete der in populistischer Absicht gestartete Demokratieversuch das Amt.

Wenn Ungarns Liberale jetzt hoffen, dass auch Orban durch Druck aus Brüssel sein Amt verliert, stehen auch nicht Fragen zur Demokratie, sondern wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt. Anders als die Liberalen positioniert sich die kleine, aber in Großbetrieben verankerte Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei in einer aktuellen Erklärung Gegen Urban, EU und IWF.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36256/1.html
Peter Nowak

Die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt

Die letzten Tage dürften für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben

In Griechenland läuft alles auf eine große Notstandskoalition hinaus (Machtspiele der großen Parteien in Griechenland). Das ist auch die Folge der Lektion, welche die griechische Regierung in der letzten Woche gelernt hat. Sie lautet, dass die Demokratie keineswegs das konstitutionelle Element der europäischen Gemeinschaft ist. Die kurze Zeit zwischen der Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse und der Absage wenige Tage später durch den griechischen Ministerpräsidenten zeigten die Panik auf in welche die EU-Elite geriet, als der Regierungschef eines EU-Landes es wagte, die Bevölkerung befragen zu wollen, ob sie den Maßnahmen überhaupt zustimmt, die gravierende Auswirkungen auf ihr Leben haben..

Dabei war es die Absicht des griechischen Ministerpräsidenten, den von der EU geforderten Kurs der Haushaltssanierung durch ein Referendum gestärkt umsetzen zu können. Damit wäre nicht nur seine Regierung, sondern auch die EU-Politik bestätigt worden. Aber allein die Möglichkeit, dass, wie nun mal bei demokratischen Abstimmungen nicht zu vermeiden, die Mehrheit auch mit Nein stimmen könnte, führte zu Panikreaktionen, als stünde ein kommunistischer Umsturz in Athen bevor. Schließlich könnte der demokratische Virus auch auf andere Länder übergreifen. Dass der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten massiv war, verschweigen die Befürworter dieses Kurses gar nicht.

„Die EU ist kein Wohlfahrtsverein“

„Seit dem G-20-Gipfel von Cannes ist ein für alle Mal klar: Die EU ist kein Wohlfahrtsverein. Die Konsequenzen dieser Einsicht werden erheblich sein – auch was Verwerfungen angeht“, kommentiert die FAZ am Wochenende.

„Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt“, beantwortet das konservative Blatt die rhetorische Frage selber.

Während der FAZ-Kommentator durch die Verwendung des Pronomens „Wir“ den Standpunkt der deutschen Regierung selbstverständlich einnimmt, dann aber anonyme Märkte als Begründung für den Notstand der Demokratie heranzieht, bleiben konservative Medien in den europäischen Nachbarländern weniger allgemein. So schrieb der Figaro:

„Ab sofort wird Europa stärker den deutschen Prioritäten Rechnung tragen müssen – vor allem auch in der Budgetdisziplin, die von Berlin aus gesehen seit der griechischen Krise in Europa aus dem Ruder gelaufen ist.“

Damit trägt das regierungsnahe Blatt der Tatsache Rechnung, dass der französische Präsident mit seinen Bestreben, die Maastrichter Stabilitätskriterien zu lockern, an der deutschen Bundeskanzlerin gescheitert ist. Sarkozy wollte eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, um die Proteste gegen die EU-Spardiktate, die nicht nur in Griechenland seit Wochen zu beobachten sind, einzudämmen.

Die Grenzen der Demokratie bekam auch Italien schon zu spüren, dessen Wirtschaftspolitik in Zukunft von EU und IWF überwacht werden soll. Doch nicht die Berlusconi-Regierung, sondern die Gewerkschaften, Studierenden und sozialen Bewegungen sind es, die schon lange gegen weitere soziale Verschlechterungen mobil machen. Sie kämpfen nicht gegen Berlusconi, um einen EU-genehmen Sparkommissar zu akzeptieren.

Was geschieht, wenn sich die sozialen Bewegungen nicht verlaufen?

Die deutsche Regierung, verwöhnt von den marginalen sozialen Protesten im eigenen Land, will die gesamte EU-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik gestalten. Was aber passiert, wenn sich die sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und vielleicht demnächst in Frankreich nicht verlaufen und marginalisieren lassen wie in Deutschland?

Diese Frage wird sich vermehrt stellen, nachdem in den letzten Tagen am Beispiel Griechenland die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt so deutlich wie nie markiert wurden. Die letzten Tage dürften da auch für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben In Zukunft werden sie in den europäischen Nachbarländern verstärkt gegen das EU-Modell Deutschland geführt werden. Illusionen über demokratische Prozesse bei den Aktivisten dürften endgültig geschwunden sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150775

Peter Nowak

Stürzt die EU Berlusconi?

Für Empörung in Italien sorgt das Lächeln von Merkel und Sarkozy über Berlusconi

n Seit Monaten fordert die breitgefächerte Opposition in Italien den Rücktritt von Ministerpräsident Berlusconi. Der aber, nur noch darum bemüht, sich seine Straffreiheit zu bewahren, hat trotz Zerwürfnissen in seiner eigenen rechten Koalition bei Vertrauensfragen im Parlament immer wieder eine knappe Mehrheit erhalten. Doch jetzt könnte der Dauerministerpräsident doch noch straucheln, wie italienische Medien melden. Verantwortlich dafür wären aber weder die italienische Protestbewegung und schon gar nicht die politischen Oppositionsparteien, die nicht weniger zerstritten als die Regierung sind. Der neueste Streit in der italienischen Regierung wurde von den EU-Gremien verursacht. Die verlangen von Italien massive Sozialkürzungen, u.a. eine Erhöhung des Rentenalters, damit das Land sein Defizit verringert. Gegen diese Maßnahme aber sperrt sich die Lega Nord, die in der letzten Zeit Berlusconis Stütze im Parlament war. Die norditalienischen Rechtspopulisten, die sich gerne als Stimme des italienischen Steuerbürgers gegen alle Zuwanderer, sei es aus dem Süden des Landes oder dem Ausland geriert, hat schon in der Vergangenheit an der Rentenfrage die Rechtskoalition platzen lassen. Schon redet der Lega-Vorsitzende Bossi von Neuwahlen. Damit aber bringt er nicht nur Berlusconi, sondern auch die EU in Bedrängnis. Denn wenn bei den Eurorettungsverhandlungen ein italienischer Ministerpräsident auf Zeit sitzt, der keine Verhandlungsvollmacht mehr hat, wird das vielzitierte Vertrauen in die Währung nicht gerade gestärkt. Zumal überhaupt nicht absehbar ist, wie es in einen Italien nach Berlusconi, der trotz erster Absatzbewegungen in seiner eigenen Partei noch immer die Nummer eins ist, weitergehen soll. Obwohl die Oppositionsparteien so oft dessen Rücktritt fordern, sind sie auf eine Nachfolgeregelung nicht vorbereitet. Zumal auch nicht klar ist, ob Berlusconi, entgegen aller seiner Versprechungen, bei vorgezogenen Neuwahlen nicht doch noch mal antreten und sich als Verteidiger Italiens gegen die Zumutungen der EU aufspielen könnte.

Das Lächeln von Merkel und Sarkozy

Zweifelhaft ist, ob Berlusconi auf dem EU-Gipfel am Mittwoch die von ihm zugesagten Maßnahmen zur Haushaltssanierung präsentieren kann. Es sei eine Vereinbarung erzielt worden, sagte Bossi, aber nicht über die Rentenreform. Für mehr Empörung in der italienischen Öffentlichkeit sorgt aber das „maliziöse Lächeln“ für Empörung, mit dem Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy bei einer Pressekonferenz auf die Frage reagierten, ob sie noch Vertrauen in Berlusconi haben? „Diese Erniedrigung, mit Griechenland gleich gesetzt zu werden, ist der Beweis, dass Italien abgestiegen ist. Wir müssen daran arbeiten, wieder in die erste Liga aufzusteigen“, übt sich Enrico Letta von der sozialliberalen Demokratischen Partei in Standortnationalismus. Auch Außenminister Frattini gab sich entrüstet. Solche Ab- und Aufwertungen der verschiedenen Länder im EU-Rahmen werden durch die Politik der EU eher gefördert und beschränken sich nicht nur auf Italien. So hat der konservative bulgarische Ministerpräsident in Bezug auf die Griechenlandhilfe gefordert, jedes EU-Mitglied solle die Löhne und Gehälter auf bulgarisches Niveau senken, bevor es Hilfe von der Europäischen Gemeinschaft in Anspruch nehmen darf. Wo nicht solidarische Bewegungen soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene verteidigen, übernehmen oft rechte Populisten und Nationalisten auf ihre Weise diese Aufgabe. Das könnte auch der italienischen Rechten nützen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150700

Peter Nowak

Weniger Protestcamps, mehr Lohnkämpfe

Den Griechen würde es eher helfen, wenn die Menschen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gingen
 Eine Veranstaltung diskutierte die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise und linke EU-Kritik.

In Griechenland und Spanien protestierten in den letzten Wochen Tausende gegen die Krisenpolitik der EU. In Deutschland hatten Versuche, ebenfalls Protestcamps zu organisieren, wenig Erfolg. Warum die Bewegung nicht überschwappt und Appelle, sich mit den Aktivisten in Madrid und Athen zu solidarisieren, oft gut gemeint, aber hilflos sind, erläuterte der Publizist Jörg Kronauer am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. Der Kölner Publizist zitierte aus Studien einflussreicher Denkfabriken und ließ Politiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen. In diesen Kreisen wird Angela Merkel als europäische Kanzlerin bezeichnet und die EU als »Weltmacht im Werden« gegen die USA in Stellung gebracht. Kronauer erinnerte daran, dass die Frontstellung gegen den Dollar bei der Euro-Einführung eine wichtige Rolle spielte.

Profitiert von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und der gemeinsamen Währung hat die deutsche Wirtschaft, wie Kronauer an verschiedenen Daten zeigte. Während das deutsche Außenhandelsvolumen wächst, weil der EU-Raum der Hauptabnehmer für deutsche Produkte ist, ist Frankreich ins Defizit gerutscht. Kronauer betonte allerdings auch, dass es innerhalb deutscher Kapitalkreise auch EU-kritische Stimmen gibt. Als aktuelles Beispiel nannte er den Aufruf von Mittelständlern, die sich mit Verweis auf die hohen Kosten gegen die EU-Rettungspakte für Griechenland wandten. Solche Stimmen werden lauter, je stärker die deutsche Industrie ins außereuropäische Ausland exportiert, prognostiziert der EU-Analytiker. »Die Industriezweige, deren Absatzmärke in Asien liegen, haben weniger Interesse an der EU als die Branchen, die für den europäischen Markt produzieren.«

Dass allerdings auch den Plänen der deutschen Eliten Grenzen gesetzt sind, machte der Referent am Beispiel von Zukunftsszenarien führender Banken deutlich. Danach wird die politische und ökonomische Bedeutung Deutschlands, aber auch der EU insgesamt im Jahr 2050 im internationalen Maßstab zurückgehen. Ländern wie China, Indien und Brasilien wird hingegen ein Machtzuwachs prognostiziert. Kronauer wies darauf hin, dass solche Szenarien auch Ursachen verstärkter innerimperialistischer Kämpfe sein können, die durchaus nicht immer friedlich ausgetragen werden müssen.

In der lebhaften Diskussion nach dem Vortrag wurde die Notwendigkeit der Reformulierung einer linken EU-Kritik betont, die weder ein Zurück zum alten Nationalstaat postuliert, noch sich zum linken Feigenblatt des EU-Blocks macht. Die europaweite Forderung nach einer Schuldenstreichung für Länder wie Griechenland könnte eine Klammer für Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern sein. Eine Gewerkschafterin brachte einen anderen Aspekt in die Debatte: »Die deutsche Niedriglohnpolitik konkurriert Länder an der europäischen Peripherie nieder. Wenn die Lohnabhängigen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gehen, stellen sie dieses Modell in Frage und unterstützen auch die Protestierenden in Griechenland und Spanien.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/201629.weniger-protestcamps-mehr-lohnkaempfe.html

Peter Nowak

Ökosozialprodukt auf EU-Ebene?

Anfang Juni stimmten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments einem Verordnungsvorschlag über »Umweltökonomische Gesamtrechnungen« zu, der das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Instrument zur Messung der Wirtschaftsleistung eines Landes ergänzen soll. Die Reaktionen waren überwiegend positiv. Befürworter sehen mit dem Beschluss einen Grundpfeiler der bisherigen EU-Wirtschaftspolitik infrage gestellt. Für die SPD-Europaabgeordnete Jutta Steinruck hat das EU-Parlament ein neues Kapitel für die Messung von Fortschritt und Wohlstand aufgeschlagen. Ihr Parteifreund, der Vorsitzende des EU-Umweltausschusses Jo Leinen, lobte den Beschluss als »wichtigen Schritt vom Brutto- zum Ökosozialprodukt«.

 Der Begriff Ökosozialprodukt wurde Anfang der 80er Jahre als Ergänzung zum Bruttoinlandsprodukt von Anhängern einer ökologischen Marktwirtschaft entwickelt. Nach deren Vorstellungen sollen Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften als politische Kategorien in die Marktwirtschaft einbezogen werden, um die dem Kapitalismus innewohnenden Marktkräfte als Motivation zum Umweltschutz nutzen zu können. Linke Kritiker dieses Konzepts auch in der Umweltbewegung sehen dieses Vertrauen in die Marktkräfte mit Skepsis.

Zumal das parteiübergreifende Einverständnis schnell an Grenzen stößt, wenn es um die Frage geht, was denn zum Ökosozialprodukt alles dazu gehören soll. So ist die von Leinen geforderte Erhebung des sozialen Fortschritts bei konservativen und liberalen Parlamentskollegen keineswegs Konsens. Aber genau hier beginnen die entscheidenden Fragen. So wenig die jährliche Erhebung des BIP über die konkrete Verteilung von Armut und Reichtum in einer Gesellschaft aussagt, so wenig wird allein die Erweiterung um Umweltbelange deutlich machen, wer unter den Auswirkungen von Umweltproblemen zu leiden hat. Die Daten zum Ökosozialprodukt können für den Kampf um eine ökologische und soziale Politik ebenso benutzt werden wie zur Etablierung eines grünen Kapitalismus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/199673.oekosozialprodukt-auf-eu-ebene.html

Peter Nowak

EU-Länder zeigen afrikanischen Flüchtlingen kalte Schulter

Die Tragödie vor Lampedusa und „europäische Spielregeln“
Mindestens 150 Flüchtlinge gelten nach einem Bootsunglück vor Lampedusa in der Nacht auf Mittwoch als vermisst. Das Unglück geschah, als sich die Flüchtlinge, die in Lybien gestartet waren, schon in Sicherheit wähnten und die Küstenwache die Menschen auf ihr Schnellboot umladen wollte. Das Flüchtlingsboot hatte sich in Seenot befunden. Natürlich stellt sich die Frage, wie das Unglück vor den Augen der Küstenwache geschehen konnte. Schließlich gehören Sicherheitsvorkehrungen gegen das Kentern beim Bergen von Menschen aus manövrierunfähigen Booten zu den Basiskompetenzen einer Küstenwache.
Rechte Stimmungsmache
Die Tragödie im Mittelmeer ist nicht die erste ihrer Art. Der innenpolitisch bedrängte italienische Ministerpräsident Berlusconi versuchte sich erst kürzlich vor den Einwohnern Lampedusas als Hardliner und Heilsbringer mit großen Versprechungen zu präsentieren, der das Flüchtlingsproblem schnell lösen will. Einige Tage zuvor hetzten Politiker der italienischen rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord gemeinsam mit der Vorsitzenden des extrem rechten Front National, Marine Le Pen, auf Lampedusa gegen die Flüchtlinge.
Mittlerweile versucht die italienische Regierung mit großzügigen finanziellen Zusagen an die neue tunesische Regierung diese zur Flüchtlingsabwehr zu verpflichten, wie sie sie mit der gestürzten Diktatur vereinbart hatte. Doch bisher blieb man auf tunesischer Seite unverbindlich.
Europäische Spielregeln gegen die Flüchtlinge
Die EU-Regierungen äußern sich nach außen sehr kritisch zum Flüchtlingsmanagement der italienischen Rechtsregierung. Doch dabei geht es den meisten Politikern weniger um das Schicksal der Flüchtlinge, sondern um die Angst, die italienische Regierung werde sie nicht an der Weiterreise in andere EU-Länder hindern. Schließlich haben die meisten Migranten angegeben, Italien nur als Transitland auf den Weg in andere EU-Länder nutzen zu wollen.
Die Ankündigung der italienischen Regierung, die Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigungen auszustatten, würde den Interessen der Flüchtlinge sehr entgegenkommen. Denn damit könnten sie in andere europäische Staaten reisen. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber lehnte es im Interview mit dem Deutschlandfunk vehement ab, afrikanische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.
„Wir haben Spielregeln vereinbart, wie in Europa mit Flüchtlingen umzugehen ist, und Italien hat diese Spielregeln akzeptiert“, doziert Weber in Richtung der italienischen Regierung und droht mit Sanktionen.
„Dann muss die Kommission dafür sorgen, dass das Recht, das wir in Europa haben, auch umgesetzt wird. Ich kann nicht akzeptieren, dass wir sozusagen jemandem dann nachgeben, weil er Spielregeln nicht einhält.“
Die Verletzung der Spielregeln besteht für Weber und viele seiner Parteikollegen nicht in der unmenschlichen Behandlung der Flüchtlinge, sondern in deren möglichen Einreise in die EU. Die wenigen Stimmen von Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl, die schon seit Wochen fordern, den Flüchtlingen Fluchtwege in der EU zu öffnen, werden in der Öffentlichkeit kaum gehört. Die europäische Politik sehnt sich nach starken Regimes zurück, die die Torwächterrolle für sie in Nordafrika spielen, wie es lange Jahre Gaddafi vorgemacht hat. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149610
Peter Nowak

Linke im Krieg

Die Zustimmung einiger Europaabgeordneter der Linken zur Libyen-Resolution im EU-Parlament führt zum innerlinken Streit:
„Wir lehnen jede militärische Intervention ab“, heißt es auf der Homepage des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Lothar Bisky.

„Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift.“

Weil Bisky mit anderen Kollegen aus der gemeinsamen Fraktion der europäischen Linken der Gesamtresolution zustimmte und lediglich in einer gesonderten Abstimmung über den Punkt 10, der eine Flugverbotszone in Libyen vorsieht, mit Nein votierte, wird er jetzt heftig kritisiert. Ein Kommentator der jungen Welt, die sich gerne als das antiimperialistische Gewissen der Linken aufspielt, sieht Bisky nach der Abstimmung bereits auf Interventionskurs.

Der Mehrheitsflügel innerhalb der Europäischen Linksfraktion reichte einen eigenen Antrag ein, in dem es unter Punkt 7 heißt, dass „jede ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen“ abgelehnt wird.

Flugverbotszone als kriegerische Maßnahme

Die linke Europaabgeordnete Sabine Lösing bringt in ihrer Erklärung das Dilemma zum Ausdruck, in dem sich die linken Parlamentarier befinden.

„Angesichts der Übergriffe auf Demonstranten, der Toten, der Diktatur, der Person Al-Gaddafi, ist der Wunsch nachvollziehbar die Opposition zu unterstützen und eventuell auch zu intervenieren. Wenn aber McCain Präsident Obama zu Militäraktionen auffordert oder konservative EU-Politiker für zukünftige Unruhegebiete, die Ausarbeitung eines Stand-by Planes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfordern, dann müssen progressive Menschen aufhorchen!“

Ähnlich argumentiert die linke EU-Abgeordnete Sabine Wils nach der Abstimmung:

„Ich habe die Resolution abgelehnt. Selbst wenn es zu begrüßen ist, dass ein blutiger Diktator in Libyen, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat (und dafür von den selben, die jetzt die Intervention fordern mit Handelsverträgen und Waffenexporten unterstützt wurde) gestürzt wird, rechtfertigt das nicht die Vorbereitung eines Krieges.“

Tatsächlich lautet das Argument der Gegner einer Flugverbotszone, die ja offiziell Menschenleben retten soll, dass diese nur mit kriegerischen Maßnahmen durchzusetzen sei. Auch der den Grünen nahestehende Publizist Micha Brumlik schreibt in der Taz:

„Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung.“

Ob die Bewaffnung der Opposition gegen Gadaffi, die er zumindest in Erwägung zielt, nicht zu noch mehr Blutvergießen führt, wäre zu fragen. Die Diskussionen zeigen, dass ein wirksames Mittel gegen Gadaffi auch unter Linken noch gesucht wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149411
 
Peter Nowak

EU-Behörde nennt italienische Flüchtlingspolitik inhuman

Die Deportationen von Flüchtlingen auf hoher See verstoßen gegen grundlegende Rechte, zudem würde unverhältnismäßig Gewalt angewendet und die Flüchtlinge nicht mit den nötigen Lebensmitteln versorgt
Die italienische Flüchtlingspolitik verstößt gegen humanitäre Grundsätze. Diese von Flüchtlingsgruppen schon lange vertretene Meinung wurde nun vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) bekräftigt. In seinem gerade veröffentlichten Landesbericht zu Italien befasste sich die Delegation mit der italienischen Praxis, illegale Migranten, die sich der italienischen südlichen Mittelmeerküste nähern, bereits auf See abzufangen und nach Libyen zurückzuschicken. Mehrere dieser Deportationen auf hoher See sind in dem Bericht dokumentiert.

Der Delegationsleiter des Antifolterkomitees Jean-Pierre Restellini fand bei der Vorstellung des Berichts deutliche Worte gegen diese Praxis: „Halbverhungerte Bootsflüchtlinge in dieses Land zu schicken, wo ihnen Folter und schwere Misshandlungen drohen, ist eine Missachtung aller internationalen Regeln.“

Zumal bekannt ist, dass in den lybischen Abschiebezentren katastrophale Zustände herrschen, was ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nachgewiesen hat. Das Antifolterkomitee forderte die italienische Regierung zum Überdenken ihrer Flüchtlingspolitik, besonders der Abschiebungen nach Lybien, auf. Es wies darauf hin, dass Italien selber lange ein Auswandererland war und es daher besonders unverständlich ist, dass sich die Regierung so inhuman gegen Migranten verhält.

Die italienische Flüchtlingspolitik wird die europäischen Gremien weiter beschäftigten. 24 Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die von Italien nach Lybien abgeschoben wurden, haben eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Italien ist allerdings nicht das einzige EU-Land, das wegen der Flüchtlingspolitik kritisiert wird. So monieren Menschenrechtsgruppen die Behandlung von Flüchtlingen in Griechenland und auch Deutschland steht vor allem wegen der Residenzpflicht für Flüchtlinge und ihrer Abschiebepolitik immer wieder in der Kritik.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147524

Peter Nowak