An der SPD wird die GroKo nicht scheitern

Die SPD wird wieder mitregieren, wenn es die Merkel-Gegner in der Union nicht verhindern

Verantwortung für Deutschland, das ist das Leitmotiv der SPD seit über 100 Jahren. Die Floskel wurde beim gestern zu Ende gegangenen SPD-Parteitag wieder strapaziert. Dabei ging es doch nur darum, dass der alte und neue SPD-Vorsitzende Schulz nun plötzlich das Gegenteil von dem verkündete, was er noch nach dem letzten Parteitag erklärte.

„Wir beenden die Kooperation mit der Merkel-Union und gehen in die Opposition“ – für diese Ankündigung bekam Schulz damals viel Lob von großen Teilen seiner Partei und Anerkennung von den Medien. Manche Beobachter hatten den Eindruck, dass diese Ankündigung, in die Opposition zu gehen, von vielen in der SPD als Befreiung aufgenommen wurde, die sogar das desaströse Wahlergebnis erträglich machte.

Das zeigte die Reaktion im Willi Brandt-Haus. Die Anwesenden applaudierten und man hatte nicht den Eindruck, man stehe einer Partei gegenüber, die gerade noch mal ihr schon schlechtes Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl unterboten hatte. Da fühlten sich manche an die Wochen erinnert, nachdem Schulz von seinen Vorgänger Gabriel zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde.

Die Phrase vom Schulz-Zug, der nie abfuhr

Damals wurde die Phrase vom Schulz-Zug geboren, der nie abfuhr. Was tatsächlich geschehen ist: Einige Tausend junge Menschen sind in die SPD eingetreten, die wenig bis nichts mit der alten SPD-Tradition zu tun hatten. Selbst ein langjähriger Unterstützer der gewaltfrei-anarchistischen Zeitschrift Graswurzelrevolution gehörte dazu.

Nur war es schon ein Irrtum zu glauben, dass sie wegen Schulz und nicht trotz Schulz in die SPD eingetreten waren, weil sie darin ein Signal gegen den Rechtsruck im Zeichen von Trump und AFD erblickten. Andere treten deswegen bei den Linken und manche auch bei den Grünen ein. Sie jubelten dann Schulz zu, weil sie glauben wollen, er sei in der realexistierenden SPD der Hoffnungsträger.

Der hatte sich aber schnell entzaubert und spätestens nach der Veröffentlichung der Spiegel-Reportage über Schulz und das SPD-Wahlkampfteam wurde klar, wie stark der Parteiapparat nur auf öffentliche und veröffentlichte Meinung reagierte, wie er jeder Umfrage entgegenfieberte und später immer mehr davor zitterte und wie Schulz von diesem Apparat an der kurzen Leine geführt wurde.

Das war sicher für manche eine gute Lektion in Sachen real existierender Demokratie. Denn dass die Reportage des im Wahlkampfteam eingebetteten Journalisten eine gewisse Aufmerksamkeit bekam, lag nicht daran, dass diese Art der Wahlkampfführung so ungewöhnlich war, sondern dass sie in dem Text so gut auf den Punkt gebracht wurde. Wenn Schulz ein Hoffnungsträger für irgendjemand war, so ist das längst vorbei.

Wenn er auf dem SPD-Parteitag wieder gewählt wurde, dann nur deshalb, weil niemand bereit war, die Partei in der aktuellen Situation zu übernehmen.

Nun auch noch Verantwortung für Europa

Seine Berater aus dem Apparat haben wohl Schulz geraten, sich wieder auf ein Gebiet zu besinnen, auf dem er sich auskennen müsste. Als langjähriger EU-Bürokrat, der auch schon mal dem italienischen Rechtspopulisten Berlusconi Paroli geboten hat, war Schulz schließlich in Deutschland bekannt.

Seine Berater vom Parteiapparat haben es wohl nicht für opportun gehalten, im Wahlkampf zu stark dieses Thema zu strapazieren. Die EU ist schließlich zurzeit auch in Deutschland nicht so populär, dass sie Stimmen bringt. Nun, wenn es gilt, die SPD wieder in Regierungsverantwortung zu bringen und von anderen Festlegungen abzubringen, muss nun die Partei nicht nur wie seit 100 Jahren für Deutschland, sondern gleich für Europa Verantwortung übernehmen.

Wie üblich, wenn im hiesigen Politikersprech dieses Wort genutzt wird, ist damit die von Deutschland dominierte EU gemeint. Schulz und die Sozialdemokraten wollen nun dazu beitragen, dass die Hegemonie, die durch Schäubles Austeritätskurs brüchig geworden war, wieder zu festigen. Dabei geht es natürlich nicht darum, dass nun in Europa eine keynisiastische Politik gemacht werden soll.

Vielmehr orientiert sich die SPD am französischen Präsidenten Macron, einen erklärten Wirtschaftsliberalen, der im letzten Jahr von den Grünen und der Taz zum Hoffnungsträger ausgerufen wurde. Auch die SPD will nun von Macrons Wahlerfolg in Frankreich profitieren und Schulz will damit rechtfertigen, wieder in eine große Koalition einzutreten.

Dabei kann er sich sogar auf Griechenlands Premierminister Tsipras berufen, der Schulz davor warnte, aus Gründen der politischen Reinheit in die Opposition zu gehen.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Vorsitzende einer Partei, der als linke Alternative mit dafür sorgte, dass die sozialdemokratische Schwesternpartei in der Versenkung verschwand, eine SPD darum bittet, Regierungsverantwortung zu übernehmen, die mit dafür gesorgt hat, dass im Jahr 2015 die Daumenschrauben gegen die Syriza-Regierung vor der Kapitulation angezogen wurde. Schulz und auch sein Vorgänger Gabriel haben sich damals eindeutig gegen die damals noch linke griechische Regierung gestellt.


Zusammenbruch der europäischen Sozialdemokratie

Aber Tsipras und seine Syriza sind mittlerweile der rechten Sozialdemokratie in Europa so ähnlich, dass sei auch wie diese bei den nächsten Wahlen ebenso abgestraft werden könnten. In einer Taz-Reportage dazu heißt es:

Die Sozialdemokratie in Europa ist nicht mehr nur im Krisenmodus, sie nähert sich mancherorts dem Zusammenbruch. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Frankreich und Griechenland wurden die altehrwürdigen Parteien pulverisiert. Die Symptome sind überall ähnlich: Die Aufsteigergeneration hat die Verbindungen zu ihrer Herkunft gekappt.

Wo es ärmlich und ungemütlich zugeht, im Mannheimer Norden, den Vororten von Rotterdam oder den Randbezirken von Wien, laufen frühere Stammwähler zu den Rechtspopulisten über. Die Parteiapparate schauen hilflos zu. Die Abgehängten und das Dienstleistungsproletariat setzen nicht mehr auf die saturierten Sozialdemokraten. Und die erfolgreichen, jungen Globalisierungsgewinner finden Sozialdemokratie voll 20. Jahrhundert.“

Taz

Nicht vom europäischen Abwärtstrend betroffen sind die portugiesischen und britischen Sozialdemokraten. Beide haben sich in den letzten Jahren zu moderaten Linkspositionen durchgerungen und die Austeritätspolitik etwas modifiziert, in Portugal mit Unterstützung der Linksopposition. In Großbritannien ist noch klar, ob die Labour Party den linkspopulistischen Kurs ihres aktuellen Vorsitzenden Corbyn beibehalten kann und wird.

Manche linken Sozialdemokraten sehen in ihm genau einen Hoffnungsträger wie vorher in Bernie Sanders und auch vor einigen Jahren Tsipras. Die Namen wechseln, aber sie waren bisher nie erfolgreich, und die SPD hat daran wie bei Tsipras aktiv mitgearbeitet.

Die SPD wird diese Tradition fortsetzen, ob als Teil der Regierung oder als loyale Opposition. Die durch die unterschiedliche Position bedingte Rhetorik sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Darum ist es für die Politik letztlich irrelevant, ob die SPD Teil einer Regierung ist.

In Fragen der Inneren Sicherheit, der Flüchtlingsabwehr, der Innenpolitik wird sie da weitermachen, wo die alte Regierung aufgehört hat. Schließlich amtieren die Minister sogar noch. Und die Gegner der großen Koalition, die wie der linksliberale Publizist Jakob Augstein die SPD ebenfalls aus gesamtdeutscher Verantwortung auffordern, in der Opposition zu bleiben, werden am Ende keine Rolle spielen.

Schon vor den letzten Koalitionen mit der Union haben Linke in der SPD gegen die Groko mobilisiert. Damals war gab es sogar rechnerisch eine Mehrheit links von der Union. Doch jedesmal haben die Groko-Gegner Niederlagen erlitten. Das wird jetzt, wo es eine strukturell rechte Mehrheit im Parlament gibt, nicht anders sein.

Sogar die Jungsozialisten sind keineswegs so klar gegen eine Groko, wie es suggeriert wird. In der Wochenzeitung Kontext wurde über Jungsozialisten in Baden Württemberg berichtet, die auch bei der FDP anheuern könnten.

Und die Jusos im Südwesten sehen sich an der Spitze der Bewegung. Sie wollen den Landesverband wieder zum Motor der Bundespartei machen. So wie er das einst schon war in den Siebziger Jahren, als der legendär gewordene „Tübinger Kreis“ Furore machte als linker Talentschuppen und Ideenwerkstatt der 68er. Gefolgt von Erhard Eppler und seinem Aufbruch zu einer neuen Orientierung der SPD in der Umwelt- und Friedenspolitik. Diesmal aber geht es dem Nachwuchs nicht um progressive Inhalte, sondern darum, das Erbe der Schröder-Ära mit ihrer Annäherung an neoliberale Denke vor kritischer Rückschau zu bewahren. Sie wolle keine „endlosen Debatten“ über die Vergangenheit führen, sagte Bernickel auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag in Donaueschingen. Vielleicht doch in der falschen Partei? Jedenfalls verlangt die Betriebswirtin, Studienrichtung Finanzdienstleistungen, nach einer „ganzheitlichen Erzählung“.

Johanna Henkel-Waidhofer, Kontext

Wenn die Groko scheitert, dann an der Union

Solche Detailberichte sagen mehr über die Situation der angeblichen SPD-Linken als markige Worte des aktuellen Juso-Vorsitzenden. Die SPD wird in die Regierung gehen, eine Groko kann nur an Kräften in der Union scheitern, die die Merkel-Ära beenden und Neuwahlen wollen. Merkel und ihr Umfeld hat genau deshalb kein Interesse an diesen Neuwahlen.

Die Diskussion um die Verlängerung des Nachzugsstops von syrischen Migranten, der demnächst ausläuft, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Union hat schon deutlich gemacht, dass sie auch mit den Stimmen der AfD eine weitere Verlängerung durchsetzen würde. Schon haben in der letzten Woche einige Unionspolitiker davon geredet, dass Abschiebungen nach Syrien wieder möglich werden sollen.

Das hat die AfD im Wahlkampf auch immer gesagt und schon einen Antrag im Parlament eingebracht. Hier könnten Gemeinsamkeiten einer Nach-Merkel-Ära ausgelotet werden.

Für die SPD könnte das ein Ansporn sein, mit der Union schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Sie könnte damit der Union signalisieren, dass sie nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen ist, um Migranten abzuwehren, genau so wie beim Sozialabbau und der Abbau von Datenschutz. Die SPD wird also noch gebraucht.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/An-der-SPD-wird-die-GroKo-nicht-scheitern-3914945.html?seite=all

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[2] http://www.graswurzel.net/
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-on-the-road-mit-dem-spd-kanzlerkandidaten-spiegel-titelgeschichte-a-1170992.html
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[6] http://www.taz.de/!5464728/
[7] http://www.taz.de/!5464728/
[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[9] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[11] https://afd.saarland/afd-bundestagsfraktion/2017/11/antrag-der-afd-bundestagsfraktion-rueckfuehrung-syrischer-fluechtlinge-einleiten

Gabriels Option: Jetzt aus der Koalition aussteigen


„Hier ist die Rose, hier tanze“ – zur neuesten Luftnummer des ungeliebten SPD-Vorsitzenden

Eigentlich macht der SPD-Unterbezirk Odenwald kaum Schlagzeilen. Doch vor einigen Wochen preschten die Jusos vor, als sie mit einer 80-prozentigen Mehrheit eine Resolution verabschiedeten, die eine Abwahl von Sigmar Gabriel[1] als Parteivorsitzenden erreichen wollte. Wie so oft in der SPD-Geschichte endeten auch die Odenwälder Sozialdemokraten als Lampenputzer und zogen nach Druck der SPD-Gremien den Antrag zurück.

Noch aber findet sich auf der Homepage der Odenwalder SPD die Einschätzung[2] von deren Unterbezirksvorsitzenden Oliver Grobeis:

So gesehen drücken die Jusos in ihrem Antrag die vorherrschenden Ängste und Besorgnisse der Genossinnen und Genossen aus. Der Antrag auf Abwahl bedeutet zudem aus meiner Sicht die Aufforderung an die Führungsebene, etwas grundlegend zu ändern, und das sieht nicht nur der vergleichsweit bescheidene SPD-Unterbezirk Odenwaldkreis so.

Das zeigt, dass Gabriel nur noch Parteivorsitzender der SPD ist, weil sich keiner seiner potentiellen Konkurrenten für die nächste Wahlniederlage verantwortlich machen lassen will. Das soll bitteschön der letzte Dienst von Gabriel an die SPD sein. Nach den Bundestagswahlen werden die Karten neu gemischt. Da ist es nur zu verständlich, dass Gabriel ab und zu mit irgendwelchen Texten den Anschein erwecken will, er hätte so etwas wie eine Strategie.

Was bedeutet das progressive Lager?

Da in diesem Jahr das politische Sommerloch wegen der Fußball-EM besonders früh begonnen hat, hat er den Zeitpunkt, wo schon ein Spiegel-Artikel mit vagen Inhalten Diskussionen auslöst, gut genützt. Zu verstehen war, dass sich Gabriel doch für ein Bündnis mit Grünen und Linken erwärmen könnte.

Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es diese Diskussion und selbst die eifrigsten Befürworter von Rosa-Rot-Grün haben in der letzten Zeit erkannt, dass es dazu wohl in absehbarer Zeit nicht kommen wird. Denn bei den nächsten Wahlen hätte sehr wahrscheinlich diese Parteienkonstellation keine parlamentarische Mehrheit mehr, was ja die Grundlage für ihre Realisierung wäre.

Kaum aber erwähnte Gabriel in seinem Spiegel-Gastbeitrag[3] ein „progressives Lager“, das sich gegen rechts positionieren muss, rätselten die Politkommentatoren, ob er damit etwa ins Lager von Rosa-Rot-Grün gewechselt sei. Das dementierte Gabriel dann umgehend und ließ enttäuschte Freunde der parlamentarischen Mehrheit links von der Union zurück[4].

Der SPD-Parteivorsitzende hat mit dem Vorstoß nur seine bisherige Zickzack-Linie, mal in die eine, mal in die andere Richtung zu blinken, fortgesetzt. Das mögen manche seinem Politikstil anlasten, aber es spiegelt auch trefflich die aktuelle Lage der Sozialdemokraten wieder. Sie erkennen, dass sie als Vorreiter der neoliberalen Politik, wofür in Deutschland die Agenda 2010 steht, ihre eigene Basis unterminieren. Sie sind aber so fest mit der wirtschaftsliberalen Politik verbunden, dass sie da auch nicht mehr zurück können.

Dies zeigt sich weniger in Gastbeiträgen, sondern vielmehr in der realen Politik. Die SPD winkte[5] erst vor wenigen Tagen eine Reform des Erbschaftssteuerrechts durch, die direkt von Lobbyvereinen der Firmenerben verfasst worden sein könnte. Wie sie das dem schrumpfenden SPD-Wählersegment aus der Arbeiterschaft erklären wollen, ist die eine Frage.

Da aber ein seit einiger Zeit ein Teil der früheren SPD-Wähler aus der Arbeiterschaft bei der AfD ihr Kreuz macht, stellt sich auch die andere Frage, wie ernst es der SPD jenseits von Gastbeiträgen mit dem Kampf gegen die AfD ist.

Dass einige Spitzenpolitiker der Grünen jetzt das Erbschaftssteuergesetz kritisieren und sogar eine Blockade im Bundesrat anregen, ist auch nur Show. Gerade die von den Grünen geführte Landesregierung in Baden-Württemberg hat in ihrer Liebedienerei vor den schwäbischen Familienerben die CDU noch an Servilität überboten. Auch das ist kein Zeichen, dass es etwas wird mit dem rosa-rot-grünen Bündnis.

Neue Entspannungspolitik als SPD-Wahlschlager?

Das gilt noch viel mehr für die politische Baustelle, bei der ein anderer SPD-Spitzenpolitiker neue Akzente setzen will, die nachhaltiger als Gabriels Luftnummer sein könnten. Es ist Bundesaußenminister Steinmeier, der vor einem neuen Kalten Krieg mit Russland warnt und dabei auch Nato-Verbündete kritisiert. Damit bedient Frank-Walter Steinmeier unterschiedliche Klientele.

Die Linkspartei spendet Beifall. Zugleich sehen auch Teile der deutschen Wirtschaft in einem Konfrontationskurs gegen Russland Nachteile für ihre Interessen. Darüber hinaus hat sich in den letzten Monaten auch in Teilen der Rechten und rechtsoffener außerparlamentarischer Bewegungen eine prorussische Stimmung breitgemacht. Dabei gibt es völlig unterschiedliche Beweggründe für diese Russlandbegeisterung.

Vor allem die Rechte sieht Putin-Russland als Garant einer illiberalen Demokratie, in der individuelle Rechte stark eingeschränkt oder abgeschafft sind. Auf der linken Seite hingegen wird vor allem 75 Jahre nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion daran erinnert, dass die Massenverbrechen, die ganz gewöhnliche Deutsche damals verübten, bis heute in Deutschland nicht wirklich registriert worden sind[6]. So gibt es nun auch erste Initiativen, die sich für einen Gedenkort[7] für die vielen ermordeten und verhungerten sowjetischen Staatsbürgern einsetzen[8].

Eine solche Diskussion ist nun keineswegs ein Grund, keine Kritik mehr an der Putin-Regierung zu üben. Sie ist aber ein Grund mehr, die bedingungslose Unterstützung für die ukrainischen Nationalisten zu kritisieren, wie sie von Politikern der Grünen wie Rebecca Harms seit den Maidan-Protesten zu beobachten war. Harms war es dann auch, die die Überlegungen von Steinmeier zur Entspannung gegenüber Russland gleich als Liebedienerei für Putin bezeichnete und vor einer Entsolidarisierung mit der Ukraine warnte.

Es wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass viele Opfer des deutschen Überfalls aus der Ukraine stammten. Dann muss aber auch erwähnt werden, dass ein Teil der historischen Stichwortgeber der ukrainischen Rechten, die heute sehr aktiv sind, auf Seiten derer standen, die sich als Kollaborateure der NS-Truppen an den Massenmorden an Kommunisten und Juden beteiligten. Ukrainer, die letzte Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz befreiten, waren dagegen Teil der Roten Armee.

Diese komplexe historische und politische Gemengelage wird zumindest keine rosa-rot-grünen Bündniskonzepte befördern. Da würden Rebecca Harms und ihre Freunde ein Veto einlegen. Aber Steinmeier könnte als Verfechter einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland und mit seiner Distanz zu manchen Tönen aus den Nato-Hauptquartieren in einer SPD nach Gabriel durchaus noch eine Rolle spielen. Diese Frage wird aber wohl erst nach den nächsten Bundestagswahlen wichtig, wenn es auch im Parlament für Rosa-Rot-Grün keine Mehrheit mehr gibt.

Regierungswechsel musste vor der Wahl erfolgen

Wenn es in der SPD noch Politiker gäbe, die diese Konstellation wirklich wollten, dürften sie eben nicht auf die nächsten Wahlen warten. Sie müssten an einer entscheidenden Frage, wie der Erbschaftssteuer, den Bruch mit der Union ansteuern, aus der Regierung austreten und mit den Stimmen von Linken und Grünen, die aktuell noch eine Mehrheit haben, einen SPD-Kanzler wählen, der dann eine Minderheitenregierung bildet und Neuwahlen anstrebt – Hier ist Rhodos, hier springe![9].

Dabei könnten wenige zentrale Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit und Entspannung in Europa drehen, im Mittelpunkt stehen. Ein solcher Paukenschlag könnte die politische Richtung ändern, wieder eine Mehrheit von Rosa-Rot-Grün im Parlament bringen und die AfD klein halten. Doch ein solcher Schritt ist weder von einem deutschen Sozialdemokraten noch von Grünen und Linken zu erwarten, wobei der Regierungswechsel an den Linken am wenigsten scheitern würde.

Für eine solche Regierung mit SPD, Linken und Grünen gibt es in Europa ein Modell, das ist Portugal. Dort regiert eine sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung von Parteien links von ihr. Sie hat zumindest einige besonders unsoziale Maßnahmen zurückgenommen.

Doch solange in Deutschland darüber diskutiert wird, ob ein Bundespräsident gewählt werden soll, der die Unterstützung des Lagers links von der Union hat – und selbst die SPD sich nicht dazu nicht bekennt – braucht über ein Szenario, die aktuelle rosa-rot-grüne Mehrheit für einen Regierungswechsel zu nutzen, gar nicht weiter diskutiert zu werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48627/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.tagesspiegel.de/politik/80-prozent-gegen-sigmar-gabriel-warum-die-odenwald-spd-gabriels-abwahl-fordert/13532504.html

[2]

http://www.spd-odenwald.de/index.php?nr=31581&menu=1

[3]

http://magazin.spiegel.de/SP/2016/25/145417418/index.html

[4]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-meister-der-verwirrung-kommentar-a-1098899.html

[5]

http://www.tagesspiegel.de/politik/koalition-findet-kompromiss-einigung-bei-der-erbschaftsteuer-fuer-firmenerben/13758226.html

[6]

http://www.taz.de/!5311392

[7]

http://www.gedenkstaettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rundbrief/rundbrief/news/initiative_gedenkort_fuer_die_opfer_der_ns_lebensraumpolitik

[8]

http://www.gedenkort-lebensraumpolitik.de

[9]

https://de.wikipedia.org/wiki/Hic_Rhodus,_hic_salta

„Verräter in unseren Reihen“

Taz und Spiegel machen geleakte NPD-Mails öffentlich, was auch zu der Frage führt, wie es hier mit dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre steht
Als hätte der Mailschreiber etwas geahnt. Unter dem Betreff „Verräter in unseren Reihen“ schreibt ein NPD-Funktionär an seine Kameraden: „Einer dieser Empfänger hat DEFINITIV Informationen an die Antifa weitergegeben, bzw. dessen ePost-Adresse wird von Antifas angezapft (Feind liest mit).“
   

Dass die Öffentlichkeit jetzt über das große Misstrauen in NPD-Kreisen informiert ist, lag am NPD-Leak, den neben dem Spiegel auch die Taz in ihrer Wochenendausgabe publik machte. Auf ihrer Homepage dokumentierte sie eine kleine Auswahl der ihr zugespielten ca. 60.000 Mails aus dem Innenleben der Rechtspartei. Laut Taz haben 6 Redakteure die Mails geprüft und darauf geachtet, dass persönliche Angaben und Namen von Personen, die bisher nicht im NPD-Kontext aufgefallen sind, unkenntlich gemacht wurden.

Sollte die veröffentlichte Auswahl repräsentativ sein, dann dreht sich ein Großteil der gehackten Mails um organisatorische Fragen. So wird mitgeteilt, dass der Mitschnitt einer Veranstaltung nun online gestellt ist und der Link bekannt gemacht werden soll. Ein anderes NPD-Mitglied schildert die Schwierigkeiten bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften für den Wahlantritt und klagt über die Inaktivität der eigenen Kameraden.

 

Bei der per Mail geführten Debatte über die Gestaltung von Informationsmaterial der NPD wurde auch nicht mit rechter Propaganda gespart. So heißt es in einen Kommentar des sächsischen NPD-Landesvorstandes zur Gestaltung einer Werbepostkarte: „Dennoch lege ich gesteigerten Wert darauf diesen ’schlicht(en) 30er-Jahre-Jargon‘ zu verwenden. Wenn wir ein Alleinstellungsmerkmal haben ist es „deutsch“ zu sein.“ Auch die internen Querelen werden in dem Mailverkehr deutlich. So wird die Absetzung eines Stützpunktleiters der Jungen Nationaldemokraten gefordert, der eine Einladung mit „Heil Germania“ unterschrieben hat.

Welche Folgen das NPD-Leak für die Partei ist noch offen. Die innerparteilichen Kritiker des NPD-Vorstandes dürften sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den mangelnden Schutz der Daten für ihre Zwecke zu nutzen, so wie sie es schon bei der Aufdeckung der Spitzel in den Parteigremien mit mäßigem Erfolg versucht haben.

Gilt das Recht auf eigene Daten auch für die NPD?

Die Aktion dürfte und sollte auch die Frage wieder auf die Tagesordnung setzen, ob das Recht auf die eigenen Daten auch für die NPD gelten soll. Im Dezember 2008 waren anlässlich des 25. Kongresses des Chaos Computer Club NPD-Seiten gehackt worden: Neben Zustimmung gab es damals mit Verweis auf das Datenschutzargument auch Kritik an der Aktion. Man könne nicht das Recht auf die eigenen Daten propagieren und es dann im Falle der NPD oder anderer extrem rechter Gruppierungen selber außer Kraft setzen, hieß es.

Zudem stellen sich bei dem NPD-Leak ähnliche Fragen wie bei den WikiLeaks-Veröffentlichungen. Wo beginnt die Privatsphäre und ist selbst bei größter Sorgfalt auszuschließen, dass auch Unbeteiligte an die Öffentlichkeit gezerrt werden? Darunter könnten auch Menschen sein, die aus Recherchegründen mit der NPD in Mailkontakt standen. Zudem stellt sich die Frage, welchen Nutzen die Mails von einem antifaschistischen Standpunkt haben. Selbst wenn man die organisatorischen Klärungen, um die es in dem Großteil der Kommunikation geht, bei Seite lässt, bleibt der Neuigkeitswert doch arg begrenzt. Dass die NPD auf das Alleinstellungsmerkmal „Deutsch“ Wert legt, war auch vor der Enthüllung kein Geheimnis. Auch der gar nicht immer kameradschaftliche parteiinterne Umgang füllt nun schon seit Jahren die Medien. So kann man sich durch das NPD-Datenleck noch einmal bestätigen lassen, was alle, die es interessiert, auch vorher wussten. Um die NPD politisch zu verorten und auch zu politisch bekämpfen, sind daher die Mails wohl ähnlich entbehrlich wie die Verfassungsschutzleute. 
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34188/1.html

Peter Nowak