Weniger Demokratie wagen

Die Empfehlungen des italienischen Ministerpräsidenten, sich in der europäischen Politik von den Parlamenten unabhängiger zu machen, ist schon längst Praxis

Zur Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Politiker vor dem Auseinanderbrechen der Eurozone und einem Ende des Euro warnen. Zu Wochenbeginn versuchte sich der italienische Ministerpräsident Mario Monti als Kassandra. In einem Interview mit dem Spiegel sparte er nicht mit düsteren Szenarien. „Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas“, so der italienische Ministerpräsident.

Wenn der Euro scheitert, dann so Monti, „sind die Grundlagen des Projekts Europa zerstört“. Natürlich hatten diese Warnungen einen bestimmten Zweck. In Zeiten des Quasinotstands sind auch besondere Politikmethoden angebracht, die Monti denn auch gleich benannte. „Wenn sich Regierungen vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden ließen, ohne einen eigenen Verhandlungsspielraum zu bewahren, wäre das Auseinanderbrechen Europas wahrscheinlicher als eine engere Integration.“ Die Reaktion der deutschen Politik ließ nicht lang auf sich warten.

Monti, Draghi und die italienischen Interessen

Die Akzeptanz für den Euro und seine Rettung wird durch nationale Parlamente gestärkt und nicht geschwächt“, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß der Rheinischen Post und vergaß nicht, Zensuren in Demokratiesimulation zu verteilen. Offensichtlich habe in Italien in den „unsäglichen Berlusconi-Jahren das Parlamentsverständnis gelitten“, keilte Poß. In Richtung Italien noch deutlicher wird der als Europaskeptiker bekannte, zum nationalliberalen Flügel der FDP gehörende Frank Schäffler: „Monti will seine Probleme auf Kosten des deutschen Steuerzahlers lösen und verpackt das in Europa-Lyrik“. Variiert er das Lamento deutsche Politiker von rechtsaußen bis in die SPD, dass Deutschland nicht der Zahlmeister Europas werden dürfe.

Die Parole stand vor einigen Wochen bei einer Protestaktion vor dem Reichstagsgebäude auf einem Transparent der NPD und wird in letzter Zeit von Bundestagsabgeordneten von CSU und FDP gegen Griechenland und nun auch Italien in Stellung gebracht. Die Monti-Schelte ist Teil dieser Politik. Hatte er doch in dem Spiegel-Interview auch v die jüngste Pressemitteilung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi gelobt, in der er den Euro auch mit den Mitteln der EZB verteidigen wollte. Diese Erklärung war von Politikern der Union und der FDP als Lizenz zum Schuldenmachen kritisiert worden.

Am weitesten wagte sich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrinth vor, der Draghi vorwarf, seinen Posten für die Durchsetzung italienischer Interessen zu missbrauchen. Besser hätte man Montis Befund von der psychologischen Auflösung der Eurozone nicht dokumentieren können. Die Monti-Schelte ist Teil dieses Konfliktes. Denn inhaltlich gibt es zwischen seiner Erklärung und der Praxis fast aller Länder in Europa kaum einen Unterschied.

Dass sich die Politik von dem demokratischen Korsett der Parlamente befreien soll, ist seit Jahren Praxis. Monti ist mit seinem Technokratenkabinett ein Prototyp dieser Entwicklung hin zu einer Politik, die neben dem Parlament auch den Einfluss von Gewerkschaften und sozialen Verbänden weitgehend ausschaltet. Dafür bekam Monti auch von der deutschen Politik lange Zeit viel Lob Erst als er sich nach dem Wahlsieg Hollandes in Frankreich mit Vorschlägen einer Lockerung des deutschen Spardiktats über Europa zur Wort meldete, geriet er in die Kritik deutscher Politiker und Medien.

Wenn sich in der letzten Zeit deutsche Politiker häufiger hinter dem Parlament und das Bundesverfassungsgericht verstecken, geht es auch um die Durchsetzung deutscher Interessen im EU-Raum, die natürlich besonders gut zu wahren sind, wenn deutsche Parlamentarier und Gerichte immer und überall mitzureden haben. Während hier also auf einmal das hohe Lied der parlamentarischen Demokratie angestimmt wird, die nicht angetastet werden dürfe, wurden bei der Durchsetzung der Spardiktate in Griechenland, Portugal und Spanien die Parlamente regelrecht entmündigt und die deutsche Politik war nicht etwa Kritikerin, sondern Förderin dieser Entwicklung.

Auch hierzulande ist die Tendenz erkennbar, wichtige Entscheidungen nicht mehr durch parlamentarische Mehrheiten, sondern durch nicht gewählte Expertenrunden auszuhandeln. Auch die in letzter Zeit von Politikern unterschiedlicher Couleur in die Diskussion gebrachten Volksbefragungen könnten zur Verfestigung autoritärer Herrschaftsformen jenseits des Parlaments beitragen. Wenn Monti jetzt von deutschen Politikern kritisiert wird, dann nicht wegen seiner demokratiefeindlichen Ideen, sondern wegen seiner finanzpolitischen Vorstellungen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152532
Peter Nowak