Ein Sieg der Rechten und eine Niederlage für die Deutsch-EU

Die Linke kann überhaupt erst wieder Ansehen entwickeln, wenn sie Abstand zu Figuren wie Renzi nimmt. Ein Kommentar zur Italien-Wahl

Kaum sind die italienischen Wahlen um, wird schon über mögliche Neuwahlen diskutiert. Das war in Italien in der Nachkriegszeit nichts Ungewöhnliches. Das Land hatte zahlreiche kurzlebige Regierungen in den 1960er bis 1980er Jahren, nachdem die Christdemokraten ihre Hegemonie verloren hatten.

Doch damals stand als Alternative eine nominal kommunistische, in der realen Politik sozialdemokratische Partei zur Verfügung. Nur wegen des K-Worts im Namen befassten sich Natostäbe, Gladio und auch der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn damit, um eine Regierungsbeteiligung dieser nominalkommunistischen Partei zu verhindern.

Damals gab es auch links von der seit jeher sehr staats- und systemtreuen KP eine breite Palette linker Bewegungen und Basisgewerkschaften. Ende der 1980er Jahre ordnete sich die politische Landschaft in Italien neu. Es begann der Aufstieg des Berlusconismus, der die vorher isolierten Mussolini-Anhänger wieder politikfähig machte und einen schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus propagierte.

Der sich als Selfmademann gerierende Großkapitalist, der über den Gesetzen steht, wurde zum Vorbild auch der armen und ausgebeuteten Menschen. Wenn sie auch keine Möglichkeit haben, Steuern zu hinterziehen, können sie immer noch auf eine ohne Genehmigung gebaute Hütte verweisen.

Der Berlusconismus hat die italienische Gesellschaft grundlegend verändert, wie auch das aktuelle Wahlergebnis zeigt. Es ist ein Erfolg auf ganzer Linie für die unterschiedlichen Rechtsformationen und eine Niederlage der von der Deutsch-EU propagierten Partei Mario Renzis.

Der Verschrotter wurde selber zum alten Eisen geworfen

Der als „Verschrotter der Linken“ auftretende Mario Renzi wurde nun selbst zum alten Eisen geworfen. Er hat in Italien schon lange an Renommée eingebüßt und wurde vor allem zum Hoffnungsträger der vom Hegemon Deutschland dominierten EU. Was er verschrotten wollte, waren der Sozialstaat und erkämpfte Arbeiterrechte.

Damit stand Renzi ganz im Einklang mit dem EU-Austeritätsprogramm. Dass die Zahl der Prekären wuchs, kam Deutschland zugute. Schließlich arbeiteten viele gut ausgebildete Arbeitskräfte in Deutschland im Niedriglohnsektor wie in der Gastronomie. In einigen Städten gab es schwierige Versuche, diese prekär Beschäftigte zu organisieren, wie es in Berlin die Migrant Strikers praktizieren.

Dass der Verschrotter des Sozialstaats Renzi überall als Linker durchgeht, zeigt eigentlich schon, wie groß der Rechtsruck in der italienischen Politik ist. Renzis neoliberale Partei, die sich als sozialdemokratisch bezeichnet, ist nun mit einen Stimmenanteil von um die 20 Prozent auf dem Niveau der aktuellen SPD angelangt.

Und das in einem Land, in dem vor 40 Jahren eine kommunistische Partei Wahlergebnisse von weit über 30 Prozent hatte und es daneben noch weitere linke und halblinke Parteien gab – in einem Land mit einer lebendigen außerparlamentarischen Linken, die sich bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua artikulierte. Der darauf folgende blutige Terror gegen die soziale Bewegung hat mit zu dem Rechtsruck beigetragen.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord als Rechtsformationen neuen Typs

Viele, die sich damals für eine linke Alternative in sozialen Zentren, in Basisgewerkschaften oder in Bewegungen gegen das Prekarität engagierten, zogen sich zurück oder gingen nach rechts. Das machte den Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung möglich. Nicht wenige von ihnen haben sich noch vor 20 Jahren in der Bewegung gegen Prekarität auf der Straße organsiert.

Nun wurden sie Teil einer neuen rechten Bewegung, die sich aber mit dem Slogan „Weder rechts noch links“ auch zur alten Rechten in Opposition befanden. Diese hatte sich mehr als 20 Jahre lang um Berlusconi gruppiert, nun ist im Rechtslager die Lega Nord zur stärksten Kraft geworden. Sie ist der Typus einer neuen europäischen Rechten und kooperiert mit dem Front National und der FPÖ.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich auf europäischer Ebene mit den nicht ganz so rechten Parteien in einem Bündnis befunden, in dem auch die AFD-Europaabgeordnete von Storch vertreten ist. Stärkste Gruppierung dort war die rechte britische UKIP-Partei, die mit dem Brexit ihre Mission erfüllt hat und verschwindet.

Seitdem ist auch das europäische Bündnis, in dem die Fünf-Sterne-Bewegung nun die stärkste Kraft ist, in der Krise. Die europäische Positionierung zeigt aber auf, dass hier zwei Rechtsformationen zur stärksten Kraft in Italien wurden. Dass das nicht unmittelbar zu einer stramm rechten Regierung führen wird, liegt an Macht- und Hegemoniekämpfen innerhalb dieser Rechten. Da gibt es einige grundlegende Differenzen.

Die Lega Nord entstand schließlich als rechte norditalienische Separatistenbewegung, die anfangs ihre Hauptagitation gegen die Menschen aus Süditalien führte und dabei nicht mit Stigmatisierungen und Rassismus sparte. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist hingegen in Süditalien stark.

Solche Spaltungen müssen kein Grund für einen langanhaltenden Bruch sein. Schließlich ist die Ablehnung der Migration eine Klammer für beide Bewegungen. Was aber fehlt, ist eine politische Figur im rechten Lager, die die unterschiedlichen Spektren zusammenhalten kann.

Berlusconi konnte den rechten Hegemon für eine längere Zeit spielen, heute nicht mehr. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass es erst zu Neuwahlen kommen wird, bis sich die unterschiedlichen Rechtsformationen zusammenraufen. Die sogenannte Linke wird auch dann keine große Rolle spielen. Mit Renzis Rücktritt ist dort erst einmal eine Personallücke entstanden.

Eindeutiger Verlierer ist die EU

Die Linke kann überhaupt erst wieder Ansehen entwickeln, wenn sie Abstand zu Figuren wie Renzi nimmt, die noch stolz darauf waren, als Merkels Schoßhündchen zu gelten.

Der Leiter des Europaprogramms der Bertelsmannstiftung Johannes Fritz-Vannahme hat in einem Deutschlandfunk-Interview gesagt, wer neben den Linken in Italien noch verloren hat:

Aber wir haben einen eindeutigen Verlierer: Das ist die Europäische Union. Das zeichnete sich übrigens in den Umfragen vor dieser Wahl, auch in den Umfragen der Bertelsmann-Stiftung deutlich ab. Da ist viel von Desillusionierung, Unzufriedenheit, Pessimismus, auch was die persönliche Lebensführung angeht, zu spüren gewesen. Und eine rekordniedrige Marke: Nur 56 Prozent der befragten Italiener waren noch für einen Verbleib ihres Landes in der EU. Das ist der absolute Minusrekord innerhalb der Europäischen Union.

Johannes Fritz-Vannahme, Deutschlandfunk
Der wirtschaftsfreundliche Experte benennt in dem Interview auch die Gründe für die Unzufriedenheit:

Der Zweckoptimismus des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Gentiloni, der noch vorher sagte, die Angstmacher, die werden nicht gewinnen, war halt nur Zweckoptimismus. Wir wissen das seit langem, dass die Unzufriedenheit wächst, und das durchaus aus guten Gründen, handfesten Gründen.

Es ist ja nicht nur eine Unzufriedenheit mit dem politischen Personal, sondern Italien findet, egal wer da nun in den letzten Jahren regiert hat, nicht so richtig raus aus einem Teufelskreis aus mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, Kapitalflucht, Armut, Arbeitslosigkeit, hoher Staatsverschuldung.

Fritz-Vannahme, Deutschlandfunk
Der Bertelsmann-Experte warnt auch vor der Selbstzufriedenheit einer von Deutschland bestimmten EU, die nach den in ihrem Sinne ausgegangenen Präsidentenwahlen in Frankreich schon glaubte, sie hätte endlich gesiegt.

Selbst im Brexit sieht die Deutsch-EU noch einen Erfolg, weil jetzt ein weiterer Kontrahent Deutschlands draußen ist. Doch wenn Vannahme sagt, die EU müsse sich mehr um Italien kümmern, kann man das durchaus als Drohung sehen.

Migration wird nun auch von Macron zum Problem erklärt

Dass Vannahme im italienischen Wahlergebnis auch einen Auftrag sieht, die EU-Außengrenzen besser zu sichern, macht deutlich, dass Rechts auch hier schon wirkt.

Auch der französische Präsident Macron hat nach den italienischen Wahlen die Migration zum zentralen Problem der EU erklärt:

Macron sagte in Paris, der Wahlausgang stehe im Kontext eines starken Migrationsdrucks. Italien habe unter der Einwanderung besonders gelitten. Die Politik dürfe in dieser Lage nicht nur hehre Ideen vertreten, sondern sie müsse auch auf die brutale Wirklichkeit reagieren.

Deutschlandfunk
Nun ist klar, dass solche Exponenten des Systems wie Vannahme und Macron hoffen, mit ein bisschen mehr Festung Europa wieder Vertrauen bei italienischen Wählern zu gewinnen. Sollte die Restlinke, bzw. die sich dafür hält, solche Rezepte übernehmen, wäre das die sichere Garantie, noch weiter zu verlieren.

Vielmehr sollte sie die Frage stellen, warum sie sich weiter für diese EU einsetzen soll. Kürzlich haben die Sozialdemokraten Heiner Flassbeck, ein ehemaliger Lafontaine-Vertrauter, und Jörg Bibow mit dem Buch Das Euro-Desaster, daran erinnert, wie die deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt.

In einem junge Welt-Interview in der letzten Woche wies Flassbeck auf die wichtige Rolle des italienischen Wahlausgangs für die Entwicklung der Eurozone hin.

Auch hier sind manche Prognosen über das schnelle Ende der Eurozone wohl eher Wunschbild als Realität. Was aber positiv an den Texten von Flassbeck und Bibow ist: Sie sehen nicht in der Migration, sondern in der deutschen Politik die Ursache auch für den Ausgang der italienischen Parlamentswahlen.

Zudem macht das Buch deutlich, dass ein solidarisches Europa nur gegen die von Deutschland dominierte EU-Zone zu erkämpfen möglich ist. Wenn sich die italienische Rest-Linke davon leiten ließe, wäre es ihr vielleicht sogar wieder möglich, eine stärkere Rolle zu spielen.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Ein-Sieg-der-Rechten-und-eine-Niederlage-fuer-die-Deutsch-EU-3986924.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/?p=536
[2] https://berlinmigrantstrikers.noblogs.org
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/
[4] http://www.deutschlandfunk.de/wahlausgang-in-italien-eindeutiger-verlierer-ist-die.694.de.html?dram:article_id=412232
[5] http://www.deutschlandfunk.de/italien-macron-wertet-wahlausgang-als-reaktion-auf.2932.de.html?drn:news_id=857899
[6] http://www.flassbeck.de/
[7] http://www.levyinstitute.org/scholars/jorg-bibow
[8] https://www.westendverlag.de/buch/das-euro-desaster/
[9] https://www.jungewelt.de/artikel/328213.vielleicht-erleben-wir-das-ende-schon-am-montag.html

Rechte Merkel-Gegner marschieren wieder

Knapp 300 Teilnehmer beteiligten sich am Samstag unter dem Motto „Merkel muss weg – Nein zur GroKo“ an dem sechsten Aufmarsch der rechten Bewegung „Wir für Deutschland“ (WFD).

Auf dem Marsch durch die Berliner Innenstadt skandierten die rund 300 Personen Parolen wie „Wir sind das Volk“ und „Festung Europa – macht die Grenzen dicht“ Auf einem Schild wurden Polizei und Bundeswehr aufgerufen, der Regierung den Gehorsam zu verweigern.

Hauptakteur der WFD-Demonstration unter dem Motto „Merkel muss weg – Nein zur GroKo“ am Samstag war der im brandenburgischen Hohen Neuendorf geborene Enrico Stubbe. Er trat 2015 erstmals bei rassistischen Aufmärschen in Berlin-Marzahn in Erscheinung und beteiligt sich seitdem auch regelmäßig an den „Bärgida“-Aufmärschen, den Berliner Pegida-Ableger. Bundesweit für Schlagzeilen sorgte der ehemalige „pro Deutschland“-Funktionär Stubbe, als sich an der ersten von ihm organisierten Demonstration „Wir für Berlin & Wir für Deutschland“ über 3000 Teilnehmer beteiligten, darunter Funktionäre der unterschiedlichen ins sich zerstrittenen rechten Kleinparteien.

Die einigende Klammer „Merkel muss weg“ konnte aber nicht verhindern, dass die Aufmärsche immer kleiner wurden. In einer auf Facebook verbreiteten Erklärung distanzierten sich die Demo-Organisatoren von einigen Teilnehmern, die wegen Zeigens des Hitler-Grußes und Vermummung von der Polizei festgenommen worden waren. „Wer der Meinung ist, er hat Probleme seinen rechten Arm in der Öffentlichkeit zu kontrollieren und sich bis zum Haaransatz vermummen muss, sollte zukünftig sich selber einen Gefallen tun und solchen Veranstaltungen fernbleiben“, heißt es da. Nicht distanzieren wollte man sich auf Facebook von Einträgen, in denen es heißt: „Die Jagd auf die Bestie ist eröffnet. Ganz Europa will Merkel schlachten“. Bereits am Sonntagabend will die rechte Bewegung „Wir für Deutschland“ erneut auf die Straße gehen und ruft zum „1. Merkel muss weg-Spaziergang“ in Berlin auf. Zeitgleich wollen auch in Hamburg extreme Rechte unter dem Motto auf die Straße gehen.

aus. blick nach Rechts

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/rechte-merkel-gegner-marschieren-wieder

Peter Nowak

Kiezspaziergang gegen Google und Co.

„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen sowieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg häufig skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus am Schlesischen Tor. Anfangs war es nur eine kleine Gruppe, die sich dort versammelt hatte. Doch beim Zug durch Kreuzberg schlossen sich weitere AnwohnerInnen dem Spaziergang an, der schließlich auf ca. 150 Menschen angewachsen ist. Darunter waren auch Menschen aus Spanien und der USA, die erst kürzlich nach Berlin gezogen waren und aus ihren Heimatstädten bereits Erfahrungen mit der Gentrifizierung von Stadtteilen durch Technologieunternehmen machten.

RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht, was sich im Motto „Kiezspaziergang gegen Google und Co. ausdrückte. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der boomende Online-Versandhandel Zalando eine neue Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag verdeutlicht, dass nicht nur MieterInnen mit geringen Einkommen durch Google und Co. verdrängt werden. So soll der Privatclub schließen, weil sich MitarbeiterInnen der in den Gebäude befindlichen Start-Up-Unternehmen über den Lärm beschwert haben, der mit Konzerten und Partys verbunden ist. Gekauft wurde das ehemalige Postgebäude von den Internet-Unternehmern Marc und Oliver Samwer. Sie gründeten 2007 das Unternehmen Rocket Internet, das sich als weltweit agierende Start Up-Fabrik versteht. „Die Samwers sind binnen kurzer Zeit Globalplayer geworden, ihre Start Ups erobern alle Kontinente. In vielen Teilen der Welt ist Rocket das neue Synonym für Internet made in Germany“, schreibt das Handelsblatt bereits vor 5 Jahren. In Kreuzberg sind die Samwer-Brüder zum Synonym für Verdrängung und Vertreibung geworden.


Solidarisch mit dem Kampf der Beschäftigten von Amazon

Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) stellte in einen Redebeitrag klar, dass ihr Protest sich nicht die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP ist auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einen Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde in der Demonstration getragen. Der Spaziergang endete vor dem ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße, wo voraussichtlich im August 2018 der Google-Campus eröffnet werden soll. „Es war der erste Kiezspaziergang gegen Google und Co. und da waren wir mit der Resonanz zufrieden“, zog eine Mitorganisatorin gegenüber MieterEcho Online ein positives Fazit. Doch sie stelle auch klar, dass in den nächsten Wochen die Proteste größer werden, müssen, wenn das Ziel erreicht werden soll. Der Kiezspaziergang zog auch durch die Wrangelstraße, wo im Sommer 2015 AnwohnerInnen monatelang einmal in der Woche auf die Straße gegangen sind, um die Schließung eines Gemüseladens zu verhindern. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, als der Kiezspaziergang vorbeizog, hatten sich vor drei Jahren an den Protesten der Initiative Bizim-Kiez beteiligt. Es wird sich zeigen, ob sie für den Protest gegen Google zu gewinnen sind. Eine Mitorganisatorin des Kiezspaziergangs betont aber auch, dass es der Kampagne „Google Campus verhindern“ nicht darum geht, allein Kreuzberg gegen den Angriff der Internetkonzerne zu schützen. Ihnen gehe es um eine grundsätzliche Kritik an diesen Konzernen. „Daher sagen wir nicht, Google solle doch nach Adlershof und nicht Kreuzberg hinziehen. Nein wir sagen, Google und Co. soll nirgend willkommen sein.“

aus: MieterEcho online

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/google-kiezspaziergang.html

Peter Nowak

Weil zu wenige profitieren

Erster Kiezspaziergang gegen den geplanten Google-Campus am Samstag in Kreuzberg

„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen so- wieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus. RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der Online-Versandhandel Zalando eine Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag moniert, dass die angesagte Location Privatclub schließen soll. MitarbeiterInnen der in dem Gebäude befindlichen Start- up-Unternehmen hatten sich über den Lärm beschwert, der mit Konzerten und Partys ver- bunden ist. Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) betontein ihrem Redebeitrag, dass ihr Protest sich nicht gegen die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP war auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einem Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde getragen. Anfangs war die TeilnehmerInnenzahl des Spaziergangs recht bescheiden. Doch auf der Strecke schlossen sich weitere AnwohnerInnen an, die Zahl der Personen wuchs schließlich auf knapp 150. Cornelia Möller, die den Protest mit vorbereitet hat, zeigte sich mit der Resonanz zufrieden: „Doch in den nächsten Wochen müssen die Proteste bei hoffentlich besserem Wetter weitergehen und wachsen“, betonte Möller gegenüber der taz. Dass da noch Potenzial nach oben ist, zeigte sich beim Gang durch die Wrangelstraße. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, hat- ten im Sommer 2015 als Teil der Bizim-Initiative wochenlang gegen die Kündigung eines Gemüseladens in der Nachbarschaft protestiert.

aus: montag, 5. märz 2018 taz

Peter Nowak

Erneut Protest gegen Campus von Google

Seit Monaten wird auf Transparenten und Plakaten gegen die Ansiedlung eines Google-Campus protestiert. Jetzt gingen die Gegner des Internetkonzerns in Kreuzberg wieder auf die Straße. Bereits am Freitag machten Anwohner zwischen 18 und 19 Uhr in der Nachbarschaft im Reichenberger-Kiez ihren Unmut über den geplanten Zuzug Luft. Beim Kiezspaziergang am Samstag stellten verschiedene Redner die Google-Pläne in einen größeren Zusammenhang. Einen Stopp machte der Kiezspaziergang an der ehemaligen Cuvrybrache. Dort steht hinter Zäunen der Rohbau für die Zentrale Zalandos. Auch an einer ehemaligen Poststation zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof gab es Redebeiträge. Dort soll der Privatclub verschwinden. Auf dem Spaziergang hieß es, man wolle dagegen kämpfen, dass in Kreuzberg Startups der rote Teppich ausgelegt werde, während Clubs, kleine Läden und Mieter, die nicht genug Geld haben, verschwinden müssen. Die Google-Gegner haben für die nächsten Wochen weitere Proteste in Kreuzberg angekündigt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1081348.erneut-protest-gegen-campus-von-google.html

Peter Nowak

Der Frieden von Afrin wird auch von der deutschen Politik bedroht

Offenbar im Interesse der deutschen Politik wird zunehmend gegen Symbole und Veranstaltungen kurdischer Organisationen repressiv vorgegangen

Friedenstauben werden heute als politisches Agitationsmittel eher selten eingesetzt. Kaum noch jemand kann sich heute vorstellen, dass sie in den 1950er Jahren, als Picasso sie für die Weltfriedensbewegung kreiert hat, als subversiv galten. In vielen Ländern mit rechten Regierungen war die Friedenstaube als kommunistisches Symbol verboten. Heute wird sie von jüngeren Linken oft belächelt und als naiv abgetan. Doch in den letzten Wochen fand man wieder Plakate mit der Friedenstaube und dem Motto „Frieden für Afrin“ auf Häuserwänden. Aufgerufen dazu hat ein Solidaritätskomitee mit der von türkischen Militärs und ihren islamistischen Hilfstruppen belagerten nordsyrischen Stadt, in der die kurdischen Konföderalisten ein alternatives Rätemodell mit Unterstützung großer Teile der Bevölkerung einführt haben.

In dem Demonstrationsaufruf wird darauf eingegangen:

„Afrin ist eines der drei demokratisch selbstverwalteten Gebiete, die die Demokratische Föderation Nordsyrien umfasst. Seit 2012 wird hier das Projekt des Demokratischen Konföderalismus trotz Krieg und Embargo aufgebaut. Dieses strebt die gleichberechtigte Selbstverwaltung und demokratische Selbstbestimmung von Ethnien, Religionen und Geschlechtern an. Unter der Führung von Frauen findet ein Aufbruch statt, der für die gesamte Region richtungsweisend sein und ein Lösungsmodell für jahrzehntealte Konflikte darstellen kann. Dieses Projekt, das Hoffnung auf ein friedliches und demokratisches Syrien macht und einen positiven Effekt auf die gesamte Region haben kann, verdient unsere Unterstützung. Die türkischen Angriffe jedoch unterhöhlen die Chance auf eine baldige Lösung im syrischen Konflikt, sie destabilisieren die gesamte Region weiter, führen zu noch mehr Leid und Flucht. Vor allem die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen in Afrin sind ernsthaft mit der Gefahr eines Völkermords konfrontiert.“

Während der Demo starben 36 Verteidiger von Afrin

Das auf den ersten Blick naive Motiv der Friedenstaube wurde in den vergangenen Wochen bereits bei Solidaritätsdemonstrationen mit Afrin in andern Städten verwendet. Dass der Aufruf „Frieden für Afrin“ für die Demoteilnehmer, viele haben Freunde und Verwandte in dem Gebiet, sehr dringlich war, zeigten die Meldungen, dass just in dieser Zeit durch Bombardierungen der türkischen Armee 36 Afrin-Verteidiger gestorben sind. Wie viele Zivilisten umgekommen sind, wurde nicht bekannt.

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

Wenn hinten, weit, in der Türkei,

Die Völker aufeinander schlagen.“

Doch es geht nicht um einen Konflikt irgendwo auf der Welt. Goethes Biedermeieridylle war schon immer reaktionär. Aber nie war eine solche Denkweise anachronistischer als in Zeiten, in denen deutsche Waffenlieferungen selbst in den Zeiten florierten, als das offizielle deutsch-türkische Verhältnis auf einen Tiefpunkt war. Nachdem der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel aus türkischer Geiselhaft freigelassen wurde, könnte die deutsch-türkische Waffenpartnerschaft noch intensiviert werden.

Ob es dabei einen Deal und einen Junktim zwischen deutschen und türkischen Politikern gab, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Politiker beider Länder die Waffendeals wollen und froh sind, dass sie sich dazu jetzt auch wieder offener bekennen können. Die Debatte über einen angeblichen Deal unterstellt mal wieder, deutschen Politikern musste von dem Erdogan-Regime da was abgerungen werden. Deutsche Politiker mussten Zugeständnisse machen. Damit wird die Erzählung von der Übermacht Erdogans tradiert, der der deutschen Politik Forderungen aufoktroyiert.

Damit wird unterschlagen, dass hier nur Forderungen umgesetzt werden, die von maßgeblichen Kreisen der deutschen Wirtschaft und Politik auch forciert werden. Sie konnten gar nicht erwarten, ihr Türkeigeschäft jetzt wieder ganz offensiv fortsetzen zu könne.

Demokratieeinschränkungen von kurdischen und türkischen Aktivisten in Deutschland

Dieses Interesse der deutschen und türkischen Politik betrifft auch die Repression gegen Symbole kurdischer und türkischer Organisationen, die im Visier der türkischen Militärs sind. Größere Debatten gab es erst, als auch deutsche Staatsbürger betroffen waren.

So ermittelt der Staatsschutz gegen den Münchner Musiker Johannes König, weil der auf via Facebook einen Kommentar des Bayerischen Rundfunks zu einer Polizeirazzia in zwei Münchner Wohnungen geteilt hat, in denen es um das Posten von Fahnen der syrisch-kurdischen YPG ging, also genau der Organisation, die das türkische Militär gemeinsam mit den Islamisten vernichten. Der Bayerische Rundfunk hatte die inkriminierte Fahne zur Veranschaulichung in einem Foto im Internetangebot beigefügt. Weil König auch dieses Foto mitgeteilt hat, wird nun auch gegen ihn ermittelt.

Doch manchmal braucht es keine Symbole, damit Polizei und Staatsschutz aktiv werden. So rückte am 20. Februar ein Polizeikommando beim linken Tagungshaus Meuchefitz im Wendland ein und beschlagnahmte ein Transparent mit der Aufschrift „Afrin halte durch! Türkische Truppen und deutsche Waffen morden in Rojava. Es lebe die YPG!“ Für viele aus dem Tagungshaus war es nicht die erste Razzia und hatte daher keine abschreckende Wirkung.

Repression gegen Kurden weniger beachtet

Kaum berichtet wurde aber, dass der Staatsschutz bei einigen kurdischen Familien im Wendland aufgelaufen ist, die sich im Solidaritätskomitee für Afrin engagieren wollten, und sie warnten, sich bloß nicht mit deutschen „Linksradikalen“ einzulassen. Die haben sich aus Angst vor möglichen Konsequenzen erst einmal zurückgezogen.

Nicht nur im Wendland macht die Einschränkung von Grundrechten für Kurdinnen und Kurden wenig Schlagzeilen. Auch die ständigen Demonstrationsverbote erregen wenig Aufmerksamkeit. So wurde Anfang Februar eine wesentlich von Kurden getragene Demonstration gegen den türkischen Angriff auf Afrin mit der Begründung verboten, es könne Störungen wegen der Karnevalsveranstaltungen geben, die an diesem Tag auch in der Stadt gab. Der Jurist Jaspar Prigge kommentierte das Demonstrationsverbot so:

Die Entscheidung der Polizei ist mit Blick auf den hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit in hohem Maße bedenklich. Es ist nicht nachvollziehbar, welche Gefahren die Polizei sieht, da ist die Begründung ziemlich dünn. Dass Karneval ist, dürfte für sich genommen ein Verbot schwerlich rechtfertigen.

Rechtsanwalt Jasper Prigge, Neues Deutschland

Tatsächlich gingen die Demonstrationsverbote auch nach Ende des Karnevals weiter. So berichtete der kurdische Verein Nav Dem in einer Pressemitteilung, dass ihr die Organisierung von Demonstrationen generell verboten wurde:

In den genannten Verfügungen wird das Demonstrationsverbot damit begründet, dass es sich bei dem größten kurdischen Dachverband in Deutschland NAV-DEM um eine Nachfolgeorganisation der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans handele, wodurch das Recht, ‚öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und durchzuführen‘, verwirkt sei.

Nav Dem
Der Vereinssprecherin Ayten Kaplan sah hier nur einen Höhepunkt der Repression gegen kurdische Aktivisten in Deutschland:

Seit Beginn des Besatzungskrieges auf Afrin finden unter großer Beteiligung überall in Deutschland Proteste und Demonstrationen statt. Auf diesen Protesten wird nicht nur der Krieg der türkischen Armee und ihrer dschihadistischen Verbündeten gegen die Bevölkerung von Afrin verurteilt, sondern auch die Waffenunterstützung Deutschlands für die Türkei. Der Einsatz von deutschen Panzern beim Angriff auf Afrin ist hinlänglich bekannt. Die Bundesregierung scheint sich daran zu stören, dass wir öffentlich auf die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft aufmerksam machen. Deswegen sollen wir mundtot gemacht werden. Die Verbotsverfügungen aus Köln stellen nicht nur die Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit für hier lebende Kurdinnen und Kurden dar. Sie kommen auch einem politischen Betätigungsverbot für die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland gleich.

Nav Dem-Vorsitzender Aytan Kaplan

Sie machte auch darauf aufmerksam, dass es hier nicht um das übereifrige Verhalten von Polizei und Staatsschutz handelt. Die Kölner Polizei habe Nav Dem mitgeteilt, dass die Verbote auf einem Erlass des Bundesinnenministeriums basieren. Aytan Kaplan sei auch von der Polizei mitgeteilt worden, sie brauche keine Demonstrationen mehr anzumelden. Sie würden sowieso verboten.

Da ist es schon als Erfolg zu werten, dass auf der Großdemonstration am Samstag in Berlin nur einige inkriminierte Symbole beschlagnahmt wurden. Doch es wird auch deutlich, dass es hier nicht nur um einen Krieg im Westen Syriens geht, dass es auch nicht nur um den Einfluss von Erdogan auf die deutsche Politik. Es geht um die deutsch-türkische Kooperation bei dem Waffenhandel wie bei den Einschränkungen demokratischer Grundrechte für türkische und kurdische Oppositionelle in beiden Ländern.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Der-Frieden-von-Afrin-wird-auch-von-der-deutschen-Politik-bedroht-3986067.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://solidaritaetskomiteemitafrin.blackblogs.org/
[2] http://solidaritaetskomiteemitafrin.blackblogs.org/
[3] http://tkhh.blogsport.eu/archive/391
[4] http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3664/5
[5] https://www.vice.com/de/article/d3w59k/der-staatsschutz-ermittelt-gegen-diesen-munchner-weil-er-einen-artikel-uber-kurden-geteilt-hat
[6] https://www.facebook.com/johannes.konig.7
[7] https://www.br.de/nachrichten/oberbayern/inhalt/sympathie-mit-kurden-miliz-muenchner-polizei-durchsucht-wohnungen-100.html
[8] https://www.freie-radios.net/87642
[9] http://meuchefitz.de/category/aktuelles/
[10] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1079082.afrin-krieg-keine-kurden-zu-karneval.html
[11] http://navdem.com
[12] http://navdem.com/kniefall-vor-erdogan-bundesregierung-verbietet-antikriegsproteste/

Oktoberrevolution und Stalinismus

"Sie haben in der langen Nacht der Stalinschen Despotie die Sprache des revolutionären Marxismus restlos und hoffnungslos verlernt.“

In nicht wenigen Ländern sind sich selbst als KommunistInnen verstehende Menschen mit Stalinporträts zum Gedenken an die Oktoberrevolution auf die Straße gegangen.
Dabei feiern…

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Paarweise undogmatisch

Neuerscheinungen von Emmy und Roman Rosdolsky

„Mit permanenten Grüssen“ ist eine merkwürdige Form, sich in einen Brief zu verabschieden. „Paarweise undogmatisch“ weiterlesen

Gefängnisse als Sonderwirtschaftszonen

In den meisten Bundesländern sind Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Die Beschäftigten arbeiten zu Dumpinglöhnen und haben fast keine Rechte. Die Gefangenengewerkschaft GG/BO will das ändern.

Die Bundesländer verdienen Geld mit der Arbeitskraft von Häftlingen

»Im Auftrag externer Kunden bieten wir in großzügig dimensionierten Produktionshallen in der Abteilung Groß Hesepe folgenden Service an: Be- und Verarbeitung von Kunststoffen, Metallen und anderen Materialien, Montage- und Verpackungsarbeiten. Profitieren Sie von unseren fairen Preisen und unserer langjährigen Erfahrung.« Dieser Text hört sich zunächst wie ein übliches Dienstleistungsangeboten an. Der Eindruck wird noch durch das Foto einer großen Lagerhalle mit vielen Paletten verstärkt.

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„Wissenschaftsethisch halte ich diesen ganzen Verharmlosungsdiskurs für eine Katastrophe“

Das "Diesel-Urteil" des Bundesverwaltungsgerichts und die Wissenschaft. Interview mit Wolfgang Hien vom Bremer Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie

Telepolis sprach mit Wolfgang Hien[1] vom Bremer Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie. Hien beschäftigt sich mit Gesundheitsbelastungen innerhalb der Wohn- und Arbeitswelt. Im VSA-Verlag ist sein Buch „Kranke Arbeitswelt“[2] erschienen.

Hat nicht auch die Umweltwissenschaft versagt,…

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Auch Grüne unterstützt Zuzugstopp für Migranten in Pirmasens

Sinnvoll wäre nicht eine moralische Kritik, sondern eine Bewegung für die sozialen Rechte aller Menschen wie in Spanien

„Herzlich Willkommen“, steht auf der Homepage von Pirmasens in der Pfalz. Doch der Gruß gilt nicht für alle. Denn nun macht die Stadt bundesweit Schlagzeilen, weil sie den Zuzug von anerkannten Migranten ohne Arbeit und Ausbildung stoppen will. Solche Maßnahmen wurden in den letzen Wochen in Cottbus und Freiberg ebenfalls verhängt.

Doch das Besondere im Fall Pirmasens ist, dass die Zuzugssperre mit dem Integrationsministerium in Rheinland Pfalz abgesprochen ist, das von der Grünen-Politikerin Anne Spiegel geleitet wird.

Ausnahmesituation in Pirmasens?

Eine Amtsträgerin mit Grünen-Parteibuch wird wissen, dass Zuzugssperren für Migranten bei Teilen der eigenen Basis äußerst kritisch beurteilt werden. Sicherlich gäbe da auch Proteste, wenn ein CDU-Politiker einen Zuzugstopp zu verantworten hätte. Daher hat Spiegel die Maßnahme auch mit einer Ausnahmesituation begründet:

„Wir sind bereit, Pirmasens kurzfristig zu helfen, da es dort eine besondere Situation gibt“, erklärte Integrationsministerin Anne Spiegel nach einem Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden auf Arbeitsebene in Mainz. Pirmasens vermelde nicht nur einen besonders hohen Zuzug von Flüchtlingen, sondern befinde sich auch in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, was den Integrationsprozess nachweislich erschwere.

„Wir sind grundsätzlich offen dafür, in diesem speziellen Fall eine Zuzugssperre für anerkannte Asylbewerberinnen und Asylbewerber und subsidiär geschützte Flüchtlinge zu ermöglichen“, erläuterte die Ministerin. Auf Arbeitsebene sollen nun rasch alle notwendigen Aspekte geklärt werden, um eine solche Zuzugssperre zügig umsetzen zu können.

Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz, Rheinland-Pfalz

Nun ist Pirmasens unbestritten eine schrumpfende Stadt. Die Einwohnerzahl verringerte sich von über 60.000 im Jahr 1960 auf mittlerweile knapp 40.000. Die Ursache liegt in der Deindustralisierung der Region. Die Räumung des US-Stützpunktes im Jahr 1997 wurde in der Region als weiterer Ausdruck der Krise wahrgenommen.

Eine ähnliche Situation gibt es auch in Kaiserslautern, das knapp 35 Kilometer von Pirmasens entfernt liegt. Der Journalist Christian Baron hat in seinen Buch Proleten, Pöbel, Parasiten die Stimmung bei den Zurückgebliebenen gut beschrieben. Danach käme man nicht auf die Idee, diese Gegend für Migranten zu empfehlen.

Nun gibt es ja gelegentlich Überlegungen, dass solchen Krisenregionen in Ost- und Westdeutschland besonders für die Ansiedelung von Migranten geeignet wären. Begründet wird das mit vielen leeren Wohnungen. Anders als in Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München könnten sicherlich in Pirmasens Menschen schnell eine Bleibe finden. Gerade wegen der niedrigen Mieten ziehen viele Migranten nach Pirmasens, und nicht weil sie die Stadt so attraktiv finden.

Gelegentlich wird auch die Ansicht geäußert, dass der Zuzug von Menschen in solchen wirtschaftlich abgehängten Gebieten auch ökonomisch von Vorteil sei. Nur zeigt auch das Beispiel Pirmasens, dass die Voraussetzung Wirtschaftsprogramme mit finanzieller Förderung wären. Es wäre eben äußerst naiv zu glauben, in schrumpfenden Städten und Regionen wäre Migration eine Konjunkturspritze.

Denn der Rückgang von Industrie und Einwohnern ist mit großen finanziellen Belastungen, einem Ausfall von Steuern und Abgaben und dem Wegfall von sozialen Einrichtungen, Bibliotheken und anderem verbunden. In den meisten Fällen ziehen aus solchen Regionen vor allem jüngere Menschen weg.

Diejenigen, die nicht weg können und wollen, sehen in den Migranten dann oft Konkurrenten und seien es nur bei den Essenstafeln. Das ist dann eine Gemengelage, in der die AfD und ähnliche Gruppierungen auf Zustimmung stoßen. Es wäre aber kurzschlüssig, dann nur den Rassismus zu kritisieren und nicht die soziale Situation.

Kaum Kritik an Zuzugssperre in Pirmasens

Wenn es in solchen abgehängten Regionen noch funktionierende linke Gruppen gibt, müssten sie soziale Rechte für alle unabhängig von der Herkunft fordern. Wenn linke Gruppen solche Regionen erst entdecken, wenn sie Meldungen über Zuzugssperren hören und dann vor allem den Rassismus kritisieren – und ansonsten in den Wohlfühlzonen der großen Städte leben -, werden sie wenig erreichen können. Veränderungen müssten vor allen von regionalen Initiativen kommen.

Sowohl in Freiberg als auch in Cottbus wurde die Zuzugssperre von Initiativen kritisiert, die vor Ort mit Migranten arbeiten. Interessant ist, dass die Kritik nach der Zuzugssperre in Freiburg bundesweit vernehmbar war. Im Fall von Pirmasens spricht selbst die Taz von einer Notbremse.

Nun ist jede Zuzugssperre, wenn man vom Recht auf Mobilität für alle ausgeht, eine Einschränkung dieses Rechts. Nur wäre es auch traumtänzerisch, die soziale Situation in den Regionen einfach auszublenden. Hier müsste auch die Kritik ansetzen. Es gibt weltweit Modelle, wo Gelder aus ökonomisch starken in ökonomisch abgehängte Regionen geflossen sind, um dort die soziale Infrastruktur und die Lebenssituation der dort lebenden Menschen zu verbessern.

Eine solche Politik wurde in der Sowjetunion und in Jugoslawien in der Gründungsphase praktiziert, aber in den 1960er und 1970e Jahren auch in Italien. Der Transfer von Geldern in das verarmte Süditalien war dann wieder der Grund für einen Wohlstandschauvinismus der „reichen Provinzen“ aus dem Norden. Die rechte Lega Nord hetzte anfangs besonders gegen die Bewohner aus dem Süden des Landes, bevor sie den Kampf gegen die Migranten auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Nun müssen sich separatistische Bewegungen aus reichen Regionen generell die Frage stellen, ob nicht ein Grund für die Loslösungsbewegung auch die Weigerung ist, für die Schwestern und Brüder in den ärmeren Regionen zu bezahlen. Selbst die sich links gebende katalonische Unabhängigkeitsbewegung ist vor diesen Fragen nicht gefeit.

Grenzenlose Solidarität ist mehr als Antirassismus

Da war es schon eine erfreuliche Überraschung, dass am 28.2. von Initiativen aus dem spanischen Staat wieder mal eine länderübergreifende Solidaritätsaktion initiiert wurde, in der es nicht um das Recht auf Lostrennung und um einen eigenen Staat ging.

Mieterbündnisse riefen zu einer Kundgebung vor der spanischen Botschaft auf, um sich mit den Forderungen der Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH) zu solidarisieren. Die Plattform hatte zu diesem transnationalen Aktionstag aufgerufen, um Druck auf die rechte spanische Regierung auszuüben.

Diese blockiert einen vom PAH eingebrachten Gesetzentwurf, der Zehntausenden von Mietern in Spanien mehr Rechtssicherheit geben würde. Unter anderem soll folgendes festgeschrieben werden:

Banken dürfen keine Kredite mehr vorgezogen kündigen
Es soll eine Regulierung und Mieterschutz eingeführt werden, kommunale Wohnungen und Sozialwohnungen für arme Familien
Alle Zwangsräumungen werden ausgesetzt
Das Verbot von Leerstand und die Zuweisung leerstehenden Wohnraums durch die Kommunen an Familien ohne Wohnung
Die Sicherstellung der Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gas auch für arme Familien, die Zahlungsrückstände haben.
Die spanische Initiative sollte aber Linke in Deutschland nicht nur zu Solidaritätskundgebungen anregen. Enthält der Maßnahmenkatalog nicht einige Punkte, die auch in vielen Städten in Deutschland sehr aktuell wären?

Ein Zwangsräumungsmoratorium wird nicht mal in Berlin von der außerparlamentarischen Linken diskutiert, obwohl dort aktuell eine Senatorin der Linkspartei regiert: Auch die Sicherstellung der Grundversorgung für alle, unabhängig, ob sie Zahlungsrückstände haben oder nicht, wäre in Pirmasens genau so aktuell wie in Berlin und anderen Städten.

Gäbe es Bündnisse, die solche Forderungen aufstellen und auch bereit wären, dafür Druck zu machen, stünde die Linke auch in Deutschland besser da. Dann könnte sie auch mehr Zugang zu einkommensarmen Menschen bekommen und dann wäre es auch möglich, mit ihnen darüber zu diskutieren, dass ein Kampf um soziale Rechte nicht auf Nation und Herkunft begrenzt ist.

Doch bisher ist eine solche Bewegung höchstens in manchen Großstädten in Ansätzen vorhanden, in ökonomisch abgehängten Städten wie Pirmasens ist sie nahezu unbekannt.

https://www.heise.de/tp/features/Auch-Gruene-unterstuetzt-Zuzugstopp-fuer-Migranten-in-Pirmasens-3983871.html

Peter Nowak

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[9] https://jule.linxxnet.de/index.php/2018/01/zuzugssperre-freiberg-auf-den-spuren-von-donald-trump/
[10] http://www.taz.de/!5488458/
[11] https://pahbarcelona.org/ca/
[12] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/2018/02/22/solidaritaet-mit-der-pah-28-02-16-uhr-kundgebung-vor-der-spanischen-botschaft/