Wo beginnt für die deutsche Justiz der Antisemitismus?

Weiterer Antisemitismusstreit

Freispruch von AfD-Politiker könnte für neuen Zwist in der AfD sorgen

Am gestrigen Dienstag hat das Amtsgericht Prenzlau den AfD-Kreisvorsitzenden der Uckermark Jan-Ulrich Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Weiß hatte 2014 auf Facebook eine Karikatur des Investmentbankers Rothschild verbreitet, der dort mit antisemitischen Attributen dargestellt wurde. Die Collage zeigt  Mr. Burns aus der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“ und ist mit der Zeile versehen: „Hallo, mein Name ist Jacob Rothschild“. Im weiteren Text wird der Familie Rothschild unterstellt, weltweit Regierungen und Zentralbanken zu steuern und für Kriege verantwortlich zu sein.

In der Antisemitismusforschung  wird nachgewiesen, dass es sich dabei um antisemitische Topoi handelt. Doch das Prenzlauer Gericht  sah in der Karikatur keinen antisemitischen Bezug und sprach Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Der Staatsanwalt hatte eine Geldstrafe von 5000 Euro gefordert.

Der Freispruch  dürfte wohl noch zum Streit in der AfD führen. Die Brandenburger AfD hatte die Karikatur als antisemitisch bezeichnet und wollte Weiß im Eilverfahren aus der Partei ausschließen. Zu den Befürwortern eines schnellen Ausschlusses zählte auch der Brandenburger AfD-Chef  Alexander Gauland. Doch er scheiterte in zwei Instanzen. Von der AfD-Uckermark wird Weiß unterstützt. Das Szenario erinnert an den Fall des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der mit antisemitischen Schriften bekannt wurde. Auch in diesem Fall war die AfD-Führung jüngst mit einem schnellen Ausschluss gescheitert. (bnr.de berichtete)

Platz eins der Nachrücker auf der AfD-Liste für den Landtag

Während in Stuttgart als Kompromiss  die  Einschaltung einer Untersuchungskommission beschlossen wurde, hatte man sich AfD-intern in der Causa Weiß darauf geeinigt, das Gerichtsverfahren abzuwarten. Nicht nur in der AfD, auch auf der islamfeindlichen Webseite „PI-News“, die sich explizit als israelfreundlich bezeichnet, ist der Streit entbrannt. Während einige eine klare Abgrenzung zu Politkern wie Gideon und Weiß fordern, meldeten sich auch entschiedene Verteidiger der Politiker zu Wort.

Weiß sieht sich nach dem Freispruch gestärkt und fordert von Gauland eine Entschuldigung dafür, dass der ihn als Antisemit bezeichnet habe. Während inzwischen mehrere AfD-Landespolitiker von der Austrittsforderung abrücken, will Gauland bisher daran festhalten. Kann er sich damit nicht durchsetzen, könnte ihn Weiß im nächsten Jahr im Brandenburger Landtag  beerben. Weiß steht auf Platz eins der Nachrücker auf der AfD-Liste.  Wenn Gauland bei der nächsten Bundestagswahl, wie beabsichtigt, für den Bundestag kandiert und sein Landtagsmandat aufgibt, würde Weiß für ihn nachrücken. Allerdings ermittelt die Justiz auch wegen Steuerhinterziehung und Zigarettenschmuggels gegen den AfD-Politiker.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/weiterer-antisemitismusstreit

Peter Nowak

Wo bleiben die Grundrechte im Gefahrengebiet?

Im Friedrichshainer Nordkiez wird seit fast einer Woche der Notstand geprobt. Auch Nachbarschaft protestiert dagegen

Es war schon eine besondere Pressekonferenz, zu der die Bewohner der Rigaer Straße 94 am Montagabend auf dem Dorfplatz des Friedrichshainer Nordkiezes eingeladen. So heißt ein Platz an dem viele vor mehr als zwei Jahrzehnten besetzte Häuser liegen und der als Treffpunkt der alternativen Szene gilt. Die Bewohner/innen der ehemals besetzten Häuser haben längst Mietverträge, aber viele von ihnen halten noch an den politischen Idealen der Anfangsjahre fest, engagieren sich gegen Nazis, unterstützten Geflüchtete und mischen sich auch in die Diskussion um die Gentrifizierung ein und bekommen dabei durchaus Unterstützung von Nachbarn. Jüngstes Beispiel ist das Nobelprojekt Carré Sama-Riga, das im Stadtteil viele KritikerInnen zusammenbrachte (siehe MieterEcho Online vom 15.6. 2016).

„Wir leben wie im Gefängnis“
Doch seit knapp einer Woche wird  die Diskussion im Friedrichshainer Nordkiez  statt über Gentrifizierung wieder über Repression und Staatsgewalt geführt. Am letztem Mittwoch stürmte die Polizei die Rigaer Straße 94 und verließ sie seitdem nicht mehr. In einer Pressemitteilung betonte die Polizei, dass sie mit der Aktion die Tätigkeit der Bauarbeiter sichere, die im Auftrag des Eigentümers  Brandschutzmaßnahmen vornehmen und einige Räume zu Flüchtlingswohnungen ausbauen will. Auf der abendlichen Pressekonferenz berichteten HausbewohnerInnen über das Leben im Gefahrengebiet Rigaer Straße. Polizist/innen sind im ganzen Haus verteilt. Wenn sie in ihre Wohnungen betreten wollen müssen sich die Mieter/innen ausweisen. Manchmal werden ihre Taschen kontrolliert. Zudem werden sämtliche Mieter/innenrechte ignoriert. Fahrräder, die im Hof standen, wurden abtransportiert. Zeitweilig war der Strom in den Mietwohnungen abgestellt und auch die Keller, die zu den Wohnungen gehören, sind aufgebrochen worden. Jeder dieser Vorfälle ist ein Bruch des Mietrechts und könnte geahndet werden- doch noch gravierender sind die Einschränkungen der Grundrechte. So wurde Besucher/innen der Hausbewohner/innen in den letzten Tagen mehrmals am Betreten des Gebäudes gehindert. „Wir leben wie im Gefängnis“, beschrieb  eine Hausbewohnerin die Situation. Als am Sonntagabend Freunde der Hausbewohner das Besuchsverbot missachteten und über die Absperrung klettern wollten, setzte die Polizei Pfefferspray ein. Es gab mehrere Festnahmen. Ein Mieter des Vorderhauses, der die Szene fotografierte und die Kamera vor der Polizei verbergen wollte, sei vor den Augen seiner Familie geschlagen worden, berichtete eine Tochter des Mannes auf der Pressekonferenz.

Warum ein ganztägiger Polizeieinsatz für einen privaten Eigentümer?
Mittlerweile werden die kritischen Fragen zum Polizeieinsatz lauter. So heißt es in einer Stellungnahme der Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft: „Es ist bemerkenswert, dass die Belange einer x-beliebigen Briefkastenfirma aus den Panama-Papers als Hauseigentümerin derart kompromisslosen Vorrang haben vor den berechtigten Interessen der Friedrichshainer/innen nach bezahlbarem Wohn- und Lebensraum und dass das Fingerschnipsen eines Investors reicht, um einen riesigen Polizeieinsatz mit horrenden Kosten für die Allgemeinheit auszulösen“. Ein  Polizeieinsatz rund um die Uhr, der nicht nur eine Menge Geld kostet, sondern massiv die Grundrechte der HausbewohnerInnen und ihrer NachbarInnen verletzt, dient allein den Verwertungsinteresses des Eigentümers. Erst kürzlich stellten BewohnerInnen eines angrenzen Hauses Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gegen die Polizei, weil die ohne Genehmigung die Dächer betreten hat. Mittlerweile haben auch mehrere MieterInnen der Rigaer Straße 94 juristische Schritte gegen das Vorgehen der Polizei eingelegt. Doch das zentrale Problem ist die Konstruktion von Gefahrengebieten, die all diese Verletzungen von Mieter/innen- und Grundrechten einfach ermöglicht. Durch den Polizeieinsatz wurde gezeigt, dass die Frage: „Wohnst du in einem Haus, das vor zwei Jahrzehnten besetzt war oder in einem Haus, das nie besetzt war“ keine Rolle mehr spielt. So ruft am 1. Juli  um 21 Uhr die Stadtteilinitiative „Keine Rendite mit der Miete/Friedrichshain“ unter dem Motto „Solidarität mit den BewohnerInnen der Rigaer Straße 94 und allen von Vertreibung bedrohten MieterInnen“  zu einer Videokundgebung auf dem Dorfplatz des Friedrichshainer Nordkiezes auf.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/rigaer-str-94.html

MieterEcho online 29.06.2016

Peter Nowak

Berliner Mieter_innen setzten sich gegen Wiener Immobilienfirma durch

Wien & Berlin gemeinsam sind stark!

Seit Monaten konnte man auf Plakaten und Flugblättern in Berlin die Parole «Friedel bleibt» lesen. Damit war die Friedelstraße 54 im angesagten Berliner Stadtteil Neukölln gemeint.  2014 hatte die Wiener Immobilienfirm Citec das Haus gekauft. Als sie eine «energetische Modernisierung» ankündigte, befürchten viele der sechzig Mietparteien, dass sie sich ihre Wohnung bald nicht mehr leisten könnten. Sie holten sich juristischen Rat und organisierten politischen Widerstand. Besonders rührig waren dabei Aktivist_innen des im Haus  befindlichen «Kiezladen F54». Sie hatten auch die Idee zur Demo mit den längsten Anfahrtswegen.

Am 18. März charterten etwa sechzig Mieter_innen und Unterstützer_innen der Friedelstraße einen Bus von Berlin nach Wien. Sie überbrachten dem Citec-Vorstand ein Kaufangebot. Am nächsten Tag organisierten sie mit örtlicher Unterstützung eine kraftvolle Demonstration: «Wir sind hier. Wir sind laut, weil Ihr uns die Friedel klaut» riefen etwa  200 Mietrebell_innen vor der Citec-Zentrale am Parkring. Wenige Tage später signalisierte die Citec Verhandlungsbereitschaft. Nur der Preis war anfangs noch strittig: «Wir haben in unserem Angebot die Kaufsumme von 1,2 Millionen genannt, die Citec ist mit 1,85 Millionen in die Verhandlungen gegangen», sagte der Pressesprecher des «Kiezladen F54» Matthias Sander. Beide Seiten waren kompromissbereit. Ein Erfolg, der Schule machen könnte. In den Wochen darauf haben sich schon zweimal Mieter_innen von Citec-Häusern in Berlin getroffen…

aus:              Augustin 414 – 05/2016

http://www.augustin.or.at/zeitung/ausgaben/augustin-414-052016.html

Peter Nowak

http://friedelstrasse54.blogsport.eu,

https://friedel54.noblogs.org

Wo bleiben die Grundrechte im Gefahrengebiet?

Im Friedrichshainer Nordkiez wird seit fast einer Woche der Notstand geprobt

Es war schon eine besondere Pressekonferenz, zu der die Bewohner der Rigaer Straße 94 [1] am Montagabend auf dem Dorfplatz des Friedrichshainer Nordkiezes eingeladen haben. So heißt ein Platz,an dem viele vor mehr als zwei Jahrzehnten besetzte Häuser liegen und der als Treffpunkt der alternativen Szene gilt.

Hier treffen unterschiedliche Musikkulturen aufeinander und auch der alltägliche Umgang unter den Nachbarn muss erprobt werden. Junge Leute, die draußen feiern wollen, treffen auf Nachbarn, die ihre Nachtruhe gewahrt haben wollen. Doch solche Probleme sind in den zahlreichen Eventbezirken Berlins viel akuter. Dort kapitulieren die ruhebedürftigen Mieter meistens vor der Kneipenkultur.

Doch im Friedrichshainer Nordkiez ist nicht die Eventkultur das Problem. Die Bewohner der ehemals besetzten Häuser haben längst Mietverträge, aber viele von ihnen halten noch an den politischen Idealen der Anfangsjahre fest, engagieren sich gegen Nazis, unterstützen Geflüchtete und mischen sich auch in die Diskussion um die Gentrifizierung ein und bekommen dabei durchaus Unterstützung von Nachbarn. Jüngstes Beispiel ist das Nobelprojekt Carré Sama-Riga [2], das im Stadtteil viele Kritiker [3] hat und unterschiedliche Bewohner [4] zusammenbrachte.

„Wir leben wie im Gefängnis“

Doch seit knapp einer Wochewird im Friedrichshainer Nordkiez statt über Gentrifizierung wieder über Repression und Staatsgewalt diskutiert. Letzten Mittwoch stürmte die Polizei die Rigaer Straße 94 und verließ sie seitdem nicht mehr. Damit wiederholt sich eine Szenario, das Mitte Januar2016 [5] das Gebiet für mehrere Wochen zu einer Zone minderen Rechts machte.

Damals wurde die massive Polizeiaktion damit begründet, dass Straftaten aufgeklärt werden müssen. Der aktuelle Polizeieinsatz soll laut einer Pressemitteilung der Polizei die Tätigkeit der Bauarbeiter sichern, die im Auftrag des Eigentümers Brandschutzmaßnahmen vornehmen und einige Räume zu Flüchtlingswohnungen ausbauen wollen. Seitdem hat die Polizei das Haus nicht mehr verlassen.

Auf der abendlichen Pressekonferenz berichteten Hausbewohner über das Leben im Gefahrengebiet Rigaer Straße. Polizisten sind im ganzen Haus verteilt. Wenn sie in ihre Wohnungen betreten wollen müssen sie sich ausweisen. Manchmal werden ihre Taschen kontrolliert. Zudem werden sämtliche Mieterrechte ignoriert. Fahrräder, die im Hof standen, wurden abtransportiert. Zeitweilig war der Strom in den Mietwohnungen abgestellt und auch die Keller, die zu den Wohnungen gehören, seien aufgebrochen worden.

Jeder einzelner der Vorfälle ist ein Bruch des Mietrechts und könnte geahndet werden. Doch noch gravierender sind die Einschränkungen der Grundrechte. So wurde Besucher der Hausbewohner mehrmals am Betreten des Gebäudes gehindert. „Wir leben wie im Gefängnis“, beschrieb eine Hausbewohnerin die Situation. Als am Sonntagabend Freunde der Hausbewohner das Besuchsverbot missachteten und über die Absperrung klettern wollten, setzte die Polizei Pfefferspray ein. Es gab mehrere Festnahmen.

Ein Mieter des Vorderhauses, der die Szene fotografierte und die Kamera vor der Polizei verbergen wollte, sei vor den Augen seiner Familie geschlagen worden, berichtete eine Tochter des Mannes auf der Pressekonferenz. Bei der Polizeiaktion sei der Mann verletzt worden und musste ambulant behaltet werden. Die sehr emotional gehaltenen Beiträge der ungewöhnlichen Pressekonferenz taten ihre Wirkung. Die ca. 200 Menschen, die zuhörten, skandierten Parolen gegen die Polizei.

Warum ein Polizeieinsatz rund um die Uhr für einen privaten Eigentümer?

Mittlerweile werden kritische Fragen zum Polizeieinsatz lauter. So heißt es in einer Stellungnahme der Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft [6]: „Es ist bemerkenswert, dass die Belange einer x-beliebigen Briefkastenfirma aus den Panama-Papers als Hauseigentümerin derart kompromisslosen Vorrang haben vor den berechtigten Interessen der Friedrichshainer nach bezahlbarem Wohn- und Lebensraum und dass das Fingerschnipsen eines Investors reicht, um einen riesigen Polizeieinsatz mit horrenden Kosten für die Allgemeinheit einzulösen.“

Diese Frage stellen sich in Friedrichshain jetzt viele. Ein Polizeieinsatz rund um die Uhr zur Absicherung von Baumaßnahmen eines Privatinvestors, der nicht nur eine Menge Geld kostet, sondern auch alltäglich die Grundrechte der Hausbewohner und ihrer Nachbarn verletzt. Erst kürzlich stellten Bewohner eines angrenzen Hauses Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die Polizei, weil die ohne Genehmigung die Hausdächer betreten [7] hat.

Doch das zentrale Problem ist die Konstruktion [8] von Gefahrengebieten [9], die all diese Verletzungen von Mieter- und Grundrechten, aber auch ein massives Sammeln von Daten [10] möglich machen. So werden Zonen geschaffen, in denen ein nicht erklärter Notstand herrscht.

http://www.heise.de/tp/news/Wo-bleiben-die-Grundrechte-im-Gefahrengebiet-3250018.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://rigaer94.squat.net/

[2]

http://www.cg-gruppe.de/immobilien/projekte/in-vorbereitung/carr%C3%A9-sama-riga/372

[3]

http://www.trend.infopartisan.net/trd0616/t060616.html

[4]

http://mietenstoppfriedrichshain.blogsport.de/

[5]

http://www.heise.de/tp/news/Gefahrengebiet-reloaded-3096784.html

[6]

http://www.bmgev.de/

[7]

http://www.taz.de/!5313302/

[8]

http://www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php

[9]

http://gefahrengebiet.blogsport.de/

[10]

https://netzpolitik.org/2016/datensammelei-der-berliner-polizei-im-gefahrengebiet-anlasslos-unverhaeltnismaessig-diskriminierend/

Noch gibt es Revolutionsbedarf

VERDRÄNGUNG Nun ist es amtlich: Der Laden M99 in der Manteuffelstraße in Kreuzberg soll geräumt werden. Sein Betreiber, HG, hofft auf breite Unterstützung aus dem Kiez

Am 9. August 2016 wird um 9 Uhr eine Gerichtsvollzieherin die Ladenräume des Kreuzberger Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf (M99) in der Manteuffelstraße 99 mit Polizeiunterstützung räumen. Das ist der Inhalt eines Schreibens, das dem Ladenbetreiber Hans-Georg Lindenau, auch als HG bekannt, am vergangenen Wochenende zugestellt wurde. Magnus Hengge von der Bizim-Initiative hatte in den letzten Monaten versucht, die Räumung durch einen Dialog mit Behörden und Eigentümern abzuwenden.
„Es gab einige positive Signale, daher ist die Festlegung des Termins doch überraschend“, sagt er. Im März war ein von der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann moderierter runder Tisch gescheitert, weil die Eigentümer den Räumungstitel nicht zurücknehmen wollten. Im Mai verfassten NachbarInnen dann einen Aufruf für den Verbleib des M99 im Kiez. Die Initiative Bizim Kiez, die sich im letzten Jahr gegen die Verdrängung von MieterInnen und Projekten aus dem Kiez gegründet hat, warnte davor, dass mit dem M99 ein weiteres Stück des rebellischen Kreuzberg verschwinden würde. Sie erinnerte auch daran, dass HG, der den Laden seit 1988 betreibt und nach einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, mit der Räumung auch seine Wohnung verlieren würde. HG denkt auch jetzt nicht ans Aufgeben. „Ich hoffe bis zur letzten Minute, dass die Räumung verhindert wird, und werde den Laden nicht freiwillig räumen“, erklärte er der taz. Unter dem Motto „Besuchen Sie den M99, solange es ihn noch gibt“ wird in mehreren Sprachen dafür mobilisiert, HG durch einen Einkauf, aber auch durch Solidaritätsaktionen zu unterstützen. Der Laden ist auch über die Landesgrenzen
hinaus bekannt und wird in alternativen Reisebüchern über Kreuzberg aufgeführt.


Mobilisierungen im Vorfeld

Im Internet wird unter dem Motto „HG und M99 bleiben“ seit Wochen für den Tag X, den Räumungstermin, mobilisiert. Was dann genau geplant ist, werde man jetzt diskutieren, erklärte Hengge. Auch das Bündnis Zwangsräumung verhindern bereitet sich auf die Räumung
vor. Die Planungen für Aktionen im Vorfeld sind da schon konkreter. Seit Ende Juni veranstaltet HG donnerstags zwischen 18 und 22 Uhr vor dem Laden eine Protestkundgebung, zu der von Vertreibung bedrohte MieterInnen und Projekte eingeladen sind. Bisher war die Resonanz aber gering. Um das Problem der Wohnungslosigkeit auch in eine Gegend zu bringen, in der die Dichte der Immobilienfirmen
besonders hoch ist, wird gemeinsam mit Obdachlosen  eine Schlafdemo am Kurfürstendamm  vorbereitet. Auch für die Zeit nach einer Räumung hat HG bereits Pläne. „Der Verkauf soll dann in einen Container verlegt werden „Dafür brauche ich ein Grundstück mit Dixi-Klo,
Wasser- und Stromanschluss in Kreuzberg“, erhofft sich HG Unterstützung durch alternative Projekte und Bezirkspolitik.

aus Taz vom 28.06.2016

http://www.taz.de/!5313428/

Peter Nowak

»Polizeiketten durchfließen«

Das Erfurter Bildungskollektiv (Biko) veranstaltete kürzlich den Workshop »Polizeigewalt durchfließen«. Dafür wird es heftig kritisiert, der innenpolitische Sprecher der thüringischen CDU-Fraktion, Wolfgang Fiedler, hat dem Biko den Missbrauch öffentlicher Gelder vorgeworfen. Das Biko-Mitglied Michel Raab hat mit der Jungle World gesprochen.

Sie haben am 11. Juni in Erfurt ein Aktionstraining unter dem Titel »Polizeigewalt durchfließen« veranstaltet. Worum ging es dabei?

Es ging darum, die Methoden zivilen Ungehorsams kennenzulernen, die seit Jahrzehnten zum Beispiel bei Castor-Transporten praktiziert werden, um mit dem immer weiter aufgerüsteten Polizeiapparat umzugehen. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie man Polizeiketten durchfließen kann, um Protest dort auszudrücken, wo er auch gehört wird.

Was hat Wolfgang Fiedler Ihnen vorgeworfen?

Er meint, wer der Polizei Gewalttätigkeit unterstelle, zeige dadurch eine staatsfeindliche Grundhaltung, die nicht mit dem Auftrag politischer Bildung vereinbar sei. Unserer Auffassung nach ist es ein Kerngebiet politischer Bildung, Menschen zu befähigen, sich kritisch mit Staat und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Fiedler wünscht sich die Zeit zurück, in der Bildung den Auftrag hatte, die Identifikation mit dem Staat und seinen Organen zu fördern.

Hat er so nicht Gratiswerbung für das Bildungskollektiv gemacht?

Einerseits ja. Wir hatten noch nie eine Veranstaltung in der Bild-Zeitung. Andererseits konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf eine einzelne Veranstaltung und nicht auf die Ausstellung »We will rise«, in deren Rahmenprogramm das Aktionstraining stattfand. Die dort gezeigten Kämpfe von Geflüchteten gegen das Grenzregime und institutionellen Rassismus in Deutschland sind eigentlich viel brisanter als das Aktionstraining. Wer nicht glauben will, dass es Polizeigewalt in Deutschland gibt, soll sich die Ausstellung ansehen.

Fiedler hat im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, als er im thüringischen Landtag alle Abgeordneten während einer Parlamentsdebatte aufforderte, aufzustehen und die Nationalhymne zu singen. Sind das Versuche, der AfD Konkurrenz zu machen?

Ja. Was Nationalismus und den Wunsch nach einem starken Staat angeht, sind CDU und AfD in Thüringen nicht weit voneinander entfernt. Auch beim Thema Extremismusbekämpfung und bei der Forderung nach mehr und schnellen Abschiebungen gibt es Überschneidungen. Dass man die AfD stärkt, wenn man ihre Forderungen abgeschwächt aufgreift, statt ihr eine klare Position entgegenzusetzen, haben viele in Thüringen noch nicht kapiert.

Fiedler forderte von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die den Workshop mitveranstaltet hat, sie solle transparent machen, was sie als politische Bildungsarbeit abrechne. Wie waren die Reaktionen?

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ihren Standpunkt bekräftigt, dass der Workshop sehr wohl dem Auftrag entspricht, die Beschäftigung mit politischen Fragen zu vertiefen, gerade weil Menschen, die sich öffentlich gegen Naziaufmärsche stellen, oft mit Gewaltanwendung seitens der Polizei konfrontiert sind.

Sind im Vergleich zur CDU-geführten Vorgängerregierung die Möglichkeiten staats- und polizeikritischer Interventionen unter der derzeitigen Landesregierung besser?

Im Moment kann man das so nicht sagen. Die Kräfte, die in der Opposition Polizeieinsätze oft scharf kritisiert haben, sind jetzt für sie mitverantwortlich. Ob die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen wie die Kennzeichnungspflicht oder das Verbot von Racial Profiling am Ende so umgesetzt werden, dass sie echte Verbesserungen darstellen, bleibt abzuwarten.

http://jungle-world.com/artikel/2016/25/54315.html

Peter Nowak

Kampflieder gegen Häuserdämmung

MIETEN BewohnerInnen von Gewobag-Häusern in Prenzlauer Berg machen gegen Sanierung mobil

Vor den Häusern Knaackstraße 60–68 in Prenzlauer Berg wurde es am Samstagmittag laut. Rund 20 Menschen bildeten eine Kette und sangen: „Und drum geht es los, unsere Mieter-Polonaise –mit langer Nese, in Richtung Gewobag.“ Und kämpferischer: „Das ist unser Haus, schmeiß doch endlich Gewobag und Konsortenzum Fenster raus!“  Seit die Wohnungsbaugesellschaft den knapp 80 Parteien die energetische Modernisierung ankündigte, sind die BewohnerInnen alarmiert. „Wir haben Versammlungen abgehalten und MieterInnen anderer Gewobag-Häuser getroffen. Nun wollen wir mit dem Protestfrühstück informieren“, erklärte Bewohnerin Elke Coners. Auf einem Infotisch konnte man einen Würfel betrachten: „Das ist der Dämmstoff, mit dem die Gewobag sanieren will“, meint ein Mieter. Neben befürchteten Mieterhöhungen bezweifeln die MieterInnen den ökologischen Nutzen der Dämmung und verweisen auf Brandgefahr. Noch sind sie optimistisch. Der Mieter eines Gewobag-Hauses in Prenzlauer Berg berichtete unter Applaus, wie er sich erfolgreich juristisch gegen die Sanierung wehrte. Das Gericht verlangte von dem Unternehmen eine deutliche Absenkung der Modernisierungszulage.  Nachdem die Linke die Gewobag per BVV-Antrag zur Rücknahme der Modernisierungsankündigung in der Knaackstraße aufgefordert hat, will die SPD am Mittwoch ebenfalls einen ähnlichen Antrag einbringen.

aus Taz vom 27.6.2016
Peter Nowak

Die Linke war in der Brexit-Debatte nicht präsent

Fast 3 Millionen wollen nachträglich die Schwelle für eine Anerkennung des Brexit in einer Petition höherlegen

Lange Zeit hatten die EU-Befürworter das Verbleiben Großbritanniens in diesem Bündnis auch damit angepriesen, dass dort ja zumindest einige bürgerliche Rechte gewährleistet seien. Das Referendum mache doch deutlich, dass dort die Bevölkerung auch mal gefragt wird.

Nun ist es tatsächlich keine Errungenschaft der so oft als Hort der Demokratie besungenen EU, dass das Referendum zustande kam. Die Gründe liegen in den Fraktionskämpfen innerhalb der Tories und der Taktik von David Cameron. Doch kaum ist das Referendum nicht so ausgegangen, wie es die Freunde der EU wollten, zeigt sich, wie ernst es manche von ihnen mit der Demokratie wirklich meinen. In einer von fast 3 Millionen unterzeichneten Online-Petitionen[1] wird gefordert, dass das Referendum nur gültig sein soll, wenn 60 Prozent der Wähler bei einer Wahlbeteiligung von über 70 Prozent für den Brexit gestimmt haben. Sonst müsse das Referendum wiederholt werden.

Solche Modifizierungen sind grundsätzlich legitim. Doch Brexit-Befürworter und -gegner haben sich auf ein Referendum zu den Regeln geeinigt, wie sie nun galten. Und nach diesen Regeln haben die EU-Gegner gewonnen. Wer nachträglich die Ergebnisse ändern will, weil die Ergebnisse nicht passen, hat höchstens ein taktisches Verhältnis zu bürgerlichen Grundrechten.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich diejenigen, die unmittelbar eine neue Abstimmung wollen, durchsetzen werden. Schon allein deshalb, weil es unwahrscheinlich ist, dass sich mit solch plumpen Tricks eine Mehrheit für die EU organisieren lässt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Brexit-Befürworter einen noch größeren Erfolg hätten. Und was dann?

Dann lieber überhaupt kein Referendum. Das ist die Linie der Eurokraten in sämtlichen Ländern und Parteien Sie werfen Cameron vor, aus machttaktischen Gründen ein Referendum in die Wege geleitet und damit den Brexit in Kauf genommen zu haben. Solche Vorwürfe las man auch in vielen Kommentaren von Tageszeitungen, die sich nicht genug echauffieren können, über Wahlbehinderungen in Venezuela und ähnliche Staaten, die gemeinhin als nicht-kapitalistisch gelten, was mit Recht bestritten werden kann. Dass in diesem Ländern gerade die Subalternen in den letzten Jahren mehr Partizipationsmöglichkeiten haben als vorher, ist aber ziemlich klar. Trotzdem wird hierzulande immer die Meinung verbreitet, es handele sich um undemokratische Regime.

Referendum einfach ignorieren, weil es nicht ins Kalkül der Londoner City passt

Wenn der britische Abgeordnetel  David Lammay vorschlägt[2], die Ergebnisse des Referendums einfach zu ignorieren, weil es nicht im Sinne der Londoner City ist, dann könnte man eigentlich denken, die Labour-Partei, die ja den innerparteiischen Ränkespielen der Tories fern steht, würde solche Gelegenheitsdemokraten wie Lammay in die Schranken weisen. Doch der ist sogar Mitglied der Partei.

Was ist von einer Partei zu erwarten, die immer noch einen Tony Blair in ihren Reihen hat, der mit einer Lüge das Land in den Irakkrieg zog und deren rechter Sumpf nach der Brexit-Abstimmung auf einen Rücktritt des Labour-Vorsitzenden Corbyn drängt[3], weil der angeblich nicht vehement genug für die EU getrommelt hat?

Corbyn war nie der Kandidat der spätestens seit Blair auf Tory-Kurs gebrachten Labour-Partei. Sein Erfolg war das Ergebnis einer Graswurzelbewegung, der den Parteibürokraten schon immer suspekt war. Wenn nun von den Labour-Rechten Corbyn zum Rücktritt gedrängt werden soll, machen sie nur deutlich, wie wenig sie sich um Demokratie scheren, in der Partei genauso wenig wie in Europa.

Dabei war es Corbyns Fehler, auf Druck der Partei überhaupt auf einen Pro-EU-Kurs eingeschwenkt zu sein. Wäre er seinen jahrelangen EU-kritischen Überzeugungen treu geblieben, wäre er zu einer Linie zurückgekehrt, die die Labour-Partei in den 1960er und 1970er Jahren vertreten hat. Die Unterhauswahlen 1973/74 gewann sie mit dem Versprechen, die Bedingungen zum EU-Beitritt, den die Tories schon ausgehandelt hatten, zur Disposition und das Ergebnis dann in einen Referendum zur Abstimmung zu stellen. Dazu ist es dann nie gekommen. Doch es gab immer eine EU-kritische Strömung bei der Labour-Partei und den britischen Gewerkschaften.

Warum keine Mobilisierung zum Lexit?

Nur im Bündnis mit den Tories konnte die Labour-Partei EU-Beschlüsse durchsetzen. Bei den Tories wurde aus nationalistischen und auch xenophoben Gründen die Opposition gegen die EU stärker und erzwang das Referendum. Bei der Labour-Partei aber wurde die eigene Tradition nicht aufgegriffen, eine Kampagne für einen Lexit, einen EU-Austritt aus linken und emanzipatorischen Gründen, zu organisieren. Dann hätte der Rassismus der Mehrheit der Brexit-Kampagne natürlich kritisiert werden müssen. Aber es hätte immer daran erinnert werden müssen, dass heute die Migranten im Mittelmeer ertrinken, weil eine EU-Richtlinie ihnen einen sicheren Transit verbietet.

Eine Lexit-Kampagne hätte auch die wirtschaftsliberale Politik der Mehrheit der Brexit-Befürworter in den Fokus ihrer Kritik rücken und gleichzeitig deutlich machen müssen, dass die EU selber ein wirtschaftsliberales Projekt ist. Tatsächlich haben kleinere linke Gruppen und Gewerkschaften[4], die sich für einen Lexit stark gemacht, daran erinnern, wie die Austeritätspolitik der EU in Griechenland Demokratie, Ergebnisse von Wahlen, sowie Arbeiter- und Tarifrechte zerstörten.

In einer Erklärung[5] der linken Austrittsbefürworter zum Ausgang des Referendums wird darauf verwiesen, dass es sich auch um Stimmen gegen die Politik der Austerität handelte. Die linken Brexit-Befürworter hatten es auch deshalb bei der aktuellen Debatte schwer, weil sie oft aus taktischen Gründen doch für einen Verbleib in der EU stimmten.

Ein gutes Beispiel ist der Guardian-Kolumnist Paul Mason[6], dessen Buch „Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ gerade auf Deutsch erschienen ist und der im Guardian schrieb[7], dass es viele gute Gründe gäbe, bei dem Referendum gegen die EU zu stimmen. Doch da man keine gemeinsame Sache mit rechten Tories und Rechtspopulisten machen wolle, sei jetzt nicht der Zeitpunkt für einen Austritt gekommen.

Doch wann wäre die richtige Zeit für einen Lexit? Und führt Masons Argumentation nicht gerade dazu, dass sich gerade in der EU-Frage als einzige Opposition gerieren kann, während sich die Linke entweder gar nicht zur EU äußert oder sogar aus unterschiedlichen Gründen für die EU votiert? Ist es dann nicht verwunderlich, dass eine solche Linke als Teil der EU-Nomenklatura wahrgenommen und so ignoriert wird? Ein weiterer Widerspruch in Masons Argumentation besteht darin, dass er die guten Gründe gegen die EU benennt und dann wegen der Rechten empfiehlt, trotzdem für diese EU zu votieren. Dass ist die Fortsetzung der Politik des angeblich kleineres Übels, dass der Linken schon immer geschadet hat.

Die Linke kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor

Nach dem Ausgang des Referendums zeigt sich, wie fatal eine solche Orientierung für die Linke ist. Sie kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor. Dafür sehen sich die Rechten jeglicher Couleur von FPÖ über Front National bis zur AfD bestätigt[8]. Sie müssen gar nicht selber zum EU-Austritt aufrufen. Es reicht schon, dass sie wie verschiedene AfD-Politiker erklären, auch sie würden die Bevölkerung über die EU befragen.

Gelegenheitsdemokraten wie Lammay, die jetzt dazu aufrufen, das Ergebnis des Referendums zu ignorieren, kommen solchen Kreisen gerade recht, um sich zur Verteidigung der Mehrheit der Abstimmenden aufzuschwingen. Die Linke in ihren unterschiedlichen Ausformungen kommt in diesen Debatten nicht vor. Spätestens nach der putschistischen Durchsetzung der Austeritätspolitik gegen Griechenland hätte die Debatte über ein Verlassen der EU beginnen müssen. Dabei müsste deutlich werden, dass es dabei nicht um ein Zurück zu den alten Nationalstaaten geht, sondern um eine europäische Kooperation der Bevölkerung. Die EU-Bürokratie ist dabei nicht förderlich, sondern ein Hinderungsgrund.

Der Ausgang des Referendums in Großbritannien könnte die letzte Chance sein, eine eigene Position zu beziehen und sich für eine europäische Kooperation stark zu machen, die sich nicht auf Nationalstaaten und die Brüsseler Behörden bezieht. Zieht es diese Linke hingegen vor, weiterhin als linkes Feigenblatt im EU-Zirkus zu fungieren, könnte das ihren Bedeutungsverlust noch verstärken, während sich die Rechten aller Couleur als wahre Opposition gerieren. Denn eins ist klar, und das ist auch der Grund für die Nervosität der Austrittsgegner, die Austrittsbefürworter werden in allen europäischen Ländern stärker. In Italien könnte nach den nächsten Wahlen mit der Fünf-Sterne-Bewegung eine Partei die Regierung übernehmen, die die Mitgliedschaft Italiens in der EU infrage stellt.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48648/2.html

Peter Nowak 26.06.2016

Anhang

Links

[1]

https://petition.parliament.uk/petitions/131215

[2]

http://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/brexit-result-latest-david-lammy-mp-eu-referendum-result-parliament-twitter-statement-stop-this-a7102931.html

[3]

http://www.telegraph.co.uk/news/2016/06/25/jeremy-corbyn-i-will-fight-for-labour-leadership/

[4]

http://www.leftleave.org/

[5]

http://www.leftleave.org/lexit-statement-on-the-vote-to-leave-the-european-union/

[6]

http://www.imdb.com/name/nm2258480/

[7]

https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/may/16/brexit-eu-referendum-boris-johnson-greece-tory

[8]

http://www.tagesspiegel.de/politik/fn-afd-fpoe-und-co-rechtspopulisten-feiern-brexit-votum/13782944.html

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Lesetip:

Für ein linkes Nein beim Referendum

Linker Brexit Am 23. Juni soll in Großbritannien über einen Austritt aus der EU abgestimt werden. Linke sollten die Gelegenheit für ein Nein zu EU und Nationalist_innen nutzen.

https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/fuer-ein-linkes-nein-beim-referendum

Gabriels Option: Jetzt aus der Koalition aussteigen


„Hier ist die Rose, hier tanze“ – zur neuesten Luftnummer des ungeliebten SPD-Vorsitzenden

Eigentlich macht der SPD-Unterbezirk Odenwald kaum Schlagzeilen. Doch vor einigen Wochen preschten die Jusos vor, als sie mit einer 80-prozentigen Mehrheit eine Resolution verabschiedeten, die eine Abwahl von Sigmar Gabriel[1] als Parteivorsitzenden erreichen wollte. Wie so oft in der SPD-Geschichte endeten auch die Odenwälder Sozialdemokraten als Lampenputzer und zogen nach Druck der SPD-Gremien den Antrag zurück.

Noch aber findet sich auf der Homepage der Odenwalder SPD die Einschätzung[2] von deren Unterbezirksvorsitzenden Oliver Grobeis:

So gesehen drücken die Jusos in ihrem Antrag die vorherrschenden Ängste und Besorgnisse der Genossinnen und Genossen aus. Der Antrag auf Abwahl bedeutet zudem aus meiner Sicht die Aufforderung an die Führungsebene, etwas grundlegend zu ändern, und das sieht nicht nur der vergleichsweit bescheidene SPD-Unterbezirk Odenwaldkreis so.

Das zeigt, dass Gabriel nur noch Parteivorsitzender der SPD ist, weil sich keiner seiner potentiellen Konkurrenten für die nächste Wahlniederlage verantwortlich machen lassen will. Das soll bitteschön der letzte Dienst von Gabriel an die SPD sein. Nach den Bundestagswahlen werden die Karten neu gemischt. Da ist es nur zu verständlich, dass Gabriel ab und zu mit irgendwelchen Texten den Anschein erwecken will, er hätte so etwas wie eine Strategie.

Was bedeutet das progressive Lager?

Da in diesem Jahr das politische Sommerloch wegen der Fußball-EM besonders früh begonnen hat, hat er den Zeitpunkt, wo schon ein Spiegel-Artikel mit vagen Inhalten Diskussionen auslöst, gut genützt. Zu verstehen war, dass sich Gabriel doch für ein Bündnis mit Grünen und Linken erwärmen könnte.

Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es diese Diskussion und selbst die eifrigsten Befürworter von Rosa-Rot-Grün haben in der letzten Zeit erkannt, dass es dazu wohl in absehbarer Zeit nicht kommen wird. Denn bei den nächsten Wahlen hätte sehr wahrscheinlich diese Parteienkonstellation keine parlamentarische Mehrheit mehr, was ja die Grundlage für ihre Realisierung wäre.

Kaum aber erwähnte Gabriel in seinem Spiegel-Gastbeitrag[3] ein „progressives Lager“, das sich gegen rechts positionieren muss, rätselten die Politkommentatoren, ob er damit etwa ins Lager von Rosa-Rot-Grün gewechselt sei. Das dementierte Gabriel dann umgehend und ließ enttäuschte Freunde der parlamentarischen Mehrheit links von der Union zurück[4].

Der SPD-Parteivorsitzende hat mit dem Vorstoß nur seine bisherige Zickzack-Linie, mal in die eine, mal in die andere Richtung zu blinken, fortgesetzt. Das mögen manche seinem Politikstil anlasten, aber es spiegelt auch trefflich die aktuelle Lage der Sozialdemokraten wieder. Sie erkennen, dass sie als Vorreiter der neoliberalen Politik, wofür in Deutschland die Agenda 2010 steht, ihre eigene Basis unterminieren. Sie sind aber so fest mit der wirtschaftsliberalen Politik verbunden, dass sie da auch nicht mehr zurück können.

Dies zeigt sich weniger in Gastbeiträgen, sondern vielmehr in der realen Politik. Die SPD winkte[5] erst vor wenigen Tagen eine Reform des Erbschaftssteuerrechts durch, die direkt von Lobbyvereinen der Firmenerben verfasst worden sein könnte. Wie sie das dem schrumpfenden SPD-Wählersegment aus der Arbeiterschaft erklären wollen, ist die eine Frage.

Da aber ein seit einiger Zeit ein Teil der früheren SPD-Wähler aus der Arbeiterschaft bei der AfD ihr Kreuz macht, stellt sich auch die andere Frage, wie ernst es der SPD jenseits von Gastbeiträgen mit dem Kampf gegen die AfD ist.

Dass einige Spitzenpolitiker der Grünen jetzt das Erbschaftssteuergesetz kritisieren und sogar eine Blockade im Bundesrat anregen, ist auch nur Show. Gerade die von den Grünen geführte Landesregierung in Baden-Württemberg hat in ihrer Liebedienerei vor den schwäbischen Familienerben die CDU noch an Servilität überboten. Auch das ist kein Zeichen, dass es etwas wird mit dem rosa-rot-grünen Bündnis.

Neue Entspannungspolitik als SPD-Wahlschlager?

Das gilt noch viel mehr für die politische Baustelle, bei der ein anderer SPD-Spitzenpolitiker neue Akzente setzen will, die nachhaltiger als Gabriels Luftnummer sein könnten. Es ist Bundesaußenminister Steinmeier, der vor einem neuen Kalten Krieg mit Russland warnt und dabei auch Nato-Verbündete kritisiert. Damit bedient Frank-Walter Steinmeier unterschiedliche Klientele.

Die Linkspartei spendet Beifall. Zugleich sehen auch Teile der deutschen Wirtschaft in einem Konfrontationskurs gegen Russland Nachteile für ihre Interessen. Darüber hinaus hat sich in den letzten Monaten auch in Teilen der Rechten und rechtsoffener außerparlamentarischer Bewegungen eine prorussische Stimmung breitgemacht. Dabei gibt es völlig unterschiedliche Beweggründe für diese Russlandbegeisterung.

Vor allem die Rechte sieht Putin-Russland als Garant einer illiberalen Demokratie, in der individuelle Rechte stark eingeschränkt oder abgeschafft sind. Auf der linken Seite hingegen wird vor allem 75 Jahre nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion daran erinnert, dass die Massenverbrechen, die ganz gewöhnliche Deutsche damals verübten, bis heute in Deutschland nicht wirklich registriert worden sind[6]. So gibt es nun auch erste Initiativen, die sich für einen Gedenkort[7] für die vielen ermordeten und verhungerten sowjetischen Staatsbürgern einsetzen[8].

Eine solche Diskussion ist nun keineswegs ein Grund, keine Kritik mehr an der Putin-Regierung zu üben. Sie ist aber ein Grund mehr, die bedingungslose Unterstützung für die ukrainischen Nationalisten zu kritisieren, wie sie von Politikern der Grünen wie Rebecca Harms seit den Maidan-Protesten zu beobachten war. Harms war es dann auch, die die Überlegungen von Steinmeier zur Entspannung gegenüber Russland gleich als Liebedienerei für Putin bezeichnete und vor einer Entsolidarisierung mit der Ukraine warnte.

Es wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass viele Opfer des deutschen Überfalls aus der Ukraine stammten. Dann muss aber auch erwähnt werden, dass ein Teil der historischen Stichwortgeber der ukrainischen Rechten, die heute sehr aktiv sind, auf Seiten derer standen, die sich als Kollaborateure der NS-Truppen an den Massenmorden an Kommunisten und Juden beteiligten. Ukrainer, die letzte Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz befreiten, waren dagegen Teil der Roten Armee.

Diese komplexe historische und politische Gemengelage wird zumindest keine rosa-rot-grünen Bündniskonzepte befördern. Da würden Rebecca Harms und ihre Freunde ein Veto einlegen. Aber Steinmeier könnte als Verfechter einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland und mit seiner Distanz zu manchen Tönen aus den Nato-Hauptquartieren in einer SPD nach Gabriel durchaus noch eine Rolle spielen. Diese Frage wird aber wohl erst nach den nächsten Bundestagswahlen wichtig, wenn es auch im Parlament für Rosa-Rot-Grün keine Mehrheit mehr gibt.

Regierungswechsel musste vor der Wahl erfolgen

Wenn es in der SPD noch Politiker gäbe, die diese Konstellation wirklich wollten, dürften sie eben nicht auf die nächsten Wahlen warten. Sie müssten an einer entscheidenden Frage, wie der Erbschaftssteuer, den Bruch mit der Union ansteuern, aus der Regierung austreten und mit den Stimmen von Linken und Grünen, die aktuell noch eine Mehrheit haben, einen SPD-Kanzler wählen, der dann eine Minderheitenregierung bildet und Neuwahlen anstrebt – Hier ist Rhodos, hier springe![9].

Dabei könnten wenige zentrale Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit und Entspannung in Europa drehen, im Mittelpunkt stehen. Ein solcher Paukenschlag könnte die politische Richtung ändern, wieder eine Mehrheit von Rosa-Rot-Grün im Parlament bringen und die AfD klein halten. Doch ein solcher Schritt ist weder von einem deutschen Sozialdemokraten noch von Grünen und Linken zu erwarten, wobei der Regierungswechsel an den Linken am wenigsten scheitern würde.

Für eine solche Regierung mit SPD, Linken und Grünen gibt es in Europa ein Modell, das ist Portugal. Dort regiert eine sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung von Parteien links von ihr. Sie hat zumindest einige besonders unsoziale Maßnahmen zurückgenommen.

Doch solange in Deutschland darüber diskutiert wird, ob ein Bundespräsident gewählt werden soll, der die Unterstützung des Lagers links von der Union hat – und selbst die SPD sich nicht dazu nicht bekennt – braucht über ein Szenario, die aktuelle rosa-rot-grüne Mehrheit für einen Regierungswechsel zu nutzen, gar nicht weiter diskutiert zu werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48627/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.tagesspiegel.de/politik/80-prozent-gegen-sigmar-gabriel-warum-die-odenwald-spd-gabriels-abwahl-fordert/13532504.html

[2]

http://www.spd-odenwald.de/index.php?nr=31581&menu=1

[3]

http://magazin.spiegel.de/SP/2016/25/145417418/index.html

[4]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-meister-der-verwirrung-kommentar-a-1098899.html

[5]

http://www.tagesspiegel.de/politik/koalition-findet-kompromiss-einigung-bei-der-erbschaftsteuer-fuer-firmenerben/13758226.html

[6]

http://www.taz.de/!5311392

[7]

http://www.gedenkstaettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rundbrief/rundbrief/news/initiative_gedenkort_fuer_die_opfer_der_ns_lebensraumpolitik

[8]

http://www.gedenkort-lebensraumpolitik.de

[9]

https://de.wikipedia.org/wiki/Hic_Rhodus,_hic_salta

Heute keine Strafzettel

STREIK 400 Beschäftigte des IT-Dienstleisters treten nach Aufruf von IG Metall Mittwoch in Warnstreik

Am heutigen Mittwoch werden von der Polizei ausgestellte Strafzettel nicht bearbeitet. Die dafür zuständigen 400 Beschäftigten des IT-Dienstleisters Atos in Adlershof treten in einen eintägigen Warnstreik. Sie beteiligen sich an den bundesweiten Aktionen, zu denen die IG Metall am Mittwoch rund 12.000 Atos-Beschäftigte aufruft. Die Beschäftigten wollen den Konzern dazu bewegen, den Tarifvertrag aus dem IG-Metall-Bereich zu übernehmen. Schon einmal wurde die Tarifanpassung mit Zustimmung der Gewerkschaft verschoben. „In der Auseinandersetzung hat die Atos-Geschäftsführung für die 2016 vereinbarte Tariferhöhung in Höhe von 2,8 Prozent und die Nachzahlung der verschobenen Tariferhöhung von 3,4 Prozent für 2015 gerade einmal  1,5 Prozent für beide Jahre angeboten“, erklärt der Erste Bevollmächtigte der Berliner IG Metall, Klaus Abel. „Auch hat das Management angekündigt, künftig keine kollektiven Lohnerhöhungen
mehr zu zahlen“, so Abel weiter. Der Unterschied zwischen Unternehmerangebot und den Forderungen der IG Metall beträgt im Jahr rund 1.500 Euro pro beschäftigte Person. Abel verweist auf die gute wirtschaftliche Situation des französischen Unternehmens, das die
Dividende für Aktionäre um 38 Prozent erhöht habe. Mit Fahnen, Trommeln und Sprechchören wollen sich die Beschäftigten am Mittwochvormittag vor der Atos-Filiale treffen und durch Adlershof ziehen. Sollte es bei den Verhandlungen keine Einigung geben, könnte es zum unbefristeten Streik kommen.

aus Taz: 22.6.2016

Peter Nowak

War der Täter von Orlando ein Islamist…


…oder hatte er Probleme mit seiner Sexualität? Über die problematische Verarbeitung eines Massakers

Der Historiker Sven Reichardt[1] stützte sein im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Authentizität und Gemeinschaft[2], eine Art Standardwerk „über linksalternatives Leben in den siebziger und achtziger Jahren“, zum großen Teil auf Kontaktanzeigen und Leserbriefe in den Alternativmedien. Tatsächlich spricht aus ihnen unverstellt ein Zeitgeist, der in den politischen Schriften oft nur kodierter zu finden ist.

Noch heute ist die Lektüre von Taz-Leserbriefen wichtig, um sich zu informieren, wie die ehemaligen Linksalternativen und die nachgeborenen Postalternativen ticken. Was sagt es über sie aus, wenn man als Nachlese zum islamistischen Anschlag in Orlando folgende Replik auf die Überschrift „USA: Terror im Schwulenclub“ findet?

Mit eurer Überschrift bewegt ihr euch in einer historischen Tradition, nämlich bestimmte Gruppen unsichtbar zu machen. Das Pulse ist kein „Schwulenclub“, es bezeichnet sich selbst als Ort der LSBTIQ-Community. Und es wurden nicht nur Cis-Männer getötet, wie euer Titel es vermuten lassen könnte.

Eine andere Zuschrift bringt gleich einige Vorschläge, wie eine Würdigung aller Opfer von Orlando hätte lauten müssen:

Es gibt einige Begriffsalternativen, um alle Opfer zu würdigen und um einiges für die Sichtbarkeit von LGBTI zu tun: homosexuell/quer/LBGTI….

Trägt es wirklich zur besseren Würdigung der Opfer bei, wenn sie mit einem Kürzel und einem davor gestauten Gedränge von Adjektiven bezeichnet werden?

Waren die Opfer nicht Menschen?

Was sagt es über eine Bewegung aus, die sich nur gewürdigt fühlt, wenn immer mehr Binde- und Schrägstriche aneinandergereiht werden? Ist das nicht die Widerspiegelung einer neoliberalen Gesellschaft, wenn Maggie Thatchers Verdikt, es gebe keine Gesellschaft, in der Alternativszene bis in die Sprachpolitik durchgespielt wird? So ist es kein Zufall, dass diese Debatte in Großbritannien mit großer Vehemenz geführt[3] wird (vgl. auch Please Don’t Stop the Music[4]).

Wenn jede Bezeichnung größer Einheiten als Unsichtbarmachen von Teilen zurückgewiesen wird, bleiben am Ende nur die isolierten Monaden übrig, die sich bloß als Konkurrenz begreifen. Wo die Utopie einer Gesellschaft abhanden gekommen ist, bleiben nur immer mehr Minderheiten, die sich über bestimmte Konstruktionen wie Geschlecht, Nation etc. definieren. Statt Gesellschaftsveränderung dominiert dann der Konkurrenz- und Statuskampf der Minderheiten.

Dabei könnte man doch die Opfer von Orlando dadurch sichtbar machen, dass man ihre Namen nennt. Wo das nicht möglich ist, sollte man nicht die kleinste Minderheit, sondern die größte Einheit wählen. Die Opfer waren Menschen, die zum selben Zeitpunkt gemeinsam in einem Klub waren. Warum das etwas über ihre sexuelle Orientierung aussagen soll, ist zunächst nicht ersichtlich.

Ist der Islamismus oder das US-Waffenrecht das Problem?

Für den Täter war klar, dass er mit dem Anschlag möglichst viele Menschen treffen wollte, denen er wegen ihrer sexuellen Orientierung das Lebensrecht absprach. Dabei dürfte es für ihn nebensächlich gewesen sein, welche sexuelle Identität die einzelnen Individuen genau hatten. Es reichte schon, dass sie Besucher dieses Clubs waren, um ermordet zu werden.

Nun ist in den USA gleich nach den Anschlag eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob es sich um einen islamistischen Anschlag handelte. Das stellte vor allem der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Trump, in den Mittelpunkt seiner Kampagne, konnte er doch die vermeintlich zu islamfreundliche Obama-Administration damit angreifen und sich selber als Retter des christlichen Amerika gerieren.

Trump-Gegner verweisen hingegen darauf, dass nicht der Islamismus, sondern das laxe Waffenrecht in den USA das zentrale Problem sei. Tatsächlich ermöglichte es den Täter, mühelos die tödlichen Waffen zu besorgen, was die Zahl seiner Opfer erhöhte. Doch es handelt sich bei der Gegenüberstellung, ob der Islamismus oder die laxen Waffengesetze für den tödlichen Anschlag verantwortlich waren, um eine Scheinalternative.

Der Islamismus war die ideologische Verbrämung und die laxen Waffengesetze machten es dem Täter leichter möglich, seien Pläne umzusetzen. Es gibt eben Länder, wo es nicht so einfach möglich ist, an eine Waffe zu kommen Allerdings finden entschlossene Täter immer einen Weg.

Warum wird nicht von einem islamistischen Anschlag gesprochen?

Es ist aber die islamistische Ideologie, die hinter dieser Entschlossenheit steckt und es ist schon seltsam zu beobachten, welchen Eiertanz manche Linken und Liberalen aufführen, um diesen einfachen Tatbestand nicht aussprechen zu müssen. Da wird stattdessen gefragt, ob der Täter vielleicht selber Probleme mit seiner sexuellen Orientierung hatte. Was dann zur grotesken Kennzeichnung des Täters als „schwuler Islamist“[5] führte.

Diese ganzen Spekulationen sind müßig. Selbst, wenn der Angreifer Probleme mit seiner Sexualität gehabt haben soll, so erklärt das nicht seine Tat. Zum Massenmörder wird ein Mensch erst dann, wenn er sich eine bestimmte Ideologie zu eigen macht. Hier war es der Islamismus, der nicht als religiöse, sondern als weltweite faschistische Strömung betrachten werden soll. Dann ist es auch gar nicht verwunderlich, dass nicht wenige der islamistischen Attentäter nicht durch eine ausgeprägte Religiosität aufgefallen sind und sich nicht an die Regel des Koran gehalten hätten

Das hindert aber niemanden daran, aktiv in der politischen Bewegung des Islamismus mitzutun. Ein paar rudimentäre Koranzitate mögen dabei von Vorteil sein, nicht aber eine besonders islamische Lebensweise. Der Aktion 3. Welt Saar[6] ist zuzustimmen, wenn sie den Terroranschlag von Orlando „als Ausdruck islamistischen Hasses auf Homosexuelle und auf jede genussbetonte Lebensart“ klassifiziert[7] und vom größten islamistischen Terroranschlag in den USA seit dem 11.09.2001 spricht.

Dieses Verbrechen richtet sich aber nicht nur gegen Homosexuelle. Islamisten wenden sich mit ihrem ‚Heiligen Krieg‘ gegen jede Form eines selbstbestimmten, befreiten, genussbetonten Lebens.Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt

Dafür stehe bei ihnen „der Westen“, vor allem repräsentiert durch die USA und Israel.

Auch die Homophobie anderer religiöser Hardliner ist tödlich

Wenn dann aber Alex Feuerherdt vom Islamkompetenzzentrum der Aktion 3. Welt Saar den Journalisten Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung dafür kritisiert, dass er geschrieben hat, dass auch ein evangelikaler Christ die Tat hätte ausführen können, ist das im globalen Maßstab nicht zu rechtfertigen. Denn es hat sich in der Vergangenheit öfter gezeigt, dass sonst verfeindete religiöse Hardliner im Kampf gegen sexuelle Minderheiten zusammenrücken.

Da waren sich in Jerusalem jüdische, christliche-orthodoxe und islamische Kleriker einig gegen eine Schwulenparade in Jerusalem. Der Mann, der im letzten Jahr auf einer Gayparade in Jerusalem mehrere Menschen niedergestochen hat[8], wurde in der Presse als orthodoxer Jude bezeichnet. Aber auch bei ihm war es die Nähe zu rechten Organisationen, die in Israel verboten sind, die den ideologischen Rahmen für das Verbrechen lieferten.

Diese Organisationen berufen sich vage auf ein orthodoxes Judentum, ein wirklicher religiöser Bezug ist aber auch bei ihnen oft nicht vorhanden. Wenn ein vager religiöser Bezug mit einer faschistoiden Ideologie zusammenkommt, sind Verbrechen wie in Jerusalem und Orlando immer möglich. Wie tödlich dann die Attacken sind, liegt dann akzidentiell auch daran, wie schwer oder einfach man an tödliche Waffen kommt. Da ist dann tatsächlich die Kritik an den laxen Waffengesetzen in den USA mehr als berechtigt.

Sie machten es dem Islamisten in Orlando möglich, zu besonders tödlichen Waffen zu kommen, die ungleich gefährlicher waren als das Messer des israelischen Täters. Auch die verschiedenen christlichen Gruppierungen sind im Weltmaßstab an der tödlichen Homophobie beteiligt. Vor allem in vielen afrikanischen Ländern wie Uganda sind verschiedene christliche Fundamentalisten mit guten Kontakten zu ähnlichen Gruppen in den USA[9] verantwortlich für tödliche Angriffe auf Menschen, die nicht ins patriarchale Weltbild passen.

In Nigeria berufen sich die Schwulenhasser auf islamistische und christliche Fundamentalisten[10]. So richtig es also ist, die besondere Gefahr des Islamfaschismus aktuell zu betonen, so richtig ist es auch, darauf hinzuweisen, dass religiöses Sendungsbewusstsein, wenn es mit faschistischer Ideologie und den nötigen technischen Know How verbunden wird, potentiell tödlich ist.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48602/1.html

Peter Nowak 22.06.2016

Anhang

Links

[1]

https://www.geschichte.uni-konstanz.de/professuren/prof-dr-sven-reichardt/

[2]

http://www.suhrkamp.de/buecher/authentizitaet_und_gemeinschaft-sven_reichardt_29675.html

[3]

http://www.taz.de/!5312345/

[4]

https://www.thenation.com/article/please-dont-stop-the-music/

[5]

http://bundesdeutsche-zeitung.de/headlines/politics-headlines/orlando-schwuler-islamist-laeuft-amok-962497

[6]

http://www.a3wsaar.de/islamismus

[7]

http://hpd.de/artikel/politik-und-islamvertreter-verharmlosen-islamismus-13212

[8]

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/ultraorthodoxer-jude-sticht-menschen-bei-schwulenparade-nieder-13728145.html

[9]

http://www.zeit.de/politik/ausland/2009-12/uganda-homosexualitaet-usa

[10]

http://www.taz.de/!5050650/

Nach der Räumung ist vor dem Protest

Bezirk schließt Weddinger Kinderfarm / Ponyhof soll künftig von anderem Träger geführt werden

200 Unterstützer protestierten am Montagmorgen gegen die Räumung der Weddinger Kinderfarm. Erfolgreich waren sie nicht.

»Widerstand ist immer eine Lösung«, hieß es auf Plakaten, die in den vergangenen Tagen im Wedding dazu aufgerufen hatten, die Räumung der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße zu verhindern. Doch selbst die große öffentliche Präsenz half dem Ponyhof nicht. Am Montag kam der Gerichtsvollzieher.

Zahlreiche Eltern und Kinder hatten auf dem Areal übernachtet. Am Morgen fanden sich 200 Unterstützer dort ein. Darunter waren regelmäßige Besucher der Kinderfarm, aber auch Nachbarn und stadtpolitische Aktivisten sowie Menschen, die in ihrer Kindheit zu den regelmäßigen Besuchern des sozialen Projekts gehört hatten. Dazu gehörte auch die Schriftstellerin Sarah Waterfeld. Die Weddingerin befürchtet, dass sich der Bezirk mit der Räumung der seit 1988 bestehenden Kinderfarm Zugriff auf ein lukratives Grundstück sichern will.

Noch heißt es aus dem Bezirk, dass die Kinderfarm an einen neuen Träger überführt werden soll. Viele der Unterstützer befürchten, dass die Qualität der Projektarbeit ohne den Gründer und Leiter Siegfried Kühbauer sinken wird. Der Sozialpädagoge darf künftig die Räume nicht mehr betreten. Seine Wohnung im hinteren Teil des Geländes darf er nur über einen mit weißen Linien markierten Korridor betreten, die Mitarbeiter des Bezirksamtes am Montagmittag zogen.

Die Räumung war der Höhepunkt eines langjährigen Streits zwischen Bezirksamt und Kühbauer (»nd« berichtete). Bezirksstadträtin Sabine Smentek wirft ihm vor, die Nachweise für die Verwendung öffentlicher Gelder nicht fristgemäß eingereicht zu haben. Die Unterstützer Kühbauers halten die Vorwürfe für einen Vorwand, um einen Mann loszuwerden, der immer wieder den Umgang von Senat und Bezirkspolitik mit der Kinder- und Jugendarbeit heftig kritisiert hat. Kühbauer hat den Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit aufbaut. Die Gewerkschaft sprach sich in einer Erklärung gegen die Räumung aus.

Vor Ort wird weiter protestiert. Auf dem Zaun der Kinderfarm sind Transparente angebracht, darunter »Kids besetzen für den Kiez«. »Mit der Räumung ist für uns die Sache nicht erledigt«, sagt eine Frau. Weitere Protestaktionen sind in Planung.

Peter Nowak


Schlösser ausgetauscht

RÄUMUNG Der Träger der Kinderfarm Wedding wurde trotz Protesten von Eltern und Kindern mit Polizeihilfe geräumt
Um 10 Uhr stand am Montag die  Gerichtsvollzieherin in Polizeibegleitung vor dem Eingang der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße, um den bisherigen Träger zu räumen. Doch zunächst war kein Durchkommen. Ein Auto versperrte den Zugang. Dahinter hatten sich rund 250 Menschen versammelt und deutlich gemacht, dass sie die Amtspersonen nicht auf das Gelände lassen wollten. Nachdem die Polizei das Tor aufgestoßen hatte und einige der Personen zur Seite schubste, erklärte der langjährige Mitbegründer der Kinderfarm, Siegfried Kühbauer, die BesucherInnen zu seinen Gästen. Sie mussten fast zwei Stunden in Kühbauers Wohnung auf dem Gelände ausharren. In dieser Zeit wurden sämtliche Schlösser an den Gebäuden der Kinderfarm ausgetauscht. Kühbauer ist es untersagt, seinen Arbeitsplatz zu betreten, den er seit 1988 mit aufgebaut hat.

„Kinder haben Rechte“
Auch Stunden später ist das Unverständnis angesichts der Räumung unter PassantInnen groß. Ein Mittdreißiger berichtet, wie er als Kind hier seine Freizeit verbracht hat. Daneben steht eine Mutter mit zwei Kindern. Sie halten ein Schild mit dem Spruch „Kinder haben Rechte“ in die Höhe“. Auf Transparenten, die am Zaum angebracht sind, heißt es: „Kids besetzen für denKiez.“  Tatsächlich hatten rund 40 UnterstützerInnen, darunter Kinder mit ihren Eltern, auf dem Areal ihre Zelte aufgeschlagen und übernachtet. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass die Polizei sich gewaltsam in der Weddinger Kinderfarm Zutritt verschafft“, meint auch Sarah Waterfeld. Die im Wedding geborene Schriftstellerin hat in ihrer Kindheit den Bauernhof mit seinen Ponys, Hühnern, Ziegen und Meerschweinchen regelmäßig besucht. Seit Monaten hat sie sich dafür engagiert, dass Siegfried Kühbauer seine Arbeit fortsetzen kann. „Ich befürchte, dass esdem Bezirk darum geht, Zugriff auf das lukrative Grundstück zu bekommen“, sagt sie. Waterfelds Befürchtung teilen viele der UnterstützerInnen des alten Trägers. Die Erklärung  der zuständigen Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Smentek, kann sie nicht beruhigen. Sie wirft den bisherigen Trägern der Kinderfarm vor, sich geweigert zu haben, öffentliche Mittel abzurechnen. Kühbauer bestätigt, dass in einem Fall Rechnungen zu spät abgerechnet wurden, weil der Kassenwart überlastet war. In der harten Haltung des Bezirks sieht er eine Retourkutsche, weil er als Mitbegründer des Arbeitskreises Kinder- und Jugendarbeit im Berliner Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi heftige Kritik an der Politik von Senat und Bezirk geäußert hat. Wie es jetzt mit der Kinderfarm weitergehen soll, ist völlig offen. Die Bezirksstadträtin Smentek bittet die bisherigen NutzerInnen, den neuen Träger „Kinderbunte Bauernhof Wedding e. V.“ zu unterstützen. Die protestierenden Eltern und Kinder äußern offen, dass sie kein Vertrauen in dessen Arbeit haben. Derweil zeichnen MitarbeiterInnen des Bezirksamts mit weißer Farbe den Weg ein, den Kühbauer zu nehmen hat, wenn er in seine Wohnung will, die im hinteren Teil des Areals liegt. Wenn er sich außerhalb der Linie bewegt, könnte ihm eine Anzeige drohen.
Weddinger Kinderfarm
■■ Am 24. Mai 1983 wurde der
Weddinger Kinderfarm e. V.
gegründet, die Kinderfarm liegt
an der Ecke Tegeler und Luxemburger
Straße. Die Einrichtung
wurde im Rahmen der sozialen
Stadtentwicklung vom Quartiersmanagement
unterstützt.
■■ Am Montag wurde der Träger
Weddinger Kinderfarm e.V., der
2013 sein 30-jähriges Bestehen
feierte, geräumt. Der Bezirk hat
einen anderen Träger. Die Tiere
werden weiter versorgt.
aus Taz vom 21.6.2016
Peter Nowak

Ein «Fahrendes Volk» für die Sachsen

Stigmatisierende Spezialdatei für Sinti und Roma?

Die sächsische Polizei hat die Daten von mehreren Tausend Menschen im Freistaat gespeichert. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten der Grünen Valentin Lippmann hervor. «Die Daten sollen primär dem Schutz des Betroffenen und der Eigensicherung von Polizeibediensteten» dienen«, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums.

Für Lippmann ist eine Speicherung bei Personen, die als »bewaffnet« oder »gewalttätig« geführt würden nachvollziehbar. Trotzdem übt der in seiner Fraktion für Demokratiefragen zuständige Politiker heftige Kritik an Art und Umfang der Datensätze. »Die Datensammlung der Polizei zu den personengebundenen Hinweisen ist uferlos. Ein Großteil dieser, bestimmten Personen zugeordneten Merkmale ist überflüssig, stigmatisierend und möglicherweise rechtswidrig«. So sind unter dem Merkmal »Ansteckungsgefahr« 723 Personen gelistet. Auf MDR-Anfrage erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums, bei Ansteckungsgefahr würden Menschen mit verschiedensten Infektionskrankheiten erfasst, von denen für Polizisten eine Gefahr ausgehen könne. Diese Daten würden gelöscht, wenn die erfassten Personen nicht mehr erkrankt seien. Wie und wann genau, konnte die Sprecherin zunächst nicht erklären. Lippmann hat jedoch noch andere Auffälligkeiten bei den Datensammlungen ausgemacht: So sind mehr als 2000 Personen unter dem Hinweis »wechselt häufig Aufenthaltsort« gespeichert. Daneben sind in einer weiteren 432 als sogenannte Stadt- und Landstreicher registriert. Das sächsische Innenministerium hat bisher nicht erklärt, welche Personen genau in welchen Kategorien erfasst sind.

Die beiden Datensätze erregen bei Lippmann viel Kritik. Nach seiner Ansicht soll hier eine Lebensweise stigmatisiert werden. Zudem hat er den Verdacht, dass es sich um eine spezielle Datei für die Erfassung von Sinti und Roma handelte. Erinnerungen an die berüchtigten Landfahrerdateien werden wach, in denen jahrzehntelang die Daten von Sinti und Roma gespeichert waren. Im Nationalsozialismus wurden sie zur Grundlage für die Deportation und Ermordung vieler Sinti und Roma.

Nach 1945 dienten sie weiterhin ihrer Stigmatisierung und Verfolgung. Nach heftigen Protesten von Romaverbänden und einer Bürgerrechtsbewegung hatte Bayern als letztes Bundesland diese Landfahrerdateien im Oktober 2001 abgeschafft. Bereits am 20. März 2003 kritisierte Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma, dass einige Polizeibehörden zur verschleierten Fortführung der Erfassung von Sinti und Roma das Ersatzkürzel »MEM« für »mobile ethnische Minderheit« eingeführt hätten. Setzt Sachsen diese Praxis fort? Das fragen sich jetzt auch Antirassismusgruppen und verlangen Aufklärung.

Der sächsische Flüchtlingsrat beklagt zudem eine gnadenlose Abschiebepolitik des Bundeslandes gegen staatenlose Roma aus Osteuropa und wirft dem Dresdner Verwaltungsgericht vor, das Recht auf Asyl auszuhebeln. So wurde am 24. Mai die an Depression leidende Azbije Kamberovic mit drei ihrer Kinder nach Mazedonien abgeschoben. Ihr Mann wurde mit den zwei älteren Kindern von Unterstützern an einen sicheren Ort gebracht, weil auch ihnen die Abschiebung droht. Gegenüber »nd« schilderte Sami Bekir in bewegenden Worten das Leben seiner Familie. »Wir konnten nirgends bleiben, nicht in Bosnien und nicht in Mazedonien. Wir kamen nach Deutschland und hofften, dass wir uns hier mit den Kindern ein neues Leben aufbauen können. Und nun erleben wir hier das gleiche. Wir werden wieder abgeschoben.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1015821.ein-fahrendes-volk-fuer-die-sachsen.html

Peter Nowak