Das Brexit-Bashing bei Linken und Liberalen geht weiter


Vor allem in Deutschland wird EU-Kritik als moderne Form des Vaterlandsverrats hingestellt

Wenn Linke oder Liberale auflisteten, was ihnen im vergangenen Jahr so besonders sauer aufgestoßen ist, fehlte das Brexit-Votum selten. Die Entscheidung einer knappen Mehrheit der britischen Bevölkerung, sich aus der EU zu verabschieden, rangiert neben der Trump-Wahl und dem internationalen Bedeutungszuwachs von Erdogan und Putin als Indikator für einen weltweiten Rechtsruck.

Nun ist nicht zu bestreiten, dass die Brexit-Kampagne mit großer Mehrheit mit nationalistischen Argumenten geführt wurde. Die Lexit-Kampagne[1] linker Gruppen und einiger kleinerer Gewerkschaften, die mit ganz anderen Argumenten ebenfalls für den Austritt aus der EU warben, hatte es schon in Großbritannien schwer, wahrgenommen zu werden.

Doch in Deutschland wurde sie vor und nach dem Brexit-Votum gezielt ignoriert.

Das zentrale Argument der Lexit-Kampagne wurde nicht einmal diskutiert und kritisiert, sondern einfach nicht beachtet. Es lautet: Die EU in ihrer aktuellen Form ist ein Desaster für Arbeiter-, Gewerkschafts- und Flüchtlingsrechte. Sie ist also gerade nicht die von vielen Linken und Liberalen so hochgelobte Alternative zur nationalistischen Brexit-Kampagne, sondern nur die andere Seite der Medaille.

Deswegen hat das Lexit-Bündnis für einen Austritt aus der EU geworben und kämpft jetzt darum, Mitstreiter dafür zu gewinnen, dass ein Großbritannien außerhalb der EU eben nicht die Flüchtlingsrechte weiter einschränkt. Auch Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte werden nicht am grünen Tisch, sondern in der konkreten Auseinandersetzung verteidigt. Wenn man mitbekommen hat, wie in den letzten Monaten die Arbeitskämpfe in Großbritannien in verschiedenen Bereichen zugekommen haben, könnte das auch schon ein kleiner Erfolg für die Lexit-Kampagne sein, obwohl viele der Streikenden sich selber gar nicht so positionieren wollten.

Schon vor einigen Monaten sorgten Londoner Mitarbeiter von einm Lieferservice-Start-Up mit ihrem Arbeitskampf[2] für Aufmerksamkeit[3]. Vor Weihnachten führten Streiküberlegungen von Beschäftigten der Post, Bahn und des Flugverkehres bei den herrschenden Torys zu Überlegungen, die Notstandsgesetze einzusetzen[4].

Das wäre doch für eine Linke, der angeblich so viel an Europa liegt, eigentlich eine Gelegenheit gewesen, diese transnationale Solidarität mal umzusetzen. Doch die Arbeitskämpfe und die Drohungen der Regierungen dagegen, wurden kaum registriert. Dafür ist noch immer das Lamento über den Brexit groß. Da wird auch die Generationengerechtigkeit ins Spiel gebracht.

Ältere Wähler hatten jüngeren Menschen um ihre Rechte als EU-Bürger gebracht, wird immer wieder behauptet. Um welche Rechte es genau geht, wird natürlich nie spezifiziert. Wenn es den Kritikern ernst wäre, müssten sie auf die deutsche Regierung Druck machen, dass die Briten auch nach einem Austritt nicht sanktioniert werden. Dann würden die vielzitierten jüngeren Briten auch nicht ihre EU-Rechte verlieren.

Aber dieselben Medien, die darüber klagen, setzen sich für harte EU-Austrittsverhandlungen ein und fordern, dass ein Exempel statuiert werden müsse, damit das britische Votum nicht etwa Nachahmer finden könnte. Da gäbe es vor allem in den Ländern der europäischen Peripherie sicher noch einige Kandidaten.


Es sind Länder wie Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, wo durchaus nicht mehr so klar ist, wie ein Votum über die EU heute oder in einigen Monaten dort ausgehen würde. Ja selbst in Griechenland, wo vor zwei Jahren noch viele Syriza gewählt hatten, weil sie hofften, der Austerität zu entkommen und trotzdem in der EU und sogar in der Eurozone bleiben zu können, ist die Ernüchterung mittlerweile groß.

Die Niederlage von Syriza gegen die von Deutschland dominierte EU und deren Austeritätspolitik hat dazu geführt, dass die Enttäuschung auch in die Milieus eingedrungen ist, die noch hofften, es könnte eine andere, einer sozialere EU geben. Doch der Block der „Deutsch-EU“, hier verkörpert von Schäuble, hat die griechischen Politiker vor die Alternative gestellt, Unterwerfung oder ihr müsst die Eurozone verlassen. Seitdem werden die Rechte und Perspektiven vor allem der jüngeren Generation weiter geschmälert, Gewerkschafts- und Arbeitsrechte werden entgegen griechischem Recht weiter eingeschränkt.

So wie in Griechenland passierte und passiert es in Spanien und Portugal. Über einen längeren Zeitraum gab der portugiesische Autor Miguel Szymanski mit seiner Kolumne[5] in der Taz einen Einblick in das Ausmaß von Verzweiflung und Entrechtung, das gerade junge Menschen in diesen Ländern durch die Austeritätspolitik von Deutsch-Europa zu ertragen haben.

Aber merkwürdigerweise wird über diese Rechte junger Menschen, die ihnen durch die konkrete Politik der EU genommen werden, bei denen nicht geredet, die jetzt darüber klagen, die Brexit-Entscheidung habe jungen Briten Rechte als EU-Bürger genommen. Und es scheint auch wenig wahrscheinlich, dass die beeindruckenden Schilderungen der Folgen der Austeritätspolitik, die Szymanski in seinen Kolumnen darlegte, bei manchen bedingungslosen EU-Befürwortern auch nur zum Nachdenken geführt haben könnte.

Denn inhaltlich widerlegt wurde Szymanski nie, es gab keine Gegenargumente, wenn er Kolumne für Kolumne schilderte, wie die Austeritätspolitik seine Länder verarmt und vielen Menschen nicht nur die Hoffnung, sondern auch die Perspektiven raubt. Doch mit seinen Texten wurde so umgegangen wie mit den Argumenten der Lexit-Befürworter. Sie wurden „nicht einmal ignoriert“.

Stattdessen geben ökoliberale Vordenker wie der Taz-Publizist mit guten Kontakten ins grüne Milieu, Peter Unfried, die Parole aus, dass links nur sein könne, wer bedingungslos für EU und Nato ist. Konkret auf die innergrüne Debatte bezogen hat Unfried die Frage auf die Personalien „Merkel versus Wagenknecht“ zugespitzt. Sollten die Grünen – wenn es dafür Mehrheiten gäbe – also eher mit einer Merkel-Union oder mit SPD und einer Linkspartei, in der Wagenknecht eine wichtige Rolle spielt, koalieren?

Für Unfried ist die Antwort klar, Die Grünen werden mit Merkel gehen. Neben dem Credo, links kann nur für die EU und ihre Vertiefung sein, ist das Verhältnis zu Russland ein zweiter Knackpunkt. Dabei leben alte antirussische Klischees wieder auf, mit denen schon die Mehrheit der SPD mit Hurra in den ersten Weltkrieg gezogen ist. Dabei ging es damals nicht darum, das reaktionäre zaristische Regime zu verteidigen – wie auch die Ablehnung, sich aktuell in eine antirussische Mobilisierung einzureihen, natürlich nicht bedeutet, irgendwelche Sympathien mit dem reaktionären Putin-Regime zu haben.

Dabei sollte man nicht verschweigen, dass diese notwendige Trennschärfe auch manche vermeintlich Linke vermissen lassen, die sich gegen die neue antirussische Frontstellung wenden. Und dass heute fast alle rechts von Merkel, bis auf einige Vertriebenenfunktionärinnen wie Erika Steinbach, Putin huldigen, sollte noch einmal mehr verdeutlichen, dass emanzipatorische Politik und Putin-Hochjubelei nicht zu vereinbaren sind. Das Einreihen in die antirussische Front, bei der heute die Grünen an vorderster Linie stehen, allerdings ebenso wenig.


Genau so ist es mit der Haltung einer emanzipatorischen zur real-existierenden „Deutsch-EU“. Genau die sollte immer so benannt werden, wenn gerade deren Befürworter von der EU oder von Europa reden und den Gegnern unterstellen, sie wären ja gegen ein transnationales Bündnis und für die Wiederherstellung von Nationalstaaten.

Nein, es geht gegen diese „Deutsch-EU“, wie sie hier und heute existiert, vielen Menschen Rechte und Chancen nimmt, und in Deutschland eine Schicht von Gewinnern und Nutznießern hat entstehen lassen, die natürlich genau diese Privilegien verteidigen. Dazu gehört ein Großteil dr Grünen, aber auch ehemalige Aktivisten und Funktionäre von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von „Deutsch-Europa“ kooptiert wurden.

Für sie ist eine Infragestellung der „Deutsch-EU“ gleichbedeutend mit dem, was für die Deutschnationalen jeglicher Couleur der Landesverrat war. Und tatsächlich sind die Parallelen frappierend. In der aktuellen EU sind die deutschen Interessen so dominant, dass eine Infragestellung der EU in ihrer heutigen Form auch eine Infragestellung Deutschlands ist. Daher auch die Vehemenz und die Härte, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird, die sich nach dem Brexit noch verschärft hat.

Denn nicht das rechte Nein ist es, was dabei stört, sondern die Tatsache, dass Menschen entscheiden, dieses „Deutsch-Europa“ wollen wir nicht mehr, es hat für uns mehrheitlich seine Mythos verloren. Schon 2013 titelte der Spanien-Korrespondent der Taz, Reiner Wandler, „Europa ist am Ende“[6] und hat eigentlich „Deutsch-Europa“ gemeint. Ansonsten liefert er genug Argumente für die Antwort auf Frage, ob es links ist, für oder gegen diese EU zu sein.

War einst von Solidarität die Rede, um das Projekt Europa zu verkaufen, ist jetzt klar, dass diejenigen Recht hatten, die die Union als ein Projekt der Märkte geißelten. In guten Zeiten fielen Brosamen für den Süden ab, in schlechten Zeiten zeigt sich klar, wem Europa nützt. Der deutschen Wirtschaft und den deutschen Banken. Sie verdienten und spekulierten in den heutigen Krisenländern fleißig mit. Während ihre Kunden, die Banken und Sparkassen in Südeuropa bankrott gehen, hat die Austeritätspolitik „Made in Germany“ die Geldgeber aus Deutschland und Frankreich aus der Schusslinie genommen.

Reiner Wandler[7]

Nein, diese Deutsch-EU muss nach dem Brexit hoffentlich noch einige weitere Niederlagen einstecken, damit sich ein transnationales europäisches Projekt entwickeln kann, das bestimmt nicht von Brüssel und Berlin vorgegeben wird. Wann und wie es sich entwickelt, hängt von der Bereitschaft ab, wie wir uns mit den Kämpfen von Menschen und Bewegungen solidarisieren.

Die Unterstützung der kleinen britischen Lexit-Kampagne bei ihren Bemühungen, nicht den Rechten und Nationalisten in einem Großbritannien ohne EU das Feld zu überlassen, könnte ein Anfang ein. Wenn in Großbritannien oder wo auch immer Streikenden mit Notstandsgesetzten gedroht wird, und es folgt eine solidarische Antwort, wäre das auch ein Baustein für ein solches Europa der Basis, das sich gerade deshalb zu verteidigen lohnt, weil es kein „Deutsch-Europa“ ist sondern eine Konsequenz von dessen Scheitern.

https://www.heise.de/tp/features/Das-Brexit-Bashing-bei-Linken-und-Liberalen-geht-weiter-3586612.html?view=print

Peter Nowak


URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3586612

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.leftleave.org
[2] http://www.taz.de/!5330318/
[3] http://www.labournet.de/internationales/grossbritannien/arbeitskaempfe-grossbritannien/der-streik-bei-deliveroo-britische-selbststaendige-radkuriere-setzen-ein-signal-gegen-einen-boss-der-keine-app-ist/
[4] http://www.nzz.ch/international/europa/arbeitskaempfe-in-grossbritannien-aerger-ueber-streiks-an-weihnachten-ld.135465
[5] http://www.taz.de/!5260894/
[6] http://www.taz.de/!5069936/
[7] http://www.taz.de/!506993

Die Linke war in der Brexit-Debatte nicht präsent

Fast 3 Millionen wollen nachträglich die Schwelle für eine Anerkennung des Brexit in einer Petition höherlegen

Lange Zeit hatten die EU-Befürworter das Verbleiben Großbritanniens in diesem Bündnis auch damit angepriesen, dass dort ja zumindest einige bürgerliche Rechte gewährleistet seien. Das Referendum mache doch deutlich, dass dort die Bevölkerung auch mal gefragt wird.

Nun ist es tatsächlich keine Errungenschaft der so oft als Hort der Demokratie besungenen EU, dass das Referendum zustande kam. Die Gründe liegen in den Fraktionskämpfen innerhalb der Tories und der Taktik von David Cameron. Doch kaum ist das Referendum nicht so ausgegangen, wie es die Freunde der EU wollten, zeigt sich, wie ernst es manche von ihnen mit der Demokratie wirklich meinen. In einer von fast 3 Millionen unterzeichneten Online-Petitionen[1] wird gefordert, dass das Referendum nur gültig sein soll, wenn 60 Prozent der Wähler bei einer Wahlbeteiligung von über 70 Prozent für den Brexit gestimmt haben. Sonst müsse das Referendum wiederholt werden.

Solche Modifizierungen sind grundsätzlich legitim. Doch Brexit-Befürworter und -gegner haben sich auf ein Referendum zu den Regeln geeinigt, wie sie nun galten. Und nach diesen Regeln haben die EU-Gegner gewonnen. Wer nachträglich die Ergebnisse ändern will, weil die Ergebnisse nicht passen, hat höchstens ein taktisches Verhältnis zu bürgerlichen Grundrechten.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich diejenigen, die unmittelbar eine neue Abstimmung wollen, durchsetzen werden. Schon allein deshalb, weil es unwahrscheinlich ist, dass sich mit solch plumpen Tricks eine Mehrheit für die EU organisieren lässt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Brexit-Befürworter einen noch größeren Erfolg hätten. Und was dann?

Dann lieber überhaupt kein Referendum. Das ist die Linie der Eurokraten in sämtlichen Ländern und Parteien Sie werfen Cameron vor, aus machttaktischen Gründen ein Referendum in die Wege geleitet und damit den Brexit in Kauf genommen zu haben. Solche Vorwürfe las man auch in vielen Kommentaren von Tageszeitungen, die sich nicht genug echauffieren können, über Wahlbehinderungen in Venezuela und ähnliche Staaten, die gemeinhin als nicht-kapitalistisch gelten, was mit Recht bestritten werden kann. Dass in diesem Ländern gerade die Subalternen in den letzten Jahren mehr Partizipationsmöglichkeiten haben als vorher, ist aber ziemlich klar. Trotzdem wird hierzulande immer die Meinung verbreitet, es handele sich um undemokratische Regime.

Referendum einfach ignorieren, weil es nicht ins Kalkül der Londoner City passt

Wenn der britische Abgeordnetel  David Lammay vorschlägt[2], die Ergebnisse des Referendums einfach zu ignorieren, weil es nicht im Sinne der Londoner City ist, dann könnte man eigentlich denken, die Labour-Partei, die ja den innerparteiischen Ränkespielen der Tories fern steht, würde solche Gelegenheitsdemokraten wie Lammay in die Schranken weisen. Doch der ist sogar Mitglied der Partei.

Was ist von einer Partei zu erwarten, die immer noch einen Tony Blair in ihren Reihen hat, der mit einer Lüge das Land in den Irakkrieg zog und deren rechter Sumpf nach der Brexit-Abstimmung auf einen Rücktritt des Labour-Vorsitzenden Corbyn drängt[3], weil der angeblich nicht vehement genug für die EU getrommelt hat?

Corbyn war nie der Kandidat der spätestens seit Blair auf Tory-Kurs gebrachten Labour-Partei. Sein Erfolg war das Ergebnis einer Graswurzelbewegung, der den Parteibürokraten schon immer suspekt war. Wenn nun von den Labour-Rechten Corbyn zum Rücktritt gedrängt werden soll, machen sie nur deutlich, wie wenig sie sich um Demokratie scheren, in der Partei genauso wenig wie in Europa.

Dabei war es Corbyns Fehler, auf Druck der Partei überhaupt auf einen Pro-EU-Kurs eingeschwenkt zu sein. Wäre er seinen jahrelangen EU-kritischen Überzeugungen treu geblieben, wäre er zu einer Linie zurückgekehrt, die die Labour-Partei in den 1960er und 1970er Jahren vertreten hat. Die Unterhauswahlen 1973/74 gewann sie mit dem Versprechen, die Bedingungen zum EU-Beitritt, den die Tories schon ausgehandelt hatten, zur Disposition und das Ergebnis dann in einen Referendum zur Abstimmung zu stellen. Dazu ist es dann nie gekommen. Doch es gab immer eine EU-kritische Strömung bei der Labour-Partei und den britischen Gewerkschaften.

Warum keine Mobilisierung zum Lexit?

Nur im Bündnis mit den Tories konnte die Labour-Partei EU-Beschlüsse durchsetzen. Bei den Tories wurde aus nationalistischen und auch xenophoben Gründen die Opposition gegen die EU stärker und erzwang das Referendum. Bei der Labour-Partei aber wurde die eigene Tradition nicht aufgegriffen, eine Kampagne für einen Lexit, einen EU-Austritt aus linken und emanzipatorischen Gründen, zu organisieren. Dann hätte der Rassismus der Mehrheit der Brexit-Kampagne natürlich kritisiert werden müssen. Aber es hätte immer daran erinnert werden müssen, dass heute die Migranten im Mittelmeer ertrinken, weil eine EU-Richtlinie ihnen einen sicheren Transit verbietet.

Eine Lexit-Kampagne hätte auch die wirtschaftsliberale Politik der Mehrheit der Brexit-Befürworter in den Fokus ihrer Kritik rücken und gleichzeitig deutlich machen müssen, dass die EU selber ein wirtschaftsliberales Projekt ist. Tatsächlich haben kleinere linke Gruppen und Gewerkschaften[4], die sich für einen Lexit stark gemacht, daran erinnern, wie die Austeritätspolitik der EU in Griechenland Demokratie, Ergebnisse von Wahlen, sowie Arbeiter- und Tarifrechte zerstörten.

In einer Erklärung[5] der linken Austrittsbefürworter zum Ausgang des Referendums wird darauf verwiesen, dass es sich auch um Stimmen gegen die Politik der Austerität handelte. Die linken Brexit-Befürworter hatten es auch deshalb bei der aktuellen Debatte schwer, weil sie oft aus taktischen Gründen doch für einen Verbleib in der EU stimmten.

Ein gutes Beispiel ist der Guardian-Kolumnist Paul Mason[6], dessen Buch „Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ gerade auf Deutsch erschienen ist und der im Guardian schrieb[7], dass es viele gute Gründe gäbe, bei dem Referendum gegen die EU zu stimmen. Doch da man keine gemeinsame Sache mit rechten Tories und Rechtspopulisten machen wolle, sei jetzt nicht der Zeitpunkt für einen Austritt gekommen.

Doch wann wäre die richtige Zeit für einen Lexit? Und führt Masons Argumentation nicht gerade dazu, dass sich gerade in der EU-Frage als einzige Opposition gerieren kann, während sich die Linke entweder gar nicht zur EU äußert oder sogar aus unterschiedlichen Gründen für die EU votiert? Ist es dann nicht verwunderlich, dass eine solche Linke als Teil der EU-Nomenklatura wahrgenommen und so ignoriert wird? Ein weiterer Widerspruch in Masons Argumentation besteht darin, dass er die guten Gründe gegen die EU benennt und dann wegen der Rechten empfiehlt, trotzdem für diese EU zu votieren. Dass ist die Fortsetzung der Politik des angeblich kleineres Übels, dass der Linken schon immer geschadet hat.

Die Linke kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor

Nach dem Ausgang des Referendums zeigt sich, wie fatal eine solche Orientierung für die Linke ist. Sie kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor. Dafür sehen sich die Rechten jeglicher Couleur von FPÖ über Front National bis zur AfD bestätigt[8]. Sie müssen gar nicht selber zum EU-Austritt aufrufen. Es reicht schon, dass sie wie verschiedene AfD-Politiker erklären, auch sie würden die Bevölkerung über die EU befragen.

Gelegenheitsdemokraten wie Lammay, die jetzt dazu aufrufen, das Ergebnis des Referendums zu ignorieren, kommen solchen Kreisen gerade recht, um sich zur Verteidigung der Mehrheit der Abstimmenden aufzuschwingen. Die Linke in ihren unterschiedlichen Ausformungen kommt in diesen Debatten nicht vor. Spätestens nach der putschistischen Durchsetzung der Austeritätspolitik gegen Griechenland hätte die Debatte über ein Verlassen der EU beginnen müssen. Dabei müsste deutlich werden, dass es dabei nicht um ein Zurück zu den alten Nationalstaaten geht, sondern um eine europäische Kooperation der Bevölkerung. Die EU-Bürokratie ist dabei nicht förderlich, sondern ein Hinderungsgrund.

Der Ausgang des Referendums in Großbritannien könnte die letzte Chance sein, eine eigene Position zu beziehen und sich für eine europäische Kooperation stark zu machen, die sich nicht auf Nationalstaaten und die Brüsseler Behörden bezieht. Zieht es diese Linke hingegen vor, weiterhin als linkes Feigenblatt im EU-Zirkus zu fungieren, könnte das ihren Bedeutungsverlust noch verstärken, während sich die Rechten aller Couleur als wahre Opposition gerieren. Denn eins ist klar, und das ist auch der Grund für die Nervosität der Austrittsgegner, die Austrittsbefürworter werden in allen europäischen Ländern stärker. In Italien könnte nach den nächsten Wahlen mit der Fünf-Sterne-Bewegung eine Partei die Regierung übernehmen, die die Mitgliedschaft Italiens in der EU infrage stellt.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48648/2.html

Peter Nowak 26.06.2016

Anhang

Links

[1]

https://petition.parliament.uk/petitions/131215

[2]

http://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/brexit-result-latest-david-lammy-mp-eu-referendum-result-parliament-twitter-statement-stop-this-a7102931.html

[3]

http://www.telegraph.co.uk/news/2016/06/25/jeremy-corbyn-i-will-fight-for-labour-leadership/

[4]

http://www.leftleave.org/

[5]

http://www.leftleave.org/lexit-statement-on-the-vote-to-leave-the-european-union/

[6]

http://www.imdb.com/name/nm2258480/

[7]

https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/may/16/brexit-eu-referendum-boris-johnson-greece-tory

[8]

http://www.tagesspiegel.de/politik/fn-afd-fpoe-und-co-rechtspopulisten-feiern-brexit-votum/13782944.html

————————————————————————————————-

Lesetip:

Für ein linkes Nein beim Referendum

Linker Brexit Am 23. Juni soll in Großbritannien über einen Austritt aus der EU abgestimt werden. Linke sollten die Gelegenheit für ein Nein zu EU und Nationalist_innen nutzen.

https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/fuer-ein-linkes-nein-beim-referendum