Gabriels Option: Jetzt aus der Koalition aussteigen


„Hier ist die Rose, hier tanze“ – zur neuesten Luftnummer des ungeliebten SPD-Vorsitzenden

Eigentlich macht der SPD-Unterbezirk Odenwald kaum Schlagzeilen. Doch vor einigen Wochen preschten die Jusos vor, als sie mit einer 80-prozentigen Mehrheit eine Resolution verabschiedeten, die eine Abwahl von Sigmar Gabriel[1] als Parteivorsitzenden erreichen wollte. Wie so oft in der SPD-Geschichte endeten auch die Odenwälder Sozialdemokraten als Lampenputzer und zogen nach Druck der SPD-Gremien den Antrag zurück.

Noch aber findet sich auf der Homepage der Odenwalder SPD die Einschätzung[2] von deren Unterbezirksvorsitzenden Oliver Grobeis:

So gesehen drücken die Jusos in ihrem Antrag die vorherrschenden Ängste und Besorgnisse der Genossinnen und Genossen aus. Der Antrag auf Abwahl bedeutet zudem aus meiner Sicht die Aufforderung an die Führungsebene, etwas grundlegend zu ändern, und das sieht nicht nur der vergleichsweit bescheidene SPD-Unterbezirk Odenwaldkreis so.

Das zeigt, dass Gabriel nur noch Parteivorsitzender der SPD ist, weil sich keiner seiner potentiellen Konkurrenten für die nächste Wahlniederlage verantwortlich machen lassen will. Das soll bitteschön der letzte Dienst von Gabriel an die SPD sein. Nach den Bundestagswahlen werden die Karten neu gemischt. Da ist es nur zu verständlich, dass Gabriel ab und zu mit irgendwelchen Texten den Anschein erwecken will, er hätte so etwas wie eine Strategie.

Was bedeutet das progressive Lager?

Da in diesem Jahr das politische Sommerloch wegen der Fußball-EM besonders früh begonnen hat, hat er den Zeitpunkt, wo schon ein Spiegel-Artikel mit vagen Inhalten Diskussionen auslöst, gut genützt. Zu verstehen war, dass sich Gabriel doch für ein Bündnis mit Grünen und Linken erwärmen könnte.

Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es diese Diskussion und selbst die eifrigsten Befürworter von Rosa-Rot-Grün haben in der letzten Zeit erkannt, dass es dazu wohl in absehbarer Zeit nicht kommen wird. Denn bei den nächsten Wahlen hätte sehr wahrscheinlich diese Parteienkonstellation keine parlamentarische Mehrheit mehr, was ja die Grundlage für ihre Realisierung wäre.

Kaum aber erwähnte Gabriel in seinem Spiegel-Gastbeitrag[3] ein „progressives Lager“, das sich gegen rechts positionieren muss, rätselten die Politkommentatoren, ob er damit etwa ins Lager von Rosa-Rot-Grün gewechselt sei. Das dementierte Gabriel dann umgehend und ließ enttäuschte Freunde der parlamentarischen Mehrheit links von der Union zurück[4].

Der SPD-Parteivorsitzende hat mit dem Vorstoß nur seine bisherige Zickzack-Linie, mal in die eine, mal in die andere Richtung zu blinken, fortgesetzt. Das mögen manche seinem Politikstil anlasten, aber es spiegelt auch trefflich die aktuelle Lage der Sozialdemokraten wieder. Sie erkennen, dass sie als Vorreiter der neoliberalen Politik, wofür in Deutschland die Agenda 2010 steht, ihre eigene Basis unterminieren. Sie sind aber so fest mit der wirtschaftsliberalen Politik verbunden, dass sie da auch nicht mehr zurück können.

Dies zeigt sich weniger in Gastbeiträgen, sondern vielmehr in der realen Politik. Die SPD winkte[5] erst vor wenigen Tagen eine Reform des Erbschaftssteuerrechts durch, die direkt von Lobbyvereinen der Firmenerben verfasst worden sein könnte. Wie sie das dem schrumpfenden SPD-Wählersegment aus der Arbeiterschaft erklären wollen, ist die eine Frage.

Da aber ein seit einiger Zeit ein Teil der früheren SPD-Wähler aus der Arbeiterschaft bei der AfD ihr Kreuz macht, stellt sich auch die andere Frage, wie ernst es der SPD jenseits von Gastbeiträgen mit dem Kampf gegen die AfD ist.

Dass einige Spitzenpolitiker der Grünen jetzt das Erbschaftssteuergesetz kritisieren und sogar eine Blockade im Bundesrat anregen, ist auch nur Show. Gerade die von den Grünen geführte Landesregierung in Baden-Württemberg hat in ihrer Liebedienerei vor den schwäbischen Familienerben die CDU noch an Servilität überboten. Auch das ist kein Zeichen, dass es etwas wird mit dem rosa-rot-grünen Bündnis.

Neue Entspannungspolitik als SPD-Wahlschlager?

Das gilt noch viel mehr für die politische Baustelle, bei der ein anderer SPD-Spitzenpolitiker neue Akzente setzen will, die nachhaltiger als Gabriels Luftnummer sein könnten. Es ist Bundesaußenminister Steinmeier, der vor einem neuen Kalten Krieg mit Russland warnt und dabei auch Nato-Verbündete kritisiert. Damit bedient Frank-Walter Steinmeier unterschiedliche Klientele.

Die Linkspartei spendet Beifall. Zugleich sehen auch Teile der deutschen Wirtschaft in einem Konfrontationskurs gegen Russland Nachteile für ihre Interessen. Darüber hinaus hat sich in den letzten Monaten auch in Teilen der Rechten und rechtsoffener außerparlamentarischer Bewegungen eine prorussische Stimmung breitgemacht. Dabei gibt es völlig unterschiedliche Beweggründe für diese Russlandbegeisterung.

Vor allem die Rechte sieht Putin-Russland als Garant einer illiberalen Demokratie, in der individuelle Rechte stark eingeschränkt oder abgeschafft sind. Auf der linken Seite hingegen wird vor allem 75 Jahre nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion daran erinnert, dass die Massenverbrechen, die ganz gewöhnliche Deutsche damals verübten, bis heute in Deutschland nicht wirklich registriert worden sind[6]. So gibt es nun auch erste Initiativen, die sich für einen Gedenkort[7] für die vielen ermordeten und verhungerten sowjetischen Staatsbürgern einsetzen[8].

Eine solche Diskussion ist nun keineswegs ein Grund, keine Kritik mehr an der Putin-Regierung zu üben. Sie ist aber ein Grund mehr, die bedingungslose Unterstützung für die ukrainischen Nationalisten zu kritisieren, wie sie von Politikern der Grünen wie Rebecca Harms seit den Maidan-Protesten zu beobachten war. Harms war es dann auch, die die Überlegungen von Steinmeier zur Entspannung gegenüber Russland gleich als Liebedienerei für Putin bezeichnete und vor einer Entsolidarisierung mit der Ukraine warnte.

Es wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass viele Opfer des deutschen Überfalls aus der Ukraine stammten. Dann muss aber auch erwähnt werden, dass ein Teil der historischen Stichwortgeber der ukrainischen Rechten, die heute sehr aktiv sind, auf Seiten derer standen, die sich als Kollaborateure der NS-Truppen an den Massenmorden an Kommunisten und Juden beteiligten. Ukrainer, die letzte Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz befreiten, waren dagegen Teil der Roten Armee.

Diese komplexe historische und politische Gemengelage wird zumindest keine rosa-rot-grünen Bündniskonzepte befördern. Da würden Rebecca Harms und ihre Freunde ein Veto einlegen. Aber Steinmeier könnte als Verfechter einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland und mit seiner Distanz zu manchen Tönen aus den Nato-Hauptquartieren in einer SPD nach Gabriel durchaus noch eine Rolle spielen. Diese Frage wird aber wohl erst nach den nächsten Bundestagswahlen wichtig, wenn es auch im Parlament für Rosa-Rot-Grün keine Mehrheit mehr gibt.

Regierungswechsel musste vor der Wahl erfolgen

Wenn es in der SPD noch Politiker gäbe, die diese Konstellation wirklich wollten, dürften sie eben nicht auf die nächsten Wahlen warten. Sie müssten an einer entscheidenden Frage, wie der Erbschaftssteuer, den Bruch mit der Union ansteuern, aus der Regierung austreten und mit den Stimmen von Linken und Grünen, die aktuell noch eine Mehrheit haben, einen SPD-Kanzler wählen, der dann eine Minderheitenregierung bildet und Neuwahlen anstrebt – Hier ist Rhodos, hier springe![9].

Dabei könnten wenige zentrale Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit und Entspannung in Europa drehen, im Mittelpunkt stehen. Ein solcher Paukenschlag könnte die politische Richtung ändern, wieder eine Mehrheit von Rosa-Rot-Grün im Parlament bringen und die AfD klein halten. Doch ein solcher Schritt ist weder von einem deutschen Sozialdemokraten noch von Grünen und Linken zu erwarten, wobei der Regierungswechsel an den Linken am wenigsten scheitern würde.

Für eine solche Regierung mit SPD, Linken und Grünen gibt es in Europa ein Modell, das ist Portugal. Dort regiert eine sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung von Parteien links von ihr. Sie hat zumindest einige besonders unsoziale Maßnahmen zurückgenommen.

Doch solange in Deutschland darüber diskutiert wird, ob ein Bundespräsident gewählt werden soll, der die Unterstützung des Lagers links von der Union hat – und selbst die SPD sich nicht dazu nicht bekennt – braucht über ein Szenario, die aktuelle rosa-rot-grüne Mehrheit für einen Regierungswechsel zu nutzen, gar nicht weiter diskutiert zu werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48627/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.tagesspiegel.de/politik/80-prozent-gegen-sigmar-gabriel-warum-die-odenwald-spd-gabriels-abwahl-fordert/13532504.html

[2]

http://www.spd-odenwald.de/index.php?nr=31581&menu=1

[3]

http://magazin.spiegel.de/SP/2016/25/145417418/index.html

[4]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-meister-der-verwirrung-kommentar-a-1098899.html

[5]

http://www.tagesspiegel.de/politik/koalition-findet-kompromiss-einigung-bei-der-erbschaftsteuer-fuer-firmenerben/13758226.html

[6]

http://www.taz.de/!5311392

[7]

http://www.gedenkstaettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rundbrief/rundbrief/news/initiative_gedenkort_fuer_die_opfer_der_ns_lebensraumpolitik

[8]

http://www.gedenkort-lebensraumpolitik.de

[9]

https://de.wikipedia.org/wiki/Hic_Rhodus,_hic_salta

Für Russland oder die Ukraine?

Stell Dir vor, es gibt Krieg und die Opposition macht mit

Unmut über Putin wächst in Russland

In Russland formiert sich eine politische Bewegung, die das unter Putin aufgebaute Machtgefüge in Frage stellen will
Erstmals seit Jahren sammeln Oppositionelle im Intrenet Unterschriften für den Rücktritt des Politikers, der auch nach seinem von der russischen Verfassung erzwungenen Wechsel vom Präsidenten- ins Ministerpräsidentenamt nichts an Einfluss eingebüßt hat. Zu den Erstunterzeichnern gehörten führende Oppositionelle.

Dass die Zahl der Unterstützer innerhalb weniger Tage fast vierstellige Zahlen erreichte, macht deutlich, dass sich das Spektrum der Oppositionellen verbreitert hat. Bisher war es in Russland verpönt und auch nicht ungefährlich, sich öffentlich mit vollem Namen gegen die Machthaber zu positionieren.

Nicht nur im Internet zeigt sich, dass die Unzufriedenheit zunimmt. So werden die teilweise hohen Verluste der Regierungspartei Einiges Russland bei den russischen Kommunalwahlen als Misstrauensvotum gegen die Regierung gewertet. Beobachter finden es bemerkenswert, dass die Verluste auch durch nachweisliche Manipulationsversuche in verschiedenen Städten nicht verhindert werden konnten.

Schon im Februar wurde von internationalen Medien aufmerksam verfolgt, wie sich der Unmut gegen die Regierung in der russischen Enklave Kaliningrad in Massenprotesten äußerte. Die Proteste entzündeten sich an der Krisenpolitik der russischen Regierung, die sich Erhöhungen von KFZ-Steuern und Kürzungen im sozialen Bereich ausdrückte (Steht Russland eine Revolution bevor?).

Es ist noch völlig offen, ob sich in absehbarer Zeit eine Opposition entwickelt, die der russischen Regierung gefährlich werden kann. Doch Beobachter berichten, dass die Angst der Menschen vor offenen Protesten zu schwinden beginnt. Bisher hatte sich bei regelmäßig von der Polizei niedergeschlagenen Demonstrationen der Opposition ein überschaubarer Kreis von Personen beteiligt, der von ultraliberalen bis zu nationalkommunistischen Putingegnern reichte. Nun gehen Teile der bisher abseits stehenden Bevölkerung auf die Straße. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/147266
Peter Nowak17.03.2010