Viele Verfahren und Verurteilungen aufgrund der 129er-Paragrafen in jüngster Vergangenheit

Kurdischer Aktivist vor Gericht

Auch die Abschiebung kurdischer Aktivist*innen aus Deutschland in die Türkei nimmt wieder zu. So wurde am 7. April ein in Ulm lebender Kurde zwangsweise in das Land deportiert, in dem ihm, so ist zu befürchten, Verfolgung droht. Der Mann hatte sich über Monate gegen die Abschiebung gewehrt und wurde dabei auch von Politiker*innen von Linkspartei und Grünen unterstützt. Sie kritisieren die Abschiebung scharf, auch weil der Mann angeboten hatte, freiwillig in ein sicheres Drittland auszureisen.

Wenn man die Parole »Freiheit für Abdullah Öcalan« hört, denken alle sofort an den seit über 22 Jahren in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Doch passt sie auch auf einen aktuellen Fall hierzulande: Am 11. April wurde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) die Hauptverhandlung gegen einen in Deutschland lebenden Abdullah Öcalan eröffnet, der …

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Chance für Solidarität


Deutschland Seine Verhaftung wurde in der Türkei gefeiert: In Hamburg steht Musa Aşoğlu vor Gericht

Die Repression gegen die G20-Proteste hat in der letzten Zeit das Thema Knast und Justiz wieder stärker in den Fokus der außerparlamentarischen Linken gerückt. Doch oft wird vergessen, dass ein Großteil der politischen Gefangenen in Deutschland heute migrantische Linke aus der Türkei und Kurdistan sind. Gegen sie wird mit dem Paragraphen 129b ermittelt, der die »Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland« unter Strafe stellt.
2008 wurde das erste Mal mit diesen Paragraphen linker Widerstand im Ausland vor deutschen Gerichten abgeurteilt. Fünf vermeintliche Mitglieder der türkischen kommunistischen DHKP-C wurden vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht angeklagt und verurteilt – ein Pilotverfahren. 2010 entschied der Bundesgerichtshof, dass auch Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK nach dem Paragraphen 129b angeklagt werden können. Davon wird seitdem reichlich Gebrauch gemacht. Die Aktivitäten der kurdischen Bewegung, die ihre bisherigen traditionsmarxistisch-leninistischen Positionen in den letzten 20 Jahren einer gründlichen Revision unterzog, sich dem Demokratischen Konföderalismus zuwandte und den Kämpfen der Frauen einen großen Stellenwert zuschreibt, werden von der deutschen Justiz mit dem Terrorismusvorwurf belegt. Seit Juni 2016 läuft in München ein Verfahren gegen elf mutmaßliche Mitglieder der türkischen Kommunistischen Partei TKP/ML. Alle lebten und arbeiteten seit Jahren legal in Deutschland, als sie durch ihre Verhaftung im Jahr 2015 aus ihrem Alltag herausgerissen wurden.

Mediale Vorverurteilung als »Terror-Fürst«

Zurzeit läuft in Hamburg ein Verfahren gegen den türkischen Linken Musa Aşoğlu. Am 25. Januar hat der Prozess vor dem Hamburger Oberlandesgericht begonnen. Bis Anfang August 2018 sind schon Termine anberaumt. Aşoğlus Anwältinnen Gabriele Heinecke und Fatma Sayın zufolge weist das Verfahren gegen ihn einige Besonderheiten auf. Ihr Mandant wurde in deutschen und türkischen Medien als einer der »meistgesuchten Terroristen der Welt« und als »Terror-Fürst« vorverurteilt. Die türkischen Medien feierten Aşoğlus Verhaftung. Sie hatten ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, ebenso wie die USA. Dort hat man großes Interesse daran, vermeintliche Mitglieder der DHKP-C zu verurteilen, weil die Organisation, die politisch in der Tradition des Guevarismus steht und Stadtteilarbeit in Armenvierteln mit dem bewaffneten Kampf kombiniert, für Angriffe auf US-Einrichtungen in Istanbul und Ankara die Verantwortung übernommen hat. So könnte nach einer Verurteilung in Deutschland Aşoğlu die Auslieferung in die USA oder gar in die Türkei drohen. Eine solche Auslieferung ist möglich, wenn die betreffenden Länder zusichern, dass der Gefangene in der Haft nicht gefoltert wird und dass ihm nicht die Todesstrafe droht. Dann steht der Auslieferung von Deutschland aus nichts mehr im Wege.
Die Politik spielt bei sämtlichen 129b-Verfahren in Deutschland eine zentrale Rolle. Das Gesetz kann nur angewendet werden, wenn das Bundesjustizministerium die Bundesanwaltschaft dazu ermächtigt, gegen kurdische und türkische Linke in Deutschland zu ermitteln. Der Bundesvorstand der Roten Hilfe hat das Prinzip gut zusammengefasst: »Die Entscheidung, ob Unterstützer der kurdischen Befreiungsbewegung oder türkische Kommunisten einen legitimen Kampf führen oder ›Terroristen‹ sind, wird auf politischer Ebene getroffen. Ob verfolgt wird oder nicht, hängt nicht vom Tatvorwurf ab, sondern wird letztlich von einem Bundesministerium festgelegt«. Genau hier bieten sich auch politische Interventionsmöglichkeiten über die Begleitung der Prozesse hinaus. »Keine Ermächtigung zur Verfolgung kurdischer und türkischer Linker in Deutschland« müsste eine zentrale politische Forderung werden. Dabei geht es nicht darum, ob jemand die politischen Inhalte der jeweiligen Gruppierungen unterstützt oder nicht. Es geht darum, dass diese Inhalte in Deutschland nicht kriminalisiert werden dürfen und damit die Kooperation zwischen deutscher und türkischer Justiz beendet wird. Die ist nämlich ungestört weitergelaufen, während sich führende Politiker_innen Deutschlands und der Türkei gegenseitig bekämpft haben. Es ist keine Gefälligkeit für das türkische Regime, sondern eigenes Interesse deutscher Staatsapparate, Linke aus Kurdistan und der Türkei und sicher demnächst auch anderen Regionen in der Welt abzurteilen. Daher muss ein Kampf gegen diese Repression auch die Repressionsorgane beider Staaten und ihre Kooperation in den Fokus rücken.

Wenig Interesse in der außerparlamentarischen Linken

Das Interesse der außerparlamentarischen Linken an dem Verfahren ist sehr begrenzt. Das zeigte sich auch bei der internationalen Konferenz »Freiheit für Musa Aşoğlu«, die am 10. und 11. Februar im Centro Sociale in Hamburg stattfand. Ziel der Veranstalter_innen vom Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen« war es, unterschiedliche von Repression betroffene Spektren zusammenzubringen. So berichteten Aktivist_innen des Bündnisses »United We Stand« auch über die Repression gegen G20-Gegner_innen und den wachsenden Widerstand dagegen. Eine gemeinsame Diskussion kam jedoch nur in Ansätzen zustande.

aus: ak 635 vom 20.2.2018

https://www.akweb.de
Peter Nowak

»Ermittlungsergebnisse türkischer Behörden sind eine der wichtigsten Grundlagen der Anklage«

Interview mit dem Münchner Rechtsanwalt Yunus Ziyal, einem der Verteidiger im Münchner Staatsschutzverfahren gegen zehn türkische Linke über die Zusammenarbeit von deutscher Justiz und türkischen Behörden

konkret: Sie sind Anwalt der Nürnberger Fachärztin Dilay Banu Büyükavci, gegen die seit fast einem Jahr vor dem Münchner Oberlandesgericht verhandelt wird. Was wird Ihrer Mandantin vorgeworfen?

Yunus Ziyal: Frau Dr. Büyükavci wird die Mitgliedschaft in beziehungsweise die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung, der Türkischen Kommunistischen Partei / Marxisten-Leninisten (TKP/ML), nach Paragraph 129b vorgeworfen. Bei Ermittlungen sogenannter Organisationsdelikte im Staatsschutzbereich geht es meist – so auch hier – nicht darum, dass den Angeklagten die Beteiligung an bestimmten Anschlägen oder Gewalttaten zur Last gelegt wird. Vielmehr geht es um für sich genommen legale politische Tätigkeiten, wie das Abhalten von Versammlungen, die Durchführung von Veranstaltungen oder Spendenkampagnen. Das wird jedoch seitens der Generalbundesanwaltschaft dann als mitgliedschaftliche oder unterstützende Tätigkeit im Rahmen einer Vereinigung gewertet.

Als sogenannte Bezugstaten, die für eine Strafbarkeit nach Paragraf 129b erforderlich sind, greift die Generalbundesanwaltschaft auf im Wege der Rechtshilfe übermittelte Erkenntnisse der türkischen Sicherheitsbehörden zurück. Aufgeführt sind ein knappes Dutzend Anschläge, von denen einige über zehn Jahre zurückliegen.


Frau Büyükavci beklagte in einer Prozesserklärung, sie sei in der Haft isoliert. Wie sind ihre Haftbedingungen aktuell?

Zu Beginn der Untersuchungshaft waren alle Angeklagten isolierenden Haftbedingungen ausgesetzt. Das waren äußerst belastende Monate, auch weil durch die Absonderung von Mitgefangenen im Knast hässliche Gerüchte auftraten, welche Grausamkeiten unsere Mandantin begangen haben könnte. Nachdem die Isolation gelockert worden war, hat sich diesbezüglich zumindest bei meiner Mandantin einiges verbessert. Nach wie vor sind es die erheblichen Einschränkungen bei der Kommunikation mit der Verteidigung sowie die U-Haft an sich – inzwischen immerhin fast zwei Jahre! -, die sehr belastend wirken.

Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten. Warum trotzdem dieser Prozess?

Zwischen einem Verbot nach dem Vereinsgesetz und einer Verfolgung nach Paragraph 129b besteht juristisch ein Unterschied. Dennoch ist die Frage richtig und wichtig, warum eine Organisation, von der nach den Erkenntnissen einer jahrzehntelangen Beobachtung und Überwachung in Deutschland offenbar keine Gefahr ausging, die nicht einmal besonders aufgefallen ist, nun plötzlich mit dem scharfen Schwert des Terrorismusstrafrechts bekämpft wird. Ich denke, die Frage lässt sich kaum alleine juristisch beantworten, sonder hier müssen die politischen Verhältnisse und insbesondere die besonderen Beziehungen zum türkischen Staat in den Blick genommen werden.

Sie haben mit Ihren Kollegen Anfang März bei der Bundesregierung einen Antrag auf Rücknahme der Verfolgungsermächtigung gegen die TKP/ML gestellt. Wie haben Sie ihn begründet, und was bedeutet die Entscheidung für das Verfahren?

Die Verfolgungsermächtigung, also die Erlaubnis des Justizministeriums, eine Vereinigung nach Paragraph 129b zu verfolgen, ist eine Prozessvoraussetzung. Ohne diese würde das Verfahren umgehend platzen. Wir sind der Ansicht, dass im Fall der Türkei insbesondere in ihrer jetzigen Verfasstheit die Erteilung der Verfolgungsermächtigung rechtswidrig war. Der Paragraph 129b soll Staaten schützen, die ihrerseits die Menschenwürde achten. Das ist im Falle des türkischen Regimes nicht gegeben. In dem Antrag wird auch in Frage gestellt, inwieweit die Ziele der kommunistischen TKP/ML im Verhältnis zur Praxis des türkischen Staates als verwerflich und „gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet“ bewertet werden können.

In den letzten Monaten hat sich das Verhältnis zwischen der türkischen und der deutschen Regierung sehr verschlechtert. War davon auch die deutsch-türkische Kooperation in bezug auf das Münchner Verfahren betroffen?

Von dieser Verschlechterung, die vor allem medial kolportiert wurde, haben wir im Münchner Gerichtssaal bislang nichts mitbekommen. Es ist zwar so, dass der Senat sich vordergründig bemüht, „politisch sauber“ zu bleiben und zwischen den Zeilen eine gewisse Distanz zum türkischen Regime zu wahren. Nach wie vor ist es jedoch so, dass die meisten unserer Anträge schlicht abgelehnt werden und das Prozessverhalten des Senats auf den Willen einer möglichst schnellen und unkomplizierten Verurteilung unserer Mandanten schließen lässt.


Können Sie Beispiele für die deutsch-türkische Kooperation in dem Verfahren nennen?

Die angeblichen Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden zu den Bezugstaten und zur Struktur der Organisation, die im Rahmen der polizeilich–justitiellen Zusammenarbeit an die Bundesanwaltschaft übermittelt wurden, sind eine der wichtigsten Grundlagen der Anklage.


Im Fall vermeintlicher Gülen-Anhänger wurden die Betroffenen, die vom türkischen Geheimdienst bespitzelt wurden, von den deutschen Behörden informiert und gewarnt. Auch in dem Münchner Verfahren spielen solche Spitzelberichte eine Rolle. Wie wurde damit umgegangen?

Aus einem Bericht des mittlerweile inhaftierten, früheren Leiters der Istanbuler Anti-Terror Abteilung geht hervor, dass sich die türkischen Behörden bei ihren Ermittlungen auch auf geheimdienstliche Quellen im Ausland berufen. Völlig unverhohlen – offensichtlich in der Gewissheit, nichts befürchten zu müssen – wurde dieser Bericht der Generalbundesanwaltschaft im Rahmen des Rechtshilfeabkommens zur Verfügung gestellt. Die nahm dies nicht etwa zum Anlass, ein Strafverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit einzuleiten, sondern ist sich nicht zu schade, den Bericht im Verfahren als Beweismittel einzuführen.

Könnte der Prozess ohne diese deutsch-türkische Justizkooperation überhaupt weitergeführt werden?

In dem Moment, in dem die Bundesanwaltschaft Anklage erhebt, sind die Ermittlungen abgeschlossen. Das bedeutet, aus ihrer Sicht sind keine weiteren Beweise mehr notwendig. Gleichzeitig wissen wir, dass die polizeilich-justitielle Zusammenarbeit nach wie vor stattfindet; die Bundesanwaltschaft hat auch bereits neue Informationen in das Verfahren eingeführt.

konkret online
http://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-anlass-beitrag/items/ermittlungsergebnisse-tuerkischer-behoerden-sind-eine-der-wichtigsten-grundlagen-der-anklage.html
Interview: Peter Nowak