Widerstand gegen Stuttgart 21 geht weiter

-Nach ihrer Niederlage bei der Volksabstimmung Ende November haben die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 deutlich gemacht, dass sie ihren Widerstand nicht einstellen werden

Führende Aktivisten, wie der Pressesprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, und Werner Sauerborn von der Gruppe Gewerkschaftler gegen S21, haben in einem Offenen Brief an den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eine harte Haltung gegenüber der Bahn gefordert. Ehe der Bau überhaupt weitergehen kann, müsse die Bahn einen tragfähigen Finanzierungsplan vorlegen und das Grundwassermanagement regeln, heißt es in dem Schreiben. Bevor diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist für die S21-Gegner ein Abriss historischer Gebäude und ein Fällen von Bäumen im Stuttgarter Schlossgarten undenkbar.

Unterstützt werden sie dabei von Peter Dübbers, dem Enkel des Architekten des bisherigen Stuttgarter Hauptbahnhofs Paul Bongartz. Er fordert in einem Brief an den für Kultur zuständigen Staatsminister Bernd Neumann, das Bahnhofsgebäude als Kulturdenkmal zu erhalten.

Die Bahn hat allerdings andere Pläne und will am 9.Januar mit dem Abriss beginnen. Die Gegner des Projekts verlassen sich nicht allein auf offene Briefe, sondern setzen ihren Widerstand auch auf der Straße fort. Für den 7.Januar ist eine zentrale Demonstration geplant.

Volksabstimmung – scheindemokratische Farce?

In einer Stuttgarter Erklärung begründen die S21-Gegner, warum sie trotz des Votums der Bevölkerung ihren Protest fortsetzen. Sie sparen dabei auch nicht mit Selbstkritik:

„Auch in der Protestbewegung haben allzu viele darauf vertraut, dass die grün-rote Landesregierung die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vorbedingungen zur ‚Volksabstimmung‘ erfüllen würde, das heißt, alle entscheidungsrelevanten Tatbestände offenzulegen. Stattdessen wurden Fakten ignoriert, die Auskunftsverweigerung seitens der Bahn hingenommen und Falschaussagen toleriert“, heißt es in der Erklärung.

In einer der Taz beigelegten Sonderausgabe haben die S21-Gegner ihre Vorwürfe detaillierter dargelegt. Nur wenige Wochen nach der Volksabstimmung seien führende Versprechen der S21-Befürworter Makulatur geworden, ist in der Zeitungsbeilage zu lesen.

„Bereits heute übersteigen die S21-Kosten erkennbar die vereinbarte Obergrenze. Die Zusage, andere wichtige Schieneninfrastrukturprojekte in Baden-Württemberg würden durch S21 nicht ausgebremst, gilt bereits nicht mehr“, monieren die S21-Kritiker. Detailliert setzen sie sich mit den Stresstest auseinander, der die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs ermitteln sollte. Nach ihrer Lesart handelt es sich dabei in mehreren Punkten um Manipulationen und Tricks.

Vom Denkmalschutz über die Kosten bis zur Leistungsfähigkeit werden in der Publikation noch einmal alle Themen aufgezählt, die die S21-Gegner in den letzten Monaten allerdings durchaus auch schon benannt haben. Dass diese Argumente bei der Volksabstimmung nicht die Gegner des Projekts stärkten, ist eine Tatsache, die von den Aktivisten hauptsächlich mit der ökonomischen Macht der Befürworter erklärt wird. So seien die möglichen auf das Land zukommenden Kosten bei einem Ausstieg maßlos übertrieben worden, während kaum erwähnt worden sei, dass die Realisierung des Projekts viel teurer als geplant werden würde.

Allerdings müssen sich die S21-Gegner nun mit dem Problem auseinandersetzen, dass sie kaum noch einen Hebel in der Hand haben, um das Projekt zu stoppen. Appelle an die Bundesregierung, aus dem Projekt auszusteigen, zeugen von einer gewissen Hilflosigkeit. Denn die Bundesregierung hat in den letzten Jahren immer wieder bekräftigt, wie wichtig ihr die Durchführung von Stuttgart 21 ist.

Dabei hat Merkel sogar die Wahlniederlage ihrer Partei in Baden-Württemberg in Kauf genommen. Denn dass nun ein grüner Ministerpräsident, der als entschiedener Gegner des Projekts angetreten ist, Stuttgart 21 durchsetzen muss, bringt CDU und FDP in eine komfortable Lage. Die brauchen nur zusehen, wie die Grünen das Problem bewältigen, ihrer eigenen Basis die Polizeieinsätze zu vermitteln, die nötig werden, falls Bäume gefällt und weitere Gebäude abgerissen werden. Auch können die Konservativen hoffen, dass die Koalition zwischen Grünen und SPD in Baden-Württemberg diesen Stresstest nicht durchhält.

Dann könnten sich die beiden Parteien, die das Projekt Stuttgart 21 befürworteten und vor der Volksabstimmung gemeinsam dafür warben, bald in einer großen Koalition wiederfinden. Es könnte dann aber auch der Widerstand wieder wachsen und trotz der Volksabstimmung durchaus noch ein ernstzunehmender politischer Faktor werden. Schließlich hat der gerichtlich durchgesetzte Baustopp beim Grundwassermanagement – wegen der unzureichenden Berücksichtigung des Schutzes des Juchtenkäfers – der siegestrunkenen Bahn deutlich gemacht, dass sie auch nach dem Votum der Bevölkerung in Baden-Württemberg mit ihren Plänen noch nicht am Ziel ist.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151142
Peter Nowak

„Der Stresstest ist bestanden“

Die Gegner des Bahnprojekets, die Grünen eingeschlossen, könnten die großen Verlierer sein
  Zwei Meldungen zum Projekt Stuttgart 21 machen deutlich, dass von dem im letzten Herbst so hochgelobten neuen Politik-Stil bei den in der Bevölkerung umstrittenen Großprojekten wenig übrig geblieben ist. Nach den bundesweit kritisierten Polizeieinsätzen wurde unter Vorsitz des CDU- und Attac-Mitglieds Heiner Geißler eine im Fernsehen übertragene Schlichtung moderiert. Doch nun zeigt sich immer mehr, dass die Kritiker dieses Prozedere Recht hatten.

Die Bahn ist trotz monatelanger Proteste und der ersten von den Grünen als stärkster Partei geführten Landesregierung ihrem Ziel näher denn je. Der Bahnhof wird mit einigen Modifizierungen gebaut und die Gegner des Projekts befinden sich in der Defensive. Das Schweizer Unternehmen SMA hat das von der Bahn schon vorher an die Presse weitergegebene Ergebnis des S-21-Stresstests nun offiziell bestätigt.

In einer über 200 Seiten starken Expertise kommt das Unternehmen zu dem Ergebnis, dass die Bahn die erforderlichen Standards für den unterirdischen Neubau des Stuttgarter Bahnhofs eingehalten habe. Zudem bestätigt das Unternehmen, dass die Bahn den Stresstest bestanden hat. In dem Papier heißt es nach Informationen des Spiegel

"Unsere Prüfung der Simulationsergebnisse hat gezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte im Hauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belasteten Stunde und mit dem der Simulation unterstellten Fahrplan mit wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität abgewickelt werden können."

"Der Stresstest ist bestanden", jubilierte eine Sprecherin der Bahn nicht zu Unrecht. Denn die von der grün-sozialdemokratischen Landesregierung vereinbarte Volksbefragung über das Projekt dürfte kein großes Hindernis für das Projekt sein. Die Union hat erwartungsgemäß kein Interesse, der neuen Landesregierung aus der Patsche zu helfen und die Hürden für die Volksabstimmungen in Baden-Württemberg zu senken. So verfehlte das
Vorhaben der Landesregierung, die Quote für ein erfolgreiches Volksbegehren zu senken, im Stuttgarter Parlament die nötige Mehrheit.

Die Gegner des Bahnprojekts, die sich nach den Landtagswahlen fast am Ziel wähnen, könnten nun die großen Verlierer sein. Sie werden an der Präsentation des Stresstestergebnisses nicht teilnehmen. Der Grundfehler der Bahn, die Experten des Aktionsbündnisses nicht von Anfang an der Definition aller Vorgaben des Stresstests zu beteiligen, könne nicht geheilt werden.

Seitens der Bahn fehle bis heute jeder Wille zur Kooperation auf Augenhöhe. Der Stresstest entwickle sich so zu einem "Weichspüler" für ein untaugliches Bahnbetriebskonzept, lautet die Begründung für die Absage, die nicht nur von den Parkschützern, die dem Moderationsprozedere von Anfang an kritisch gegenüberstanden, sondern auch von Umweltgruppen und Wahlbündnissen, die an dem Prozess beteiligt waren, gemeinsam vertreten wurden.

Vor einer neuen großen Koalition?

Die Frage wird sein, ob die außerparlamentarische Bewegung nach einem endgültigen Baubeginn noch einmal die alte Kraft zurück erlangt, was viele Beobachter bezweifeln. Dann wäre die Moderation ein besonders probates Mittel gewesen, umstrittene Projekte bürgerfreundlich doch durchzusetzen.

Die Folgen für die grün-rote Landesregierung sind noch unklar. Da die Grünen gegen Stuttgart 21, die SPD aber dafür ist, könnte damit die Koalition platzen und eine große Koalition der Bahnfreunde folgen. Selbst die grünennahe taz moniert die Blauäugigkeit der Regierungspartei:

"Die Partei um Ministerpräsident Winfried Kretschmann will das Bahnprojekt Stuttgart 21 stoppen, doch derzeit verpufft ihre Strategie dazu komplett."

Vielleicht müsste man die Blauäugigkeit von Teilen der Protestbewegung, die der Moderation zustimmten, in die Kritik einbeziehen. Obwohl sie grundsätzlich gegen das Projekt S21 waren, haben sie sich auf eine Debatte über dessen Rentabilität eingelassen. Sie hätten von der Anti-AKW-Bewegung lernen können, die gut beraten war, mit den Energiekonzernen nicht über die Rentabilität von AKWs zu diskutieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150186

Peter Nowak

Normale Ermittlungen oder Kriminalisierung von S21-Gegnern?

Die Polizei machte eine Hausdurchsuchung, angeblich um an Material zu gelangen, das seit Wochen online ist

 Am frühen Morgen des 7.Juli durchsuchte die Polizei Büros von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21. Bei der Aktion geht es um Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Demonstration am 20. Juni.

Laut Polizei rissen an diesem Tag mehrere hundert Menschen einen Bauzaun nieder und besetzten die Baustelle. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit einem bei der Aktion enttarnten Zivilpolizisten, der, wie es auch in der Mitteilung der Polizei heißt, eine Dienstwaffe trug. Laut Polizeiangaben sei der Mann dabei verletzt worden. Demonstranten gaben an, der Mann habe eine Waffe getragen und während der Besetzung zu Straftaten aufgerufen. Er sei nach der Enttarnung beschimpft und geschupst, aber nicht schwer verletzt worden. Die Piraten kritisiert, dass ein Beamter in Zivil bei der Kundgebung überhaupt eine Schusswaffe mit sich führt. Diese Version sollten auch Aufnahmen der Aktion beweisen, die die Aktivisten schon wenige Stunden nach den Vorfällen ins Netz gestellt haben. Dieses Material wurde auch wenige Tage später auf einer Pressekonferenz in Stuttgart präsentiert.

In der Erklärung des Polizeipräsidiums heißt es, man sei zur Durchsuchung gezwungen gewesen, weil die Parkschützer das Material nicht an die Ermittlungsbehörden weitergegeben und auch keine Tatzeugen namentlich benannt hätten. Die Polizei widersprach auch der Version des Pressesprechers der Parkschützer Matthias Herrmann, der wenig Verständnis für die Polizeiaktion zeigte. „Mit fünf Mann und einem Staatsanwalt kam die Polizei heute früh um das Material sicher zu stellen, dass am 24. Juni 2011 öffentlich gezeigt wurde und auf DVD zur Verfügung gestellt wurde“, erklärte er. Herrmann stellte auch klar, dass entgegen Pressemeldungen seine Privatwohnung nicht durchsucht worden ist, obwohl sich der richterliche Durchsuchungsbefehl auch auf diese Räume erstreckte. Er hatte das gesuchte Material von sich aus ausgehändigt. Herrmann widersprach der Darstellung der Polizei, dass er einer Vorladung nicht nachgekommen sei.

Politische Hintergründe?

Während die Polizei jegliche politischen Hintergründe der Durchsuchung zurückwies und von normalen Ermittlungen sprach, bei der sämtliche Beweismittel gesichert werden müssen, wertete Herrmann die Razzia als Versuch einer Kriminalisierung der Parkschützer.

Mittlerweile hat innerhalb der heterogenen Bewegung gegen S21 eine Debatte über die richtigen Aktionsformen begonnen, die nach dem Regierungswechsel zu grün-rot in Stuttgart intensiviert wurde. Die Position von Verantwortlichen der Bahn, die erklärten, egal wer in Stuttgart regiert, das Projekt werde durchgezogen, hat bei vielen S21-Gegnern, die den Regierungswechsel schon als Sieg interpretierten, zu einer Stärkung des Widerstandswillens geführt. So gab es auch am 7. Juli wieder eine Blockade der Baustelle und für kommenden Samstag ist eine weitere Großdemonstration geplant. Auch der Stresstest sorgt eher für mehr Streit, statt für den von den Beteiligten erwünschten Konsens. So ist noch immer unklar, ob der Schlichter Heiner Geissler die Ergebnisse am 14. Juli vorstellt oder ob der Termin verschoben wird, wie von den S21- Gruppen gefordert, die mehr Zeit für die Beurteilung haben wollen.
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/150110

Peter Nowak

Wer eskaliert im Konflikt um Stuttgart 21?

Parkschützer werfen Polizei Falschmeldungen über Verletzte bei Besetzungsaktion vor
  „Gewalt bei Stuttgart 21-Protesten“. Solche Schlagzeilen gab es in den letzten Stunden in vielen Medien, nachdem am 20. Juni im Anschluss an eine Großdemonstration in Stuttgart Tausende Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 das Gelände des Grundwassermanagements besetzt hatten.

Einen ganz anderen Eindruck vermittelt eine Pressemitteilung de Protestbündnisses Parkschützer zur gleichen Aktion: „Die Versammlung auf dem Gelände verläuft friedlich, es kam zu keinen Ausschreitungen, auch die Polizei verhält sich sehr ruhig. In gelöster Feierabendstimmung nehmen die Anwesenden ein Stück ihrer Stadt wieder in Besitz.“

Gegenüber Telepolis hielt der Pressesprecher der Parkschützer Matthias von Herrmann an dieser Darstellung fest. An der Besetzung hätten sich ganz normale Bürger beteiligt, die zuvor an der Montagsdemonstration teilgenommen hatten und mit der Aktion ein deutlicheres Zeichen des Protestes setzen wollten Bei der Besetzung sei es auch von einzelnen Personen zu Sachbeschädigungen gekommen, die allerdings von seiner Organisation, die für gewaltlose Proteste eintritt, nicht unterstützt werden. Herrmann sieht in diesen Aktionen auch die Folge einer Wut gegenüber dem Agieren der Bahn AG, die mit dem Weiterbau vollendete Tatsachen schaffen wolle, obwohl die Rechtsgrundlage von vielen Juristen bezweifelt werde.

Zivilpolizist als Provokateur?

Herrmann widerspricht der Darstellung der Polizei, es habe neun verletzte Beamte bei der Besetzungsaktion gegeben. In einem Fall sei ein Knallkörper in der Art eines Silvesterböllers in der Nähe des Demonstrationszuges explodiert. Da in unmittelbare Nähe befindliche Demonstranten keine Schäden davon getragen haben, sei es nicht glaubhaft, dass ein in weiterer Entfernung sich aufhaltender Polizist trotz Helms einen Gehörschaden dadurch erlitten habe.

Der Vorfall erinnert an ein ähnliches Ereignis im Juni 2010, wo ein am Rande einer Demonstration der Sozialproteste explodierender Böller medial zunächst als ein gegen Polizisten gerichteter Sprengsatz dargestellt wurde.

Auch Meldungen über einen schwerverletzten Zivilpolizisten kann Herrmann nicht bestätigen. Der Beamte sei von Demonstranten enttarnt worden, die beobachtet haben wollen, wie er zu Straftaten angestiftet haben soll. Auf Fotos, die ihn nach seiner Enttarnung zeigen, sei von schweren Verletzungen nichts zu sehen. Die „Parkschützer“ suchen Videos und Augenzeugenberichte zu den Vorfällen.

Die Bahn-AG will trotz der stärkeren Proteste den Bau fortsetzen. Doch es könnten neue Hindernisse auftauchen. Am 21. Juni hat der Umweltverband BUND eine einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht, um den Weiterbau an dem Projekt juristisch zu stoppen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150030

Peter Nowak

Kann eine Volksabstimmung Stuttgart 21 retten?

Selbst die größten Optimisten unter den S21-Gegnern glauben nicht, dass in einer landesweiten Abstimmung die nötige Stimmenzahl erreicht wird. Gegner hoffen nun auf den Stresstest

 Eigentlich gab niemand mehr dem Projekt Stuttgart 21 nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg eine große Chance. Schließlich sollen die Grünen, die sich als vehemente Gegner des Stuttgarter Bahnprojekts präsentieren, den Ministerpräsidenten stellen. Einzig der Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza sah es kommen: Nur die Grünen können Stuttgart 21 noch durchsetzen, schrieb er in seiner Kolumne – und er könnte wieder einmal recht behalten. Denn der Kompromiss, den Grüne und SPD in Baden-Württemberg zu dem Thema unterschrieben haben, um eine Koalition eingehen zu können, gibt den Freunden von Stuttgart 21 wieder Auftrieb.

Die Gründe liegen in den Richtlinien, nach denen in dem Bundesland Volksabstimmungen abgehalten werden können. Mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten, das sind rund 2,5 Millionen Bürger, muss bei Gesetzesänderungen mit Ja stimmen. Selbst die größten Optimisten unter den S21-Gegnern glauben nicht, dass in einer landesweiten Abstimmung die nötige Stimmenzahl erreicht wird. Trotzdem erklärt der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann unverdrossen:

„Wenn das Quorum nicht erreicht wird, ist das Ausstiegsgesetz nicht angenommen.“

Schließlich war die Volksabstimmung die Bedingung, damit die S21-Befürworter bei der SPD überhaupt einen Grünen zum Ministerpräsidenten wählen. Selbst der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ging auf Distanz zu Kretschmann. Es sei noch nicht geklärt, was passiert, wenn sich eine Mehrheit der Bürger gegen das Projekt ausspricht, aber das Quorum für eine Volksabstimmung nicht erreicht wird. „Dann muss die Regierung gucken, wie sie weiter verfährt“, schiebt Palmer seinen Konkurrenten Kretschmann die Verantwortung zu.

Das von Palmer beschriebene Szenario ist sehr wahrscheinlich: Die S21-Befürworter müssen nur der Abstimmung fernbleiben, um das Projekt zu retten. Dann ist die Stimmenzahl der Gegner groß, aber das nötige Quorum wird nicht erreicht und S21 ist nicht nur gerettet, sondern hat durch die Volksabstimmung auch noch das Prädikat „besonders demokratisch durchgesetzt“ erhalten.

Schon nach Bekanntwerden des Kompromisses gab es wütende Reaktionen, bei den Grünen, aber auch bei parteilosen Gegnern des Bahnprojekts. Auch wenn sich in der Bewegung erste Ausdifferenzierungen bemerkbar machen, sind viele mehrheitlich realpolitisch orientiert und haben nach den Wahlen entschieden, dass die Grünen auch als Regierungspartei Teil des Protestbündnisses bleiben können.

Diese Arbeitsteilung würde schwieriger, wenn die Grünen als Regierungspartei nach der Volksabstimmung das Projekt umsetzen müssen. Auf die Fallstricke bei der Volksabstimmung haben Juristen in einer Presseerklärung ebenso hingewiesen, wie die die Gruppe der Parkschützer.

Alle hoffen auf den Stresstest

S21-Gegner setzen ihre Hoffnung jetzt in das Ergebnis des bei der Schlichtung vereinbarten Stresstestes, der eine Volksabstimmung überflüssig machen könnte.

Die Gefahr, dass die dazu passenden Ergebnisse hingemauschelt werden, sei allerdings riesengroß, befürchtet nicht nur die Linkspartei in Baden-Württemberg. Solche Spekulationen hat Bahnchef Grube selber gefördert.

Er gibt sich auch nach den Wahlen in Baden-Württemberg überzeugt, dass das Bahnprojekt gebaut wird und der Stresstest keine Hürde sein wird.

„Wenn wir uns nicht sicher wären, dass der Bahnhof den Test besteht, hätten wir uns auf das Thema nicht eingelassen. Wir stehen weiterhin voll zu Stuttgart 21.“

 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149724

Peter Nowak

Geht der Protest gegen Stuttgart 21 weiter?

Protestaktionen am Samstag werden unterschiedlich bewertet; Wahlkampf in Baden-Württemberg dominiert das Thema

Die erste zentrale Protestaktion gegen Stuttgart 21 nach Ende der Schlichtung weckte ein großes Medieninteresse. Würde die Bewegung wieder an Fahrt aufnehmen oder hat sie ihren Zenit überschritten? Diese Fragen konnten am Samstag nicht endgültig beantwortet waren. Denn schon die Angaben über die Teilnehmerzahlen waren denkbar unterschiedlich.

Während die Polizei von lediglich 16.000 Demonstranten sprach, was eine Niederlage wäre, sprechen die Protestorganisatoren von ungefähr 50.000 Demonstranten, was angesichts der winterlichen Verhältnisse ein Erfolg wäre. Zu der Demonstration wurde bundesweit aufgerufen; Busse kamen sogar aus Berlin und dem Ruhrgebiet.

Zu den Rednern gehörte die verkehrspolitische Sprecherin der Linken Sabine Leidig, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer und der langjährige SPD-Politiker Peter Conradi, der allerdings im Gegensatz zu seiner Partei langjähriger Gegner des Projekts S21 ist. Wie er haben zahlreiche Sozialdemokraten aus Südwestdeutschland ihren Unmut über die Parteilinie ausgedrückt und wenige Monate vor der Wahl die Krise in der SPD noch verschärft.

Während die SPD mit einer Volksbefragung in Baden-Württemberg S21 durchsetzen will, fordern nun Sozialdemokraten eine Mitgliederbefragung über das Bahnhofsprojekt. Die Union sieht denn auch vor der Landtagswahl die Grünen als wichtigsten Konkurrenten. Schließlich gab es vor einigen Wochen noch Umfragen, die sie als stärkste Partei sah. Doch nach der Schlichtung, die im Ergebnis die Landesregierung stärkte, will die CDU vor allem ihre eigene Basis wieder einfangen. Während die Grünen offen lassen, ob sie bei einer Regierungsbeteiligung Stuttgart 21 stoppen können, versucht sich die Linke als konsequentere Gegnerin des Projekts zu profilieren. Die Landesregierung versucht die neuen Proteste als Wahlkampfshow von Grünen und Linken abzuqualifizieren.

Wie mit dem Schlichterspruch umgehen?

Der Umgang mit dem Schlichterspruch von Heiner Geißler, der eigentlich ein „S21 plus“ bedeutet, spielte natürlich auch auf der Demonstration eine große Rolle. Die Reaktionen schwankten zwischen zähneknirschender Akzeptanz und Ablehnung.

Viele S21-Gegner lobten die Schlichtung als Lehrstück der Demokratie, der Spruch aber habe dann doch gezeigt, dass alles beim Alten bleibe. Palmer gibt nun eine neue Linie vor. Das Projekt würde sich von selber erledigen, denn die von Geißler vorgeschlagenen Nachbesserungen seien nicht durchzuführen, machte der Grüne den Demonstranten Mut.

In diese Richtung gehen zahlreiche Initiativen. So fordert das „Netzwerk Privatbahnen“ einen Stop von S21. Andere Projektkritiker halten den im Schlichterspruch vorgesehenen zusätzlichen Gleise bei einem nicht bestandenen Stresstest für unmöglich, andere halten zusätzliche Schienen nur nach einem neuen Planfeststellungsverfahren möglich.

Jenseits dieser strittigen Details haben die erneuten Proteste auch gezeigt, dass der Wahlkampf in Baden-Württemberg eine wichtige Rolle spielt. Wer dabei der Gewinner sein wird, ist noch völlig unklar. Sicher ist nur, ein Triumpf der Union würde als Bestätigung von S21 interpretiert und Geißler wäre der Retter des Projekts.
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148924

Peter Nowak

Großer Bahnhof gegen „Stuttgart 21“

PROTEST Mit einem Sonderzug kommen am Dienstag 600 Aktivisten zum Demonstrieren nach Berlin

Am kommenden Dienstag wird der Widerstand gegen Stuttgart 21 nach Berlin getragen. Von 8 bis 17 Uhr soll an verschiedenen Orten in der Innenstadt gegen das Bahnprojekt in der schwäbischen Hauptstadt protestiert werden. Der extra für den Protestevent gecharterte Sonderzug der süddeutschen AktivstInnen wird am Dienstag um 8 Uhr am Berliner Hauptbahnhof eintreffen. Dort soll er vom Berliner „Schwabenstreich“ empfangen werden. In der Gruppe haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich für direkte Demokratie einsetzen.

Seit einigen Wochen organisieren sie jeden Mittwoch Kundgebungen am Potsdamer Platz (taz berichtete). Bisher hielt sich die TeilnehmerInnenzahl in Grenzen. Daher sind die etwa 600 TeilnehmerInnen hochwillkommen, die am Dienstag mit dem Sonderzug nach Berlin kommen wollen.

Vom Hauptbahnhof ist ein Kulturzug durch das Regierungsviertel geplant. Am Bundeskanzleramt soll Halt gemacht werden. Für Alexis Passadakis ist dort die richtige Adresse für den Protest. „Stuttgart 21 ist ein bundesweiter Konflikt. Kanzlerin Angela Merkel entscheidet federführend über die Mittel der Bahn“, meint das Mitglied von Attac.

Zeitgleich wird an der Schaubühne der kulturelle Protest geprobt. Ab 10.30 Uhr studiert der Theaterregisseur Volker Lösch dort mit AktivistInnen den „Berlin-Stuttgarter Bürgerchor“ ein. Die Premiere des Proteststücks ist am Potsdamer Platz. Dort beginnt ab 17 Uhr die Abschlusskundgebung des Aktionstages.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F22%2Fa0152&cHash=d47c835b6c

Peter Nowak

Stuttgart: Lobbykritik I

Die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird auch virtuell geführt. Am Sonnabend legte die Nichtregierungsorganisation LobbyControl den Grundstein für das Internetprojekt Lobbypedia. Die Namensähnlichkeit zu dem Internetlexikon Wikipedia ist nicht zufällig. Auch Lobbypedia will sich der Software Mediawiki bedienen, um über politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu informieren, die bei der Planung von Stuttgart 21 eine Rolle spielten. In den Planungsprozess involvierte Personen, Firmen, Verbände und Interessengruppen sollen benannt werden. Ein weiterer Themenbereich für Lobbypedia ist die Frage, wie ein 2004 verfolgter Bürgerentscheid verhindert worden ist. »Lobbypedia will nicht selber pro oder contra Stuttgart 21 Partei ergreifen, sondern die Strukturen und Machtverhältnisse hinter dem Bauprojekt offenlegen«, erklärte Elmar Wiegend von LobbyControl. Ziel ist der Aufbau eines allgemeinen Portals zur Bau- und Immobilienlobby in Deutschland.

www.lobbycontrol.de/blog

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182238.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Stuttgart 21 – Konflikt eskaliert

Hunderte von Verletzten wegen massiven Polizeieinsatzes, Wasserwerfer, Reizgas und Schlagstöcke wurden auch gegen Schüler eingesetzt
Monatelang wurde bundesweit ein neues Protestphänomen bestaunt. In Stuttgart wollte der [extern] Widerstand gegen das verkehrspolitische Projekt [extern] Stuttgart 21 nicht abreißen. Das ist die Kurzbezeichnung eines Verkehrs- und Städtebauprojekts zur Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart. Kernstück ist die Umwandlung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof. Die Zulaufstrecken werden in Tunnel verlegt. Zusätzlich sollen zwei weitere Bahnhöfe, ein neuer Abstellbahnhof und eine neue Stadtbahn-Station entstehen

Mit der offiziellen Entscheidung für die Umsetzung des Projekts begannen zahlreiche [extern] Protestaktionen. Seit November 2009 finden wöchentlich sogenannte Montagsdemonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt. Sie halten das Projekt für betriebsschädlich, nicht bahnkundenfreundlich, umweltbelastend und überteuert und bemängeln Eingriffe in Umwelt, Grundwasser, Denkmäler und privates Eigentum.

Die Aktionen blieben kein lokales Ereignis mehr, sondern wurden auch von Bewegungsforschern mit Interesse verfolgt. Denn es zeigte sich, dass das Projekt in Umfragen mehrheitlich abgelehnt wurde und auch Einfluss auf den Ausgang der Landratswahl in einigen Monaten haben kann. Den Grünen werden hohe Gewinne prognostiziert, manche sehen sie schon als Regierungspartei in spe.

In der letzten Zeit sollten Gegner und Befürworter verhandeln. Weil den Gegnern klar war, dass es nichts mehr zu reden gibt und der Abriss des Bahnhofs voranschreitet, war der Dialogversuch schnell beendet.

Seit dem 30. September ist die Zeit der Gespräche endgültig vorbei. An diesem Tag ging die Polizei mit Wasserwerfern, Reizgas, Schlagstöcken und Fausthieben auf Demonstranten vor, darunter auch auf Kinder. Mehrere hundert Demonstranten seien wegen Augenverletzungen behandelt worden, teilten die Projektgegner mit. Die Krankenhäuser in Stuttgart seien überlastet. Die Einsatzkräfte wollten damit Wege im Stuttgarter Schlossgarten räumen, die von einer Gruppe Demonstranten blockiert wurden. Dort sollen die ersten von insgesamt 300 teilweise Jahrzehnte alten Bäume für den Umbau des Hauptbahnhofes gefällt werden. Auch der Landtag wurde abgeriegelt.

Während die Oppositionsparteien im Stuttgarter Landtag die Polizeigewalt verurteilten, rechtfertigte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech den massiven Polizeieinsatz. Die angemeldete Demonstration hätte nicht den erwarteten Verlauf genommen und sei in Gewalt ausgeartet. Zudem hätten die Demonstranten nicht mit der Polizei sprechen wollen.

Eskalation mit Ansage

Dabei kam für Beobachter der Protestbewegung die Zuspitzung nicht so überraschend. Nachdem wochenlang die Gegner des Projekts den Diskurs bestimmten und ein Baustop auch in konservativen Medien nicht mehr ausgeschlossen wurde, stellte sich Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag eindeutig hinter das Projekt. Zunehmend wurde auch in der FAZ und anderen konservativen Zeitungen nach linken Hintermännern des Protests Ausschau gehalten, die vor allem in der Gruppe der [extern] Parkschützer ausgemacht wurden.

Gleichzeitig machte die Deutsche Bahn deutlich, dass sie einem Ausstieg des Landes Baden-Württemberg aus dem Milliardenprojekt nicht tatenlos zusehen werde. „Weil ein Ausstieg des Landes aus ‚Stuttgart 21‘ die Bahn eine Menge Geld kostet, könnten wir das gar nicht akzeptieren“, sagte DB-Vorstand Volker Kefer.

Die Maßnahmen sollen einen handlungsfähigen Staat demonstrieren, der sich nicht von der Straße unter Druck setzen lässt. Sie demonstrieren, wir regieren, lautete schon in den 80er Jahren die Devise gegen die Anti-Pershing-Bewegung. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob dieses Kalkül in Stuttgart aufgeht. Auch ein anderes Szenario ist denkbar. Die Polizeiaktion und vor allem die Gewalt gegen Schulkinder haben für bundesweite Aufregung gesorgt und könnten den Protesten auch bundesweit noch mehr Auftrieb geben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33422/1.html

Peter Nowak