Ostdeutsche Antifa blickt zurück

Auf einer Tagung diskutierten Aktivisten über linke Politik in der DDR- und Wendezeit

Eine Gruppe Punks und alternativer Jugendlicher sitzt um eine Schreibmaschine und ist mit der Herstellung eines Flugblatts beschäftigt. Die Szene stammt aus einen Kurzfilm, der vor 30 Jahren in Potsdam entstanden ist. Mitglieder der damals in der Stadt gegründeten »unabhängigen Antifa« wollten damit die Bevölkerung über ihre Arbeit informieren.

Am vergangenen Freitag wurde mit diesem Kurzfilm im Potsdamer Rechenzentrum die Tagung »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland« eingeleitet. Einige der Jugendlichen aus dem Film gehörten zu den Mitorganisatoren. Für manche war es ein Wiedersehen nach vielen Jahren. Auch zahlreiche junge Menschen waren aber darüber hinaus zu der Tagung gekommen, die mit über 200 Teilnehmern gut besucht war. »Ich bin antifaschistisch aktiv und ich will mich informieren, wie in der DDR, in der Wendezeit und in den 1990er Jahren der Kampf gegen Neonazis organisiert wurde«, sagte ein Besucher, der seinen Namen nicht nennen will, zum »nd«.

Die Sozialwissenschaftlerin Christin Jänicke wollte sich dagegen mit der unabhängigen Antifa in der DDR beschäftigen, weil diese in Büchern über die autonome Antifabewegung oft nicht erwähnt werde. »Die Geschichte der Antifa wurde fast ausschließlich aus Westperspektive geschrieben«, sagte Jänicke. Sie hat vor einigen Monaten gemeinsam mit Benjamin Paul-Siewert im Dampfbootverlag das Buch »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland, Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung« herausgegeben. Seitdem erinnerten die Autoren auf zahlreichen Veranstaltungen an das 30-jährige Jubiläum der unabhängigen Antifa in der DDR. Auch die Tagung am Wochenende hätte es ohne das Buch nicht gegeben. 

Auf der Auftaktveranstaltung diskutierten die Teilnehmer über die Hintergründe des selbstorganisierten antifaschistischen Engagements in einem Staat, der den Antifaschismus selbst zur Staatsdoktrin erklärt hatte. Der Theologe und Politikwissenschaftler David Bergerich stellte in seinen Beitrag die allzu simple Vorstellung von der »bösen« Regierung und der »guten« Bevölkerung in Frage. Er erinnerte daran, dass die Überlebenden der Konzentrationslager in der Regierung einer großen Masse von NS-Mitläufen in der Bevölkerung gegenüberstanden. 

Das Verwenden von NS-Symbolen besonders bei Fußballspielen wäre so eine klare Provokation gegen die DDR und ihre führende Partei gewesen. Doch die direkten Opfer waren Juden und die wenigen Nichtdeutschen in der DDR.

Die Filmwissenschaftlerin Angelika Nguyen berichtete weiter, wie sie in der Schulzeit dem rassistischen Alltagsterror ihrer Mitschüler ausgesetzt war. Während in salbungsvollen Reden die internationale Solidarität mit Vietnam beschworen wurde, habe man sie wegen ihrer Herkunft aus diesem Land gedemütigt. 

Die Historikerin und Publizistin Annette Leo, die in der DDR über die unabhängige Antifa berichtet hatte, setzte sich weiter differenziert mit der Rolle des Antisemitismus in der DDR auseinander. Sie erinnerte an die Kampagne gegen Juden Anfang der 1950er, die mit Stalins Tod beendet wurde. Auch die antiisraelische Politik der DDR und aller Warschauer-Vertragsstaaten sei nicht frei von antisemitischen Elementen gewesen. 

Der Mitbegründer der Ostberliner Antifa Dietmar Wolf ging derweil auf die kurze Geschichte der unabhängigen Bewegung in den Städten der DDR ein. Nach der Wende zerstreuten sich laut ihm wieder viele Antifa-Gruppen, doch ihre Mitglieder blieben oft aktiv gegen die seit 1989 anwachsende Neonazibewegung.

Am Samstag wurden in einer Arbeitsgruppe auch die Konflikte zwischen westdeutschen und ostdeutschen Antifaschisten, die zu einer separaten Organisierung führten, angesprochen. Der Stadtsoziologe Andrej Holm erklärte, dass sich die radikale Linke in den verschiedenen Bereichen vor der westdeutschen Dominanz und deren »kolonialen Verhalten« schützen wollte. Zur Herausbildung einer eigenständigen ostdeutschen Linken sei es allerdings nicht gekommen. 

Als positives Gegenbeispiel benannte Isabella Wohmann die »«Umland-Antifa, wo Berliner Gruppen Initiativen ohne »Metropolenarroganz« unterstützten. Die Tagung soll im nächsten Jahr mit weiteren Treffen fortgesetzt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072407.ostdeutsche-antifa-blickt-zurueck.html

Peter Nowak

»Der DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter«

Dietmar Wolf war in der linken DDR-Opposition aktiv und Mitbegründer der Unabhängigen Antifa Ostberlin. In diesem Herbst jährt sich zum 30. Mal die Gründung der Unabhängigen Antifa in verschiedenen Städten der DDR. Daran erinnert ein Buch mit dem Titel »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland«, das kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist (»Jungle World« 30/2017). Wolf ist bis heute Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift »telegraph«. Wegen seiner antifaschistischen Tätigkeit will er kein Foto von sich veröffentlicht sehen. Am 30. September wird er ab 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 in Berlin über die Geschichte der Unabhängigen Antifa in der DDR berichten.

Warum haben Sie und Ihre Mitstreiter die Unabhängige Antifa gegründet?
Seit 1983 nahmen die offenen Aktivitäten von faschistischen Gruppen, zum größten Teil rechtsgerichtete Skinheads und Fußballfans, sprunghaft zu. Es kam immer wieder zu Überfällen auf Ausländer, Punks, linksalternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch feste faschistische Gruppen, die sich zum Beispiel »Bewegung 30. Januar« – in Anlehnung an die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 – oder »Bucher Front« nannten. Die hatten damals bereits Kontakte zu Westberliner Faschisten, die in der Folgezeit intensiviert wurden. Der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987 hatte in zweierlei Hinsicht Signalwirkung. Zum einen erhöhte sich die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads, zum anderen regte sich erstmals selbstorganisierter Widerstand. Daraus folgte die Gründung von unabhängigen Antifagruppen in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin dann im April 1989.

Warum gründete sich die Unabhängige Antifa in Ostberlin erst so spät?
Nach dem Nazi-Überfall in der Zionskirche gab es, ähnlich wie in Potsdam und Dresden, auch in Berlin einen Versuch von Punks im Umfeld der oppositionellen Umweltbibliothek und der Offenen Arbeit der Erlöserkirche, eine Antifagruppe zu gründen. Das schlug jedoch fehl. Zu verschieden waren die Vorstellungen, zu diffus die Ziele. Im April 1989 gab es dann einen zweiten Anlauf. Auslöser war das Gerücht, dass sich zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers DDR-weit Neonazis am 20. April in Potsdam versammeln wollten. Am 19. April fand in der »Kirche von Unten« (KvU) eine Podiumsveranstaltung zu Nazis in der DDR statt. Diese Veranstaltung war die Initialzündung für die Gründung einer Antifagruppe etwa zwei Wochen später. Daran beteiligten sich über 100 junge Menschen, die mehrheitlich nicht der Oppositionsszene angehörten.

Sehen Sie in der langen Weigerung der DDR-Verantwortlichen, die Existenz aktiver Neonazis in der DDR anzuerkennen, eher Hilflosigkeit oder Kalkül?
Es kann gar keinen Zweifel geben, dass die DDR im Wesen ein antifaschistischer Staat war. Nirgendwo wurde so rigoros und konsequent entnazifiziert wie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dabei darf sicher nicht verschwiegen werden, dass es ab 1948 vielen Nazis und Naziverbrechern gestattet wurde, wieder ins politische und gesellschaftliche Leben der DDR zurückzukehren und dort auch hohe politische, gesellschaftliche und militärische Positionen zu erlangen. Das ist einer der ganz großen Widersprüche des DDR-Antifaschismus. Man darf aber nicht verschweigen, dass die Zahl der Naziverbrecher und faschistischen Massenmörder, die in den westlichen Besatzungszonen und dann in der BRD erneut Einfluss erlangten und wirtschaftlich, militärisch und politisch Karriere machen durften, im selben Zeitraum deutlich höher war.

Warum konnte sich trotz der antifaschistischen Postulate in der DDR eine Naziszene etablieren?
Ein alles entscheidender Punkt für mich ist, dass sich die DDR im Gegensatz zur BRD auf antifaschistische Werte und Traditionen berief. Doch dieser DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter. Mit allen Mitteln und Möglichkeiten der staatlichen Gewalt wurde gegen neofaschistische Erscheinungen und Tendenzen vorgegangen. Gleichzeitig sollte dies unter allen Umständen im Geheimen geschehen und schon gar nicht thematisiert werden. Nachdem die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1948 mit dem Befehl 35 die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) für beendet erklärt hatte, wurde die gesamte Bevölkerung der SBZ/DDR automatisch zu Antifaschisten erklärt. Eine offene gesellschaftliche Aufarbeitung der Machtübergabe an Hitler und der Unterstützung durch den Großteil der deutschen Bevölkerung und eine Diskussion darüber, wie ein wirklicher sozialistisch-antifaschistischer Wiederaufbau nach der Befreiung Deutschlands stattfinden müsste, wären unumgänglich gewesen. Doch diese fanden nie statt.

Was waren die Gründe?
Dem standen Stalin und die stalinistisch beeinflussten Teile der KPD/SED im Weg. Es ging auch um den alleinigen Herrschaftsanspruch der KPD/SED, der sich grundlegend auf den Mythos vom ersten antifaschistischen Staat auf deutschem Boden stützte, in dem unter Führung der KPD/SED der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet worden sei. So ist es nicht verwunderlich, dass Ermittlungen gegen Alt- und Neonazis im Wesentlichen in die Verantwortung des DDR-Geheimdiensts MfS fielen. Die DDR-Justiz verurteilte faschistische Täter stets nur wegen sogenannten Rowdytums oder wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens.

Welches Verhältnis hatten die unabhängigen Antifagruppen zur DDR-Opposition?
Es gab gute Kontakte zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und die KvU in Berlin. Das kam auch daher, dass einige Mitglieder dieser anarchistischen Gruppen in den Antifagruppen aktiv waren. Der große Teil der Oppositionsgruppen, auch einige linke, marxistische, trotzkistische, nahm die Antifagruppen und das Thema Rassismus und Nazis in der DDR aber nicht wirklich ernst.

Die Maueröffnung ermöglichte direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis?
Das Verhältnis war nicht unproblematisch. Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mussten viele Antifaschisten aus der DDR feststellen, dass es ihnen unter Linken nicht anders ging als mit dem Rest der Gesellschaft. Bevormundung, Herabwürdigung und ideologische Eingliederungsversuche aus dem Westen führten sehr schnell dazu, dass auch unter den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt. Während westdeutsche Antifagruppen Anfang der Neunziger mit der AABO eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem Muster der K-Gruppen der Siebziger und dem historischen Vorbild des stalinistischen Rotfrontkämpferbunds aufbauen wollten, schufen Antifagruppen aus der ehemaligen DDR das sogenannte Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.

Die Pogrome von Hoyerswerda bis Rostock haben zu einer bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion geführt, ob die dortigen Neonazis Produkt der DDR oder der Wende waren. Was denken Sie darüber?
Zu sagen, die Nazis in der DDR seien nicht Produkt der DDR gewesen, wäre natürlich Blödsinn. Gleichzeitig ist es auch großer Blödsinn, wenn Menschen behaupten, schuld sei der Zwangskollektivismus der DDR gewesen, weil dort alle Kinder im Kindergarten gleichzeitig auf den Topf gesetzt wurden. Man darf den sozialen Zusammenbruch durch die Zerstörung der DDR-Wirtschaft und die massenhafte Existenzvernichtung durch den kapitalistischen Raubzug nach dem 3. Oktober 1990 nicht gänzlich ignorieren. Es mag sein, dass die Bereitschaft, rassistisches und antisemitisches Gedankengut auf die Straße zu tragen und Gewalt auszuüben, im Osten größer ist. Fakt ist aber auch, dass es neben den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock das rassistische Pogrom in Mannheim-Schönau im Mai 1992 und die rassistischen Mordanschläge in Mölln und Solingen gab. Im Übrigen wurde die AfD 2016 in Mannheim-Schönau bei den dortigen Landtagswahlen mit 30 Prozent stärkste Partei.

Sie sind noch heute in der antifaschistischen Bildungsarbeit tätig. Sehen Sie angesichts des Aufstiegs der AfD noch eine besondere Rolle der Unabhängigen Antifa der DDR oder ist das für Sie nur noch eine historische Frage?
Es ist auch der Beharrlichkeit antifaschistischer Politik und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass selbst bürgerliche Medien heute die AfD als faschistisch einordnen. Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt und zum Transfer von antifaschistischer Geschichte und Wissen. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten von 2017 kaum etwas über die Antifaschisten von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn über die von 1987.

https://jungle.world/artikel/2017/39/der-ddr-antifaschismus-war-lediglich-ein-staatlich-verordneter
Interview: Peter Nowak