Weniger Profit, mehr bezahlbarer Wohnraum

Seit über einem Jahr stellt die Linkspartei in Berlin die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. An den steigenden Mieten in der Hauptstadt hat das nichts geändert.

Ein Jahr im Amt – das ist für Politiker immer eine willkommene Gelegenheit für Selbstbespiegelung und die Präsentation ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Erfolge. Auch Katrin Lompscher von der Linkspartei nutzte ihr einjähriges Jubiläum als Berliner Wohnungs- und Stadtentwicklungs­senatorin für eine Bilanz. »Was wurde in einem Jahr in der Wohnungsfrage ­geschafft beziehungsweise was nicht?« – unter diesem leicht verschwurbelten Motto stand die Diskussion, zu der die »Helle Panke«, die Berliner Sektion der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ende Januar eingeladen hatte.

Moderiert wurde die Debatte von Andrej Holm, den viele der zahlreichen Besucher freundlich begrüßten und mit Vornamen anredeten. Schließlich ist Holm seit Jahren als Mieteraktivist bekannt. Sein kurzes Gastspiel als Staatssekretär, das er wegen Stasivorwürfen bald beenden musste, schuf ein ungewöhnliches Bündnis: »Holm bleibt« lautete das Motto einer kurzlebigen Kampagne, bei der sich Mitglieder der außerparlamentarischen Mieterbe­wegung erstmals in ihren Leben für einen Politiker stark machten. Was bei der Veranstaltung deutlich wurde: Nach Holms Rücktritt blieb das Verhältnis zwischen großen Teilen der mieten- und stadtpolitischen Bewegung in Berlin und dem Senat entspannt.

Nur kurz wurde es etwas lauter – weil sich einige Menschen beschwerten, die keinen Einlass mehr in dem vollen Saal fanden.

Die mehr als 250 Teilnehmer hörten geduldig zu, als Lompscher ihre kleinen Erfolge anpries. Zu der lockeren Atmosphäre dürfte beigetragen haben, dass die Senatorin gar nicht bestritt, dass sich für einen Großteil der Mieter mit geringen Einkommen in Berlin wenig zum Besseren gewendet hat. Das bestätigte die Mieteranwältin Carola Hand­werg mit einem Bericht aus ihrer täglichen Praxis. Demnach formulierten die Eigentümer die Begründungen für Kündigungen immer kreativer und kämen damit bei den Gerichten häufig sogar durch. Zudem sei die Zahl der Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin weiter gestiegen, auch städtische Wohnungsgesellschaften seien an dem Anstieg beteiligt.

Lompscher behauptete, dass die Wohnungen meistens schon verlassen und Zwangsräumungen daher nicht nötig seien. Dabei ist bekannt, dass viele ­Betroffene aus Scham lieber bei Bekannten auf der Couch oder gleich auf der Straße übernachten, als sich räumen zu lassen. An der Stelle wäre für die ­außerparlamentarische Linke zumindest die Forderung nach einem Räumungsmoratorium bei städti­schen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften angebracht gewesen. Eine solche Forderung muss allerdings von unten durchgesetzt werden, indem man die betroffenen Mieter bestärkt, nicht freiwillig auszuziehen, und stattdessen die Verantwortlichen in ihren Büros besucht.

Die Eigentumsfrage stellte in der »Hellen Panke« dann wenigstens Ralf Neumann von der Mieten-AG der Interventionistischen Linken (IL). Man ­müsse dafür sorgen, dass die Profite der Immobilienfirmen sinken, sagte er. Dazu hat die Mieten-AG unter dem Titel »Das Rote Berlin« eine Broschüre veröffentlicht. Der Titel knüpft an die linkssozialdemokratische Wohnungs­politik im sogenannten Roten Wien der zwanziger Jahre des vorigen Jahr­hunderts an, als mit großzügig finanziertem kommunalem Wohnungsbau tatsächlich einige Erfolge in der Wohnungsfrage erzielt wurden.

In ihrem Konzept schlägt die IL »Strategien für eine sozialistische Stadt« vor, so der Untertitel. Der private Wohnungsmarkt solle durch Steuern, ­Regulierung und Marktbehinderung zurückgedrängt und so die Spekula­tion mit Wohnraum un­attraktiv gemacht werden. In einem nächsten Schritt ­solle der Wohnraum durch Aufkauf und Enteignung ­rekommunalisiert und zusammen mit den bereits in Landeseigentum befindlichen Wohnungen in demokratische Selbstverwaltung überführt werden. Dafür will die IL Mieter politisch organisieren und zivilen Ungehorsam sowie Projekte wie das Mietenvolksbegehren unterstützen.

Die Bewegung müsse außerparlamentarisch bleiben, betont die IL in der Borschüre. Gespräche mit Parteien­vertretern lehnt sie aber nicht ab. Es sei radikaler bei den Parteien die Erfüllung von Wahlversprechen einzufordern, als abstrakte Verratsvorwürfe zu er­heben, heißt es in Richtung jener Autonomen, die etwa in der aktuellen ­Ausgabe der Zeitschrift radikal die IL bereits als Vorfeldorganisation der Linkspartei einordnen – und bekämpfen wollen.

Interventionistische Linke Berlin: Das Rote Berlin. Strategien für eine sozialistische Stadt. Berlin 2018, 47 Seiten, kostenloser Download unter interventionistische-linke.org/beitrag/das-rote-berlin

https://jungle.world/artikel/2018/07/weniger-profit-mehr-bezahlbarer-wohnraum

Peter Nowak

Das Tischtuch ist noch nicht zerschnitten

In einer Veranstaltung prallen die Bausenatorin und MieterInnenaktivistInnen aufeinander, Peter Nowak war dabei Das Tischtuch ist noch nicht zerschnitten 

Dicht an dicht standen die Menschen am Montagabend dem Acud in Berlin-Mitte. Manche wurden aus Platzmangel abgewiesen. „Das ist ja so voll wie bei einer Wohnungsbesichtigung“, rief eine Frau und erntete in der Warteschlange Heiterkeit. Schließlich sollte auf der Veranstaltung des Vereins Helle Panke die Bausenatorin Katrin Lompscher Rede und Antwort stehen, was sie im ersten Jahr ihrer Amtszeit in der Wohnungsfrage erreicht hat.
Moderiert wurde die Diskussion von Andrej Holm, der gleich zu Beginn an die hohen Erwartungen erinnerte, die der Amtsantritt der der Linken angehörenden Lompscher bei den aktiven MieterInnen in Berlin ausgelöst hat. Die Ernennung von Holm zum Staatssekretär und die wochenlange Diskussion um seine Stasikontakte haben viele der Anwesenden noch gut in Erinnerung. Viele aus der außerparlamentarischen Linken haben sich damals unter dem Motto „Holm bleibt“ zum ersten Mal in ihrem Leben für einen Politiker eingesetzt. Auch nach einem Jahr ist das Tischtuch zwischen Lompscher und den Initiativen nicht zerschnitten, das wurde an dem Abend deutlich. Geduldig und ohne Zwischenrufe hörte man sich an, was die Senatorin als Erfolge verbuchte: etwa die verstärkte Anwendung des Vorverkaufsrechts und die Rettung des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ) am Kottbusser Tor vor der kapitalistischen Vermarktung. Zur entspannten Stimmung trug sicherlich auch bei, dass Lompscher das Engagement von BezirkspolitikerInnen wie den grünen Baustadtrat von Kreuzberg/Friedrichshain, Florian Schmidt, ausdrücklich lobte. Positiv wurde auch angemerkt, dass sie nicht in den Rechtfertigungsmodus verfiel, als Mieteranwältin Carola Handwerg aus ihrer täglichen Praxis berichtete: Ihre MandantInnen seien nach wie vor mit abenteuerlichen Kündigungen wegen Eigenbedarf oder einen Tag zu spät gezahlten Mieten konfrontiert. Zudem würden auch die städtischen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften weiterhin MieterInnen zwangsräumen lassen. Eine Frau, die mit ihrer Tochter zur Veranstaltung kam, berichtete über ihren Kampf um ein bezahlbares Zuhause. Zweimal habe sie umziehen und mehrere Monate in einer Obdachlosenunterkunft zubringen müssen. „Stadt von unten beginnt beim Boden“, stand im Hof des Acud auf einem großen Transparent von MieterInnenaktivistInnen. Es wird wohl auch auf der Großdemo zu sehen sein, zu der MieterInnen und stadtpolitische Gruppen für den 14. April mobilisieren. Dort dürfte die Kritik an der Politik weniger moderat ausfallen. Schließlich werden auch die Initiativen vertreten sein, die einem zu engen Kontakt mit dem Senat auch unter Lompscher kritisch gegenüberstehen.

aus: Taz, 31.1.2018

Peter Nowak

Entmietung am Ostkreuz

Der Immobilienunternehmer Gijora Padovicz schlägt nun in der Lichtenberger Hauptstraße zu

Rund um den Bahnhof Ostkreuz in Berlin wird viel gebaut. Auf der Lichtenberger Seite, in der Hauptstraße 1 g-i, konnten bisher einige über 80jährige Wohnhäuser der Abrissbirne trotzen. Doch wie lange noch? Seit einigen Jahren sind sie in Besitz des Immobilienunternehmens Padovicz, dem in Berlin einige Hundert Häuser gehören sollen. Den angegrauten Wänden sieht man an, dass hier lange nicht mehr renoviert wurde. 

»Die Hausverwaltung kümmert sich schon lange nicht mehr um die Häuser. Selbst das kaputte Dach wird nicht repariert«, klagt Manuela Kaiser. Sie wohnt seit vielen Jahren in einem der Häuser und will dort auch bleiben. Dabei sollte sie ihre Wohnung bereits zum 31.Dezember 2017 geräumt haben. Ihr befristeter Mietvertrag wurde nicht mehr verlängert.

Wie Kaiser sollen auch mehrere andere MieterInnen ihre Wohnungen am 5. Januar besenrein an die Vivo-Hausverwaltung übergeben. Doch sie haben keine Umzugspläne und sehen sich rechtlich auf der sicheren Seite. Sie haben sich bei der Mieteranwältin Carola Handwerg beraten lassen. Die verweist darauf, dass in den Mietverträgen unterschiedliche Gründe für eine Nichtverlängerung genannt werden. Bei einigen ist eine Totalsanierung der Häuser angegeben. Von einem möglichen Abriss aber steht dort nichts. Zudem haben mehrere MieterInnen, die teilweise schon seit 30 Jahren in den Häusern wohnen, bisher keine Kündigungsschreiben erhalten. Weil sie lange Kündigungsfristen haben, können die Häuser in den nächsten Monaten auch nicht abgerissen werden. Daher sehen die MieterInnen auch keinen Grund, für einen Umzug. 

Unterstützt werden sie dabei von Claudia Engelmann, die für die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg sitzt. »Wir setzen uns dafür ein, dass die befristeten Mietverträge bis zur Abrissanzeige gelten,« sagte sie auf nd-Anfrage. Für die Häuser der Hauptstraße 1 g-i seien aber noch keine solchen Abrissanzeigen eingegangen. »Es ist aber immer wieder Praxis von EigentümerInnen, den Mietern vorzutäuschen, dass bald abgerissen wird, um sie so zu einem schnellen Auszug zu bewegen«, weiß die Lichtenberger Bezirkspolitikerin. Engelmann sieht hier auch den Bezirk in der Pflicht, die AnwohnerInnen über solche Tricks zu informieren und über ihre Rechte aufklären. Die MieterInnen in der Hauptstraße 1 g – i haben mehrere Hausversammlungen einberufen und sich selber über ihre Rechte informiert.

Die Beziehung zur Hausverwaltung ist schon seit Langem angespannt. In mehreren Schreiben der Vivo-Hausverwaltung, die »nd« vorliegen, werden die MieterInnen wie unartige Kinder angegangen. So heißt es in einem Schreiben vom 10. Juni 2016: »Einige Bewohner ziehen auch weiterhin vor, sich nicht zu benehmen. Womöglich haben sie es auch nicht anders gelernt«. 

Von der Vivo-Hausverwaltung war auf Nachfrage niemand zu einer Stellungnahme bereit. Auch die Padovicz-Unternehmensgruppe äußerte sich nicht bis zum Redaktionsschluss dieser Seite.

Der Immobilienunternehmer Gijora Padovicz brachte es nach der Wende vor allem im Ostteil Berlins zu trauriger Berühmtheit. Mit robusten Sanierungsmethoden erreichte er in vielen seiner Häuser, dass entnervte Mieter schließlich aufgaben und auszogen. Er handelt mit Hilfe unterschiedlicher Firmen der Unternehmensgruppe Padovicz. Dazu gehören Berlin Projekt, Gilon, Giwola oder eben Siganadia. Mehrere Häuser hat er mit Geldern des Programms Soziale Stadt modernisiert. Darunter auch einige ehemals besetzte und nun gemeinschaftlich alternativ bewohnte Häuser in Friedrichshain. Laut einem Senatspapier hatte er über 16 Millionen Euro Fördergelder aus dem mittlerweile ausgelaufenen Programm Soziale Stadt erhalten. Padovicz hatte 2017 auch versucht, das »Zentrum Kreuzberg« am Kottbusser Tor zu übernehmen, allerdings hatte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag schließlich das Haus gekauft.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1075207.entmietung-am-ostkreuz.html

Peter Nowak

Streit um Energiespar-Gutachten

Deutsche Wohnen will in Weißensee sanieren, verweigert den Mietern aber exakte Daten

Den großen Häuserblöcken in der Schönstraße in Weißensee sieht man nicht an, dass sie schon fast 80 Jahre alt sind. In den ehemaligen Sozialwohnungen leben noch viele MieterInnen mit geringen Einkommen, darunter Studierende und SeniorInnen mit kleiner Rente. Manche befürchten, dass sie sich ihre Wohnungen bald nicht mehr leisten können. 

Der Grund ist die Modernisierungsankündigung, die die Deutsche Wohnen, der die Häuser gehören, vor einigen Monaten an die MieterInnen der Blechenstraße 12-18, der Schönstraße 34-40, der Großen Seestraße 19-22 und der Parkstraße 72 verschickt hat. Zu den angekündigten Maßnahmen gehört auch eine energetische Sanierung.

Für die BewohnerInnen ist klar, dass damit Mieterhöhungen auf sie zukommen. »Manche sind ausgezogen. Es stehen mittlerweile einige Wohnungen leer«, erklärt Sebastian Roos auf »nd«-Anfrage. Er gehört zu den MitbegründerInnen einer Initiative, in der etwa 30 MieterInnen aktiv sind. »Wenn wir eine Sanierung schon nicht verhindern können, fordern wir zumindest eine sozial verträgliche Modernisierung.«, so Roos.

Schon vor einigen Wochen wandten sie sich an BezirkspolitikerInnen von LINKEN, SPD und Grünen. Dabei verwiesen sie auf ein Beispiel in ihrem Bezirk. In der Grellstraße 12 in Prenzlauer Berg bereitet die Deutsche Wohnen ebenfalls umfangreiche Baumaßnahmen vor. Nach Protesten der MieterInnen verständigten sich das Bezirksamt mit dem Unternehmen auf einen sozialverträglichen Ablauf der Modernisierungsmaßnahmen. 

Doch der zuständige Baustadtrat von Pankow, Vollrad Kuhn (Grüne), musste die Hoffnungen der MieterInnen enttäuschen, dass sich das Modell auch bei ihnen anwenden lässt. »Die Grellstraße liegt in einem Milieuschutzgebiet, die jetzt betroffenen Häuser nicht, daher ist eine solche Vereinbarung hier nicht möglich«, sagte Kuhn dem »nd«. Er sei aber mit der Deutschen Wohnen im Gespräch, um Streitpunkte zu klären. Dabei geht es auch um die Veröffentlichung eines Gutachtens zur Energieeinsparung durch die energetische Sanierung. Die MieterInnen fordern eine Kopie. Die Deutsche Wohnen erlaubt allerdings nur die Vervielfältigung einer kurzen Zusammenfassung. »Das Unternehmen ist nicht zur Veröffentlichung des Gutachtens verpflichtet«, bestätigt Kuhn die Rechtsauffassung der Deutschen Wohnen. 

»Spätestens wenn das Unternehmen die Mieter auf Duldung verklagt, wird sie wohl in den Gerichtsverfahren dieses Gutachten offenlegen. Vorher gibt es leider kein juristisches Mittel,« erklärt AnwältinCarola Handwerg die die betroffenen BewohnerInnen berät. Sie verweist auf juristische Erfolge. Mehrere MieterInnen haben in erster Instanz gewonnen. Sie waren von der Deutschen Wohnen auf Duldung der Modernisierung verklagt worden. »Hier könnte sich ein Weg öffnen, bessere Bedingungen für die Sanierung auszuhandeln«, so Handwerg. Sie bedauert, dass sich nur ein kleiner Teil der MieterInnen wehrt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1073920.streit-um-energiespar-gutachten.html

Peter Nowak

Wärmedämmung verdrängt Mieter

Studie zu energetischer Sanierung in Pankow

Führt energetische Sanierung zu Verdrängung? Dieser Frage widmeten sich am Mittwochabend im Bildungsverein Helle Panke der Stadtsoziologe Christoph Schiebe und die Rechtsanwältin Carola Handwerg. Im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Technischen Universität Berlin hatten sie die Verdrängung von Bestandsmietern durch die energetische Modernisierung in Pankow untersucht. Bisher gab es darüber kaum Daten. »Viele energetische Sanierungen sind den Behörden gar nicht bekannt«, sagte Schiebe. Informationen bekam er letztlich vom Mieterforum Pankow, das sich schwerpunktmäßig mit den Folgen von energetischer Sanierung auf die Bewohner befasst. Zudem führte er Interviews mit Betroffenen.

Besonders von Verdrängung betroffen waren seinen Ergebnissen zufolge Alleinerziehende, ältere Menschen, Hartz-IV-Empfänger und Studierende, die in Wohngemeinschaften leben. 107 Mieter waren 18 Monate nach Beginn der energetischen Modernisierung in ihren Häusern ausgezogen. Schiebe spricht von einer Reduzierung der Bewohner um 30 Prozent. Doch die Zahl der verdrängten Mieter sei höher, betonte Schiebe. Nicht erfassen konnte er die Bewohner, die sofort ausgezogen seien, nachdem sie von der geplanten energetischen Sanierung erfahren hatten. Es sei regelmäßig zu beobachten, dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen aus Angst vor hohen Mieten schnell ausziehen.

Schiebes Fazit: Trotz individueller Beratung, Kappungsgrenzen und Härtefallregelungen konnte die Verdrängung von Mietern in Pankow durch energetische Sanierung nicht substanziell verhindert werden. Beraten lassen sich viele von Verdrängung bedrohte Mieter von der Rechtsanwältin Carola Handwerg. Ihr zufolge wird energetische Sanierung oft bewusst zur Verdrängung genutzt. Handwerg ist Mitglied des Arbeitskreises »Mietrecht« im »Republikanischen Anwältinnen und Anwälte Verein«. Der fordert die Abschaffung des Paragraphen 559 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der die Grundlage für die energetische Sanierung bildet. »Damit werden günstige Wohnungen dem Markt entzogen und Menschen mit geringen Einkommen haben keine Chance.«

Dass energetische Sanierung nicht immer sinnvoll ist, zeigte Handwerg am Beispiel eines Hauses in der Pestalozzistraße. Ein Teil der Mieter hatte die energetische Sanierung akzeptiert, der andere Teil verweigerte sie. Mittlerweile stellte ein Gutachten fest, dass der Energieverbrauch in den sanierten Wohnungen sich nicht von dem in den unsanierten Teilen des Hauses unterscheidet. Handwerg bezeichnete dass Ergebnis als Glücksfall, das helfen könne, auch juristisch weiter gegen eine Methode vorzugeben, die sich auf die Umwelt beruft und der Verdrängung dient.

aus: Neues Deutschland, 23.9.2016

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1026472.waermedaemmung-verdraengt-mieter.html

Peter Nowak

Instrument zur Entmietung

Pankower Mieter wehren sich gegen ausufernde energetische Sanierung

Immer mehr Berliner Mieter machen gegen die energetische Sanierung ihrer Häuser mobil. Sie ist oft nicht ökologisch und treibt zudem die Mieten hoch.

Wenn der Begriff energetische Sanierung fällt, bekommen viele Mieter Angstzustände. Denn sie verbinden mit dem Begriff keineswegs umweltfreundlicheres Wohnen, sondern massive Mietpreissteigerungen und Vermieterschikanen. Das wurde am Mittwochabend beim 2. Pankower Mieterforum deutlich. Es stand unter dem Motto »Prima Klima mit der Miete«. Über 100 Mieter aus Pankow, aber auch Betroffene aus anderen Stadtteilen beteiligten sich an dem über vierstündigen Informationsaustausch im Veranstaltungsort Wabe, der selber von Investoreninteressen bedroht ist.

Sven Fischer aus der Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg berichtete, dass vor zwei Jahren noch 60 Mietparteien in dem Haus gewohnt hätten. Nach der Ankündigung der energetischen Modernisierung und der darauffolgenden Vermieterschikanen seien viele von ihnen in eine Schockstarre gefallen. »Rentner bekamen Herzattacken und junge Mütter wollten nur noch ausziehen«, berichtete Fischer. Er gehört zu der kleinen Gruppe, die bis heute in dem Haus geblieben ist. In der Auseinandersetzung habe er sich zum Experten für energetische Sanierung entwickelt. Dabei sei ihm klar geworden, dass es hier nur um einen Türöffner für Mietpreistreiberei gehe, erklärte er unter Applaus.

Der Stadtsoziologe Andrej Holm bezeichnete die energetische Sanierung denn auch als ein Instrument zur Entmietung. »Es geht den Eigentümern nicht um die Umwelt, sondern um Rendite«, betonte er. Holm würdigte ausdrücklich die Mieter, die sich trotz Schikanen nicht aus ihren Wohnungen vertreiben lassen und auf Baustellen ausharren. »Sie sind ein Hindernis für die Renditeerwartungen der Eigentümer.«

Eine Möglichkeit, ohne große Mietsteigerungen ökologisch zu sanieren, stellte der Architekt Bernhard Hummel am Beispiel des Häuserblocks Magdalenenstraße 19 vor. Das Lichtenberger Gebäude, das vor 1989 zum Komplex der Staatssicherheit gehörte, wird heute von 60 Mietern aller Altersgruppen bewohnt. Das Haus gehört allerdings keiner privaten Wohnungsbaufirma, sondern dem Mietshäusersyndikat. Ein bundesweites Netzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, Wohnraum dem Profitinteresse zu entziehen.

Der Moderator des Mieterforums, Matthias Coers, betonte, dass solche Beispiele zeigten, dass es Alternativen auf dem Wohnungsmarkt gibt. Allerdings könne damit nicht die große Masse der Wohnungssuchenden in Berlin mit bezahlbaren Wohnungen versorgt werden.

Denen kann vielleicht eine Initiative der Mieteranwältin Carola Handwerg Hoffnung machen. Sie versucht auf juristischem Wege dagegen vorzugehen, dass die energetische Modernisierung zum Schrecken der Mieter wird. Dabei bezieht sich Handwerg auf eine Klausel im Gesetz, der Wohnungseigentümern die Möglichkeit gibt, die energetische Modernisierung aus wirtschaftlichen Gründen abzulehnen. Handwerg hat ein erstinstanzliches Urteil erstritten, das auch den Mietern diese Verweigerung einräumt. Nun muss sich zeigen, ob das Urteil auch in den höheren Instanzen Bestand hat, sagte Handwerg und warnte vor verfrühtem Optimismus.

Am Ende waren sich die Teilnehmer einig, dass nur die unterschiedlichen Formen von Widerstand kombiniert mit juristischen Mitteln zum Erfolg führen.

Peter Nowak