Es war nur ein kurzes Aufatmen für die Journalist*innen Leila Robel und Darius Reinhardt und den Fuldaer Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann. Am 22. August 2022 hatte sie das Fuldaer Landgericht vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen. Doch wenige Tage später erhielten ihre Anwälte*innen die Mitteilung, dass die Fuldaer Staatsanwaltschaft ein bislang unbegründetes Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat. Damit könnten die juristischen Auseinandersetzungen um einen polizeikritischen Artikel in die nächste Runde gehen. Zum Hintergrund: Am 13. April 2018 gab ein Polizist …
„Radikale Rechtsmittel“ weiterlesenSchlagwort: Antonio Amadeu Stiftung
Charta 2017 – Nach rechts weit offen
Die Unterschriftenaktion zugunsten rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse benennt sich nicht zu Unrecht nach einer Aktion osteuropäischer Dissidenten. Für die war die Rechte schon immer zumindest ein Bündnispartner
Man muss den hilflosen Antifaschismus nun wahrlich nicht verteidigen, der sich auf der Frankfurter Buchmesse zeigte und den Gegenstand der Kritik, Götz Kubitschek und Ellen Kositza sowie eine kleinen Gruppe rechter Verlage, erst so richtig ins Rampenlicht setzte. Daher können ihre rechten Gesinnungsfreunde auch gar nicht genug Videos über die Protestkundgebungen posten.
Nun können sie noch einen Erfolg feiern. Eine Reihe rechter und konservativer Publizisten wollen mit einer Petition unter dem Titel Charta 2017 gegen eine angebliche Gesinnungsdiktatur in Deutschland protestieren. Dort heißt es: „Wehret den Anfängen – für gelebte Meinungsfreiheit, für ein demokratisches Miteinander, für respektvolle Auseinandersetzungen!“
Die gesampelten Worthülsen sind verschiedenen linken Kontexten entnommen. „Wehret den Anfängen“ war die Parole der Nazigegner, als sich in den 1950 Jahren wieder Rechte versammelten, und die anderen Worthülsen werden auch von der nichtrechten Zivilgesellschaft immer wieder benutzt. So haben Kositza und Friends, nachdem sie schon eine rechte APO ausgerufen haben, auch das Mittel der Unterschriftensteller von den Linken übernommen. Denn bisher kursierten zu unterschiedlichen Anlässen Unterschriftenlisten, die von mehr oder weniger bekannten Liberalen diesen oder jenen Sachverhalt anprangerten und skandalisierten.
Solche Appelle waren vor allem dazu da, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Genau dazu dient auch die Petition, die sich mit ihren Namen Charta 2017 ganz bewusst an die tschechische Charta 77 anlehnt, die als zentrales oppositionelles Dokument nach dem Ende des sogenannten Prager Frühlings und dem Beginn einer antikommunistischen Zivilgesellschaft in Osteuropa gilt. Besonders die damals gerade entstehende grüne Bewegung sah dort ein wichtiges Betätigungsfeld und so ist auch der Taz-Kommentator empört, dass die Charta 2017-Verfasser diesen Begriff übernehmen.
Die Krone des Ganzen aber: „Charta 2017“! Echt? Es ist mehr als Stilkritik, diesen Namen als abstoßend zu empfinden. Er zeigt etwas von der Hybris, die hinter dieser Petition steckt. Sich unterstützend hinter solche Verlage wie Antaios zu stellen, um den es auf der Buchmesse Auseinandersetzungen gab, ist fragwürdig genug. Sich damit auch noch in eine Reihe mit der Tradition der Dissidenten gegen die diktatorischen Systeme des Ostblocks stellen zu wollen ist die nackte Überheblichkeit. Und es ist geschichtsvergessen.
Taz
Doch der Kommentar vergisst, dass ein großer Teil der osteuropäischen Dissidentenszene von Anfang nach rechts weit offen war. Das begann mit den DDR-Aufstand von 1953, in denen auch Antifaschisten drangsaliert und NS-Täter bejubelt wurden und setzt sich in der tschechischen, russischen und polnischen Oppositionsbewegung fort. Ein Rechter hat dort schon mal den Bonus, schon immer gegen den Kommunismus oder das, was so dafürgehalten wurde, gewesen zu sein. Und die Meinungsfreiheit, die man für diese Rechten einfordert, würde man den Linken keinesfalls gewähren. Doch natürlich gab es in all diesen Ländern auch eine linke Opposition, die gegen die stalinistische und poststalinistische Nomenklatura nicht deshalb protestierte, weil diese Kommunisten oder Linke waren, sondern weil sie es real gerade nicht waren. Sie forderten einen wirklichen Sozialismus gegen die Parteibürokratie und nicht Betätigungsfreiheit für die Rechten.
Rechte Bürgerrechtler gegen linke DDR-Oppositionelle
Am Beispiel der Buchmesse zeigt sich diese Spaltung besonders. Als zivilgesellschaftliche Antwort auf die Rechten hatte die Buchmessenleitung einen Stand der Antonio-Amadeu-Stiftung ganz in deren Nähe genehmigt. Die Gründerin Annetta Kahane, die oft und gerne auf ihre kurze Stasimitarbeit festgelegt wird, war in der Wendezeit entschiedene Gegnerin des SED-Regimes und ist bis heute eine unversöhnliche Kritikerin geblieben. Doch gerade sie wird von den alten und neuen Rechten als Kinder einer jüdischen kommunistischen Familie, als entschiedene Verteidigerin Israels und dafür angegriffen, dass sie alle Spielarten des rechten Gedankenguts für bekämpfenswert hält. Ein Kommentar der DDR-Bürgerrechtlerin und nach 1989 rechten Bürgerin Vera Lengsfeld ist direkt gegen die Stiftung gerichtet:
Wenn extremistische Gruppierungen, noch dazu aus einem Regierungsprogramm finanzierte, bestimmen sollen, wer in unserem Land noch Bücher ausstellen darf und wer nicht, ist die Gesinnungsdiktatur schon unter uns. Wer etwas dagegen tun möchte, sollte diese Charta unterzeichnen.
Vera Lengsfeld
Bündnis von rechten Bürgern
Neben ihr haben die Charta 2017 weitere Personen unterschrieben, die man als rechte Bürger bezeichnen kann. Etwa Susanne Dagen, die in der „Zeit“ als Buchhändlerin des Dresdner Bürgertums bezeichnet wurde und Gegenwind bekam, als sie sich zu Pegida bekannte. In der Zeit heißt es über das Ambiente ihres Buchladens: „Die Turmgesellschaft, wie sie Uwe Tellkamp 2008 in seinem Roman Der Turm beschrieb – diese Gesellschaft kauft ihre Bücher hier, bei ihr. Susanne Dagens Großvater war Arzt, ihre Großmutter Sängerin. Der Vater war Chemiker, die Mutter Galeristin. In ihrer Kindheit war Dagen von Künstlern, von Kulturbürgertum umgeben.“
Der besagte Uwe Tellkamp hat die Charta 2017 ebenfalls unterschrieben. Sie stört es auch nicht, dass mit Michael Klonowsky ein AfD-Propagandist und mit Heimo Schwilk ein langjähriger Autor der Jungen Freiheit und Propagandist der selbstbewussten deutschen Nation zu den Mitunterzeichnern gehören. Auch schon lange nach rechts gewendete Ex-68er wie Cora Stephan gesellen sich dazu.
Hier haben wir eine Liste rechter Bürger, die aber ihr Rechtssein heute nicht mehr verstecken, sondern so bekennen, wie es lang vermeintliche Linke taten, wenn sie Unterschriftenlisten unterzeichneten. Als während der Buchmesse Kubitschek einen „Wegweiser für das rechtsintellektuelle Milieu“ mit Namen von Autoren nichtrechter Verlage verteilte, die der rechten Sache nutzten, gaben sich liberale Kommentatoren empört und wollten die Autoren vor angeblicher Vereinnahmung schützen. Von keinem der Genannten war eine Distanzierung zu hören gewesen. Doch einige von ihnen sind Mitunterzeichner der Charts 2017.
Auch DGB München wollte sich schon von Antifa distanzieren
So wird durch die Charta 2017 nur einmal mehr deutlich, dass die Rechte im Moment in der Offensive ist und sich nicht mehr versteckt. Diejenigen, die sich dagegen wehren wollen, werden erkennen müssen, dass ein hilfloser Antifaschismus den Rechten eher nutzt als schadet, wie sich am Beispiel der Buchmesse zeigt. Ein Ruf wie „Nazis raus“ war ja in Deutschland schon immer fragwürdig. 2017 ist er aber geradezu wie aus der Zeit gefallen.
Schon kuscht der Münchner DGB vor einer Kampagne von rechten Medien und Polizeigewerkschaft und kündigte einem Antifakongress erst einmal die Räume. Es beginnen Zeiten, wo man nicht mehr mit der Antifa in Verbindung gebracht werden will. Doch noch wirkt die linke und linksliberale Zivilgesellschaft. Der Kongress kann nach einer Übereinkunft zwischen Veranstaltern und DGB nun doch in den gewerkschaftlichen Räumen stattfinden.
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3867210
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.openpetition.de/petition/online/charta-2017-zu-den-vorkommnissen-auf-der-frankfurter-buchmesse-2017
[2] http://www.pi-news.net/charta-2017-ein-appell-fuer-die-freiheit-von-meinung-und-kunst/
[3] http://www.bpb.de/apuz/28545/eliten-und-zivilgesellschaft-in-ostmitteleuropa
[4] http://www.taz.de/!5456188/
[5] http://www.amadeu-antonio-stiftung.de
[6] http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/2017/zur-buchmesse-warum-eine-diskussion-auf-augenhoehe-mit-den-neuen-rechten-nicht-funktioniert
[7] http://www.tagesspiegel.de/politik/amadeu-antonio-stiftung-streit-um-die-stasi-vergangenheit-von-anetta-kahane/14966422.html
[8] http://vera-lengsfeld.de/2017/10/17/charta-2017-gegen-willkuer-auf-der-frankfurter-buchmesse
[9] http://www.zeit.de/2017/13/susanne-dagen-dresden-pegida-buchhaendlerin-buergertum
[10] http://www.michael-klonovsky.de
[11] http://www.michael-klonovsky.de
[12] http://www.zvab.com/buch-suchen/titel/die-selbstbewusste-nation/
[13] http://www.tagesspiegel.de/kultur/frankfurt-wie-die-buchmesse-mit-rechtsextremen-verlagen-umgeht/20444084.html
[14] http://www.labournet.de/interventionen/antifa/antifa-ini/dgb-muenchen-verbietet-antifa-kongress-ihren-raeumen-nach-radikal-rechter-gegenkampagne-auch-der-gewerkschaft-der-polizei/
[15] http://antifakongress.blogsport.eu
Flüchtlingshass in Zeiten von Pegida
Seit Beginn der Pegida-Demonstrationen hat sich die Gewalt gegen Migranten verdoppelt
Im Organisationsteam von Pegida haben mehrere Führungsmitglieder ihre Funktion aufgegeben [1]. Damit ist der Streit über die Zukunft dieser Bewegung auch in Dresden angekommen. In NRW gibt es diese Auseinandersetzung seit Wochen, auch zwischen den Organisatoren in Leipzig und Dresden war der Zwist groß.
Es geht um die Frage, ob sich die Bewegung in die bürgerliche Politik einspeisen, mit der AfD kooperieren oder noch weiter rechts andocken soll. Doch selbst beim Rücktritt geriert sich das Pegida-Führungspersonal weiter als Opfer. So heißt es auf der Pegida-Homepage [2], die Sprecherin Oertel habe ihr Amt wegen „massiven Anfeindungen, Drohungen und beruflichen Nachteilen“ niedergelegt.
Keine Rolle dürfte bei den Rücktritten gespielt haben, dass Report Mainz am Mittwochabend nachgewiesen [3] hat, dass in Zeiten von Pegida der Rassismus in Deutschland gestiegen ist. So habe sich die Gewalt gegen Migranten und Flüchtlingsheime seit Oktober 2014 mehr als verdoppelt.
Für diese Auflistung wurden die Meldungen der Agenturen, Zeitungs-, Hörfunk- und Fernsehberichte, Pressemitteilungen der Polizei sowie Chroniken der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie systematisch ausgewertet. Verglichen wurde das letzte Vierteljahr, der erste Pegida-Aufmarsch fand am 20.10. 2014 statt, mit dem Drei-Monatszeitraum davor:
Ist Pegida Ursache oder Ausdruck des rassistischen Klimas?
„Pegida hat ein Klima entfesselt, das Gewalt gegen Migranten, vor allem aber Muslime will. Die Erhöhung um über 100 Prozent an Gewalt gegen Schwächere ist beschämend für die Republik, für uns alle“, erklärte der Politikprofessor Hajo Funke. Dieser Befund wird auch von Pro Asyl und der zivilgesellschaftlichen Antonio Amadeu Stiftung geteilt. Sie haben vor wenigen Tagen eine Studie [4] vorgestellt, die eine Zunahme der Gewalt gegen Geflüchtete anzeigt (2014: Wöchentlich drei Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte [5]).
Beide Organisationen sprechen von einem Klima der Angst [6] bei Geflüchteten, die besonders in Sachsen spürbar sei. Allerdings stellt sich die Frage, ob Pegida die Ursache oder nicht nur ein Ausdruck für eine zunehmende rassistische Stimmung ist.
Der ungeklärte Tod von Khaled Idriss Bahray
Doch in der großen Öffentlichkeit dringen solche Nachrichten kaum durch. Das zeigte die Reaktion auf den Tod des Flüchtlings Khaled Idriss Bahray, der in Dresden erstochen wurde. Zunächst wollte die Polizei kein Fremdverschulden feststellte und erntete dafür viel Kritik. Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Gruppen vermuteten [7] einen rassistischen Hintergrund und organisierten mehrere Demonstrationen. Als dann angeblich ein Mitbewohner im Flüchtlingsheim für den Tod von Khaled Idriss Bahray verantwortlich gemacht wurde, ebbte das Interesse schnell ab. Zu seiner Beerdigung in Berlin kamen fast nur Verwandte und Mitbewohner [8]. Dabei ist sein Tod bis heute nicht restlos aufgeklärt [9].
So spielten wohl nach ersten Angaben Drogen keine Rolle. Auch das angebliche Geständnis des Mitbewohners muss mit Fragezeichen versehen werden. Erinnert sich noch jemand an Safwan Eid? Der libanesische Flüchtling wurde beschuldigt, für den Brand in einem Lübecker Flüchtlingsheim, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen, verantwortlich zu sein. Ein Pfleger will ein Geständnis gehört haben. Nach mehrjährigen Prozessen [10] wurde klar, dass Eid mit dem Brand nichts zutun hatte. Aber auch die jungen Rechten, die sich in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte, Brandspuren an der Kleidung hatten und sich sogar mit der Tat gebrüstet hatten, gingen straffrei aus.
Eine Gemeinsamkeit zwischen den Brandanschlag in Lübeck und dem Mord in Dresden gibt es: Ein rassistisches Tatmotiv soll in einer Zeit ausgeschlossen werden, wo das Klima, wie Report Mainz und Pro Asyl zeigten, rassistischer wird.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/news/Fluechtlingshass-in-Zeiten-von-Pegida-2531449.html
Links:
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