Rechte Angriffe haben in den letzten Wochen in Bayern zugenommen

Im Schatten des NSU-Prozesses wächst die Zahl rechter Angriffe in Bayern. Betroffen sind auch Anwälte der Nebenkläger

Eigentlich müsste man denken, dass die rechte Szene angesichts des NSU-Prozesses auf Tauchstation gegangen ist. Schließlich ist der Zusammenhang von rechter Gewalt und rassistischer Ideologie angesichts der NSU-Morde auch für Menschen manifest geworden, die bisher die rechten Umtriebe eher für harmlose Spinnereien gehalten haben. Doch tatsächlich ist die rechte Szene in Bayern nicht abgetaucht, sondern verübt Anschläge, nicht nur trotz, sondern wegen des NSU-Verfahrens. Darauf macht ein Aufruf unter dem Titel „Gemeint sind wir alle“ aufmerksam, der von zahlreichen bayerischen Initiativen und Einzelpersonen unterzeichnet wurde.

„In den letzten Wochen und Monaten nehmen rassistische und faschistische Angriffe in Bayern zu. Die organisierte Neonazi-Szene agiert zunehmend offen und aggressiv“, heißt es dort. In München sei es im April und Mai zu mehreren Attacken von Neonazis gekommen. Zielscheibe seien linke Einrichtungen, die sich gegen rechte Gewalt wehren und Flüchtlinge unterstützen. Die von den Anschlägen Betroffenen kritisierten in einem Fernsehbeitrag die Reaktion der Polizei. So monierte der Vorsitzende des Bayerischen Flüchtlingsrats, Matthias Weinzierl, dass nach der Anzeige der Anschläge ein Rückruf der Polizei erst nach zwei Wochen erfolgt sei.

Auch die Fenster des Wohnprojekts „Ligsalz 8“ seien eingeworfen, Nazi-Parolen in die Fenster eingeritzt und die gesamte Fassade mit Farbbeuteln beworfen worden. Die Geschäftsstelle des Bayerischen Flüchtlingsrats sei ebenso Ziel solcher Angriffe gewesen wie die Münchner Büros des Kurt-Eisner-Vereins, bei dem vier Fensterscheiben eingeworfen wurden. Vom Münchner EineWeltHaus seien zweimal Vermummte vertrieben werden.

Anwältin der Nebenklage im Visier

Auch die Kanzlei Münchner Rechtsanwältin Angelika Lex, die im NSU-Prozess die Witwe des NSU-Opfers Theodoros Boulgarides als Nebenklägerin vertritt, wurde in den letzten Wochen mehrmals Ziel von rechten Attacken. Sie monierte, dass die Polizei zunächst bestritt, dass es sich um eine Serie von Anschlägen gehandelt hat, diese Einschätzung aber später revidierte – mittlerweile wird gegen drei Münchner Neonazis ermittelt. Die Organisatoren des Aufrufs halten eine solche Haltung der Polizei nach dem Aufdecken der NSU-Morde für besonders fatal:

„Die erneute Leugnung eines organisiert agierenden Neonazi-Netzwerks in München zeigt, dass die Polizei nichts aus der folgenreichen Verharmlosung rechter Strukturen der vergangenen Jahre gelernt hat. Angesichts jahrelanger Untätigkeit ist das nicht nur zynisch gegenüber den betroffenen Initiativen und Einzelpersonen der jüngsten Angriffe, sondern auch gegenüber den Opfern des NSU, deren Angehörigen und gegenüber 173 weiteren Todesopfern rechter Gewalt seit 1990.“

„Wir wollen die da weghaben“

Aber nicht nur die in dem Aufruf pointierten Neonaziangriffe gehen im Schatten des NSU-Prozesses weiter. Wenn man sich manche Reaktionen auf die Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa ansieht, könnte man zu dem Schluss kommen, auch die Rechtspopulisten agieren weiter wie im Stil der frühen 90er Jahre. Im Vorfeld des Kommunalwahlkampfes in NRW verschärfen sie die Angriffe gegen diese Menschen, in dem sie reale Probleme ethnisieren.

Das erinnert an ähnliche rechte Kampagnen in den frühen 1990er Jahren in Rostock und anderen Städten. Man wolle sich den „Problemen mit der Zuwanderung aus Osteuropa“ annehmen, so der im Wortlaut seriöse daher kommende Titel einer rechtspopulistischen Unterschriftensammlung zur Begrenzung der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Bei der Sammlung der Unterschriften hörten Ohrenzeugen dann ganz andere Töne. „Wir wollen die da weg haben, alles andere interessiert uns nicht mehr“, habe ein O-Ton gelautet.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154392
Peter Nowak

Am Ohr der Kanzlerin

Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind. Das gilt offenbar auch für ihre Regierung. Da muss es nicht verwundern, wenn der Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), aus dem Kabinett in das Daimler-Management wechselt (sein dortiger Vorgänger kommt in die Politik zurück). Nach Kritik von Opposition und der Organisation Lobbycontrol verzichtet er auf seine Versorgungsansprüche als Politiker. Der frühere CDU-Politiker Matthias Wissmann hat den Wechsel von der Politik zur Automobilindustrie schon 2007 vollzogen. Der langjährige Bundestagsabgeordnete war zuvor unter anderem Bundesverkehrs- und -forschungsminister.

Dass Wissmann bei der Bundesregierung ein offenes Ohr für seine Anliegen findet, machte die Umweltorganisation Greenpeace jetzt deutlich. Sie veröffentlichte einen Brief, den Wissmann als Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben hat.

Dort hat er die Kanzlerin darum gebeten, sich in Brüssel gegen langfristige CO2-Einsparziele für Autos einzusetzen und das Messverfahren beim Spritverbrauch für Neuwagen (das den realen Verbrauch kräftig untertreibt) unangetastet zu lassen. Den Vorstoß des VDA-Präsidenten kommentiert Stefan Krug von Greenpeace Deutschland mit dem Ratschlag: »Die Kanzlerin sollte sich vom Wehklagen der deutschen Autohersteller nicht beeindrucken lassen.« Mit Sprit sparenden Autos und Elektromobilität werde Deutschland als Standort der Autoindustrie sogar profitieren, ist Krug überzeugt.

Allerdings bedarf es dazu mehr als guter Ratschläge. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sich Politiker unterschiedlicher politischer Couleur den Interessen der Automobillobby gegenüber ausnehmend offen gezeigt haben. Auch Gerhard Schröder, der Kanzler einer rot-grünen Koalition, verstand sich als Automann.
Von außerparlamentarischen Aktionen gegen diese Symbiose hört man bisher wenig, auch von Greenpeace.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/823274.am-ohr-der-kanzlerin.html

Peter Nowak

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak

Erster Blockupy-Tag erfolgreich?

Die Aktivisten haben an verschiedenen Stellen der Stadt gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestiert

Demonstrieren und weiterziehen, laut, bunt, provokant. So übertitelten die FAZ und HR-Online ihre Berichte über die Blockupy-Proteste, die am Freitag am frühen Morgen in der Innenstadt von Frankfurt/Main begonnen hatten.

In der Frankfurter Innenstadt waren sie unübersehbar. Die Aktivisten hatten sich auch eine große Aufgabe gestellt. Gleich an verschiedenen Stellen der Stadt wollten sie gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestieren. Der Protesttag begann mit einer Belagerung der Europäischen Zentralbank (EZB) am frühen Morgen. Eine Kundgebung vor der Deutschen Bank folgte. Am Nachmittag schlossen sich Proteste gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Frankfurter City und der Abschiebung von Flüchtlingen am Rhein-Main- Flughafen an. Überall waren mehrere hundert Menschen vor Ort. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als von Stadtverwaltung, Polizei und Justiz sämtliche Blockupy-Proteste verboten worden waren, blieb die Lage heute weitgehend entspannt.

Im Vorfeld waren auch die zuvor verbotenen Aktionen am Frankfurter Flughafen vom Kasseler Verwaltungsgerichtshof aufgehoben worden. Auch die von den Behörden geforderten Routenänderungen bei der für den Samstag geplanten Großdemonstration hatten vor Gericht keinen Bestand.

Flüchtlinge durften nicht demonstrieren

Doch ganz repressionsfrei verliefen die Proteste nicht. Wenn die Aktivisten den Polizeiketten an der EZB oder am Flughafen zu nahe kamen, wurde Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt.

Am Donnerstag wurden Busse mit anreisenden Aktivsten aus mehreren Städten über mehrere Stunden festgehalten. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber Telepolis:

„Die Polizei hat fünf Busse aus Berlin sowie je einen Bus aus Münster und Hamburg auf dem Weg zu den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt gestoppt. Alle Aktivistinnen und Aktivisten aus Berlin wurden fotografiert, ihr Gepäck wird durchsucht und ihre Personalien aufgenommen. Ein Teil der Anreisenden wurde gezwungen, in den Zug umzusteigen. Eine Gruppe Geflüchteter kehrte nach Berlin um. Sie hätten sonst möglicherweise ihre Aufenthaltsrechte gefährdet, weil sie sich mit der Teilnahme an der Demonstration der Residenzpflicht widersetzt haben, der ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt und gegen die sie sich seit Jahren wehren.“

Mit der Maßnahme gegen die Flüchtlinge setzte die Polizei den Grundsatz um, dass eben nicht alle Menschen, die hier leben, die gleichen Rechte haben. Außerdem wurde damit auch eine Schwäche der Protestbewegung offengelegt, die zurzeit eben nicht die Möglichkeiten hat, das Demonstrationsrecht für Alle, die es wollen, durchzusetzen.


War der Blockupy-Auftakt ein Erfolg?

Deshalb ist es auch fraglich, ob es nicht reiner Zweckoptimismus ist, wenn die Blockupy-Aktivisten erklären, dass die politische Botschaft von Blockupy lautet: „Wir können den Alltag des kapitalistischen Systems stören.“ Dass erinnert an ähnliche Siegesparolen anlässlich des G8-Treffens 2007 in Heiligendamm.

Schon ist zwischen dem Blockupy-Bündnis und der Polizei ein Streit darüber ausgebrochen, ob nun, wie die Aktivisten behaupten, sämtliche Eingänge der EZB zeitweise blockiert waren. Die Polizei bestreitet es. Dass ist aber gar nicht entscheidend, weil im Internetzeitalter die Geschäfte der EZB auch bei geschlossenen Toren funktionieren.

Schon bevor sie richtig begonnen haben, wird über die Sinnhaftigkeit der Blockupy-Proteste diskutiert. In der Taz gab es sogar eine Pro- und Contra-Debatte . Dort kritisiert der Kommentator Martin Reeh, dass sich die Aktivisten nicht darauf beschränken, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Damit soll die Protestbewegung in ein rotgrünes Fahrwasser bugsiert werden. Dagegen gehört es Zu deren Pluspunkten, dass sie einen Regierungswechsel nicht unbedingt mit einem Politikwechsel gleichsetzt.

Dass sie zudem Themen wie die prekären Arbeitsverhältnisse und die Abschiebung als Teil der kapitalistischen Realität ins Visier nahm und damit an Praxen von Alltagswiderstand anknüpft, ist eigentlich der interessanteste Moment bei Blockupy. Dass es gelungen ist, eine pakistanische Gewerkschafterin für den Protest zu gewinnen, ist ein Erfolg. Die Beteiligung von Gewerkschaftern aus Deutschland aber ist bisher schwach. Ob sich das bei der Großdemonstration am Samstag ändert, muss sich zeigen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154358
Peter Nowak

Antirassismus nach Wetterlage

Eine »Riesendemo in Berlin« hat am Samstag in Berlin nicht stattgefunden. Mit jener Ankündigung warb das antirassistische Bündnis »Fight Racism Now!« auf Plakaten und Flugblättern für eine Demonstration, die an den 20. Jahrestag der fundamentalen Einschränkung des Asylrechts und den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von Migranten bewohntes Haus in Solingen erinnern sollte, bei dem fünf Menschen gestorben waren. Bei schlechtem Wetter fanden sich in Berlin und Solingen jeweils knapp 1 000 Menschen ein. Den vom Berliner Bündnis geplanten Auftakt am Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma hatte die Versammlungsbehörde wegen der Nähe zur Fanmeile für das Champions-League-Finale verboten. Das antinationale Bündnis »Ums Ganze« hatte bundesweit zur Demonstration in Berlin aufgerufen und stellte in einem eigenen Block etwa ein Drittel der Teilnehmer. Mit Parolen wie »Deutschland ein falscher Gedanke, keine Grenzen, keine Schranken« wandten diese sich gegen jeden positiven Bezug auf Staat und Nation. Auf einem Transparent stand unter dem Konterfei von Thilo Sarrazin der Spruch: »Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient.« An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September in einem Camp am Oranienplatz vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Flüchtlingslager fordern. In diesem Block wurde auch ein großes Transparent mit den Namen und den Todestagen von über 200 Menschen getragen, die seit 1991 in Deutschland entweder durch rechte Gewalt, bei Abschiebungen oder durch Selbstmorde in Abschiebegefängnissen umgekommen sind. Dass die Zahl der Teilnehmer trotz monatelanger Diskussionen um den NSU-Terror nicht größer war, erklären die Veranstalter mit dem schlechten Wetter.

http://jungle-world.com/artikel/2013/22/47801.html

Peter Nowak

Sanierungsfall EU?

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und Markus Ferber (CSU) streiten für noch mehr Deutschland in der EU

Die Deutsch-belgisch-luxemburgische Handelskammer steht gewöhnlich nicht im Zentrum des Medieninteresses. Doch jetzt hat eine Rede für Schlagzeilen gesorgt, die EU-Kommissar Günther Oettinger dort vorgetragen hat und die via Bild schnell Gegenstand der öffentlichen Debatte wurde.

Lautsprecher der deutschen Konservativen

Einige markante Zitate wurden dabei aus der Rede herausgegriffen. Statt die Wirtschafts- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa „Gutmenschentum“ und führe sich als „Erziehungsanstalt“ für den Rest der Welt auf, monierte Oettinger.

Diskutiert wurden auch Oettingers Bewertungen unterschiedlicher Regierungen im EU-Raum. „Mir machen Länder Sorgen, die im Grunde genommen kaum regierbar sind: Bulgarien, Rumänien, Italien.“ In Großbritannien regiere Premiere Cameron mit einer „unsäglichen Hinterbank, seiner englischen Tea-Party“.

Interessant ist auch Oettingers Positionierung zu aktuell heiß diskutierten innenpolitischen Reizthemen in Deutschland: „Deutschland ist auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Leistung – besser wird es nicht mehr.“ Doch die deutsche Politik habe im Moment die falsche Tagesordnung: Mindestlohn, Betreuungsgeld und Frauenquote – das seien nicht die Antworten auf zukünftige Herausforderungen.

Spätestens hier wird deutlich, dass sich Oettinger hier am rechten Flügel der Union positioniert. Diese Positionierung durchzieht auch seine Beurteilung der Situation in der EU. Es ist kein Zufall, dass sie vor einem Gremien vorgetragen wird, in dem die Kern-EU-Länder vertreten sind, die schon mal in der Diskussion als Kandidaten für einen Nord-Euro gehandelt werden. So artikuliert Oettinger das Unverständnis politischer Kreise nicht nur in Deutschland, die den Rest der EU noch mehr an die Kandare nehmen und die Führungsmacht Deutschlands und seiner engsten Verbündeten spüren lassen wollen.

Dabei ist die Metapher vom Sanierungsfall EU sicher kein Zufall. Staaten, die saniert werden sollen, kommen unter Ausnahmerecht und werden notfalls unter Kuratel gestellt. So könnte dem Lamento über die Unregierbarkeit bestimmter EU-Staaten die Forderung folgen, dass sie gleich von einem aus Brüssel bestimmten Gremium verwaltet werden. Schließlich geht es ja vor allem darum, die von der EU beschlossenen Vorgaben umzusetzen.

Nun sind solche Vorstellungen durchaus keine Zukunftsmusik. Wer verfolgt hat, wie die Troika-Politik in Griechenland, Portugal und anderen EU-Ländern umgesetzt wurde und wie hier Abstimmungen der Bevölkerung bekämpft und Wahlen als lästiges Beiwerk behandelt werden, kann erkennen, dass Oettinger hier nur sehr prononciert ausgesprochen hat, was eigentlich schon seit Längerem EU-Politik ist.

Zudem war es auch keine Geheimrede, die von Bild enthüllt wurde. Es ist eher wahrscheinlich, dass der Redner sehr daran interessiert war, dass seine Worte durch die Art und den teilweise irreführenden Duktus der Veröffentlichung erst so richtig im Land bekannt wurden. So kann auch manch konservativer Unionswähler, der überlegt, das nächste Mal der Alternative für Deutschland die Stimme zu geben, die Interessen des deutschen Standorts bei der Regierungspartei in guten Händen wähnen.

Frankreich im Visier

Dass Oettinger dabei neben Bulgarien und Rumänien auch Italien als Sanierungsfall aufführt, zeigt deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten Kerneuropa und der europäischen Peripherie geht. Das wird auch durch die Reaktionen auf die Oettinger-Rede deutlich.

So hat der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber im Interview mit dem Deutschlandfunk darauf verwiesen, dass der Adressat für Oettingers Kritik die EU-Kommission sein muss, ist sich in der Sache aber mit dem EU-Kommissar einig. Es geht ihnen darum, die Austeritätspolitik noch umfassender im EU-Raum durchzusetzen. Dabei hat Ferber gleich noch einen weiteren „Sanierungsfall“ ins Visier genommen, den Oettinger auch als derzeit nicht zukunfstfähig bezeichnet hat: das Nachbarland Frankreich.

Seit dort ein sozialdemokratischer Präsident die Wahlen gewonnen hat, wurde das Land zum Feindbild, obwohl sich Hollande in wesentlichen Punkten entgegen seiner Wahlversprechen der Merkel-Linie untergeordnet hatte. Doch weil Hollande zumindest einige soziale Grausamkeiten der konservativen Vorgängerregierung abmilderte, steht er seit Monaten in Kritik von Konservativen à la Ferber. Der hat im Interview denn auch sein Unverständnis geäußert, dass die EU-Kommission beim Defizitverfahren weiterhin Geduld mit Frankreich zeige. Frankreich muss liefern, verwendet Ferber hier die gleiche Wortwahl, die er bereits vor 18 Monaten auch in Bezug auf Griechenland gebraucht hat.

Im Gegensatz dazu will Ferber Spanien entgegen kommen, weil dessen rechtskonservative Regierung gegen den Widerstand großer Teil der Bevölkerung die sozialen Grausamkeiten umsetzt, die Berlin vorgibt. Gegen eine so offen vorgetragene Politik von Zuckerbrot und Peitsche regt sich im EU-Raum Widerstand, und das scheinen sowohl Oettinger als auch Ferber nicht nur in Kauf zu nehmen. So ist Oettingers Schelte der britischen „Teaparty“ Wasser auf die Mühlen der britischen EU-Gegner. Doch es ist durchaus im deutschen Interesse, wenn das Land austreten würde. Schließlich würde dann das prodeutsche Lager in der EU noch unangefochtener und gestandene Deutschnationale aller Parteien haben den Briten nie vergessen, dass sie 1989 keine Freunde der deutschen Wiedervereinigung waren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154341
Peter Nowak

Gemeinsam auf »Bild« spucken

Die »Bild«-Zeitung will im Vorfeld der Bundestagswahlen am 21. September unaufgefordert eine Sonderausgabe an mehr als 40 Millionen Menschen in Deutschland verschicken. Damit wolle man der Wahlmüdigkeit entgegentreten, begründet Springer die Werbeaktion. Bereits im vergangenen Jahr hat eine Aktion in ähnlicher Größenordnung für zahlreiche Proteste gesorgt. Jetzt haben sich die Kritiker erneut zu Wort gemeldet. Unter den diesjährigen Protestierern ist auch die Online-Druckerei INnUP. Sie verschickt auf Wunsch zehn kleine und drei große Aufkleber mit dem Motto »Bitte keine ›Bild‹ einwerfen« – ebenfalls kostenlos. Damit will die Online-Druckerei nicht nur »eine demonstrative Ablehnung der ›Bild‹-Zeitung auf dem eigenen Postkasten, sondern auch eine persönliche Stellungnahme für eine freie und anspruchsvolle Berichterstattung, fernab dem Boulevard-Journalismus« ermöglichen, wie es auf der Kampagnenseite heißt.

http://www.innup.de/Sticker-Gegen-Bild_Verteilung

http://www.neues-deutschland.de/artikel/822806.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Blockupy reloaded

Am kommenden Freitag und Samstag sind erneut Krisenproteste in Frankfurt/Main geplant. Aber die Resonanz ist ungewiss

Am kommenden Freitag könnte in der City von Frankfurt/Main das Geschäftsleben zum Stillstand kommen. Das zumindest ist der Plan des Blockupy-Bündnisses, in dem zahlreiche linke Gruppierungen und Parteien seit Monaten Krisenproteste in der Main-Metropole vorbereiten.

Die Protestagenda ist zweigeteilt. Am Freitag sind zwei zentrale Blockadeaktionen geplant. Eine soll vor der Europäischen Zentralbank beginnen und sich dann in die Frankfurter Innenstadt ausbreiten. Auf einer Pressekonferenz am Montag erklärten die Aktivisten ihr Konzept:

„Mit Sitz- und Stehblockaden werden wir alle Korridore zum Eurotower dicht machen. Wenn uns die Polizei – wie im letzten Jahr – Gitter und Zäune in den Weg stellt und die EZB dadurch faktisch abriegelt, werden wir diese Absperrungen in unsere Blockaden einbeziehen. Mit kreativen Hilfsmitteln wie Großpuppen oder Absperrbändern, mit Transparenten, klassischen Sitzblockaden, Trommeln oder Straßentheater werden wir die EZB und alles, für was sie steht, ‚einsperren‘.“

Im Anschluss an die EZB-Blockaden soll der Protest vor der Zentrale der Deutschen Bank Artikuliert werden, wo u.a. die Spekulation mit Nahrung kritisiert werden soll. Freitagmittag soll sich der Widerstand sich auch auf der Frankfurter Einkaufsmeile ausbreiten. Dort sollen die prekären Arbeitsbedingungen im deutschen Einzelhandel und die oft mörderischen Verhältnisse der globalen Textilproduktion im Mittelpunkt des Protestes stehen, wie sie bei den Bränden in asiatischen Zuliefererfirmen internationaler Textilketten zum Ausdruck kommen.

Ein zweites Blockadeziel ist der Frankfurter Flughafen, wo der Protest gegen die Abschiebung von Flüchtlingen ausgedrückt werden soll. Am Samstag soll dann eine internationale Großdemonstration stattfinden, auf der auch Aktivisten aus dem europäischen Ausland erwartet werden.


Wer lässt sich mobilisieren?

Bei dem ehrgeizigen Protestprogramm stellt sich natürlich die Frage, ob es genügend Teilnehmer an den Blockupy-Aktionstagen geben wird, damit es auch realisiert werden kann. Im letzten Jahr war die Resonanz an den Blockadetagen zu gering, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Doch da sämtliche Aktionen von den Behörden verboten und von der Polizei rigoros unterbunden wurden, fiel diese Mobilisierungsschwäche nicht besonders ins Gewicht. Durch die rigorose Verbotspolitik setzte eine Mobilisierung bis in linksliberale Kreise ein, wodurch die Abschlussdemonstration von Blockupy im letzten Jahr ein Erfolg wurde.

In diesem Jahr musste das Blockupy-Bündnis bisher ohne eine solche Mobilisierung durch Polizei und Staat auskommen. Statt Totalverbote setzen die Behörden in diesem Jahr auf begrenzte Kooperation und auf Auflagen, die Blockaden verhindern sollen. Anders als im letzten Jahr gibt es jetzt ein Aktivistencamp als Schlafplatz und Anlaufstelle für die Protester, das bereits bezogen wurde.


Erste Verbote

Allerdings scheint in den letzten Tagen die Kooperationsbereitschaft der staatlichen Apparate an die Grenzen zu stoßen. So wurde die geplante Kundgebung am Frankfurter Flughafen verboten. Jetzt muss gerichtlich geklärt werden, ob ein Flughafen entgegen anderer Urteile zum protestfreien Raum werden soll.

Die allgemeine Nervosität im Vorfeld der Protesttage hat auch dazu geführt, dass die Frankfurter Universität eine Diskussionsveranstaltung mit der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht kurzfristig auf dem Unicampus untersagen will. Nur wenige Wochen vorher konnte am gleichen Campus der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf Einladung der Jusos ohne Probleme sprechen.

Ein Anziehen der Repressionsschraube würde sicher zur Mobilisierung beitragen. Allerdings würde damit eher verhindert, dass auch einige strittige Fragen geklärt werden können. So kann man feststellen, dass Aktivisten in vielen europäischen Ländern erwarten, dass es auch in Deutschland größere Proteste gegen eine Krisenpolitik gibt, die vor allem in der europäischen Peripherie desaströse Auswirkungen hat. In Deutschland sind aber die Proteste auch deshalb so schwach, weil der Standort Deutschland von der Krise profitiert und ein Teil der Lohnabhängigen daran partizipiert. Der wachsende Teil der Menschen, die in den Niedriglohnsektor gedrängt werden und durchaus auch Leidtragende der Krisenpolitik sind, haben oft weder Zeit noch Geld, sich an solchen Protesten zu beteiligen. Deshalb gibt es Diskussionen darüber, ob nicht der Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in den letzten Monaten in Berlin bekannt wurde, auch zu einer Form der Krisenproteste werden sollte.

Umstritten ist zudem der Bezug linker Krisenprotestler auf die Occupy-Bewegung, wie er sich im Begriff Blockupy ausdrückt. Schließlich war die Occupy-Bewegung in Deutschland immer eher unbedeutend, zurzeit existiert nur noch ein Camp in Hamburg. Und auch weltweit ist sie schon längst zum Gegenstand für Soziologieseminare geworden.

Jenseits dieser offenen Fragen ist das nächste Protestziel schon klar. Wenn im Frühjahr 2014 die Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main in ihr neues Gebäude einzieht, soll es dort abermals internationale Proteste geben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154332
Peter Nowak

1.000 gegen Rassismus

ASYL Linke Gruppen erinnern an Aushöhlung des Asyls und Solingen-Anschlag

Die angekündigte „Riesendemo in Berlin“ hat nicht stattgefunden. Mit diesen Slogans hatte das antirassistische Bündnis „Fight Racism now!“ für eine Demonstration geworben, mit der an den 20. Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts erinnert werden sollte. Ebenso an den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von MigrantInnen bewohntes Haus in Solingen, bei dem fünf Menschen starben. Am Samstag fanden sich nun bei strömendem Regen knapp 1.000 Menschen am verlegten Auftaktort in der Wilhelmstraße ein.

Den geplante Auftakt am Mahnmal für die ermordeten Roma hatte die Polizei wegen der Nähe zur Fanmeile des Champions-League-Finale abgelehnt. Bündnissprecher Felix Jourdan fand dies „irritierend“, kritisierte gegenüber der taz aber vor allem, „dass der deutsche Staat für ermordete Roma ein Mahnmal baut und gleichzeitig aktuell verfolgte Roma stigmatisiert und abschiebt“. Auch in Redebeiträgen und auf Transparenten wurden Zusammenhänge zwischen dem Rassismus rechter Gruppierungen und der staatlichen Politik thematisiert. „Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient“, lautete etwa die Parole unter dem Konterfei des wegen seiner rassistischen Thesen umstrittenen SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin.

An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September vorigen Jahres in einem Camp am Oranienplatz ihre vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Lager fordern. Die wegen des Dauerregens verkürzte Demonstration endete an diesem Camp mit einem witterungsbedingt nur mäßig besuchten Abschlusskonzert.

Viele DemoteilnehmerInnen waren mit Bussen aus verschiedenen westdeutschen Städten angereist. Vor allem das antinationale Ums-Ganze-Bündnis hatte bundesweit nach Berlin mobilisiert und stellte mit einem eigenen Block etwa ein Drittel der DemoteilnehmerInnen. Mit Parolen wie „Deutschland ein falscher Gedanke, keine Grenzen, keine Schranken“ oder „Gegen jeden Antisemitismus“ wandten sich die AktivistInnen gegen jeden positiven Bezug auf Staat und Nation.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F27%2Fa0104&cHash=54d0809de095cf2258159e1d90eea4f9
Peter Nowak

„Eine Art politische Urszene für die Generation NSU“


In Berlin erinnerte man sich gestern an den 20ten Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts und den Brandanschlag in Solingen

Eine „Riesendemo in Berlin“ hat am gestrigen Samstag nicht stattgefunden. Mit diesen Slogan hatte das antirassistische Bündnis Fight Racism now! auf Plakaten und Flugblättern für eine Demonstration geworben, mit der an den 20ten Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts und den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von Migranten bewohntes Haus in Solingen bei dem fünf Menschen starben, erinnert werden sollte. Bei strömenden Regen fanden sich knapp 1.000 Menschen am verlegten Auftaktort in der Wilhelmstraße ein.

Den von dem Bündnis geplanten Auftakt am Mahnmal für die ermordeten Roma hatte die Versammlungsbehörde wegen der Nähe zur Fanmeile des Champions-League-Finale abgelehnt. Auch in Solingen hatten etwa 1000 Menschen auf einer Demonstration an den Anschlag in der Stadt wenige Tage nach der fast vollständigen Abschaffung des Aslyrechts erinnert. Bündnissprecher Jourdan begründete in einem Interview, warum er die Notwendigkeit sieht, 20 Jahre später mit einer Demonstration an die beiden Daten zu erinnern.

„Bei der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ging es um die politischen Grundkoordinaten der Berliner Republik. Der Nationalismus und Rassismus der Wendejahre bekam Verfassungsrang. Aus »Wir sind ein Volk« wurde »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus«. Und genau das hat der Bundestag vor 20 Jahren mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die Nazis haben das als ihren Triumph erlebt und mit dem Mordanschlag von Solingen drei Tage später haben sie diesen Triumph auch öffentlich für sich reklamiert. Das ist eine Art politische Urszene, denn genau hier ist die Generation NSU entstanden: Nazis und Rassisten, die erfahren haben, dass sich rassistische Gewalt politisch auszahlt.“

Aktuell kann man solche Mechanismen am Beispiel der Kampagne gegen Roma und Sinti beobachten, die obwohl EU-Bürger oft auch von der Politik und verschiedenen rechten Parteien bekämpft werden. Prompt tritt mit den Publizisten Rolf Bauerdick ein Autor in die Fußstapfen von Sarrazin und erklärt seinem geneigten Publikum, dass nicht etwa der Antiziganismus, sondern die Sinti und Roma selber sowie antirassistische Forscher das wahre Problem seien.


Jede Partei hat den Sarrazin, den sie verdient

In zahlreichen Redebeiträgen und auf Transparenten wurden Zusammenhängen zwischen dem Rassismus rechter Gruppierungen und der staatlichen Politik bis in die Gegenwart gezogen. „Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient“, lautete die Parole unter dem Konterfei des SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin, der mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ gegen Hartz IV Empfänger und MigrantInnen agierte.

An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September letzten Jahres in einem Camp am Oranienplatz ihre vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Lager fordern. Die wegen des Dauerregens verkürzte Demonstration endete an diesem Camp mit einem witterungsbedingt nur mäßig besuchten Abschlusskonzert.

Zahlreiche Demoteilnehmer waren mit Bussen aus verschiedenen westdeutschen Städten nach Berlin angereist. Vor allem das antinationale Ums-Ganze-Bündnis hatte bundesweit nach Berlin mobilisiert und stellte mit einem eigenen Block etwa ein Drittel der Demoteilnehmer in Berlin. Bereits in der nächsten Woche steht ein weiterer antirassistischer Protesttermin an. Im Rahmen der Blockupy-Aktionstage in Frankfurt/Main soll am 31. Mai unter der Parole Blockupy-Deportation Airport die Abschiebung von Flüchtlingen über den Frankfurter Flughafen thematisiert und wenn möglich blockiert werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154323
Peter Nowak

Ist die Polizei ohne Pfefferspray wehrlos?


Auf dem Parteitag der Berliner SPD wird ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen gefordert; die Gewerkschaft der Polizei demonstriert dagegen

Vor dem Parteitag der Berliner SPD gab es am Samstag unerwartete Bilder. Die Polizei war dort nicht nur zum Schutz vor potentiellen Protesten vertreten, sondern ist auch selber zum Demonstrieren gekommen. Die Gewerkschaft der Polizei wandte sich damit gegen einen Antrag der Jusos auf dem Parteitag, der ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen forderte.

Ist Pfefferspray legal? Die Frage kann ganz unterschiedlich beantwortet werden. Einem potentiellen Demonstrationsteilnehmer sei dringend abgeraten, sich mit Pfefferspray in der Tasche bei einer Polizeikontrolle erwischen zu lassen. Generell ist der Besitz von Pfefferspray nur legal, wenn es als Mittel zur Abwehr von Tieren gekennzeichnet ist.

Anders ist die Situation bei Polizeibeamten. Sie dürfen Pfefferspray bei Demonstrationen mitführen und nicht zur Tierabwehr nutzen. Seit 2007 hat der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten und renitente Fußballfans zugenommen. Der Grund ist aus polizeitaktischer Sicht einleuchtend: Es hat das bis dahin häufig verwendete CS-Gas ersetzt. Weil es von gasförmiger Konsistenz ist, war damit ein gezielter Einsatz häufig schwierig. Oft wurden auch völlig Unbeteiligte, aber auch Polizeibeamte durch den Gaseinsatz in Mitleidenschaft gezogen.

Das flüssige Pfefferspray kann hingegen viel gezielter gegen bestimmte Gruppen eingesetzt werden. Doch stellte sich heraus, dass das Pfefferspray für die Polizei vielleicht eine handliche Waffe ist, für bestimmte Personen kann der Einsatz aber gravierende gesundheitliche, möglicherweise sogar lebensgefährliche Folgen haben.

Potentiell tödlich

So werden in einer vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages herausgegebenen Untersuchung die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und eventuelle Langzeitfolgen von Pfeffersprayeinsätzen so beschrieben:

„Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray bestehen insbesondere für solche Personen, die unter Drogeneinfluss stehen oder Psychopharmaka eingenommen haben. So beschrieb etwa das US-amerikanische Justizministerium im Jahre 2003 zahlreiche Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray, (insbesondere) gegen (inhaftierte) Personen, die unter unmittelbarem Drogeneinfluss standen. Nach Angaben von Spiegel-Online ereigneten sich zudem im Jahre 2009 in Deutschland mindestens drei Todesfälle nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray. Alle Todesopfer standen während der Exposition mit Pfefferspray unter dem Einfluss von Drogen oder Psychopharmaka.“

Vor allem die Grünen, aber auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty international haben sich nach Pfeffersprayeinsätzen gegen Demonstranten immer wieder kritisch zu Wort gemeldet. In einem von der Bundestagsabgeordneten der Linken, Karin Binder, in Auftrag gegebenen Gutachten kommt Björn Schering zu dem Schluss, dass der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei wegen der gesundheitlichen Gefährdung verboten werden muss. Doch erst ein Antrag der Jusos zum Berliner SPD-Parteitag an diesem Wochenende, in dem der Polizei der Einsatz von Pfefferspray untersagt werden soll, sorgte für eine große gesellschaftliche Debatte.

Alternative Schusswaffen?

Besonders vehement hat sich die Gewerkschaft der Polizei für den Einsatz von Pfefferspray positioniert. Sie haben nicht nur die Demonstration vor dem SPD-Parteitag organisiert. Anfang Mia erklärte der Landesvorsitzende der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Michael Purper:

„Wenn sich die Jusos also durchsetzen sollten und die rechtlichen Voraussetzungen bei einem Einschreiten vorliegen, dann ist das eigentlich nur auf eine Weise zu interpretieren: Dass die SPD mehr Schusswaffengebrauch der Polizei will – oder?“

Dass die SPD diese Einwände ignoriert, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn der Antrag der Jusos eine Mehrheit finden würde, hätte es keine Folgen, weil die CDU als Koalitionspartner in Berlin schon deutlich gemacht hat, dass mit ihr ein Verbot von Pfefferspray nicht durchzusetzen ist.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154318
Peter Nowak

Burschenschaften unter Druck


Im gesellschaftlichen Abseits sind sie längst angekommen. Wie weit geht ihr Rechtskurs?

Bereits vor Beginn des diesjährigen Burschentags, des alljährliche Treffen der Deutschen Burschenschaften in Eisenach, brandete eine alte Diskussion wieder auf. Eine Neuauflage des Ariernachweises sei dort geplant, berichtete Spiegel-Online mit Verweis auf Materialien, die der Redaktion zugespielt worden waren.

Der Streit darüber hält nun bereits zwei Jahre an und hat die Burschenschaften an den Rand der Spaltung gebracht. Es streiten sich dort ein rechtskonservativer Flügel, der seine Kontakte in die Unionsparteien nicht aufgeben will, und ein völkischer Flügel, der sich auf die verschiedenen politischen Kräfte rechts von der Union beziehen möchte und dafür auch bereit ist, einen gesellschaftlichen Einflussverlust in Kauf zu nehmen. Hauptstreitpunkt zwischen den beiden Flügeln ist die Frage, wer überhaupt Mitglied der Burschenschaft werden darf. Vor zwei Jahren wollte ein aus Asien stammender Studierender Mitglied werden, was dem völkischen Flügel nicht passte, der sich auch durchsetzte.

In diesem Jahr gibt es nun eine Neuauflage der Auseinandersetzung. Der rechte Flügel hat Anträge zur Mitgliedschaft vorbereitet. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins soll nicht mehr nur zwischen „deutscher“ und „nicht-deutscher“ Abstammung, sondern zwischen „deutscher“, „abendländisch-europäischer“ und „nicht-abendländisch-europäischer“ Abstammung unterschieden werden. Wenn sich jemand aus letzterer Gruppe bewirbt, soll eine „Einzelfallprüfung durch den Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft“ nötig sein.

„Die Struktur dieser Regelung führt fast zwangsläufig zu ähnlichen Kriterien, wie sie die Nürnberger Rassengesetze von 1935, auch ‚Ariergesetze’genannt, vorsahen. Nach denen durfte im Dritten Reich ’nur Volksgenosse sein, wer arischen oder artgleichen Blutes war'“, kommentierten die Spiegel-Online-Journalisten den erneuten Vorstoß. In einer Pressemitteilung bestätigt die Burschenschaft indirekt die Mitteilungen von Spiegel-Online:

„Bereits wenige Minuten nach Abschluß der Pressekonferenz titelte Spiegel online ‚Burschenschafter planen Neuauflage des ‚Ariernachweises“. Der bei der Pressekonferenz anwesende Redakteur hat sich dabei auf ihm illegal zugespielte Unterlagen berufen. Seine Anfragen während der Pressekonferenz zu geplanten Änderungen der Aufnahmekriterien in die Deutsche Burschenschaft waren von den beiden Vertretern der Deutschen Burschenschaft nicht beantwortet worden. Als Grund wurde angegeben, daß entsprechende Anträge noch nicht diskutiert und auch nicht beschlossen wurden.“

Plädoyer für einen Rechtskampf

Doch nicht nur in der Frage der Mitgliedschaft zeigt sich der extrem rechte Kurs der Deutschen Burschenschaft. So hat mit Hans-Helmuth Knütter ein Mann die diesjährige Festrede unter den bezeichnenden Titel „Vom Rechtsstaat zum Linksstaat“ gehalten, der selber laut Informationen von Panorama seit Jahren in extrem rechten Kreisen aktiv sein soll und die in diesen Kreisen beliebte Webseite Links-enttarnt gegründet hat.

Er hat in seiner Rede zur Gründung eines Rechtskampf-Fonds zu mehr rechter Einigkeit und patriotischem Selbstbewusstsein aufgerufen. Allerdings ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen, dass die Burschenschaften genauso wie ihr Referent Knütter im gesellschaftlichen Abseits stehen. Das zeigt sich in erster Linie nicht nur an Erklärungen des fzs (freier zusammenschluss von studentInnenschaften), der seit Jahren eine Auflösung der Burschenschaften fordert, sondern auch an anderen Entwicklungen: ein guter Seismograph für den Bedeutungsverlust ist die Entlassung des Berliner Staatssekretärs für Soziales, Michael Büge, durch einen CDU-Senator, weil Büge trotz starken Druck nicht bereit war, die Burschenschaft Gothia zu verlassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/15431
Peter Nowak

Milliardengrab Drohne

Die gegenwärtige Debatte skandalisiert, dass eine Menge Geld für eine nicht nach Vorschriften funktionierende Drohne ausgegeben wird. Aber kaum jemand stellt in Frage, dass generell so viel Geld dafür zur Verfügung gestellt wird

„Nicht mehr unangreifbar“, lautete die Einschätzung der FAZ zur Situation des gegenwärtigen Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière. Der Streit um das Euro-Hawk-Debakel könnte dem Minister das Amt kosten, wenn sich herausstellen sollte, dass er nicht nur dem Parlament, sondern auch dem Bundesrechnungshof Informationen über den Euro Hawk vorenthielt.

Der Bundesrechnungshof hat schon im November 2011 Informationen Nachfragen wegen des Fluggeräts gestellt. Die Prüfer forderten damals Vertragsunterlagen für den Euro Hawk und auch Statusberichte über das Drohnenprojekt bei der Bundeswehr angestellt. Unter Verweis auf Geheimhaltungsklauseln mit der US-Industrie seien allerdings in dem vom Ministerium verschickten Papieren entscheidende Stellen geschwärzt worden. Darauf habe der Rechnungshof mit einem Brief an das Parlament reagiert, in dem er davor warnte, dass durch diese Praxis die geforderte lückenlose Finanzkontrolle nicht gewährleistet sei (Drohnendesaster für den Verteidigungsminister).

Diese Intransparenz droht dem Minister nun zum Verhängnis zu werden, weil mittlerweile, nachdem fast eine halbe Milliarde Dollar dafür ausgegeben wurde, die Entwicklung der Drohne wegen technischer Probleme gestoppt wurde. Es konnte nicht länger verheimlicht werden, dass nach den in Europa geltenden Richtlinien die Drohne keine Fluggenehmigung bekommt. Ob die Affäre dem Minister wirklich das Amt kostet, wird wohl davon abhängen, ob es der Regierungskoalition gelingt, auch führende Politiker der gegenwärtigen Oppositionsparteien mit für die Drohne in die Haftung zu nehmen.

Fast alle einig bei den Rüstungsprojekten?

Die aktuelle Verteidigungslinie der Regierungskoalition heißt eben nicht mehr, dass sich de Maizière in Sachen Drohne korrekt verhalten hat. Auch die heutigen Oppositionspolitiker seien ebenfalls mit verantwortlich, sagt etwa der FPD-Politiker Jürgen Koppelin. Er wirft Jürgen Trittin vor, in den Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition 2004 die Drohne mit beschlossen zu haben. In den Zeiten der großen Koalition hätten Sozialdemokraten in verantwortlichen Stellen im Finanzministerium gesessen und seien damit ebenfalls für die Finanzplanung der Drohne verantwortlich.

In dieser Sichtweise ist die Verantwortung der gegenwärtigen Regierung natürlich relativiert, und, wo fast alle Mitverantwortung tragen, ist die Bereitschaft, einen Ministerrücktritt nicht nur als Sonntagsrede zu fordern, begrenzt. Das Kalkül der jetzigen Regierungskoalition, die Opposition mit in die Verantwortung zu nehmen, ist natürlich durchsichtig und doch dürfte die Darstellung von Koppelin nicht so weit von der Realität entfernt liegen.

Denn unabhängig von der Frage, welche Details welcher Politiker wann erfahren hat, zeichnet er das Bild einer großen Staatspartei mit mehreren Flügeln, die sich in den entscheidenden Punkten einig ist, beispielsweise bei der Rüstungsbeschaffung. Es war dieses Bild über die gegenwärtige Verfasstheit des Staates, das der Politologe Johannes Agnoli in seinem Buch Transformation der Demokratie in kritischer Absicht darstellte. So zeigt eigentlich die Diskussion um die Drohne wieder einmal deutlich, wie realitätsgerecht diese Sichtweise ist. Denn der gegenwärtige Streit wird doch nur darum geführt, dass – zudem noch in Krisenzeiten – mal locker eine halbe Milliarde Euro für eine Drohne ausgegeben wird, die nicht funktioniert. Da kann dann sogar der FDP-Politiker Koppelin sagen: „Eigentlich hat der Staat genug Geld, er geht nur nicht vernünftig damit um.“


Milliarden in die Rüstung werden nicht infrage gestellt

Doch kaum jemand stellt sich die grundsätzliche Frage, warum überhaupt eine halbe Milliarde Euro in Projekte wie dieses gesteckt wird, während man ansonsten bei Erwerbslosen und vielen sozialen Projekten um jeden Cent verhandelt. Dass bei Rüstungssummen riesige Beträge fließen und dass da oft besonders genau darauf geachtet wird, dass bestimmte Regelungen möglichst nicht bekannt werden, ist nichts Neues.

Schon vor mehr als 100 Jahren hat der damalige Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht solche Geschäfte mit der dabei florienden Rüstungsindustrie aufgedeckt. Schon damals verweigerte ihm ein Teil der sozialdemokratischen Partei die Unterstützung bei seinem Kampf gegen den Militarismus. Es ist immer ein Kennzeichen für die Kooptierung einst oppositioneller Kräfte und Strömungen in Gesellschaft und Staat, wenn sie bereit sind, die Belange der Rüstung, meistens als Staatsverteidigung verbrämt, mitzutragen.

Daher ist es auch gegenwärtig ein Indiz für die fast völlige Integration der zentralen politischen Kräfte, mit Ausnahme von Teilen der Linken, in den Staat, dass es heute keine grundsätzliche Infragestellung der Bereitstellung von riesigen Beträgen für Drohnen-Projekte gibt. Selbst Ottfried Nassauer, der sich einst aus der Antimilitarismusbewegung zum kritischen Rüstungsforscher entwickelte, stellt heute die Drohnen insgesamt nicht mehr infrage.

Wenn nur das Nichtfunktionieren und nicht die Produktion der Drohnen das eigentliche Problem ist, mag Thomas de Maizière, wenn es für die Regierung opportun ist, seinen Job verlieren. Eine grundsätzliche Infragestellung der Zwecke der Rüstung ist aber nicht einmal auf dem besonders naheliegenden Feld der Kosten erkennbar.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154299
Peter Nowak

Abfilmen von Demonstrationen ist rechtswidrig

SPD-Landtagsabgeordneter fordert Datenschutzschulungen für die Polizei

Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hat das »rechtswidrige Filmen der Polizei bei Anti-Nazi-Protesten« gerügt. Nachdem er einen Vorfall in München beobachtet hatte, ist der Politiker nun an die Öffentlichkeit gegangen. »Am 29.9.2012 habe ich mich bei den Protesten gegen die Kundgebungen der rechtsextremen NPD-Tarnorganisation ›Bürgerinitiative Ausländerstopp‹ beteiligt. Hierbei musste ich erleben, dass die Polizei engagierte Bürgerinnen und Bürger filmte, die aus den Fenstern eines Hauses ein Transparent hängten, um ihren Protest gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis auszudrücken«, schildert Ritter seine Beobachtungen.

In Bayern gibt es nur dann eine Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnungen von Demonstrationen oder politischen Aktionen, wenn eine potenzielle Gefahrensituation vorliegt oder wenn es Anzeichen gibt, dass eine Straftat begangen wird. Ritter betonte, ihm sei sofort klar gewesen, dass bei der von ihm beobachteten Aktion keines dieser Kriterien zutraf. »Der Vorfall zeigt, dass die Ausbildung der mit der Videoaufzeichnung betrauten Beamten dringend verbessert werden muss. Dass die Situation keine Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen bot, war auch für juristische Laien erkennbar«, so der Abgeordnete. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Bayerns bezeichnete das Filmen der Transparentaktion als rechtswidrig.

Überzogene polizeiliche Videoaufzeichnungen bei legalem und legitimem Handeln führten zur Einschüchterung der Menschen, die lediglich ihr Recht auf Protest gegen Neonazis wahrnehmen, begründet Ritter sein Engagement. Das deckt sich mit Ergebnissen einer Studie, die der Berliner Soziologe Peter Ulrich über die Folgen von Polizeivideos auf Demos erstellte. Befragte Demoteilnehmer äußerten sowohl Gefühle von »Ohnmacht und Ausgeliefertsein«, als auch »durch Kameras verstärkte Aggression«, was »zu Resistenzverhalten und letztlich einer Ankurbelung der Konfrontation mit der Polizei« führe, heißt es in der Studie von 2011.

Auch mehrere Gerichte haben das unbegründete Filmen von Demonstrationen als Grundrechtseinschränkung bezeichnet. So bewertete das Berliner Verwaltungsgericht das Filmen einer Anti-AKW-Demonstration in Berlin im September 2010 nachträglich als rechtswidrig. In der Begründung erklärten die Richter, dass die Dauerbeobachtung der Versammlung ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit war und eine Einschüchterung der Demonstranten nicht auszuschließen gewesen sei. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in mehreren Urteilen erklärt, dass es in Berlin keine rechtliche Grundlage für das Filmen von Demonstrationen gibt.

Rechtzeitig vor dem diesjährigen 1. Mai beschloss daher die in Berlin regierende große Koalition gegen den heftigen Widerstand von Opposition und Bürgerrechtsgruppen ein Versammlungsgesetz, das das polizeiliche Filmen der zahlreichen politischen Manifestationen auch in der Hauptstadt grundsätzlich wieder erlaubt. Der erste Praxistest des neuen Gesetzes stieß auf viel Kritik. Teilnehmer sowohl der Demonstrationen zum 1. Mai als auch der Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch am Morgen des gleichen Tages monierten ein unbegründetes Filmen durch die Polizei. Die Kritik wurde auch von der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus geäußert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das neue Gesetz in Berlin von den Gerichten wieder kassiert wird. Mehrere Klagen dagegen sind anhängig.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/822083.abfilmen-von-demonstrationen-ist-rechtswidrig.html

Peter Nowak

Sechs Jahre Haft für Spendensammeln

Berlin: Das Berliner Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

Das Kammergericht sieht es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zu Gunsten der Angeklagten geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit in der DHKP-C mehr nachzuweisen sei.
Menschenrechtsgruppen kritisieren die Paragrafen 129a und 129b als Gesinnungsjustiz, mit dem Linke auch für legale Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden könne.

www.neues-deutschland.de/artikel/822130.bewegungsmelder.html
Peter Nowak