Burschenschaften unter Druck


Im gesellschaftlichen Abseits sind sie längst angekommen. Wie weit geht ihr Rechtskurs?

Bereits vor Beginn des diesjährigen Burschentags, des alljährliche Treffen der Deutschen Burschenschaften in Eisenach, brandete eine alte Diskussion wieder auf. Eine Neuauflage des Ariernachweises sei dort geplant, berichtete Spiegel-Online mit Verweis auf Materialien, die der Redaktion zugespielt worden waren.

Der Streit darüber hält nun bereits zwei Jahre an und hat die Burschenschaften an den Rand der Spaltung gebracht. Es streiten sich dort ein rechtskonservativer Flügel, der seine Kontakte in die Unionsparteien nicht aufgeben will, und ein völkischer Flügel, der sich auf die verschiedenen politischen Kräfte rechts von der Union beziehen möchte und dafür auch bereit ist, einen gesellschaftlichen Einflussverlust in Kauf zu nehmen. Hauptstreitpunkt zwischen den beiden Flügeln ist die Frage, wer überhaupt Mitglied der Burschenschaft werden darf. Vor zwei Jahren wollte ein aus Asien stammender Studierender Mitglied werden, was dem völkischen Flügel nicht passte, der sich auch durchsetzte.

In diesem Jahr gibt es nun eine Neuauflage der Auseinandersetzung. Der rechte Flügel hat Anträge zur Mitgliedschaft vorbereitet. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins soll nicht mehr nur zwischen „deutscher“ und „nicht-deutscher“ Abstammung, sondern zwischen „deutscher“, „abendländisch-europäischer“ und „nicht-abendländisch-europäischer“ Abstammung unterschieden werden. Wenn sich jemand aus letzterer Gruppe bewirbt, soll eine „Einzelfallprüfung durch den Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft“ nötig sein.

„Die Struktur dieser Regelung führt fast zwangsläufig zu ähnlichen Kriterien, wie sie die Nürnberger Rassengesetze von 1935, auch ‚Ariergesetze’genannt, vorsahen. Nach denen durfte im Dritten Reich ’nur Volksgenosse sein, wer arischen oder artgleichen Blutes war'“, kommentierten die Spiegel-Online-Journalisten den erneuten Vorstoß. In einer Pressemitteilung bestätigt die Burschenschaft indirekt die Mitteilungen von Spiegel-Online:

„Bereits wenige Minuten nach Abschluß der Pressekonferenz titelte Spiegel online ‚Burschenschafter planen Neuauflage des ‚Ariernachweises“. Der bei der Pressekonferenz anwesende Redakteur hat sich dabei auf ihm illegal zugespielte Unterlagen berufen. Seine Anfragen während der Pressekonferenz zu geplanten Änderungen der Aufnahmekriterien in die Deutsche Burschenschaft waren von den beiden Vertretern der Deutschen Burschenschaft nicht beantwortet worden. Als Grund wurde angegeben, daß entsprechende Anträge noch nicht diskutiert und auch nicht beschlossen wurden.“

Plädoyer für einen Rechtskampf

Doch nicht nur in der Frage der Mitgliedschaft zeigt sich der extrem rechte Kurs der Deutschen Burschenschaft. So hat mit Hans-Helmuth Knütter ein Mann die diesjährige Festrede unter den bezeichnenden Titel „Vom Rechtsstaat zum Linksstaat“ gehalten, der selber laut Informationen von Panorama seit Jahren in extrem rechten Kreisen aktiv sein soll und die in diesen Kreisen beliebte Webseite Links-enttarnt gegründet hat.

Er hat in seiner Rede zur Gründung eines Rechtskampf-Fonds zu mehr rechter Einigkeit und patriotischem Selbstbewusstsein aufgerufen. Allerdings ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen, dass die Burschenschaften genauso wie ihr Referent Knütter im gesellschaftlichen Abseits stehen. Das zeigt sich in erster Linie nicht nur an Erklärungen des fzs (freier zusammenschluss von studentInnenschaften), der seit Jahren eine Auflösung der Burschenschaften fordert, sondern auch an anderen Entwicklungen: ein guter Seismograph für den Bedeutungsverlust ist die Entlassung des Berliner Staatssekretärs für Soziales, Michael Büge, durch einen CDU-Senator, weil Büge trotz starken Druck nicht bereit war, die Burschenschaft Gothia zu verlassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/15431
Peter Nowak

Milliardengrab Drohne

Die gegenwärtige Debatte skandalisiert, dass eine Menge Geld für eine nicht nach Vorschriften funktionierende Drohne ausgegeben wird. Aber kaum jemand stellt in Frage, dass generell so viel Geld dafür zur Verfügung gestellt wird

„Nicht mehr unangreifbar“, lautete die Einschätzung der FAZ zur Situation des gegenwärtigen Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière. Der Streit um das Euro-Hawk-Debakel könnte dem Minister das Amt kosten, wenn sich herausstellen sollte, dass er nicht nur dem Parlament, sondern auch dem Bundesrechnungshof Informationen über den Euro Hawk vorenthielt.

Der Bundesrechnungshof hat schon im November 2011 Informationen Nachfragen wegen des Fluggeräts gestellt. Die Prüfer forderten damals Vertragsunterlagen für den Euro Hawk und auch Statusberichte über das Drohnenprojekt bei der Bundeswehr angestellt. Unter Verweis auf Geheimhaltungsklauseln mit der US-Industrie seien allerdings in dem vom Ministerium verschickten Papieren entscheidende Stellen geschwärzt worden. Darauf habe der Rechnungshof mit einem Brief an das Parlament reagiert, in dem er davor warnte, dass durch diese Praxis die geforderte lückenlose Finanzkontrolle nicht gewährleistet sei (Drohnendesaster für den Verteidigungsminister).

Diese Intransparenz droht dem Minister nun zum Verhängnis zu werden, weil mittlerweile, nachdem fast eine halbe Milliarde Dollar dafür ausgegeben wurde, die Entwicklung der Drohne wegen technischer Probleme gestoppt wurde. Es konnte nicht länger verheimlicht werden, dass nach den in Europa geltenden Richtlinien die Drohne keine Fluggenehmigung bekommt. Ob die Affäre dem Minister wirklich das Amt kostet, wird wohl davon abhängen, ob es der Regierungskoalition gelingt, auch führende Politiker der gegenwärtigen Oppositionsparteien mit für die Drohne in die Haftung zu nehmen.

Fast alle einig bei den Rüstungsprojekten?

Die aktuelle Verteidigungslinie der Regierungskoalition heißt eben nicht mehr, dass sich de Maizière in Sachen Drohne korrekt verhalten hat. Auch die heutigen Oppositionspolitiker seien ebenfalls mit verantwortlich, sagt etwa der FPD-Politiker Jürgen Koppelin. Er wirft Jürgen Trittin vor, in den Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition 2004 die Drohne mit beschlossen zu haben. In den Zeiten der großen Koalition hätten Sozialdemokraten in verantwortlichen Stellen im Finanzministerium gesessen und seien damit ebenfalls für die Finanzplanung der Drohne verantwortlich.

In dieser Sichtweise ist die Verantwortung der gegenwärtigen Regierung natürlich relativiert, und, wo fast alle Mitverantwortung tragen, ist die Bereitschaft, einen Ministerrücktritt nicht nur als Sonntagsrede zu fordern, begrenzt. Das Kalkül der jetzigen Regierungskoalition, die Opposition mit in die Verantwortung zu nehmen, ist natürlich durchsichtig und doch dürfte die Darstellung von Koppelin nicht so weit von der Realität entfernt liegen.

Denn unabhängig von der Frage, welche Details welcher Politiker wann erfahren hat, zeichnet er das Bild einer großen Staatspartei mit mehreren Flügeln, die sich in den entscheidenden Punkten einig ist, beispielsweise bei der Rüstungsbeschaffung. Es war dieses Bild über die gegenwärtige Verfasstheit des Staates, das der Politologe Johannes Agnoli in seinem Buch Transformation der Demokratie in kritischer Absicht darstellte. So zeigt eigentlich die Diskussion um die Drohne wieder einmal deutlich, wie realitätsgerecht diese Sichtweise ist. Denn der gegenwärtige Streit wird doch nur darum geführt, dass – zudem noch in Krisenzeiten – mal locker eine halbe Milliarde Euro für eine Drohne ausgegeben wird, die nicht funktioniert. Da kann dann sogar der FDP-Politiker Koppelin sagen: „Eigentlich hat der Staat genug Geld, er geht nur nicht vernünftig damit um.“


Milliarden in die Rüstung werden nicht infrage gestellt

Doch kaum jemand stellt sich die grundsätzliche Frage, warum überhaupt eine halbe Milliarde Euro in Projekte wie dieses gesteckt wird, während man ansonsten bei Erwerbslosen und vielen sozialen Projekten um jeden Cent verhandelt. Dass bei Rüstungssummen riesige Beträge fließen und dass da oft besonders genau darauf geachtet wird, dass bestimmte Regelungen möglichst nicht bekannt werden, ist nichts Neues.

Schon vor mehr als 100 Jahren hat der damalige Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht solche Geschäfte mit der dabei florienden Rüstungsindustrie aufgedeckt. Schon damals verweigerte ihm ein Teil der sozialdemokratischen Partei die Unterstützung bei seinem Kampf gegen den Militarismus. Es ist immer ein Kennzeichen für die Kooptierung einst oppositioneller Kräfte und Strömungen in Gesellschaft und Staat, wenn sie bereit sind, die Belange der Rüstung, meistens als Staatsverteidigung verbrämt, mitzutragen.

Daher ist es auch gegenwärtig ein Indiz für die fast völlige Integration der zentralen politischen Kräfte, mit Ausnahme von Teilen der Linken, in den Staat, dass es heute keine grundsätzliche Infragestellung der Bereitstellung von riesigen Beträgen für Drohnen-Projekte gibt. Selbst Ottfried Nassauer, der sich einst aus der Antimilitarismusbewegung zum kritischen Rüstungsforscher entwickelte, stellt heute die Drohnen insgesamt nicht mehr infrage.

Wenn nur das Nichtfunktionieren und nicht die Produktion der Drohnen das eigentliche Problem ist, mag Thomas de Maizière, wenn es für die Regierung opportun ist, seinen Job verlieren. Eine grundsätzliche Infragestellung der Zwecke der Rüstung ist aber nicht einmal auf dem besonders naheliegenden Feld der Kosten erkennbar.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154299
Peter Nowak

Abfilmen von Demonstrationen ist rechtswidrig

SPD-Landtagsabgeordneter fordert Datenschutzschulungen für die Polizei

Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hat das »rechtswidrige Filmen der Polizei bei Anti-Nazi-Protesten« gerügt. Nachdem er einen Vorfall in München beobachtet hatte, ist der Politiker nun an die Öffentlichkeit gegangen. »Am 29.9.2012 habe ich mich bei den Protesten gegen die Kundgebungen der rechtsextremen NPD-Tarnorganisation ›Bürgerinitiative Ausländerstopp‹ beteiligt. Hierbei musste ich erleben, dass die Polizei engagierte Bürgerinnen und Bürger filmte, die aus den Fenstern eines Hauses ein Transparent hängten, um ihren Protest gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis auszudrücken«, schildert Ritter seine Beobachtungen.

In Bayern gibt es nur dann eine Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnungen von Demonstrationen oder politischen Aktionen, wenn eine potenzielle Gefahrensituation vorliegt oder wenn es Anzeichen gibt, dass eine Straftat begangen wird. Ritter betonte, ihm sei sofort klar gewesen, dass bei der von ihm beobachteten Aktion keines dieser Kriterien zutraf. »Der Vorfall zeigt, dass die Ausbildung der mit der Videoaufzeichnung betrauten Beamten dringend verbessert werden muss. Dass die Situation keine Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen bot, war auch für juristische Laien erkennbar«, so der Abgeordnete. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Bayerns bezeichnete das Filmen der Transparentaktion als rechtswidrig.

Überzogene polizeiliche Videoaufzeichnungen bei legalem und legitimem Handeln führten zur Einschüchterung der Menschen, die lediglich ihr Recht auf Protest gegen Neonazis wahrnehmen, begründet Ritter sein Engagement. Das deckt sich mit Ergebnissen einer Studie, die der Berliner Soziologe Peter Ulrich über die Folgen von Polizeivideos auf Demos erstellte. Befragte Demoteilnehmer äußerten sowohl Gefühle von »Ohnmacht und Ausgeliefertsein«, als auch »durch Kameras verstärkte Aggression«, was »zu Resistenzverhalten und letztlich einer Ankurbelung der Konfrontation mit der Polizei« führe, heißt es in der Studie von 2011.

Auch mehrere Gerichte haben das unbegründete Filmen von Demonstrationen als Grundrechtseinschränkung bezeichnet. So bewertete das Berliner Verwaltungsgericht das Filmen einer Anti-AKW-Demonstration in Berlin im September 2010 nachträglich als rechtswidrig. In der Begründung erklärten die Richter, dass die Dauerbeobachtung der Versammlung ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit war und eine Einschüchterung der Demonstranten nicht auszuschließen gewesen sei. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in mehreren Urteilen erklärt, dass es in Berlin keine rechtliche Grundlage für das Filmen von Demonstrationen gibt.

Rechtzeitig vor dem diesjährigen 1. Mai beschloss daher die in Berlin regierende große Koalition gegen den heftigen Widerstand von Opposition und Bürgerrechtsgruppen ein Versammlungsgesetz, das das polizeiliche Filmen der zahlreichen politischen Manifestationen auch in der Hauptstadt grundsätzlich wieder erlaubt. Der erste Praxistest des neuen Gesetzes stieß auf viel Kritik. Teilnehmer sowohl der Demonstrationen zum 1. Mai als auch der Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch am Morgen des gleichen Tages monierten ein unbegründetes Filmen durch die Polizei. Die Kritik wurde auch von der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus geäußert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das neue Gesetz in Berlin von den Gerichten wieder kassiert wird. Mehrere Klagen dagegen sind anhängig.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/822083.abfilmen-von-demonstrationen-ist-rechtswidrig.html

Peter Nowak

Sechs Jahre Haft für Spendensammeln

Berlin: Das Berliner Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

Das Kammergericht sieht es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zu Gunsten der Angeklagten geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit in der DHKP-C mehr nachzuweisen sei.
Menschenrechtsgruppen kritisieren die Paragrafen 129a und 129b als Gesinnungsjustiz, mit dem Linke auch für legale Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden könne.

www.neues-deutschland.de/artikel/822130.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

URTEIL GEGEN AKTIVISTIN GÜLAFERIT ÜNSAL

Sechseinhalb Jahre fürs Spendensammeln

Das Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der „Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

In ihrem griechischen Exil war Ünsal aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft gekommen und drei Monate später an die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Seitdem ist sie in der Frauen-JVA in Lichtenberg gefangen.

Für das Gericht ist erwiesen, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zugunsten Ünsals geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr nachzuweisen sei. Daher blieb es unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher „Beweise“ Folter nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sie nach deutschem Recht eigentlich keinen Eingang in den Prozess finden.

Eine Beteiligung an Anschlägen konnte das Gericht Ünsal, die sich der DHKP-C in den frühen 90er Jahren angeschlossen haben soll und deswegen in der Türkei bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nicht nachweisen. Vielmehr habe sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert.

Keine Reaktionen

Nach Ünsals Auslieferung hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keine Reaktionen. „Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist“, erklärte ein Aktivist gegenüber der taz, der namentlich nicht genannt werden wollte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F21%2Fa0116&cHash=e9118c2a20e86894685eefce94fdcdb5

Peter Nowak

Einschüchterung durch Polizeivideos?

Der bayerische SPD-Politiker Florian Ritter fordert Schulungen in gesetzeskonformen Verhalten für die Polizei

Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hat in einer Pressemeldung „rechtswidriges Filmen der Polizei bei Anti-Naziprotesten“ gerügt. Zuvor hatte der bayerische Datenschutzbeauftragte auf Anfrage Ritters bestätigt, dass Videoaufnahmen in dem von dem SPD-Politiker beobachteten Fall rechtswidrig waren. Ritter schilderte seine Beobachtungen so:

„Am 29.09.2012 habe ich mich bei den Protesten gegen die Kundgebungen der rechtsextremen NPD-Tarnorganisation ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ beteiligt. Hierbei musste ich erleben, dass die Polizei engagierte Bürgerinnen und Bürger filmte, die aus den Fenstern eines Hauses in München ein Transparent hängten, um ihren Protest gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis auszudrücken.“

Er habe daraufhin den Kontakt mit den Beamten vor Ort gesucht um zu klären, weshalb sie diese Maßnahme ergreifen, erklärt Ritter. Seine Einschätzung, dass hier weder eine Störung, noch eine potentielle Gefahrensituation, noch die Gefahr der Begehung einer Straftat vorlag, alles Situationen, die eine Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnungen geboten hätten, wurde vom bayerischen Datenschutzbeauftragen bestätigt.

„Der Vorfall zeigt, dass die Ausbildung der mit der Videoaufzeichnung betrauten Beamten dringend verbessert werden muss. Dass die Situation keine Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen bot, war auch für juristische Laien erkennbar“, erklärt Ritter. Überzogene polizeiliche Videoaufzeichnungen bei legalem und legitimen Handeln führe zu einer Einschüchterung der Menschen, die lediglich ihr Recht auf Protest gegen Neonazis wahrnehmen, so der SPD-Politiker.

Nicht nur in Bayern sind die Videoaufnahmen der Polizei in der Kritik. Auch in Berlin wurde nach einem Neonaziaufmarsch am 1. Mai moniert, dass die Polizei die Kamera zu häufig bediente.

Polizei auch für Rechte immer mehr Feindbild

Laut einer Studie des Berliner Moses Mendelsohn Zentrums hat sich das Bild der Polizei in der rechten Szene in den letzten Jahren verändert. Dort werde die Polizei zunehmend als Feind betrachtet. In den vergangen Jahren hatte die Law- and Ordermentalität vieler rechter Gruppen noch die Polizeifeindlichkeit überlagert. Tatsächlich haben rechte Gruppe versucht, nach dem Motto „Gute Polizei – schlechte Politik“ die Polizei in Schutz genommen.

Während bei der NPD teilweise noch heute so verfahren wird, propagieren vor allem parteiunabhängige Nationalisten zunehmend einen offen polizeifeindlichen Kurs. Einer der Höhepunkte für Polizeifeindlichkeit in der rechten Szene waren Spottlieder gegen den Passauer Polizeipräsidenten Alois Mannichl, der als konsequenter Gegner von Neonaziaufmärschen Opfer einer bis heute nicht aufgeklärten Messerattacke wurde.

Dass das Feindbild Polizei bei den Rechten vor allem dem stärkeren Verfolgungsdruck geschuldet ist, kann man schon daran ablesen, dass sie ansonsten eine harte Hand gegen alle Arten von Kriminalität fordern und der Polizei vorwerfen, sie sei nicht effektiv genug und werde von der Politik im Stich gelassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154289
Peter Nowak

Letzte Chance für den Euro?

Auf dem linksreformistischen Flügel der Linken mehren sich Initiativen für eine andere EU-Politik. Doch die Erfolge sind fraglich

„Der Euro vor der Entscheidung“ lautet der Titel einer Studie, die gestern von der Rosa Luxemburg Stiftung vorgestellt worden ist, die im Umfeld der Linkspartei sicher noch für weitere Diskussionen sorgen dürften.

Zu den Herausgebern der Studie gehört neben Costas Lapavitsas mit Heiner Flassbeck ein Ökonom, der in der kurzen Ära des Finanzministers Oskar Lafontaine als dessen Staatssekretär fungierte. Eben jener Lafontaine hat mit einem EU-kritischen Beitrag in und außerhalb der Linkspartei für Aufregung gesorgt.

Bei Lafontaines politischer Vita ist es verständlich, dass diese Wortmeldung als Anbiederung an populistischen Anti-EU-Stimmungen verstanden wird. Allerdings ist diese Interpretation nicht vom Wortlaut des Beitrags gedeckt, wird doch dort ausdrücklich die Politik der deutschen Regierung für die Krise des europäischen Währungssystems verantwortlich gemacht und nicht wie in populistischen Argumentationen Deutschland à la Alternative für Deutschland als europäischer Zahlmeister hingestellt.

In Lafontaines Fußstapfen argumentiert auch die von Lapavitsas und Flassbeck ausgestellte Studie. Nur anders als der ehemalige Minister sind die beiden Herausgeber der Studie noch nicht ganz so pessimistisch. Sie sehen noch eine Chance für den Euro. „Es ist spät, doch noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr. Würde Deutsch¬land als wich¬tigs¬tes Gläu¬bi¬ger¬land Ein¬sicht zei¬gen, seine Posi¬tion radi¬kal ver¬än¬dern und zusam¬men mit allen ande¬ren auf eine neue Stra¬te¬gie set¬zen, könnte die Euro¬zone die schwere Krise über¬win¬den“, heißt es in der Studie.

Doch dann bekunden sie, dass sie an eine solche Änderung nicht so recht glauben und diskutieren ganz wie Lafontaine andere Austrittsstrategien diskutieren. Schon in einem Interview im Deutschlandradio Ende April erklärte Flassbeck, man müsse den schwachen Ländern Anreize bieten, damit sie ihren Binnenmarkt wieder stärken. „Wenn dies von innen nicht möglich ist, dann müssen sie aussteigen und ihre eigene Währung abwerten.“ Konkret nennt der Ökonom folgende Schritte zur Rettung des Euros:

„Der Euro kann nur überleben, wenn alle Mitgliedsländer gleich wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet: Die Löhne in Deutschland müssen deutlich steigen, um das Lohndumping der vergangenen Jahre auszugleichen. Außerdem muss man in ganz Europa die Sparprogramme einstellen und das Wachstum stimulieren. Sonst wird die Rezession unkontrollierbar, und die Schulden werden explodieren. Wenn die deutsche Regierung ihren Kurs nicht ändert, wird der Euro auseinanderfliegen.“

„Europa geht anders“

Diese Maßnahmen werden auch in einem Aufruf unter dem vagen Titel „Europa geht anders“ vorgeschlagen, die ausgehend von linken österreichischen Sozialdemokraten von verschiedenen linksreformerischen Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien unterzeichnet worden ist. Aus Deutschland gehören zu den Erstunterzeichnerinnen die Co-Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping und von der SPD mit Hilde Mattheis eine SPD-Linke, deren Strömung parteiintern erst vor wenigen Wochen politisch abgewertet worden ist.

Zu den zentralen Forderungen des Aufrufs zählen eine europäische Umverteilung des Reichtums durch faire Einkommen und höhere Gewinn- und Vermögensbesteuerung, die Beendigung der Lohnsenkungsspirale und damit der Abbau der riesigen Ungleichgewichte, was in den Leistungsbilanzüberschüsse weniger Länder auf Kosten von Defiziten anderer Länder deutlich werde. Neben der Wiederregulierung der Finanzmärkte gehören auch die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Arbeitnehmerschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte zu den Forderungen des Aufrufs. Der Punkt ist wichtig, weil allein in Griechenland in den letzten Wochen mehrere Streiks durch Dienstverpflichtungen von der Regierung unterbunden wurden. Aktuell sind die Lehrer betroffen.

Diese Einschränkungen des Streikrechts betreffen nicht nur die europäische Peripherie. Vor einigen Wochen hatte Dänemarks Mitte-Links-Regierung tausende streikende Lehrer ausgesperrt und versucht, damit einen Arbeitskampf abzuwürgen. An diesem Beispiel wird aber auch schon das Dilemma solcher Aufrufe für ein anderes Europa deutlich. Weil nicht nur in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne an der Deregulierung an führender Stelle mit beteiligt sind, ist auch von diesen Kreisen nicht zu erwarten, dass sie ihre eigene Politik demontieren und sich an Aufrufen beteiligen, die ein Umsteuern fordern.

Daher macht das Unterzeichnerspektrum aus Deutschland den Eindruck, als träfe es sich regelmäßig beim Institut Solidarische Moderne, das seit einigen Jahren wenig beachtet von der Öffentlichkeit die Kräfte links von der Bundesregierung zusammenbringen will.

EU-Austritt und das deutsche Interesse

Sollte aber die EU-Politik so weiterlaufen wie bisher, dann werden ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Frage nach einem Ausweg außerhalb des Euros aktuell werden lassen. Diese Fakten zu benennen, hat nichts mit Populismus zu tun. Denn dass zumindest die Studie das Gegenteil der Alternative für Deutschland will, zeigen allein diese Sätze, die als Absage an eine rechtspopulistische EU-Kritik verstanden werden können.

„Darüber hinaus haben die einseitige und eindeutig falsche Schuldzuweisung an die Schuldnerländer und die von ihnen verlangte Austeritätspolitik eine Wirtschaftskrise in Gang gesetzt, deren negative Folgen für die Lebensverhältnisse der Menschen die nationalen demokratischen Systeme infrage stellen und das friedliche Zusammenleben der Bürger in Europa für Jahrzehnte belasten werden.“

Deswegen gehen auch Beiträge in die Irre, die an linken EU-Austrittsszenarien in erster Linie die Nähe zum Rechtspopulismus monieren, wie es der Ökonom Michael Krätke in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Freitag versucht. Dort zählt er ausdrücklich auch Heiner Flassbeck zu diesen „Illusionisten“. Bemerkenswerterweise hat aber seinen Beitrag dann einen anderen Inhalt, als die Ankündigung erwarten lässt. Nicht linke Austrittsszenarien, sondern die Argumente des AfD werden dort widerlegt, indem er aufzeigt, welche negativen Folgen ein EU-Austritt für die deutsche Wirtschaft haben würde. Eine solche Argumentation trifft politische Kräfte, die ein deutsches Interesse an einen EU-Austritt ernsthaft vertreten.

Man kann aber auch argumentieren, dass Deutschlands Euromitgliedschaft so gravierende negative Folgen für die Länder in der europäischen Peripherie hat und Deutschland bisher so eindeutig der ökonomische Gewinner war, dass über Austrittsszenarien auch dann diskutiert werden sollte, wenn davon der deutsche Standort Nachteile erfährt. Ansonsten bleibt man in populistischen Argumentationslinien gefangen.

Die von immer mehr Ökonomen im In- und Ausland geforderte Kursänderung in der EU-Politik scheitert ja nicht an der Boshaftigkeit oder Dummheit deutscher Politiker, sondern an der kurzfristigen Interessenlage des Standorts Deutschland, die sich eben von den Interessen der Standorte der europäischen Peripherie unterscheiden. Ein europäischer ideeller Gesamtkapitalist, der eine langfristige Interessenlage im Blick hat, existiert aber nicht. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass die auch von Flassbeck und Co. geforderte Kursänderung zustande kommt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154284
Peter Nowak

Droht neue Zwangsräumung einer schwerkranken Mieterin?


In Schöneberg könnte es bald eine neue Räumung einer schwerkranken Mieterin geben.

Angelika L. war am Mittwoch mit einem Beatmungsgerät und einer Pflegerin bei der Verhandlung vor dem Schöneburger Amtsgericht erschienen. Das Gericht hat sich vertagt, weil es weitere Auskünfte einholen will. Die Vermieterin von L., die Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo, verlangt die Räumung der Wohnung, weil Angelika L. mit der Miete im Verzug ist. „Die Mietschulden sind inzwischen so hoch, dass wir den juristischen Weg gehen mussten“, erklärte der Pressesprecher der DeGeWo Lutz Ackermann. Die Auseinandersetzung mit der Mieterin habe sich schon mehrere Jahre hingezogen.
Angelika L. erklärte, die Mietschulden seien wegen der unwirksamen Ankündigung einer Mieterhöhung durch die DeGeWo entstanden. Weil dort nicht erwähnt worden sei, dass die DeGeWo für eine Modernisierung Fördermittel von der KfW-Bank erhalten hat, habe ein Gericht bei ihrem Nachbarn entschieden, dass diese Mieterhöhung wegen des Formfehlers unwirksam sei. Daher habe auch die diese Mieterhöhung ignoriert. Diese Darstellung der Mieterin Angelika L. bezeichnet Lutz Ackermann von der DeGeWo als komplett falsch und nicht nachvollziehbar.

Zum Widerstand entschlossen

Angelika L. und ihr Lebensgefährte wollen die Auseinandersetzung mit der DeGeWo fortsetzen und sind entschlossen, die Wohnung nicht freiwillig zu räumen, auch wenn das Gericht der DeGeWo Recht geben sollte Die Mieter haben mittlerweile das Bündnis gegen Zwangsräumungen um Unterstützung gebeten. Es hat in den vergangenen Monaten in mehreren Fällen am Tag der Räumung mit Blockaden und Kundgebungen vor Ort protestiert. Bisher gelangen Verzögerungen und eine große öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik der Zwangsräumungen. Bündnis-Aktivist David Schuster sieht es sehr positiv, dass sich wie im Fall von Angelika L. auch Mieter zum Widerstand bereit sind, die bisher politisch nicht aktiv waren. Zu den Ursachen der Mietschulden könne und wolle das Bündnis keine Stellung nehmen, betonte Schuster. Das sei auch nicht die Aufgabe des Bündnisses. Für die Unterstützung gegen Räumungen sei nur entscheidend, welchen Weg die MieterInnen gehen wollen. An einer Eskalation habe man aber kein Interesse. Oft versuche das Bündnis gemeinsam mit den MieterInnen Lösungen zu finden, um eine Räumungen zu verhindern.

Räumungsmoratorium für Schwerkranke nie diskutiert

Ob es im Fall von Angelika L. noch Kompromissmöglichkeiten gibt, ließ auch der DeGeWo-Sprecher Ackermann offen. Nachdem vor einigen Wochen die schwerkranke Rosemarie F. zwei Tage nach einer Zwangsräumung in einer Notunterkunft gestorben war, hatten Politiker aller Parteien verbal große Betroffenheit geäußert. Doch nach einigen Tagen war das Thema aus den Medien verschwunden. Ein Räumungsmoratorium zumindest für Schwerkranke, das von verschiedenen Initiativen gefordert wurde, ist nie ernsthaft diskutiert worden.

aus: Mieterecho online
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/zwangsraeumung-degewo.html
Peter Nowak

Konzern- statt Konsumentenkritik


Die Stiftung Ethecon beginnt eine Kampagne gegen Rohstoffmulti Glencore

Diese Auszeichnung dürfte bei der Unternehmensleitung nicht erwünscht sein. Eine Delegation von Ethecon will am heutigen Donnerstag den Black Planet Award 2012 an Ivan Glasenberg, Simon Murray und Tony Hayward sowie die Großaktionäre des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore überbringen. Die Übergabe erfolgt im Rahmen der Aktionärshauptversammlung des Konzerns im Theater Casino in Zug in der Schweiz.

Der Schmähpreis wird von Ethecon alljährlich gemeinsam mit sozialen Bewegungen an Unternehmen verliehen, die sich besonders durch die Verletzung menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Standards hervorgetan haben.

Nach Meinung der Stiftung wird der ausgewählte Konzern mit Recht „ausgezeichnet“ worden. Der Ethecon-Vorsitzende Axel Köhler-Schnura verweist auf Jose Chinchia Royero, der mit 32 Jahren als Baumaschinentechniker in der kolumbianischen Kohlenmine Calenturita gestorben ist, die Glencore gehört. „Der Konzern hat mit anderen Minenkonzernen die mit Abstand höchste Todesrate unter seinen Arbeitern“, erklärt Köhler-Schnura. Dass solche Todesfälle hierzulande überhaupt bekannt werden, liegt an der Zusammenarbeit der Stiftung mit sozialen Bewegungen in aller Welt.

Sie sammeln diese Daten, überprüfen und informieren dann auch die Menschen in der ersten Welt, die sich in der Regel nicht viel für die Arbeitsbedingungen in den Ländern des amerikanischen, asiatischen und afrikanischen Kontinents interessieren. Am Beispiel von Glencore wird deutlich, wie sinnvoll eine solche internationale Kooperation ist. So wird auf die Gewinne von Glencore bei der Nahrungsmittelspekulation ebenso verwiesen wie auf die giftige Abraumdeponie auf dem Gelände von Glencore-Fabriken in Sambia.

Dass mit Tony Hayward auch ein Mann zum Glencore-Vorstand gehört, der seinen Job als Geschäftsführer von BP nach der Explosion einer Ölplattform des Konzerns im Golf von Mexiko (vgl. Verölte Wahrheit) räumen musste, ist nur ein weiterer Baustein in der Geschichte eines Konzerns, der seit Jahren in der Kritik steht.

Sind die Konsumenten schuld?

Der Einsturz einer Kleidungsfabrik mit über 1.500 Toten, wie kürzlich in Bangladesch geschehen, regt zumindest eine Debatte an und führte zu Vereinbarungen mit Gewerkschaften. Doch ob es nachhaltige Änderungen gibt, ist zu bezweifeln. Zumal in der hiesigen Debatte in erster Linie die Konsumenten am Pranger stehen. So wurde nach dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch viel über die hiesige Gier nach billigen Klamotten geredet und dabei unterschlagen, dass dafür nicht zuletzt der wachsende Niedriglohnsektor verantwortlich ist. So werden wieder einmal die einkommensschwachen Menschen hier für den Tod der Arbeiter in Asien mitverantwortlich gemacht. Dabei macht man sich gar nicht die Mühe, den Zusammenhang von billigen Klamotten hier und miesen Arbeitsbedingungen dort nachzuweisen.

Das dürfte auch nicht einfach sein. Schließlich sind die Arbeitsbedingungen auch bei teuren Waren nicht unbedingt besser. Es geht um die optimale Verwertung und um hohe Profitraten und da ist Arbeitsschutz eben eine Bremse. Den Blick nur auf die Billigmarken zu lenken, ist daher falsch.

Ethecon geht einen anderen Weg. Die Stiftung nimmt mit ihren Schmähpreis die Verantwortlichen in den Konzernen in den Fokus, die auch für Einhaltung von menschenrechtlichen und sozialen Standards in den Fabriken verantwortlich sind. Dabei ist die Verleihung des Schmähpreises nur die öffentlichkeitswirksame Symbolhandlung einer längerfristigen Kampagne, die Ethecon mit sozialen Initiativen unter dem Titel „Glencore stoppen“ initiiert hatte.

Nach dem Vorbild von Kampagnen gegen Shell und andere weltweite Konzerne soll hier deutlich gemacht werden, dass auch ein weltweit agierender Multi nicht gegen Kritik und Protest immun ist. Wenn bei so einer Kampagne deutlich gemacht wird, dass es nicht das Agieren „böser Menschen“, sondern der systemische Zwang zur Profitvermehrung ist, der auch den Glencore-Vorstand antreibt, kann eine solche Kampagne durchaus Lernprozesse im solidarischen Handeln auslösen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154277

Peter Nowak
Peter Nowak

Der grüne Danny und die Lust

Die Grünen wollen ihre Toleranz gegen Pädophile aufarbeiten. Für Differenzierungen scheint dabei wenig Platz

Mehr als 10 Jahre ist es her, als führende Politiker der Grünen mit ihrer radikalen Vergangenheit konfrontiert wurden. Warf Joseph Fischer in seiner Zeit als Spontiaktivist nur Steine oder auch Molotow-Cocktails, und wie viele Polizisten hat er verprügelt? Und hatte der damalige studentische Aktivist des Kommunistischen Bundes, Jürgen Trittin, etwa auch klammheimliche Freude nach dem Attentat der RAF auf Generalbundesanwalt Buback gezeigt wie damals viele seiner Kommilitonen an der Göttinger Universität? Solche Fragen mussten sich kurz nach dem Antritt der rotgrünen Koalition einige Spitzenpolitiker der Grünen gefallen lassen. Die Auseinandersetzung ging schließlich zu ihren Gunsten aus.

Schließlich konnten die Grünen ihre gelungene Eingliederung in die Gesellschaft vorweisen und wer seine Zustimmung zu Kriegen gibt, dem kann das Vaterland einige radikale Jugendsünden verzeihen. Mit dem Film Joschka und Herr Fischer war diese Debatte nun endgültig beendet. Nun könnte den Grünen eine neue Debatte über ihre Vergangenheit ins Haus stehen, die sich aber grundlegend von den Diskussionen vor mehr als einem Jahrzehnt unterscheidet. Es geht um die Frage, wie es „Die Grünen“ und führende Persönlichkeiten der Partei mit der Pädophilie gehalten haben.

Ausgangspunkt des neuen Streits war die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an das Grüne Urgestein Daniel Cohn-Bendit. Der langjährige Realpolitiker hatte sich die Auszeichnung redlich verdient und eigentlich hatten sogar selbst die Konservativen längst ihren Frieden mit ihm gemacht. Doch dann wurden einige Texte aus seiner Zeit als Sponti und Kinderladen-Mitarbeiter neu gelesen, die er vor allem in dem 1975 erschienenen und längst vergriffenen Buch „Der große Basar“ veröffentlichte.

Lust im Kinderladen
Dort fanden sich auch solche Bekenntnisse:

„Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf Jahren schon gelernt hatten, mich anzumachen. Es ist kaum zu glauben. Meist war ich ziemlich entwaffnet. (…)

Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: ‚Warum spielt ihr nicht untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere Kinder?‘ Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.“

Heute betont der geläuterte Politiker Cohn-Bendit, die Lust, über die hier geschrieben wird, sei die Lust am Provozieren gewesen. Unterstützt wird er dabei von Mitstreitern und Eltern aus dem Kinderladen. Doch es sind nicht wie vor mehr als 10 Jahren vor allem Attacken aus der Union, vor denen sich Cohn-Bendit und seine Freunde verteidigen müssen. Einige der größten Kritiker der alten Texte von Cohn-Bendit sitzen in der grünennahen Taz und auch bei den Grünen selber.

Dass der CSU-Politiker Dobrinth das Thema als wahlkampftauglich erkennt, ist nun wahrlich nicht verwunderlich. Erstaunlich ist eher, dass er erst jetzt nachzieht und dass er die Argumente gegen Cohn-Bendit durchaus in der Taz finden könnte. Wenn Dobrinth moniert, „die Grünen probieren, die schützende Hand über so einen widerwärtigen Typen wie den Cohn-Bendit zu halten“, sind sogar scharfe Kritiker Cohn-Bendits gezwungen, sich verbal hinter ihn zu stellen

Zweierlei Zeitgeist?
Doch die Forderung des CSU-Politikers, „die Grünen müssten offenlegen, wie viel Geld von der Grünen-Bundestagsfraktion und der Partei an Pädophilenorganisationen geflossen sei“, wird wohl umgesetzt. Genau eine solche Untersuchung wird von den Grünen vorbereitet. Auch bei der Taz gibt es schon solche Aufarbeitungen. Sollte der dort herrschende Ton auch die Melodie für die Untersuchung bei den Grünen vorgeben, dann sind die Ergebnisse schon klar.

Der Zeitgeist der 1970er Jahre wird angegriffen, weil der es angeblich ermöglicht habe, dass man nicht konsequent gegen alle Bestrebungen vorgegangen sei, Sexualität mit Kindern zu entkriminalisieren. Selbst Projekte, in denen pädophile Männer versuchen, ihre Neigungen zu überwinden, werden mittlerweile in Taz-Artikeln kritisiert. Das ist erstaunlich, weil die Taz eigentlich immer für Alternativen zu repressiven Strategien plädiert hat.

Mit einer solchen Diktion wird aber auch völlig ausgeblendet, dass die Debatte um freie Sexualität selbst für Kinder und Jugendliche eine Reaktion auf Gewalterfahrungen auch sexueller Art war, wie sie Kinder und Jugendliche in allen herkömmlichen Institutionen, in Familien und Heimen, immer wieder erlebt hatten. Sie kamen selten an die Öffentlichkeit, weil die jeweiligen Autoritäten es gar nicht zuließen. Eher wäre ein Kind oder Jugendlicher noch in den 1960er Jahren entmündigt worden, als dass der Leiter eines Kinderheims oder gar ein Pfarrer wegen sexueller Gewalt gegen Kinder zur Verantwortung gezogen worden wäre.

Erst in Folge der 68er Bewegung organisierten sich auch Kinder und Jugendliche selbstständig und in diesem Kontext wurde die Forderung von selbstbestimmter Sexualität von Kindern und Jugendlichen aufgriffen. In Gruppen wie der Indianerkommune und der heute besonders in der Kritik stehenden grünen „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Päderasten und Transsexuelle“ waren Restbestände solcher Forderungen noch in der Schwundstufe enthalten.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den von solchen Gruppierungen vertretenen Positionen wäre tatsächlich notwendig, Dann sollte aber auch über die Forderung nach selbstbestimmter Sexualität auch bei Kindern und Jugendlichen kontrovers diskutiert werden können und nicht in der Form eines Tribunals über diese Organisationen geurteilt werden. Doch der Zeitgeist steht dagegen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154270
Peter Nowak

Konservative machen Druck auf Merkel

Mit der AfD als Vehikel fordert der rechte Flügel der Union, die konservativen Werte herauszustellen

Die neue Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland kann sich über mangelnde Beachtung nicht beklagen. Von der Linkspartei bis zur Union betonen alle im Bundestag vertretenen Parteien, wie ernst man die neue Partei nehmen muss. Dabei sind die Intentionen durchaus unterschiedlich.

Wenn Sarah Wagenknecht erklärt, dass die Eurokritik der AfD richtige Elemente enthalte, die Partei aber ansonsten wegen ihrer wirtschaftsliberalen Ausrichtung für Linke nicht wählbar sei, dann will sie in Erinnerung rufen, dass es eben auch Eurokritiker jenseits der AfD gibt. Damit will sie der neuen Partei den Nimbus des Tabubrechers nehmen, die als einzige ausspricht, was angeblich sonst niemand sagt.

Anders gelagert sind die Warnungen der CDU-Fraktionsvorsitzenden von Hessen, Sachsen und Thüringen, die in einem Brief an die Parteivorsitzende Merkel eine klare Positionierung gegenüber der AfD fordern. Die Gründung der AfD sei eine Herausforderung für die Union und müsse ernst genommen werden, schrieben Christean Wagner, Steffen Flath und Mike Mohring in einem Papier, aus dem das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert.

Das konservative Profil der Union schärfen

Für die drei Fraktionsvorsitzenden ist die neue Partei besonders gefährlich, weil sie nicht nur Eurogegner anziehe, sondern auch jenen eine neue politische Heimat bieten könne, denen Merkels Modernisierungskurs nicht konservativ genug ist. Die politische Kompetenz für konservative Themen müsse von der Union selbstbewusster herausgestellt werden, fordern die Verfasser des Briefes und machen damit deutlich, dass sie die AfD als Vehikel benutzen, um einen Rechtsruck in der Union durchzusetzen.

Seit Merkel in der Union Verantwortung trägt und Kohl entmachtet hat, gibt es das Lamento über den Modernisierungskurs der Frau aus dem Osten, die der Union die konservative Seele nehme. Zu einer Bibel der konservativen Merkel-Kritik wurde das Buch Die Patin, mit dem die Publizistin Gertrud Höhler der Kanzlerin deren DDR-Vergangenheit vorwirft. Nun legen die konservativen Autoren Günther Lachmann und Ralf Georg Reuth in dem kürzlich erschienenen Buch Das erste Leben der Angela M. nach und werfen ihr vor, was schon immer bekannt war: Dass Merkel in der DDR keine Oppositionelle war.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Merkel diese Angriffe eher als Sympathiewerbung nutzt. Bisher haben alle unionsinternen Merkelkritiker schnell aufgegeben. Die immer wieder prognostizierten Aufstände des geschassten westdeutschen Unionsnachwuchses, der Mitte der 1980er Jahre schon eigene Karrierepläne ausgearbeitet hatte, sind ausgeblieben. Friedrich Merz oder Roland Koch gingen dann doch lieber in die Wirtschaft, als Merkel in der Politik Paroli zu bieten.

Hofften manche Konservative in der Union noch auf die Nach Merkel-Ära, so werden heute schon Kandidaten aus dem Kreis der Modernisierer größere Chancen eingeräumt. Vorausgesetzt Merkel will überhaupt ihr Amt mittelfristig aufgeben und ihr passiert das Missgeschick nicht, die Wahlen im Herbst zu verlieren. Dass die Konservativen in der Union jetzt die AfD als Vehikel benutzen, um Druck auszuüben, wurde von Merkel scharf kritisiert. Man solle sie in Zukunft besser auf dem Handy anrufen, statt mit offenen Briefen die AfD erst richtig bekannt zu machen, soll Merkel nach einen Bericht der Welt auf einer Vorstandssitzung der Union gesagt haben.

Dass vielleicht einige konservative Unionsanhänger die AfD bekannt machen wollen, um ihre Position in der Union zu stärken, wird sie sicher nicht laut aussprechen. In Großbritannien, wo EU-kritische Rechtspopulisten von der Unabhängigkeitspartei bei den Kommunalwahlen Stimmengewinne verbuchten, hat der rechte Flügel der Tories auch sofort davon profitiert.

Bröckelt die Abgrenzung der AfD nach Rechtsaußen?

Ob die AfD allerdings je Wahlerfolge erzielen und nicht wie viele Kleinstparteien rechts von der Union enden wird, ist noch gar nicht sicher. Zu Zeit streitet sich die neue Partei über die Frage, wie weit sie sich nach rechts öffnen soll. Von einzelnen Mitgliedern werden Aufrufe der Zusammenarbeit mit den Republikanern und der Anti-Islampartei Die Freiheit angestrebt.

In rechten Internetmagazinen wird schon mit Freude festgestellt, dass die Abgrenzung der AfD in Richtung der Pro-Bewegung und der Republikaner bröckelt. Im thüringischen Ilmenau gibt es Streit, um das AfD-Engagement des wegen Holocaustrelativierung verurteilten, rechtslastigen Vertriebenenfunktionärs Paul Lattusek. Nachdem die Medien über seine Aktivitäten in der AfD berichtet haben, distanziert sich die Partei von ihm.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154266
Peter Nowak

Solingen war kein Zufall

Antirassistisches Bündnis organisiert Aktionstage gegen Alltagsrassismus
Bis zum 25. Mai will ein Aktionsbündnis antirassistischer Initiativen mit bundesweiten Aktionen an den tödlichen Brandanschlag vor 20 Jahren in Solingen erinnern und zugleich auf den Alltagsrassismus in Deutschland aufmerksam machen. Den Auftakt gab es in Sachsen-Anhalt.

Mit einer Veranstaltung zur Geschichte des deutschen Kolonialismus begannen am Freitagabend in Magdeburg die Aktionstage des antirassistischen Netzwerkes Sachsen-Anhalt. Dieses ist Teil des bundesweiten Bündnisses »Rassismus tötet«, das bereits im vergangenen Jahr an verschiedene rassistische Anschläge und Krawalle erinnert hat, die vor zwei Jahrzehnten in Ost- und Westdeutschland wie Rostock, Hoyerswerda und Mölln zahlreiche Tote und Verletzte forderten.

In diesem Jahr erinnert das Bündnis »Rassismus tötetet« an zwei Jahrestage, die vielen Politikern besonders unangenehme sein müssten. So jährt sich am 23. Mai zum 20. Mal der Tag, an dem eine große Koalition aus SPD, Union und FDP im Bundestag das Grundrecht auf Asyl derart einschränkte, dass es nur noch von ganz wenigen Flüchtlingen in Anspruch genommen werden kann. Kritiker sprechen auch von der faktischen Abschaffung des Asylrechts. Nur wenige Tage später, am 29. Mai, verübten Neonazis einen Brandschlag auf ein von Menschen ohne deutschen Pass bewohntes Haus in Solingen, bei dem fünf Menschen starben.

»Wir wollen diese beiden Jahrestage zum Anlass nehmen, um an ein rassistisches Klima in Deutschland zu erinnern, das auch für die NSU-Morde und die Stigmatisierung von deren Opfern zu Tätern verantwortlich ist«, meinte Martin Sommer (Name geändert) vom antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt gegenüber »nd«. Dort haben sich Flüchtlingsinitiativen, Antirassismus- und Antifagruppen zusammengeschlossen, die in den nächsten Tagen mit Veranstaltungen und Ausstellungen über den deutschen Alltagsrassismus und seine historischen Wurzeln informieren wollen. In den Veranstaltungen der kommenden Tage, die auf der Webseite antiranetlsa.blogsport.de zu finden sind, werden aktuelle Ausdrucksformen des Rassismus thematisiert, beispielsweise verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, von denen meist Menschen mit dunkler Hautfarbe betroffen sind, oder die Residenzpflicht für Flüchtlinge, die ihre Bewegungsfreiheit einschränkt.

Wie in Sachsen-Anhalt sind auch in den anderen Bundesländern dezentrale Aktionen geplant. An zwei Terminen spielen antirassistischer Protest und Widerstand eine wichtige Rolle. So sind am 16. März bundesweit in zahlreichen Städten Aktionen vor Ausländerbehörden geplant. In Sachsen-Anhalt wird es an diesem Tag Kundgebungen auf dem Marktplatz von Halle und dem Magdeburger Ulrichsplatz geben. Zum Abschluss der Aktionstage sind am 25. Mai zwei bundesweite antirassistische Großdemonstrationen unter dem Motto »Das Problem heißt Rassismus!« geplant. In Solingen soll damit an die Opfer des Brandanschlages vor 20 Jahren erinnert werden. In Berlin wird an die Verantwortung der politisch Verantwortlichen erinnert, die vor 20 Jahren auf Alltagsrassismus mit der Einschränkung des Asylrechts reagierten.

Zurzeit agieren rechte CDU-Politiker in verschiedenen Berliner Bezirken, beispielsweise in Reinickendorf, gegen die Ausweisung öffentlicher Gebäude als Flüchtlingsunterkünfte. Dabei fühlen sich antirassistische Gruppen an die Debatten vor zwei Jahrzehnten erinnert. Martin Sommer erinnert allerdings auch an den Aufbruch der Flüchtlinge im letzten Jahr, die mit vielen Aktionen und einem Zeltlager in Berlin gegen ihre Diskriminierung protestieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/821289.solingen-war-kein-zufall.html

Peter Nowak

Schneller räumen

Seit diesem Monat gilt das neue Mietrecht, mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung Immobilienbesitzer für die »Energiewende« begeistern möchte. Von den Änderungen profitieren die Vermieter, die Rechte von Mietern wurden stark eingeschränkt.

Am 1. Mai sind Gesetze in Kraft getreten, die die Rechtsposition von Millionen Mietern verschlechtern. So können Mieter bei Umbaumaßnahmen in den ersten drei Monaten die Miete nicht mehr mindern, wenn es sich um eine »energetische Modernisierung« handelt. Nach dem neuen Mietrecht umfasst eine energetische Sanierung »alle Maßnahmen, die zur Einsparung von nicht erneuerbarer Primär- oder Endenergie in Bezug auf die Mietsache beitragen«.

Kündigt der Vermieter solche Maßnahmen an, kann der Mieter sie auch nicht mehr, wie es bislang möglich war, mit dem Einwand einer nicht zumutbaren wirtschaftlichen Härte verhindern. Der Mieter muss die energetische Modernisierung dulden und hat erst später im Mieterhöhungsverfahren die Möglichkeit, auf die »wirtschaftliche Härte« zu verweisen, allerdings muss er diese beim Vermieter schon zuvor schriftlich angemeldet haben. Für den Vermieter hingegen werden durch die von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossene Mietrechtsreform die formalen Anforderungen gesenkt, die er bei der Begründung von Modernisierungsmaßnahmen einhalten muss.

Besonders betroffen sind von diesem eigentümerfreundlichen Mietrecht arme Menschen, denen durch die Neuregelung ohnehin schon minimale Schutzrechte genommen werden. In der Praxis hat sich auch in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass Investoren Mittel, Wege und Juristen fanden, um Mieter, die sie als »Profitbremse« betrachten, zum Auszug zu bewegen. Das wird in Zukunft noch einfacher sein. Die energetische Sanierung lohnt sich also für die Investoren und die an der Modernisierung beteiligten Firmen.

Anders als das Adjektiv »energetisch« nahelegt, ist der Nutzen für den Klimaschutz dabei zweifelhaft. So gelangt eine Studie der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu dem Ergebnis, dass sich die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen für den Neubau energiesparender Wohngebäude unter Umweltweltaspekten nicht rentieren. Die Investitionen ließen sich »nicht allein aus den eingesparten Energiekosten finanzieren«. Steffi Schmidt* ist von diesem Ergebnis nicht überrascht. Sie wohnt in einer energetisch modernisierten Wohnung in Berlin. Nach der Sanierung ist die Miete für ihre Wohnung um über 20 Prozent gestiegen, die Energiekosten sind allerdings nicht gesunken.

Solche Erfahrungen bewegen Mieter mittlerweile zum Widerstand gegen eine energetische Sanierung. Bekannt wurde beispielsweise die nach Straßen benannte Initiative »Fulda/Weichsel«, in der sich Mieter eines Häuserkomplexes im Berliner Bezirk Neukölln seit Monaten gegen einen Sanierungsplan wehren, der ihnen neue Fenster, eine Außendämmung, neue Abwasser- und Heizanlagen und bis zu 89 Prozent höhere Mieten bescheren sollte. Ein Großteil der Mieter hatte die Wohnungen bereits in Eigenregie umweltbewusst gestaltet. Über die Geschichte ihres Widerstands und die ersten Erfolge wird die Initiative auch auf dem Kunstevent »48 Stunden Neukölln«, das Mitte Juni stattfinden soll, informieren.

Die Initiative kooperiert mit der »Berliner Mietergemeinschaft«, die das neue Mietrecht als Sieg der jahrelangen Lobbyarbeit von Hausbesitzer- und Investorengruppen wertet. Joachim Oellerich von der Mietergemeinschaft bezeichnet die Reform gegenüber der Jungle World als »einen fundamentalen Einschnitt in die Rechte die Mieter«. Die energetische Sanierung werde so zur Handhabe für Mieterhöhungen, ohne dass die Wohnqualität steige. Weil viele Hauseigentümer hier nur eine weitere Möglichkeit zur Wertsteigerung ihres Eigentums sähen, werde nicht selten Dämmmaterial verwendet, das gesundheitsschädliche Folgen haben könne. Zudem warnten Fachpublikationen für energetische Sanierung, die »Schnäppchenmentalität« der Sanierer gefährde den Brandschutz.

Darüber hinaus kritisiert Oellerich, dass mit dem Verweis auf sogenannte Mietnomaden bei der Reform des Mietrechts die Rechte von Mietern geschleift wurden. »Den Mietnomaden gibt es nicht. Das ist ein Konstrukt.« Als Mietnomaden werden von Verbänden der Hauseigentümer Personen bezeichnet, die angeblich in eine Wohnung einziehen, ohne die entsprechende Miete zu entrichten, und nach Aufdeckung in die nächste Mietwohnung ziehen, ohne die Schulden beglichen zu haben. Medien wie Spiegel und Zeit zeigten mit Artikeln wie »Der Feind im Haus« und »Miettouristen – Schrecken der Haubesitzer« viel Verständnis für die Sorgen der geplagten Investoren.

Der Gesetzgeber hat im neuen Mietrecht die Möglichkeit einer vorläufigen Kündigung per einstweiliger Verfügung festgeschrieben. Offiziell wurde diese Regelung eingeführt, um Mietnomaden leichter kündigen zu können. Die Regelung greift jedoch auch, wenn Mieter beispielsweise bei umstrittenen Mieterhöhungen im Forderungsrückstand sind. Klagt ein Eigentümer wegen nicht bezahlter Mieten auf Räumung, muss der Bewohner den strittigen Betrag bis zum Urteilsspruch auf einem Sonderkonto hinterlegen. Ist er dazu nicht in der Lage, kann der Eigentümer die Wohnung künftig im Eilverfahren räumen lassen. Sollten sich die Forderungen des Vermieters vor Gericht später als unberechtigt herausstellen, ist der Mieter trotzdem seine Wohnung los.

Betroffen sind auch hier arme Mieter, die nicht die Möglichkeit haben, beliebig Geld auf einem Sonderkonto zu hinterlegen. Dadurch könnte die Zahl der Räumungen in Zukunft noch steigen. Ob sich der Widerstand dagegen über Berlin hinaus ausweitet, ist offen. Schließlich sorgt allein die Drohung mit einer vereinfachten Räumung bei vielen Mietern für Angst und Verunsicherung.

http://jungle-world.com/artikel/2013/19/47657.html

Peter Nowak

NEOFASCHISTEN– SOZIALCHAUVINISTEN – SARRAZINISTEN

Die Krise kann sehr unterschiedliche politische Reaktionen bei den Menschen auslösen. Sie können sich solidarisch organisieren oder sie können sich als eine Nation imaginieren und sich auf die Jagt nach Sündenböcken machen. Vom schleichenden Erstarken ultrareaktionärer Bewegungen im Europa der Krise.

Der rasante Erfolg der griechischen Nazipartei„Goldene Morgenröte“ beflügelt auch extreme Rechte in anderen Ländern. Auf zahlreichen Homepages von „Freien Kameradschaften“ wird der Wahlerfolg einer Partei, die jahrelang im Promillebereich lag, bei den letzten griechischen Parlamentswahlen 7 Prozent bekam und mittlerweile in Umfragen zur drittstärksten Partei in Griechenland aufgestiegen ist, als Inspiration bezeichnet. Schließlich versuchen die „Goldenen Morgenröte“ ihren
Rassismus und Antisemitismus gar nicht zu verbergen. Anders als viele andere Parteien der europäischen Rechten, die für ihren Aufstieg einen zumindest taktischen Schwenk zur Mitte hin vollziehen und möglichst nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen, haben die „Goldenen Morgenröte“ Erfolge, obwohl sie wie eine schlechte Kopie der NSBewegung
daherkommen und aus ihrer Bewunderung für Hitler kein Geheimnis machen. „Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“. Was Neonazigruppen inspiriert, jagt Antifaschisten Schrecken ein und motiviert sie zu Aktivitäten. So hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias ein „Antifaschistisches Europäisches Manifest” initiiert, das mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Das Manifest formuliert eine radikale Absage an die wesentlich von Deutschland initiierte europäische Krisenpolitik, die für das Anwachsen rechter Bewegungen verantwortlich gemacht wird. „Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen! Unter Ausnutzung der Angst der Besitzenden vor den Risiken sozialer Explosion, der Radikalisierung der durch die Krise und die drakonischen „Austerity-Morgenröte“-Maßnahmen ausgezehrten Mittelklassen sowie der Hoffnungslosigkeit ausgegrenzter und verarmter Arbeitsloser breiten sich rechtsextreme, neonazistische und neofaschistische Kräfte in ganz Europa aus; sie erringen einen massiven Einfluss bei den benachteiligten Schichten, die sie gegen traditionelle und neue Sündenböcke (Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte usw.) sowie gegen soziale Bewegungen, linke Organisationen und Arbeitergewerkschaften systematisch aufhetzen“, heißt es dort.
Wie in den 30er Jahren wird auch eine verarmende Mittelklasse als Massenbasis für die aktuellen faschistischen Bewegungen gesehen. Judith Carreras vom Organisationsbüro des Manifestes nannte als primäres Ziel des Manifestes, es solle deutlich gemacht werden, dass der Faschismus
kein schlechter Geist aus der Vergangenheit, sondern ein aktuelles Problem für die Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa ist. Die vorrangige Aufgabe der europäischen antifaschistischen Bewegung soll die Unterstützung von Menschen und Organisationen sein, die sich in Ungarn und Griechenland den neuen faschistischen Bewegungen entgegenstellen.
Wie in Griechenland hat mit der „Jobbik-Bewegung“ auch in Ungarn eine Bewegung Zulauf, die, wie die „Goldene Morgenröte“, kein Hehl aus ihrer Nazibewunderung machen. Wie in Ungarn beeinflussen auch in Griechenland die Neonazigruppen das politische Klima in diesen Ländern direkt. Sowohl in Griechenland als auch in Ungarn richtet sich auch die Regierungspolitik gegen Linke, Flüchtlinge und andere Minderheiten, die auch von den Nazis zu Feinden erklärt werden.

Krise und Faschismus – kein Naturgesetz

Zwei Kritikpunkte an dem Manifest sollen hier genannt und begründet werden. Dazu gehören die lineare Begründung der faschistischen Bewegung mit den Krisenfolgen und die Konzentration auf einen rechten Politiktypus, der sich wie „Jobbik“ in Ungarn und die „Goldenen Morgenröte“
in Griechenland im Wesentlichen zu einer Kopie der NS-Bewegung geriert. Dabei wird ausgeblendet, dass die Krise und ihre Folgen sehr unterschiedliche politische Reaktionen bei den Menschen auslösen können. Sie können sich mit Gleichgesinnten solidarisch organisieren und theoretisch und praktisch mit der Abschaffung des Kapitalismus auseinandersetzen. Sie können aber auch das rassistische oder faschistische Ticket ziehen, sich als ein Volk oder eine bestimmte
Nation imaginieren und alle anderen aus dieser scheinbar privilegierten Gemeinschaft auszuschließen versuchen. Ob jemand einen solidarischen oder einen ausschließenden Umgang mit den Krisenfolgen wählt, liegt am ideologischen Handwerkszeug, das er zur Interpretation der Gesellschaft und der Erklärung der Krise benutzt. Es kann den Menschen befähigen, in der Krise eine Eigenschaft zu erkennen, die zum Kapitalismus gehört wie der Blitz zum Donner. Unterschiedliche rechte Ideologien wiederum sorgen dafür, dass die Krise Menschen dazu bringt, für eine Politik der Ausschlüsse und Abgrenzung einzutreten. Hier und nicht in dem NS-Bezug liegt der eigentliche Kern unterschiedlicher rechter Ideologeme, die sich in Europa ausbreiten. Nur noch eine absolute Minderheit von ihnen kommt in einer NS-Travestie daher, wie die „Goldene
Morgenröte“. Diese wird daher begreiflicher Weise auch von einer übergroßen Mehrheit der Menschen abgelehnt. Das ist schon anders bei rechten Bewegungen, die sogar ostentativ bemüht ist, sich von allen Nazi-Reminiszenzen abzugrenzen. Einer solchen Ideologie gelingt es viel
einfacher, sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren und auch die Politik verschiedener europäischer Regierungen zu bestimmen. Bei der gegenwärtigen ungarischen Regierung finden sich
ebenso Elemente einer solchen rechten Bewegung ohne direkten NS-Bezug wie es in Italien unter Berlusconi der Fall war oder in Dänemark, als eine konservative Regierungskoalition unterstützt von einer rechtspopulistischen Partei zeitweise eine erklärte Politik gegen Migranten und
gesellschaftliche Minderheiten propagierte. Aber auch auf regionaler Ebene sind
solche rechtspopulistischen Tendenzen zu beobachten. So stellt in der einst sozialdemokratischen
Hochburg Antwerpen seit der letzten Wahl ein Kandidat der flämischen Rechtspopulisten den Bürgermeister. Er ist scheinbar mit einer Politik der kleinen Schritte bemüht, die Metropole Antwerpen von ungeliebten Minderheiten freizuhalten. So müssen Ausländer, die sich in der Stadt registrieren lassen wollen, nun statt bisher 17 Euro 250 Euro Verwaltungsgebühr bezahlen. Der Effekt ist klar, Menschen mit wenig Geld bleiben weg und dass ist auch das Ziel der neuen
rechten Mehrheit in Antwerpen. Die Partei beerbte übrigens den Vlaams-Belang, eine nationalistische Partei, die von ihrer Geschichte her ganz klar mit der NS-Bewegung assoziiert wird. Diese Geschichte konnten auch einige ideologische Modernisierungen, die diese Partei in den
letzten Jahren vorgenommen hatte, nicht vergessen machen. Die neuen flämischen Nationalisten aber sind ohne diese NSTraditionen schnell in der Mitte der belgischen Gesellschaft angekommen. Dabei unterscheiden sich die politischen Vorstellungen der beiden Parteien nicht besonders.
Hier wird schnell deutlich, dass eine Partei ohne NS-Bezug viel leichter offen rechte und rassistische Vorstellungen in die Gesellschaft einspeisen und umsetzen kann. Daher ist es ein Manko des antifaschistischen Manifestes, den Fokus so stark auf die offenen NS-Nostalgiker unter
den Rechten zu rücken. So wichtig es ist, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die vom Terror einer „Jobbik-Bewegung“ oder der „Goldenen Morgenröte“ bedroht sind, so notwendig ist in der ideologischen Auseinandersetzung eine Erkenntnis, die schon in den 70er Jahren richtig war: Der
Faschismus wird heute nicht mehr mit SA-Stiefeln an die Macht kommen. Das größte Problem bei der Konzentration auf die Stiefelnazis und NS-Nostalgiker besteht darin, dass da sehr viele Kräfte mit Verve zu Antifaschisten gerieren können, die im Kern eine rechtspopulistische und
sozialchauvinistische Politik propagieren. Sie werden immer mit einiger Berechtigung erklären können, dass sie gewiss keine NS-Anhänger sind und auch keine Flüchtlinge auf der Straße totschlagen. Daher müsste eine antifaschistische europäische Bewegung nicht bei einer
Verurteilung des Neonazismus stehen bleiben, sondern muss rechte und sozialchauvinistische
Praktiken in der Mitte der Gesellschaft erkennen und angreifen.

Sozialchauvinismus in allen Poren der Gesellschaft

Wie dieser funktioniert, soll an einer kleinen Beobachtung im Berliner Nahverkehr verdeutlicht werden, die auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun hat. Bevor der Zeitungsverkäufer überhaupt begonnen hat, in der Berliner U-Bahn seinen Spruch aufzusagen, wird er von
einem Fahrgast aus dem Waggon mit einer Schimpfkanonade bedacht: Ob man in der Bahn, als zahlender Kunde, denn immer mit diesen Versagern belästigt werden müsse. Dafür erntet der Mann
mittleren Alters, Typ Vertreter, bei anderen Fahrgästen Zustimmung. Da nützt es nichts, dass der Verkäufer mittels eines Ausweises am Revers die Rechtmäßigkeit seiner Arbeit dokumentieren will. Auch seine Distanzierung von denen, die seinen Berufsstand in ein schlechtes Licht rückten, weil sie nicht berechtigt seien, Zeitungen zu verkaufen und den verständlichen Zorn des Publikums auf sich zögen, haben wenig Erfolg. In dieser Alltagsszene bekommt man vorgeführt, wie der Sozialchauvinismus funktioniert. Menschen, die Probleme haben, in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft vom Rand wegzukommen, bekommen den Zorn derer ab, die selbst nur ein
Rad im Getriebe sind. Ihre Angepasstheit demonstrieren sie durch freche Sprüche in Richtung derer, die in der sozialen Hackordnung noch weiter unten stehen.An ihnen wird die Aggression ausgelassen, die sich beim tagtäglichen Katzbuckeln vor dem Chef oder Vorarbeiter oder auch nur vor dem Kollegen, der eine Stufe höher gerückt ist, angesammelt hat. Auch der Gescholtene traut sich nicht, einer solchen Behandlung zu widersprechen. Stattdessen versucht er, sich als produktives Mitglied der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu präsentieren, indem er auf die „schwarzen Schafe“ verweist, die nicht so gut funktionieren würden. Was hier beispielhaft dargestellt wurde, findet sich in allen Poren der Gesellschaft. Oft genug sind die Akteure Menschen, die selbst am Rand der kapitalistischen Leistungsgesellschaft leben, also allen
Grund hätten, dagegen aufzubegehren. Doch mit Sozialchauvinismus grenzen sie sich von anderen ab. Das kann die erwerbslose Nachbarin sein, die sich zu ihrem ALG II noch etwas dazu verdient
und beim Jobcenter denunziert wird.Das kann der nichtdeutsche Leiharbeiter sein, der von Kollegen im selben Betrieb geschnitten und diskriminiert wird.

Die Sarrazinisten aller Länder

Die Diskussion um den Sozialchauvinismus hat durch die Debatte um das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin an Bedeutung gewonnen. Der ehemalige Berliner Senator und Deutsche-Bank-Manager hatte mit seinen Äußerungen nicht in erster Linie muslimische MigrantInnen im Visier, wie es in großen Teilen der linksliberalen Medien nahegelegt wird. Zu seinem Feindbild zählen vielmehr alle, die dem Standort Deutschland aus seiner Sicht nicht nützen, wie in einem von Sebastian
Friedrich herausgegebenen Sammelband herausgearbeitet wird. Betroffen davon sind ALG-II-EmpfängerInnen ebenso wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Seine Person ist dabei nur der „Lautsprecher“
eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit „Bild-Lesern“ zusammenschweißt. So hat der sich selbst als „Neo-Aristokrat“ bezeichnende Philosoph Peter Sloterdijk die sozialchauvinistische
Grundannahme in einem FAZ-Aufsatz in Reinform dargeboten. Während im ökonomischen
Altertum die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der „ökonomischen Moderne die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben. Die Leistungsträger und die Unproduktiven sind zentrale Kategorien im sozialchauvinistischen Diskurs. Letztere werden auch gerne als „Transferbezieher“ abgewertet. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein wie Aufstocker, aber auch ganze Staaten wie Griechenland im EU-Diskurs. So wurde der „Transferbezieher“, der angeblich nicht von eigener Arbeit lebe, zum neuen Feindbild. Dieses
Feindbild teilen sozialchauvinistische Ideologen à la Sarrazin und seine Fans mit Faschisten wie den Straßenschlägern der „Golden Morgenröte“. Wenn diese mit Zustimmung und teilweise sogar im Auftrag von Mittelstandsfamilien gegen Migranten, Bettlern, Obdachlosen in Athen vorgehen,
setzen sie nur das handgreifl ich um, was auch die Sarrazinisten aller Länder ideologisch
propagieren. Die aber fordern in der Regel noch von den Staatsorganen, in ihrem Sinne aktiv zu werden. So war es kein Zufall, dass den offenen Nazis von den „Goldenen Morgenröten“ in Griechenland durch die rechtspopulistische Laos-Partei der Weg bereitet wurde. Diese teilte mit
den Stiefelnazis die gleichen Feindbilder, wollte aber mit einem starken Staat darauf
reagieren und trat in eine Koalitionsregierung ein. Bei den nächsten Wahlen wurde sie abgestraft und der Aufstieg der offenen Neonazis begann. Wie nah sich diese mit den Rechtspopulisten auch in der Artikulation von Vernichtungswünschen gegen unliebsame Minderheiten sind, machte
der langjährige Vorsitzende der Lega Nord Bossi deutlich, als er forderte mit Kanonen gegen Flüchtlingsboote vorzugehen. Sozialchauvinistisches Denken kann sich mit Unterdrückung auf „ethnischer“ Grundlage verknüpfen. Das zeigt sich in den europaweit um sich greifenden Angriffen
gegen Roma und Sinti. Den Angegriffenen wird vorgeworfen, nicht leistungsbereit genug zu sein. Wie sich solche rassistischen Stereotypen wiederum mit dem Hass auf das Proletariat verbinden
können, wenn dieses nicht angepasst und eingehegt in die bürgerliche Gesellschaft sind, zeigt sich in Großbritannien am Siegeszug des Begriffs „Chavs“, der wahrscheinlich von „Chaavi“, dem Roma-Wort für „Kind“, abgeleitet wurde. Er tauchte vor knapp zehn Jahren in der Öffentlichkeit
auf und wurde immer populärer. „Er kam zuerst in der Bedeutung von ‚junger Angehöriger der Arbeiterklasse in legerer Freizeitkleidung‘ in den Wortschatz. Aber es schwangen immer auch hasserfüllte, klassenbezogene Bedeutungen mit, ein „Chav“ war gleichbedeutend mit ‚antisozialem
Verhalten‘, Geschmacklosigkeit und Nutzlosigkeit“, schreibt der Historiker Owen Jones. Er hat kürzlich ein Buch über die Dämonisierung der Arbeiterklasse geschrieben. Nun hat die Kampagne
gegen die „Chavs“ ein neues Beispiel geschaffen: Als im Spätsommer 2011 in britischen Städten Riots ausgebrochen waren, erreichte die Hetze ihren Höhepunkt. „Plünderer sind Abschaum“, diese
Parole, die bei den Aufräumarbeiten des patriotischen Mittelstands zu sehen war, wurde im öffentlichen Diskurs weitgehend Konsens. Für viele waren diese Plünderer mit den „Chavs“ identisch. Jones zeigt auch auf, wie die Kampagne gegen die Unterklasse und die Ideologie vom Ende der Arbeiterklasse verschmelzen. Das Klischee vom „Chav“ tauchte zu einer Zeit auf, als JournalistInnen und Politiker aller Couleur behaupteten, wir alle – auch die vermeintlich aufstrebende Arbeiterklasse – seien nun Mittelschicht. Mit einer großen Ausnahme: All das, was von der alten Arbeiterklasse übrig war, wurde zum problematischen Rest degradiert. So schrieb der
rechtsstehende Journalist Simon Heffer: „Was früher einmal die ehrbare Arbeiterklasse genannt wurde, ist fast ausgestorben. Was Soziologen als Arbeiterklasse zu bezeichnen pflegten, arbeitet dieser Tage normalerweise überhaupt nicht, sondern wird vom Sozialstaat unterhalten.“ Sie habe sich stattdessen zu einer „verkommenen Unterschicht“, dem Prekariat, entwickelt. „Wer außerhalb von Mittelschichtbritannien bleibt, ist selbst schuld daran“, fasst Jones diese Propaganda zusammen, die keineswegs Großbritannien vorbehalten ist, sondern von der Mitte bis weit ins rechte Lager geteilt wird.

Streiken gegen Sozialchauvinismus

Der Kampf gegen Sozialchauvinismus und Rassismus ist aber vor allem ein Eingriff in soziale Praxen und kann völlig unterschiedliche Formen annehmen. Dass man auch gegen sozialchauvinistische Spaltungen streiken kann, machten finnische Stahlkocher im Sommer 2011 deutlich. Sie traten in den Ausstand, um polnische Leiharbeiter bei ihrem Kampf für gleiche Löhne und rbetsbedingungen gegen den deutschen Konzern Beroa zu unterstützen. Der mehrtägige Solidaritätsstreik setzte die Bosse schnell unter Druck. Eine Auseinandersetzung mit sozialchauvinistischen Ideologien und Tendenzen, die sich auch unter Lohnabhängigen und Erwerbslosen verbreitet sind, ist unbedingt
notwendig. Dagegen hilft nur die Entwicklung von kollektiver Solidaritätsarbeit und Gegenwehr im Alltag. So wird bei Begleitaktionen von Erwerbslosen im Jobcenter eben nicht nach „guten“ und
„schlechten“ Erwerbslosen unterschieden und die gesellschaftliche Spaltung reproduziert. Dadurch kann ein politisches Bewusstsein entstehen, das Sozialchauvinismus zurückdrängt und vielleicht auch der Erkenntnis Auftrieb gibt, dass die kapitalistische Verwertung dafür verantwortlich
ist, das die Welt so unvernünftig eingerichtet ist.

Literaturhinweise:
1 Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft.
Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte, Münster 2011.
2 Owen Jones: Chavs. The Demonization of the Working
Class, London 2011.

Peter Nowak
http://www.telegraph.ostbuero.de/

telegraph 127/128 2013 11

Rückkehr zur DM mit links?

Oskar Lafontaine hat mit seiner Forderung nach Abwicklung des Euros seine Partei aufgeschreckt. Doch auch seine Kritiker müssten die Herausforderung annehmen und eine nichtpopulistische linke Eurokritik formulieren

Auch in der Linkspartei werden manche schon insgeheim jubiliert haben, als Oskar Lafontaine vor einigen Wochen erklärt hat, sich nicht mehr um ein Bundestagsmandat zu bewerben. Es wurde gerätselt, ob sich der Altsozialdemokrat, ohne den die Linkspartei nie zustande gekommen wäre, wohl aufs Altenteil zurückziehen wird. Als Mann von Gestern wurde er schließlich von seinen Kritikern in und außerhalb der Linkspartei schon lange bezeichnet.

Doch jetzt sorgt Lafontaine mit einem Beitrag für Diskussionen, der in der Überschrift wenig aufregend klingt. „Wir brauchen wieder ein europäisches Währungssystem“, lautet der Titel. Der Beitrag beginnt mit einer realistischen Analyse der aktuellen ökonomischen Situation in der Eurozone, wobei auch die Rolle der deutschen Politik kritisch betrachtet wird.

„Die Deutschen haben noch nicht erkannt, dass die Südeuropäer einschließlich Frankreichs angesichts der wirtschaftlichen Misere früher oder später gezwungen sind, sich gegen die deutsche Hegemonie zur Wehr zu setzen. Insbesondere das deutsche Lohndumping, das von Anfang der Währungsunion an ein Verstoß gegen den Geist der Verträge war, setzt sie unter Druck. Merkel wird aus ihrem selbstgerechten Schlaf erwachen, wenn die unter dem deutschen Lohndumping leidenden europäischen Länder sich verbünden, um eine Wende in der Krise zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft zu erzwingen.“

Daraufhin erklärt Lafontaine, dass eine einheitliche Währung eine Chance gehabt hätte, wenn in allen EU-Ländern eine „produktivitätsorientierte Lohnpolitik“ betrieben worden wäre. Deshalb habe auch er als Politiker von SPD die Einführung des Euro mitgetragen. Da er mittlerweile zu der Auffassung gekommen sei, dass die Kräfteverhältnisse für eine solche Politik nicht vorhanden sind, spricht sich Lafontaine nun für einen Ausstieg aus den Euro aus.

„Wenn reale Auf- und Abwertungen auf diesem Wege nicht möglich sind, muss man die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das, wie beim Vorläufer der Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem, Auf- und Abwertungen erlaubt. Im Kern geht es darum, kontrollierte Abwertung und kontrollierte Aufwertung über ein von der EU getragenes Wechselkursregime wieder möglich zu machen.“

Populismus oder Realismus?

Damit hat Lafontaine, ohne in seinem Text das Wort Deutsche Mark zu erwähnen, als erster prominenter Politiker der Linken den Austritt aus dem Euro befürwortet. Sofort kam Widerspruch auch aus seiner eigenen Partei. Vor allem der Realoflügel warnte vor einem neuen Populismus und betonte, dass die Linke nicht antieuropäisch werden dürfe. Auch der Co-Vorsitzende der Linken Bernd Riexinger, der bei seiner Wahl von vielen Medien vorschnell als Lafontaine-Statthalter abgetan wurde, betonte, dass seine Partei gegen die Troika-Politik, aber für den Euro sei.

Manche Medien sahen schon eine Spaltung der Linken an dieser Frage heraufziehen. Tatsächlich hat die Debatte für die Linkspartei eine große Brisanz. Sie könnte ihr einen existenzgefährdenden Streit bescheren, sie könnte der Linken aber auch ein Themenfeld öffnen, mit dem sie Zustimmung gewinnen kann. Denn es ist auffällig, dass sich auf dem linken Feld keine klare Positionierung gegen den Euro findet. Dafür gibt seit Jahren Organisationen auf dem rechten Feld, die gegen den Euro mobilisieren.

Sie sind in der Regel überzeugte Wirtschaftsliberale und monieren, dass Deutschland für den Euro eine starke Währung aufgegeben hat. „Deutschland braucht den Euro nicht, der Euro braucht Deutschland“, könnte eine solche rechte Eurokritik knapp zusammengefasst werden. Ist also Lafontaine auf diesen Zug aufgesprungen, wie seine Kritiker vermuten?

Wenn man seine politische Biographie überfliegt, gäbe es dafür viele Anzeichen. War nicht Lafontaine noch als führender SPD-Politiker an der faktischen Abschaffung des Asylrechts beteiligt? Hat er nicht in einer regelmäßigen Bild-Kolumne seine Anschlussfähigkeit an den rechten Populismus unter Beweis gestellt? Hat er nicht Verständnis für den Frankfurter Polizeipräsidenten Daxner geäußert, als der einem Kindesentführer mit Folter drohte? Nahm er nicht als frischgebackener Linkspartei-Politiker den Begriff „Fremdarbeiter“ in den Mund – und das nicht, wie es Linke in den 1970er Jahren taten, in kritischer Absicht?

In dieser Reihe wäre Lafontaines Positionierung gegen den Euro ein weiterer Versuch, ein Thema aufzugreifen, das in großen Teilen der Bevölkerung diskutiert wird, und damit für die Linke Stimmen zu holen? Es wäre naiv zu glauben, dass diese Motivation bei Lafontaines neuester Initiative keine Rolle spielt. Schließlich hat das Thema Austritt aus dem Euro durch die Gründung der „Alternative für Deutschland“ auf der politischen Ebene eine neue Dynamik bekommen.

In Umfragen stellte sich bald heraus, dass sich nicht nur Wähler der Union und der FDP, sondern auch der Linken vorstellen könnten, das nächste Mal bei dieser Partei ihr Kreuz zu machen. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Ein Teil der Wähler der Linken machen ihr Kreuz bei der Formation, die sich als Auffangbecken für Protestimmen darstellt. So sind zur Hochzeit der Piraten nicht wenig Linke zu der vermeintlich neueren Protestpartei übergewechselt.

Herausforderung einer linken Eurokritik

Da nun die AfD ihren Widerstand gegen den Euro ins Zentrum stellt, wird ihr schon mal nachgesehen, dass sie ein radikal wirtschaftsliberales Programm besitzt. Solange alle anderen relevanten politischen Gruppierungen den Euro verteidigen, profitiert die AfD davon. Daher wäre das Beste, was ihr passieren könnte eine politische Ausgrenzung vor den Wahlen, so dass sich die Partei mit dem Image des Tabubrechers besser vor den Wählern verkaufen konnte.

Daher warnte auch Sarah Wagenknecht davor, die AfD vorschnell in eine populistische Ecke zu stellen. In dem Interview sagte Wagenknecht, dass es bei der Kritik an den Euro-Rettungspaketen Gemeinsamkeiten mit der Linken gäbe, betonte allerdings auch:

„Aber für potenzielle Linke-Wähler ist eine Partei, für die Niedriglöhne und Altersarmut kein Thema sind und in deren Vorstand Leute arbeiten, die öffentlich darüber nachdenken, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen, bei näherem Hinsehen ganz sicher nicht wählbar. Je bekannter diese Seite der AfD wird, desto mehr werden die Menschen das merken.“

Wahrscheinlich ist, dass Lafontaine mit seinem Vorstoß der AfD von links Konkurrenz machen will. Damit reagiert er erst einmal wie jeder Parteipolitiker, der Themen, die in der Bevölkerung diskutiert werden, aufgreift und für seine Partei nutzen will. Dass Lafontaine die Debatte aufgegriffen hat, ist daher nicht besonders überraschend. Interessant wird dann die Diskussion über Essentials einer linken Eurokritik. Denn dann würde sich schnell zeigen, dass die Eurokritik des AfD und einer Linken sich fundamental unterscheiden. Daher ist es auch irritierend, dass Wagenknecht diese Unterschiede nicht klar herausarbeitet.

Während die Wirtschaftsliberalen mit dem Euroaustritt eine starke DM oder einen Nord-Euro anstreben, müsste eine linke Eurokritik ähnlich wie der Investmentbanker Soros argumentieren, dass Deutschland den Euro verlassen solle, damit die Länder an der europäischen Peripherie wieder Luft zum Atmen haben. In Lafontaines Test sind Passagen enthalten, die eine solche Schlussfolgerung plausibel machen. Dass Lafontaine mit seinem Gespür für „Volkes Stimme“ zumal im Wahlkampf aber eine Positionierung gegen den deutschen Standort vornehmen würde, und genau das wäre eine linke Euro-Kritik in Deutschland, ist wenig wahrscheinlich. Es dürfte dann eine Position herauskommen, wie sie Wagenknecht in Bezug auf den AfD formulierte.

„Die Leute fragen zu Recht: Warum sollen wir dafür zahlen, dass in Spanien Banken oder Irland gerettet werden? Wobei meist verschwiegen wird, dass wir damit am Ende auch deutsche Banken retten.“

Weil Wahlslogans kurz und prägnant sein sollten, wird der letzte Satz dann auch von links wegfallen. Gerade, weil die Kritiker Lafontaines mit ihrer Populismuskritik wahrscheinlich nicht falsch liegen, müssten sie aber die Herausforderung annehmen und endlich eine linke Euro-Kritik formulieren. Denn die Position, man wolle den Euro verteidigen und sozial gestalten, ist es sicher nicht. Weil die Kräfteverhältnisse dazu momentan nicht vorhanden sind, könnte eine solche Position auch als Verteidigung des deutschen Standorts mit eingeschaltetenm linken Blinker bezeichnet werden.

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Peter Nowak