Hilfe zur Selbsthilfe

Flüchtlingsinitiativen diskutierten über Asylpolitik und Integration

Initiativen befürchten, das Flüchtlinge nur Jobs im Niedriglohnsektor bekommen. Das wollen sie verhindern.

Nach den Anschlägen von Paris sind die Probleme der Geflüchteten in den Medien in den Hintergrund getreten. Oft wird sogar den Menschen, die vor islamistischem Terror fliehen, eine Mitverantwortung für die Attacken gegeben. Weitere Verschärfungen der Asylgesetzgebung sind in Vorbereitung. Darüber diskutierte das linke »Hate«-Magazin mit Gruppen, die sich seit Monaten in der Flüchtlingshilfe engagieren.

Die zivilgesellschaftliche Initiative »Moabit hilft!« gehörte zu den ersten Gruppen, die sich um die Neuankömmlinge kümmerte. Sie organisierte die Erstversorgung vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in der Turmstraße. »Während wir hier diskutieren, stehen mindestens 150 Geflüchtete vor dem LAGeSo an, um am nächsten Morgen möglichst die Registrierung nicht zu verpassen«, berichtete Christine Beckmann von »Moabit hilft!«. Sie habe immer wieder die Verzweiflung erlebt, wenn sie nach stundenlangem Warten mit einem Stempel weggeschickt wurden, der ihnen bescheinigte, dass ihr Fall wieder nicht bearbeitet werden konnte. Beckmann spricht von massenhaften Verletzungen der Grundrechte der Geflüchteten.

Für Joshua Schulz von der antirassistischen Kampagne »Deutschland demobilisieren«, die von der Naturfreundejugend initiiert wurde, sind die geschilderten Zustände nicht nur Folge von behördlichem Versagen und Überforderung. Er sieht darin auch das Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken. Seine Initiative hat in den letzten Monaten in verschiedenen Teilen Deutschlands gegen rassistische Mobilisierung interveniert. Seine Kampagne betont, dass bei den Bildern über die deutsche Willkommenskultur diese Mobilisierung nicht vergessen werden darf. Bei der Fülle der rassistischen Aktivitäten sei es allerdings nicht möglich, auf alle Aktionen zu reagieren, betont Schultz.

Peter Schaber vom linken lowerclass-Magazin regte dagegen eine stärkere Organisierung der Geflüchteten an. Als Beispiel nannte er die kurzzeitige Besetzung eines leerstehenden Gebäudes der Technischen Universität (TU) Berlin, dass als soziales Zentrum mit Schwerpunkt Flüchtlingsselbstorganisierung dienen sollte. Es wurde allerdings nach wenigen Stunden geräumt. Er verwies auch auf eine Aktion von afghanischen Geflüchteten, die vor dem LAGeSo gegen ihre Behandlung protestiert hatten. Schabers Perspektive ging über die Hilfsaktionen am LAGeSo hinaus. »Viele der Geflüchteten werden im Niedriglohnsektor landen, und die Lobbyorganisationen der Wirtschaft bereiten sich schon darauf vor. Hier müssten unsere Aktionen ansetzen, damit wir uns gemeinsam gegen solche Niedriglöhne und die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse wehren«.

Enttäuschend war dann, dass die Anfragen aus dem Publikum über die Mitwirkung von Gewerkschaften in der Diskussion kaum aufgegriffen wurden. Dabei hatte die Aufnahme von Geflüchteten bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Hamburg auch gewerkschaftsintern für heftige Debatten gesorgt. Immerhin gibt es Initiativen, eine Mitgliedschaft von Geflüchteten in Gewerkschaften zu erleichtern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/992363.hilfe-zur-selbsthilfe.html

Peter Nowak

Willkommenskultur mit Schlag

Hussein Adi M. wurde von den Sicherheitsmännern vor dem LAGeSO geprügelt. Peter Nowak hat ihn getroffen.

Eigentlich wollte der holländische Kameramann Jeffry Ruigendijk am 1. Oktober am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in Berlin-Moabit Deutschkurse für Geflüchtete mit der Kamera aufnehmen. Doch was er dann filmte, passte nicht zu der so viel propagierten Willkommenskultur. Zu sehen ist, wie Sicherheitsmänner Geflüchtete, die dort dicht gedrängt auf ihre Termine warten, zunächst anbrüllen. Dann werden zwei Geflüchtete vom Sicherheitspersonal zu Boden geschlagen.

Nachdem die »BZ« das Video vor einigen Tagen auf ihrer Webseite veröffentlichte, war die Aufregung groß. Hussein Adi M. ist einer der beiden Männer, die von den Sicherheitsmännern geschlagen und verletzt worden sind. Er wusste nicht, dass die Szene gefilmt wurde. Niemand hatte mit ihm Kontakt aufgenommen. Sauer ist Muhamed darüber nicht. Doch es ist ihm wichtig, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen.

»Ich stand ganz vorne in der ersten Reihe den Sicherheitsleuten gegenüber. Erst schrien sie mich an und drückten mir gegen den Bauch. Dann hob einer der Wachmänner die Fast und schlug mich auf die Nase und das Auge«, schildert M. den Tathergang. Er hat die Wachleute wegen Körperverletzung angezeigt. Allerdings konnte er sich seine Verletzung nicht ärztlich attestieren lassen. Denn das Amt hatte ihm nur bis zum 30. September zugesagt, seine Arztkosten zu übernehmen. Am 1. Oktober, als der Angriff stattgefunden hat, war er praktisch ohne Krankenversicherung. »Ich hätte also für den Arztbesuch bezahlen müssen, habe aber kein Geld«, so M.

Er geht auch an die Öffentlichkeit, weil er dem Eindruck entgegentreten will, der Ausraster der Sicherheitsmänner sei eine absolute Ausnahme. »Es gehört zu unseren Alltag, dass wir angeschrien und oft wie Tiere behandelt werden«, fasst er gegenüber »nd« seine Erfahrungen der letzten fünf Monate in Berlin zusammen. Seit dieser Zeit befindet sich Muhamed in Berlin im Asylverfahren. »Die Stunden, die ich schon vor irgendwelchen Ämtern gewartet habe, kann ich nicht mehr zählen«, meint M.

Schlimmer noch: Nun muss das ganze Prozedere wiederholt werden. Denn seine Akte mit sämtlichen Unterlagen ist im Behördenalltag verschwunden. Die zuständigen Sachbearbeiter hätten sie stundenlang gesucht und nicht mehr gefunden. Bald muss sich M. erneut in die langen Warteschlangen vorm LAGeSo einreihen. Anfang November hat er dort wieder einen Termin. Dann kann es auch sein, dass er den Männern wieder begegnet, die ihn am 1. Oktober geschlagen und verletzt haben. Denn obwohl er sofort Anzeige erstattet hat, weiß er nicht, ob die Männer noch im Dienst sind.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/989576.willkommenskultur-mit-schlag.html

Peter Nowak