Immobilienfirma muss MieterInnen im Fanny Hensel-Kiez Schadenersatz wegen Diskrimierugn zahlen

Es war eine Premiere in der Rechtsgeschichte.  Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg  verurteilte die Immobilienfirma Elfte emc asset management GmbH & Co. KG, einer  türkischstämmigen Familie 30.000 Euro Entschädigung wegen ethnischer Diskriminierung zu zahlen.
Die Familie  wohnte 20 Jahre in einer aus 44 Wohnungen bestehenden Anlage im Fanny-Hensel-Kiez in  Kreuzberg. Die „Elfte emc asset management GmbH & Co. KG“ kaufte die Sozialwohnungen im Januar 2010 und erhöhte die Mieten zum März von 5,33 Euro einheitlich auf 7,04 Euro nettokalt. Dieser massiven Mieterhöhung waren die MieterInnen im sozialen Wohnungsbau schutzlos ausgeliefert, weil die Anschlussförderung wegfiel.  Im Fall von drei  Mietparteien indes blieb es nicht bei der massiven Mieterhöhung. Den Berliner MieterInnen mit arabischen und türkischen Hintergrund wurde die Mieten ab Mai 2010  auf 9,62 Euro erhöht.
Dagegen hat eine der betroffenen Familien jetzt erfolgreich geklagt. In dem Urteil des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg heißt es:

Im Urteil mit dem Aktenzeichen – Az.: 25 C 357/14   heißt es:
„Die Beklagte hat den Klägern durch ihr Verhalten zu verstehen gegeben, dass diese aufgrund ihrer Herkunft und dem hiermit im Zusammenhang stehenden kulturellen Hintergrund nicht in das von der Beklagten verfolgte Miet- und Wohnkonzept passen, ohne dass die Kläger hierzu einen Anlass gegeben hätten. Es entsteht der Eindruck, die Beklagte fürchte durch Mieter türkisch-orientalischer Herkunft bzw. arabischer Herkunft eine Abwertung der Wohnanlage, die durch Mieter europäischer Herkunft nicht zu befürchten sei. Die damit vermittelte krasse Abwertung, Ausgrenzung und massive Ungerechtigkeit greift als erheblich verletzend in den Kernbereich des klägerischen Persönlichkeitsrechts ein. Es wird so nicht nur deutsches Verfassungsrecht verletzt, das die Gerichte im Rahmen der Beurteilung zu berücksichtigen haben, sondern auch tragende europäische Rechtsgrundsätze“.
Das sind sehr klare Worte in Zeiten von Pegida.  Der Türkische Bund in Berlin und Brandenburg (TBB) kommentiert das Urteil positiv:
„Zudem erkennt das Gericht an, dass die Kinder der Kläger ebenso Betroffene der Diskriminierung sind wie ihre Eltern, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Erfahrung auf Dauer negativ auf ihre besonders sensible persönliche Entwicklung sowie auf das Bild von sich selbst und ihrer Rolle in der Gesellschaft der Bundesrepublik auswirken wird.“

Gegen soziale Diskriminierung gibt es keinen Rechtsschutz

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die zur Entschädigung verurteilte Immobilienfirma kann Widerspruch einlegen. Doch  für das Netzwerk Mieterstadt ist es wegweisend. Es weist daraufhin, dass die Praktiken der verurteilten Immobilienfirma kein  Einzelfall ist. Die ethnische Diskriminierung ist ein Mittel bei der Vertreibung von MieterInnen mit wenig  Einkommen. Dafür ist der Fanny Hensel Kiez ein sehr prägnantes Beispiel. Über Jahre haben  sich dort die  MieterInnen aus dem sozialen Wohnungsbau gehen ihre Verdrängung gewehrt.  Ein Aktivist nahm sich 2010 das Leben. In seinen Abschiedsbrief hat er erklärt, dass er den Druck    durch die Vertreibungsstrategien nicht mehr aushalten.  So ist das Urteil sicher ein wichtiges Zeichen gegen ethnische Diskriminierung. Doch gegen die soziale Vertreibung  gibt es keinen juristischen Schutz. Dagegen ist noch immer eine Organisierung der MieterInnen die beste Waffe.

MieterEcho online 15.01.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/fanny-hensel-diskriminierung.html

Peter Nowak

Nicht nur für Touristen

In Porto erinnert eine Ausstellung an die Mieter- und Stadtteilbewegung in Portugal während der Nelkenrevolution, die noch heute lebendig ist

Die Forderung von damals: Auch Arme sollen sich die Innenstadt leisten können. Anders als im restlichen Europa ist das in Porto noch heute der Fall. In der Altstadt leben Menschen zum Teil seit 40 Jahren.

Kleine Kinder wie alte Frauen halten selbstgemachte Plakate in die Höhe. Darauf ist zu lesen: »Die Häuser denen, die drin wohnen« und »Keine Vertreibung aus dem Stadtzentrum«. Es sind Momentaufnahmen der starken Mieterbewegung, die sich 1975 in Portugal entwickelt hatte. 40 Jahre danach erinnert eine Ausstellung im Serralves-Museum im nordportugiesischen Porto an eine Bewegung, die von Linken in ganz Europa mit großer Sympathie beobachtet wurde.

Nachdem 1974 junge Offiziere ein jahrzehntelanges faschistisches Regime gestürzt hatten, begann ein landesweiter gesellschaftlicher Umbruch, der bald unter den Begriff »Nelkenrevolution« gefasst wurde. So schlossen sich vor allem im Süden Portugals Landarbeiter in Kooperativen zusammen und besetzten das Land der Großgrundbesitzer. Arbeiter gründeten Fabrikkomitees und setzen unmittelbare Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben durch, wie die Drosselung des Tempos oder die Absetzung besonders unbeliebter Vorarbeiter. In verschiedenen portugiesischen Städten entstanden Stadtteil- und Mieterkomitees, die sich für ein menschenwürdiges Wohnen einsetzten.

Es ist kein Zufall, dass Porto, die zweitgrößten Stadt des Landes, eines der Zentren dieser Bewegung wurde. Vor allem in der Altstadt lebten die Menschen unter katastrophalen Bedingungen. Viele der noch bewohnten Häuser drohten einzustürzen, sanitäre Anlagen waren kaum vorhanden. Gleichzeitig war den Betroffenen schon 1974 klar, dass sich die Altstadt kapitalistisch aufwerten und touristisch vermarkten lassen würde.

Genau das wollte das Projekt SAAL verhindern, das im Mittelpunkt der Ausstellung steht. Die Abkürzung steht für lokale Unterstützungskomitees, in denen neben den Stadtteilbewohnern bekannte Architekten mitarbeiteten, die mit ihnen neue Formen des Bauens gemeinsam umsetzen wollten. Auch Studierende verschiedener Fakultäten beteiligten sich. Entscheidungen wurden in gutbesuchten Versammlungen getroffen, bei denen junge wie alte Menschen mitdiskutierten, die oftmals erklärten, das erste Mal vor einer großen Menschenmenge zu sprechen.

Der Enthusiasmus der Anfangsphase verwandelte sich in Wut und Entschlossenheit, als sich ab Mitte 1975 in Portugal die Gegenkräfte formierten. Diese beließen es nicht bei verbalen Attacken. Auch Brandanschläge wurden auf Autos von SAAL-Aktivisten und auf Treffpunkte der Stadteilkomitees verübt. Gewerkschafter und Landarbeiterorganisationen waren ebenfalls von dem rechten Terror betroffen. Alle gemeinsam organisierten sie Gegendemonstrationen, auf denen nicht nur bekannte portugiesische Rechte, sondern auch ihre ausländischen Unterstützer beim Namen genannt wurden, wie etwa der CSU-Politiker Franz Josef Strauß.

Nachdem 1976 vor allem auf Druck der NATO-Länder der revolutionäre Prozess in Portugal gestoppt wurde, war auch die Zeit der Stadtteilkomitees zu Ende. Doch sie haben Spuren hinterlassen. Die vielen älteren Besucher, die sich die Ausstellung anschauen, zeigen, dass dieser Aufbruch nicht vergessen ist. Die Altstadt von Porto ist auch heute kein Touristenmuseum. Dort leben noch viele der Menschen, die vor 40 Jahren aufgestanden sind. Heute finden sich auf den Häusern Parolen gegen die EU-Troika und die deutsche Austeritätspolitik

http://www.neues-deutschland.de/artikel/957626.nicht-nur-fuer-touristen.html

Peter Nowak

Aufstand der Kleingärtner

Die A100 und die Beermannstraße in Berlin

«Ich wohne seit 1987 hier und der Garten ist mein Leben. Jetzt soll ich hier vertrieben werden», empört sich Erika Gutwirt. Die rüstige Rentnerin steht vor dem Eingang ihres grünen Domizils in der Kleingartenanlage in der Beermannstraße in Treptow, die der geplanten Verlängerung der Autobahn A100 weichen muss.Am 12.November hatten sich um 11 Uhr Mitarbeiter der Senatsverwaltung angemeldet, um die Übergabe der Gärten vorzubereiten. Wenige Tage später war die Gartenanlage eine Baustelle. Bagger hatten Beete plattgewalzt und die Gartenlauben eingerissen.

Doch es gab noch bis zum Schluss Widerstand. Die Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel organisierte gemeinsam mit der Umweltorganisation Robin Wood eine Besetzung der Gartenanlage – nach einem Tag wurde sie von der Polizei beendet. Auch die letzten Mieter in der Beermannstraße 22, deren Wohnhaus direkt an die Kleingartenanlage grenzt und ebenfalls dem Autobahnbau weichen muss, unterstützten die Besetzung. Als dann die Bagger kamen, versuchten sie, mit einer Blockade das Eindringen der Bauarbeiter in den Hof der Beermannstraße 22 zu verhindern. Als ein Baggerfahrer ohne zu stoppen auf die Protestierenden zufuhr, konnten die sich nur durch einen Sprung zur Seite vor Verletzungen schützen.

Enteignung des Mietrechts

Jonas Steinert (Name geändert) gehört zu den zehn Mietparteien in der Beermannstraße 22, die nicht bereit sind, sich nach den Bedingungen der Senatsverwaltung aus ihren Wohnungen vertreiben zu lassen. Er habe als Freiberufler kein hohes Einkommen. Daher seien für ihn Ersatzwohnungen, deren Miete zwischen 65 und 120% über der Miete seiner derzeitigen Wohnung liegen, ein großes Problem, schrieb er an die Senatsverwaltung. Statt einer Antwort erhielten Steinert und andere Mieter der Beermannstraße Schreiben, in denen ihnen die Enteignung angekündigt wurde. «Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde», heißt es in den Briefen. Steinert musste sich von einem Rechtsanwalt erklären lassen, dass nach §116 des Baugesetzbuchs gegen ihn vorgegangen werden soll und er dadurch zahlreiche Rechte, die er als Mieter gegen eine Kündigung hat, verliert. Solche Enteignungen wurden bisher vor allem gegen Eigentümer von Grundstücken angewandt, selten gegen Mieter. Doch die Enteignung von Mietverträgen ist nach diesem Paragrafen möglich und heißt im juristischen Terminus Enteignung einer Mietsache.

Eine vorzeitige Besitzeinweisung darf es allerdings nur geben, wenn die «Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten» ist, heißt es im Gesetz. Dass die umstrittene Verlängerung der A100 dem Wohl der Allgemeinheit dient, bezweifeln nicht nur die Mieter in der Beermannstraße und die Stadtteilinitiative Karla Pappel. Selbst in der SPD gab es 2011 starke Opposition gegen einen Weiterbau der Autobahn. Damals verknüpfte Wowereit sein politisches Schicksal mit einem Ja zu dem Projekt und bekam nur dadurch auf dem SPD-Parteitag eine Mehrheit. Damals war Michael Müller neben Wowereit der vehementeste Autobahnbefürworter.

Funkstille linksaußen

Die außerparlamentarische Linke in Berlin hingegen scheint aus der Sommerpause gleich in den Winterschlafmodus gewechselt zu sein. Bei der eintägigen Besetzung der Gartenanlage in Treptow war sie nur gering vertreten. Aber auch von Solidaritätsaktionen außerhalb des Areals war wenig zu hören. Dabei hätte der Widerstand der Treptower Mieter und Gartenbesitzer verschiedene Teilbereichskämpfe verbinden können. Die Mieterbewegung hätten im Widerstand gegen dieses Projekt mit ökologischen Initiativen kooperieren können, die den Weiterbau der A100 für falsch halten. Zudem hätte ein Signal an den neuen Regierenden Bürgermeister Michael Müller gesandt werden können, dass mit der Zustimmung auf einem SPD-Parteitag die gesellschaftliche Debatte nicht beendet ist.

Zeitgleich zur Besetzung der Treptower Gartenanlage erklärten führende Berliner SPD-Politiker, dass die Autobahn über Treptow hinaus nach Friedrichshain weitergebaut werden soll.

Auch die Steilvorlage für die A100-Gegner trug nicht zur praktischen Unterstützung des Widerstandes in der Beermannstraße bei. Dabei hatten die Besetzer mehrmals um Unterstützung gebeten. Es zeigte sich einmal mehr, dass die außerparlamentarische Linke in Berlin außerhalb ihrer eng begrenzten Themenfelder nicht interventionsfähig ist. Die Stadtteilinitiative Karla Pappel, die in den letzten Monaten in Treptow eine wichtige Rolle bei der Organisierung des Widerstands spielte, bildet hier eine Ausnahme.

Filme organisieren Protest

In dem Film Verdrängung hat viele Gesichter, der im Oktober 2014 in Berlin angelaufen ist, wird am Beispiel des Stadtteils Treptow dokumentiert, wer bei einer Aufwertung des Stadtteils gewinnt und wer verliert. Einige Monate vorher war der Film «Mietrebellen» angelaufen, der den Mieterwiderstand der letzten beiden Jahre in Berlin zum Thema hat und mittlerweile nicht nur in vielen deutschen Städten, sondern auch im Ausland auf Interesse stößt. Beide Filme belassen es nicht bei der Dokumentation von Protesten, sondern tragen selber zur Organisierung von Menschen bei, die bisher keinen Kontakt zu politischen Initiativen hatten. Nach der Vorführung der Filme kommt es zu Diskussionen, bei denen Mieter aus verschiedenen Stadtteilen über ihre Erfahrungen mit den Verdrängungsstrategien berichten. Oft wurden sie auf die Filmvorführungen durch Plakate im öffentlichen Raum aufmerksam und haben dann erfahren, dass Verdrängung kein Schicksal und Widerstand möglich ist.

Hinweis zu den Filmen: Verdrängung hat viele Gesichter, Filmkollektiv Schwarzer Hahn, 94 Minuten; berlingentrification.wordpress.com; Mietrebellen, Matthias Cours, Gertrud Schulte Westernberg; http://mietrebellen.de, 78 Minuten.

Aufstand der Kleingärtner

von Peter Nowak

Rollstuhlfahrer droht der Rauswurf

Widerstand gegen umstrittene Kündigung einer Potsdamer Wohnung wegen Eigenbedarfs

Der an Multipler Sklerose erkrankte Potsdamer Oliver Lenz will seine Mietwohnung nicht freiwillig aufgeben.

Kündigungen wegen Eigenbedarfs bedeuten für die Mieter, die ihre Wohnungen verlassen müssen, oft großen Stress. Doch für Oliver Lenz kommt es besonders schlimm. Denn der 48-Jährige, der seit 1981 in Potsdam lebt, leidet an Multipler Sklerose in fortgesetztem Stadium und ist infolge der Krankheit auf einen Rollstuhl angewiesen. Mittlerweile ist er in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt, kann aber mit einem persönlichen Assistenten ein selbstbestimmtes Leben führen. Ihm ist wichtig, dass er in seinem bekannten Umfeld bleiben kann. Doch die Wohnung, in der er bereits seit 24 Jahren lebt, soll er nach dem Willen des Eigentümers nun verlassen. Der Investor, der das Haus 2011 erworben hat, gibt an, die Wohnung von Lenz selbst beziehen zu wollen. Er macht also Eigenbedarf geltend.

Die Neue Antikapitalistische Organisation (NaO), eine vor einigen Monaten gegründete bundesweite linke Gruppe, machte jetzt öffentlich auf die drohende Räumung von Oliver Lenz aufmerksam und nahm dabei auch die Potsdamer Wohnungspolitik kritisch unter die Lupe.

»Rollstuhlfahrer von Wohnungsverlust bedroht oder Wann ist zum letzten Mal ihre Miete gestiegen?« lautete der Titel der Veranstaltung, an der Ende der vergangenen Woche zwei Dutzend interessierte Menschen teilgenommen haben. »Warum muss ein Mensch mit großen gesundheitlichen Problemen für die Skandalisierung von Mieterverdrängung herhalten?«, fragten einige besorgt. »Könnte es nicht sein, dass er sich da nur zusätzliche Probleme bereitet?«

Doch Oliver Lenz will kein Mitleid und keine Vorzugsbehandlung, sondern sein Recht, in seinem Quartier und seinem vertrauten Umfeld wohnen zu dürfen. »Es ist klar, dass ich die Wohnung nicht räumen werde«, erklärt er selbstbewusst. »Ich bin gespannt, was passiert, wenn der Gerichtsvollzieher vor mir steht und mir mitteilt, dass ich die Wohnung verlassen muss. Wer soll mich denn mit meinen Rollstuhl runtertragen und auf die Straße setzen?«

Noch hat die Justiz das letzte Wort nicht gesprochen. Das Amtsgericht Potsdam wies die Räumungsklage ab und begründete dies mit der schweren gesundheitlichen Behinderung von Oliver Lenz. Der Hausbesitzer legte Widerspruch ein. Jetzt liegt der Fall beim Landgericht.

Lenz und seine Unterstützer befürchten, dass dort das Urteil nicht so mieterfreundlich ausfallen wird. »Der Eigenbedarf ist nur dann nicht gegeben, wenn er offensichtlich vorgetäuscht ist oder wenn er rechtsmissbräuchlich wäre«, betont Katja Damrow, die Rechtsanwältin von Oliver Lenz. Obwohl der Eigentümer mehrere Wohnungen in Berlin besitze, könne er in Potsdam auf Eigenbedarf klagen, weil er in der Stadt noch kein Quartier habe. Auch die Härtefallklausel sei nicht mieterfreundlich, bedauert Damrow. So reiche es bei Gericht nicht aus, dass ein Mieter aus gesundheitlichen Gründen besonders schutzwürdig sei. Es müsse eine besondere Härte nachgewiesen werden. Eine höhere Miete, die nach einem Auszug für eine neue Wohnung zu zahlen wäre, fällt nicht darunter, weiß Damrow aus der Praxis. »Hier ist das Landgericht Potsdam extrem streng. Es sagt mehr oder weniger, nur wenn der Mieter fast stirbt, weil er aus dieser Wohnung ausziehen muss, liegt eine Härte vor.«

Deswegen war es den Veranstaltern wichtig, die drohende Räumung von Lenz in den Kontext der Potsdamer Wohnungspolitik zu stellen. »Mieter mit geringem Einkommen finden hauptsächlich in den Plattenbausiedlungen am Rande der Stadt eine Wohnung«, erklärt Renate Kocher von der NaO. Manche ziehen ihr zufolge gleich über die Stadtgrenze hinaus in benachbarte Orte, weil dort die Mieten noch erschwinglich seien.

Nico Bauer, Mitarbeiter der linksalternativen Stadtfraktion »Die Andere«, rügt auch das kommunale Wohnungsunternehmen Pro Potsdam scharf. Pro Potsdam sei auf Profitmaximierung statt auf bezahlbare Wohnungen für alle ausgerichtet, sagt er unter Verweis auf zahlreiche Initiativen seiner Fraktion für bezahlbaren Wohnraum. Besonders bekannt wurde die Kampagne für eine Senkung der Mieten bei Pro Potsdam um 20 Prozent.

Der Linksfraktion wird angekreidet, dass sie sich dieser Kampagne damals nicht angeschlossen hatte. Das treffe zu, bestätigt der Kreisvorsitzende Sascha Krämer. Die Forderung nach einer Senkung aller Mieten um 20 Prozent sei allerdings unrealistisch gewesen. Die LINKE habe sich stattdessen erfolgreich darum bemüht, die Mieterhöhungen bei Neuvermietung auf neun Prozent zu begrenzen. Pro Potsdam sollte durchaus etwas Plus machen und das Geld dann in den Neubau von Wohnungen stecken, die in der Landeshauptstadt dringend benötigt werden, findet Krämer. Im Fall von Pro Potsdam hat man es nicht mit Privatleuten zu tun, die sich an Wuchermieten bereichern. Gewinne des kommunalen Wohnungsunternehmens würden in gemeinnützige Projekte fließen oder an die Stadtkasse abgeführt werden, erinnert Krämer. Er sieht seine Partei in dieser Sache in einem Dilemma. Auf der einen Seite sehe sich Pro Potsdam gegängelt und gegenüber der privaten Wirtschaft benachteiligt, auf der anderen Seite sei linke Szene dennoch unzufrieden. Dabei ist die LINKE in der Stadt Potsdam – anders als auf Landesebene – nur eine Oppositionsfraktion. Sie kann nichts erzwingen und ist für Fehlentwicklungen nicht verantwortlich.

Bei durchschnittlich 5,30 Euro je Quadratmeter lag 2013 in Potsdam die Nettokaltmiete, die jenen Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften verlangten, die im Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen organisiert sind. Dies war der höchste Wert im Bundesland. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark lag die durchschnittliche Nettokaltmiete zwei Cent niedriger, in allen anderen Landkreisen zwischen 26 Cent und 1,05 Euro niedriger. Im Vergleich zum Vorjahr hatten sich die Nettokaltmieten in Potsdam um 0,4 Prozent erhöht.

Indessen kündigt das neugegründete Komitee »Solidarität mit Oliver« an, die weitere Entwicklung im Fall Oliver Lenz im Auge zu behalten. Sollte die Räumungsdrohung konkret werden, werde sich man auch mit Initiativen gegen Zwangsräumungen in Berlin vernetzen und Widerstand organisieren.

Peter Nowak

Allmende-Verein muss raus

MIETSTREIT Das Landgericht erklärt Kündigung der Räume an der Kottbusser Straße für rechtens

Seit fast zehn Jahren hat der migrantische Verein Allmende seine Räume in der Kottbusser Straße 25/26. Jetzt steht fest, dass er das Gebäude verlassen muss. Das Landgericht hat dem Vermieter Recht gegeben und die sofortige Räumung verlangt. „Es ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen, bis ein Zwangsräumungstermin durch einen Gerichtsvollzieher angesetzt wird“, erklärt Garip Bali vom Allmende-Verein gegenüber der taz.

Damit hat der Verein den Kampf um die Räume nach mehr als einem Jahr verloren. Bereits zum Januar 2014 hatte der Hausbesitzer dem Verein gekündigt. Seit 2006 sind die Allmende-Leute an der Kottbusser Straße. „Wir hatten ein gutes Verhältnis zu dem Besitzer. Daher waren wir überrascht, als wir von ihm erfuhren, dass er die Räume anderweitig vermieten will und eine profitablere Verwertung anstrebt“, erklärt Ahmed Beyazkaya vom Allmende-Vorstand.

Der Hausbesitzer wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Sein Anwalt Helge Schultz erklärte, Allmende habe den Vertrag nicht rechtzeitig verlängert, die Räume seien mittlerweile anderweitig vermietet.

Auch nach der gerichtlichen Niederlage will der Verein weiter kämpfen. „Wir werden die Räume nicht freiwillig verlassen“, betont Bali. Der Kreis der UnterstützerInnen wächst. In einem Aufruf haben kulturelle, migrantische und politische Gruppen sowie Einzelpersonen einen Aufruf für den Verbleib von Allmende initiiert. „Mit der Zwangsräumung von Allmende würden viele soziale, politische und kulturelle Netze, die kiezgebunden sind, zerstört“, heißt es in dem Aufruf, der sich an den Eigentümer richtet.

Zu den UnterzeichnerInnen gehört auch das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“. Es will Allmende unterstützen, wenn sich der Gerichtsvollzieher ankündigt. Was genau für den Tag geplant ist, steht noch nicht fest „Wir bereiten uns darauf vor“, erklärte Bali.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F24%2Fa0221&cHash=27a09002f5a654a810a525603ed03d51

Peter Nowak


„Uns wurden Gewerbemietverträge untergeschoben“

„Das Mehrfamilienhaus in der Fuldastraße 40 besteht aus dem Vorderhaus, dem Seitenflügel und den zwei Quergebäuden und liegt in einer ruhigen Seitenstraße nahe der Sonnenallee.“ Mit dieser Anzeige sucht die Theobald Immobilien GmbH   Kunden für  Eigentumswohnungen in Kreuzkölln. Nicht erwähnt wird in der Anzeige, dass es in der Fuldaer Straße 40 auch noch ein Fabrikgebäude gibt.  Etwas abgesetzt vom übrigen Haus  ist es mit seiner Steinfassade sicherlich ein gutes Areal für teure  Lofts. Doch noch wohnen dort Mieter und die wollen auch dort bleiben. Die Kündigung haben sie allerdings schon vor Monaten erhalten. Sie haben Widerspruch eingelegt. Für den 18. Dezember hat das Landgericht den ersten Prozesstermin angesetzt. Die Mieter  haben den Termin öffentlich gemacht und hoffen auf solidarische Begleitung der Verhandlung.
„Wir möchten damit auf ein weiteres Beispiel in der immer schneller drehenden Spirale aus Aufwertung, Verdrängung und Immobilienspekulation aufmerksam machen, die derzeit in Nordneukölln tobt und das Recht auf Wohnraum untergräbt“, erklärt Klaus Walter (Name geändert), einer der gekündigten Mieter.  Doch  die Bewohner des Fabrikgebäudes in der Fuldastraße 40  fühlen sich vom vorigen Eigentümer  des Hauses betrogen. „Wir hatten ein gutes Verhältnis und deshalb dachten wir uns nichts   Böses,  als uns der Eigentümer der Antrass Immobilien einen neuen Mietvertrag schmackhaft machen wollte“, erklärt Robert Haas, ein weiterer Betroffener aus der Fuldastraße. Vorher hatten alle Bewohner Wohnmietverträge, nur für die Metallwerkstatt im Parterre des Fabrikgebäudes gab es einen Gewerbemietvertrag. Die Überzeugungsarbeit des Eigentümers hatte Erfolg. Im Frühjahr 2023 hatten alle Mieter einen Gewerbemietvertrag unterschrieben. Walter und Haas könnten sich heute selber über ihre an Leichtsinn grenzende   Kooperationsbereitschaft ärgern.  Der Eigentümer  habe aber beteuert, dass ein solcher Gewerbemietvertrag auch für die Mieter  Steuervorteile bringe. „Wir haben schon mal gefragt, was denn    bei einem möglichen Eigentümerwechsel geschieht, wenn wir  den Gewerbemietvertrag unterschreiben“, erinnert sich Haas. Doch der damalige Eigentümer verstand es, die Bedenken schnell zu zerstreuen. Er habe nicht vor, das Haus in der nächsten Zeit zu verkaufen.  Doch bereits einige Wochen später wurde Klaus Walter das erste Mal misstrauisch.  „Es kamen immer häufiger Menschen in den Hof, denen man sofort angesehen hat, dass sie auf der Suche nach  Eigentumswohnungen sind“.  Der  Mieter erinnert sich noch, dass er den Eigentümer am Telefon empört zur Rede stellte. Doch der habe es noch einmal verstanden, die Bedenken zu zerstreuen Danach  brach der Kontakt mit ihm ab. Im Oktober 2013 bekamen die Mieter ein Schreiben der  BerlinWert Immobilien GmbH, die sich als neue Eigentümer des Hauses vorstellten. „Erst da wurde uns klar, warum und die Gewerbemietverträge untergeschoben wurden“, ärgert sich Klaus Walter.  Schließlich sind Gewerbemietverträge leicht kündbar, was für eine Immobilienfirma bei der Verwertung eines Hauses  ein großer Vorteil ist. Die Kündigungen lagen schnell im Briefkasten.  Juristisch ist die Lage der Mieter   nicht so aussichtlos.
Wenn das  Gericht  nicht nach der Bezeichnung des Vertrages, sondern nach der tatsächlich von den Parteien vereinbarten Nutzung urteilt, stehen die Chancen gut, dass  die ursprünglichen Wohnmietverträge anerkannt werden. Die BerlinWert Immobilien GmbH hat in einem Schreiben an die Anwälte der Mieter angedeutet, dass sie sich Schadensersatzansprüche gegen den vorigen Eigentümer vorbehält, wenn sie das Verfahren verlieren sollte. Schließlich sinkt für sie der Wert ihres Eigentums, wenn die Mieter Wohnmietverträge haben. Zu Auskünften gegenüber der Presse waren weder der alte noch der neue Eigentümer bereit.

aus:  MieterEcho online 16.12.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/fuldastr-40.html

Peter Nowak

Die Verhandlung findet am Donnerstag, 18. Dezember um 11:45 Uhr im Landgericht Berlin, (Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin Saal I/151) statt.

Neue Balkone statt bezahlbarer Mieten

WOHNEN Auch in der Schöneberger Gleditschstraße wehren sich Mieter gegen Luxusmodernisierung

Die Zettel mit den roten Ausrufezeichen und mit dem Satz „Hier wird verdrängt“ fallen an den Haustüren in der Schöneberger Gleditschstraße 49 bis 63 sofort ins Auge. Die in den frühen 1960er Jahren erbauten Wohnblöcke wechselten nach der Privatisierung der Gagfah mehrmals den Eigentümer. Jetzt gehören die Häuser der in Hamburg ansässigen Intreal Estate.

„Wir haben immer versucht, konstruktiv auf den neuen Eigentümer zuzugehen“, betont Jens Hakenes von der Mietergemeinschaft Gleditschstraße gegenüber der taz. Das wichtigste Ziel der BewohnerInnen der 117 Wohnungen: Sie wollen sich auch nach der geplanten Modernisierung die Wohnungen noch leisten können. Erst durch eigene Recherche sei ihnen der Inhalt des Bauantrags bekannt geworden, der bei den MieterInnen für Beunruhigung gesorgt hat. Der sieht den Einbau dreifach verglaster Fenster, neuer Balkone und eines Fahrstuhls vor. Hakenes fordert den Bezirk auf, die soziale Erhaltungsverordnung (EVO) zu nutzen, um eine Luxusmodernisierung zu verhindern.

Die Intreal, die gegenüber der Presse keine Auskünfte gibt, wird wohl einige Abstriche machen müssen. „Die geplante Modernisierung inklusive der kompletten Umlage der Kosten auf die Miete ist so nicht genehmigungsfähig“, erklärte die zuständige Stadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung und Bauen in Tempelhof Schöneberg Sibyll Klotz, gegenüber der taz. Allerdings seien die Steuerungsmöglichkeiten des Bezirks begrenzt. „Das Ziel einer EVO ist nicht, Modernisierungen insgesamt zu verhindern. Die EVO ist ebenfalls kein Instrument, Mietsteigerungen zu begrenzen. Mietrecht ist Bundesrecht“, betont die grüne Politikerin. Sie sieht in dem „Privatisierungswahnsinn der letzten 20 Jahre“ den Grund, dass die MieterInnen in Schöneberg jetzt ihre Verdrängung fürchten müssen.

Doch die wollen sich dagegen wehren. „Am Samstag geht’s quer durchs Quartier, den Ausverkauf, den stoppen wir“, reimten einige MieterInnen, als sie am 6. Dezember erstmals auf die Straße gingen. Anlässlich der nächsten BVV-Sitzung am 17.Dezember wollen viele von ihnen vor dem Schöneberger Rathaus auf ihre Forderungen aufmerksam machen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F11%2Fa0191&cHash=f342c87453f4985b50fbb0d8e6729e82

Peter Nowak

Neuer Fahrstuhl treibt die Miete

Bewohnern der Gleditschstraße im Berliner Ortsteil Schöneberg droht Verdrängung

Der Eigentümer einer privatisierten Wohnanlage plant umfangreiche Modernisierungen. Mieter wehren sich gegen unbezahlbare Mieten.

Anwohner der Gleditschstrasse in Schöneberg haben Angst vor Verdrändung aus ihrem Kiez.

Berlin. Ein rotes Ausrufezeichen und daneben der Satz »Hier wird verdrängt«: Jeder, der die Häuser in der Schöneberger Gleditschstraße 49 bis 63 betritt, wird sofort darauf aufmerksam gemacht, dass die rund 100 Mietparteien fürchten, ihre Wohnungen bald nicht mehr zahlen zu können. Dabei sind die Mieten schon heute in den Anfang der 1960er Jahre errichteten Häusern nicht mehr günstig, seit die Wohnungsbaugesellschaft Gagfah privatisiert wurde. Nach mehreren Eigentümerwechseln gehören die Häuser jetzt der Intreal Estate, die in Hamburg ihren Sitz hat.

»Wir haben immer versucht, konstruktiv auf den Eigentümer zuzugehen«, betont Jens Hakenes gegenüber nd. Er arbeitet in der Mietergemeinschaft Gleditschstraße mit, die erreichen will, dass alle Bewohner sich die Miete auch nach der Sanierung leisten können. Dass die Angst vor einer Verdrängung nach der von den Eigentümern beantragten energetischen Modernisierung so groß ist, liegt auch an der mangelnden Transparenz. »Wir wissen, dass der Eigentümer mit den Behörden über den Bauantrag verhandelt. Doch wir erfahren keine Details«, moniert Hakenes.

Der Bauantrag, der den Mietern durch eigene Recherche bekannt geworden ist, kann ihre Befürchtungen, dass sich viele die Wohnungen bald nicht mehr werden leisten können, kaum entkräften. Geplant sind unter anderem der Einbau dreifach verglaster Fenster, eine entsprechend teure Dämmung der Fassade, neue Balkone, ein Fahrstuhl und attraktivere Außenanlagen.

Die Stadträtin für Stadtentwicklung und Bauen in Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz (Grüne), kann die Befürchtungen der Mieter verstehen. »Die Verwaltung prüft die beantragten Maßnahmen«, erklärt Klotz gegenüber nd. Diverse Abstimmungsrunden hätten ergeben, dass die Modernisierung inklusive der kompletten Umlage der Kosten auf die Miete so nicht genehmigungsfähig sei. Die Besorgnis der Mieter, dass mit dem Bauantrag die geltende Erhaltungsverordnung (EVO) ausgehebelt wird, kann Klotz allerdings nicht entkräften. »Das Ziel einer EVO ist nicht, Modernisierungen insgesamt zu verhindern. Eine EVO ist auch kein Instrument, Mietsteigerungen direkt zu begrenzen. Mietrecht ist Bundesrecht«, betont die Stadträtin, die auch darauf verweist, dass der »Privatisierungswahnsinn der letzten 20 Jahre« dafür verantwortlich ist, dass die Mieter Verdrängung befürchten müssen.

Harald Grinda, der für die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) sitzt, unterstützt die Mieter in ihrer Forderung nach Transparenz und hat Akteneinsicht angemeldet. »Zudem wollen wir erreichen, dass das Thema am Mittwoch auf der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses behandelt wird. Bisher steht es nicht auf der Tagesordnung«, erklärt Gindra. Seine Fraktion bereitet für die nächste BVV-Sitzung am 17. Dezember zudem eine Große Anfrage vor. »Zu diesem Termin werden auch viele der betroffenen Mieter mit einer Aktion vor dem Rathaus auf ihre Forderungen aufmerksam machen«, so Jens Hakenes. Die Mobilisierung unter den Betroffenen sei sehr gut. Auf zwei Mieterversammlungen sei die Hälfte der betroffenen 100 Mieter anwesend gewesen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/954941.neuer-fahrstuhl-treibt-die-miete.html

Peter Nowak

Mieter in der Beermannstrasse werden von Senatsverwaltung unter Druck gesetzt

„Am Donnerstagvormittag  haben  Bauarbeiter die Mauer zu unseren Haus eingerissen und  dann  sofort über 100 Jahre alte Birken und Ahornbäume wenige Meter vor unserem Fenster gefällt.“ Jonas Steinert ist die Empörung in der Stimme anzumerken, wenn er  berichtet, wie der baumbestandene Hof seines Wohnhauses in der Beermannstraße 22 verwüstet wurde. Das  Haus soll dem Weiterbau der A100 in Berlin-Treptow weichen. Aber noch wohnen 10 Mietparteien dort, die nicht bereit sind, unter den vom Senat diktierten Bedingungen ihre Wohnungen zu verlassen. Einer Kündigung haben sie widersprochen. Darauf haben die Mieter weder eine Antwort noch einen Gerichtstermin  erhalten. Dafür bekamen sie   von der Senatsverwaltung  die Mitteilung, dass sie enteignet  und so wesentlicher Mieterrechte beraubt werden sollen (MieterEcho Online berichtete). Danach stellte die Senatsverwaltung die Kommunikation mit den Mietern ein. Mehrere Briefe blieben beantwortet.

„Wir haben den Eindruck, die Behörden ignorieren uns  und agieren so, als würde in den Haus niemand mehr wohnen“, beschrieb ein weiterer Mieter der Beermannstraße 22 das Vorgehen am vergangen Donnerstag. So hätten sie  sie keinerlei Information erhalten, dass die  Mauer zum Hof eingerissen und die Bäume gefällt werden sollen. Trotz mehrerer Nachfragen wurde ihnen auch die  die Einsicht in die   behördliche Genehmigung für diese Maßnahmen verweigert. Nachdem ein  Mieter die Polizei gerufen hat, weil er die Baumaßnahmen für rechtswidrig hielt, gab es von der Senatsverwaltung die telefonische Auskunft, dass eine Genehmigung vorliege.

Versuch einer Blockade durch die Mieter
Trotzdem  hatten einige der Mieter am Donnerstagvormittag versucht, die Baumaßnahmen im letzten Augenblick zu stoppen, in dem sie sich in  die  Lücke stellten, die nach dem Abriss der Mauer entstanden war. Doch der Baggerfahrer reagiert so wie die Senatsverwaltung, er ignorierte  die Mieter. Das hätte sogar gefährlich werden können, wie Jonas Steinert gegenüber MieterEcho berichtet. „Der Bagger fuhr direkt auf mich zu und ich konnte  in letzter Minute   zur Seite springen,  um einen Zusammenstoß Unfall zu vermeiden.“ Mittlerweile hat Steinert gegen den Baggerfahrer Anzeige wegen versuchter Körperverletzung erstattet. Die Situation für die letzten Mieter in der Beermannstraße hatte sich seit dem 1. Dezember verschärft. An diesem Tag hatte die Senatsverwaltung die verpachtete Gartenanlage hinter die Beermannstraße 22 wieder in Besitz genommen und sofort in eine Baustelle verwandelt. Am Tag zuvor hatte die Umweltorganisation Rob Wood gemeinsam mit der Treptower Stadtteilinitiative  Karla Pappel die Gartenanlage besetzt, wurden aber am nächsten Tag geräumt.

MieterEcho online 05.12.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/mieter-beermannstr.html

Peter Nowak

Senat lässt Gartenkolonie plattmachen

PROTEST Die Polizei räumt die besetzten Gärten in der Beermannstraße. Anwohner wollen weiterkämpfen

Nach knapp 24 Stunden war die Besetzung der Gartenkolonie in der Beermannstraße in Treptow beendet. Nachdem die Polizei die BesetzerInnen zur Räumung aufforderte und zum Ausgang drängte, gingen die meisten der zirka 30 AktivistInnen freiwillig, um eine Anzeige zu vermeiden. Einige hatten sich zuvor auf dem Gelände verteilt und Parolen skandiert. Ein Mitglied der Umweltorganisation Robin Wood, das sich mit einem dicken Schlafsack in einen Baum gesetzt hatte, wurde von der Feuerwehr geborgen. Am Sonntagsnachmittag hatte Robin Wood gemeinsam mit der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel die Gartenanlage besetzt (taz berichtete), die dem Weiterbau der A 100 weichen soll.

Mit der Besetzung sollte die Debatte, ob Berlin die Stadtautobahn wirklich braucht, wiedereröffnet werden. „Eine Massenbewegung haben wir mit der Besetzung nicht geschaffen“, resümiert Peter Schwarz von Robin Wood gegenüber der taz. So scheinen auch viele AktivistInnen der außerparlamentarischen Linken, der Resonanz auf die Besetzung nach zu urteilen, dem Kampf um die Gartenanlage wenig Bedeutung beigemessen haben.

Unterstützung bekamen die BesetzerInnen jedoch von den ehemaligen GartenbesitzerInnen. „Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass der Garten verloren ist“, sagte ein Rentner, der den BesetzerInnen am Montagmorgen heißen Kaffee brachte. Eine Gartenbesitzerin bekam Weinkrämpfe, als BauarbeiterInnen die Gartenlauben wegrissen.

Enteignung durch Senat

„Jetzt beginnt der Kampf um die Wohnungen, die in der Beermannstraße der A 100 weichen sollen“, sagte Umweltaktivist Peter Schwarz. Den zehn Mietparteien, die noch in den Wohnungen des für den Abriss vorgesehen Hauses in der Beermannstraße 22 wohnen, droht die Enteignung durch den Senat. Sie hatten die Besetzung der Kleingartenanlage ebenfalls unterstützt, einige haben Gärten dort. „Am Mittwoch sollen die Bäume in unseren Gärten gefällt werden, aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern“, erklärte eine Mieterin gegenüber der taz. „Das ist ein Angriff auf die MieterInnen“, erklärte ein Mitglied der Stadtteilinitiative Karla Pappel. Der Senat wolle jetzt in der Beermannstraße alles plattmachen, weil er befürchtet, dass die Kritik an der A 100 wieder wächst. Hier solle eine neue Diskussion verhindert werden, die mit der Besetzung angestoßen werden sollte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F03%2Fa0131&cHash=e5dd189d08e69af06b02aa3a81099665

Peter Nowak

Gefahrenzone für Mieter/innen

Die Mieter/innen der Siedlung Am Steinberg wehren sich  gegen Vertreibung auch mit dem Symbol der  Klobürste. Demnächst droht dort eine Zwangsräumung.
In der Siedlung „Am Steinberg“ in Reinickendorf scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.    An den Fenstern der kleinen Häuschen hängen Spitzengardinen.  Doch daneben hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Wir bleiben Alle.“  An der Seite prangt ein roter Stern mit weißer Klobürste in der Mitte. Mit der Klobürste in der Hand sind in Hamburg vor fast einen Jahr viele Menschen  auf die Straße gegangen, um gegen die Einschränkung der Demonstrationsrechte in den  Gefahrenzonen zu protestieren, die von der Polizei eingerichtet worden waren. Doch, was haben die Polizeimethoden aus linken Hamburger Szenebezirken mit der abgelegenen Siedlung „Am Steinberg“ zu tun, die von  den BewohnerInnen   mit einer gehörigen Portion Selbstironie Kleinkleckersdorf genannt wird? Sogar ein Schild mit diesen Namen haben sie anfertigen lassen und  am Eingang der Siedlung  platziert.
„Das Symbol mit der Klobürste haben wir bewusst gewählt.  Denn auch wir leben in einer Gefahrenzone. Wir sollen hier vertrieben werden, “ berichtet ein Mieter.  Sein Nachbar nickt. Er hat gerade ein Schild mit der Aufschrift „Miete ist keine Ware“ in den großen Weihnachtsbaum in  der Siedlung gehängt. Jedes Jahr  am Samstag vor dem 1. Advent wird er unter Beteiligung vieler Bewohner geschmückt. Doch am vergangenen Samstag haben die Mieter/innen das Baumschmücken zu einer Protestaktion gegen Vertreibung umfunktioniert und dafür  MieterInneninitiativen   aus ganz Berlin eingeladen. Mehr als 60 Menschen  verschiedener Initiativen sind gekommen. Sie brachten Schilder, Plakate und Aufkleber mit, die an  dem Weihnachtsbaum befestigt wurden.

Kündigungsdrohung wegen eines Plakats

Das  Schmücken  des Weihnachtsbaums mit politischen Plakaten hat einen ernsten Hintergrund. Denn die  Immobilienentwicklungsgesellschaft Am Steinberg, die die   38 Einfamilien- und drei Reihenhäusern vor knapp 4 Jahren  gekauft hat, wollte einer Mietpartei verbieten, das Schild „Wir bleiben alle“  aufzuhängen.   Der Eigentümer-Anwalt Felix Zimmermann erklärte in der Presse, damit werde der falsche Eindruck erweckt, die Eigentümer wollten die MieterInnen vertreiben. Doch das sie nicht der Fall. Sollten sie sich nach der geplanten Sanierung die Miete noch  leisten können,  können sie bleiben. Doch viele MieterInnen wissen schon jetzt, dass sie sich die  nach einer Sanierung  die  Miete  nicht leisten können. Nachdem eine Rentnerin eine Modernisierungsankündigung bekommen hat, die ihre Miete von 4,04 auf 10,06 Euro pro Quadratmeter steigen ließ, sahen sie  ihren Befürchtungen bestätigt. Anwalt  Zimmermann  nannte die Mieterhöhungen in dieser Größenordnung eine absolute Ausnahme, räumte aber ein, dass sich Mieterhöhungen nicht vermeiden lassen. Einige haben  die Siedlung schon verlassen.  Derweil bereiten sich die aktiven Mieter auf eine erste Zwangsräumung in der Siedlung vor. Ein Rentner konnte  nach einem Herzinfarkt die Miete an einem Monat  nicht vollständig überweisen. Der Vermieter kündigte ihm daraufhin. Der Mieter klagte dagegen und bekam in der 1. Instanz Recht. In der zweiten Instanz  vor dem Berliner Landgericht wurde hingegen die Kündigung bestätigt.  Zum 1. Mai 2015 muss der Mieter die Wohnung räumen. Er will sich dagegen wehren  und hat  sich mit dem Bündnis gegen Zwangsräumungen in Verbindung gesetzt.

MieterEcho online 02.12.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/steinberg.html

Peter  Nowak

Robin Wood und Karla Pappel machen mobil

AKTION Bürger besetzen Gärten in der Treptower Beermannsstraße aus Protest gegen den Bau der A 100

„Besetzt“, steht in großen Buchstaben auf einem selbst gemalten Schild. Darüber hängt zwischen Ästen ein Aktivist der Umweltschutzorganisation Robin Wood in einem mit Gurten am Baum gesicherten Schlafsack. Um eine Feuertonne haben sich ein paar Menschen versammelt. Am Sonntag lief die Frist ab, bis zu der alle NutzerInnen das geräumige Gartenareal in der Beermannstraße 22 in Treptow verlassen sollen. Es soll dem Bau der Autobahn A 100 weichen.

„Wir sind nicht mehr gewillt, den Ausverkauf der Stadt widerstandslos zu akzeptieren“, erklärte ein Mitglied der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel, die die Aktion zusammen mit Robin Wood vorbereitet hatte. „Wir fordern ein Baummoratorium, um die Gartenanlage zumindest über den Winter zu erhalten“, sagte Peter Schwartz von Robin Wood. Nach der Räumung der Cuvry-Brache gäbe es viele Obdachlose, die bei den winterlichen Temperaturen in Gartenanlagen wie in der Beermannstraße überwintern können. Es gehe aber auch darum, das Projekt A 100 insgesamt infrage zu stellen. Er verweist auf ein Interview des designierten Berliner Bausenator Andreas Geisel (SPD), in dem dieser sich für die Schließung des Autobahnrings aussprach.

Auch die Grünen seien immer gegen den Bau der Stadtautobahn gewesen, sagt der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz. Als verkehrspoltischer Sprecher seiner Fraktion ist er Teil einer Verhandlungsgruppe, die zwischen BesetzerInnen und dem Senat vermitteln soll.

Diese Vermittlungsgruppe sei ihr nicht bekannt, erklärte dagegen die Pressesprecherin der Senatsverwaltung, Petra Rohland, auf Nachfrage der taz. Ihre Behörde habe von der Besetzung der Kleingartenanlage aus der Presse erfahren und noch keine Entscheidung über das weitere Vorgehen getroffen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F02%2Fa0127&cHash=b450c21a0df7807034eec0e19c67ca5e

Peter Nowak

Mieter/innen der Beermannstr. 22 sollen für den Bau der A100 enteignet werden

Am kommenden Sonntag laden GartennutzerInnen und MieterInnen aus dem Haus in Berlin-Treptow zur MieterInnenversammlung.
„Bringt Lichter mit Freunde, Stirnlampen  und Freunde mit“, heißt es in einer Erklärung, in der für kommenden Sonntag um 15 Uhr  zu einer Mieterversammlung geladen werden.  Dort  wollen sich MieterInnen der  Beermannstraße 22  und  einige NutzerInnen der dahinterliegenden Gartenanlagen mit NachbarInnen und Stadtteiliniaitiven  über ihren weitern Widerstand beraten. Denn ihnen droht Enteignung wegen des Weiterbaus der A100.

Jonas Steinert (Name geändert) gehört zu den 10  Mietparteien, die nicht bereit sind, sich nach den Bedingungen der Senatsverwaltung aus ihren Wohnungen vertreiben zu lassen. Er habe als Freiberufler kein hohes Einkommen. Daher seien für ihn Ersatzwohnungen, deren Miete zwischen 65 und 120 Prozent über der Miete seiner derzeitigen Wohnung liegen, ein großes Problem. Doch das scheint die Senatsverwaltung nicht zu interessieren.  Statt einer Antwort erhielten Steinert und andere MieterInnen  der Beermannstraße Schreiben, in denen die Senatsverwaltung die Enteignung der Mieter ankündigte.  „Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde“, heißt es in den dem MieterEcho vorliegenden Briefen. Steinert musste sich von einem Rechtsanwalt erklären lassen, dass ihm damit mitgeteilt werde, dass nach Paragraph 116 des Baugesetzbuchs gegen ihn vorgegangen werden soll und er dadurch zahlreiche Rechte, die er als Mieter gegen eine Kündigung hat, verliert.
Eine vorzeitige Besitzeinweisung dürfe allerdings nur getroffen werden, wenn die »Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten« ist, heißt es im Gesetz.  Dass die umstrittene Verlängerung der A100 allerdings dem Wohl der Allgemeinheit dient, bezweifeln nicht nur die MieterInnen in der Beermannstraße und die Stadtteilinitiative Karla  Pappel. Auch die Umweltorganisation Robin Wood beteiligt sich an den Protesten.

Der künftige Regierende Bürgermeister steht in der Kritik
„ Wenn solche Töne aus der Senatsverwaltung kommen, sagen wir, das lassen wir mit uns nicht machen«, sagt Karl Pfeiffer (Name geändert), der im Vorderhaus der Beermannstraße 22 wohnt.  Die verbliebenen Mieter sind besonders empört, dass in den Schreiben der Senatsverwaltung, das sie Mitte Oktober erhalten hatten,   eine Räumungsaufforderung der Wohnungen bis zum 31. Oktober enthalten ist. Als Drohung ohne jegliche Grundlage bezeichnet Steinert diesen Passus, den die MieterInnen daher nach juristischer Beratung  ignoriert haben.  Sie sind empört, dass der Senat eine solche Drohkulisse aufbaut und damit Angst bei den Mietern erzeugt. Zumal die Senatsverwaltung in dem Schreiben auch betonte, dass sie zur Bereitstellung von Ersatzwohnungen nicht verpflichtet sei. Das klang am 16. Januar 2014 noch ganz anders. Damals erklärte der zuständige Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Harald Moritz (Grüne) zu den sozialen Folgen der Verlängerung der A 100 im Berliner Abgeordnetenhaus: „Im Zusammenhang mit den zuständigen Verwaltungen der Grundstücke … werden insbesondere die Mieterinnen und Mieter unterstützt, bei denen sich die Wohnraumsuche aus privaten Gründen schwierig gestaltet.“ Die MieterInnen werden den künftigen Regierenden Bürgermeister von Berlin an diese Worte erinnern.

aus:

MieterEcho online 28.11.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/beermannstr-22-a-100.html

Peter Nowak

»Man ist sich näher, als es oft erscheint«

Der Kampf um das »Recht auf Stadt« und gegen Zwangsräumungen wird in vielen Ländern geführt. Inzwischen gibt es auch Versuche transnationaler Vernetzung der Mieterbewegung. Der Filmemacher Matthias Coers und der Politikwissenschaftler Grischa Dallmer sind seit Jahren in der Berliner Mieterbewegung aktiv, haben die Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« mitgestaltet und an dem Film »Mietrebellen« mitgearbeitet. Mit ihnen sprach die Jungle World über Wohnungskrisen, Widerstand und internationale Organsiation.

Sie haben kürzlich in Moskau Ihren Film »Miet­rebellen« über die Berliner Mieterbewegung gezeigt. Wen interessiert das dort?

Coers: Wir wurden mit dem Film vom kritischen Kunst- und Medienfestival Media Impact mit Unterstützung des Goethe-Instituts Moskau eingeladen. Im Anschluss an die Präsentation gab es mit über 40 Zuschauern eine Diskussion zum Verständnis der Situation in Berlin, aber auch über die Frage des Wohnens in der russischen Metropole. Für die Lage der Mieter in Berlin gab es starke Empathie, aber es gab auch Erstaunen darüber, mit welchem Aufwand und mit welcher Heftigkeit zum Beispiel Zwangsräumungen in Deutschland durchgesetzt werden.

Gab es Kontakte mit russischen »Mietrebellen«?

Coers: Von einer Mieterbewegung kann dort nicht gesprochen werden, was schon an der Struktur des Wohnens liegt. Die meisten Menschen leben in Wohnungen, die ihnen nach Ende des Real­sozialismus überschrieben wurden. Sie sind mit dem Aufbringen von Erhaltungs- und Energiekosten belastet. Zudem übersteigen die Wohnkosten oft das Einkommen. Zur Miete wohnen ist nicht die Regel, auch wenn sich die Mieterrechte im vergangenen Jahr etwas verbessert haben sollen. Doch sind für eine 60-Quadratmeter-Wohnung schnell 1 000 Euro monatlich fällig, auch wenn sie eher in der Peripherie liegt. Wobei zum Beispiel eine Lehrerin oft nur 400 bis 500 Euro im Monat verdient. Beim Erwerb von Eigentumswohnungen werden zum Beispiel in den Innenstadtbezirken von Moskau schnell 8 000 Euro pro Quadratmeter fällig.

Ihre Reihe »Wohnen in der Krise« war eines der wenigen Beispiele für transnationale Kontakte unter widerständigen Mieterinnen und Mietern. Wie ist das Projekt entstanden?

Dallmer: Die Reihe »Wohnen in der Krise«, deren Dokumentation als Youtube-Kanal häufig abgefragt wird, ist aus den Diskussionen des Donnerstagskreises der Berliner Mietergemeinschaft entstanden. Nach der kritischen Auseinandersetzung mit Methoden der militanten Untersuchung und des Community Organizing war das Bedürfnis groß, die Lebenswirklichkeit und die konkreten Fragen des Wohnens in verschiedenen europäischen Ländern in den Blick zu bekommen und zu verstehen. Wir haben Experten und Aktivisten eingeladen und lokale Videos übersetzt, so konnten in Berlin bisher unbekannte Informationen aus den Nachbarländern zusammengetragen werden. In den als PDF zur Verfügung stehenden Ausgaben der Zeitschrift Mieter Echo des vorigen Jahres sind die Veranstaltungsinhalte auch noch einmal verschriftlicht zu finden. Die entstandenen Kontakte werden weiter gepflegt, tatsächlich und konkret zum politischen Austausch genutzt und sind schon bei Aktionen auf europäischer Ebene zum Tragen gekommen.

Kam es durch die Veranstaltungsreihe zu einer besseren Koordination?

Dallmer: Ja, es sind lebendige Kontakte nach Polen, Spanien, Griechenland, Russland, in die Niederlande, Frankreich, die Türkei, Großbritan­nien und Schweden entstanden. In Wechselwirkung mit unserer Reihe hat sich auch die »Europäische Aktionskoalition für das Recht auf Wohnen und die Stadt« herausgebildet, in der inzwischen Gruppen aus 20 Ländern zusammenarbeiten. Derzeit bilden sich internationale Arbeitsgruppen zu den Themen Finanzialisierung des Wohnungsmarkts, Europäische Charta für das Recht auf Wohnen und Widerstand gegen Zwangsräumungen.

Coers: Trotzdem dürfen diese Verbindungen in Relation zu den Angriffen, denen die Menschen derzeit in den Fragen des Wohnens ausgesetzt sind, nicht überschätzt werden. Die Aktiven sind teils im professionellen Bereich des Wohnrechts, der Sozialfürsorge oder in wissenschaftlichen Zusammenhängen zeitlich stark eingebunden und nur wenige können einen Großteil ihrer Arbeitszeit in die Entwicklung von europäischer Zusammenarbeit investieren. So bleibt der Austausch lose, auch wenn eine Tendenz zur Verstetigung spürbar ist.

Warum entwickeln sich transnationale Kontakte in der Mieterbewegung besonders schwer?

Coers: Einerseits sind es die zeitökonomischen Grenzen der Beteiligten, die räumlichen Entfernungen und die Sprachgrenzen, die immer wieder aufs Neue überwunden werden müssen. Entscheidend ist aber, dass auch große Gruppen mit Hunderten dauerhaft Aktiven wie »Recht auf Wohnen« (Droit Au Logement, DAL) in Frankreich oder die »Plattform der Hypothekenbetroffenen« (Plataforma de Afectados por la Hipoteca, PAH) in Spanien in den jeweiligen Ländern mit den konkreten Aufgabenstellungen und Problemen stark beschäftigt sind. Von einer transnationalen Ebene ist nicht direkt praktische Hilfe zu erwarten, sondern es geht um Austausch, Erfahrungs- und Wissensvermittlung, letztlich darum, die eigene Situation besser zu verstehen und angehen zu können. Allein das praktische Wissen darum, dass an unterschiedlichsten Orten mit unterschiedlichen Strategien widerständig Auseinandersetzungen geführt werden, wirkt bestärkend. Auch transnationale Gewerkschaftsarbeit hat auf europäischer Ebene leider zu wenig Relevanz. Die Arbeitszusammenhänge einer Mieterbewegung von unten sind um ein Vielfaches fragiler, verschaffen sich aber durchaus Gehör.

Dallmer: Es gibt Schwierigkeiten, doch es zeigen sich momentan immer mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Bereichernd für die eigene Praxis sind die Aktivitäten der Freundinnen und Freunde aus den anderen Ländern allemal. Eine Frage ist beispielsweise der Bezug auf die Europä­ische Union. Soll für verbindliche europäische Vereinbarungen im Bereich des Wohnens gekämpft werden oder nicht? In Ländern mit geringem Mieterschutz wird diese Frage oft bejaht, da man sich von internationalem Druck Verbesserungen erhofft. In Ländern, wo gute Mieterrechte realisiert wurden, herrscht eine gewisse Skepsis, ob so das lokale Mietrecht nicht eingeschränkt werden könnte. In der Europäischen Aktionskoalition wird gerade debattiert, ob gemeinsam gegen internationale Akteure auf dem Immobilienmarkt, etwa das Immobilienverwaltungsunternehmen Camelot, vorgegangen werden kann.

Welche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass in einigen Ländern viele Menschen in Eigentumswohnungen leben, in anderen, wie Deutschland, aber mehrheitlich zur Miete?

Dallmer: Protest und Widerstand richten sich an unterschiedliche Adressaten. Während es in Deutschland oft um Mietzahlungen an private Vermieter geht, sind es in Spanien die Banken, an die Kredite zurückgezahlt werden sollen. Wegen der Finanzialisierung der Immobilienunternehmen und da die meisten Menschen, die Kredite zurückzahlen sollen, dies auf absehbare Zeit nicht schaffen und somit nie wirkliche Eigentümer werden, hat sich bei Mieterkämpfen im Ruhrgebiet der Kampfruf »Wir sind alle Mieter der Banken« etabliert. Man ist sich näher, als es oft erscheint.

Coers: Nach Filmdiskussionen in Neapel, Wien, Glasgow, Amsterdam, Córdoba, Moskau und Diskussionsberichten aus Dublin, London, New York, dem Kosovo und Mexiko muss man sagen, dass es nicht darauf ankommt, ob zur Miete oder in Eigentumswohnungen gewohnt wird. Die Menschen werden aktiv, wenn die Wohnraumversorgung nicht mehr gewährleistet ist oder die Wohnraumkosten sie erdrücken. Und sie denken auch entsprechend über die nationalen Grenzen hinweg solidarisch. Es ist aber deutlich geworden, dass ein Wissensaustausch stattfinden muss, damit die jeweilige konkrete krisenhafte Situa­tion auch verstanden werden kann. Verallgemeinert formuliert, ist bei den Aktivisten und Gruppen zum Thema Wohnen die Frage nach sozialer Gerechtigkeit sehr präsent. Auf mögliches Versagen jeweiliger Volkswirtschaften wird vornehmlich nicht geschaut, sondern eher auf die politische und ökonomische Verfasstheit in transnationaler Perspektive.

Es gab Ende Oktober in Córdoba eine europäische Konferenz der Bewegung gegen Zwangsräumungen. Wurde dort auch über diese Schwierigkeiten der Koordination geredet?

Dallmer: Ja, allerdings sind diese internationalen Kooperationen noch ganz jung und da ist es nicht verwunderlich, dass viele Fragen bisher noch offen sind. Die meisten Beteiligten waren sich einig, dass es erst einmal entscheidend sei, ein Bewusstsein füreinander zu bekommen. Ak­tive aus verschiedenen Ländern traten an uns heran, um »Mietrebellen« in ihren Stadtvierteln aufzuführen.

Gab es Fortschritte bei der transnationalen Koordination der Mieterbewegung?

Dallmer: Es gibt auf jeden Fall einige Fortschritte. Bei einem internationalen Treffen in London zu Protesten gegen die Immobilienmesse MIPIM sind beispielsweise viele Gruppen aus Osteuropa das erste Mal überhaupt aufeinandergetroffen und planen jetzt ein osteuropäisches Treffen der Mieterbewegungen mit Berliner Beteiligung.

Coers: Unser persönlicher Beitrag besteht aktuell darin, den Film »Mietrebellen« auch international zu verbreiten, um über die Verhältnisse hier aufzuklären und am Beispiel von Berlin zu ermutigen, dass es sich lohnt, den aufgezwungenen Zumutungen mit Ausdauer widerständig entgegenzutreten, und dass sich zugleich auch schon kleinteilige Erfolge lohnen.

In Budapest, Den Haag, Barcelona, Poznań, Brest, Bukarest, Athen und Istanbul sowie in ­Toronto, Seoul, Hongkong und Mumbai sind überwiegend in Zusammenarbeit mit politischen Gruppen Aufführungen in Planung. Zudem beteiligen wir uns an einer weiteren Veranstaltung der Reihe »Wohnen in der Krise« zur historischen und aktuellen Situation in Graz und Wien

http://jungle-world.com/artikel/2014/47/50967.html

Interview: Peter Nowak

Mieter wehren sich gegen Vertreibung

In vielen Häusern läuft eine brutale Sanierungspraxis – in Pankow regt sich Widerstand

Nach der Sanierung wird das Dreifache der Miete verlangt. In Pankow trafen sich Betroffene zum ersten Mieterforum, um sich gegen ihre Vertreibung zu wehren.

»Hier entmietet die Christmann Unternehmensgruppe 29 große und 16 kleine Menschen«, stand auf einen großen Transparent im Saal der Bezirksverordnetenversammlung Pankow. Die Firma Christmann saniert das Haus Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg und hat es damit schon zu einiger Berühmtheit gebracht. Denn die Mieten sollen sich danach fast verdreifachen.

Ähnlich geht es vielen Mietern im Bezirk. Doch sie wollen dieses Schicksal nicht mehr einfach so hinnehmen. Am Freitagabend trafen sich 60 Bewohner aus Häusern in Prenzlauer Berg und Pankow zu einem Mieterforum, um über ihre Situation und darüber zu reden, wie sie ihre Verdrängung verhindern können. Deutlich wurde, dass in begehrten Wohngebieten eine zweite Vertreibung im Gange ist. Während bis Mitte der 90er Jahre ein großer Teil der ursprünglichen Bewohner wegziehen musste, sind nun die Verbliebenen ebenso wie auch ein Teil der in den 90er Jahren neu Zugezogenen betroffen.

»Eine neue Spekulationswelle ist über uns hereingebrochen. Sie ist mit einer brutalen Sanierungspraxis verbunden. Entmietungen und Zwangsräumungen sind ganz normale Geschäftspraktiken geworden«, stellte Oleg Myrzak fest. Er wohnt in einen der betroffenen Häuser, in der Gleimstraße 52.

Die Erfahrungsberichte zeigten, dass Myrzak nicht übertrieben hat. 16 Mieter der Kopenhagener Straße 46 bekamen fristlose Kündigungen und Abmahnungen, die juristisch natürlich keinen Bestand hatten. Sie sollten aber die Mieter zermürben. Dass sich nicht nur private Investoren, sondern auch städtische Wohnungsbaugesellschaften an der Verdrängung von Mietern beteiligen, machten Bewohner des Hauses Raumerstraße 13 deutlich, das im Besitz der Gewobag ist. Sie schilderten den Umgang des Unternehmens mit ihnen als »nicht so dramatisch wie in der Kopenhagener Straße, aber auch nicht wirklich human«. Erst sei ihnen mitgeteilt worden, dass die Wohnqualität verbessert werden solle, dann kamen die Ankündigungen für den Einbau eines Fahrstuhls, der von allen bisherigen Mietern abgelehnt wird, weil er die Miete in die Höhe treibt.

Verwiesen wurde auf die zahlreichen Internetblogs, mit denen Mieter aus den unterschiedlichen Häusern auf ihre Situation aufmerksam machen. »Leben hinter einer weißen Plane« und »Chronik einer angekündigten Entmietung« lauten die Titel.

Mit dem neugegründeten Pankower Mieterforum wollen sich die Betroffenen vernetzen und die Interessen der von Verdrängung bedrohten Menschen auch in der Politik lauter zu Gehör bringen. Der Senat wurde aufgefordert, »umgehend eine Umwandlungsverbotsverordnung zu erlassen, durch die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in allen sozialen Erhaltungsgebieten unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt wird«.

Das nächste Mieterforum will sich besonders der energetischen Sanierung im Interesse der Mieter widmen. Derzeit dient sie oft der Vertreibung von Mietern, beispielsweise in der Kopenhagener Straße 46. Sind die bisherigen Bewohner ausgezogen, können ihre Wohnungen als Eigentum teuer verkauft werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/952555.mieter-wehren-sich-gegen-vertreibung.html

Peter Nowak