»telegraph« über DDR-Jugendkultur

. In der DDR stand die Kirche von Unten (KvU) für eine staatsferne, unangepasste Kultur- und Jugendszene. Sie erkämpfte sich in der DDR Freiräume, doch im realexistierenden Kapitalismus soll die KvU aus ihrem Domizil im Prenzlauer Berg vertrieben werden. Diese Geschichte beschreibt der Historiker und einstige Aktivist der DDR-Jugendopposition, Dirk Moldt, in der neuen Ausgabe der ostdeutschen Zeitschrift »telegraph« (Nr. 124, 76 Seiten, 6 Euro). Dietmar Wolf, Mitbegründer der Autonomen Antifa Ostberlins erinnert darüber hinaus an die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Über den Zusammenhang von Krise und Rassismus informiert der Journalist Thomas Konicz und der österreichische Verleger Hannes Hofbauer beschreibt, wie in Osteuropa sogenannte bunte Revolutionen in westlichen Stiftungen geplant werden. Ein interessantes Heft, das Themen abseits des Mainstreams behandelt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/809375.bewegungsmelder.html
telegraph.ostbuero.de
Peter Nowak

Das war linke Jugendkultur


MAGAZIN Die aktuelle Ausgabe des „telegraph“ beleuchtet die Rolle der „Kirche von unten“

Die Kirche von unten (KvU) hat keinen Mietvertrag mehr für ihre Räume in Prenzlauer Berg: Der Besitzer will Eigentumswohnungen schaffen. Da ist es erfreulich, dass mit dem Historiker Dirk Moldt ein Mitbegründer der KvU an die Rolle erinnert, die das Projekt für eine unangepasste linke Jugendkultur in der DDR hatte.

Moldts Rückblick ist in der aktuellen Ausgabe der „ostdeutschen Zeitschrift“ telegraph erschienen. 1987 als Sprachrohr der DDR-Umweltbibliothek entstanden, wurde sie 1989 zum Forum der DDR-Opposition, die nicht Wiedervereinigung und Kapitalismus anstrebte. Von dieser Prämisse lassen sich die MacherInnen bis heute leiten. In dieser Ausgabe erinnert Dietmar Wolf, Mitbegründer der Autonomen DDR-Antifa, an die rassistischen Pogrome vor 20 Jahren in Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Er zeigt präzise auf, wie diese von PolitikerInnen zur Einschränkung des Asylrechts genutzt wurden.

Der Rapper Jens Steiner beschreibt, wie der traditionelle Protestsong zum Politkitsch wurde. Weitere Beiträge widmen sich dem NSU-Verfahren und rassistischen Strömungen im Europa der Krise.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F09%2Fa0144&cHash=87a502342887d41d4361754fe6a48853
Peter Nowak
telegraph 125/126, 6 €, beziehbar über telegraph.ostbuero.de

Keine Erfolge ohne Basisbewegungen

Peter Nowak über „Politische Streiks im Europa der Krise“

Am 14. November streikten Gewerkschaften in mehreren europäischen Ländern erstmals koordiniert gegen die europäische Krisenpolitik. Viele fragten sich nachher: War das der Beginn eines neuen Protestzyklus?
Gerade rechtzeitig kommt da ein Buch auf den Markt, in dem sich knapp 20 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen europäischen Ländern mit der aktuellen Bedeutung der politischen Streiks im Europa der Krise befassen. Einige AutorInnen gehen dabei auch auf die Debatten über Massenstreiks in der Arbeiterbewegung vor 100 Jahren ein und heben dabei die Positionen von Rosa Luxemburg positiv hervor. Bezug genommen wird auf Rosa Luxemburg Schrift „Massenstreik, Partei und Gewerkschaft, wo sie aus den Erfahrungen der gescheiterten Russischen Revolution von 1905 das Konzept des Massenstreiks als offensive Waffe einer erstarkenden Arbeiterbewegung bezeichnete. Auch 1913 schrieb sie in einem Artikel dass sich die Massen mit der Anwendung der neuen Kampfform vertraut machen müssen.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt aber auf der Untersuchung der aktuellen Arbeitskämpfe.
Der Historiker Florian Wilde, der als Referent für Gewerkschaftspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet und im Mai 2012 einen Kongress zum Thema politische Streiks in Europa vorbereitet hat, skizziert in der Einleitung den politischen Kontext, der sich fundamental von den Zeiten, als Rosa Luxemburg wirkte, unterscheidet. Während die Anzahl ökonomischer Streiks in den letzten Jahren zurückgegangen sei, hätten politische Generalstreiks zugenommen, denen er aber – anders als den Generalstreiks zu Beginn der Volksfrontregierung 1936 in Frankreich oder den 1968er-Streiks kein revolutionäres Potenzial attestiert.
„Im Gegenteil: Die zunehmende Zahl von politischen Streiks und Generalstreiks ist zunächst Ausdruck der hochgradig defensiven Stellung, in der sich die Gewerkschaften nach drei von Niederlagen geprägten Dekaden heute befinden (…) Die Gewerkschaften und die gesellschaftliche Linke kämpfen in dieser Situation mit dem Rücken an der Wand. Aus dieser Konstellation ergibt sich sowohl die massive Zunahme politischer Streiks als auch ihr vorrangig defensiver Charakter“ (S. 12).
In einer längeren, vergleichenden Studie (S. 24-106) werten die Sozialwissenschaftler Jörg Nowak und Alexander Gallas die aktuelle Streikgeschichte von Großbritannien und Frankreich aus und zeigen die Grenzen der auf den ersten Blick im Vergleich zur Situation in Deutschland beeindruckenden Auseinandersetzungen auf. In beiden Ländern konnten mit den Arbeitskämpfen keine grundlegenden Änderungen der Politik erreicht werden. „So gelingt es der Arbeiterbewegung nicht, konstruktive Gestaltungsmacht zu erlangen. Im Kontext der Krise, in der fast keine Regierung in Europa Zugeständnisse machte, hat sich dieses Protestmuster weitgehend erschöpft“ (S. 64), so Jörg Nowaks ernüchterndes Fazit zu den Streiks in Frankreich. Wenn er im Anschluss darauf verweist, dass der Wahlsieg der Sozialisten ein Effekt der Arbeitskämpfe war, ist damit angesichts der Politik der europäischen Sozialdemokratie keinesfalls gesagt, dass in diesem Wahlsieg auch ein politischer Erfolg der Streikenden lag. Alexander Gallas zeigt in seinem Großbritannien-Schwerpunkt, wie sich Gewerkschaften, Studierende und soziale Bewegungen in ihren Kämpfen in den Jahren 2010 und 2011 aufeinander bezogen haben. Überzeugend argumentiert er, dass es nur so möglich ist, einen gesellschaftlichen Einfluss zu erreichen – die Gewerkschaften alleine seien dazu nicht mehr in der Lage, da sie durch die drastische Deindustralisierung in Großbritannien massiv geschwächt worden seien.
Auch in Griechenland und Spanien, wo in den letzten Jahren die meisten Generalstreiks stattgefunden haben, die aber oft nur Aktionstage waren, ist es nicht gelungen, wenigstens Teile des Krisenprogramms zu verhindern. Olga Karyoti, die die griechische Basisgewerkschaft der Übersetzer vertritt, spricht sogar von ritualisierten Generalstreiks, die ohne politische Erfolge zu Enttäuschung und zum Rückzug der Aktivisten führen (S. 168).
Ähnlich selbstkritische Äußerungen finden sich vor allem in den zehn Länderbeiträgen, in denen linke BasisgewerkschafterInnen zu Wort kommen, wobei die Begründungen durchaus unterschiedlich ausfallen: So analysiert Christine Lafont vom Gewerkschaftsdachverband Solidaires, (den ehemaligen SUD-Gewerkschaften, Anm. d. Red.) wie in Frankreich die zögerliche Haltung der mitgliederstärkeren CGT-Gewerkschaft die letzten großen Streiks gegen die Sozialpolitik von Sarkozy in eine Niederlage führte (S. 145ff.). Deolinda Martin, die dem oppositionellen Flügel der portugiesischen Gewerkschaft CGTP angehört, beschreibt dagegen, dass der dritte Generalstreik seit 2010 im Januar 2012 von der Masse der Bevölkerung ignoriert wurde (S. 150ff.). Bisher wenig bekannte Informationen über das Streikgeschehen in Rumänien und im ehemaligen Jugoslawien liefert Boris Kanzleiter in seinem knappen, aber informativen Aufsatz (S. 114).
So beteiligten sich am 18. April 2012 an der größten Demonstration seit der slowenischen Unabhängigkeit fast 1000000 Menschen an einer Großdemonstration in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana gegen die Kürzungspolitik im öffentlichen Sektor. „In einem Land nur zwei Millionen EinwohnerInnen zählenden Land war dies eine Demonstration der Stärke der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und des Gewerkschaftsdachverbandes ZSSS“, schreibt Kanzleiter (S.115). In Kroatien wiederum bildete sich in Universitätsprotesten zwischen 2008 und 2010 eine neue Linke heraus, die sich im Zuge der Finanzkrise auch mit streikenden Arbeitern und protestierenden Landwirten solidarisierte. „So hielten bereits im Dezember 2009 protestierende Milchbauern an der Philosophischen Fakultät von Zagreb ein Plenum ab“, so Kanzleiter (S.119). Auch in verschiedene lokale Arbeitskämpfe habe die studentisch geprägte Linke in den letzten beiden Jahren interveniert. Als Treffpunkt der neuen kroatischen Linken habe sich das jährlich im Mai in Zagreb stattfindende Subversive Festival“ etabliert, in dem neben kulturellen Darbietungen auch politische Debatten eine wichtige Rolle spielen. In Serbien, wo sich durch die Dominanz des Nationalismus eine landesweite neue Linke bisher nicht herausgebildet hat, listet Kanzleiter in den letzten Jahren lokale Streiks auf, unter Anderem im Textilkombinat Raska. Der bekannte Aktivist dieses Streiks Zoran Bulatovic wurde anschließend mehrmals tätlich angegriffen und lebt daher mittlerweile im Ausland. Auch in Rumänien, wo sich bisher keine neue emanzipatorische Linke formieren konnte, haben im Januar 2012 massive soziale Proteste zum Rücktritt der dem Präsidenten nahestehenden neoliberalen Regierungskoalition geführt. Seitdem liefern sich der Präsident und die neue sozialliberale Regierung einen erbitterten Machtkampf. Eine eigenständige parteiabhängige soziale Bewegung hat sich aber bisher in dem Land nicht herausbilden können.
Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Streiks in Deutschland. So erinnert Heidi Scharf, erste Bevollmächtigte der IG-Metall Schwäbisch Hall, an vergessene Arbeitskämpfe der letzten Jahrzehnte, die den Charakter politischer Streiks angenommen hatten. Dazu zählten Arbeitsniederlegungen gegen den heute weitgehend vergessenen „Franke-Erlass“, benannt nach dem ehemaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit: Dieser verfügte Mitte der 80er-Jahre, dass Lohnabhängige, die während eines Streiks von den Unternehmen ausgesperrt wurden, keine Unterstützung vom Arbeitsamt mehr bekommen sollten (S. 212). Auch der Frauenstreiktag vom 8. März 1994, der für Scharf und eine weitere Gewerkschafterin einen Strafbefehl wegen Rädelsführerschaft zur Folge hatte, weil die Aktivistinnen eine nicht für den Fußgängerübergang vorgesehene Straßenkreuzung überquerten, wird noch einmal in Erinnerung gerufen (S. 214). Der ehemalige IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche ruft ein Problem in Erinnerung, das sich für jede Geschichtsschreibung über politische Streiks stellt, wenn er schreibt, dass diese in der BRD nie so benannt wurden, weil die offiziell verboten sind. Hensche fordert dazu auf, sich das Recht auf politische Streiks zu erkämpfen. „Die Gewerkschaften sind unter ihren Möglichkeiten geblieben (S. 220)“, skizziert er sehr vorsichtig die Rolle der DGB-Gewerkschaften, die vom politischen Streik in der Mehrheit bis heute nichts wissen wollen und auf die Gesetzeslage verweisen. Dagegen richtet auch sich der „Wiesbadener Appell“ für ein Recht auf politischen Streik, den der Initiator und hessische IG Bauen Agrar Umwelt-Sekretär Veit Wilhelmy im Buch vorstellt und begründet (S. 227).
Leider fehlt aus Deutschland ein Beitrag von einer Basisgewerkschaft außerhalb des DGB. Schließlich waren in den letzten Jahren die GDL, die UFOs in den letzten Jahren oft viel streikfreudiger gewesen, als die DGB-Gewerkschaften. Die anarchosyndikalistische FAU befürwortet seit Langem politische Streiks. Dafür wäre der Schlusstext (S. 232ff.), eine Eröffnungsrede des Linken-Politikers Klaus Ernst auf der schon erwähnten Konferenz der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Mai 2012, entbehrlich gewesen, weil er keine neuen Argumente liefert.
Das Buch liefert insgesamt einen guten Überblick über das politische Streikgeschehen im gegenwärtigen Europa. Das politische Fazit lautet, dass Streiks auch heute noch eine wichtige politische Kampfform im Europa der Krise sind. Die Länderbeispiele zeigen aber auch, dass dafür eine Basisorientierung der Gewerkschaften und eine Kooperation mit sozialen Bewegungen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ablauf sind. In Deutschland aber muss das Thema ohnehin erst einmal auf die Tagesordnung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gesetzt werden.
Denn die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse in vielen europäischen Ländern haben gerade kampferfahrene Gewerkschaften geschwächt. Isolierte Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor, die in vielen Ländern boomen, sind auch nicht die besten Voraussetzungen für solidarische Kämpfe. In Deutschland, wo sich die DGB-Gewerkschaften sich als Sozialpartner begreifen und politische Streiks keine Tradition haben, war es schon ein relativer Erfolg, dass auf Initiative von außerparlamentarischen Linken auch die DGB-Gewerkschaften in Berlin am 14. November zu einer Kundgebung mit anschließender Demonstration aufriefen. Die Krisenproteste des Jahres 2012 vom antikapitalistischen Aktionstag am 31. März über die Blockuppy-Aktionstage Mitte Mai bis zum 14. November machen noch einmal deutlich, dass die Konzentration auf mit großen Aufwand organisierte Aktionstage verpuffen, wenn es an Widerstand im Alltag fehlt. Dass er möglich ist, zeigt der MieterInnenwiderstand in verschiedenen Städten. So hat sich n Berlin in den letzten Wochen ein Bündnis gegen Zwangsräumungen von Mietern, die ihre Miete nicht zahlen konnte, gebildet. Mit der Parole „Mieten runter – Löhne hoch“ wurde der Zusammenhang zwischen der MieterInnenbewegung und Arbeitskämpfen zumindest beim Motto hergestellt. Hier bieten sich Ansätze für Proteste, die da ansetzen, wo bei den Leuten die Krise ankommt.

Peter Nowak
Alexander Gallas / Jörg Nowak / Florian Wilde (Hrsg.): „Politische Streiks im Europa der Krise.“ VSA-Verlag, Hamburg 2012, 240 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-89965-532-2

Das Buch erscheint unter einer gemeinfreien Creative Commons License und steht auf der Homepage der Rosa Luxemburg-Stiftung zum Download zur Verfügung: http://www.rosalux.de/publication/38866/politische-streiks-im-europa-der-krise-2.html

Veranstaltungshinweis zum Buch:
Die HerausgeberInnen haben Interesse an Diskussionsveranstaltungen zu dem Buch: In Berlin wird sie am 6.Februar 2013 im Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünbergstr. 73 stattfinden. Kontakte vermittelt der VSA-Verlag: maren.schlierkamp@vsa-verlag.de oder gerd.siebecke@vsa-verlag.de

aus Express 12/2012
http://www.express-afp.info/newsletter.html

Vor dem Vergessen gerettet


WIDERSTAND Ein Forschungsprojekt der Freien Universität dokumentiert die Biografien linker GewerkschafterInnen zur NS-Zeit

Seit 2006 erinnert der Name einer kleinen Straße in der Nähe des Hauptbahnhofs an Ella Trebe. Die im Wedding geborene kommunistische Gewerkschafterin wurde am 11. August 1943 zusammen mit 14 weiteren NazigegnerInnen im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen. Ein Gedenkstein im Wedding, der an sie erinnerte, wurde in den 50er-Jahren wieder entfernt – man wollte im Kalten Krieg keine Kommunistin würdigen.

Ella Trebe teilte dieses Schicksal mit vielen antifaschistischen ArbeiterInnen, die sich schon gegen den Nationalsozialismus engagierten, als die heute gefeierten Männer des 20. Juli noch lange nicht an Widerstand dachten. ForscherInnen der „Arbeitsstelle Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ an der Freien Universität Berlin (FU) haben jetzt ein Buch veröffentlicht, das die Biografien von 58 kommunistischen GewerkschafterInnen aus Berlin dokumentiert.

Es ist der zweite Band eines umfangreichen Forschungsprojekts zum Thema „MetallgewerkschafterInnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Während der erste Band 82 Biografien aus dem sozialdemokratisch orientierten Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) versammelte, geht es nun um AktivistInnen des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins (EVMB). Er bestand im Kern aus GewerkschafterInnen, die der DMV wegen kommunistischer Aktivitäten ausgeschlossen hatte, und wurde gegen Ende der Weimarer Republik zum Fokus der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Zu einer linken Massenbewegung konnte diese sich allerdings nie entwickeln, die KPD kritisierte die RGO-Politik schon bald als ultralinke Abweichung. Lange dominierte in der Forschung allerdings das Bild der RGO als einer von der KPD-Zentrale gesteuerten Kaderorganisation.

Konflikte mit der KPD

Das Buch zeichnet die unterschiedlichen Beweggründe für das Engagement in der linken Gewerkschaftsopposition nach. Viele der AktivistInnen waren schon während der Novemberrevolution von 1918 in linken Arbeiterräten aktiv und sahen in der RGO die Fortsetzung einer klassenkämpferischen Politik. Dabei gab es immer wieder Konflikte mit den KPD-FunktionärInnen. Auch in der DDR, wo viele der Porträtierten später lebten, war eine RGO-Vergangenheit nicht gerade karrierefördernd, wie an mehreren Beispielen belegt wird. Der Band füllt nicht nur eine Forschungslücke, sondern gibt den vergessenen WiderstandskämpferInnen aus der Arbeiterklasse ihre Biografie zurück.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2013%2F01%2F03%2Fa0174&cHash=f4f0b32f531368844553773bb17d4de4
Peter Nowak

Stefan Heinz, Siegfried Mielke (Hg.): Widerstand und Verfolgung“. Metropol Verlag, Berlin 2012, 304 Seiten, 19 Euro

Beim Recht alleingelassen?

Bernhard Jirku / ver.di-Bereichsleiter für Arbeitsmarkt- und Erwerbslosenpolitik

nd: Herr Jirku, die Gewerkschaft ver.di hat eine Unterschriftenkampagne gegen einen Gesetzentwurf zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe begonnen. Warum?Jirku: Der Gesetzesentwurf des FDP-geführten Justizministeriums würde den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für die unteren Einkommensschichten verbarrikadieren. Dabei sind die Fallzahlen seit Jahren relativ stabil, Tendenz sinkend, obwohl die Einkommen in den unteren Schichten schrumpfen, also eigentlich eher mehr als weniger Bedarf für Rechtshilfen besteht.

2.) Sie sehen noch weitere Konsequenzen?
Antwort: Untersuchungen haben gezeigt, dass der überwiegende Teil der Beratungs- und Prozesshilfe nicht im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts sondern beim Familienrecht notwendig wird. Dabei geht es beispielsweise um das Sorgerecht für die Kinder, um die Zahlung von Alimenten und so weiter. Eine Einschränkung des Zugangs zur Beratungs- und Prozesshilfe würde also bedeuten, dass der Rechtsweg für sehr viele Familien praktisch weitgehend verschlossen würde, viele in die Verschuldung gedrückt würden. Wir sehen darin eine abermalige Benachteiligung insbesondere für Frauen und Kinder.

3.) Warum interveniert verdi in diesem Bereich und nicht eine Erwerbsloseninitiative?
Antwort: Die Absenkung des Schwellenwertes für den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe um nahezu 100 Euro und die Verkomplizierung von Verfahren betrifft vor allem die Erwerbstätigen mit Niedriglöhnen und auch solche, die ihren Lohn durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen. Bei dem in Deutschland boomenden Hungerlohnsektor sind sehr viele Menschen betroffen. Das sind Mini-Jobberinnen ebenso wie Schein-Selbstständige, Leiharbeiter ebenso wie befristet Beschäftigte. Es trifft auch Familien, die auf den Kindergeldzuschlag angewiesen sind, und zahlreiche Kinder, deren Eltern mittlere Einkommen haben.

4.) Müsste bei einem solch großen Kreis der Betroffenen der Protest nicht größer sein?
Antwort: Es haben sich bereits viele Sozial- und Erwerbslosenverbände, aber auch Juristenorganisationen in ihren Stellungnahmen klar gegen die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung ausgesprochen. Auch viele Frauenverbände setzen sich mit dem Thema auseinander, gerade wegen der Barrieren für den Zugang zur Rechtspflege im Bereich des Familien-, Scheidungs-, Sorge- und Unterhaltsrechts.

5.) Aber auch nach der geplanten Regelung kann doch weiterhin Beratungs- und Prozesskostenhilfe beantragt werden.
Antwort: Die Betroffenen müssen dazu zum Rechtspfleger im Gericht gehen, der den Vorgaben der jeweiligen Landesjustizverwaltung unterliegt. Dort werden Barrieren aufgebaut und am Ende wird mit Kennziffern gearbeitet, mit denen die Zahl der Betroffenen gesenkt werden soll.

6.) Sind von verdi neben der Unterschriftensammlung weitere Proteste gegen den Gesetzentwurf geplant?
Antwort: Zunächst konzentrieren wir uns auf die Unterschriftenaktion. Sie soll über den Anhörungstermin im Bundestag, der ursprünglich für Februar 2013 angesetzt war, weiterlaufen. Das Ziel unserer Kampagne ist es, eine öffentliche Debatte anzuregen und deutlich zu machen, dass die Bundesregierung Menschen mit geringen Einkommen auch weiterhin stark benachteiligen will. Die Unterschriftenlisten können übrigens über unter http://erwerbslose.verdi.de/aktuelles_aktionen/beratungs-prozesskostenhilfe ausgedruckt werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/808516.beim-recht-alleingelassen.html
Interview: Peter Nowak

War Hannah Arendt die Judith Butler der frühen 60er Jahre?

Ein neuer Film von Margaretha von Trotha behandelt die heftige Diskussion, die das Arendt verfasste Buch „Eichmann in Jerusalem“ vor 50 Jahren auslöste und wird wohl in Deutschland aus den falschen Gründen Zustimmung finden

Das Jubiläum des Buches wird auch in Deutschland nicht unbeachtet vorübergehen. Dafür wird der Film Hannah Arendt – ihr Denken veränderte die Welt sorgen, der auf internationalen Filmfestivals Preise gewann und Anfang Januar in die deutschen Kinos kommt. Die Regisseurin bleibt in dem Film ihrer Filmtradition treu, Frauen in der Geschichte ein filmisches Denkmal zu setzen. Nach Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen hat sie nun Hannah Arendt zur Heldin ihres neuen Filmes gemacht. Der Begriff Denkmal stimmt hier nicht nur im übertragenden Sinne. Die Regisseurin lässt keinen Zweifel, dass Arendt ihre Sympathie genießt. Dabei konzentriert sie sich nur auf eine relativ kurze Phase in Arendts Leben. Der Film beginnt, als sich die Politologin entschließt, den Eichmann-Prozess in Jerusalem als Journalistin zu besuchen, dokumentiert die heftige Kontroverse und hat ihren dramaturgischen Höhepunkt, als ihr der langjährige Freund und Kollege Hans Jonas die Freundschaft aufkündigte und Arendt besonders damit verletzte, dass er sie als Lieblingsstudentin des NS-belasteten Freiburger Professors Martin Heidegger bezeichnete.

Immer wieder wechselt der Film aus dem USA der 60er Jahre in die Marburger Universität, wo die Studentin Arendt sich bei Heidegger vorstellt und dann seine Vorlesungen besucht. Das Verhältnis zwischen Heidegger, der sich dem NS-System andiente und Arendt, die ihn dafür heftig kritisierte, aber nie mit ihm brach, ist seit Langem Gegenstand von Büchern und Debatten. Die Logik der Verknüpfung dieser beiden wichtigen Daten in Arendts Biographie ergibt sich schon daraus, dass auf dem Höhepunkt der Debatte um das Eichmann-Buch die vehementen Kritiker, nicht nur Hans Jonas, Heidegger gegen die Buchautorin ins Feld führten.

Nach dem Motto, wer bei einem Nazi studiert hat, muss zur Israelhasserin werden, findet man in der Auseinandersetzung vor 50 Jahren viele Elemente wieder, die sich heute wiederholen, wenn linke jüdische Intellektuelle die Politik Israels kritisieren. Ein prominentes noch recht aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung um die Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler. Auch ihr wird jüdischer Selbsthass vorgeworfen.

„Hab Geduld mit uns Juden“

Schon in den ersten Minuten des Films deuten sich die intellektuellen Frontverläufe an. Wir sehen Arendts Freunde heftig darüber diskutieren, ob Israel das Recht hat, Eichmann in Jerusalem anzuklagen. Während einige von Arendts Freunden darauf verweisen, dass Israel als Heimstaat der Überlebenden der Shoah dazu legitimiert ist, plädiert Arendts Mann mit antizionistischen Argumenten für eine Anklage vor einen internationalen Gerichtshof.

Hannah Arendt wird in diesem Streit als Zuhörerin gezeigt, die die Argumente beider Seiten abwägt, ohne sich selber zu positionieren. Das ändert sich, als Arendt bei Freunden in Jerusalem angekommen ist, bei denen sie während ihres Prozessbesuches lebt. Hier wird schnell ihre Distanz zum jungen israelischenStaat deutlich. „Hab Geduld mit uns Juden“, bittet ein Verwandter. Sie betonen, dass der Prozess für den jungen Staat wichtig ist. Bis in die frühen 60er Jahre wurde über die Shoah in Israel wenig geredet. Das von der zionistischen Gründergeneration bevorzugte Bild von selbstbewussten, starken Menschen, die den neuen Staat begründeten, war nicht in Übereinstimmung zu bringen mit den Bildern der wehrlosen, gemarterten und getöteten Menschen in den Vernichtungslagern der Nazis und ihrer europäischen Verbündeten. Dass es selbst unter diesen Bedingungen Widerstandsaktionen gab und dass die Juden von ihren Mördern zu Opfern gemacht wurden, wurde in Israel im ersten Jahrzehnt nach der Gründung zum Leidwesen vieler Überlebender zu wenig reflektiert.

Der Eichmann-Prozess war eine Zäsur. Im Film ist in mehreren Szenen zu sehen, wie die Menschen überall in Israel an den Radios das Verfahren gebannt verfolgten. Arendt tat sich schwer, die Artikelserie für The New Yorker fristgerecht abzuliefern. Immer wieder sieht man sie vor Aktenbergen am Schreibtisch ihrer New Yorker Wohnung sitzen. Als sie ihre Arbeit schließlich beendet hatte, kamen vom Verlag sofort erschrockene Rückmeldungen. Man befürchtete, dass der Text einen Skandal auslösen würde, doch die Dimension des Konflikts konnte niemand vorhersehen.

Es waren vor allem drei Textpassagen, die die Kritik hervorrief. Arendt hatte den Judenräten vorgeworfen, mit den deutschen Behörden kooperiert zu haben, und ihnen eine Mitschuld an der Vernichtung gegeben. Zudem bescheinigte sie Eichmann. ein Prototyp der „Banalität des Bösen“ gewesen zu sein, der sich auf Befehle höherer Dienststellen berief und vorgab, nicht selber über diese nachgedacht zu haben. Arendt sah in dieser Unfähigkeit zu denken das Wesen von Eichmanns Persönlichkeit.

„Warum soll ich die Juden lieben, wo ich doch keine Völker liebe“

Im Film wird gezeigt, wie sich langjährige Bekannte, Freunde und selbst Verwandte sich von Arendt abwandten. Ein dramatischer Höhepunkt des Films ist erreicht, als Arendt am Bett des schwerkranken Verwandten sitzt, der ihr demonstrativ den Rücken zukehrt, nachdem er ihr vorgeworfen hat: „Du liebst die Juden nicht.“ Ihre Gegenfrage im Film hört sich fast programmatisch an. „Warum soll ich die Juden lieben, wo ich doch keine Völker liebe? Ich liebe Menschen.“ So würden auch viele linke Israelkritiker heute antworten, wenn ihnen jüdischer Selbsthass oder Feindschaft zu Israel vorgeworfen wird. So kann die Kontroverse um das Buch von Hannah Arendt tatsächlich als Beginn einer Kontroverse zwischen linken jüdischen Intellektuellen und dem Staat Israel gesehen werden, die bis heute andauert. Margarethe von Trotta macht Arendts zur Streiterin für Meinungsfreiheit. Kompromisslos widersetzt sie sich allen Aufforderungen, das Buch zurückzuziehen. An einer Stelle wird dramaturgisch übertrieben, als Arendt bei einem Waldspaziergang von mehreren Männern mit dunklen Brillen angehalten und barsch aufgefordert wird, das Buch zurück zu ziehen. Schnell stellt sich heraus, dass es Mossad-Mitarbeiter sind, die auch gleich erklären, zumindest in Israel werde das Eichmann-Buch nicht erscheinen. Tatsächlich wurde es dort erst im Jahr 2000 verlegt. Die Szene erinnert an staatliche Rollkommandos und scheint schon deshalb übertrieben, weil gleich im Anschluss gezeigt wird, wie Arendt ungehindert zu dem schwerkranken Verwandten nach Israel reist, der ihr wegen des Buches seine Freundschaft aufgekündigt hat.

Der Film dürfte in Deutschland aus den falschen Gründen viel Zustimmung bekommen. So wird es zumindest in großen Teilen der Bevölkerung nicht um die Wiederentdeckung von Hannah Arendt und ihrer radikalen Kritik an der Mehrheit der Deutschen im Nationalsozialismus gehen, wie sie in dem Eichmann-Buch formuliert wird. Sie wird vielmehr als Israelkritikerin gefeiert werden. Diese falsche Eingemeindung erleben linke jüdische Kritiker der israelischen Politik auch heute noch. Da wird dann womöglich Arendt noch mit Günther Grass auf eine Stufe gestellt, was die Politologin nun wirklich nicht verdient hat.

Die Instrumentalisierung von Hannah Arendt begann schon kurz nach der Herausgabe des Eichmann-Buches. Der Verlagsleiter des Piper-Verlag Hans Rößner, der die deutsche Ausgabe des Eichmann-Buches betreute, war während der NS-Zeit SS-Obersturmbannführer und Kulturreferatsleiter im Reichssicherheitshauptamt. Arendt hat davon nie erfahren.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153438
Peter Nowak

Europäische Rechte für Roma und Sinti

Buch zu Erinnerungsarbeit und heutigem Widerstand

Am 24. Oktober, 20 Jahre nach dem Beschluss für die Errichtung, wurde endlich das »Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas« feierlich eröffnet. In dem kürzlich von LLith Bahlmann, Moritz Pankow und Matthias Reichelt herausgegebene Buch „Das schwarze Wasser“ wird noch einmal auf den langen in verschiedenen europäischen Ländern geführten Kampf für die Fertigstellung des Erinnerungsort erinnert. Die Aktionen sind von den Medien in Deutschland kaum wahrgenommen worden. Völlig ignoriert wurde eine Kunstperfomance, mit der die US-Künstlerin De Laine Le Bais am 27.Januar 2012 auf der damaligen Denkmalbaustelle gegen die Ignoranz der politisch Verantwortlichen protestierte. Auch über eine von Romaktivisten aus ganz Europa im Rahmen der diesjährigen Berlin-Biennale am gleichen Ort initiierten Protestkundgebung am 2. Juni dieses Jahres berichten nur wenige Medien, darunter das ND. Am Ende der knapp einstündigen Kundgebung wurden Zettel an dem Bauzaun angebracht, auf denen Angriffe, Brandschläge schwere Körperverletzungen und Morde gegen Roma und Sinti in ganz Europa dokumentiert sind. Die Tatorte befinden sich in Rumänien und Ungarn aber auch in Dänemark, Italien und Frankreich. Der Inhalt der erschreckenden Liste von rassistischem Hass ist in dem Buch auf mehreren Seiten abgedruckt. Das Buch ist aber auch ein Dokument des Widerstands von Romaaktivisten gegen Entrechtung und Diskriminierung. Besonders der Beitrag der ungarischen Kunsthistorikerin Timea Junghaus macht deutlich, dass dabei die europäischen Institutionen und Rechte genutzt werden sollen. In einer von den Romaaktivisten am 2. Juni 2012 angenommenen Resolution wurden Empfehlungen an das Europäische Parlament verabschiedet, in denen es um das würdige Gedenken geht. So soll der 2. August vom EU-Parlament zum Gedenktag für den Massenmord an den Roma im Nationalsozialismus erklärt werden. Zudem sollen an allen Orten der Verfolgung Archive eingerichtet werden, in denen die Entrechtung der Menschen dokumentiert werden. Für die Gegenwart sollen in allen EU-Staaten Gesetze garantieren, dass Roma als gleichwertige Bürger ohne Diskriminierung leben können.
Die europäische Dimension nimmt in mehreren Aufsätzen in dem Buch eine zentrale Rolle ein. Die Historiker Wolfgang Wippermann, Silvio Peritore und Frank Reuter untersuchen hingegen verschiedene Aspekte der NS-Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma. Beeindruckende Fotos von Verfolgung und Widerstand der Sinti und Roma, sowie von dem Denkmal in den verschiedenen Perspektiven und Bauphasen machen das Buch zu einem kleinen Katalog zum Erinnerungsort.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/807975.europaeische-rechte-fuer-roma-und-sinti.html

Peter Nowak

Bahlmann, Lith, Pankok Moritz, Reichelt Matthias, Das schwarze Wasser, Das Denkmal für die Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Berlin 2012, Edition Braus, 96 Seiten, 14,95 EURO, ISBN 9783862280384

„Zeitgemäßes Gedenken nötig“

Linkes Jugendbündnis will im Januar eigene Rosa Luxemburg-Demonstration machen. Fabian Weissbarth von den Jusos über die Gründe
Fabian Weissbarth 25, ist stellvertretender Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Jusos und aktiv beim Bündnis „Dresden Nazifrei“.

taz: Herr Weissbarth, interessieren sich junge Menschen noch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht?

Fabian Weissbarth: Die Beschäftigung mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ist für junge Menschen in unseren Verbänden enorm wichtig. Doch die bisherigen LL-Demonstrationen haben es vielen jungen Leuten schwer bis unmöglich gemacht, sich daran zu beteiligen.

Was stört Sie an der Demonstration, die seit 1990 von Friedrichshain zu den Gräbern der SozialistInnen zieht?

Ein wichtiger Faktor waren im letzten Jahr tätliche Angriffe gegen GenossInnen. Die hatten mit einem Transparent gegen Stalin- und Mao-Bilder protestiert, die auf der Demo gezeigt wurden. Vonseiten der Demoleitung und den meisten TeilnehmerInnen wurden die GenossInnen nicht unterstützt. Jusos, Falken, Naturfreunde-, DGB-Jugend und Solid sind daraufhin unabhängig voneinander zu der Überzeugung gekommen, dass eine Teilnahme an der traditionellen Demonstration nicht mehr möglich ist.

Hat die Demo denn nicht dazu beigetragen, eine öffentlich wahrnehmbare linke Gedenkkultur zu etablieren?

Wir sprechen vielen TeilnehmerInnen nicht ab, dass es ihnen um ein linkes Gedenken geht. Wir wollen mit unserer Initiative dieses Gedenken weiterentwickeln. Dazu ist aber ein Bruch mit autoritären Sozialismusvorstellungen nötig, wie sie im Zeigen von Stalin- und Mao-Bildern auf der Demo deutlich wird.

Sie haben auch Kritik an dem Demo-Aufruf, der den Syrienkrieg kritisiert und dabei vor allem die USA und Israel angreift. Gehören solche Themen nicht zu einer Ehrung der Antimilitaristen Karl und Rosa?

Wir wollen mit einer klassischen Imperialismusanalyse brechen, die mit ihren Vorstellungen vom Feind USA den komplexen weltpolitischen Vorgängen nicht gerecht wird. Menschen mit friedenspolitischen Anliegen sind aber auf unserer Demonstration selbstverständlich willkommen.

Warum haben Sie als AntitraditionalistInnen doch den traditionellen Termin für Ihre Demo gewählt?

Wir wollen mit dem Termin erreichen, dass sich die Menschen bewusst zwischen den beiden Demonstrationen entscheiden. Wir denken aber, dass der Tiergarten, wo Luxemburg und Liebknecht ermordet wurden, ein besserer Bezugspunkt ist als der Friedhof der SozialistInnen, den wir als Teil einer Gedenkkultur ansehen, die viele junge Leute nicht mehr anspricht.

Teile des Vorbereitungskreises der traditionellen LL-Demo haben Sie als „Kinder Noskes“ tituliert. Noske war maßgeblich an der Niederschlagung der Arbeiteraufstände 1918/1919 beteiligt. Müssen Sie nicht kritisch die eigene sozialdemokratische Geschichte aufarbeiten?

Wir sind uns der Problematik unserer sozialdemokratischen Geschichte bewusst – wozu auch Gustav Noske gehört – und setzen uns damit auseinander. Gerade deswegen rufen wir zur neuen Demo auf. Wir erwarten aber auch von dem anderen Bündnis, dass es sich seinerseits kritisch mit der Geschichte des Staatssozialismus und kommunistischer Kämpfe auseinandersetzt.

Bislang haben sich mehrere tausend Menschen an der klassischen Demo beteiligt.

Wir rechnen auch mit einer vierstelligen TeilnehmerInnenzahl. Alle am Bündnis beteiligten Gruppen mobilisieren in ihrem Umfeld, auch bundesweit. Zudem organisieren wir vor der Demo eine Aktionswoche, die auch ein Angebot an die KritikerInnen ist, gemeinsam über ein zeitgemäßes Gedenken zu debattieren. Dass die Diskussion darüber allein durch unsere Initiative schon begonnen hat, sehen wir bereits als Erfolg.

http://www.taz.de/Rosa-Luxemburg-Demonstration-/!107679/
Interview: Peter Nowak

»Es gibt keine Patentlösungen für Opel«


Gewerkschaftsaktivist fordert neue Auseinandersetzung mit dem Kapital statt abstrakter Rettungspläne
GM will das Bochumer Opel-Werk 2016 schließen. Der richtig große Aufschrei bleibt aber bisher aus, kritisiert der ehemalige Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, der in der gewerkschaftlichen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) mitarbeitet.

nd: Die Zukunft des Opel-Werks in Bochum scheint besiegelt. Vor acht Jahren gab es nach Schließungsdrohungen noch spontane Streiks und Demonstrationen. Wie ist die Situation heute?
Alle wissen, dass der Altersdurchschnitt der Beschäftigten bei Opel-Bochum bei über 47 Jahren liegt. Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen. Außerdem hat man nicht mehr die Macht wie 2004, durch Streiks ganz Opel Europa kurzfristig lahmzulegen.

Am Freitag legten 300 Opelaner die Arbeit mehrfach kurzzeitig nieder und es gab Kundgebungen. Was sind die Forderungen?
Die Betriebsratsmehrheit sieht es schon als Erfolg, dass die Gespräche weitergeführt werden. Auch über die Auszahlung der 4,3-Prozent-Tariflohnerhöhung, die Opel wegen »Verhandlungen gestundet worden sind«, soll am 8. Januar weiterverhandelt und das Ergebnis dann der Belegschaft zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem erklärten die Betriebsräte, die Aufsichtsratsversammlung am vergangenen Donnerstag sei ein Erfolg gewesen, weil kein Schließungsplan vorgelegt wurde. Auch das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt.

● Aber alle Redner betonten doch, dass Widerstand gegen die Schließungspläne nötig sei?
Da muss man schon genauer hinhören. Wenn gesagt wird, wir haben jetzt noch vier Jahre Zeit, um Widerstand gegen die Schließung zu leisten, müssen wir fragen, wer dann noch bei Opel ist. Wir waren bei Opel in den letzten Jahrzehnten mit einer Verzichtserklärung nach der anderen konfrontiert. Die Zahl der Arbeitsplätze ist immer mehr geschrumpft, von 19 200 noch im Jahr 1992 auf 3200 jetzt.

● Gab es auch widerständigere Stimmen?
Ja, ein Betriebsrat, der nicht zur Mehrheitsfraktion gehört, hat an die Ford-Kollegen vom belgischen Genk erinnert, die im Oktober wegen des dortigen Schließungsbeschlusses vor dem Kölner Ford-Werk protestiert haben. Er erinnerte daran, dass die Aktion in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt wurde, es sich aber um eine Protestaktion handelte. Der Kollege schloss seine Rede mit dem Satz. »Wer uns wehtut, dem tun wir auch weh« und bekam dafür viel Applaus.

Wie beurteilen Sie die Forderungen der IG Metall?
Der Gewerkschaft wird von der Mehrheit der Belegschaft nicht zugetraut, dass sie bereit ist, den Widerstand über das Opel-Werk hinauszutragen. Dass bestätigt sich, wenn man auf der Homepage der IG Metall die Klage liest, dass das Management die Marke Opel beschädigt hat und ein profitables Opel-Werk gefordert wird. Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten programmiert.

Was fordern linke Gewerkschaftsgruppen wie »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG), die im Werk Einfluss haben?
Es gibt keine Patentlösungen. Forderungen nach Streiks bis zur Rücknahme des Schließungsbeschlusses, die Einführung der 30-Stunden-Woche oder eine andere Produktpalette, wie sie jetzt von linken Gruppen wieder vertreten werden, sind abstrakt richtig, gehen aber an der Realität im Opelwerk vorbei. Denn solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus.

Die GoG diskutiert daher die Forderung: »Die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen.« Schließlich haben die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole »Wir zahlen nicht für Eure Krise« an. Allerdings ist für diese Einstellung das Bewusstsein nicht weit verbreitet

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807574.es-gibt-keine-patentloesungen-fuer-opel.html
Interview: Peter Nowak

„Leiharbeit ist nie gerecht“

»Leiharbeit ist nie gerecht«

Kann man Leiharbeit überhaupt »fair gestalten«? Die IG Metall scheint dieser Auffassung zu sein und fordert mit der Kampagne »Gleiche Arbeit – Gleiches Geld« eine Reform des Arbeitnehmerunterlassungsgesetzes. Karl-Heinz Fortenbacher war vor seiner Pensionierung als Facharbeiter bei Siemens im Großrechnerwerk in Augsburg beschäftigt und dort Betriebsrat der IG Metall. Bis Ende vergangenen Jahres hat er den Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« ehrenamtlich geleitet.

Sie waren in Augsburg an der Gründung eines Stammtisches für Leiharbeiter beteiligt. Worin unterscheidet sich diese Initiative von den Arbeitskreisen der IG Metall?

Einen Leiharbeiterstammtisch gibt es nur in Augsburg. Die Initiative zu der Gründung ging von den Leiharbeitern bei Premium Aerotec (ehemals EADS) aus, die im Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« mitwirkten. Ihnen waren die monatlichen Zusammenkünfte der IG-Metall-Arbeitskreise zu wenig, um im Einsatzbetrieb effektiv zu sein. Ein zweiter ist bei Eurocopter Donauwörth, ein weiterer beim PC-Werk von Fujitsu entstanden. Dort treffen sich alle zwei Wochen vier Leiharbeiter aus der gleichen Schicht. Der Stammtisch ist auch räumlich näher an der Basis als die Arbeitskreise, die sich in den Gewerkschaftsräumen außerhalb der Betriebe treffen, was vielen Kolleginnen und Kollegen die Teilnahme erschwert.

Beteiligen sich auch Betriebsräte an den Arbeitskreisen und dem Stammtisch?

Bei den Stammtischen brauchen die Betriebsräte nicht zu erscheinen, weil dort die Leiharbeiter sich selbst organisieren. Aber ich hätte schon erwartet, dass häufiger Betriebsräte bei den monatlichen Arbeitskreisen auftauchen, um sich über die Probleme zu informieren, mit denen Leiharbeiter konfrontiert sind. Als die Arbeitskreise gegründet wurden, waren noch häufiger Betriebsräte anwesend. Mittlerweile kommen sie nur noch ganz selten.

Es gibt Berichte, wonach Betriebsräte Leiharbeiter abweisen, die bei ihnen Unterstützung suchen. Ein Betriebsrat aus Niedersachsen wird mit dem Satz zitiert, er sei »nur für die Kernarbeiter zuständig«. Kennen Sie aus Ihrem Bereich auch solche Reaktionen?

In einer solch extremen Weise habe ich die Ablehnung von Betriebsräten, sich um die Belange der Leiharbeiter zu kümmern, nicht erlebt. Es ist allerdings bekannt, dass die Betriebsräte eher Kompromisse mit dem Unternehmen suchen. Die Leiharbeiter werden dann oft als Schutz für die Stammbelegschaft gesehen, weil sie angesichts der Krise die ersten sind, die entlassen werden. Allerdings hat sich die Situation gebessert, seit die IG Metall mit der Kampagne zur Leiharbeit begonnen hat. Seitdem sind Betriebsräte in Unternehmen, die Leiharbeiter beschäftigten, aufgefordert, sich auch um deren Belange zu kümmern.

Trotzdem beklagen Leiharbeiter weiterhin, dass die Betriebsräte ihre Interessen ignorieren.

Dass kommt zweifellos immer wieder vor und ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Ein Grund liegt darin, dass eine Interessenvertretung der Leiharbeiter wegen der komplizierten Verträge zeitaufwendig ist. Man muss jeden Vertrag genau lesen, um zu entscheiden, ob die Kollegin oder der Kollege eine Chance hat, die eigenen Interessen durchzusetzen. Manche Betriebsräte haben oder nehmen sich diese Zeit nicht.

Gibt es schon erfolgreiche Kämpfe von Leiharbeitern?

Der Begriff des Erfolgs ist ja immer sehr relativ. Organisierte Kämpfe, etwa Streiks, sind mir bei den Leiharbeitern nicht bekannt. Das ist auch viel zu gefährlich für sie, denn sie können schnell entlassen werden. Aber es gibt Beispiele von individuellen Erfolgen. Ein Leiharbeiter hat zum Beispiel bei Eurocopter mehrere schriftliche Anfragen an seine Leihfirma wegen einer ihm zustehenden Lohnangleichung im Rahmen des Branchentarifs gestellt. Nachdem ein Gesprächstermin so kurzfristig anberaumt worden war, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte, fragte er erneut an. Anschließend wurde er abgemahnt und dann gekündigt. Da er schon vorher bei der IG Metall organisiert war, bekam er Rechtsschutz und klagte auf Wiedereinstellung. Bevor es zum Gütetermin kam, nahm das Unternehmen die Klage zurück. Die finanziellen Forderungen des Kollegen hat es allerdings noch immer nicht anerkannt. Wäre er nicht Gewerkschaftsmitglied gewesen, hätte er wohl weniger Aussicht auf Weiterbeschäftigung beim Entleiher gehabt.

Gibt es auch einen überregionalen Austausch der Leiharbeiter?

Es gab ab 2006 jährlich einen Workshop in Berlin von den Mitarbeitern des Internetprojekts Zoom (http://www.igmetall-zoom.de), an dem zahlreiche Leiharbeiter teilnahmen. Aus Kostengründen hat der Workshop allerdings in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr stattgefunden. Die IG Metall wollte nach meiner Kenntnis dafür 6 000 Euro beisteuern, was eindeutig zu wenig ist. Zudem gab es in ganz Bayern in diesem Jahr zum ersten Mal zwei Treffen bei der IG-Metall-Bezirksleitung, an dem rund 20 Personen teilnahmen. Allerdings waren von den bayerischen IG-Metall-Verwaltungsstellen nur ein Drittel haupt- und ehrenamtliche Vertreter dabei.

Hat der von der IG Metall abgeschlossene Tarifvertrag für Leiharbeiter Fortschritte gebracht?

Der positive Effekt ist, dass es mehr Geld für die Leiharbeiter gibt. Aber wenn es um die konkrete Umsetzung geht, zeigt sich, dass ein Großteil der Betroffenen nichts davon hat. Das liegt an den vereinbarten Fristen. Nach der sechsten vollendeten Woche bekommen die Leiharbeiter 15 Prozent, nach dem dritten vollendeten Monat 20 Prozent, nach dem fünften vollendeten Monat 30 Prozent und so weiter, bis sie nach dem neunten vollendeten Monat 50 Prozent des Lohns der Kernbelegschaft erhalten. Wir haben gefordert, dass Leiharbeiter vom ersten Tag an den Branchenzuschlag bekommen müssen. Denn nach sechs Wochen ist die Kollegin oder der Kollege oft längst wieder aus dem Betrieb und hat damit keinen Anspruch auf den Branchenzuschlag. Nur ein Beispiel aus Augsburg: Dort hat der Weltbild-Verlag für das Weihnachtsgeschäft zahlreiche Leiharbeiter für maximal drei Monate eingestellt. Würde man sich auch auf eine Regelung erst ab der siebten Woche einlassen, kämen diese Kollegen niemals in den Genuss eines Branchenzuschlags.

Sogar die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Vereinbarung kritisiert.

Die Kritik von Verdi ist völlig berechtigt. Sie hat darauf hingewiesen, dass durch den Abschluss der Druck auf die Politik zurückgenommen worden ist. Wir argumentieren immer, dass Leiharbeiter aufgrund der aus dem häufigen Jobwechsel resultierenden Belastungen besser bezahlt werden müssen. Durch diese Stufenregelung wird genau das Gegenteil festgeschrieben. Wer häufig wechselt und mehr belastet wird, geht leer aus. Ohne den Tarifvertrag für Branchenzuschläge wäre der Druck auf die Politik für eine gesetzliche Regelung von equal pay und equal treatment« aufrechterhalten worden. Da wäre vielleicht mehr erreicht worden als durch den IG-Metall-Abschluss.

Die IG Metall wirbt mit der Parole »Leiharbeit gerecht gestalten«. Was ist denn gerecht an der Leiharbeit?

Diese Parole kritisiere ich schon lange. Die IG Metall sollte ihre Forderungen damit begründen, dass die Kollegen mehr Lohn zum Leben brauchen, weil es zwingend notwendig ist. Aber mit Gerechtigkeit haben die Einkünfte in der Leiharbeit nichts zu tun. Davon kann keine Kollegin und kein Kollege auf Dauer leben und bei den geringen Rentenzahlungen ist die Altersarmut vorprogrammiert. Mit dem Argument der Gerechtigkeit bestätigt man nur die zweifellos vorhan­denen Illusionen der Leiharbeiter über das »Normalarbeitsverhältnis«.

Wäre dann nicht »Leiharbeit abschaffen« die richtige Forderung?

Dafür wäre aber nicht die IG Metall, sondern der Gesetzgeber der richtige Adressat, der die Leiharbeit eingeführt hat. Ich finde allerdings die Forderung nach einer Abschaffung der Leiharbeit zu kurz gegriffen. Denn dann sollte das gesamte Lohnsystem in Frage gestellt werden. Solche Überlegungen finden aber weder in den Arbeitskreisen noch bei den Stammtischen besonderen Anklang.
http://jungle-world.com/artikel/2012/50/46770.htm
Interview: Peter Nowak

Politische Streiks in der Krise

Ein Buch über ein potenziell mächtiges Kampfinstrument der Gewerkschaften

Linke in Deutschland sehnen sich nach politischen Streiks. In Südeuropa gibt es sie, durchgesetzt haben sie jedoch kaum etwas. Ein Buch untersucht ihre Möglichkeiten und Grenzen.
Am 14. November streikten erstmals in mehreren europäischen Ländern Gewerkschaften koordiniert gegen die europäische Krisenpolitik. Der Beginn eines neuen Protestzyklus‘? Ein neues Buch zu politischen Streiks im Europa der Krise liefert für die Antwort interessante Hintergründe. Demnach sind die ökonomischen Streiks in den letzten Jahren zurückgegangen, während die politischen Generalstreiks zugenommen haben. Es sind jedoch vor allem Defensivkämpfe, um geplante Verschlechterungen bei Arbeitsbedingungen, Löhnen und Renten zu verhindern.

Ein Beitrag vergleicht die Streikgeschichte von Großbritannien und Frankreich und zeigt deren Grenzen. Auch in Griechenland und Spanien, wo in den vergangenen Jahren die meisten Generalstreiks stattgefunden haben, ist es nicht gelungen, wenigstens Teile des Krisenprogramms zu verhindern. Die Gewerkschafterin Olga Karyoti spricht sogar von »ritualisierten Generalstreiks«, die ohne politische Erfolge zum Rückzug der Aktivisten führten.

Ähnlich selbstkritische Einschätzungen finden sich in den zehn Länderbeiträgen, in denen linke Basisgewerkschafter zu Wort kommen. Sie zeigen, wie in Frankreich die zögerliche Haltung der großen Gewerkschaften die letzten großen Streiks in eine Niederlage führte. In Portugal wiederum wurde der dritte Generalstreik im Januar 2012 von der Masse der Bevölkerung ignoriert. Ein Beitrag liefert darüber hinaus wenig bekannte Informationen über das Streikgeschehen in Rumänien und im ehemaligen Jugoslawien.

Auch das Streikgeschehen in Deutschland wird in dem Buch ausführlich analysiert. So erinnert die Schwäbisch Haller IG-Metall-Chefin Heidi Scharf an vergessene Arbeitskämpfe der letzten Jahrzehnte, die den Charakter politischer Streiks angenommen hatten. Sie seien nur nie als solche benannt worden, wie der frühere IG-Druck-Vorsitzende Detlef Hensche in seinem Beitrag ausführt, weil Streiks für politische Ziele verboten sind. Hensche fordert dazu auf, sich dieses Recht zu erkämpfen.

Das Buch liefert gute Argumente für alle, die politische Streiks für eine wichtige Kampfform halten. Die Länderbeispiele zeigen aber auch, dass Basisorientierung und Kooperation mit sozialen Bewegungen eine Voraussetzung für erfolgreiche Streiks sind.

Alexander Gallas, Jörg Nowak, Florian Wilde (Hrsg.): Politische Streiks im Europa der Krise, VSA-Verlag 2012, 240 S., 14.80 €.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/806623.politische-streiks-in-der-krise.html

Peter Nowak

Da geht ein Mensch

Angelika Wittlichs filmische Hommage an den Schauspieler Alexander Granach

»Granach ist letzte Nacht an einer Blinddarmoperation gestorben.« Mit diesem Telegramm beginnt ein Film über einen der populärsten Schauspieler der Weimarer Republik: Alexander Granach. Gleich seine erste Filmrolle als Hausmeister Knock in Murnaus Nosferatu machte ihn bekannt. Doch der Machtantritt der Nazis beendete die hoffnungsvolle Karriere.
Die Regisseurin Angelika Wittlich hat in ihrer Dokumentation Alexander Granach – Da geht ein Mensch, die diese Woche in die Kinos kommt, das Leben dieses heute weitgehend vergessenen Künstlers nachgezeichnet. Neben Interviews mit Granachs vergangenes Jahr in Israel verstorbenem Sohn Gad stützt sich der Film auf schriftliche Quellen. Noch kurz vor seinem Tod in New York 1945 hatte Granach seine Autobiografie Da geht ein Mensch. Roman eines Lebens fertiggestellt, die posthum im Stockholmer Neuen Exil-Verlag erschien.

Daneben konnte die Filmemacherin auf die umfangreiche Korrespondenz zurückgreifen, die Granach mit seiner Schauspielkollegin und langjährigen Freundin Lotte Lieven geführt hat. Angelika Wittlich hatte gemeinsam mit Hilde Recher die mehr als 300 Briefe bereits 2008 im Ölbaum Verlag als Buch unter dem Titel Du mein liebes Stück Heimat – Briefe an Lotte Lieven aus dem Exil herausgegeben. Es sind Momentaufnahmen großer Verzweiflung angesichts des sich in Europa ausbreitenden Nazismus. Aber immer wieder taucht in den Zeilen auch die Hoffnung auf, dass der Nazispuk ein Ende haben und Granach doch noch einmal durch das Brandenburger Tor spazieren könnte.
Ausschnitte aus der Biografie und den Briefen werden im Film eingestreut, gelesen von dem Schauspieler Samuel Finzi. Sie sorgen für die Lebendigkeit dieser biografischen Reise, die in dem galizischen Dorf Werbiwzi beginnt, das heute in der Ukraine liegt. Dort kam Jessaja Szajko Gronach 1890 in einer armen Bauernfamilie mit neun Kindern zur Welt. Mit zwölf Jahren riss er von zu Hause aus und wurde in damaligen Lemberg Bäckergeselle.

Im Jüdischen Theater der Stadt entdeckte er seine Liebe zur Schauspielerei. Mit 16 Jahren brannte Granach mit der Kasse der Bäckerei nach Berlin durch und tauchte ein in die kosmopolitische Welt des Scheunenviertels. Bald stand er in der deutschen Hauptstadt auf der Bühne, bereit, für seine Karriere die größten Opfer zu bringen. So ließ sich Granach die Beinknochen brechen, um seine O-Beine zu korrigieren. Im Film spricht ein Orthopäde über die Gefahren einer solchen »Schönheitsoperation«.

kiew 1933 gibt Granach am Berliner Staatstheater den Mephisto in Goethes Faust und muss erleben, wie Künstlerkollegen, etwa Veit Harlan, mit dem Naziwimpel am Auto vorfahren. Er geht zunächst ins polnische Exil. 1935 kommt eine Einladung ans JiddischenTheater in Kiew. Er übersiedelt in die Sowjetunion. Schon in der Weimarer Zeit hatte der parteilose Granach in linken Künstlerkreisen verkehrt und war in einem von Erwin Piscator geleiteten politisch engagierten Theater am Berliner Nollendorfplatz aufgetreten.

Doch seine anfänglichen Hoffnungen, in der Sowjetunion ein antifaschistisches deutsches Exiltheater aufbauen zu können, wurden schnell enttäuscht. Wie so viele Emigranten geriet auch er in die Mühlen der stalinistischen Verfolgung und wurde verhaftet. Auf Fürsprache seines Freundes Lion Feuchtwanger kam er frei, konnte die Sowjetunion verlassen und erreichte nach einem Zwischenstopp in der Schweiz, die ihm den Aufenthalt verweigerte, 1938 in die USA.

Auch dort brillierte Granach auf der Bühne. In der Rolle des Fischers Tomasino in dem Stück Eine Glocke für Adano schaffte er den Durchbruch. Eine wegen vieler Termine lange verzögerte Blinddarmoperation kostete ihn 1945 das Leben. Angelika Wittlichs Film ist nicht nur eine Reise durch ein bewegtes Schauspielerleben. Er führt uns auch in eine Welt, die von den Nazis und ihren Verbündeten vernichtet wurde. Fast die gesamte Verwandtschaft von Alexander Granach wurde Opfer der Schoa.

Jüdische Allgemeine, 2.12.2012
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/14585

Peter Nowak

»Briefkopf mit Rechtsabteilung? «

Peter Nowak über Frank Deppe: »Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute«
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Haben die Gewerkschaften als gesellschaftspolitischer Faktor in Zeiten des Postfordismus ausgedient oder könnten sie in Zeiten der Krise wieder an Bedeutung gewinnen? Dieser Frage widmet sich der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe in einem Buch „Gewerkschaften in der großen Transformation“, das kürzlich im Papyrossa-Verlag erschienen ist. Gleich auf den ersten Seiten beschreibt fasst er seine Gewerkschaftsdefinition so zusammen: „Gewerkschaften haben zusammen mit anderen Teilen der Arbeiterbewegung dazu beigetragen, dass Arbeitskraft dekommodifiziert wird, d.h. dass sie eben nicht wie eine einfache Ware behandelt wird, sondern besonderen Schutz erhält. Dieser Schutz wurde und wird – und das macht die Gewerkschaften aus – in solidarischen Formen erkämpft. Das ist die Kernkompetenz der Gewerkschaften und nichts anderes“ (S. 10f.). Können die DGB-Gewerkschaften diese Kernkompetenz im postindustriellen Zeitalter noch einsetzen oder haben sie sich zu einem „Briefkopf-DGB mit angeschlossener Rechtsabteilung“ (S. 54) entwickelt? Diese Frage stellt Frank Deppe zur Diskussion, ohne eine klare Antwort zu geben. Er zeigt, dass der Machtverlust Entwicklung der Gewerkschaften keine ökonomischen Faktoren geschuldete Zwangsläufigkeit, sondern eine Folge politischer Entscheidungen ist, die er in dem Kapitel „Der Umbau der Deutschland-AG“ (S.31 ff) beschreibt. Dabei unterscheidet Deppe durchaus die verschiedenen Epochen, wie den Fordismus und den Rheinischen Kapitalismus, betont aber immer auch die politische Agenda, die dominierend war. So beschreibt er den „Abbruch und Umbau der Deutschland-AG“ (S.37) als politisch vorangetriebene „Radikalkur für den Standort Deutschland“ mit den Elementen „Begrenzung der Masseneinkommen, Einschränkung sozialstaatlicher Leistungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Vorrang betrieblicher Regelungen vor Flächentarifverträgen und die Senkung der Staatsquote“ (ebenda). Diese Transformation ist verbunden mit einer für den „Fordismus charakteristischen Struktur der Arbeiterklasse“ (S. 52) und führt zu Fragmentierung der Lohnabhängigen, was die solidarische Formulierung gemeinsamer Interessen erschwert. Dabei kritisiert er deutlich, dass die Gewerkschaften „eine subalterne Rolle für die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmerauf dem Weltmarkt“ (S. 66) akzeptierten. Dabei geht er hart mit jenen Modernisierern ins Gericht, die schon Anfang der 80er-Jahre für eine Entideologisierung der Gewerkschaftsarbeit eingetreten seien (S.86). Zu ihren Hauptkontrahenten hatte diese Strömung die marxistisch geprägte Marburger Schule erklärt, die sich auf Wolfgang Abendroth bezog und sich für einen verstärkten Klassenkampfbezug in der Gewerkschaftsarbeit einsetzte. Auch Frank Deppe gehörte zu dieser Strömung. Daher kann er wichtige Informationen über die gewerkschaftsinternen Debatten der 70er- und 80er-Jahre liefern. Allerdings war damals die Einordnung der gewerkschaftlichen Erneuerer durchaus komplexer. Schließlich fanden sich dort viele undogmatische Linke, die sich gegen eine linkstraditionalistische Gewerkschaftspolitik wandten, stärker auf die Einbeziehung der Basis eintraten und auch feministische und ökologische Themen ansprachen. Ende der 80er-Jahre wurden manche Protagonisten dieser gewerkschaftlichen Erneuererströmung zu Wortführern des pragmatischen Gewerkschaftsflügels.
Allerdings kritisiert Deppe nicht nur die „Erneuerer sondern auch deren gewerkschaftlichen Kontrahenten“. „Die führenden Köpfe dieser Politik der Konzentration auf das ‚Kerngeschäft‘ (und der Bereitschaft zum ‚Wettbewerbskorporatismus‘) waren in den 70er-Jahren mit kommunistischen Organisationen verbunden oder sie gehörten zum linken Flügel der SPD und kooperierten in den Gewerkschaften mit Kommunisten“ (S. 75), schreibt Deppe über eine Reihe von nach dem Ende des Nominalsozialismus 1989 zu Pragmatikern gewandelten ehemals linken Gewerkschaftern. Interessant etwa zu erfahren, dass auch ein Walter Riester noch Mitte der 80er-Jahre mit DKP-nahen Autoren Bücher über den Kampf um die 35 Stunden-Woche und eine linke Gewerkschaftspolitik herausgegeben hat (S.146f.).

Basisinitiativen vernachlässigt
Während Frank Deppe hier viele Fakten zur jüngeren Gewerkschaftsgeschichte zusammenträgt, wirkt das letzte, mit „Gewerkschaften in Europa“ überschriebene Kapitel eher enttäuschend. Gerade in dem Kapitel, in dem es auch um die Zukunft der Gewerkschaftspolitik geht, bleibt es leider bei – politisch nicht falschen – Allgemeinplätzen. So wirbt er für einen „Pfadwechsel“ (S. 138) hin zu einem sozialen Europa und sieht die Wahl in Frankreich als Wendepunkt. Dabei schreibt Deppe selbst, dass Appelle für ein sozialeres Europa nicht ausreichen und gewerkschaftliche Kämpfe nötig seien (S. 143). Hier wäre ein Hinweis auf kämpferische Basisgewerkschaften in vielen europäischen Ländern am Platz gewesen, die in ihren Streiks und Aktionen explizit das deutsche Sparmodell kritisieren und wie die belgische Gewerkschaft (CSC) mit der Kampagne „Helft Heinrich“ eine Solidaritätskampagne mit den Lohnabhängigen in Deutschland initiierten, die den in Deutschland wachsenden Niedriglohnsektor nicht verhindern konnten. Die Kampagne war auch eine Kritik an den von den DGB-Gewerkschaften mitgetragenen Politik des Lohnverzichts. Mittlerweile wächst die gewerkschaftliche Kritik auch in vielen anderen Ländern wie der erste europäische Generlstreik am 14.November zeigte. Deppe geht auch nicht auf die verschiedenen Sparten- und Basisgewerkschaften ein, die sich mittlerweile außerhalb des DGB organisieren. Trotz dieser kritischen Einwände liefert Deppe eine Einführung in die jüngere Geschichte der deutschen Gewerkschaften.

Frank Deppe: „Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute – Eine Einführung“, Papyrossa-Verlag, Neue Kleine Bibliothek 184, 148 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3-89438-497-5

aus: „express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ 11-12/2012
http://www.labournet.de/express/index.html
Peter Nowak

Zwei große Familien

Unter den Büchern, die sich in der letzten Zeit mit der kommunistischen Geschichte jenseits von nostalgischen Avancen an den untergegangenen Nominalsozialismus beschäftigen, ragt der von Philippe Kellermann herausgegebene Band »Anarchismus, Marxismus, Emanzipation« heraus. Dort sind Gespräche des Herausgebers mit Menschen abgedruckt, die sich in den letzten Jahren mit der Rekonstruktion linker Geschichte und Gegenwart befasst haben. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob sich KommunistInnen und AnarchistInnen heute noch als feindliche »ideologische Familien« gegenüberstehen, »die sich niemals richtig verständigen konnten«, wie es Michel Foucault 1981 beschrieben hat, oder ob sich diese Frontstellung nach 1989 aufzulösen beginnt.
Kellermanns Methode, diese Fragen im Dialog mit unterschiedlichen GesprächspartnerInnen zu erörtern, ist reizvoll. Der Herausgeber hat sie nach dem Kriterium ausgewählt, dass sie sich Themen linker Geschichte und Gegenwart aus einem marxistischen Blickwinkel nähern. Doch ihre Herangehensweise ist denkbar unterschiedlich. Bini Adamczak ist als Herausgeberin zahlreicher Bücher über Geschichte und Aktualität des Kommunismus wohl am bekanntesten. Hendrik Wallat ist das Verdienst zuzuschreiben, mit dem in der Edition Assemblage herausgegebenen Buch »Staat oder Revolution« Texte zur lange verschollenen linken Bolschewismuskritik wieder zugänglich gemacht zu haben. Der Basisgewerkschaftler Jochen Gester, der nach seinen Erfahrungen mit dem KBW eine Abneigung gegen hierarchische Organisationen hat, sieht heute die Rolle linker Einzelpersonen und Initiativen in der Unterstützung von Menschen, die sich organisieren. »Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum undogmatische AnarchistInnen und kritische MarxistInnen dies nicht gleichermaßen überzeugend praktizieren können«, schreibt Gester.
Auch der emeritierte Politikwissenschaftler Joachim Hirsch lehnt es ab, sich im Koordinatensystem Anarchismus versus Marxismus zu verorten, betont aber, was für eine linke Bewegung vom Anarchismus zu lernen wäre: »… dass soziale Emanzipation nicht von Avantgarden, Parteien und Staaten ausgehen kann, sondern eine unmittelbare Angelegenheit der Menschen sein muss.«
Mit dem ak-Autor Gerhard Hanloser setzt sich Kellermann auch kritisch über Theorie und Praxis des Anarchismus auseinander. Ausgangspunkt ist das in anarchistischen Kreisen kontrovers diskutierte Buch »Gegen die Arbeit« von Michael Seidmann. Dieser bescheinigt den spanischen AnarchosyndikalistInnen, als AnhängerInnen einer produktivistischen Ideologie viele Gemeinsamkeiten mit den KommunistInnen gehabt zu haben. Hier bekundet Hanloser, er habe ein »Verständnis für die Situation der Arbeiteranarchisten, die ja meistens noch nicht voll von der Basis abgekoppelte Kader waren, entwickelt, ein Verständnis, das ich merkwürdigerweise keinem Industrialisierungsapostel des ML entgegenbringen würde«. Hier wären weitere kritische Nachfragen interessant gewesen. Denn die Probleme, vor denen diese ArbeiteranarchistInnen standen, sollte man den meisten KommunistInnen in der Sowjetunion und den anderen nominalsozialistischen Ländern zumindest in den Anfangsjahren auch zugestehen.
Hier wird ein Schwachpunkt des Buches deutlich. Kellermann wie seine GesprächspartnerInnen behandeln die Bolschewiki und die sich auf sie beziehenden KommunistInnen als TäterInnen, die sich rechtfertigen müssen, warum sie den hehren Thesen und Vorstellungen der TheoretikerInnen nicht gerecht geworden sind. Dass sie als handelnde Subjekte unter objektiven Bedingungen agierten, die sie sich nicht ausgesucht haben, wird dabei fast komplett ausgeblendet.
Hieraus ergeben sich in einigen Formulierungen auch totalismustheoretische Anklänge. Wenn Hendrik Wallat Kolyma, den Ort stalinistischer Verfolgung, neben Auschwitz stellen will, wird der Unterschied zwischen politischer Verfolgung und Massenvernichtung verwischt. Diese und viele andere in dem Buch aufgeworfene Probleme verdienen eine gründliche Debatte.

Philippe Kellermann (Hg.): Anarchismus, Marxismus, Emanzipation, Gespräche über die Geschichte und Gegenwart der sozialistischen Bewegungen. Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2012. 166 Seiten, 10 EUR.
http://www.akweb.de/
aus: ak – analyse & kritik Nr. 577, 16.11.2012

Peter Nowak

„Berlin spürt die Folgen der Krise“

Doro Zinke ist Vorsitzende des DGB, Bezirk Berlin-Brandenburg. Der Gewerktschaftsbund ruft am 14. November um 14 Uhr auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Nein zur sozialen Spaltung Europas“ zu einer Solidaritätskundgebung mit den Generalstreik auf, zu dem an diesen Tag Gewerkschaften in Italien, Spanien, Portugal, Malta, Zypern und Griechenland gegen die europäische Krisenpolitik aufrufen. Auf dieser Kundgebung spricht auch eine Vertreterin des Griechenlandsolidaritätskomitees, in dem zahlreiche linke Gruppen vertreten sind. Das Bündnis organisiert eine Demonstration, die im Anschluss an die DGB-Kundgebung um 16:30 auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Gemeinsam gegen die Krise kämpfen“ beginnt.

Der DGB ruft am heutige Mittwoch zu einer Solidaritätskundgebung für die von der Eurokrise gebeutelten EU-Länder auf. Warum?

taz: Frau Zinke, was sind die konkreten Forderungen des DGB-Berlin-Brandenburg?
Doro Zinke: Die EU konzentriert sich einseitig auf die Ökonomie, die Europäische Union braucht aber auch ein soziales Gesicht: dazu gehören Beschäftigungsprogramme für Jugendliche genauso wie eine intensive Bekämpfung des Lohndumping europaweit und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Damit können auch öffentliche Dienstleistungen bezahlt werden, die ein Stück Lebensqualität sichern helfen.

In dem Aufruf wird auch vor der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten gewarnt. Gibt es dafür Beispiele und gibt es die auch in Deutschland?
In Spanien und Griechenland werden die Gewerkschaftsrechte eingeschränkt und in Großbritannien der Gang zum Arbeitsgericht für Beschäftigte erschwert. Die Einführung des Niedriglohnsektors in Deutschland drückt auf die Löhne und damit auf die Tarifpolitik der Gewerkschaften. Das ist eine subtile Form von Einschränkung, die sich natürlich auch in Berlin auswirkt.

Hat der sich in den letzten Jahren in Deutschland massiv entwickelnde Niedriglohnsektor nicht mit zur Krise in Europa beigetragen?
Der Niedriglohnsektor führt zur Lohndrückerei. Wer jahrzehntelang für wenig Geld schuften musste, kann kaum etwas zusätzlich für die Rente ansparen. So wird Altersarmut programmiert. Leben am Rande des Existenzminimums verletzt die Menschenwürde! Wenn ich die Aufstockung meines Lohnes durch Steuergeld benötige, zeigt das das Dilemma auf: wir Steuerzahler subventionieren Jobs und Geringverdienern wird das Gefühl vermittelt, ihre Arbeitskraft sei nichts oder nur wenig wert.


Wie stark ist bei den DGB-Mitgliedern das Bewusstsein einer Notwendigkeit der Solidarität mit Streiks in anderen EU-Ländern?

Der DGB hat acht Mitglieder: die Einzelgewerkschaften. Deren Mitglieder haben in vielen Fragen fast genau so unterschiedliche Bewusstseinslagen wie der Rest der Bevölkerung. Die meisten Menschen in Deutschland können sich gar nicht vorstellen, was die Politik der Troika in Griechenland bedeutet: dass Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden, der Arbeitgeber einseitig Lohnkürzungen vornehmen darf, kein Geld mehr da ist für Milch für die Kinder, Renten halbiert wurden. Und dass alle diese Schweinereien an der Verschuldung des Landes nichts ändern, sondern das Land immer stärker an den Rand des Abgrunds treibt.

Im Anschluss an die DGB-Kundgebung plant ein linkes Bündnis eine Solidaritätsdemonstration. Gibt es Kontakte zu beiden Aktionen?
Ein Vertreter des Griechenland-Solidaritäts-Komitees wird auf der DGB-Kundgebung sprechen und eine Gewerkschaftskollegin auf der Abschlusskundgebung der Solidaritäts-Demonstration.

Soll die Kundgebung der Beginn weiterer Solidaritätsaktionen mit den KollegInnen in anderen europäischen Ländern sein?
Das können wir jetzt noch nicht sagen. Es hängt davon ab, was unsere internationalen Organisationen von uns erwarten und die deutschen Gewerkschaften für realistisch halten.
Interview: Peter Nowak