Wenn so viel von einer europäischen Lösung in der Flüchtlingsfrage  die Rede ist, hat das nichts mit Humanität und Wilkommenskultur zu tun
Besser kann man den  Hegemonieverlust Deutschlands in der EU nicht dokumentieren. Am Montag  hieß es, dass Merkel auf dem EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise einen Passus  in der Abschlusserklärung verhindert hat, der eine Schließung der  Balkanroute festschreiben sollte. Es waren vor allem ost- und  südosteuropäische Staaten, die darauf drängten. Nun haben diese Staaten  die Balkanroute zumindest kurzfristig einfach ohne den Passus in der  Erklärung dichtgemacht.
Für Angela Merkel mag es ein Affront sein, für die griechische  Regierung eine Brüskierung.  Für Tausende von Migranten, die in  Griechenland gestrandet sind,  ist diese Entwicklung aber eine  Katastrophe.  Schließlich haben sie und ihre Angehörigen oft viel Geld  ausgegeben, um in den europäischen Kernländern ein besseres Leben zu  beginnen. Nun sollen sie in Griechenland bleiben oder sogar wieder  zurückgeschickt werden.
Doch bei der Auseinandersetzung um die Schließung Balkanroute ging es  nie um den Kampf zwischen einer  humanistischen Willkommenskultur   versus einer harten Abschreckungspolitik, wie es die Freunde und Gegner  von Merkel immer wieder behaupten. Auch nach dem Gipfel wiederholten  sie, dass Merkel angeblich für die Humanität gekämpft hat.  Da ist die  Einschätzung der globalisierungskritischen Organisation Attac schon  realitätsnäher, wenn sie als Ergebnis des Gipfels zusammenfasst [1]:
„Merkel treibt hinter den Kulissen Abschottung Europas voran. Die  Grenzen entlang der Balkanroute sind nahezu dicht. Nun sollen  Flüchtlinge, die es unter Lebensgefahr über das Meer nach Griechenland
geschafft haben, in die Türkei zurückgeschickt werden“, erklärt Attac-Sprecher Thomas Eberhardt-Köster.
Auch zahlreiche Flüchtlingsorganisationen sehen in den Plänen, die  Türkei zum Vorposten der Festung Europas zu machen, einen Verstoß gegen  internationale Regelungen. Dabei wird besonders auf die  autoritäre  Verfasstheit des Erdogan-Regimes verwiesen. Tatsächlich wird im Umgang  mit der Türkei besonders prägnant deutlich, dass die europäischen Werte  nicht weiter als die Bemäntelung einer EU-Interessenpolitik sind.
Dabei ist  viel zitierte „europäische Lösung“ in der  Flüchtlingspolitik, die vor allem Merkel in den letzten Wochen immer  wieder betonte, genau diesen Vorgaben verpflichtet. In der aktuellen  Ausgabe der   Zeitschrift für Bürgerrechte & Polizei Cilip [2] mit dem Schwerpunktthema Europas Staatsgewalten gegen Migration [3] haben mehrere Autorinnen und Autoren klar herausgearbeitet, wie die  EU-Politik seit Jahren gegen Migranten gerichtet ist. Bereits in der  Einleitung skizziert der Publizist Heiner Busch die  EU-Abschreckungspolitik gegen Migranten in den letzten Jahren, die ohne  die Hilfe von Staaten jenseits der EU nicht möglich geworden.
„Das war in den 1990er Jahren so, als Polen, Tschechien, die Slowakei  und Ungarn zu Pufferstaaten gemacht wurden bzw. sich machen ließen. Das  geschah in den 2000er Jahren, als die Staaten des Maghreb diese Rolle  im Mittelmeer übernahmen. Die gegenwärtige diplomatische Offensive  richtet sich  sowohl an die Transitländer als auch an die  Herkunftsländer derjenigen, denen die EU keinen Schutz gewähren will.  Die Ziele und Mittel sind weitgehend die gleichen wie in früheren  Phasen: Von den Partnern wird erwartet, dass sie Rückführungsabkommen  mit der EU abschließen und diese dann auch einhalten“, resümiert Heiner  Buch.
Dabei scheinen sich nur noch weinige daran zu erinnern, dass damals  die deutsch-polnische Grenze eine Gefahren- und manchmal auch eine  Todeszone für Migranten  war. Die Antirassistische Initiative Berlin [4] hat ihre alljährlich aktualisierte Dokumentation der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik und ihrer tödlichen Folgen [5] schließlich begonnen, als Migranten aus Asiaten in der Neiße ertrunken waren und ihr Angehörigen diese suchten.
Zur Flüchtlingsabwehr hatte die EU auch Verträge mit Lybien unter  Gaddafi abgeschlossen. Er verpflichtete, sich Migranten aus Afrika  festzuhalten. Nach Angaben von Betroffenen hatten sie aber damals dort  ein leidlich gutes Auskommen. Bedrohlich wurde ihre Lage erst nach dem  Sturz von Gaddafi. Denn die neuen Eliten, die nun um die Macht im Land  stritten, warfen Gaddafi vor, sich zu stark panafrikanisch ausgerichtet  zu  haben und  auch im Innern keine explizit gegen Schwarzafrikaner  gerichtete Politik gemacht zu haben.  Dass änderte sich mit dem Sturz.
Viele der dann aus Lybien Geflüchteten schlossen sich in der Gruppe Lampedusa in Hamburg [6] und Lampedusa in Berli [7]n  zusammen, kämpften in Deutschland um ihre Rechte und berichteten  differenziert über ihre Erlebnisse in Lybien, die sich von den  Horrorberichten über die Gaddafi-Herrschaft doch unterschieden.
Wenn aus Flüchtlingshelfern Schlepper werden
Was die unterschiedlichen Beiträge des Cilip-Heftes verdeutlichen,  sind die jahrelangen umfangreichen Bemühungen der EU, sich gegen  Migranten abzuschotten. Dafür wird die Grenzschutzorganisation  Frontex   ebenso ausgebaut, wie die Aktionspläne gegen sogenannte Schlepper, über  die der Publizist Matthias Monroy berichtet.  Er zeigt an zahlreichen Beispielen [8] auf, wie aus Fluchthelfern Schlepper werden, die dann auch juristisch verfolgt werden.
So haben die österreichische und die deutsche Justiz Ermittlungen  gegen Menschen aufgenommen, die Migranten im Rahmen eines  Refugee-Convois über die Grenze geleitet hatten. Auch die Webseite Fluchthelfer.In [9], die vom Peng-Kollektiv [10] initiiert wird, ist Gegenstand juristischer Ermittlungen geworden. In den letzten Wochen wird gegen Rettungsschwimmer ermittelt [11], die in Griechenland Migranten vor dem Ertrinken bewahrt haben.
Hier zieht sich eine Linie der Repression gegen  Menschen, die die  Festung Europa etwas durchlässiger machen wollen. Monroy zeigt auch auf,  das mittlerweile die Internetseiten, auf denen sich Migranten für ihren  Transit Informationen holen, im Visier der Ermittler sind. Zudem  wachsen die Datenbanken,  in denen vermeintliche Fluchthelfer  gespeichert sind. In anderen Datenbanken werden Informationen  über die  Migranten gesammelt.
Auch diese Maßnahmen dienen der Flüchtlingsabwehr. Die Beiträge in  der Cilip machen noch einmal deutlich, dass die europäische Lösung in  der Flüchtlingsfrage sich nur graduell vom Modell Orban unterscheidet.  Merkel will die Grenze möglichst aus dem Schengenraum nach Außen  verlagern. Hier bestehen auch die Differenzen zwischen ihr  und einigen   südosteuropäischen Staaten.  Doch das gemeinsame Ziel, Flüchtlinge aus  Europa rauszuhalten, teilen beide Seiten.
http://www.heise.de/tp/news/Ziel-der-EU-Politik-ist-Fluechtlingsabwehr-3131204.html
Peter Nowak
Links:
[1]
http://www.attac.de/index.php?id=394&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=8615
[2]
https://www.cilip.de
[3]
https://www.cilip.de/2016/02/01/109-januar-2016-europas-staatsgewalten-gegen-migration/
[4]
http://www.ari-berlin.org/index.html
[5]
http://www.ari-berlin.org/doku/titel.htm
[6]
https://www.facebook.com/lampedusainhamburg
[7]
https://www.facebook.com/lampedusainberlin/
[8]
http://www.heise.de/tp/news/Repression-gegen-Fluchthelfer-2838008.html
[9]
https://www.facebook.com/fluchthelfer.in/
[10]
https://www.facebook.com/pengcollective
[11]
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47225/1.html