Wolfgang Benz (Hg.): Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen. Metropol, 328 S., geb., 24 €.

Mehr als nur eine »Causa Mbembe«

Im vorgestellten Buch setzt sich Benz in einem Kapitel auch mit der Frage auseinander, ob es in der DDR Judenfeindschaft gegeben habe. Er bejaht dies, betont aber zugleich, dass die DDR kein antisemitischer Staat gewesen sei. Problematisch in der DDR sei allerdings die durchgängig ablehnende Haltung gegenüber Israel und die einseitige Parteinahme für die Palästinenser*innen gewesen. Auch dass man Antisemit*innen nur in der BRD verortet habe, sei falsch gewesen.

Ist der Philosoph und Historiker Achille Mbembe ein Antisemit? Diese Frage beschäftigte für einige Wochen Medien und Politiker*innen hierzulande. Seine Texte wurden inspiziert; es hagelte Proteste weil er die Ruhrtriennale eröffnen sollte, die wegen der Coronakrise dann sowieso abgesagt werden musste. »Als diese Debatte begann, hatten wir unser Buch eigentlich schon abgeschlossen«, sagte der Historiker …..

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Das Kapern von „Political Correctness“ und „Gutmensch“

Wenn Begriffe von rechts besetzt werden und die gesellschaftliche Debatte mitbestimmen

Der Aufstieg der AFD, Blockadeaktionen vor Flüchtlingsunterkünften, Pegida- und „Nein-zum-Heim-Demonstrationen“ auch in kleinen Städten lassen keinen Zweifel, dass die rechte Bewegung in den letzten Monaten auch in Deutschland einen Aufschwung erlebt. Dabei ist ihr es gelungen, über ihre kleinen rechten Zirkel hinaus auch in Bevölkerungskreise einzuwirken, die sich nicht zur extremen Rechten zählen würden.

Das zeigt sich daran, dass Menschen sich mit Schildern wie „Wir sind besorgte Bürger und keine Nazis“ an Demonstrationen beteiligen, die von bekannten Exponenten der extremen Rechten organisiert werden. Doch der Einfluss der Rechten zeigt sich auch der Ebene der Gespräche und Debatten. So werden Formulierungen, die ursprünglich von der extremen Rechten verwendet wurden, auch in Kreisen übernommen, die mit dieser politischen Richtung nichts zu tun haben.

Auf diese bisher zu wenig beachteten rechten Erfolge auf der Ebene der Sprache und Diskurse macht das Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe[1] aufmerksam. Es ist als Kooperationsprojekt des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf entstanden.

Beide wissenschaftlichen Institutionen forschen seit längerem zur Frage, wie rechte Kreise mit der Schaffung von Kampfbegriffen die gesellschaftliche Debatte bestimmen. 20 Autorinnen und Autoren stellen in informativen Aufsätzen 25 Begriffe vor, die in der rechten Debattenkultur aktuell eine Rolle spielen.

Unterschiedliche Typen von rechten Kampfbegriffen

Dabei unterscheidet Mitherausgeber Fabian Virchow[2] verschiedene Typen von rechten Kampfbegriffen, die unterschiedliche Funktionen haben, deren Abgrenzung aber nicht immer möglich ist. So gibt es Begriffe, die den politischen Standort markieren sollen.

Als Beispiel führt Virchow „Schuldkult“ an, ein Begriff, mit dem die extreme Rechte Gedenkveranstaltungen zu den NS-Verbrechen abwertet und verhöhnt. Andere Begriffe waren nach dem Nationalsozialismus in großen Teilen der Gesellschaft mit Recht tabuisiert und werden in letzter Zeit von den Rechten wieder reaktiviert. Dazu gehören Begriffe wie „deutsche Volksgemeinschaft“ oder der Verweis auf ein imaginiertes Tausendjähriges deutsches Reich.

Vor einiger Zeit waren sie Codes kleiner rechter Zirkel. In den letzten Monaten wurden sie von Rechtsaußenpolitikern der AfD wie Björn Höcke in Reden vor Tausenden Menschen verwendet.

Eine dritte Gruppe von Begriffen verweist eigentlich auf Politikvorstelllungen, die nichts mit rechtem Gedankengut zu tun haben. Doch im aktuellen rechten Diskurs werden Termini wie Freiheit und Demokratie immer dann verwendet, wenn es darum geht, „Volkes Stimme“ gegen die „abgehobenen Politiker“ oder die Eliten in Stellung zu bringen. Darauf gehen Bernhard Steinke und Fabian Virchow ein.

Von der linken Kritik zum rechten Kampfbegriff

Eine weitere Begriffsgruppe, die im Handbuch untersucht wird, ist ebenfalls außerhalb rechter Kreise entstanden, wurde aber mittlerweile von rechts gekapert. Dazu gehört „Political Correctness“ oder „Gutmensch“. Als letzterer Begriff vom Satiriker Wiglaf Droste vor 20 Jahren verwendet wurde, wollte er damit eine verspießerte Linke kritisieren[3].

Mittlerweile sind sie zu rechten Kampfbegriffen mutiert, mit denen alle belegt werden, die für eine egalitäre Gesellschaft eintreten und nicht der Meinung sind, dass Grundrechte eine Frage der Hautfarbe, des Geschlechts oder der Herkunft sind. Auch der Begriff der „Islamisierung“ machte eine Wandlung durch. Noch vor einem Jahrzehnt war er mit der Kritik säkularer Kräfte am religiösen Machtanspruch verbunden.

Eine solche Kritik ist eigentlich heute noch genau so aktuell.  Doch mittlerweile wurde Islamismus zu einem rechten Kampfbegriff. Deutlich wird in dem Handbuch auch herausgearbeitet, dass solche Kampfbegriffe oft auch in rechten Kreisen umstritten sind. So hat der Begriff des Abendlandes mit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung und ihrer Ableger eine neue Renaissance erfahren.

Dabei sind sich die Teilnehmer dieser Aufmärsche nicht einig, wer eigentlich zu dem Abendland gehören soll, das sie retten wollen. Soll es ein rein christliches Abendland oder ein jüdisch-christliches Abendland sein?

Der letzte Begriff wird auch von Ultrarechten gerne angeführt, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu immunisieren. Der Wissenschaftler Wolfgang Benz betont, dass es historisch ein christlich-jüdisches Abendland nie gegeben hat. Lange Zeit wurde vielmehr der Begriff des Abendlandes zur Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden benutzt.

Neonazikreise träumen sogar von einen vorchristlichen, heidnischen Abendland. Die Differenzen werden auf den Pegida-Aufmärschen nicht ausgetragen, weil der Begriff Abendland ein Platzhalter ist. Die einen kommen mit einem Christenkreuz, die anderen tragen T-Shirts mit dem Motto  „Odin statt Jesus“ und zwischendrin verirrt sich auch noch jemand mit einer Israelfahne in den Aufmarsch. Die Verbreitung des Abendland-Begriffs beschränkt sich nicht nur auf die extreme Rechte.

So titelte die FAZ im Jahr 2007 „Stehen Moscheen für eine neue byzantinische Gefahr?“ Im Text hieß es: „Sollte das Abendland also doch untergehen und jedes neue Minarett zum Wegweiser der Welt von morgen werden.“ Auch der in rechten Kreisen so populäre Begriff „der 68er“, die dort für alle Erscheinungen der Moderne verantwortlich gemacht werden, die sie hassen, hatte bereits vor 30 und 40 Jahren in großen Teilen der Unionsparteien eine ähnliche Funktion.

Besonders in den späten 1970er Jahren wurden die 68er und speziell auch die Theoretiker der Frankfurter Schule für linke Gewalt, für eine freche Jugend, die Libertinage und vermehrten Drogenkonsum verantwortlich gemacht. So kann auch an den Wandlungen und Kontinuitäten der rechten Begriffsbildung verdeutlicht werden, dass das Milieu, das heute AfD wählt oder zu Gida-Aufmärschen geht, durchaus nicht so weit weg von der Union ist, wie wir sie noch in der Kohl-Ära kannten.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47765/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.disskursiv.de/2015/10/26/neuerscheinung-handwoerterbuch-rechtsextremer-kampfbegriffe

[2]

http://soz-kult.hs-duesseldorf.de/virchow

[3]

http://www.deutschlandradiokultur.de/gutmenschen-eben-mal-die-welt-retten.976.de.html?dram:article_id=294305