Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit

ARBEIT Die Freie Arbeiter Union (FAU) setzt sich für rumänische Bauarbeiter ein. Nun bekommt sie Ärger

Seit mehreren Wochen unterstützt die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) 20 rumänische Bauarbeiter, die über eine Leiharbeitsfirma bei der Mall of Berlin beschäftigt waren und um einen Großteil ihres Lohns geprellt wurden. Bei Kundgebungen wurde von den ehemaligen Beschäftigten auch auf die Verantwortung des ehemaligen Generalunternehmens der Mall of Berlin, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, hingewiesen.

Jetzt hat deren Inhaber Andreas Fettchenhauer in einer der taz vorliegenden Einstweiligen Verfügung der FAU verboten zu behaupten, dass sie sich mit seiner Firma in einem Arbeitskampf befindet. Ebenfalls untersagt wurde ihr, den Eindruck zu erwecken, Fettchenhauer habe im Zusammenhang mit dem Arbeitskonflikt „eine große negative Öffentlichkeit erhalten“. Bei einer Zuwiderhandlung droht der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro und den Verantwortlichen eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten. Die FAU Berlin musste Texte auf ihrer Homepage ändern.

„Einstweilige Verfügungen sind ein gängiges Mittel gegen Gewerkschaften“, erklärt die FAU-Sekretärin Nina Matzek und spricht von einem Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Sie kritisiert, dass ein Richter die Einstweilige Verfügung erlassen hat, ohne der Gewerkschaft Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Dann hätte sie auf das kritische Pressecho zur Mall of Berlin ebenso wie auf die aktuelle Rechtslage hinweisen können. „Die rechtliche Situation sieht vor, dass, wenn ein Subunternehmen nicht bezahlt, die Auftraggeber für die ausstehenden Löhne haften“, erklärt auch der Pressesekretär der FAU-Berlin, Stefan Kuhnt. Unterstützung bekommt die FAU von der Sprecherin für Soziale Menschenrechte der Bundestagsfraktion, Azize Tank (Linke): „Es ist kein Geheimnis, dass seit Wochen ein Arbeitskampf der rumänischen Bauarbeiter geführt wird. Nach meinem Kenntnisstand wurden sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. Ich werde mich weiterhin um Aufklärung bemühen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F01%2F19%2Fa0094&cHash=8127f4f6fbd56442433cb6e5dcf4cf25

Peter Nowak

Naziaufmarsch gestoppt

Flüchtlingsfeindliche Demonstranten konnten nur wenige hundert Meter laufen

Bündnis »Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)« ist zufrieden mit zivilgesellschaftlichem Engagement, unzufrieden mit Polizeigewalt bei Auflösung der Blockaden.

Einige hundert Bürger hatten sich am Sonnabend in der Nähe des Frankfurter Kleistforums zur Blockade eingefunden. Schnell bildete sich eine Traube von Menschen um drei Frauen und zwei Männer, die mit Flöte, Violine und Geige für gute Stimmung sorgten.

Viele trugen selbstgemalte Schilder, auf denen sie klarmachten, was sie von den Rechten halten, die sich einige Hundert Meter entfernt am Hauptbahnhof versammelten. Viele zeigten den Slogan: »Alle Menschen sind Ausländer, fast überall.« Dieser Spruch war auch auf einen Transparent am Rathaus zu lesen. Junge Antifaschisten, die mit dem Bus aus Neuruppin angereist waren, warben für eine antifaschistische Demonstration in ihrer Stadt am 6. Juni. An diesem Tag planen Neonazis den in Neuruppin sogenannten Tag der deutschen Zukunft.

Am Sonnabend in Frankfurt (Oder) beteiligten sich auch viele ältere Menschen an den Gegenaktionen. »Hier zeigt sich, dass der vielgeschmähte verordnete Antifaschismus aus DDR-Zeiten bei vielen Menschen Wirkung gezeigt hat«, erklärte ein Mann. Auch ein kleiner studentischer Block hatte sich zur Blockade am Bahnhof eingefunden. Fahnen der Jusos waren dort ebenso zu erblicken wie die der Studentenvereinigung dielinke.SDS. Nicht zu übersehen mit ihren Fahnen in den vorderen Reihen die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. »Wir stehen hier für ein weltoffenes Frankfurt und weil wir verhindern wollen, dass Neonazis durch Frankfurt ziehen«, erklärte ver.di-Bezirksgeschäftsführer Frank Ploß. Die Kollegen haben sich bewusst für die Blockade entschieden, um die Rechten aufzuhalten, sagte er.

Zur Mobilisierung für die Blockaden war vom Bündnis »Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)« Material in deutscher und polnischer Sprache verbreitet worden. Dem Bündnis zufolge beteiligten sich etwa 800 Menschen an den Protesten, mit dabei Finanzminister Christian Görke und Justizminister Helmuth Markov (beide LINKE), die Polizei sprach von 700. Der flüchtlingsfeindliche Nazisaufmarsch wurde laut Polizei von 160 Personen besucht, darunter in der Region bekannte Neonazis und der Bruder eines Angeklagten im NSU-Prozess. Ihr Motto lautete: »Frankfurt (Oder) wehrt sich! Stopp den Asylmissbrauch.« Im Internet prangte dazu die mit »ein deutscher Mensch« unterschriebene Erklärung: »Ich distanziere mich hiermit von allen Idioten, die für Ausland und Ausländer mehr übrig haben als für das Wohl des eigenen Landes und Volkes.« Zwei Schüler wollten sich dem Aufmarsch anschließen, »mit den Asylanten kann es so nicht weitergehen«, lautete ihre Begründung.

Nur einige hundert Meter konnten die Rechten laufen, bis sie umkehren mussten. Zufrieden äußerte Janek Lassau, der Sprecher des Bündnisses »Kein Ort für Nazis«: »In Frankfurt hat sich erneut die Stärke der antifaschistischen Zivilgesellschaft gezeigt.« Vor einigen Wochen konnte bereits ein Aufmarsch gegen Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt blockiert werden. Kritik übte Lassau an übertriebener Gewalt der Polizei bei der Auflösung einiger Blockaden, die es den Nazis ermöglichte, zumindest eine kurze Strecke zu marschieren. Dabei sei es sogar zu Übergriffen auf den Lautsprecherwagen der Nazigegner und auf das Kommunikationsteam gekommen, das bei Konflikten vermitteln soll.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/958853.naziaufmarsch-gestoppt.html

Peter Nowak

Pegida ist Sarrazin in der Praxis

»Mall of Berlin« gegen die FAU

Unternehmer erwirkt Einstweilige Verfügung gegen Gewerkschaft

Die FAU, die sich nach eigenen Angaben für um den Lohn geprellte Arbeiter einsetzt, darf öffentlich keine Kritik mehr am Bauherren der »Mall of Berlin« üben.

Seit mehreren Wochen unterstützt die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) acht rumänische Bauarbeiter, die über eine Leiharbeitsfirma bei der »Mall of Berlin« beschäftigt waren und um einen Großteil ihres Lohns geprellt wurden. Bei Kundgebungen wurde von den ehemaligen Beschäftigten auch auf die Verantwortung des ehemaligen Generalunternehmens der Mall of Berlin, die Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, hingewiesen. Jetzt hat deren Inhaber Andreas Fettchenhauer in einer »nd« vorliegenden Einstweilige Verfügung der FAU verboten, zu behaupten, dass sie sich mit seiner Firma in einen Arbeitskampf befindet. Ebenfalls untersagt wurde ihr, den Eindruck zu erwecken, Fettchenhauer habe im Zusammenhang mit dem Arbeitskonflikt »eine große negative Öffentlichkeit erhalten« Die FAU darf künftig auch nicht mehr behaupten, dass es gegen die Firma Fettchenhauer Vorwürfe der »massiven Schwarzarbeit« und der »Nichtabführung von Beiträgen an die Versicherungsträger« gegeben hat. Bei einer Zuwiderhandlung droht der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro und den verantwortlichen Sekretären eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten. Die FAU Berlin musste inzwischen mehrere Texte auf ihrer Homepage ändern.

»Einstweilige Verfügungen sind ein gängiges Mittel gegen Gewerkschaften«, sagt FAU-Sekretärin Nina Matzek und spricht von einem Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Sie kritisiert, dass ein Richter die Einstweilige Verfügung erlassen hat, ohne der Gewerkschaft Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Dann hätte sie auf das kritische Pressecho zur Mall of Berlin in den letzten Wochen ebenso wie auf die aktuelle Rechtslage hinweisen können. »Die rechtliche Situation sieht vor, dass wenn ein Subunternehmen nicht bezahlt, die Auftraggeber für die ausstehenden Löhne haften«, erklärt auch der Pressesekretär der FAU-Berlin, Stefan Kuhnt. Für ihn ist die Auseinandersetzung mit der Einstweiligen Verfügung nicht beendet. »Jetzt wird der Fall politisch.«

Unterstützung bekommt die FAU von der Sprecherin für Soziale Menschenrechte der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Azize Tank. »Es ist doch kein Geheimnis, dass seit Wochen ein Arbeitskampf der um ihre Löhne geprellten rumänischen Bauarbeiter der Mall of Berlin geführt wird. Nach meinem Kenntnisstand, wurden auch auf der Baustelle sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. Ich werde mich auch weiterhin parlamentarisch für eine Aufklärung bemühen. Ein perfides System der Ausbeutung von Wanderarbeitern darf es weder in Berlin noch anderswo geben«, erklärt die Bundestagsabgeordnete dem »nd«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/958790.mall-of-berlin-gegen-die-fau.html

Peter Nowak

Immobilienfirma muss MieterInnen im Fanny Hensel-Kiez Schadenersatz wegen Diskrimierugn zahlen

Es war eine Premiere in der Rechtsgeschichte.  Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg  verurteilte die Immobilienfirma Elfte emc asset management GmbH & Co. KG, einer  türkischstämmigen Familie 30.000 Euro Entschädigung wegen ethnischer Diskriminierung zu zahlen.
Die Familie  wohnte 20 Jahre in einer aus 44 Wohnungen bestehenden Anlage im Fanny-Hensel-Kiez in  Kreuzberg. Die „Elfte emc asset management GmbH & Co. KG“ kaufte die Sozialwohnungen im Januar 2010 und erhöhte die Mieten zum März von 5,33 Euro einheitlich auf 7,04 Euro nettokalt. Dieser massiven Mieterhöhung waren die MieterInnen im sozialen Wohnungsbau schutzlos ausgeliefert, weil die Anschlussförderung wegfiel.  Im Fall von drei  Mietparteien indes blieb es nicht bei der massiven Mieterhöhung. Den Berliner MieterInnen mit arabischen und türkischen Hintergrund wurde die Mieten ab Mai 2010  auf 9,62 Euro erhöht.
Dagegen hat eine der betroffenen Familien jetzt erfolgreich geklagt. In dem Urteil des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg heißt es:

Im Urteil mit dem Aktenzeichen – Az.: 25 C 357/14   heißt es:
„Die Beklagte hat den Klägern durch ihr Verhalten zu verstehen gegeben, dass diese aufgrund ihrer Herkunft und dem hiermit im Zusammenhang stehenden kulturellen Hintergrund nicht in das von der Beklagten verfolgte Miet- und Wohnkonzept passen, ohne dass die Kläger hierzu einen Anlass gegeben hätten. Es entsteht der Eindruck, die Beklagte fürchte durch Mieter türkisch-orientalischer Herkunft bzw. arabischer Herkunft eine Abwertung der Wohnanlage, die durch Mieter europäischer Herkunft nicht zu befürchten sei. Die damit vermittelte krasse Abwertung, Ausgrenzung und massive Ungerechtigkeit greift als erheblich verletzend in den Kernbereich des klägerischen Persönlichkeitsrechts ein. Es wird so nicht nur deutsches Verfassungsrecht verletzt, das die Gerichte im Rahmen der Beurteilung zu berücksichtigen haben, sondern auch tragende europäische Rechtsgrundsätze“.
Das sind sehr klare Worte in Zeiten von Pegida.  Der Türkische Bund in Berlin und Brandenburg (TBB) kommentiert das Urteil positiv:
„Zudem erkennt das Gericht an, dass die Kinder der Kläger ebenso Betroffene der Diskriminierung sind wie ihre Eltern, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Erfahrung auf Dauer negativ auf ihre besonders sensible persönliche Entwicklung sowie auf das Bild von sich selbst und ihrer Rolle in der Gesellschaft der Bundesrepublik auswirken wird.“

Gegen soziale Diskriminierung gibt es keinen Rechtsschutz

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die zur Entschädigung verurteilte Immobilienfirma kann Widerspruch einlegen. Doch  für das Netzwerk Mieterstadt ist es wegweisend. Es weist daraufhin, dass die Praktiken der verurteilten Immobilienfirma kein  Einzelfall ist. Die ethnische Diskriminierung ist ein Mittel bei der Vertreibung von MieterInnen mit wenig  Einkommen. Dafür ist der Fanny Hensel Kiez ein sehr prägnantes Beispiel. Über Jahre haben  sich dort die  MieterInnen aus dem sozialen Wohnungsbau gehen ihre Verdrängung gewehrt.  Ein Aktivist nahm sich 2010 das Leben. In seinen Abschiedsbrief hat er erklärt, dass er den Druck    durch die Vertreibungsstrategien nicht mehr aushalten.  So ist das Urteil sicher ein wichtiges Zeichen gegen ethnische Diskriminierung. Doch gegen die soziale Vertreibung  gibt es keinen juristischen Schutz. Dagegen ist noch immer eine Organisierung der MieterInnen die beste Waffe.

MieterEcho online 15.01.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/fanny-hensel-diskriminierung.html

Peter Nowak

Jeden Tag Solidarität

Peter Nowak über die Kündigung eines Gewerkschaftssekretärs

Ein Solidaritätsaufruf für gekündigte GewerkschafterInnen ist in diesen Tagen wahrlich nicht selten. Der vielfach unterzeichnete Offene Brief gegen die Entlassung von Veit Wilhelmy ist dennoch etwas Besonderes. Denn der Adressat ist der Vorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

Wilhelmy war seit Jahren im Rhein-Main-Gebiet als Sekretär im Bereich Gebäudereinigung aktiv. Dass der IG-BAU-Vorstand Wilhelmy gleich viermal fristlos gekündigt hat, liegt nicht an dessen Erfolglosigkeit in der Mitgliederwerbung oder an mangelnder Interessenvertretung der KollegInnen. Ganz im Gegenteil. Die Eintritte waren in seiner Branche hoch. Vorgeworfen wird ihm, dass er in einem Betrieb, der zur DGB-Schwester IG BCE gehört hat, Mitglieder geworben hat. Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen den DGB-Gewerkschaften heftige Konkurrenz um die Mitglieder gibt. Dass deswegen Gewerkschaftsmitglieder gekündigt wurden, ist hingegen nicht bekannt.

Als weiterer Kündigungsgrund führte sein Arbeitgeber gegen Wilhelmy an, er habe einen Unternehmer wegen Behinderung einer Betriebsratswahl angezeigt, ohne sich zuvor um die Vollmacht des Bundesvorstands gekümmert zu haben. Aber: Aktive Gewerkschafter an der Basis würden sich sicher mehr Sekretäre wünschen, die auch mal unbürokratisch handeln. Beim Vorwurf, Wilhelmy habe eine Kollegin zu vergünstigten Bedingungen in die Gewerkschaft aufgenommen, fragt man sich, wie viel Entscheidungsfreiheit den Sekretären überhaupt gelassen wird. Doch Wilhelmy ist auch seit Jahren über gewerkschaftliche Kreise hinaus als Initiator des Wiesbadener Appells bekannt geworden, der das Recht auf politische Streiks in Deutschland forderte. Im Jahr 2009 hatte Wilhelmy auf dem Gewerkschaftstag der IG BAU gegen den Willen des Vorstandes einen Antrag für ein umfangreiches Streikrecht erfolgreich durchgesetzt. Er berief sich dabei auf den UN-Sozialpakt, den Deutschland bereits 1970 ratifiziert hat. Dass der aktive Sekretär beim Vorstand schon länger in Ungnade gefallen ist, scheint also wahrscheinlich – trotz gegenteiliger Beteuerungen.

Schließlich wurden auch in der Vergangenheit SekretärInnen von DGB-Gewerkschaften gekündigt, die sich besonders für die Rechte der Kollegen einsetzten und dafür auch bereit waren, Konflikte mit Unternehmen und der Politik in Kauf zu nehmen. Ein Beispiel ist im Jahr 2007 die Kündigung des thüringischen ver.di-Sekretärs Angelo Lucifero, der auch über Gewerkschaftskreise hinaus für sein antifaschistisches Engagement bekannt war. In dem Aufruf für Wilhelmy, der im Internet zum Unterzeichnen zu finden ist, geht es um ein hohes gewerkschaftliches Gut, die Solidarität. Daran müssen auch die Gewerkschaftsvorstände gelegentlich erinnert werden, die den Begriff oft nur für die Rede zum 1. Mai gebrauchen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/958646.jeden-tag-solidaritaet.html

Peter Nowak

Per Konjunktiv in den VS-Bericht

Die »Kritische Uni« Rostock im Geheimdienst-Visier

»Extremismus der Mitte? Rostocker Profs und der rechte Rand«, lautet der Titel eines Flugblattes, auf dem die Initiative »Kritische Uni« einige Dozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Rostock kritisch unter die Lupe nimmt. Dort wird einem Professor für Alte Geschichte vorgeworfen, in seinen Vorlesungen das Bild eines Kampfes der Kulturen zu zeichnen, bei dem sich östliche Barbaren und westliche Zivilisationen gegenüber stehen. Auch Mitgliedschaften in Burschenschaften oder die Publikationen bei Zeitungen am rechten Rand werden in der Flugschrift aufgeführt. Alle Behauptungen wurden mit Quellen belegt und keiner der aufgegeführten Personen ging juristisch gegen die Schrift vor. Dennoch wird ihr und der verantwortlichen Gruppen ein Absatz im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern gewidmet.

»Ein dem Anschein nach linksextremistischer Hintergrund dürfte auch einer Outing-Aktion an der Rostocker Universität im Jahre 2013 zugrundeliegen, in deren Rahmen Dozenten des Historischen Instituts der Universität wegen ›Verbindungen ins rechte Milieu‹ bezichtigt wurden«, heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Dass eine kritische Beschäftigung mit rechten Bestrebungen zu einem Eintrag in den VS-Bericht führt, ist für den ASTA und den Studierendenrat der Rostocker Universität unverständlich. »Der Diskurs ist das grundlegende Prinzip jeder Hochschule. Das Verbreiten von Flugblättern an einer deutschen Universität von einem Geheimdienst verfolgen zu lassen, widerspricht diesem Prinzip und ist daher kategorisch abzulehnen«, heißt es in einer Stellungnahme der Studierendenschaft.

Auch der hochschulpolitische Sprecher der Linksfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Hikmat Al-Sabty, zeigt sich befremdet, dass eine linke Hochschulgruppe ein Fall für den Verfassungsschutz geworden ist. »Die Studentengruppe ›Kritische Uni‹ hat mit einer Flugblattaktion im Herbst 2013 auf die Gefahr des Extremismus im Bereich der Dozierenden am Historischen Institut hingewiesen. Was der Verfassungsschutz daran zu bemängeln hat, oder welche angeblichen Gefahren von dieser Gruppe drohen, erschließt sich mir nicht«, erklärt Al-Sabty. Ein Eintrag im VS-Bericht könne für Mitglieder der Gruppe Probleme beim Berufseinstieg bedeuten, befürchtet er.

Diese Angst scheinen auch die Mitglieder der Gruppe, die seit mehr als 18 Monaten an der Historischen Fakultät der Rostocker Universität aktiv ist, zu teilen. Sie wollen anonym bleiben und machen auch keine Angaben über ihre Anzahl. Die Vorsicht ist nicht unverständlich. Schließlich bestehe die Gefahr, dass sie wegen ihrer antifaschistischen Aktivitäten auch ins Visier von rechten Gruppen kommen könnten.

Der Pressesprecher des Innenministeriums in Schwerin, Michael Teich, betont gegenüber »nd«, dass die Studentengruppe ›Kritische Uni‹ kein Beobachtungsobjekt des Landesverfassungsschutzes sei. Nur die Aktionsformen seien Gegenstand des Berichts. »Der Beitrag im Jahresbericht 2013 wurde vor dem Hintergrund der für Linksextremisten typischen Aktionsform des ›Outing‹ mit der Einleitung ›Ein dem Anschein nach linksextremistischer Hintergrund‹ versehen«, so Teich. Über Internetveröffentlichungen sei der Verfassungsschutz auf die Aktion gestoßen. In der Vergangenheit stand der Landes-VS bereits in der Kritik, weil die Punkband Feine Sahne Fischfilet, die häufig auf Antifakonzerten auftritt, als Teil der linksextremen Szene des Landes aufgeführt wurde.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/958590.per-konjunktiv-in-den-vs-bericht.html

Peter Nowak

Asylgesetze sollen Betroffenen gerecht werden

Offener Brief des Bündnisses gegen Dublin-Verordnung: Plädoyer für Asylverfahren in Deutschland

Flüchtlinge werden in »Erstaufnahmeländer« abgeschoben, wo sie nicht selten Obdachlosigkeit erwartet. Ein Aktionsbündnis protestierte am Donnerstag vor dem Bundesinnenministerium.

Der kurdische Oppositionelle Mehmet A. flieht über Griechenland nach Deutschland und stellt dort einen Asylantrag. Obwohl er seine politische Verfolgung bei der Anhörung belegen kann, erklären sich die deutschen Behörden für nicht zuständig. Er wird nach Griechenland zurückgebracht, wo er in letzter Minute durch das Eingreifen von Pro Asyl vor einer Abschiebung in die Türkei bewahrt wird. Wie Mehmet A. geht es vielen Asylbewerbern, nicht alle haben so viel Glück wie er. Ihre Fluchtgründe werden nicht geprüft, gegen ihren Willen werden sie in ein anderes EU-Land abgeschoben. Die rechtliche Grundlage liefern die Dublin-Verordnungen. Danach ist derjenige Mitgliedsstaat für das Asylverfahren zuständig, den der Asylsuchende bei der irregulären Einreise in die Europäische Union zuerst betreten hat.

Gegen diese Praxis laufen Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen seit langem Sturm. Jetzt soll der Widerstand gebündelt wurden. Am Donnerstag ging das »Aktionsbündnis Dublin III-Verordnung stoppen« mit einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, den Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, ihr Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. »Uns geht es darum, die Asylgesetzgebung an den Interessen der Geflüchteten auszurichten«, betonte Sebastian Muy gegenüber nd. Der Sozialpädagoge ist Mitarbeiter des Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrantinnen (BZZ), das im Bündnis gegen die Dublin-Verordnungen aktiv ist.

Bereits 2013 hatte ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden das »Memorandum Flüchtlingsaufnahme in der Europäischen Union: Für ein gerechtes und solidarisches System der Verantwortlichkeit« herausgegeben. Sie schlugen vor, das Kriterium der irregulären Einreise durch das Prinzip der freien Wahl des Mitgliedsstaates durch den Flüchtling zu ersetzen. Dieser Grundsatz spielt bei auch bei der aktuellen Imitative die zentrale Rolle.

Kritik übt Muy an Plänen der Bundesregierung, das Kriterium der illegalen Einreise durch eine Quotenregelung zu ersetzen. Danach sollen Kriterien definiert werden, anhand derer die Asylsuchenden auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden. »Dadurch könnte zwar dem «Verursacherprinzip» endlich ein Ende gesetzt werden. An der staatlichen Fremdbestimmung über die Wahl des Asylverfahrenslandes würde sich dadurch jedoch nichts ändern.« Diese Diskussionen machen für Muy deutlich, dass auch in der Politik mittlerweile erkannt werde, dass das Dublin-System gescheitert ist. Inzwischen gibt es mehrere gültige Gerichtsurteile, die die Ausweisung von Geflüchteten in EU-Länder wie Griechenland und Italien untersagen, weil dort wesentliche Grundrechte nicht gewährleistet sind. Das Bündnis gegen Dublin III unterstützt Aktionen etwa in Osnabrück, wo es mehrmals gelungen ist, durch Blockaden Abschiebungen von Flüchtlingen zu verhindern.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/958673.asylgesetze-sollen-betroffenen-gerecht-werden.html

Peter Nowak

Maloche für 9 Euro am Tag

BEZAHLUNG Die Gefangenengewerkschaft fordert heute bei einer Kundgebung den allgemeinen Mindestlohn auch im Gefängnis. Der Erwerbslosenausschuss von Verdi Berlin hat sich solidarisch erklärt

„Mindestlohn für alle“ lautet das Motto von zwei Kundgebungen vor der SPD-Zentrale und dem Bundesarbeitsministerium, zu denen die Gefangenengewerkschaft (GG) für den heutigen 15. Januar aufruft. „Wir wollen damit deutlich machen, dass der allgemeine gesetzliche Mindestlohn, der seit 1. Januar in Kraft ist, nicht für alle Beschäftigten gilt“, meint Oliver Rast gegenüber der taz.

Der Sprecher der im Mai 2014 gegründeten GG (taz berichtete) verweist damit auf die Gefängnisinsassen. „Zehntausende Inhaftierte malochen für die „öffentliche Hand“ und externe Unternehmen und erhalten hierfür einen Tageslohn von 9 bis 15 Euro, betont Rast, der bis zum September 2014 in der JVA Tegel inhaftiert war.

Dass innerhalb weniger Wochen mehrere hundert Häftlinge in ca. 30 Gefängnissen Mitglied der Gefangenengewerkschaft wurden, liegt für ihn auch an der Mindestlohndebatte. „Die Gefangenen wussten, dass sie nicht gemeint waren, wenn Mindestlohn für alle propagiert wird.“ Berlins Justizsenator Heilmann (CDU) bekundete auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Abgeordnetenhaus hin, dass für Berliner Gefangene auch in Zukunft kein Mindestlohn geplant sei. Häftlinge seien keine Arbeitnehmer auf dem freien Markt, sondern zur Arbeit verpflichtet, so die Argumentation des Senators.

Damit werde im Knast ein Niedriglohnsektor etabliert, moniert die Gefangenengewerkschaft. Sie bemüht sich um eine Kooperation mit den DGB-Gewerkschaften. Es gab bereits Gespräche mit Roland Tremper vom Berliner Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Dort hat man sich bisher eher um die Organisierung des JVA-Personals als um die der Häftlinge bemüht. Der Erwerbslosenausschuss von Verdi Berlin aber hat sich bereits mit der Gefangenengewerkschaft solidarisch erklärt und stellt sich ausdrücklich hinter deren Forderungen nach einem Mindestlohn im Knast und der Einbeziehung der Häftlinge in die Rentenversicherung.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F01%2F15%2Fa0190&cHash=2f72bdaa2edd7a0cf60072f4025a0b40

Peter Nowak

Wenn Antisemiten witzig sein wollen

Der rechte französische Satiriker Dieudonné wurde festgenommen. Das dürfte seinen Märtyrerstatus festigen

Dieudonné M’bala M’bala ist seit langen als rechter Provokateur bekannt, der mit dem Front National gebrochen hat, seit dort Antisemitismus zumindest öffentlich nicht mehr en vogue ist. Mittlerweile hat er mit vielen Kleinparteien versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Das gelingt ihm deshalb recht gut, weil er seit Jahrzehnten als Komiker und Schauspieler aktiv ist. Bereits nach den islamistischen Anschlägen vom 11.09.2001 sorgte er mit der Äußerung für Empörung, dass ihm das Charisma von Bin Laden mehr gefalle als das von Bush. Es war klar, dass er auch die islamistischen Anschläge in Paris für seine Selbstdarstellung nutzen würde.

Das ist ihm gründlich gelungen. Wegen Verherrlichung von Terror wurde Dieudonné jetzt festgenommen. Auf seiner Facebookseite sind Fotos gepostet, die seine Festnahme zeigen. Auch ein kurzes Video, in dem er von seiner Tochter gegrüßt wird, ist dort hochgeladen. Es zeigt sich schon, dass Dieudonné sich jetzt als Opfer einer Gesinnungsjustiz inszenieren will und so einen Märtyrerstatus erlangen will. Denn Dieudonné war mittlerweile nur noch beim harten antisemitischen Rand der extremen Rechten ein Bezugspunkt.

Noch vor einigen Jahren hatte der Komiker vor allen bei antirassistischen Gruppen Anhänger. Schließlich hat er lange Zeit mit seiner kamerunischen Herkunft kokettiert und den Rassismus gegen den Antisemitismus auszuspielen versucht. Doch die meisten antirassistischen Organisationen haben sich längst von ihm distanziert. Allerdings hatte er vor allem bei manchen Banlieu-Jugendlichen mit afrikanischem Hintergrund noch Sympathien. So wurde der von ihm eingeführte Quenelle-Gruß, der als abgewandelter Hitlergruß interpretiert wird, schnell weltweit bekannt und nachgeahmt.

„Ich fühle wie Charlie Coulibaly“

So könnte auch seine jetzige Festnahme in diesem Milieu auf Zustimmung stoßen. Denn der Anlass war sein Bekenntnis auf Facebook: „Ich fühle wie Charlie Coulibaly“ , wo er den Solidaritätsspruch „Ich bin Charlie“ mit dem Namen des antisemitischen Mörders Amedy Coulibaly kombiniert. Die ersten Solidaritätserklärungen aus rechten und verschwörungstheoretischen Kreisen gab es bereits. Dort wird erklärt, dass in Frankreich nach den Anschlägen der totale Staat sichtbar werde.

Doch unabhängig von diesen Kreisen stellt sich natürlich die Frage, ob es schlau ist, einen Antisemiten, der auf öffentliche Provokation abzielt, den Märtyrerstatus zu verleihen, indem man ihn festnimmt. Wenn es richtig ist, dass Satire alles darf, gilt das natürlich auch für Dieudonné. Auch Rechte dürfen Witze machen und wenn sie auch noch so schlecht sind. Schließlich ist ja niemand gezwungen zu lachen.

So stellt sich hier einmal mehr die Frage, ob es doch Grenzen der Satire geben soll. Sie können allerdings nicht admistrativ verordnet werden und müssten dann auch für alle und überall gelten. Dann wären wir aber wieder bei der Frage, die uns seit Jahren im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen beschäftigt. Daher ist es sinnvoll, gar nicht erst Grenzen der Satire bestimmen zu wollen.

Wie auch Islamisten die Karikaturen ertragen müssen, sie können ja weggucken, müssen auch die Opfer islamistischen Terrors Dieudonnés ganz speziellen Humor ertragen. Sie müssen sich ihm nicht aussetzen. Wenn nun die Erklärung „Ich fühle wie Charlie Coulibaly“ als Befürwortung von Terror gedeutet wird, ist das auf jeden Fall eine willkürliche Auslegung. Denn wenn man erklärt, mit einem Menschen zu fühlen, billigt man noch nicht seine Taten. Hier werden tatsächlich Freiheitsrechte eingeschränkt, die universell sind und deshalb auch für einen antisemitischen Provokateur wie Dieudonné gelten müssen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-Antisemiten-witzig-sein-wollen-2517846.html

Peter Nowak

Die Leerstellen bei den Antipegida-Protesten

Konkurrierende „Protest“-Märsche

Jeweils 400 Demonstranten nahmen am Montag in Berlin an der Aktion der rechtsgerichteten „Bürgerinitiative Marzahn“ sowie am Bärgida-Aufzug teil.Die Bärgida-Demonstration lässt die Teilnehmerzahl bei der „Bürgerinitiative Marzahn“ schwinden

Asylmissbrauch aufdecken – Merkel und Co. stoppen“,  lautete die Parole, die in schwarz-rot-goldener Schrift auf den Plakaten prangte, die am Montagabend auf der  8. Montagsdemonstration durch Berlin-Marzahn in den vorderen Reihen getragen wurden. Wie bei ähnlichen Demonstrationen der „Bürgerinitiative Marzahn“  beteiligten sich bei dem ersten Aufmarsch im neuen Jahr neben Marzahner Anwohnern auch wieder Mitglieder rechtsextremer Kameradschaften und der NPD  an den Protesten gegen  die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in dem Stadtteil.  Mit etwa 400 Teilnehmern war die Demonstration kleiner als im Vorjahr. Die Veranstalter hoben in einer  kurzen Demo-Nachbetrachtung positiv hervor, dass der Alkoholkonsum  dieses Mal deutlich zurückgegangen sei. Doch auch die geschrumpften Teilnehmerzahlen sehen sie nicht als  Anzeichen für ein Abebben der Proteste. Man habe damit gerechnet, dass der Zulauf nach der Winterpause geringer werde, hieß es dort.Ein Grund, dass der Marzahner Aufmarsch im Januar nicht nur bei der rechtsextremen Szene sondern auch in der öffentlichen Diskussion gegenüber dem Vormonat  an Bedeutung verloren hat, dürfte der dritte Anlauf einer Bärgida-Demonstration gewesen sein, die fast zeitgleich zum Umzug in Marzahn rund zehn Kilometer entfernt am Brandenburger Tor gestartet wurde. Nachdem bereits im Dezember ein erster Versuch gescheitert war, standen sich am 5. Januar 300 Bärgida-Anhängern einer vierstelligen Anzahl von Gegendemonstranten gegenüber. Am 12. Januar war das Kräfteverhältnis ähnlich. Mit 400 Teilnehmern war die Bärgida-Aktion leicht gewachsen, denen standen wiederum 4000 Gegendemonstranten gegenüber. Die geplante  Route der Bärgida-Marschierer endete daher bereits  nach mehreren hundert Metern.

Initiiert werden die Bärgida-Demonstrationen von dem Verein Patrioten e.V., einer Kleingruppierung, die eine neue Parteigründung anstrebt. Federführend daran beteiligt ist mit Karl Schmitt ein  ehemaliges Mitglied des Bundesvorstands der Partei  „Die Freiheit“, der auch in der antiislamischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ aktiv ist.  Auf der Homepage des Vereins finden sich allerdings neben  technischen Hinweisen nur allgemeine Postulate wie eine „Erziehung, die sich an den Werten der europäischen Aufklärung orientiert“,  die Ablehnung von „aus verschiedensten Kulturen   stammenden Erziehungsnormen“ oder von „Bestrebungen zum Abbau der heimatverbundenen Werte“. die „Förderung des nationalen Brauchtums und die Verbundenheit der Menschen zu dem Land ihrer Eltern und Vorfahren“. Unter den Bärgida-Marschierern finden sich zahlreiche rechtsextreme Aktivisten wie der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke. Im Dezember hatte er noch an mehreren Aufmärschen der Marzahner Flüchtlingsgegner teilgenommen.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/konkurrierende-protest-m-rsche

Peter Nowak

»Die soziale Frage hinter Gittern aufwerfen«

Im Mai 2014 wurde in der JVA Tegel in Berlin die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) gegründet. Oliver Rast ist einer der Gründer und seit dem Ende seiner Haftzeit Sprecher der Gewerkschaft. Er ist seit Jahren in der radikalen Linken aktiv. 2011 wurde Rast wegen angeblicher Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« zu eine dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Mit ihm sprach die Jungle World über die Arbeit der Gefangenengewerkschaft und Möglichkeiten der Organisation von Häftlingen.

In jüngst veröffentlichten Beiträgen aus Ihrer Anfangszeit in der JVA Tegel schreiben Sie, dass der Klassenkampf hinter Gittern vorbei sei. Die Individualisierung sei so groß, dass Inhaftierte eher mit der Anstaltsleitung paktierten, als sich untereinander zu solidarisieren. Sind Gefangenenproteste passé?

Als ich im Mai 2013 vom sogenannten offenen in den geschlossenen Vollzug verfrachtet wurde, wurde ich erstmal mit der Situation konfrontiert, dass vom pulsierenden Klassenkampf hinter Gittern nichts wahrzunehmen war. Als jemand, der in den achtziger Jahren politisch sozialisiert wurde, musste ich nun kapieren, dass die Zeiten der Knastkollektive politischer Gefangener und breit getragener Kampagnen für deren Forderungen vorbei sind. Ich musste die Bilder, die sich in meiner Vorstellungswelt festgesetzt hatten, wegräumen, um einen klareren Blick auf die Verhältnisse vor Ort zu entwickeln. Der Klassenkampf lässt sich in der Parallelwelt des Knastes weder inszenieren noch von außen hineintragen.

Für mich stellte sich also die Frage, wie ich als politisches Subjekt im Knast auftreten will. Gefangenenhilfs- und Solidaritätsorganisationen versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Haftbedingungen zu thematisieren und das Knastsystem in Frage zu stellen. Aber eine wirkliche Zugkraft für die Mehrheit der Gefangenen stellen sie nach meinen Erfahrungen nicht dar. Es brauchte einen inhaltlichen Aufhänger und einen praktischen Anlass, damit Gefangene unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Hintergrund zusammenfinden konnten.

Wie kam es dann dazu, dass Sie schließlich aus dem Knast heraus eine Gefangenengewerkschaft ins Leben riefen?

Das sieht in der Rückschau sicherlich durchdachter und planvoller aus, als es in dem Moment tatsächlich ablief. Sowohl bei mir als auch bei meinen Mitdiskutanten vor und hinter der Knastmauer war viel Skepsis vorhanden, wie weit die vage Idee einer Gefangenenunion tatsächlich umgesetzt werden könnte. Letztlich war es das Zusammenspiel von drei Hauptfaktoren, das dazu führte, dass mein inhaftierter Kollege Mehmet Aykol und ich die »Gefangenengewerkschaft der JVA Tegel« gründeten, die wenig später in »Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)« umbenannt wurde.

Welche Faktoren waren das?

Erstens bin ich seit einigen Jahren Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW), auch Wobblies genannt, sowie der gleichfalls traditionsreichen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Ich wollte mein basisgewerkschaftliches und revolutionär-unionistisches Engagement auch unter den widrigen Knastbedingungen fortsetzen.

Zweitens stützen wir uns auf geltendes Recht. Zum einen berufen wir uns auf ein Grundrecht, das auch für Inhaftierte nicht außer Kraft gesetzt ist: die Koalitionsfreiheit nach Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes. Zum anderen haben wir uns, wie es eine gängige Rechtspraxis von Gewerkschaften ist, als »nicht rechtsfähiger Verein« nach dem BGB konstituiert.

Und drittens sahen wir die dringende Notwendigkeit, die soziale Frage hinter Gittern aufzuwerfen, womit wir den neuralgischen Punkt vieler, wenn nicht gar aller Gefangenen getroffen haben.

Sie sind mit zwei Hauptforderungen angetreten: Mindestlohn und Rentenversicherung für Inhaftierte. Wie wollen Sie diese durchsetzen?

Wir haben uns bewusst auf ein Minimalprogramm beschränkt. Die Klarheit der Forderungen nach Mindestlohn und Rentenversicherung für Gefangene ist ein Teil des »Erfolgsrezepts« der GG/BO. Das entspricht absolut lebensnahen Bedürfnissen von Inhaftierten. Dadurch entsteht eine Interessengemeinschaft, die die sonst so übliche Fraktionierung unter Gefangenen punktuell überwindet. Außerdem bringen wir uns in allgemeine öffentliche Debatten nach einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit ein. Das verschafft uns eine doppelte Anschlussfähigkeit, die uns eine relativ breite Resonanz beschert hat.

Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir uns im Bündnis mit anderen Kräften in sozialen Bewegungen verankern. Hierüber hoffen wir, Kräfteverhältnisse verschieben zu können. Wir wissen aber auch, dass wir gegen gewichtige Akteure in Bund und Ländern anlaufen, die jede sozialreformerische Veränderung, auch wenn sie lediglich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz pocht, für einen Akt der Meuterei halten.

Gleich nach der Gründung der GG/BO wurden gewerkschaftseigene Unterlagen beschlagnahmt. Hat die Repression der Anstaltsleitung der JVA Tegel die Gefangenenbewegung beschleunigt?

Zweifellos haben die Zellenrazzien in Tegel den Grad des öffentlichen Interesses erhöht und somit unsere anfängliche Entwicklung etwas beschleunigt. Allerdings bezwecken solche Maßnahmen immer, uns die Legitimität als gewerkschaftliche Initiative abzusprechen. Das soll unter den Gefangenen Verunsicherung erzeugen. Uns ist klar, dass potentiell interessierte Insassen davon abgehalten werden sollen, sich der GG/BO anzuschließen.

Nun haben die Damen und Herren im Justizapparat das Problem, dass wir existieren – und zwar, wie erwähnt, auf einer formaljuristisch fundierten Basis. Wir nehmen lediglich ein Grundrecht in Anspruch, das der bürgerliche Staat selbst einer »sozialen Randgruppe« wie Inhaftierten nicht vorenthalten will.

Einige unserer aktivsten Mitglieder erfahren momentan die »Klassenjustiz« ganz reell. Insbesondere für agile Gewerkschafter hinter Schloss und Riegel zeigt sich, wie weit es mit dem vielbeschworenen liberalen Rechtsstaat in Wirklichkeit her ist. Als GG/BO gehen wir gegen die schikanösen Behandlungen unserer Mitglieder politisch und juristisch vor.

Wie können die Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Gefängnissen in den Entscheidungsprozess der GG/BO einbezogen werden?

Eine basisdemokratische Organisation stößt im Knast sprichwörtlich auf Grenzen. Es können derzeit keine JVA-Versammlungen unserer Mitglieder einberufen werden, um zum Beispiel mit auswärtigen GG/BO-Mitgliedern in direkten Austausch zu treten. Vieles läuft zäh über Schriftverkehr, der natürlich durch das Eingreifen der Vollzugsbehörden gestört werden kann.

Ist die GG/BO dann überhaupt arbeitsfähig?

Doch, wir haben viel vor: Mit unserem bundesweiten Aktionstag »Schluss mit der Billiglöhnerei hinter Gittern!«, der im April 2015 in mehreren Städten stattfinden wird, soll durch eine »aktivierende Untersuchung« die Betriebslandschaft in den Knästen unter die Lupe genommen werden. Mit einem Fragebogen an unsere Mitglieder wollen wir in Erfahrung bringen, wer dort unter welchen Bedingungen zu Billiglöhnen und im Akkord produzieren lässt. Wir hoffen, dass das innerhalb und außerhalb der Knäste einen weiteren Mobilisierungsschub geben wird.

Die Solidarität zwischen inhaftierten und nicht inhaftierten Kollegen ist ganz wichtig für das Funktionieren unserer Organisation. Indem wir sowohl drinnen als auch draußen über Standbeine verfügen, haben wir viel größere Handlungsspielräume und sind als Gesamtorganisation nicht gleich durch jede JVA-Schikane zu erschüttern.

Wie gestaltet sich der Kontakt zu anderen Gewerkschaften, zum DGB oder auch zur FAU und den Wobblies? Gibt es einen solidarischen Austausch?

Von den Basisgewerkschaften FAU und IWW haben wir rasch positive Signale erhalten. Sie stehen Selbstorganisationsprozessen und der Gefangenenfrage ja grundsätzlich offen gegenüber. Berührungsängste sind vereinzelt bei Vertretern von DGB-Gewerkschaften spürbar. Allerdings haben wir aus DGB-Basisstrukturen frühzeitig Zuspruch erfahren, insbesondere seitens der Erwerbslosenausschüsse von Verdi und der Verdi-Jugend. Dort ist schnell begriffen worden, dass prekäre Arbeitsverhältnisse aus gewerkschaftlicher Sicht generell inakzeptabel sind – ob nun außer- oder innerhalb der Knastmauern. Und ein Mindestlohn greift erst, wenn er tatsächlich flächendeckend und ausnahmslos gilt. Als GG/BO wollen wir die bestehenden Kontakte im breiten Gewerkschaftsspektrum vertiefen und die begonnene punktuelle Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen weiter ausbauen.

Wo wird die GG/BO in einem Jahr stehen?

Wir befinden uns im Übergang von der Aufbau- in die Stabilsierungsphase. Vieles an Struktur der GG/BO ist weiterhin fragil, da wir mit der gewerkschaftspolitischen Selbstorganisation hinter Gittern bei null angefangen haben. Hinzu kommt, dass wir am Rande unserer Kapazitäten arbeiten. Sowohl personell, infrastrukturell als auch finanziell muss spätestens im Frühjahr einiges neu strukturiert werden. Wir sind längst über das Stadium eines kleinen Projektversuchs hinaus. Wir sind ein Verbund von mehreren Hundert Menschen in über 30 Knästen, der in Bewegung bleiben will. Und das setzt einen bestimmten Grad an Professionalisierung voraus.

Ohne mich der Idealisierung verdächtig machen zu wollen, behaupte ich, dass die GG/BO bereits zu einem kleinen Faktor vor und hinter den dicken Gitterstäben geworden ist. Eine Entwicklung, die ermutigen sollte, die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern Etappe für Etappe durchzusetzen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/02/51219.html

Interview: Peter Nowak

Zusammen allein

Mit einem offenen Brief hat eine politische Gefangene darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Gefängnis Berlin-Pankow Mobbing und Schikane ausgesetzt ist.

»Im Gefängnis, im Hof, bei der Arbeit, im Auto, während Arztbesuchen und auf den Stationen bin ich mit heftigen Provokationen von anderen Häftlingen angegriffen worden. Obwohl ich mit Wärtern und Sicherheitsleuten gesprochen habe, haben sie sich dazu nicht geäußert und nichts dagegen getan. Man hat eher darauf gewartet und darauf gebaut, dass die Angriffe mehr werden.« So beschreibt Gülaferit Ünsal ihre Situation im Frauengefängnis Berlin-Pankow. Sie hat vor einigen Wochen in einem offenen Brief mitgeteilt, dass sie Schikanen und Mobbing von Mitgefangenen ausgesetzt sei.

Auch das Verhalten des Gefängnispersonals kritisiert sie. »In meiner Zelle konnte ich einen Monat lang kein Fernsehen schauen und die Gefängnisleitung sagte, dass es mehrere Monate in Anspruch nehmen würde, dies reparieren zu lassen. Deshalb bin ich auch aus meiner Zelle in eine andere Zelle verdrängt worden«, heißt es in dem Brief. Mehrere türkische Zeitungen, die sie abonniert habe, seien ihr oft nicht ausgehändigt worden, beklagt die Gefangene. Für langjährige Mitglieder der Gefangenensolidaritätsbewegung ist es nicht verwunderlich, dass Konkurrenz und Ausgrenzung den Alltag im Gefängnis prägen. Solidarität hat allerdings schon fast vollständig gefehlt, als Ünsal mehrere Monate in Berlin vor Gericht stand und im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer sechseinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die 43jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b StGB beschuldigt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europa­chefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) war. Eine Beteiligung an Anschlägen konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Vielmehr hat sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert. Strafmildernd wurde gewertet, dass Ünsal nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr in der Organisation nachgewiesen werden konnte. Daher blieb das Gericht unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von acht Jahren Haft.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher vermeintlicher Beweise Folter nicht ausgeschlossen werden kann, fordern sie, dass solche Informationen keinen Eingang in den Prozess finden. Doch wie schon in anderen 129b-Verfahren kooperierten auch beim Prozess gegen Ünsal deutsche und türkische Sicherheitsbehörden. Nachdem Ünsal 2011 auf Betreiben der Bundesanwaltschaft von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert worden war, hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keinerlei solidarische Aktivitäten mehr. »Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist«, sagt ein Aktivist, der namentlich nicht genannt werden möchte, der Jungle World.

Nachdem Ünsal wegen eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft genommen worden war, formierte sich in Griechenland eine große Solidaritätsbewegung gegen ihre drohende Auslieferung nach Deutschland. Beteiligt waren auch Rechtsanwälte und Menschenrechtler. Sie sahen in der Anklage nach Paragraph 129b ein politisches Instrument, mit dem legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Ünsals Auslieferung konnten die griechischen Aktivisten nicht evrhindern, erwarteten aber, dass die Solidaritätsarbeit in Deutschland fortgesetzt werde. Doch weder der Prozess noch die sechsjährige Haftstrafe sorgten für größere Aufmerksamkeit. Erst Ünsals Berichte über den Druck, dem sie im Gefängnis ausgesetzt ist, stießen auf etwas mehr Interesse. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Kundgebungen organisiert und Protestschreiben an die Gefängnisleitung gerichtet.

Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2015/02/51202.html

Terror gegen Zeitung in Deutschland?